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WAHRER WOHLSTAND STATT BLINDES WACHSTUM Jahreswohlstandsbericht 2017

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IMPRESSUM Herausgeberin: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-bundestag.de

Verantwortlich: Kerstin Andreae MdB Stellv. Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: [email protected]

Autoren: Dipl.-Verw.Wiss. Roland Zieschank, Berlin Prof. Dr. Hans Diefenbacher, Heidelberg

Grafik Indikatoren: Dipl.-Wirtschaftskomm. Annika Mierke, Berlin

Bezug: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: [email protected]

Schutzgebühr: € 1,50 1. Auflage

Redaktionsschluss: Januar 2017

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Vorwort ............................................................................................................ 3

1. Einleitung...................................................................................................... 5

2 Konzeptioneller Hintergrund des Berichts ........................................................... 7

2.1. Anmerkungen zum Begriff Wohlstand und gesellschaftliche Wohlfahrt ...............7

2.2 Zum konzeptionellen Rahmen des Jahreswohlstandsberichts ...........................9

3. Aktuelle Berichtsformen in Deutschland .......................................................... 16

3.1 Aktivitäten der Bundesregierung jenseits der traditionellen Wirtschaftsberichterstattung ................................................................... 16

3.2 Der Jahreswirtschaftsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie 18

3.3. Zur Kritik am BIP – Der Nationale Wohlfahrtsindex ....................................... 20

4 Die Indikatoren des Jahreswohlstandsberichts ................................................... 24

4.1. Systematik .......................................................................................... 24

4.2. Ökologische Dimension .......................................................................... 26

4.3. Soziale Dimension ................................................................................ 30

4.4. Ökonomische Dimension ........................................................................ 33

4.5. Gesellschaftliche Dimension ................................................................... 37

4.6. Aspekte und Probleme der subjektiven Seite von Wohlfahrt – Indikatoren zur Lebenszufriedenheit .............................................................................. 40

5. Ergebnisse und Schlussfolgerungen ................................................................ 45

5.1. Die Indikatoren – Überblick und Empfehlungen .......................................... 45

5.2. Zusammenfassung ................................................................................ 53

6. Kontrollindikator zur Problematik der Verschuldung............................................ 55

7. Der Jahreswohlstandsbericht im Kontext neuer gesellschaftlicher Berichtsmodelle ...... 60

8. Ausblick .................................................................................................. 62

9. Literaturverzeichnis .................................................................................... 63

Anlage: Indikatorenkennblätter ............................................................................ 71

I 1: Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität ............................... 72

I 2: Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität .......................................... 74

I 3: S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung ........................................ 76

I 4: Bildungsindex ..................................................................................... 78

I 5: Nettoinvestitionsquote .......................................................................... 79

I 6: Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung ...... 81

I 7: Gesunde Lebensjahre ............................................................................ 83

I 8: Governance Index ................................................................................ 85

INHALT | JAHRESWOHLSTANDSBERICHT 2017

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3 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017

VORWORT Liebe Leserinnen, liebe Leser,

am 25. Januar werden Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel den Jahreswirt-schaftsbericht der Bundesregierung vorstellen. Wie seit Jahrzenten fokussiert der Bericht jedoch aus-schließlich auf Wirtschaftswachstum und Beschäf-tigungsentwicklung. Wir finden: Diese Zahlen zei-gen nur die halbe Wahrheit über unseren Wohl-stand.

Denn es ist nicht nur das Wachstum der Gesamt-produktion, das eine erfolgreiche Wirtschaft aus-zeichnet. Sie muss die Lebensqualität aller Bürge-rInnen nachweisbar verbessern, ohne dabei ihre eigenen Grundlagen zu zerstören, weder die sozia-len noch die ökologischen. Wirtschaftswachstum auf Kosten von Mensch, Natur und Umwelt schafft keinen echten Wohlstand.

Will man wissen, wie sich der Wohlstand in Deutschland entwickelt hat, muss man also ge-nauer hinschauen. Unser Jahreswohlstandsbericht tut dies. Mit ihm präsentieren wir eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung. Wohlstand schließt hier auch die sozialen und die ökologi-schen Potenziale mit ein. Ergebnis:

Unser materiell sehr hoher Wohlstand wird durch Umweltzerstörung, ungerechte Verteilung und un-terlassene Investitionen untergraben. Wer nur auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) starrt, verfällt einer Illusion.

In den vergangenen elf Jahren unter unionsge-führten Regierungen, haben sich wichtige ökologi-sche, soziale und ökonomische Kennziffern ver-schlechtert. Der Wohlstandsbericht offenbart:

11 Jahre Schwarz-Rot-Gelbe Wirtschaftspolitik: Stillstand bei Umwelt, Gerechtigkeit und Investi-tionen

Unser ökologischer Fußabdruck bleibt zu groß. Wir zerstören langfristig das, worin wir leben: unsere Umwelt. Die unionsgeführten Bundesregierungen haben an dieser Entwicklung nichts geändert, im Gegenteil: seit 2011 wird der Umweltverbrauch

immer größer. Der Jahreswohlstandsbericht zeigt, wo wir stehen und dass wir dringend etwas än-dern müssen.

Der Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität hat sich seit 2005 ebenfalls deutlich verschlech-tert. Er bildet den Zustand und die Veränderungen von Natur und Landschaft in Deutschland ab.

Die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung in Deutschland liegt seit 2007 auf konstant hohem Niveau und ist 2014 noch einmal auf ihren bisher höchsten Wert gestiegen. Unser Bericht misst sie am Verhältnis des Gesamteinkommens der reichs-ten 20 Prozent der Bevölkerung zu dem der ärms-ten 20 Prozent.

Die Nettoinvestitionen – ein Maß des Produktions-potenzials der deutschen Volkswirtschaft – liegen seit 2005 auf niedrigem Niveau. Sowohl der Staat als auch Unternehmen investieren viel zu wenig.

Nur unser Bildungsindikator zeigt Verbesserungen. Darin zahlt sich die oft engagierte Politik auf Lan-desebene aus.

Mit unserem Wohlstandsbericht wollen wir neben ökonomischen auch ökologische, soziale und ge-sellschaftliche Entwicklungen anhand messbarer Kriterien darstellen. So zeigen wir, wo Dinge falsch laufen, die in den offiziellen Berichten der Bun-desregierung nicht vorkommen, die die Menschen aber täglich erleben. Denn nur mit einem umfas-senden und ehrlichen Bild können wir wirklich et-was für mehr und echten Wohlstand für alle tun.

Mit freundlichen Grüßen,

Anton Hofreiter MdB (Fraktionsvorsitzender)

Kerstin Andreae MdB (Stellv. Fraktionsvorsitzende)

Oliver Krischer MdB (Stellv. Fraktionsvorsitzender)

Berlin, Januar 2017

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Die Wohlstandsindikatoren im Überblick:

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5 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017

1. EINLEITUNG

Diese Studie ist eine neue Form der Wirtschaftsbe-richterstattung.

Der Bericht zeigt auf, wie sich der Wohlstand in Deutschland entwickelt hat. Durch die Wahl der In-dizes und Indikatoren soll er die Diskussion darüber weiter anregen, welche Qualität und Richtung die Entwicklung der Wirtschaft zukünftig erhalten soll.

Wohlstand schließt hier – im Unterschied zu den traditionellen Formen der Wirtschaftsberichterstat-tung – auch die sozialen und die ökologischen Po-tenziale mit ein: Es ist nicht nur die Wirtschaft, wel-che unsere Lebensqualität und unser Wohlergehen bestimmt. Vielmehr entsteht der „Reichtum“ einer Gesellschaft auch aus dem richtigen Umgang mit dem Human- und dem Sozialkapital sowie dem vorhandenen Naturkapital.1

Diese erweiterte Perspektive ist überfällig. Die Kon-zentration auf wirtschaftliches Wachstum in einem bereits wohlhabenden Land wie Deutschland ent-spricht eigentlich immer noch dem Denken, wie es nach Ende des Zweiten Weltkriegs vorherrschte, um mit einer quantitativen Ausweitung von Gütern und Dienstleistungen den Wiederaufbau zu meistern. Auch die sprichwörtliche „Tonnenideologie“ zu Zei-ten der DDR entspricht diesem quantitativen Ver-ständnis von Wirtschaften – und hat diese Phase der Geschichte sogar überlebt. Inzwischen wird den Kenntnissen und Fähigkeiten der Menschen, der Stabilität sozialer Strukturen, dem Vertrauen auch in Institutionen sowie den politischen Rahmenbe-dingungen eine große Bedeutung beigemessen. Genauso ist bei näherem Hinsehen der Zustand un-serer natürlichen Umwelt einschließlich der Funkti-onsfähigkeit unserer unterschiedlichen Ökosysteme ein weiterer, entscheidender Faktor des Wohlstands „jenseits“ einer Fokussierung auf die wirtschaftli-chen Prozesse. Aber auch, wenn man nur die Wirt-

1 Wie später noch erläutert wird, verbindet sich mit dieser eher ökonomischen Terminologie eigentlich ein soziales und ökolo-gisches Potenzial, das in einem kreativen Sinne zum gesell-schaftlichen Wohlstand eines Landes beiträgt.

schaft betrachten würde, kann eine reine, auf Wirt-schaftswachstum und andere traditionelle Kenn-größen fixierte Analyse in die Irre führen, da sie ei-nem ökonomischen Leitbild folgt, das weder nach-haltig noch zukunftsverträglich ist. Auch dieser zweite Bericht will somit einen anderen Akzent set-zen. Wie sich zeigen wird, sind die hier vorgeschla-gene Perspektive einschließlich entsprechender In-dikatoren durchaus kompatibel mit neueren Über-legungen und Innovationen auf internationaler Ebene. Dennoch wird Deutschland auf absehbare Zeit dabei keine Vorreiterrolle einnehmen können.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte sich 2014 zum Ziel gesetzt, einen Jahreswohl-standsbericht zu erstellen. Dieser Bericht sollte dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung ge-genübergestellt werden und auch ökologische, so-ziale sowie sozio-ökonomische Aspekte und Per-spektiven gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt mit einbeziehen.

Als weiterer Impuls für diesen Bericht sei die Arbeit der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages 2013 erwähnt. Sie hat in ihrem Abschlussbericht gewis-sermaßen die Weichen mitgestellt, um diese zent-ralen Begriffe in neuer Weise miteinander zu ver-binden.2

Dem jetzt vorliegenden Bericht für 2017 ging im Juli 2015 eine Machbarkeitsstudie voraus (siehe Zieschank/Diefenbacher 2015), welche bereits im Januar 2016 zu einem ersten Wohlstandsbericht führte.

Das Ziel dieser Form der Berichterstattung besteht darin, die Diskussion über die Art und Weise des Wirtschaftens anhand einer konzeptionellen wie gleichermaßen empirischen Basis fortzuführen. Was soll zukünftig den gesellschaftlichen Wohlstand in

2 Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlfahrt, Lebensqualität“ 2013.

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Deutschland einschließlich seiner immateriellen Komponenten – mithin der gesellschaftlichen Wohlfahrt – ausmachen?

Die folgenden Argumentationslinien sollen hierfür eine Grundlage schaffen:

In Kapitel 2 werden einige grundlegende Überle-gungen vorgestellt, welche auch das Verhältnis von Wirtschaft und staatlicher Politik thematisieren. Es geht um die Bewältigung zentraler Risiken einer Gesellschaft, die zumindest im Prinzip über eine so-ziale Marktwirtschaft einerseits und eine „Green Economy“ andererseits sinnvoll angegangen wer-den können. Auf diesen Hintergrundinformationen baut das konzeptionelle Grundgerüst des Wohl-standsberichts auf, einschließlich der dann vorge-schlagenen vier Dimensionen der Berichterstattung und ihrer zugehörigen Indikatoren.

Kapitel 3 erläutert zusätzlich einige aktuelle gesell-schaftliche Berichtsformen in Deutschland. Dabei gibt es bereits interessante Ansätze jenseits tradi tioneller Wirtschaftsberichtserstattung. Anschlie-ßend wird der jährliche Wirtschaftsbericht der Bun-desregierung kurz thematisiert, mithin der Jahres-wirtschaftsbericht 2017. Diese Veröffentlichungen sind ja letztlich eine wesentliche Ursache für den Versuch, eine andere Perspektive mit Blick auf ge-sellschaftlichen Wohlstand einzuführen. Das Kapitel umreißt deshalb in knapper Weise wesentliche Kri-tikpunkte an der zentralen Kennziffer des Bruttoin-landsproduktes (BIP) und der damit häufig verbun-denen Wachstumsfixierung. Die Kritik mündet in eine Darstellung des „Nationalen Wohlfahrtsinde-xes“ und seiner Ergebnisse im Vergleich zur Ent-wicklung des BIP während der letzten Jahre.

In Kapitel 4 wird mit Hilfe von vier zentralen Di-mensionen, die jeweils mit zwei Kernindikatoren belegt sind, der gesellschaftliche Wohlstand in exemplarischer Form näherungsweise charakteri-siert. Diesem Zweck dienen auch grafische Darstel-lungen des Verlaufs aller einzelnen Indikatoren während der letzten Jahre, sowie Erläuterungen zur Entwicklung.

Kapitel 5 beinhaltet die wesentlichen Ergebnisse aller acht ausgewählten Indikatoren, welche die empirische Basis des Jahreswohlstandsberichts 2017 bilden, in grafischer Form. Durch symbolische Darstellungen werden dabei der jeweilige Zustand sowie die Entwicklungsrichtung jedes Indikators charakterisiert: Es gibt eine Ampeldarstellung ei-nerseits, eine Darstellung der Entwicklung in Form eines Pfeils andererseits. Das Kapitel wird ergänzt um mögliche Schlussfolgerungen aus den Indikato-ren und ihres Verlaufs.

Kapitel 6 geht kurz auf das Thema der Verschuldung ein. Bereits in den vorausgegangenen Studien war überlegt worden, einen wichtigen aktuellen Be-reich, der gesellschaftlichen Wohlstand tangiert, näher zu behandeln. Während die Schuldenauf-nahme einerseits eine der treibenden Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung ist, kann sie unter Umständen das erzielte Wohlstandsniveau eines Landes gleichzeitig untergraben; mehr noch, Risi-kopotenziale können an beiden Polen entstehen: sowohl bei einer Austeritätspolitik als auch einer schuldeninduzierten Wachstumsstimulierung.

In Kapitel 7 wird versucht, den Jahreswohlstands-bericht im Kontext neuer gesellschaftlicher Be-richtsmodelle zu verorten: Die Kenntnis anderer nationaler und internationaler Diskurslinien sowie Messkonzepte soll außerdem helfen, die eigenen Bemühungen einzuordnen und voranzutreiben.

Kapitel 8 gibt abschließend einen kurzen Ausblick auf die weiteren Arbeiten und spricht die Notwen-digkeit einer institutionellen Absicherung der Da-tenerhebung für die ausgewählten Indikatoren an.

Der Jahreswohlstandsbericht 2017 enthält wiede-rum einen ausführlichen Anhang, in welchem alle Indikatoren anhand von Kennblättern in systema-tisierter Weise dargestellt werden. Die Kennblätter erlauben ein vertieftes Verständnis der Indikatoren des Berichts.

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2 KONZEPTIONELLER HINTERGRUND DES BERICHTS

2.1. ANMERKUNGEN ZUM BEGRIFF WOHLSTAND UND GESELLSCHAFTLICHE WOHLFAHRT

Der Begriff des Wohlstands hat eine lange Ge-schichte.3 Umgangssprachlich wird mit Wohl-stand häufig ein Zustand beschrieben, in dem ein Individuum ausreichend oder sogar mehr Geld zur Verfügung hat, um sich seine Wünsche erfüllen zu können. Dieses Begriffsverständnis verweist auf die materielle Dimension des Wohlergehens, wobei in erweiterten Begriffs-fassungen auch immaterielle Aspekte hinzuge-nommen werden.4

Wird nun nicht nur das einzelne Individuum betrachtet, sondern eine Gesellschaft insge-samt, stellt sich natürlich die Frage, wie sich dann der Wohlstand im Blick auf das Ganze bemisst. Damit kommen vor allem Fragen der Verteilung in den Blick. Ist es der Reichtum der Eliten in einem von Oligopolen geprägten Staat, der zum obersten Ziel erklärt wird, oder ist es das „größte Glück der größten Zahl“?

Wohlfahrt wiederum kann in mindestens drei verschiedenen Kontexten verortet werden, in denen der Begriff jeweils eine unterschiedliche Bedeutung transportiert:

(1) Am nächsten liegt zunächst der alltags-sprachliche und politisch-technische Kon-text, in dem Wohlfahrt ein Teilsystem der sozialen Sicherung bezeichnet. Hier spie-len auch die Wohlfahrtsverbände als Trä-ger sozialer Belange der Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Der Begriff „Wohl-fahrtsstaat“ war zudem in den Anfängen der Bundesrepublik positiv besetzt, weil er

3 Der folgende Abschnitt basiert auf Meyer/Ahlert/Diefen-bacher/Zieschank/Nutzinger 2013.

4 Auf die Schnittstelle dieser beiden Begriffsaspekte hat

schon Ludwig Erhard 1957 verwiesen.

zur sozialen Existenzsicherung und Alters-vorsorge vieler Menschen beitrug. Im Kon-text dieser Studie wird aber von einem nachstehend beschriebenen, wesentlich weiteren Verständnis von Wohlfahrt aus-gegangen.

(2) Dann existiert der wissenschaftliche Kon-text, in dem Wohlfahrt den Gesamtnutzen eines Individuums oder der Gesellschaft beschreibt, letzteres als Aggregation der jeweiligen Nutzenfunktionen der Indivi-duen5 – wobei schon Kenneth Arrow ge-zeigt hat, dass es im Grunde unmöglich ist, unterschiedliche Nutzenfunktionen von Individuen zu einer gesamtgesellschaftli-chen Nutzenfunktion sinnvoll zusammen-zufassen.6 Zwischen den Begriffsfeldern (1) und (2) gibt es eine Schnittmenge dann, wenn Wohlfahrt fokussiert als Be-friedigung der Grundbedürfnisse von Menschen verstanden wird.

(3) Schließlich gibt es einen Kontext, in dem der Begriff als umfassende Bezeichnung für Wohlergehen verwendet wird, der ne-ben materiellen auch immaterielle Kom-ponenten enthält. Bereits die Definition der Weltgesundheitsorganisation setzt sich dabei vom BIP-Verständnis ab. Wohlerge-hen wird hier indessen noch primär auf der personalen Ebene verstanden als „… die subjektive Wahrnehmung einer Person in ihrer Stellung im Leben, in Relation zur Kultur und den Wertesystemen, in denen

5 Zur Begründung des Konzepts der Wohlfahrtsfunktion vgl. Bergson 1938.

6 Vgl. Campbell & Kelly 2002; interessanterweise hat sich Arrow in jüngster Zeit mit einem stark formalisierten Vor-schlag zur Messung von Nachhaltigkeit und Wohlstand zu Wort gemeldet, siehe Arrow/Dasgupta/ Goulder/Mum-ford/Oleson 2010.

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sie lebt, in Bezug auf ihre Ziele, Erwartun-gen, Standards und Anliegen“ (WHO 1995). Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft hilft dieses Begriffsverständnis jedoch eben-falls nicht weiter, da es bei gesellschaftli-cher Wohlfahrt nicht allein um die Mikro-ebene („Well-being“) sondern um die Makroebene („Welfare“) geht, im Sinne des Wohlergehens eines Landes.

Insofern würde der Begriff der Wohlfahrt also verstanden als Gesamtheit der materiellen und der immateriellen Komponenten von „Wohl-stand“ und „Wohlergehen“.

Dieses Verständnis beinhaltet sicherlich das ökonomische Kapital, aber es geht eben auch darüber hinaus und bezieht das „Naturkapi-tal“ und das „soziale Kapital“ als Bestandteile gesellschaftlicher Wohlfahrt mit ein. Damit ge-meint sind die Qualität und die Größe von Öko-systemen, etwa Wald- oder Gewässerökosys-teme, auch die biologische Vielfalt etc.

Mit sozialem Kapital lassen sich unter anderem persönliche Fähigkeiten, Bildung, sozialer Zu-sammenhalt und Engagement umschreiben (siehe u.a. Zieschank/Diefenbacher 2010).

Wohlfahrt resultiert dann zum einen aus den Nutzenströmen, die einer Gesellschaft in einer bestimmten Periode aus den so umfassend be-trachteten Kapitalarten zufließen, zum ande-ren aber aus der Erhaltung ihrer Kapitalbe-stände.7

Insofern würde es sich von der begrifflichen Seite her anbieten, in dieser Studie auch den Begriff der Wohlfahrt im Zusammenhang mit einem alternativen Jahreswirtschaftsbericht zu verwenden. Aus Gründen der sprachlichen Ak-zeptanz und öffentlichen Resonanz orientiert sich die Erstellung eines alternativen Jahres-wirtschaftsberichtes gemäß der Vorgabe des Auftraggebers am Begriff „Jahreswohlstands-bericht“, wobei der Wohlstandsbegriff hier (gleichfalls) in einem inhaltlich weiter rei-chenden Sinne der Einbeziehung von materi-ellen und immateriellen Komponenten zu ver-stehen ist.

7 Genaugenommen müssten neben den jährlichen Strom-größen somit auch Bestandsgrößen berücksichtigt wer-den. Dieses stellt indessen eine Zukunftsaufgabe dar, weil das Naturkapital eines Landes und auch teilweise das So-zialkapital in absoluten Größen bislang schwer erfasst

werden kann (und solche Ökonomisierungsversuche auch aus ethischen und politischen Gründen nicht unproble-matisch sind). Zu einem interessanten Ansatz siehe die Statistikbehörde in Großbritannien: ONS 2015.

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2.2 ZUM KONZEPTIONELLEN RAHMEN DES JAHRESWOHLSTANDSBERICHTS

2.2.1 Grundannahmen

Auf den ersten Blick könnte es naheliegen, an dieser Stelle nun direkt die einzelnen Indika-toren des Berichts für 2017 darzustellen. Es ist aber erforderlich, hier zunächst den Gesamt-kontext näher darzustellen. Wenn – was bei den meisten Indikatoren der Fall ist – auf vor-handene Indikatoren zurückgegriffen wird, bedeutet das, dass je nach Interesse und Hin-tergrund eines Nutzers der betreffende bishe-rige Kontext mitschwingt, mehr oder weniger stark.

Somit bietet es sich an, zuerst die eigene Kon-zeption etwas näher vorzustellen und transpa-rent zu machen; sie bildet den Rahmen oder Interpretationsraum für die verwendeten Kenngrößen. Erst vor diesem Hintergrund las-sen sich die Aussagen der acht Kernindikatoren einordnen und interpretieren.

Ausgangspunkt ist die Intention, dem traditio-nellen ökonomischen Modell ein realistische-res Modell gegenüber zu stellen: Denn bislang wird das Wirtschaftswachstum häufig als Grundlage nicht nur für Wohlstand angesehen, sondern ebenso für Umverteilung, soziale Si-cherung, Schuldendienst, Behebung von Um-weltschäden, Rentenzahlungen oder Investiti-onen.

Hier würde zum ersten akzeptiert, dass Wirt-schaftswachstum in Europa – gemessen an der Rate des preisbereinigten BIP-Wachstums pro Kopf – gegenwärtig hauptsächlich von staatli-chen Anschubprogrammen sowie einem ver-gleichsweise niedrigen Ölpreis getrieben wird; begleitet von unterstützenden Folgewirkun-gen, welche auf Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zurückgehen und historisch ein-zigartige Liquiditätsströme in Umlauf bringen.

Zum zweiten wird die These zugrunde gelegt, dass das traditionelle wachstumszentrierte Modell gesellschaftliche Wohlfahrt teilweise

untergräbt und somit faktisch einen illusionä-ren Wohlstand signalisiert, weil wesentliche Komponenten für gesellschaftliche Wohlfahrt in den Bilanzierungen ignoriert werden, näm-lich die Entwicklung von Human- und Sozial-kapital sowie Naturkapital.

Diese Grundannahmen sollen im Folgenden vertieft und ausgeführt werden. Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, als seien solche Überlegungen eher von theoretischer Bedeutung; dahinter steht aber die Überzeu-gung und auch die Erfahrung, dass die Indika-toren im Jahreswohlstandsbericht aus einem wissenschaftlich gestützten Konzept abgeleitet und ausgewählt werden sollten.

Denn Indikatoren dienen (a) der Komplexitäts-reduktion, (b) der empirischen und dauerhaf-ten Verfolgung von Trends, welche ohne die Indikatoren nicht wahrgenommen werden könnten, und (c) der Kommunikation in die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit. Diese wichtigen Funktionen implizieren zu-gleich, dass der Zusammenhang zwischen In-dikator – der Messgröße – und Indikandum – dem eigentlich interessierenden ökologischen oder gesellschaftlichen Sachverhalt – bewusst hergestellt und sinnvoll nachvollziehbar ist.

Häufig zeigt sich bei der Entwicklung von indi-katorgestützten Berichten jedoch eine gewisse Beliebigkeit, was die Einbeziehung von Indi-katoren anbelangt. Sie resultiert teilweise aus Unkenntnis geeigneter(er) Kenngrößen, relativ zufällig zustandegekommenen Diskursen und politisch oder interessensmäßig ausgehandel-ten Kompromissen. Dagegen ist in einer plura-listischen und demokratischen Gesellschaft nicht prinzipiell etwas einzuwenden. Jedoch besteht die Gefahr, dass die Methode des Sam-melns, Auswählens und Aushandelns auch zu einer ständig steigenden Anzahl immer neuer Indikatorensets führen kann, welche sich ge-genseitig relativieren (vgl. Zieschank 2007). Oder es erfolgt ein permanenter, strittiger Dis-

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kurs, der mangels konzeptioneller und „objek-tiverer“ Kriterien die Informations- und Kom-munikationsmöglichkeiten eines Indikatoren-berichts als politisches Instrument schwächt.8

2.2.2 Ausgangspunkt: Das doppelte Ver-sagen des Marktes

Im Zuge der Industrialisierung stellte sich zu-erst die traditionelle, ursprüngliche Vertei-lungsfrage, wer an den hergestellten Gütern sowie dem damit produzierten Gewinn parti-zipiert. Die Verteilungsfrage war hier vorrangig und unmittelbar bezogen auf die gesellschaft-lichen Fraktionen von Unternehmen und Ar-beitnehmern, beziehungsweise von Kapital und Gewerkschaften. In den sich anschließen-den Phasen der Verteilungskämpfe fand, zu-mindest in Deutschland, eine Entwicklung statt, welche mit den Sozialgesetzen von Bis-marck begann und in deren Verlauf der Staat als zusätzlicher Akteur auftrat. Im Ergebnis übernahm der deutsche Staat sukzessive eine immer wichtigere Rolle und entwickelte sich – unterbrochen von der nationalsozialistischen Herrschaft – weiter bis zum „Sozialstaat“ in ei-nem ordoliberalen Rahmen. Zumindest vom Prinzip her sind Probleme der sozialen Exis-tenzsicherung, der sozialen Teilhabe, der (Um-)Verteilung und somit der sozialen Gerechtig-keit als staatliche Aufgabe verstanden worden – nicht zuletzt, um den sozialen Frieden als eine wichtige Grundlage für die Wohlstands-entwicklung des Landes zu sichern.

Aus der Logik der Zielsetzung und dem Ver-ständnis des Staates als einem Sozial- und

8 Im Sinne von Albert & Parker 1991, die beinahe zeitlos konstatierten: „The most important problem in Indicator development is the disagreement among experts.”

9 Erstaunlich ist dennoch, dass die „soziale Frage“ und die „Umweltfrage“ nicht zur selben Zeit Gegenstand ge-sellschaftlicher und politischer Konflikte und Kämpfe wurden, zumal auch hier die Degradierung der natürli-chen Umwelt die unteren Bevölkerungsschichten beson-ders traf: Während in Berlin auf der einen Seite hygie-nisch bedenkliche sowie umweltmäßig belastende Arbei-termilieus entstanden, wurden auf der anderen Seite aufwändige Landschaftsgärten und Parks realisiert, zu-nehmend auch von Industriellenfamilien (illustrierend und im Sinne einer Reaktion darauf sei auf Lennés Kon-zept von „Volkspark und Arkadien“ verwiesen).

schließlich einem Wohlfahrtsstaat hat sich das Spektrum staatlicher Regelungsbereiche wie-derum nahezu zwangsläufig erweitert um die Aufgabe der Erhaltung der Umwelt und um eine Orientierung am Begriff der nachhaltigen Entwicklung, welcher durch mehrere Leitlinien ausdifferenziert wurde. In einer gewisserma-ßen zweiten Entwicklungsstufe des wechsel-seitigen Evolutionsprozesses zwischen „Markt“ und „Staat“ kamen zur genannten Herausfor-derung der sozialen Sicherung und der Vertei-lung des Reichtums zunehmend Probleme der Sicherung von natürlichen Ressourcen (ein-schließlich Wasser), der Abwasser- und Ab-fallentsorgung sowie generell die Erhaltung der Umweltqualität hinzu. Auch hier ging es um eine Sicherung der Lebensqualität, von Ge-sundheit einerseits und der Erhaltung der Pro-duktionsgrundlagen andererseits.9

Seit den ersten Diskussionen um ein „Markt-versagen“10 ist immer wieder offensichtlich geworden, dass der Umwelt- und Naturschutz eine wichtige Aufgabe staatlicher Institutionen geworden ist und weiter zu sein hat.

In den letzten Jahren konnte sich dabei die Er-kenntnis durchsetzen, dass es nicht allein um die Bewältigung der über ständig steigende Produktions- und Konsumprozesse ausgelös-ten Probleme des Umweltverbrauchs und der Umweltbelastung geht. Gerade vor dem Hin-tergrund eines übergreifenden, modernen Wohlfahrtsverständnisses wird erkennbar, dass man in die ökonomische Theorie und vor allem in die wirtschaftliche Praxis auch das Naturkapital einbeziehen muss,11 nämlich im

10 So Jänicke bereits 1979 in seiner Theorie des Staatsver-sagens.

11 Mit Naturkapital sind, wie dargelegt, nicht nur die bio-tischen und abiotischen, erneuerbaren und nicht-erneu-erbaren Ressourcen gemeint, sondern auch die Bestände an Ökosystemen, die Biodiversität, die Qualität von Na-turräumen und Landschaften und insbesondere die hierin begründeten Ökosystemdienstleistungen. Für Deutschland ist Ende 2012 damit begonnen worden, eine nationale TEEB-Studie durchzuführen. „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ (2012-2016) wird vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung koordiniert und durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert. Inzwischen liegen Teilergebnisse vor, siehe auch Hartje/Wüstemann/Bonn (2015).

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Sinne einer wesentlichen Grundlage des ge-sellschaftlichen Wohlergehens und Fortschritts (vgl. Zieschank & Diefenbacher 2010; World-bank 2011 mit ihrem „Total Wealth“-Konzept; SRU 2012; Worldbank 2014, Natural Capital Committee 2015, Zieschank 2015, sowie auch Barbier & Burges 2015). Wenn erneut der Staat die einzige Institution ist, die eine gesamtge-sellschaftliche Verantwortung – zumindest im Sinne eines Prozesses – übernehmen kann, dann ist hier der Schutz der natürlichen Le-bensgrundlagen eine wichtige Staatsaufgabe.

In Analogie zur Zielsetzung und dem Verständ-nis des Staates als einem Sozial- und Wohl-fahrtsstaat lässt sich hier auf diesem Weg eine zweite normative Aufgabe des Staates begrün-den. In Anlehnung an Marschall (1992) kann nach der Entwicklung liberaler Grundrechte (18. Jahrhundert), politischer Partizipations-rechte (19. Jahrhundert) und sozialer Rechte (20. Jahrhundert) heute die Rechtsentwicklung am Übergang zu einer neuen Rechtsform hin zu ökologischen Grundrechten gesehen wer-den.12

Folgt man weiter den Überlegungen zur Staats-zielbestimmung des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU 2012, S.23), so resultiert aus Artikel 20a des Grundgesetzes eine Lang-zeitverantwortung für künftige Generationen, unterstützt vom Vorsorgeprinzip der Umwelt-schutzpolitik und dem Nachhaltigkeitsprinzip, wie es seit der Brundtland-Kommission 1987 verstanden wird (vgl. Steinberg bereits 1998, im Detail: Appel 2005). Solchen Zielsetzungen kommt deshalb eine wichtige Orientierungs-funktion für alle gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Akteure zu; sie sind inzwischen Teil eines modernen Verständnisses von staat-licher Politik.

Als Fazit kann davon ausgegangen werden, dass sich der moderne Wohlfahrtsstaat auf der Regulierung und zumindest teilweisen Bewäl-tigung ökologischer Risikolagen ebenso grün-det, wie auf der Regulierung und zumindest

12 Siehe auch Menke & Pollmann 2007; Philips & Düwell

2014, dort Kapitel 5: Ökologische Gerechtigkeit.

teilweisen Bewältigung sozialer Risikolagen. Teilt man diese Erkenntnis, dann muss sich auch ein gesellschaftliches Berichterstattungs- und Monitoringsystem auf alle diese Dimensi-onen beziehen. Mit dem vorliegenden Jahres-wohlstandsbericht soll auf diese Anforderung im Rahmen der bestehenden Kapazitäten rea-giert werden.

2.2.3 Eine notwendige Ergänzung zum So-zialstaat: Grüne Wirtschaft

Als Pendant zum Sozialstaat ist angesichts der ökologischen Entwicklung und der immer deutlicheren Folgen im ökonomischen Bereich die Umgestaltung der bisherigen, an quantita-tivem Wachstum ausgerichteten Wirtschaft in eine „Green Economy“ vorstellbar und erfolg-versprechend. Zum Verständnis einer Green Economy sei eine Definition von UNEP (2011) angeführt:

“UNEP defines a green economy as one that results in improved human well-being and social equity, while significantly reducing environmental risks and ecological scarcities.

In a green economy, growth in in-come and employment should be driven by public and private invest-ments that reduce carbon emissions and pollution, enhance energy and resource efficiency, and prevent the loss of biodiversity and ecosystem ser-vices.”

In einem Jahreswohlstandsbericht sollte daher die Umstrukturierung der Wirtschaft in Rich-tung einer Green Economy als wichtiger Be-reich zumindest aufgegriffen werden. Wie bei den anderen Dimensionen geht es um eine exemplarische, dennoch charakteristische Be-schreibung mittels weniger Kernindikatoren. Denkbar ist außerdem, zu diesem Themenfeld ein Zusatzmodul zu entwickeln, das entweder in kommenden Ausgaben des Jahreswohl-standsberichts ständig oder aber als Sonder-schwerpunkt aufgenommen werden könnte.

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Bemerkenswert ist hier, dass sich eine wech-selseitige Weiterentwicklung von Staat und Wirtschaft abzeichnet, bei der nun aber ein (neuer) Impuls von der staatlichen Seite aus-geht.13 Es ist wichtig, bei der Identifizierung von geeigneten Indikatoren für eine Green Economy als Teil eines Wohlstandsberichts in Erinnerung zu behalten, dass der Transforma-tionsprozess einer Wirtschaft in Richtung einer Green Economy mitnichten nur ein ökonomi-scher, sondern vielmehr ein primär politischer Prozess ist, zumindest in der Anfangsphase, bis sich neue Märkte und innovative Nachfrage-schwerpunkte herausgebildet haben.

Vergegenwärtigt man sich, dass die existie-rende Produktions- und Konsumweise bei ei-ner Fortschreibung des modus vivendi an sich selbst zu Grunde gegangen wäre, so erscheint Umweltschutz in einem anderen Licht. Nur durch anspruchsvolle Umweltgesetzgebung und Förderung innovativer, Ressourcen spa-render und umweltfreundlicher Technologien konnte das Belastungsniveau soweit gesenkt werden, dass an alten Industriestandorten weiter produziert werden kann.14

Mit anspruchsvollen Umweltzielen ist in vielen Staaten letztlich eine Modernisierung der Wirt-schaft erfolgt, wie die Beispiele Deutschland aber auch Südkorea zeigen. Umweltbezogene Güter und Dienstleistungen, erneuerbare Ener-gien und Ressourcen einsparende Strategien sind nicht nur Charakteristika einer neu ent-standenen Umweltindustrie, vielmehr durch-dringt das Ressourcenmanagement langsam, aber sicher die gesamte Wirtschaft.

13 Beispiel Energiewende und Strukturwandel im Energie-sektor: Unternehmen, welche diesen nicht nachvollzie-hen, verlieren Marktanteile und büßen an Wettbewerbs-fähigkeit ein, wie die bislang großen Versorgungsunter-nehmen in Deutschland.

14 Die gegenwärtigen Umweltbelastungen insbesondere in Megastädten Asiens oder Lateinamerikas sowie von Flüs-sen und Seen etwa in China schlagen zunehmend auf die wirtschaftlichen Produktionsbedingungen durch. In China werden bis 2030 über 800 Tote je 1 Million Einwohner an vorzeitigen Todesfällen aufgrund der Luftverschmutzung durch Feinstaub erwartet (nach OECD 2011b).

Dieses „Mainstreaming“ im Sinne einer In-tegration von Umweltaspekten in das Wirt-schafts- und Konsumsystem hat zu Effizienz-gewinnen, neuen Arbeitsplätzen, Einkommen sowie Wettbewerbs- und Exporterfolgen ge-führt.15

Von dieser Tendenz profitiert Deutschland so-mit nicht nur ökologisch, sondern auch ökono-misch und sozial. Mit einer Umorientierung in Richtung einer „Green Economy“ verbinden einige Staaten zudem die Erwartung, ihrem abschwächungsgefährdeten Wirtschafts-wachstum wieder auf die Beine zu helfen. Eine Politik, die über lange Zeiträume als eine Ge-fährdung für Industriestandorte erachtet wurde, trägt mehreren Untersuchungen zu-folge à la longue zu einer Gesundung bei; zu-mindest würden die wirtschaftlichen Ab-schwächungstendenzen ohne den Ausbau ei-ner Green Economy wesentlich deutlicher aus-fallen (OECD 2011a, UNEP 2011, Jänicke 2011, European Commission 2011).

Schließlich erfordern die – absolut gesehen – zum Teil weiter steigenden Umweltbelastun-gen16 und die absehbaren Engpässe bei zent-ralen Ressourcen anhaltende Modernisie-rungsbestrebungen in den meisten industriell entwickelten oder aufstrebenden Staaten. Bis-lang erfolgte global keine absolute Entkopp-lung von ökologischen Belastungen, die mit dem wirtschaftlichen Wohlstand bis dato ein-hergehen.17 Man muss sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass selbst bei einem Null-Wachstum die mit den laufenden Produktions- und Konsumprozessen verbundenen Emissio-nen, Abfälle und Ressourcenverbräuche jedes Jahr neu entstehen. Dieser Prozess wirkt häufig

15 Vgl. Jänicke/Zieschank 2011; Allianz Dresdner Economic Research 2011; Gehrke/Schasse/Ostertag/ Nebenführ /Leidmann 2014.

16 Ausführlicher hierzu u.a. Steffen/Richardson/Rockström et al. 2015.

17 Weiterführend: Wiedmann et al. 2013, wo auf Seite 1 ausgeführt wird: ”Measured by the material footprint in-dicator, resource use has grown in parallel to GDP with no signs of decoupling. This is true for the USA, UK, Japan, EU27 and OECD.” Bestätigend auch hinsichtlich zusätzli-cher Dimensionen der Umweltbelastung: Bradshaw, Giam & Sodhi 2010 sowie Hertwich & Glen 2009.

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kumulativ, da sich Biodiversitätsverluste oder verbrauchte abiotische Ressourcen eben nicht mehr regenerieren – jedenfalls nicht in für menschliches Wirtschaften relevanten Zeiträu-men.

Trotz aller Erfolge bei der Steigerung der Res-sourceneffizienz sind in dieser Situation tief-greifende Transformationsprozesse notwendig, soll auch nur der ökologische Status quo auf-rechterhalten werden.

Erkennbar ist, dass vor allem in Deutschland sich Umweltpolitik in Richtung einer teilweise erfolgreichen Wirtschaftspolitik entwickelt.18 Mit dem international seitens der OECD und von UNEP verfolgten „Green Economy“-Leitbild bestätigt sich nicht nur dieser Befund (exemp-larisch Raingold 2011, Jaeger et al. 2011), sondern er ist zugleich Ausgangspunkt für da-mit einhergehende neue Wandlungsprozesse und Folgen für die sozialen Lebenswelten. 19

Der Wandel von einer umweltschutz- und na-turschutzorientierten Politik zu einer ökono-mischen Perspektive von Umweltpolitik, wel-che neue Märkte generiert, zum Strukturwan-del beiträgt und teilweise neue wirtschaftliche Wachstumsimpulse setzt, ist dabei noch nicht der Endpunkt. Denn dieser Prozess erstreckt sich auf immer weitere Akteursgruppen und beschleunigt sich, wenn das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung weiter verfolgt wird.20 So wird beispielsweise unter dem Leit-motiv eines „nachhaltigen Konsums“ nun bei-nahe die gesamte Bevölkerung einbezogen o-der zumindest tangiert (zum Wandel der Um-weltpolitik siehe auch Zieschank 2016).

18 Beispielsweise hat das deutsche Umweltministerium die vierte Version des Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland herausgegeben (BMUB 2014); siehe außer-dem Umweltwirtschaftsbericht des BMU und UBA 2011.

19 Interessanterweise unterscheidet sich die Zielsetzung der Ansätze, die sich der Theorie einer Postwachstums-ökonomie zuordnen lassen, von diesem Ansatz kaum; in der Grundsatzerklärung zum Programm der internationa-len Degrowth Conference in Leipzig vom September 2014 heißt es: „By ‚degrowth‘ we understand a down-scaling

2.2.4 Fazit: Zentrale Bereiche des Jahres-wohlstandsberichts 2017

Die Gesamtheit gesellschaftlicher Wohlfahrt kann vor diesem Hintergrund nur dann sinn-voll beschrieben werden, wenn man die Di-mensionen und Teilbereiche betrachtet, aus der sich diese Gesamtheit zusammensetzt. Hier sind verschiedene Perspektiven möglich, die diese Teilbereiche in einen theoretisch fun-dierten Gesamtzusammenhang stellen:

(1) Das erste Konzept: ein erweiterter Ka-pitalbegriff

Ein erstes Konzept geht vom Kapitalbegriff aus, erweitert diesen jedoch deutlich.

Als Grundlage für den gesellschaftlichen Wohl-stand wird bislang und in der Regel das ver-fügbare produktive Kapital einschließlich des verfügbaren finanziellen Kapitals einer Volks-wirtschaft gesehen.

Plakativ formuliert, signalisiert das BIP auf-grund seiner „sozialen Gleichgültigkeit“ einer-seits und seiner „Naturvergessenheit“ ande-rerseits einen Wohlstand, der sich im Lichte ei-ner Orientierung an gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt zunehmend als illusionär erweist. Denn in der Regel wird ignoriert, dass das wirt-schaftliche Wachstum sich massiv auf Vorleis-tungen aus dem sozialen System sowie dem ökologischen System stützt, welche unentgelt-lich in das Wirtschaftssystem einfließen (siehe Abbildung 1). Der französische Ökonom P. Vi-veret (2003) hat hierfür den Begriff der „Ge-schenkströme“ geprägt. Wohlfahrt kann des-halb nur dann sinnvoll beschrieben werden,

of production and consumption in the industrialized sta-tes that increases human well-being and enhances eco-logical conditions and equality on the planet. We want a society in which humans live within their ecological lim-its, with open, connected and localized economies. A society in which resources are more equally distributed.“ 20 Siehe hierzu die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesre-gierung und den Fortschrittsbericht 2012 sowie die Neu-auflage 2016, welche nun im Januar 2017 erschienen ist (ausführlich: Bundesregierung 2017).

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wenn man die Dimensionen und Teilbereiche betrachtet, aus denen sie sich zusammensetzt:

Zwar ist anerkannt, dass Faktoren wie eine gute Bildung, berufliche Flexibilität, soziale Si-cherheit und Motivation unerlässlich für die Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt sind, je-doch wird das hier eigentlich angesprochene Potenzial an persönlichen Fähigkeiten und so-zialer Stabilität selbst nicht als Teil gesell-schaftlicher Wohlfahrt gesehen. In einem Wohlfahrtskonzept moderner Prägung sind dies jedoch gleichfalls „Assets“, im Sinne per-sönlicher wie sozialer Faktoren und Potenziale, die einen wesentlichen Bestandteil des mate-riellen Wohlstands und auch immaterieller Wohlfahrt ausmachen.

Abb. 1: Komponenten gesellschaftlicher Wohl-fahrt (Zieschank 2013, eigene Darstellung )

Gleiches gilt für die Natur, insbesondere für die Qualität von Ökosystemen, die von relativ na-turnahen Schutzgebieten über stark genutzte Agrarökosysteme bis hin zu urbanen Ökosyste-men reichen. Außer, dass diese sicherlich auch einen „Wert an sich“ darstellen und nicht a priori unter einem utilitaristischen Blickwinkel betrachtet werden dürfen, sind relativ intakte Ökosysteme Voraussetzung für die „Ökosys-temdienstleitungen“, also Funktionen, welche

21 Verwiesen sei hier beispielsweise auf die deutsche Landschaftsmalerei, das Gefühl heimatlicher Identität

diese Systeme für den Menschen erfüllen und die von unmittelbarer Lebenserhaltung bis zu geistigen, emotionalen und spirituellen Mög-lichkeiten reichen.21

Der Kapitalbegriff ist insofern primär aus prag-matischen Gründen gewählt, um im Kontext einer vorherrschenden ökonomischen Sicht-weise in vielen Staaten den Blick auf weitere Kapitalelemente lenken zu können, welche faktisch den wirtschaftlichen Wohlstand sub-ventionieren, da sie als „externe Faktoren“ nicht bilanziert und damit auch nicht vergütet werden. Genau genommen handelt es sich ei-gentlich eher um Humanpotenzial und Natur-potenzial.

Berücksichtigt man diese grundlegenden „Kapitalbereiche“ in ei-nem Jahreswohlstands-bericht zumindest kon-zeptionell, so kann wirtschaftliche Entwick-lung und wirtschaftli-ches Wachstum immer nur vor dem Hinter-grund einer Erhaltung und möglichst sogar Förderung von Human-, Sozial- und Naturkapi-tal verstanden werden

(vgl. Abbildung 1). Es sollte dann sinnvoller-weise um ein qualitatives Wachstum gehen, bei gleichzeitigem Strukturwandel mit schrumpfenden und florierenden Sektoren, mit dem Ziel, die ökologischen und sozialen Begleit- und Folgekosten zu senken sowie ins-gesamt die gesellschaftliche Wohlfahrt zu er-höhen.

und der vielfältigen Bedeutung von Kulturlandschaft, bis hin zum Weltkulturerbe im Sinne der UNESCO.

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(2) Zusätzliche Berücksichtigung des „intangiblen Kapitals“

Überlegt wurde, ob über die soeben genannten grundlegenden Kapitalvarianten hinaus in ei-nem Jahreswohlstandsbericht auch der „Reichtum“ einer Gesellschaft angesprochen werden soll, welcher sich auf ein funktionie-rendes Staatswesen, rechtlich verankerte de-mokratische Prozesse und andere institutio-nelle Errungenschaften stützt, wie die Ge-währleistung gesellschaftlicher Teilhabe und Partizipation.

Ein Stichwort ist in diesem Zusammenhang das so genannte „intangible Kapital“, dem bei-spielsweise die Weltbank in ihren Länderstu-dien eine große Bedeutung beimisst: Es wird mehrfach konstatiert, dass diese Form des Wohlstands letztlich ausschlaggebender ist als der natürliche Reichtum bzw. die natürlichen Ressourcen eines Landes oder das Bildungsni-veau oder andere Handlungskapazitäten, wel-che jedoch ohne demokratischen Rahmen eher in Korruption, Elitenbildung und soziale Un-gleichheit münden würden. Es erscheint durchaus zielführend, dieses umfassende Ver-ständnis mit in die konzeptionelle Fundierung des Jahreswohlstandsberichtes einzubeziehen (vgl. auch das „Total Wealth-Konzept“ der Weltbank, 2011).

Das Spektrum möglicher relevanter Bereiche, die per Indikatoren erfasst werden müssten, ist jedoch gleichzeitig außerordentlich groß – hinzu kommt die unübersichtliche Zahl an In-dikatoren aus verschiedenen Disziplinen, wel-che sich auf politische und institutionelle As-pekte einer Gesellschaft beziehen. Als mögli-che Anknüpfungspunkte bieten sich zwei Schwerpunkte an: erstens die Einbeziehung des „Good Governance“-Diskurses und die Auswertung entsprechender Indikatorenan-sätze.

Zweitens sollte die Entwicklung um die „Sustainable Development Goals“ (United Na-tions 2015) verfolgt werden, da sich hier eine zukünftig intensivere Diskussion auch in Deutschland abzeichnet, nicht zuletzt im Zu-sammenhang mit der laufenden Überarbei-tung der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsin-dikatoren sowie fallweise einzelner, zugehöri-ger Ziele. So thematisieren die Schwerpunkte “Justice“ und “Prosperity” mit entsprechen-den Unterzielen22 ebenfalls Aspekte eines Wohlstandsberichts, welcher auch die gesell-schaftliche Dimension exemplarisch aufgreifen möchte. Indessen ist die Indikatorenentwick-lung auch hier noch in der Anfangsphase, die internationale Ausarbeitung und Abstimmung von Indikatoren zu den SDGs und deren 169 Unterziele ist keine leichte Aufgabe.

22 Siehe https://sustainabledevelopment.un.org/sdgsproposal

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3. AKTUELLE BERICHTSFORMEN IN DEUTSCHLAND

In den folgenden Abschnitten sollen einige Aktivitäten der alternativen Berichterstattung, die in den letzten Jahren in der Bundesre-publik Deutschland eine Rolle gespielt haben,

kurz vorgestellt und in ihrer Bedeutung um-rissen werden.

3.1 AKTIVITÄTEN DER BUNDESREGIERUNG JENSEITS DER TRADITIONELLEN WIRTSCHAFTSBERICHTERSTATTUNG

In den letzten Jahren haben sich in Deutsch-land eine Reihe von Aktivitäten zur gesell-schaftlichen Berichterstattung auch von Seiten der Regierung und unter Beteiligung der amt-lichen Statistik insbesondere im Bereich der Umwelt- und Sozialberichterstattung entwi-ckelt, die weit über die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und über die Wirtschaftsbe-richterstattung hinausgehen.

Drei dieser Berichterstattungssysteme sollen hier exemplarisch erwähnt werden:

• die Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-desregierung,

• die Armuts- und Reichtumsberichte sowie

• der regierungsoffizielle Diskurs zum Thema „Gut leben“.

Im Jahr 2002 wurde in der Bundesrepublik erstmals eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbei-tet, in der damals unter der werbewirksamen Überschrift „21 Indikatoren für das 21. Jahr-hundert“ auch ein Indikatorensystem zur Nachhaltigkeitsberichterstattung präsentiert wurde. Die Nachhaltigkeitsstrategie wurde bis-lang alle vier Jahre überarbeitet. 2016 ist die umfassendste Revision des Berichts seit der ersten Ausgabe erfolgt: Die deutsche Nachhal-tigkeitsstrategie und das begleitende Mess- und Monitoringsystem sind gemäß der 17 Sustainable Development Goals umstrukturiert worden (SDG, vgl. United Nations 2015; wobei hier noch 169 Unterziele benannt werden). Dazu ist im Sommer 2016 ein erster Entwurf

vorgelegt worden, zu dem ein öffentlicher Be-teiligungsprozess bis Ende Oktober 2016 orga-nisiert wurde, in dessen Rahmen viele Stel-lungnahmen zivilgesellschaftlicher Akteure eingegangen sind. Außerdem fand eine Anhö-rung zum Entwurf im Bundeskanzleramt statt. Die Endfassung der Strategie ist Anfang 2017 erstellt worden; sie enthält einen Indikatoren-satz von 63 Indikatoren (Bundesregierung 2017).

Der Indikatorenbericht, der mit der Nachhal-tigkeitsstrategie korrespondiert, wird vom Sta-tistischen Bundesamt betreut und ist bislang alle zwei Jahre – zuletzt 2014 und 2016 – neu herausgegeben worden. In der Fassung von 2014 enthielt dieser Bericht noch 38 Indikato-ren, die 21 Themen zugeordnet waren und die in der Regel Qualitätsziele für ein bestimmtes Jahr in der Zukunft enthielten (Statistisches Bundesamt 2014a). Inzwischen sind es 63 In-dikatoren, welche schwerpunktmäßig Nach-haltigkeitspostulate der Agenda 2030 aufgrei-fen und damit eigene Indikatoren ausgewähl-ten SDGs zuordnen. Der Abstand des Ist-Zu-standes zum Soll-Wert wurde – in Verbindung mit der Entwicklungstendenz – in einem Wet-tersymbol von Sonne über Wolken und Regen bis zum Gewitter – bewertet und somit Priori-täten für Handlungsfelder zum Ausdruck ge-bracht (für eine Übersicht siehe den Abschnitt über Indikatoren und Ziele ab S. 34 ff. in Bun-desregierung 2017).

Der Deutsche Bundestag hat in den Jahren 2000 und 2001 beschlossen, dass die Bundes-regierung regelmäßig einen Armuts- und

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Reichtumsbericht vorlegen soll. Mit diesem Be-richt sollen auch politische Maßnahmen eva-luiert und auf dieser Analyse neue Politikvor-schläge vorgelegt werden können. Seit der Be-schlussfassung sind vier Berichte erschienen, der fünfte soll voraussichtlich im Frühjahr 2017 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegt werden. Im Kern bauen die Berichte derzeit auf einem System von 30 In-dikatoren auf, deren Daten frei über die Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-les verfügbar sind. Die Bereiche Armut und Reichtum werden hier zum Teil getrennt in In-dikatoren angesprochen, zum Teil aber auch über die Verbindung der Segmente insgesamt gesellschaftliche Kenngrößen adressiert (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013). Querbezüge zu ökologischen Fragen werden durch die Erfassung der Belastung be-stimmter Einkommensgruppen durch Lärm und Luftverschmutzung thematisiert.

Schließlich hat das Bundeskanzleramt von Ap-ril bis Oktober 2015 in über 200 Veranstaltun-gen einen Dialog über das Verständnis von Le-bensqualität unter dem Titel „Gut leben in Deutschland“ geführt; an vielen Veranstaltun-gen haben die Bundeskanzlerin oder Bundes-ministerinnen und Bundesminister teilgenom-men (vgl. Bundesregierung 2015). Ergänzend ist eine Online-Befragung als partizipativer und interaktiver Prozess vorgenommen wor-den. Seitens der Bürgerinnen und Bürger konnten Stellungnahmen zu zwei Bereichen eingebracht werden: zum einen, was ihnen persönlich wichtig im Leben ist, und zum an-deren, was ihrer Meinung nach die Lebens-qualität in Deutschland ausmacht. Die Antwor-ten der Bürgerinnen und Bürger sind inzwi-schen ausgewertet worden; im Herbst 2016 ist neben einem ausführlichen Regierungsbericht (siehe Bundesregierung 2016) auch ein Indi-katorenkonzept für die Erfassung des „Guten Lebens“ ausgearbeitet worden. Bemerkens-wert ist hier die Hinwendung zur subjektiven Seite der gesellschaftlichen Entwicklung, in Analogie zu Überlegungen etwa in Frankreich, wo gleichfalls eine Diskrepanz zwischen wirt-schaftlichen Kennziffern („les chiffres“) und

der Lebenswirklichkeit eines großen Teils der Bevölkerung konstatiert wurde. Auch dürften diese Aktivitäten vor dem Hintergrund der OECD-Initiative zu einem „Better life“-Index und als spezifische Weiterentwicklung der Ar-beit der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ zu verstehen sein.

Unklar ist zurzeit, welchen Stellenwert das oben erwähnte und seitens der Bundesregie-rung geplante Berichtsinstrument einnehmen soll, beispielsweise gegenüber dem bestehen-den Set der Indikatoren der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Auf diese Frage wird weiter unten nochmals im Abschnitt 4.6 über subjektive Indikatoren und „Zufriedenheit“ zurückzukommen sein.

Dass es problematisch sein kann, von objekti-ven („harten“) Indikatoren auf subjektive („weiche“) Indikatoren in der Betrachtungs-perspektive zu wechseln, zeigen unter ande-rem Erfahrungen aus Großbritannien. Bereits 2009 legte die durchaus kritisch ausgerichtete New Economic Foundation (nef) ein Indikato-rensystem vor, welches sich stärker auf die Ebene des persönlichen Wohlbefindens (well-being) konzentrierte, anstelle das bislang vor-herrschenden Denken in makro-ökonomi-schen Kennziffern zum Wachstum und der Pro-duktivitätssteigerung weiter zu entwickeln. Er-kennbar gab es hier aber so gut wie keine Überschneidungen mit einer nachhaltigkeits-orientierten oder alternativen Wohlstandsbe-richterstattung (vgl. nef 2009, S. 20).

Die hier nur exemplarisch benannten Berichte der Bundesregierung sollen zeigen, dass die offizielle Berichterstattung bereits beträchtlich über eine rein ökonomische Sicht, wie sie im Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck kommt, hinausgeht. Allerdings stehen diese Berichts-sparten weitgehend unverbunden nebenei-nander. Sinnvoll wäre zumindest eine gewisse Verknüpfung, die die Chance eröffnen würde, die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland weniger ressortzentriert darzustellen und Querbezüge zu anderen gesellschaftlichen Be-reichen von vornherein sichtbar zu machen.

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3.2 DER JAHRESWIRTSCHAFTSBERICHT DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE23

Bei einer regierungsoffiziellen Interpretation des Wirtschaftsgeschehens ist der Jahreswirt-schaftsbericht traditionell eine der wichtigsten Veröffentlichungen im Jahr, um die eigene Sichtweise und die Verortung des erreichten Standes darzulegen: Dies spiegelt die Inter-pretation der Geschehnisse wider als auch die Projektionen der Entwicklungen im nächsten Jahr sowie die angekündigten politischen Pro-gramme, Maßnahmen und Vorschläge.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 trug den Untertitel „Zukunftsfähigkeit sichern – die Chancen des digitalen Wandels nutzen“.24

Zumindest der erste Teil des Untertitels er-weckte die Hoffnung, das BMWE könnte sich auf eine Definition des Begriffs „Zukunftsfä-higkeit“ verständigt haben, welche von der Notwendigkeit einer Transformation der Wirt-schaft ausgeht – die ja die planetaren ökolo-gischen Grenzen einhalten müsste, damit zu-künftige Generationen auf der Erde auch noch die Chance haben, ihre Bedürfnisse zu befrie-digen und eine lebenswerte Umwelt vorfinden.

Eine solche Perspektive war jedoch weder im Geleitwort von Minister Sigmar Gabriel (BMWE 2016, S. 5) noch in der Zusammenfassung des Jahreswirtschaftsberichts zu erkennen, obwohl dort der Energiewende und den nationalen Klimaschutzzielen eine hohe Priorität einge-räumt wird (BMWE 2016, Rz. 32 – 39). Im Vor-dergrund standen hier jedoch eindeutig Stra-tegien zur Steigerung der Energieeffizienz und – an anderer Stelle – der Ressourceneffizienz, die sich in die Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik nahtlos einordnen lassen.

23 Dieser Abschnitt wird nach Vorlage des neuen Jahreswirtschaftsberichts 2017 ergänzt.

24 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.) (2016): Jahreswirtschaftsbericht 2016: Zukunftsfähigkeit sichern – die Chancen des digitalen Wandels nutzen. Berlin: BMWE. URL: https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/J-L/jahreswirtschaftsbe-richt-2016,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

Deutschland, so der erste Satz der Zusammen-fassung, befinde sich „auf einem soliden Wachstumskurs“ (BMWE 2016, Rz. 1, Rz. 251) – und die Beibehaltung dieses Kurses erscheint als das wichtigste Ziel, dem die einzelnen Fel-der der Wirtschaftspolitik zuarbeiten sollen.

Digitalisierung stand deswegen im Vorder-grund, weil das Wirtschaftsministerium hier eine Schlüsselrolle für nachhaltiges Wachstum erkannte – wobei der Begriff „nachhaltig“ hier primär im Sinne von „dauerhaft“ verwendet wurde. Der Erreichung dieses Ziels wurde of-fenkundig auch der Ordnungsrahmen der So-zialen Marktwirtschaft untergeordnet (BMWE 2016, Rz. 1); wachstumsorientiert war auch das Oberziel der Finanzpolitik (BMWE 2016, Rz. 18). Wirtschaftswachstum, so das unverän-derte Credo des BMWE (Rz. 86) erschien als „wichtige Voraussetzung zur Bewältigung be-stehender Herausforderungen“.

Eine im vergangenen Jahr stattgefundene Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstums-gesetzes von 1967 hat die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen-rat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli-chen Entwicklung dazu bewogen, von einer Reform des Gesetzes weiterhin abzusehen (BMWE 2016, Rz. 247), obwohl das Gesetz „aufgrund seiner Ausrichtung auf die kurzfris-tige konjunkturpolitische Stabilisierung keinen geeigneten Rahmen bietet, um Ziele und In-strumente einer – notwendigerweise stärker längerfristig ausgerichteten – Wohlfahrtsbe-trachtung abzubilden (BMWE 2016, Rz. 248). Konstruktive Vorschläge für eine Neuausrich-tung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes

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sind seit längerer Zeit in der Diskussion, so etwa von Dullien & Treeck (2012).

Kaum nachvollziehbar erscheint insofern die im Jahreswirtschaftsbericht 2016 vertretene Auffassung, dass eine traditionelle Wachs-tumsstrategie sich für die kurzfristige konjunk-turpolitische Stabilisierung eigne und nicht im Widerspruch zu einer längerfristigen Wohl-standsorientierung der Politik stünde (BMWE 2016, Rz. 248). Für letztere sah das BMWE als Berichterstattungsinstrument die Indikatoren-berichte der nationalen Nachhaltigkeitsstrate-gie sowie das Indikatoren- und Berichtssystem der Regierungsstrategie „Gut Leben in Deutschland – was uns wichtig ist“. Aber die Erwähnung dieser beiden Berichterstattungs-systeme stand nicht von ungefähr ganz am Ende des ersten Teils des Jahreswirtschaftsbe-richtes; der Text der Ziffern 249 und 250 um-fasste nicht mehr als eine Drittel Seite und wirkte als Anhängsel. Und selbst bei der Er-wähnung der Nachhaltigkeitsstrategie wurde das Effizienzziel und nicht etwa das Ziel der Er-haltung des Naturkapitals in den Mittelpunkt gerückt.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 war damit weit entfernt von einer integrativeren Sicht-weise, in der das Konzept einer wirklichen Zu-kunftsfähigkeit, der Transformation der Öko-nomie innerhalb planetarer ökologischer Grenzen und die Förderung des Sozialkapitals einen wichtigen Stellenwert einnehmen würde.

Eine Brücke zu den Diskussionslinien des Jah-reswohlstandsberichts 2016 eröffnete sich aber zumindest durch die Rezeption einiger Aspekte. So wurde inzwischen im Bericht ein Spannungsfeld erkannt, dem die Wirtschafts- und Finanzpolitik Rechnung tragen soll, da Zielkonflikte zwischen der Höhe des Wirt-schaftswachstums und anderen politischen Zielen entstehen können, etwa zu einer ge-rechten Einkommensverteilung. Insofern

stünde Im Vordergrund wirtschaftspolitischer Entscheidungen nicht die bedingungslose Stei-gerung der Wachstumsrate. Vielmehr hätte die Bundesregierung auch die Qualität des Wachs-tumsprozesses stets im Blick (Rz 87), etwa im Hinblick auf die fiskalische Nachhaltigkeit oder die Verteilung zusätzlicher Einkommen, Inves-titionen in die Bildung und die Qualität der Ar-beit sowie generell die Lebensqualität in Deutschland (siehe S. 61ff).

Zwar befasste sich das Wirtschaftsministerium (noch) nicht selbst mit einem entsprechenden Indikatorensystem, dessen Sinnhaftigkeit wurde aber als solche nicht bestritten: Um eine ausgewogene Wirtschaftspolitik zu unterstüt-zen, können dem Ministerium zufolge Indika-toren und empirische Analysen ergänzend zur traditionellen Wohlstandsmessung das Augen-merk auch auf Aspekte der Qualität wirtschaft-lichen Wachstums richten, zumal die Bundes-regierung wie der Sachverständigenrat einen breiten öffentlichen Diskurs über Fragen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit un-ter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten für relevant hielt.

Unter Rz 248 wurde Bezug zum Sachverständi-genrat zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen Entwicklung genommen und des-sen Vorschlag für folgenden Prozess aufgegrif-fen: „So könnte ein auf die ganzheitliche Wohlfahrtsbetrachtung ausgerichtetes Indika-torensystem einmal pro Legislaturperiode von einem unabhängigen und sachverständigen Gremium wissenschaftlich begutachtet wer-den. Dabei sieht der Rat gute Aussichten, dass ein solcher Indikatorenbericht zu einem ge-sellschaftlich breit akzeptierten Diskursinstru-ment werden kann (vgl. JG Tz 574 ff.)“.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, für die weitere Entwicklung des Jahreswohl-standsberichts auch Gespräche mit Vertretern des Wirtschaftsministeriums zu führen.

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3.3. ZUR KRITIK AM BIP – DER NATIONALE WOHLFAHRTSINDEX

Die Kritik von wissenschaftlicher Seite am Stel-lenwert des Bruttoinlandsprodukts als zentra-ler Kennziffer in Wirtschaft und Politik ist gleichfalls umfassend und trägt inzwischen zu einer veränderten Meinungsbildung in Teilen der Medien, der Politik und der Öffentlichkeit bei. Die wesentlichen Kritikpunkte sind im Prinzip seit längerem bekannt: 25

- Der Abbau von Ressourcen und der Ver-brauch von Naturkapital sind im BIP nicht berücksichtigt. Während auf Un-ternehmensebene der Rückgang bei-spielsweise von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenübergestellt wird und Abschreibungen erfolgen, nehmen die Volkswirtschaftlichen Gesamtrech-nungen dies nicht vor.

- Umweltschäden können mit Reparatur-maßnahmen teilweise beseitigt oder abgemildert werden. Diese Kosten er-scheinen dann im BIP als Steigerung, obwohl sie im Grunde nur den Status quo wiederherstellen, der vor der Um-weltschädigung existierte. Dieser Teil des Wachstums muss jedoch eher als Ausdruck von defensiven Kosten und Kompensationen bezeichnet werden, jedenfalls trägt er nicht zu einer Wohl-standssteigerung bei.

- Wirtschaftliche Aktivitäten führen häufig zu immateriellen Schäden in der Natur, etwa zur Umwandlung und Veränderung ökologisch wertvoller Flächen, einer Zer-schneidung von intakten Habitaten oder einer deutlichen Minderung der Ästhetik des Landschaftsbildes.26 Eine Verödung von Landschaften und ökologischen Le-bensräumen muss nicht unmittelbar in ökonomischen Folgekosten münden,

25 Für eine Übersicht siehe Diefenbacher/Zieschank/Ro-denhäuser 2010 sowie 2012, in verdichteter Form Zieschank & Diefenbacher 2009. Weithin zur Akzeptanz einer neuen Wirtschaftsberichterstattung beigetragen hat die „Stiglitz-Kommission“ 2009. Zur Vertiefung der BIP-

senkt aber die Lebensqualität von Men-schen mitunter deutlich. Diese Prozesse können vermutlich nicht angemessen in nationale Wirtschaftsberichte einbezo-gen werden, dennoch entstehen fak-tisch Wohlfahrtsverluste, weit entfernt von BIP-Kategorien.

- Dagegen kann die Vermeidung von Schäden und Folgekosten in der Zukunft, etwa durch Unterlassen bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten heute, zu ei-ner Verringerung des BIP führen. Die langfristigen positiven Folgen derartiger Unterlassungen werden in der her-kömmlichen Volkswirtschaftlichen Ge-samtrechnung nicht abgebildet. Daher kann ökologisches Wirtschaften, insbe-sondere dann, wenn Suffizienzstrate-gien mit einbezogen werden, in einer herkömmlichen Wohlstandsbetrachtung systematisch zu niedrig bewertet wer-den.

- Die Verteilung der Einkommen werden im BIP nicht beachtet; einem bestimm-ten BIP sieht man nicht an, ob es der Be-völkerung in etwa gleicher Weise zur Verfügung steht oder ob Zuwächse nur einem sehr kleinen Teil an Kapitaleig-nern zu Gute kommen. Wenn das BIP als Wohlfahrtsmaß verwendet wird, steht dies im Grunde sogar im Widerspruch zur klassischen Wohlfahrtsökonomie, denn der Wohlfahrtszuwachs eines Euros ist in der Regel für jemanden mit geringem Einkommen deutlich größer als für je-manden mit beträchtlich höherem Ein-kommen.

- Da sich das BIP auf die über den Markt vermittelte Wertschöpfung konzentriert, gibt es bedeutende Aktivitäten zur

Kritik siehe insbesondere: van den Bergh 2010; Fiora-monti 2013; Costanza et al. 2014; Lepenies 2016.

26 Teilweise gilt diese Kritik nun auch für Aspekte einer „Green Economy“, denkt man an Windkraftanlagen und „Energielandschaften“.

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Wohlfahrtssteigerung, die hier unbe-rücksichtigt bleiben: vor allem Hausar-beit, aber auch alle ehrenamtlichen Ak-tivitäten. Diese müssten in einer Wohl-fahrtsrechnung mit betrachtet werden.

Das BIP selbst – essentieller Bestandteil des jährlichen Wirtschaftsberichtes in Deutschland – sollte in einem alternativen Jahreswohl-standsbericht keine ähnlich tragende Säule sein, sondern nur als Vergleich zu einem Index herangezogen werden, der die gesellschaftli-che Wohlfahrt angemessener abbildet. Auf diese Weise lässt sich der Unterschied zwischen einem Maß für die über den Markt vermittelte wirtschaftliche Wertschöpfung – dem BIP – und der gesellschaftlichen Wohlfahrt darstel-len. Daher wird hier die bisherige vorherr-schende Perspektive durch eine Betrachtung des Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) ergänzt.

27 Ausführlich: Diefenbacher/Zieschank/Held/Rodenhäuser 2015. Der Index wurde bislang nicht nur für die Bundes-republik Deutschland, sondern in ähnlicher Weise auch für sieben Bundesländer berechnet. Alle Studien zum Na-tionalen und zum Regionalen Wohlfahrtsindex sind auch

Der NWI beruht auf einem Ansatz der erweiter-ten Volkswirtschaftlichen und Umweltökono-mischen Gesamtrechnung und strebt eine Kor-rektur der zentralen Defizite des BIP als Wohl-fahrtsmaß an. Dementsprechend fließen Kom-ponenten ein, die Wohlfahrtsaspekte wie sozi-ale Gerechtigkeit, unbezahlte gesellschaftliche Arbeit, Umweltschäden und Ressourceninan-spruchnahme zu erfassen suchen.27

Die Veränderungen des NWI können für Deutschland insgesamt mittlerweile über ei-nen Zeitraum von 23 Jahren mit der Entwick-lung des BIP verglichen werden. Um den Ver-gleich zu vereinfachen, wurden sowohl der NWI als auch das reale BIP in der Abbildung 2 für das Basisjahr 2000 auf den Indexwert 100 normiert, siehe die folgende Abbildung 2:

über die Internet-Seiten der Forschungsstätte der Evan-gelischen Studiengemeinschaft erhältlich: http://www.fest-heidelberg.de/index.php/arbeitsbereiche-und-querschnittspro-jekte/frieden-und-nachhaltige-entwicklung/nwirwi. Das BMUB hat die Entwicklungsarbeiten immer wieder unterstützt, siehe auch BMUB 2016, S.27.

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Abbildung 2: Entwicklung des NWI und des BIP im Vergleich

Der NWI setzt sich, wie beschrieben, sowohl aus wohlfahrtsstiftenden als auch wohlfahrts-mindernden Komponenten zusammen.28 Eine Verbesserung kann insofern durch einen Anstieg der wohlfahrtsstiftenden als auch durch einen Rückgang der wohlfahrtsmin-dernden Komponenten ausgelöst werden.

Es lassen sich drei Phasen unterscheiden: Die erste Phase umfasst den Zeitraum 1991 bis 1999, die zweite Phase 1999 bis 2005 und die dritte 2005 bis 2014. Sie werden im Folgenden beschrieben.29

Im Jahr 2014, dem aktuellsten des Berichts-zeitraums, steigen sowohl das BIP als auch der NWI an: das BIP um 1,6% auf einen Wert von 116,2 Punkte, der NWI um 2,2% auf 93,2 Punkte. Für den Anstieg des NWI in Höhe von 39 Mrd. Euro sind hauptsächlich zwei Kompo-nenten verantwortlich: zum einen stiegen die gewichteten Konsumausgaben um 14 Mrd. Euro an. Dieser Zuwachs ist wiederum auf eine Erhöhung der tatsächlichen ungewichteten Konsumausgaben zurückzuführen. Zum ande-ren sind die Ersatzkosten für den Verbrauch nicht-erneuerbarer Energieträger um 18 Mrd. zurückgegangen, hauptsächlich ausgelöst durch einen Rückgang des Heizenergiever-brauchs um etwa 10%. Allerdings müssen die Werte des Jahres 2014 noch bis zu einem ge-wissen Grad als vorläufig betrachtet werden, da der SOEP-Wert des Gini-Koeffizienten für dieses Jahr noch fehlt.

Betrachtet man den gesamten Berichtszeit-raum von 1991 bis 2014, so ergeben sich zwei vollkommen unterschiedliche Bilder, je nach-dem, ob man die Zeitreihe des BIP oder des NWI betrachtet. Das BIP zeigt ein relativ konti-nuierliches, wenn auch über die Jahre unter-schiedlich stark ausgeprägtes und vor allem durch die Finanzkrise im Jahr 2009 kurz unter-brochenes Wachstum. Insgesamt steigt das BIP von 1991 bis 2014 um 34,3% an. Betrachtet

28 Für eine Übersicht aller Komponenten siehe

http://www.nationaler-wohlfahrtsindex.de/

man die Zeitreihe des BIP, so drängt sich der Eindruck eines kontinuierlichen Fortschritts und einer kontinuierlichen Verbesserung auf.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich bei Betrach-tung der Zeitreihe des NWI. Während bis zum Jahr 1999 (Phase 1) auch hier eine kontinuier-liche Verbesserung zu sehen ist, geht der NWI von 1999 bis 2005 (Phase 2), anders als und entgegensetzt zum BIP, deutlich zurück. Und wo das BIP seit 2005 bis 2013 mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,4% an-steigt, da stagniert der NWI bei Werten, die deutlich unterhalb des Niveaus des Jahres 2000 liegen.

Im Vergleich zum Jahr 1991 hat der NWI bis zum Jahr 2014 nur um 4,49% zugelegt (2013 waren es sogar nur 1,7 Punkte), befindet sich also heute nur wenig über dem Wert vor 23 Jahren. Die Hauptverantwortung dafür, dass die Bilanz nicht besser ausfällt, trägt die ge-stiegene Einkommensungleichheit und die dadurch ausgelösten Rückgänge bei den ge-wichteten privaten Konsumausgaben in Höhe von -22 Mrd. Euro. Der tatsächliche Einfluss der Einkommensgewichtung wird klar, wenn man die Entwicklung der tatsächlichen (unge-wichteten) privaten Konsumausgaben separat betrachtet: Diese stiegen von 1991 bis 2014 um 187 Mrd. Euro an. Die Verschlechterung der Einkommensverteilung führte also insgesamt zu einem Verlust in Höhe von 209 Mrd. Euro. Deutliche Wohlfahrtsverluste ergeben sich au-ßerdem vor allem beim Wert der Hausarbeit: Da die für Hausarbeit eingesetzte Zeit deutlich abnahm (-16%, von 216 Minuten pro Tag auf 181 Minuten pro Tag), ging die bewertete Hausarbeit um 88 Mrd. Euro zurück.

Dass unter dem Strich trotzdem ein Zugewinn an Wohlfahrt zu verzeichnen ist, liegt neben den gestiegenen privaten Konsumausgaben (+187 Mrd. Euro) vor allem an den verbesser-ten Umweltkomponenten: Insgesamt gingen

29 Die folgenden Passagen beruhen auf: Diefenba-

cher/Held/Rodenhäuser/Zieschank 2016.

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deren negative Wohlfahrtseinflüsse um 137 Mrd. Euro zurück, wobei der größte Teil auf das Konto der Verringerung der Luftschadstof-femissionen geht (- 85 Mrd. Euro), gefolgt von der Reduzierung der Treibhausgase (-24 Mrd. Euro). Aber auch andere Komponenten, wie die Verringerung des Abstands zwischen Kosten und Nutzen dauerhafter Konsumgüter (36 Mrd. Euro) und der Rückgang der Verkehrsunfälle (-19 Mrd. Euro) trugen ihren Teil dazu bei, dass unter dem Strich noch ein kleines Plus von 3,9 Punkten (61 Mrd. Euro) im Jahr 2014 im Ver-gleich zum Jahr 1991 stehen bleibt.

Der Vergleich zwischen dem NWI und dem BIP signalisiert im Endergebnis eine Diskrepanz. Das BIP allein würde tendenziell einen „illusi-onären Wohlstand“ signalisieren, welcher in der gesellschaftlichen Realität aber nicht er-zielt worden ist. Die unterschiedliche Entwick-lung eröffnet die Chance für eine vertiefte Er-örterung, bei der es um die Gestaltung eines stärker ökologisch und sozial ausgerichteten Wirtschaftens geht.

Um die gesellschaftliche Wohlfahrt zu steigern, bedarf es einerseits eines Abbaus von „defen-siven Kosten“ und Folgeschäden insbesondere

im Umweltbereich, aber auch in den sozialen Teilbereichen Alkohol-, Tabak- und Drogen-missbrauch, der Kriminalitätsrate oder der Ineffizienzen im Gesundheitsbereich, was das Verhältnis von finanziellem Input in das Ge-sundheitssystem zum erzielten Ergebnis be-züglich des Gesundheitsniveaus der Bevölke-rung anbelangt. Hinsichtlich politischer Emp-fehlungen hängt es hier im Detail davon ab, welche Teilkomponenten des NWI prioritär be-trachtet werden.

Nimmt man beispielsweise den Umweltbe-reich, so bietet sich unmittelbar ein Abbau umweltschädlicher Subventionen an, die in Deutschland die Größenordnung von rund 60 Mrd. Euro jährlich erreicht haben, außerdem die Fortsetzung eines entschiedenen Umbaus des Energiesystems, weg von nicht erneuerba-ren und hin zu erneuerbaren Ressourcen. Im sozialen Bereich sind Investitionen im Gesund-heits- und Bildungswesen positiv zu bewerten. Hervorzuheben sind am Schluss Instrumente und Maßnahmen zur Verbesserung der Ein-kommensverteilung, die positive Auswirkun-gen auf den NWI haben könnten.

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4 DIE INDIKATOREN DES JAHRESWOHLSTANDS- BERICHTS

4.1. SYSTEMATIK

Mit den folgenden Indikatoren wird das zent-rale Anliegen einer neuen Berichtsform zu ge-sellschaftlichem Wohlstand empirisch unter-mauert. Auf in Deutschland bereits vorliegende Indikatorensysteme kann in diesem Zusam-menhang nicht zurückgegriffen werden.30

Immerhin bieten die vier Dimensionen aus dem Grundlagenkapitel eine Orientierung, die – etwas modifiziert – hier mit jeweils zwei Kernindikatoren beschrieben werden sollen. Das gewählte Vorgehen entspricht dem Rah-men, der bereits in der Machbarkeitsstudie vom Juli 2015 aufgezeigt wurde.

Im vorliegenden Bericht werden acht Kernin-dikatoren vorgestellt (siehe tabellarische Auf-stellung Seite 30). Dabei ist die Systematik des Jahreswohlstandsberichts prinzipiell offen: Zu jedem Bereich könnte es längerfristig Module mit Zusatzindikatoren geben, die dann gleich-falls nach einem einheitlichen Schema be-schrieben und dargestellt würden. Die Zusatz-module ließen sich dann entweder jährlich o-der jeweils in Form von Einzelschwerpunkten darstellen.

30 Auf viele Einzelindikatoren aus verschiedenen Ansätzen jedoch schon, da hier keine eigenständige Datenerhe-bung erfolgen soll.

Die Systematisierung der Indikatoren folgt da-bei

a) der Struktur eines umfassenden Wohl-standskonzepts mit einer ökonomi-schen, ökologischen, sozialen und ge-sellschaftlichen Dimension unter Be-rücksichtigung

b) der planetaren Grenzen, wie sie von Hajer et al. 2015 und bei Raworth 2013 zum Ausdruck gebracht werden. Hier geht es neben den bereits häufi-ger diskutierten ökologischen Grenzen der Erde (Steffen/Rockström et al. 2015) um die Gewährleistung eines Entwicklungsraums, welcher den Men-schen eine gerechte Teilhabe an grundlegenden Voraussetzungen für ihre Entfaltung ermöglicht. Die nach-folgende Abbildung 3 illustriert diese doppelte Grenzziehung:

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Abb. 3: The Doughnut of Social and Planetary Boundaries (Quelle: Hayer 2015)

Vor diesem Hintergrund wurden die für sinnvoll erachteten vier Dimensionen mit jeweils zwei Kernindikatoren belegt. Sie bilden damit die Grundstruktur des Jahreswohlstandsberichts.

Dimension Indikator / Index

1. Ökologische Dimen-

sion

a) Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität

b) Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität

2. Soziale Dimension a) S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung

b) Index zur Bildung in Deutschland

3. Ökonomische Di-

mension

a) Nettoinvestitionsquote

b) Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Brutto-

wertschöpfung

4. Gesellschaftliche Di-

mension

a) Gesunde Lebensjahre

b) Governance Index auf Basis der World Bank Governance

Indicators (sechs Dimensionen).

In den folgenden vier Unterkapiteln werden die genannten acht Kernindikatoren dieses Berichtes mittels Grafiken zum zeitlichen Ver-lauf dargestellt und erläutert.

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4.2. ÖKOLOGISCHE DIMENSION

Abbildung 4: Entwicklung des Ökologischen Fußabdrucks für Deutschland bis 2016

Leicht zugänglich und vom Global Footprint Network autorisiert ist die Kennziffer derzeit in einer Zeitreihe von 1961 bis 2011 verfügbar. Die Werte zwischen 2012 und 2014 beruhen auf einer Abschätzung des Global Footprint Network auf der Basis der Zeitreihe bis 2011 und aktuell verfügbarer Rahmendaten, der Wert für 2015 auf einer Prognose der Auto-ren.31

31 Das Global Footprint Network bezeichnet die Abschät-zung von Werten, die in der Vergangenheit liegen, aber

Der Ökologische Fußabdruck ist eine Form der ökologischen Buchhaltung, die den Verbrauch natürlicher Ressourcen mit der Kapazität ver-gleicht, die in dem entsprechenden Land zur Verfügung steht. Sie misst die Land- und Was-serfläche, die zur Erneuerung der Ressourcen unter Berücksichtigung gegenwärtiger Techno-logien benötigt wird, um den gegenwärtigen Konsum der Bevölkerung zu befriedigen. Dabei

aufgrund des time-lags, mit dem die Basisdaten zur Ver-fügung stehen, noch nicht exakt berechnet werden kön-nen, nicht als Prognose, sondern als „now-casting“.

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wird auch die Aufnahme von Abfällen mitein-bezogen. Umgerechnet werden diese unter-schiedlichen Dimensionen in virtuelle „globale Hektar“, die als Flächenmaß interpretiert wer-den können. Die materielle Güterverwendung eines Landes trägt zu dessen Wohlstand bei. Langfristig kann die Güterverwendung aber nur innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit aufrechterhalten werden. Der Indikator gibt Aufschluss über die Diskrepanz zwischen aktuellem Konsum und der verfügbaren Biokapazität. Daten stehen für Deutschland ab dem Jahr 1961 zur Verfügung. Die Biokapazität verbes-sert sich über die ganze Zeit – mit wenigen Ausnahmejahren – kontinuierlich, aber ge-ringfügig und liegt jetzt bei ungefähr 200 Mil-lionen Global Hektar (GHa). Der Fußabdruck steigt zwischen 1961 und dem Ende der 1970er Jahre drastisch an und erreicht einen Maximalwert von 450 Millionen GHa. Seitdem sinkt der Wert in der Tendenz langsam und er-reicht jetzt Werte um 350 Millionen GHa. In der Regel sind hierfür der Ausbau der Verwendung erneuerbarer Ressourcen und die effizientere Verwendung nicht erneuerbarer Ressourcen verantwortlich, außerdem zeigen sich hier die Bemühungen um den Naturschutz. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen – um 1973 und 2008/09 – kommt es zu einem Rückgang des Ökologischen Fußabdrucks wegen der vorüber-gehenden Absenkung der Produktionstätig-

keit, die deutsche Wiedervereinigung hat ei-nen Ausreißerwert nach oben gebracht. Seit der Krise steigt der Ökologische Fußbadruck wieder langsam, aber kontinuierlich an; damit wären gemäß Prognosewert 2015 alle Fort-schritte seit etwa 20 Jahren wieder rückgängig gemacht worden. Da die Biokapazität immerhin leicht zugenom-men hat, wurde die Differenz zwischen beiden Größen bis 2011 allmählich geringer. Diese Re-duktion vollzieht sich bis 2011 allerdings viel zu langsam: Bei der derzeitigen Geschwindig-keit der Annäherung ist somit nicht davon aus-zugehen, dass in den nächsten 50 Jahren eine Übereinstimmung zwischen der Umweltnut-zung und den eigenen biologischen Kapazitä-ten erzielt werden kann, zumal sich die Diskre-panz zwischen Fußabdruck und Biokapazität seit 2011 wieder leicht erhöht hat. Liegt der Fußabdruck eines Landes über der Bi-okapazität, entsteht ein „geliehener“ Wohl-stand, der entweder durch Importe und damit Verbrauch ausländischer Biokapazität oder durch Belastung der Biokapazität auf Kosten künftiger Generationen produziert wird. Langfristig sollte der Fußabdruck eines Landes dessen Biokapazität also nicht überschreiten. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass das Land nicht mehr an Naturkapital ver-braucht, als seine ökologischen Grenzen es er-lauben.

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Abbildung 5: Entwicklung des Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität bis 2011

Der Index aggregiert die bundesweiten Be-standsgrößen von 59 repräsentativen Vogelar-ten in sechs Hauptlebensraum- und Land-schaftstypen. Die Vogelarten dienen dabei als Bioindikatoren der Abbildung des Zustands und der Veränderungen von Natur und Land-schaft in Deutschland, und zwar im Hinblick auf Artenvielfalt, Landschaftsqualität und Nachhaltigkeit der Landnutzungen. Es handelt sich gewissermaßen um einen „High-End“-Index, denn letztlich machen sich beinahe alle menschlichen Aktivitäten im Bereich der Bio-diversität bemerkbar, von der Intensität der Nutzung von Böden und Landschaften, über den Umgang mit biologischen Ressourcen, Massenproduktion und Konsum bis hin zu Ab-fallströmen und Emissionen. Der Index ist Be-standteil des Indikatorensatzes der bundes-deutschen Nachhaltigkeitsstrategie:

„Eine große Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen ist eine wesentliche Voraus-setzung für einen leistungsfähigen Na-turhaushalt und bildet eine wichtige Lebensgrundlage des Menschen. Natur und Landschaft in Deutschland sind durch Jahrhunderte währende Nut-zungen geprägt. Zur Erhaltung der da-raus entstandenen sowie der natürlich

gewachsenen Vielfalt reicht kleinflä-chiger Schutz von Arten und Lebens-räumen nicht aus. Vielmehr sind nach-haltige Formen der Landnutzung in der Gesamtlandschaft, eine Begrenzung von Emissionen und ein schonender Umgang mit der Natur erforderlich“ (Statistisches Bundesamt, op.cit., S. 16).

Daten liegen in Fünfjahresintervallen zwischen 1970 und 1995 vor, seit 1995 existieren jähr-liche Werte. Zwischen 1975 und 1995 ist ein Rückgang des Indexwertes von 101 auf 77 zu verzeichnen. Bis 2011 hat sich der Indexwert noch einmal deutlich auf 63 verschlechtert. Insbesondere der Teilindex zum Agrarland ist in der Tendenz seit 2005 erkennbar schlechter geworden, seit 2008 gleichfalls der Index für Binnengewässer und auch der (hier nicht auf-geführte) Index für Küsten und Meere.

Die Ursachen liegen in einem „Leerräumen“ der noch natürlichen Landschaft durch die In-tensivlandwirtschaft begründet, in zu hohen Nährstoff- und Schadstoffeinträgen oder in ei-nem ungebrochenen Trend der Zersiedelung.

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Da eine Vielzahl anderer Faktoren hinzukom-men, die jeder für sich zunächst kaum relevant erscheinen mag, in der Summe aber sich zu er-heblichen Wirkungen addieren, ist derzeit nicht erkennbar, wie die bereits umgesetzten Maßnahmen der Umwelt- und Naturschutzpo-litik zu einer Trendumkehr führen können.

Faktisch ist der seinerzeit aufgestellte umwelt-politische Zielwert von 100 bis zum Jahr 2015 nicht mehr zu erreichen, wie bereits im Wohl-standsbericht 2016 dargelegt. Denn das ge-genwärtige Niveau liegt bei einem Indexwert von 69 für 2013 (das Jahr mit der letzten ver-fügbaren Datenbasis) und wird in dieser kur-zen verbleibenden Zeit nicht auf das Zielniveau von 100 aufschließen können.

32 Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz sollten indessen durch Experten mit Hilfe eines Delphi-Verfah-rens neue Zielwerte für das Jahr 2030 (erst) erarbeitet

Es bleibt abzuwarten, wie verbindlich die Bun-desregierung nun einen neuen Zielwert ver-folgt. Die aktualisierte Nachhaltigkeitsstrategie 2016 enthält Hinweise auf einen - wiederum auf das Niveau von 100 - festgelegten Zielwert, der zukünftig erreicht werden sollte (siehe Bundesregierung 2017, 39).32 Als Zieljahr gilt dann jedoch nicht mehr 2015, sondern das Jahr 2030.

Im Falle eines Erfolgs würde also 2030 das Ni-veau der angezeigten Artenvielfalt und Land-schaftsqualität demselben Niveau entspre-chen, wie wir es in Deutschland im Jahr 1975 schon einmal hatten.

werden. Ob diese seitens Ministerien und Politik über-nommen werden, ist damit fraglich.

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4.3. SOZIALE DIMENSION

Abbildung 6: Entwicklung der Einkommensverteilung in Deutschland bis 2015

Berechnet wird das Verhältnis des Gesamtein-kommens der reichsten 20 % der Bevölkerung als Vielfaches des Gesamteinkommens der ärmsten 20 % der Bevölkerung. Als Gesamt-einkommen wird das verfügbare Haushalts-nettoäquivalenzeinkommen betrachtet.

Die Einkommensverteilung ist ein entschei-dender Faktor für den Wohlstand in einem Land. In der Tendenz erhöht eine Bewegung zu mehr Einkommensgleichheit den Wohlstand allein deswegen, weil ein zusätzliches Einkom-men für arme Bevölkerungsschichten diesen mehr zusätzlichen Nutzen verschafft als eine gleiche Einkommenssteigerung bei reicheren Teilen der Bevölkerung.

Unter wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunk-ten geht es damit sowohl um Verteilungs- als auch um Gerechtigkeitsfragen; dahinter steht eine wesentliche Grundüberlegung, nämlich

dass sowohl die Unterschreitung eines gewis-sen minimalen Levels an materiellen Verfü-gungsmöglichkeiten nicht hingenommen wer-den sollte, als auch, dass die unbegrenzte Ak-kumulation von privaten Reichtümern ein nachhaltiges soziales Zusammenleben nicht fördert (siehe u.a. Caillé 2011, Wilkinson & Pi-ckett 2010).

Der Wert verbessert sich in Deutschland von 4,6 im Jahre 1995 auf 3,5 im Jahre 2000. „Aus technischen Gründen“ liefert Eurostat für Deutschland leider keine Daten für die Jahre 2002 bis 2004. Ab 2005 verschlechtert sich der Wert wieder rapide und erreicht mit 4,9 den Höchstwert der Zeitreihe bislang im Jahre 2007. In dieser Zeit kam es zu einem deutli-chen Anstieg der Unternehmens- und Vermö-genseinkommen, die niedrigen Erwerbsein-kommen sind hingegen real gesunken. Die Be-steuerung hatte sich ebenfalls in Richtung auf

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eine Begünstigung des reichsten Quintils ver-ändert, da Steuern auf hohe Einkommen san-ken, indirekte Steuern jedoch angehoben wur-den (vgl. Bach 2013).

In den Jahren der Weltwirtschafts- und Fi-nanzkrise veränderte sich – vorübergehend – die Einkommensverteilung wieder etwas in Richtung auf eine stärkere Gleichverteilung: Der Wert schwankte in den Folgejahren zwi-schen 4,3 und 4,6. Dieser Ausgangswert der Zeitreihe wurde auch 2013 erreicht. Mit 5,1 er-reicht der Wert 2014 dann jedoch einen histo-rischen Höchststand; die Einkommen waren damit in diesem Jahr so ungleich verteilt wie noch nie in den davor liegenden zwanzig Jah-ren. Auch für diese Veränderung sind wiede-rum überproportionale Einkommenszuwächse im reichsten Quintil und eine stagnierende Einkommenssituation im ärmsten Quintil ver-antwortlich. Im letzten Berichtsjahr 2015 ist die Verteilungsrelation wieder geringfügig auf 4,8 in Richtung Erhöhung der Einkommmens-gleichheit zurückgegangen. Es bleibt abzuwar-ten, ob diese Veränderung einen neuen Trend eingeleitet hat oder eine vorübergehende Un-terbrechung des Trends zu steigender Un-gleichheit ist.

33 Das Markteinkommen umfasst Einkommen aus Er-werbstätigkeit und Besitztümern auf Märkten (Zinsen so-wie andere Kapitaleinkünfte) vor Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers.

Dieser Befund insgesamt ist umso bedenkli-cher, als in Deutschland ein erheblicher Anteil der staatlichen Ausgaben für soziale Belange und Transfers verwendet wird. Würde man das Markteinkommen33 vor Transferleistungen für die Berechnung zugrundelegen, würde der Wert noch erheblich schlechter ausfallen.

Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch außerhalb Deutschlands ab; die Verteilung der Einkommen driftet zwischen den Eliten und der arbeitenden Bevölkerung in sehr vielen Ländern weiter auseinander (siehe u.a. OECD 2015). Die häufig mit einem wirtschaftlichen Wachstum assoziierten Aspekte einer anteili-gen Verbesserung der sozialen Lage der Bevöl-kerung werden, zumindest in den letzten Jah-ren, nur noch sehr bedingt realisiert.

In einer bemerkenswerten Studie von McKinsey werden die Folgen für 25 fortgeschrittene In-dustriestaaten beschrieben, so haben sich zwischen 2005 und 2014 die realen Einkom-men von 2/3 aller Haushalte verschlechtert. Damit geht es in der Regel den Kindern dieser Generation schlechter als den Eltern (McKinsey Global Institute 2016).

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Abbildung 7: Entwicklung des Indexes zur Bildung in Deutschland bis 2015

Bildung ist ein zentraler Baustein, der Men-schen nicht nur die Beteiligung am Arbeitsle-ben ermöglicht. Zugleich kann Bildung gene-rell Chancen an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erhöhen, persönliche Perspekti-ven, Handlungsmöglichkeiten und letztlich ei-nen besseren Gesundheitszustand eröffnen.

Eine möglichst breite Beteiligung der Men-schen an formellen Bildungsprozessen kann daher als Vergrößerung dieses Möglichkeits-raumes angesehen werden, der einer Wohl-fahrtssteigerung im Sinne des „Fähigkeiten-ansatzes“ (capability approach von A. Sen) entspricht.

Ein hohes Bildungsniveau ist in der Regel auch wesentlicher Bestandteil des „Humankapitals“ oder besser des „Humanvermögens“ einer Ge-sellschaft.34 Dies ist nicht zuletzt auch vor dem

34 Siehe hierzu jüngst Hanushek/Woesmann (2016): The

Knowledge Capital of Nations.

Hintergrund einer Stärkung der gesellschaftli-chen Dimension zu sehen, bei der es um die Erhaltung eines demokratischen Systems und „Good Governance“ geht.

Der hier vorgestellte Index fasst fünf Kompo-nenten zusammen, die unterschiedliche As-pekte des Bildungssystems und des Bildungs-niveaus der Bevölkerung erfassen:

– Die Entwicklung der Punktzahl bei den PISA-Studien für Deutschland;

– Der Anteil der Bevölkerung mit Abschluss der Sekundarstufe II;

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– die erwarteten Bildungsjahre bis zum Alter von 39 Jahren;

– Die Differenz der mathematischen Kenntnisse 15jähriger Schülerinnen und Schüler von Eltern mit niedrigem und El-tern mit hohem Bildungsniveau (eben-falls nach PISA);

– die Höhe der gesamten öffentlichen Bil-dungsausgaben in Deutschland.

Die Zeitreihen der fünf Komponenten wurden auf das Jahr 2010 = 100 normiert und deren Entwicklung vor und nach dem Basisjahr gleichgewichtig im Index zusammengefasst. In der Kombination der Komponenten zeigt sich über die betrachteten Jahre ein zunächst eher gleichbleibender, in den letzten Jahren dann aber doch stetig steigender Trend.

4.4. ÖKONOMISCHE DIMENSION

Abbildung 8: Entwicklung der Nettoinvestitionsquote in Deutschland bis 2015 Der Indikator zeigt die Entwicklung der Netto-anlageinvestitionen im Verhältnis zum Netto-inlandsprodukt und errechnet sich als Diffe-renz aus den Bruttoinvestitionen minus den Abschreibungen. Sie zeigen also die Investitio-nen, die über den Ersatz des Kapitalverzehrs hinausgehen. Bruttoanlageinvestitionen um-fassen im Verständnis des Statistisches Bun-desamtes

„… den Erwerb abzüglich der Veräu-ßerungen von Anlagegütern durch ge-bietsansässige Produzenten in einem Zeitraum. Dazu zählen die Käufe neuer Anlagegüter einschließlich aller ein-geführten und selbsterstellten Anla-gegüter sowie die Käufe abzüglich der Verkäufe gebrauchter Anlagegüter. Die Käufe und Verkäufe von gebrauchten Anlagegütern saldieren sich weitge-hend in der Volkswirtschaft.“ (2016, S. 5).

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Unter anderem das Bundesfinanzministerium (BMF 2015) sieht die Bruttoinvestitionen für besser geeignet, um die Investitionstätigkeit beurteilen zu können, da unter anderem auch wertmäßig bereits abgeschriebene Anlageob-jekte zum gesamtwirtschaftlichen Output bei-tragen können und Abschreibungsrechnungen zum Teil „bilanzpolitisch“ bedingt sind. Die Nettoinvestitionen bilden jedoch zum einen den langfristigen Trend der Investitionstätig-keiten klarer ab, zum anderen werden durch dieses Maß auch die konjunkturellen Reaktio-nen stärker verdeutlicht. Vor allem aber kön-nen die Nettoinvestitionen als ein Maß zur Analyse der Veränderung des Produktionspo-tenzials einer Volkswirtschaft interpretiert werden. Damit sind sie unmittelbar relevant zur Beurteilung eines Aspekts des Wohlstandes einer Gesellschaft, sozusagen als Ausweis der Veränderung des Arsenals an „Werkzeugen“, die einer Ökonomie für ihre Wertschöpfung zur Verfügung steht. Wie aus Abbildung 8 deutlich erkennbar wird, verzeichnen die Nettoanlage-investitionen zwischen 1992 und 2004 einen deutlichen Negativtrend von 12,2 Prozent auf 2,4 Prozent des Nettoinlandsprodukts. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte im August 2014 eine Expertenkommission zum Thema „Stärkung der Investitionen in Deutsch-land“ eingesetzt, da die Investitionsentwick-lung in der vorausgehenden Dekade als beun-ruhigend empfunden wurde (BMWi). Die vor dem Jahr 2000 im Vergleich zur späteren Ent-wicklung noch relativ hohen Investitionen werden zum Teil als Folge des „Aufbau Ost“ und als „Vorphase“ zur Währungsunion ange-sehen. Zwischen 1991 und 2000 lagen die In-vestitionen in den neuen Bundesländern über dem doppelten Wert der Investitionen in den alten Bundesländern. Die Währungsunion führte zum Rückgang der Nettoinvestitionen, da nun ein einheitlicher europäischer Kapital-markt entstanden war; den Investoren war da-mit die „Angst vor der Anlage in Staatspapiere südeuropäischer Länder genommen“ (vgl. Strobel 2015). Dies führte zu einem deutlichen Kapitalabfluss aus Deutschland. Danach erfol-gen Einbrüche, die als Folgen konjunktureller Krisen – nach 2000 und dann vor allem 2009

und 2010 – gesehen werden können. Nach 2011 pendeln sich die Nettoinvestitionen auf einem sehr niedrigen Niveau ein. Insgesamt kann man aber davon ausgehen, dass ein Teil des langfristigen Trends des Nettoinvestitions-rückgangs auch der Globalisierung, genauer gesagt: der massiven Konkurrenz aus Niedrig-lohnländern, zuzuschreiben ist. Nach 2014 muss berücksichtigt werden, dass eine Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im Hinblick auf die Anglei-chung an das neue Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG) zu einem Anstieg des nominalen BIP um 3 Prozent gegenüber der alten Methodik führte. Dabei kommt es auch zu einem „Ni-veausprung“ der gesamtwirtschaftlichen In-vestitionsquote durch die Berücksichtigung der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung als Investitionen wie auch die Verbuchung der Rüstungsgüter als Investitionen, die vor der Revision als Staatskonsum verbucht wurden (Statistisches Bundesamt 2014b).

Für viele Ökonomen handelt es sich bei der langfristigen Tendenz eines Rückgangs der Nettoinvestitionen um eine sehr problemati-sche Entwicklung. Wie schon angesprochen: „Der Umfang und die Qualität der Infrastruk-turausstattung einer Volkswirtschaft sind maß-gebliche Faktoren für deren Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit.“ (BMWi 2014, 8). Das gilt in besonderer Weise für öffentliche Infrastruk-turinvestitionen, die ebenfalls einen langfris-tigen Abwärtstrend aufweisen. Das BMWi stellt fest, dass das Nettoanlagevermögen in ener-gieintensiven Wirtschaftsbereichen des Produ-zierenden Gewerbes deutlich rückläufig ist (ibid S. 10).

Zwar wird die private Investitionstätigkeit ins-gesamt stark von der konjunkturellen Entwick-lung bestimmt. Dennoch zeigt sich der geschil-derte langfristig negative Trend, unabhängig von Konjunkturschwankungen wie der Dot-com-Blase Anfang der 2000er Jahre oder der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 und 2009. Eine Wirtschaftspolitik zur Stärkung der privaten Investitionen ist aufgrund wirt-

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schaftspolitischer Strömungen und Interessen-lagen nicht eindeutig vorgezeichnet, sondern bedarf einer politischen Diskussion. Die Dis-kussion um Investitionen und Investitionsför-derung sollte sich in einem breiten Ansatz

dann auch einer Neubestimmung des optima-len Mix aus Sachkapital, ökologischem und so-zialem Kapital zuwenden.

Abbildung 9: Entwicklung des Anteils von Umweltschutzgütern an der Wertschöpfung bis 2013

Der Indikator nimmt mehrere relevante As-pekte der ökonomischen Dimension auf. Zum einen adressiert er die Transformation der Wirtschaft in Richtung auf eine „Green Eco-nomy“, die sich unter anderem an der Inten-sität ihrer Ausrichtung an Umweltschutzgütern insgesamt erkennen lässt. Umweltschutzgüter umfassen Güter aus den Bereichen Abfallbe-handlung, Wasser, Luft, Lärm, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie Klimaschutzgüter. Mit der Bezeichnung „potenzielle“ Umwelt-schutzgüter wird darauf Bezug genommen, dass die statistischen Angaben Produktions-größen umfassen, die letzte Verwendung die-ser Güter dagegen nicht ermittelt werden

kann; einige der in der Liste der Produktgrup-pen enthaltenen Güter könnten also auch au-ßerhalb des Umweltschutzbereichs eingesetzt werden.

Durch die Betrachtung des Anteils an der Brut-towertschöpfung wird sozusagen auf die „Um-weltintensität“ der deutschen Wirtschaft Bezug genommen. Je höher dieser Anteil ist, desto stärker ist die Ökonomie auf die Produktion von Umweltschutzgütern und auch Umwelt-schutzdienstleistungen ausgerichtet. Sicher kann dieser Indikator nicht über alle Grenzen steigen; dennoch zeigt die Entwicklung, dass die deutsche Wirtschaft von einem Optimum hier noch sehr weit entfernt ist, bedenkt man

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die ökologischen Herausforderungen (Stich-wort Planetary Boundaries) einerseits und In-novations- und Marktpotenziale andererseits.

Der Indikator spricht darüber hinaus eine wichtige ökonomische Grundlage für gesell-schaftlichen Wohlstand in Deutschland an. Es handelt sich dabei um eine gute industrielle Basis, die sich gerade in Zeiten einer zuneh-menden Gefährdung, die eine Abhängigkeit von dynamischen und erratischen Verände-rungen im Finanzsektor mit sich bringt, als ein solides Fundament für wirtschaftliche Prospe-rität erwiesen hat. Andere Staaten in Europa befassen sich vor diesem Hintergrund mit der Frage einer möglichen teilweisen „Reindustri-alisierung“. Im Unterschied dazu wird hier je-doch explizit Wert auf die Entwicklung in Rich-tung einer Green Economy gelegt: Dahinter steht die These, dass Herstellung und insbe-sondere Nutzung von Umweltschutzgütern so-wohl zu ökonomischen Modernisierungspro-zessen als auch zur Umweltentlastung beitra-gen.

In der Bundesrepublik Deutschland ist der An-teil der Produktion von potenziellen Umwelt-schutzgütern an der Bruttowertschöpfung zwi-schen 2002 und 2011 von 2,56 Prozent auf

4,49 Prozent kontinuierlich gestiegen. Danach erfolgte ein Rückgang bis 2013 auf 4,21 Pro-zent.

Der gesellschaftliche Wohlstand lässt sich mit einem steigenden Anteil an Umweltschutzgü-tern wesentlich besser erhöhen als mit einem rein quantitativ ausgelegten Wirtschaftspro-gramm, da in der Regel zukunftsfähige Ar-beitsplätze entstehen und zugleich die ökolo-gischen Belastungen samt ökonomischen Fol-gekosten geringer ausfallen. Vermiedene Um-weltschäden sind in der Logik eines ökologi-schen Wohlfahrtskonzeptes wohlstandsstei-gernd, weil das Naturkapital weniger verrin-gert wird und weniger Reparaturkosten oder andere gesellschaftliche Folgeschäden auftre-ten.

Aufgrund des in den letzten Jahren stagnieren-den Anteils der Umweltschutzgüter stellt sich die Frage, ob ein dynamisches Ziel sinnvoll ist, also eine angestrebte Zunahme dieses Anteils über einen bestimmten Zeitraum hinweg, denn der weitere Ausbau einer „Green Eco-nomy“ kann, wie bereits in Abschnitt 2.2.3 er-örtert, einen wesentlichen Faktor zur Förde-rung gesellschaftlichen Wohlstands darstellen.

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4.5. GESELLSCHAFTLICHE DIMENSION

Abbildung 10: Veränderung des Indikators zu Gesunden Lebensjahren bis 2014 Der Indikator „Gesunde Lebensjahre (GLJ) bei der Geburt“ gibt die Zahl derjenigen Jahre an, die eine Person zum Zeitpunkt ihrer Geburt er-wartungsgemäß in guter gesundheitlicher Ver-fassung leben wird. GLJ ist ein Indikator der Gesundheitserwartung, der Informationen zu Sterblichkeit und Krankheit beziehungsweise Lebensqualität miteinander verknüpft. Dazu werden Daten zur altersspezifischen Prävalenz der gesunden beziehungsweise kranken Be-völkerung und Daten zur altersspezifischen Sterblichkeit benötigt. Zur Bestimmung der ge-sunden Lebensjahre wird hier der Anteil der Männer und Frauen erfasst, die wegen eines gesundheitlichen Problems – dazu gehören chronische und akute Krankheiten, Gebrech-lichkeit, psychische Störungen und körperliche

Behinderungen – sich bei alltäglichen Verrich-tungen stark oder mäßig eingeschränkt füh-len. Gute gesundheitliche Verfassung wird da-mit über die Abwesenheit von Funktionsbe-schränkungen und Beschwerden definiert und als Gradmesser eines Aspekts von Lebensqua-lität und somit der immateriellen Seite von Wohlstand begriffen. Der Indikator wird ge-trennt für Männer und Frauen berechnet. Der starke Rückgang von 2007 bis 2008 muss dabei vermutlich zumindest zum Teil auf eine neue Formulierung der Frage zurückgeführt werden, mit der der Gesundheitszustand in der Bevöl-kerung abgefragt wird (siehe European Health and Life Expectancy Information System 2015).

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Die Lebenserwartung bei der Geburt ist die An-zahl der Jahre, die eine Person eines bestimm-ten Alters im Durchschnitt noch zu leben hat, wenn man die altersspezifischen Sterberaten des Ausgangsjahres zugrunde legt. Im Vergleich zu den Statistiken der Gesamtle-benserwartung zeigt der GLJ-Indikator in zweifacher Hinsicht ein überraschendes Bild. Zum einen ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern in keiner Weise so ausgeprägt

wie bei der Gesamtlebenserwartung, im Ge-genteil: 2006, 2007 und 2013 liegt der Indi-kator für die Männer sogar knapp über dem In-dikator für die Frauen. Da Frauen über eine deutlich höhere Gesamtlebenserwartung ver-fügen, bedeutet dies, dass sie im Alter deutlich mehr mit Aktivitätseinschränkungen belastet sind. Außerdem zeigt der Indikator zwischen 2006 und 2014 keine einheitliche Tendenz; in den letzten drei Jahren der Zeitreihe fällt er so-gar wieder leicht ab.

Abbildung 11: Entwicklung des Indikators zu politischen Rahmenbedingungen in Deutschland bis 2015

Gesellschaftlicher Wohlstand ist nicht zuletzt das Resultat institutionell garantierter Freihei-ten und der Rechtmäßigkeit staatlichen Han-delns. Insofern kommt der Ausgestaltung de-mokratischer Rechte, gutem Regieren, Ver-trauen, Abwesenheit von Gewalt und Korrup-tion sowie politischer Stabilität eine zentrale Rolle zu. Der erstellte Index versucht, sechs verschiedene Aspekte des „intangiblen Kapi-tals“ eines Landes zu operationalisieren und somit die nicht selbstverständlichen politi-

schen Rahmenbedingungen für eine nachhal-tige Entwicklung des Wohlstands eines Landes in das Blickfeld zu nehmen. Die Weltbank hat für institutionelle und politische Rahmenbe-dingungen eines Landes diesen Begriff des „intangiblen Kapitals“ gewählt, was als ent-scheidender Faktor für gesellschaftlichen Wohlstand gesehen werden kann. „Gute Re-gierungsführung“ ist ein wesentlicher Bereich des intangiblen Kapitals, da hier die Voraus-setzungen für einen dauerhaften Aufbau von

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gesellschaftlichem Wohlstand gesetzt werden. Die Weltbank versteht unter „Governance“:

„… die Traditionen und die Institutio-nen, mit denen die Regierung und die Behörden eines Landes ausgestattet sind. Dies beinhaltet (a) den Prozess, wie Regierungen gewählt, kontrolliert und ausgetauscht werden; (b) die Fä-higkeit der Regierung eine vernünftige Politik zu formulieren und umzuset-zen; und (c) das Vertrauen der Bürger und des Staates in die Institutionen, die das ökonomische und soziale Mit-einander gestalten.“35

Der Governance Index wurde für den Jahres-wohlstandsbericht auf der Basis der World Bank Governance Indicators, und zwar der sechs Dimensionen von Governance konstru-iert: „Voice and Accountability, Political Stabil-ity and Absence of Violence and Terrorism, Government Effectiveness, Regulatory Quality, Rule of Law, Control of Corruption” (Worldbank 2015).36

Die Indikatoren bieten einen guten Überblick über die Situation der politischen Rahmenbe-dingungen der Regierungsführung. Der Index geht über die Spanne von 0 bis 100; ein Wert möglichst nahe 100 sollte angestrebt werden. Er erreicht vor 2000 seine historischen Höchst-

stände, um dann bis 2003 auf seinen niedrigs-ten Wert abzusinken, der aber immer noch knapp unter 88 liegt. Der Rückgang des Index von 2002 bis 2003 ist einem starken Rückgang des Teilindex „Political Stability and Absence of Violence and Terrorism“ zuzuschreiben.37 Seitdem ist kein klarer Trend zu erkennen; 2006 und 2007 sind Werte zwischen 91 und 92 zu verzeichnen, dann sinkt der Index bis 2011 wieder auf einen Wert knapp unter 89, um bis 2014 auf etwas über 92 anzusteigen, den höchsten Wert seit dem Jahr 2000. Danach er-folgt wieder ein deutlicher Rückgang, was da-rauf zurückzuführen ist, dass sich alle sechs Teilindices von 2014 auf 2015 leicht ver-schlechtert haben. Der Teilindex „Voice and Accountability“ erreicht 2014 seinen Höchst-wert, während der Teilindex „Stability“ nach wie vor den niedrigsten Wert aller Teilindices aufweist. Bei der Betrachtung sollte indessen berücksichtigt werden, dass die hier vorge-nommene Skalierung die Veränderungen gut erkennbar macht, mithin vor dem Hintergrund der Gesamtskala stark pointiert.

Insgesamt ist Deutschland sowohl im Zeitver-lauf als auch vor allem im internationalen Ver-gleich bei diesem Kernindikator nach wie vor gut positioniert.

35 Kaufmann/Kraay/Mastruzzi 2010 (S.4, eigene Überset-zung).

36 Die Dimensionen lassen sich sinngemäß umschreiben mit: Freie Wahlen und Meinungsäußerung; politische Sta-bililität und Abwesenheit politisch motivierter Gewalt; ef-fektives Regierungshandeln (bezogen auf den öffentli-chen Sektor); Formulierung und Umsetzung fundierter

politischer Maßnahmen sowie Regulierungen (bezogen auf den privaten Sektor); Rechtsstaatlichkeit; sowie Kon-trolle von Korruption und Amtsmissbrauch.

37 „Political Stability and Absence of Violence/Terrorism measures perceptions of the likelihood of political insta-bility and/or politically-motivated violence, including terrorism“. Ausführlicher: World Bank 2015.

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4.6. ASPEKTE UND PROBLEME DER SUBJEKTIVEN SEITE VON WOHLFAHRT – INDIKATOREN ZUR LEBENSZUFRIEDENHEIT

Der Jahreswohlstandsbericht ist in erster Linie auf der nationalen, mithin auf der „Makro-ebene“ angesiedelt, da hier objektive Ent-wicklungen erfasst werden, die für den gesell-schaftlichen Wohlstand beziehungsweise Wohlfahrt bestimmend sind. Bislang nicht be-trachtet wurde die subjektive Ebene der per-sönlichen Zufriedenheit und damit die Frage, wie die objektiven Entwicklungen von den Menschen wahrgenommen werden. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass die subjektive Lebenszufriedenheit von einer gan-zen Reihe von Faktoren beeinflusst wird, die außerhalb der Reichweite von Politik und staatlicher Verantwortung liegen und auch lie-gen sollten.

Dennoch gibt es Bemühungen in vielen Staa-ten, die unmittelbaren materiellen und imma-teriellen Bedürfnisse der Bürger und Bürgerin-nen auch in gesellschaftlichen Berichterstat-tungssystemen stärker in den Vordergrund zu rücken; Beispiele sind unter anderem Frank-reich und Großbritannien. Dies sollte ur-sprünglich auch dazu beitragen, die bislang dominierende, vorwiegend ökonomische Ori-entierung an Wachstum, Beschäftigung, Wett-bewerbsfähigkeit, Löhnen und Kosten zu rela-tivieren.

Ergänzend zu den acht Kernindikatoren und den vorangestellten Erläuterungen zum Natio-nalen Wohlfahrtsindex soll insofern nun die Ebene der subjektiven Lebenszufriedenheit thematisiert werden.

Bereits vor einigen Jahrzehnten haben Erhe-bungen zur Lebenszufriedenheit in Verbindung mit der Entwicklung des BIP für Aufsehen ge-sorgt, denn einige Studien ergaben eine Ent-kopplung zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum und der Zufriedenheit der Bevölke-rung (beispielsweise Easterlin 1974, Layard 2005, Binswanger 2014). Das sogenannte „Easterlin Paradox“ beschreibt den Befund,

dass steigende Einkommenszuwächse ab ei-nem bestimmten Niveau nichts mehr zum per-sönlichen Wohlbefinden beitragen. Kritische Ökonomen sehen hierin im übertragenen Sinne ein „nutzloses Wachstum“. So hat die Entkopplung der Lebenszufriedenheit vom Wirtschaftswachstum in den USA bereits etwa 1965 eingesetzt (so Binswanger bereits 2011). Indessen gibt es auch andere Positionen, so kommen Weimann/Knabe und Schöb zu der Er-kenntnis, dass es nicht zuletzt davon abhängt, was als Zufriedenheit gemessen wird (ders. 2015) und dass sich mit steigendem Einkom-men auch die Möglichkeiten verbessern ge-sünder und länger zu leben, bessere Bildung zu erhalten und insgesamt freier zu leben.

Für die Erfassung der „subjektiven Lebensqua-lität“ wird hier auf einen Indikator zurückge-griffen, der aus dem Datensatz des Sozio-öko-nomischen Panel generiert (SOEP) und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zur Verfügung gestellt wird. Er misst die mittlere Lebenszufriedenheit der Bevölkerung auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut). Allgemein wird die Lebenszufriedenheit als kognitiver Bewertungsprozess der eigenen Le-bensumstände beschrieben. Damit hebt sie sich deutlich von gefühlsbezogenen Aspekten wie Freude oder Ärger ab und grenzt sich so auch zum Begriff „Glück“ ab.

Es handelt sich bei der Lebenszufriedenheit um eine rein subjektive Einschätzung, die nur von der Person selbst vorgenommen werden kann. Diese Einschätzung erfolgt normalerweise rela-tiv zu einem Vergleichsstandard, etwa zu einer früheren Lebensphase oder im Vergleich zu an-deren Personen (siehe etwa Dette 2005, 37f).

Dabei ist die Einschätzung neben den tatsäch-lichen Lebensbedingungen auch abhängig von der individuellen Persönlichkeitsstruktur. Im SOEP werden neben der allgemeinen Lebens-zufriedenheit außerdem sogenannte „Be-reichszufriedenheiten“ erhoben, die sich auf

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einzelne Aspekte des Lebens beziehen: Fami-lienleben, Wohnung, Lebensstandard, Freizeit, Arbeit, Kinderbetreuung, Gesundheit, Schlaf, Haushaltstätigkeiten, Haushaltseinkommen, soziale Sicherung und persönliches Einkom-men.

Die Datenquelle der hier präsentierten Ergeb-nisse bildet das Sozio-Ökonomische Panel, kurz SOEP (siehe Wagner/Frick/Schupp 2007). Beim SOEP handelt es sich um eine repräsen-tative Wiederholungsbefragung, die seit 1984 läuft. Im Auftrag des DIW Berlin werden zurzeit jedes Jahr in Deutschland etwa 30.000 Be-fragte in fast 11.000 Haushalten von TNS Infra-test Sozialforschung befragt. Die Daten geben unter anderem Auskunft zu Fragen über Ein-

38 Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) (Hrsg.) (2015): Daten für die Jahre 1984-2014, Version 31, SOEP 2015.

39 Diesem Umstand wird hier Rechnung getragen, indem neben den Mittelwerten Konfidenzintervalle (95%) be-

kommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Ge-sundheit. Da es sich um eine Panel-Studie handelt, also jedes Jahr die gleichen Personen befragt werden, können langfristige soziale und gesellschaftliche Trends über das SOEP be-sonders gut verfolgt werden. Eingesetzt wurde hier die neueste zur Verfügung stehende Da-tenversion, die Werte von 1984 bis 2014 ent-hält (SOEP v31).38

Bei den Auswertungen der Zufriedenheit wur-den arithmetische Mittelwerte berechnet (siehe Abbildung 12). Allerdings können bei jeder Mittelwertberechnung, die auf einer Stichprobe beruht, nur Bandbreiten angege-ben werden, innerhalb derer sich der Mittel-wert mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit befindet.39

rechnet wurden. In die Auswertungen werden die Kon-fidenzintervalle einbezogen, indem nur Änderungen und Unterschiede, die über die Konfidenzintervalle hinausge-hen, als signifikant und damit relevant eingestuft wer-den.

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Abbildung 12: Veränderung der Lebenszufriedenheit in Deutschland bis 2014

Die hier aufgrund des SOEP mögliche Zeitreihe beginnt mit den historischen Höchstwerten der Lebenszufriedenheit Mitte der 1980er Jahre und sinkt dann deutlich ab bis 1988. Die deut-sche Wiedervereinigung führt zu einem erneu-ten Anstieg bis 1991, dem ein Absinken bis 1997 folgt. Der Wert steigt dann bis 2001, ohne jedoch die Werte der Zeit um 1990 wie-der zu erreichen, um dann bis 2004 auf den historischen Tiefststand der Zeitreihe zu fallen. Genaue Zuordnungen zu Ursachen und Ereig-nissen sind nicht wirklich nachgewiesen. So stieg beispielsweise nach 1998 die Zufrieden-heit an; Ereignisse wie der Anschlag in New York und der Afghanistan-Krieg fallen in die Zeit einer Trendumkehr, welche durch die Ver-abschiedung der „Agenda 2010“ im Jahr 2003 nicht aufgehalten werden konnte. Nach 2004 folgt im Trend ein erneuter Anstieg bis 2014,

wobei der Wert nun – insbesondere in Ost-deutschland – einem historischen Höchststand entspricht.

Insgesamt liegt den Einschätzungen der Bür-gerinnen und Bürger eine große Zahl an Fak-toren zugrunde, welche teilweise auch nicht eindeutig in ihrer quantitativen Bedeutung im Verhältnis zueinander bestimmt werden kön-nen. Für die Politik ist es sicherlich notwendig, solche Erhebungen zu kennen, aber daraus al-lein ergeben sich keine hinreichenden Hin-

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weise auf angemessene Handlungsoptio-nen.40 Unter dem Gesichtspunkt eines an der objektiven Entwicklung der Gesamtgesellschaft orientierten Wohlstandsverständnisses könnte es mitunter sogar notwendig sein, die Ausrich-tung an Zufriedenheit und Glück nicht absolut zu setzen, weil sonst erforderliche Reformen – die kurzfristig auch „weh tun“ könnten – nie-mals zustande kämen.

Durch die Einbeziehung dieses Indikators als ein Element außerhalb des Rahmens der Kern-indikatoren ist es im Wohlstandsbericht aber möglich, die Mikro- und die Makroebene des Wohlergehens in einer Gesellschaft aufeinan-der zu beziehen.

Neben Erhebungen zur Lebenszufriedenheit finden sich weitere Studien, die sich sogar der Frage nach dem „Glück“ widmen oder das Themenfeld des „Guten Lebens“ durch empiri-sche Studien behandeln. Eine Grundlage der Dokumentation empirischer Arbeiten bietet die „World Data Bank of Happiness“ der Universi-tät Rotterdam (Veenhoven 2015). Bekannt ge-worden ist in Deutschland der so genannte „Glücks-Atlas“ der Deutschen Post, der sich vor allem auf ein Ranking von Regionen bzw. Bun-desländern konzentriert (Raffelhü-schen/Schlinkert 2015,2016). Dazu nur wenig abweichende Ergebnisse hat eine Umfrage zum „Glückstrend“ von Infratest dimap im Jahre 2013 ergeben. Der Regierungsbericht „Gut Leben in Deutsch-land“ – der bereits in Abschnitt 3.1 erwähnt wurde – verfolgt dagegen eine andere Strate-gie, da hier eine Kombination von objektiven und subjektiven Indikatoren vorgeschlagen wird. Der Bericht soll, „den gesellschaftlichen Diskurs über die Lebensqualität in Deutschland anregen und verstetigen“ (Bundesregierung Deutschland 2016, 5). Das Indikatorensystem des Berichts enthält 46 Indikatoren in zwölf

40 Sieht man einmal von den seit den Anfängen des Wohlfahrtsstaates intendierten Verbesserungen der sozia-len und ökonomischen Lage durch staatliche Maßnahmen

Bereichen, die im Bericht als „Dimensionen“ bezeichnet werden. Als „Hauptkriterium“ der Auswahl werden hier die Ergebnisse des Bür-gerdialogs benannt, wobei die Auswahlme-thodik nicht immer nachvollziehbar ist: So wird als wichtigstes Thema im Bürgerdialog „Frieden“ genannt, hierzu findet sich indessen keine direkte Entsprechung im Indikatorensys-tem. Es fällt auf, dass zwei von 48 Themen – Quali-tät der Pflege und globale unternehmerische Verantwortung – nicht mit einem Indikator abgedeckt sind. Im Prinzip soll jedoch jede der 12 „Dimensionen“ der Lebensqualität mit mehreren – allerdings unterschiedlich vielen – Einzelindikatoren abgedeckt werden. Eine Auseinandersetzung mit einzelnen Indikatoren oder mit der Auswahl der Indikatoren im Detail kann an dieser Stelle nicht vorgenommen wer-den. Erkennbar ist aber, dass die Zahl der ob-jektiven und der subjektiven Indikatoren in den verschiedenen Dimensionen sehr unter-schiedlich verteilt ist. Nachfolgend ist die Zahl der Indikatoren je Dimension zunächst insge-samt aufgeführt; die zweite Zahl in der Klam-mer ist dann die Zahl der betreffenden subjek-tiven Indikatoren, die in der Gesamtzahl ent-halten ist:41

1. „Gesund durchs Leben“ (5 – 1) 2. Gut arbeiten und gerecht teilhaben

(5 – 1) 3. Bildungschancen für alle (4 – 0) 4. Zeit haben für Familie und Beruf (4

– 1) 5. Sicheres Einkommen (5 – 0) 6. Sicher und frei leben (4 – 2) 7. Zuhause sein in Stadt und Land

(3 – 0) 8. Zusammenhalt in Familie und Ge-

sellschaft (4 – 1) 9. Wirtschaft stärken, in die Zukunft

investieren (5 – 0)

ab; siehe exemplarisch dazu die Überlegungen von Belle-baum et al. (1998) zu „Staat und Glück“.

41 Interaktive Darstellung des Indikatorensystems unter https://www.gut-leben-in-deutschland.de/static/LB/indikatoren/

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10. Natur erhalten, Umwelt schützen (3 – 0)

11. Frei und gleichberechtigt leben (3 – 1)

12. In globaler Verantwortung handeln und Frieden sichern (3 - 0).

Die Dimensionen lassen sich – zwar nicht in diesen Formulierungen, aber dem Inhalt nach – nahezu vollständig den verschiedenen Sustainable Development Goals oder sogar di-rekt einzelnen Unterzielen zuordnen. An wich-tigen Stellen gibt es Überschneidungen zu den

Zielsetzungen und zu den Indikatoren im Nati-onalen Nachhaltigkeitsbericht, sodass eine In-tegration der objektiven Indikatoren aus die-sem Regierungsbericht zur Lebensqualität in den Nachhaltigkeitsbericht durchaus denkbar wäre. Würde der Nachhaltigkeitsbericht dann noch um einen Abschnitt mit subjektiven Indi-katoren komplettiert, vergleichbar zu dem ebenfalls seit Jahren vorgelegten „Datenre-port“ des Statistischen Bundesamts,42 könnte hier eine Integration der beiden Berichte unter dem Dach des Nachhaltigkeitsberichtes über-legt werden.

42 Als jüngsten Bericht siehe Statistisches Bundesamt/Wis-senschaftszentrum Berlin für Sozialforschung/Sozioökono-misches Panel (Hrsg.) (2016): Datenreport 2016 – Ein So-zialbericht für die Bundesrepublik Deutschland.

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5. ERGEBNISSE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Im Anschluss werden nun sowohl die zentralen Dimensionen des Wohlstandsberichts 2017 in grafischer Weise dargestellt (Abbildung 13), als auch die einzelnen Kernindikatoren im Über-blick. Dem schließt sich eine Übersichtsseite an: Sie enthält durch Ampelfarben und Pfeile

Charakterisierungen der Einzelindikatoren, ge-folgt von einer verdichteten grafischen Visua-lisierungsform, die in Form eines „Dash-boards“ alle wesentlichen Informationen transportieren soll (Abbildung 14).

5.1. DIE INDIKATOREN – ÜBERBLICK UND EMPFEHLUNGEN

Zu den einzelnen Indikatoren folgt hier eine kurze Einschätzung hinsichtlich möglicher In-strumente und Maßnahmen zu ihrer Verbesse-rung respektive politischer Schlussfolgerungen.

Diese Einschätzung erfolgt in zwei Schritten.

Zuerst werden die einzelnen Kernindikatoren grafisch charakterisiert. Dies erfolgt anhand von Farben, die der Idee einer Verkehrsampel folgen, sowie anhand von Pfeilen, die die Richtung der Veränderung anzeigen.

Auf dieser Grundlage – und natürlich auf der Basis des Kurvenverlaufs der einzelnen Indika-toren aus dem vorhergehenden Kapitel – wer-den anschließend Schlussfolgerungen zur Dis-kussion gestellt.

(1) Visualisierung der Kernindikatoren

Ampeldarstellung:

Die Ampelfarben sollen signalisieren, ob be-ziehungsweise inwieweit ein Indikator einem angestrebten Zielniveau entspricht. Hier sind die bekannten Ausprägungen in den Farben rot, gelb und grün gewählt. Dabei bedeutet:

– Grün: Der Zielwert ist bei dem Indika-tor erreicht oder nahezu erreicht; Ab-weichungen zum Zielwert betragen maximal 15 %. Falls kein Zielwert for-muliert werden kann, ist der Indika-torwert im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe.

– Gelb: Der aktuelle Wert ist von Zielwert noch deutlich entfernt, die Abwei-chung liegt bei bis zu 30 %. Falls kein Zielwert formuliert werden kann, ist der Indikatorwert im internationalen Vergleich innerhalb der oberen 30 %.

– Rot: Die Abweichungen des aktuellen Wertes vom Zielwert betragen über 30 %. Falls kein Zielwert formuliert wer-den kann, ist der Indikatorwert im in-ternationalen Vergleich nicht inner-halb der oberen 30 %.

Ergänzende Hinweise:

– Nicht für alle der vorgeschlagenen Indi-katoren lassen sich Zielwerte eindeutig formulieren.

– Beim Ökologischen Fußabdruck im Ver-hältnis zur Biokapazität ist dies jedoch der Fall: hier kann die Norm aufgestellt und mit den ökologischen Grenzen der Erde begründet werden, dass der Fuß-abdruck eigentlich nicht über der Bioka-pazität liegen soll. Auch bei dem Indika-tor zur Artenvielfalt und zur Land-schaftsqualität gibt es ein politisch fest-gelegtes Ziel für die Bundesrepublik Deutschland, nämlich die Wiedererrei-chung des Indexwertes 100, der zuletzt etwa im Jahr 1975 erreicht werden konnte.

– Bei anderen Indikatoren lassen sich die Ampelfarben im Grunde nur über einen

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internationalen Vergleich bestimmen, so etwa beim Governance-Indikator. Hier kann eine Grenze etwa für die Ampel-farbe grün festgelegt werden, die hier nur dann vergeben werden soll, wenn das Land zu den 10 % der besten Länder der Erde gehört, für welche der Gover-nance-Indikator berechnet werden kann.

– Schließlich bietet sich noch die Möglich-keit an, den Indikator im Verhältnis zu den eigenen Indikatorwerten der Zeit-reihe selbst zu bestimmen. Bei diesem Verfahren wäre etwa „grün“ nur dann zu vergeben, wenn der aktuelle Wert in der Nähe des jeweiligen „historischen Maximums“ der Zeitreihe liegt.

Trendpfeildarstellungen:

Die Pfeile signalisieren, ob sich ein Indikator in der letzten Zeit in einem aufsteigenden positi-ven Trend, einem gleichlaufenden, neutralen Trend oder einem negativen Trend befindet. Die Interpretation folgt dabei immer einer Be-wertung unter Wohlstandsgesichtspunkten. Dabei muss beachtet werden, dass zuweilen eine Abnahme eines Indikatorwertes einem positiven Trend und damit folgerichtig einem steigenden Pfeil entspricht – etwa beim Öko-logischen Fußabdruck. Der umgekehrte Zu-sammenhang ist natürlich auch gegeben, bei-spielsweise beim Index für Artenvielfalt und Landschaftsqualität, wo ein Anstieg eine Ver-besserung signalisiert.

Nachfolgend findet sich eine entsprechende Übersichtsdarstellung der Kernindikatoren des Jahreswohlstandsberichts 2017.

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Abb. 13: Übersicht zur Bewertung der Kernindikatoren (eigene Darstellung)

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Zusammenfassung: Die Ampeln symbolisieren den letzten verfüg-baren Wert und damit den Zustand des Indika-tors: „Grün“ bedeutet demnach, dass der Zu-stand im Zielbereich des Indikators liegt, ma-ximal 15 % vom Ziel entfernt; „gelb“ einen Wert, der verbesserungsbedürftig ist, „rot“ ei-nen Zustand, der weit von einem zukunftsfä-higen Wert entfernt liegt.

Die Pfeile symbolisieren die jüngste Entwick-lung des Indikators: „Pfeil nach oben“ heißt, dass der Zustand sich verbessert hat, „Pfeil nach unten“ symbolisiert eine Verschlechte-rung, „Pfeil waagrecht“ bedeutet, dass sich entweder nichts geändert hat oder der Trend uneinheitlich ist.

(2) Empfehlungen im Hinblick auf eine Ver-besserung von Wohlstand und Wohlfahrt

I 1 – Ökologischer Fußabdruck

Der Indikator befindet sich seit langem im roten Bereich. Die Differenz zwi-schen der eigenen Biokapazität und dem Ökologischen Fußabdruck hat sich in den letzten Jahren tendenziell wei-ter verschlechtert. Damit beruht der Wohlstand in Deutschland auf Res-sourcen und Entsorgungsleistungen, welche zu einem großen Teil „extern“ (oder im Ausland) aufgebracht worden sind. Langfristiges Ziel – um die Am-peldarstellung Richtung grün zu ver-ändern – ist die Übereinstimmung zwischen dem Ökologischen Fußab-druck Deutschlands im Verhältnis zur selbst verfügbaren Biokapazität.

Es handelt sich um einen sehr umfas-senden Indikator. So wären Verbesse-rungen nur zu erzielen, wenn an den beiden großen Polen der Umweltbe-lastung gleichzeitig angesetzt würde: Dies sind einerseits die Produktions- und andererseits die Konsumseite. Folglich spielen diejenigen Branchen eine maßgebliche Rolle, die Natur und Umwelt besonders intensiv beanspru-chen, etwa im Bereich der Erzeugung

von Feldfrüchten und insbesondere von tierischen Produkten, im Chemie-bereich die Herstellung von Plastikpro-dukten sowie die Branchen Kohle und Öl, aber auch Eisen und Stahl.

Auf der Konsumseite sind dies die zentralen Bereiche Wohnen, Ernäh-rung und Mobilität. Besonders eine tendenzielle Zunahme der Vereinze-lung, erkennbar in einer steigenden Anzahl von Single-Haushalten, geht einher mit größerer Wohnfläche und steigendem Aufwand für Strom und Heizung. Insgesamt stiegen außerdem die Konsumausgaben der privaten Haushalte von rund 1,4 Billionen Euro im Jahr 2011 auf 1,5 Billionen Euro im Jahr 2014. Damit einher ging auch eine Zunahme der Fahrzeugdichte; sie beträgt inzwischen über 530 Pkw je 1.000 Einwohner.

Programme zur Steigerung der Res-sourceneffizienz sowie der Kreislauf-wirtschaft und Ansätze einer „shared economy“ oder immaterieller Kons-umstile einschließlich einer Verände-rung des Ernährungsstils, würden den Fußabdruck senken. Anreize könnten auch durch die Stärkung der Produkt-verantwortung der Hersteller, verlän-gerte Garantiezeiten oder eine Res-sourcenabgabe gesetzt werden, mit denen die externen Kosten des Res-sourcenverbrauchs stärker internali-siert würden.

Durch Investitionen in das Naturkapi-tal, insbesondere den Erhalt von Öko-systemen und wertvollen Flächen ein-schließlich von Programmen zur Pflege des Naturkapitals, würde sich außer-dem die in Deutschland verfügbare Bi-okapazität erhöhen, ebenso durch Be-mühungen, die eine weitere Intensi-vierung der Landnutzung oder Umwid-mung landwirtschaftlicher Flächen verhindern.

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I 2 – Nachhaltigkeitsindikator für die Ar-tenvielfalt

Auch der zweite ökologische Kernindi-kator befindet sich in einem unzu-reichenden, mit „rot“ bewerteten Sta-tus, da er 2011 sich auf dem niedrigs-ten bislang dokumentierten Niveau befindet und während der letzten zehn Jahre sich erkennbar verschlech-tert hat. Die im Kontext der Nachhal-tigkeitsstrategie der Bundesregierung vorgegebene erste Zielsetzung zur Ar-tenvielfalt für das Jahr 2015 wird drastisch verfehlt werden. Besonders der Teilindikator, der sich auf den Le-bensraumtyp Agrarlandschaft bezieht, neigt seit Jahren zur Verschlechterung. Soweit erkennbar, soll nun offensicht-lich für das Jahr 2030 der Index-Ziel-wert von 100 erreicht werden (vgl. Bundesregierung 2017, 39).

Eine „Agrarwende“, verbunden mit ei-ner erheblich reduzierten Ausbringung von Düngemitteln, insbesondere mi-neralischem Stickstoff, und Pflanzen-schutzmitteln sowie einer geringeren Nutzungsintensität von Böden43 und Vermeidung von Grünlandumbruch gehört auf die politische Agenda, wenn es um eine übergreifende Sicht von Wohlstand geht – also unter Ein-schluss des biologischen Reichtums, der Biodiversität und des Funktionser-halts von Ökosystemen.

Insgesamt zeigt sich hier auch die „Rückseite“ von Bautätigkeiten, ver-bunden mit Versiegelungen und Flä-chenzerschneidungen. Das Thema des Flächenverbrauchs – genaugenommen handelt es sich dabei um einen Entzug von Flächen aus ökologischen Kreis-läufen – ist ungelöst und bedarf neuer politischer Initiativen, insbesondere

43 Ein Indiz ist der zunehmende Export von Nahrungsmit-teln aus Deutschland, im Zuge des Leitmotivs einer Grö-ßenausweitung („economy of scales“) von Produktions-verfahren und agrarwirtschaftlichen Betrieben.

auch auf kommunaler Ebene, bei-spielsweise durch neue Vorgaben bei Umweltverträglichkeitsprüfungen. Auch in Siedlungsgebieten können durch eine entsprechende Planung und Gestaltung von Gebäuden und Freiflächen Beiträge zum Erhalt der Ar-tenvielfalt geleistet werden. Schließ-lich findet der Bundesverkehrswege-plan angesichts seiner erheblichen Auswirkungen auf die Qualität von Na-tur und Landschaft nur wenig kritische Kommentare.

I 3 – Einkommensverteilung S 80: S 20-Relation

Die zunehmende Einkommensun-gleichheit hat inzwischen das Poten-zial zu einem sozialen Konflikt, der bislang bereits latent vorhanden war. Die geringfügige Verbesserung des letzten Wertes hat dieses Problem we-der in der gesellschaftlichen Realität noch in deren Wahrnehmung verbes-sert. Politische Empfehlungen müssen in diesem Bereich vielschichtig und differenziert sein. Stichworte sind Mindestlohnsicherung; Erhöhung der unteren Renten; Entlastung unterer Einkommen, gegenfinanziert durch eine stärkere Progression in der Ein-kommensbesteuerung bei höheren Einkommen;44 stärkere Tarifbindung von Beschäfti-gungsverhältnissen respektive Aus-weitung von Tarifverträgen und Ein-dämmung atypischer zugunsten sozi-alversicherungspflichtiger Beschäfti-gungsverhältnisse. Hier bestehen fer-ner Anknüpfungspunkte zu einer hö-

44 Bislang greift der höchste Steuersatz bereits bei mittle-ren Einkommen und bleibt bei den wirklich hohen Ein-kommen aber konstant.

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heren Durchlässigkeit des Bildungssys-tems und zum Abbau von Beschäfti-gungshemmnissen bei Frauen.

Eine sich ausbreitende Ungleichheit hat neueren Untersuchungen zufolge selbst negative Folgen für die wirt-schaftliche Entwicklung. Dieser Befund wird mittlerweile sogar vom Internati-onalen Währungsfonds als kritisch ge-sehen. Empfohlen wird ein steigendes Einkommen im Bereich der unteren Gruppierungen und der Mittelklasse, da ein dauerhaftes Wirtschaftswachs-tum nur bei einer gerechteren und in-sofern steigenden sozialen und öko-nomischen Gleichheit gewährleistet werden könne.45

Hier zeigt sich, dass sehr unterschied-liche Akteure eine Rolle spielen und Unternehmen, Gewerkschaften und der Staat gleichermaßen in der Pflicht stehen. Ein interessantes zusätzliches Handlungsfeld ist die Förderung ge-nossenschaftlicher Produktion, da hier die Partizipation an erwirtschafteten Gewinnen eine größere Bedeutung hat.

I 4 – Bildungsindex

Der Index befindet sich in einem „gelb“ bewerteten Zustand, bei sich verbessernder Tendenz.

Politische Maßnahmen beträfen die Förderung „bildungsferner Schichten” und nun auch verstärkt von Migranten und Flüchtlingen, verstärkte Durchläs-sigkeit von Bildungsgängen sowie die Förderung des Aufbaus weiterer be-rufsbegleitender Bildungsgänge (vgl. auch Thöne & Krehl 2015) sowie ein

45 Zu den errechneten positiven Wirkungen von zuneh-mender Gerechtigkeit und zunehmendem Wachstum der Weltwirtschaft siehe im Detail IMF (2015).

verbessertes Angebot an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Zielfüh-rend wären auch eine stärkere Förde-rung von Programmen wie „Bildung für Nachhaltige Entwicklung” und de-ren Integration in formale Bildungs-gänge. Die erwartbaren Vorteile für das Wohlstandsniveau in Deutschland las-sen sich wie folgt umschreiben: In der Regel höheres Einkommen, mehr Achtsamkeit auf gesundheitliche Be-lange, tendenziell geringere Krimina-litätsneigung und größeres Interesse an politischer Partizipation. Positive Korrelationen zum wirtschaftlichen Wachstum und zu (meist technischen) Innovationen scheinen ebenfalls, auch international, mit einem qualitativ gemessenen Bildungsniveau einher-zugehen.

I 5 – Nettoinvestitionsquote

Der Indikator wird mit einer roten Am-pel bewertet, in den letzten Jahren hat sich in der Tendenz nicht viel verän-dert, deswegen zeigt der Pfeil waag-recht. Intendierte Verbesserungen sind teilweise klar mit unterschiedlichen privaten Interessen verbunden:

Gefordert werden traditionellerweise von Arbeitgeberseite wirtschaftspoliti-sche Maßnahmen, die die Rentabilität kleiner und mittlerer Unternehmen verbessern: Steuererleichterungen, Subventionen, Verbesserung der Au-ßenhandelsbedingungen. Eine zweite Sicht verknüpft Investitionsförderung direkt mit dem Arbeitsplatz-Argument: Gerade dort sollen Investitionen er-leichtert werden, wo durch das Enga-gement neue Arbeitsplätze entstehen.

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Eine andere Orientierung könnte Poli-tiken zur Verbesserung der Nettoinves-titionen mit strukturpolitischen Über-legungen verbinden, die die Investiti-onsbedingungen vor allem in einer „green economy“ fördern (siehe auch Kernindikator 6), mit anderen Worten: Investitionserleichterungen in jenen Wirtschaftsbereichen realisieren, von deren eine zukunftsfähige Ökonomie besonders profitiert. Ordnungspoliti-sche Maßnahmen spielen hierbei durchaus eine wichtige Rolle, zu ihnen gehören anspruchsvolle Ziele bei der Energieeffizienz und Ressourcenein-sparung und eine zielgerichtete Be-preisung von Umweltverbrauch im Rahmen einer Weiterentwicklung der ökologischen Finanzreform oder über einen CO2-Mindestpreis.

Zudem könnten auf Seiten öffentlicher Haushalte entsprechende Investitio-nen durch Förderprogramme und an-dere, indirekte Maßnahmen begüns-tigt werden, wie z.B. steuerliche Be-günstigungen von Ausgaben für For-schung und Entwicklung und gezielt verbesserte Abschreibungsmöglichkei-ten für besonders energieeffiziente In-vestitionen. Fördernd für die private Investitionstätigkeit wirken auch öf-fentliche Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Infrastruktur.

I 6 – Anteil von Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung

Handlungsfelder sind hier vor allem eine gezielte Förderung der Produktion von Umweltschutzgütern. Das sollte auch die Gestaltung der Exportmärkte berühren, etwa durch die komplette Umorientierung der Subventionen ein-schließlich von Hermes-Bürgschaften nach „grünen” Kriterien sowie eine

verstärkte Kooperation zwischen Wirt-schaft und den entsprechenden Mini-sterien mit Akteuren im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Die Ausarbeitung einer entsprechenden Strategie bietet sich nun angesichts der Ergebnisse der Pariser Klimaver-handlungen und den Vorgaben durch die im Herbst 2015 verabschiedeten weltweiten Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) an. Insofern wäre die „grüne“ Bewer-tung des Indikators kein Hindernis, den Anteil der Umweltschutzgüter weiter zu erhöhen; denkbar ist in die-sem Zusammenhang eine „Dynamisie-rungsklausel“ mit intendierten pro-zentualen Steigerungsraten. Eine sol-che umweltpolitische Vorgabe könnte zumindest als Orientierung und staat-liche Signalwirkung für die wirtschaft-lichen Akteure fungieren.

Generell geht es dabei um eine Steige-rung des Anteils der Umweltschutzgü-ter an der Produktion insgesamt. Dies kann im Kontext einer Umorientierung hin zu einer „Grünen Wirtschaft“ ein wichtiger Baustein sein. Um die Wett-bewerbsfähigkeit nachhaltiger Pro-dukte zu verbessern und zu sichern – etwa im Bereich Erneuerbare Energie oder Kreislaufwirtschaft – sollte ein umfassender industriepolitischer An-satz verfolgt werden, der eine stärkere Internalisierung externer Kosten, die Förderung zukunftsfähiger Technolo-gien und Geschäftsmodelle sowie die Durchsetzung hoher Klimaschutz- und Umweltstandards in internationalen Handelsverträgen umfasst.

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I 7 – Gesunde Lebensjahre

Die Ampel zeigt hier eine gelbe Farbe, bei in letzten Jahren leicht zurückge-hender Entwicklungstendenz. Men-schen leben, über die Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachtet, zwar deutlich länger, der Zugewinn setzt sich aber nicht in einen entsprechen-den Anstieg der gesunden Lebensjahre um. Dabei nivelliert sich auch der Un-terschied zwischen Männern und Frauen; letztere haben bekanntlich eine deutlich höhere Gesamtlebenser-wartung als Männer. Chronische Er-krankungen, Gebrechlichkeit, körper-liche Behinderungen und psychische Störungen sind in höherem Alter stär-ker verbreitet; die damit einhergehen-den Belastungen wirken sich auch auf das Gesundheits- und das Rentensys-tem aus.46

Mit der Indikation der gesunden Le-bensjahre ist auch eine Neuorientie-rung der Gesundheitspolitik inten-diert: Gesundheits- und Versorgungs-systeme sollen sich hier insbesondere auch auf Vorsorgesysteme und die För-derung von „aktivem Altern“ konzent-rieren. Die Zugänglichkeit sowie die Qualität und die Nachhaltigkeit von Gesundheitsdienstleistungen müssen hier weiter verbessert werden (Euro-päische Kommission 2016). Erreicht

46 Eurostat (Hrsg.) (2016): Statistiken über gesunde Le-bensjahre. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Healthy_life_years_statistics/de

werden soll damit eine Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen und nicht zuletzt eine Entlastung der Pflegesysteme.

I 8 – Governance Index

Der Governance Index wird im inter-nationalen Vergleich mit „grün“ be-wertet, obwohl er gerade im letzten Jahr wieder einen deutlichen Rück-gang aufweist. Dennoch ließen sich auch hier Empfehlungen für eine Sta-bilisierung oder sogar für eine weitere Verbesserung ableiten: Dazu gehören Maßnahmen zur Gewaltprävention und weiterhin Bemühungen zum Bü-rokratieabbau und zur Vereinfachung von Verwaltungsstrukturen. Gleichfalls hilft eine Erweiterung der Kapazität von Gerichten, um die Zeit zwischen Anklage und Verfahren zu verringern beziehungsweise Zivilgerichtsverfah-ren zu beschleunigen. Zu betonen ist außerdem die Bedeutung von Anti-Korruptionsmaßnahmen auch in Deutschland, nicht zuletzt im Kontext einer Bekämpfung von zunehmender Banden- und organisierter Kriminali-tät.

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5.2. ZUSAMMENFASSUNG

Die folgende Abbildung 14 greift die Idee einer Visualisierung in Form eines sogenannten „Dashboards“ auf. Ziel ist eine übersichtliche Anordnung aller Kernindikatoren in Analogie

zu einem Instrumentenpult oder einem Flug-zeugcockpit, um alle wesentlichen Informatio-nen auf einen Blick zu vermitteln:

Abb. 14: Kernindikatoren des Wohlstandsberichts 2017 als Dashboard-Übersicht (eigene Darstellung)

K1: Ökologischer Fußabdruck K2: Index Artenvielfalt und Landschafts-qualität

K3: S 80:S20 - Relation der Einkommensver-teilung

K4: Bildungsindex

K5: Nettoinvestitionsquote K6: Anteil von Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung

K7: Gesunde Lebensjahre K 8: Governance Index Die Abbildung 14 gibt alle Kernindikatoren des Jahreswohlstandsberichts wieder, beginnend mit den Indikatoren auf der linken Seite, welche eine negative Ausprägung besitzen.

Sie zeigt ganz rechts diejenigen Indikatoren, welche eine grüne Farbmarkierung besitzen und zudem eine sich verbessernde Entwicklung zeigen, weshalb der Pfeil nach oben weist.

• Es überrascht zunächst, dass in Deutsch-land der Wohlstand gerade durch die bei-den Indikatoren der ökologischen Dimen-sion negativ beeinträchtigt wird – trotz

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der Erfolge im Umweltschutz bei den Um-weltproblemen der „ersten Generation”: Luft-, Wasser-, Bodenverschmutzung, Abfallbeseitigung. Das deutet darauf hin, dass die bisherigen ökonomischen Aktivi-täten – selbst bei begrenztem Wirt-schaftswachstum – weitere Gefährdungen hervorbringen werden; die Divergenz zwischen Inanspruchnahme der Umwelt und der ökologischen Basis ist zu hoch (Indikator 1). Dies macht sich auch beim Nachhaltigkeitsindikator für die Arten-vielfalt und Landschaftsqualität bemerk-bar, der eine weitere ökologische Ver-schlechterung in den unterschiedlichen Lebensräumen signalisiert und letztlich auch das vorhandene „Naturkapital“ un-tergräbt (Indikator 2). Die Folgen sind be-reits aus umweltethischer Sicht bedenk-lich, aber ein Verlust von Tier- und Pflan-zenarten senkt über kurz oder lang auch die Umwelt- und Lebensqualität der Men-schen. Mit anderen Worten: Deutschland trägt erheblich dazu bei, dass die zukünf-tige Einhaltung der planetaren ökologi-schen Grenzen in Gefahr ist. Hierzu gehö-ren im Übrigen der Stickstoffkreislauf so-wie Emissionen von Treibhausgasen. Im Bereich der ökologischen Dimension sind also beide Indikatoren ganz beträchtlich von den jeweiligen Zielsetzungen ent-fernt.

• Politischer Handlungsbedarf wird weiter-hin durch die Entwicklung der Indikatoren der sozialen Dimension angezeigt. In Deutschland nahm die Ungleichverteilung der Einkommen seit 2005 besonders stark

zu, auch im internationalen Vergleich. Von zahlreichen Studien ist bekannt, dass sich eine starke Ungleichverteilung auf sehr viele andere gesellschaftlichen Fra-gen signifikant negativ auswirkt, ein-schließlich des Vertrauens in die gemein-schaftlichen und staatlichen Institutionen sowie die Legitimation der demokrati-schen Prozesse.

Hier könnte ein Kernproblem der ökonomi-schen Entwicklung liegen, dass durch das Geld- und Finanzsystem weiter verstärkt wird und bei dem – wie auch bei den ökologischen Indikatoren – ein auf lange Frist angelegtes politisches Programm nötig sein wird.

Die Indikatoren der ökonomischen und der ge-sellschaftlichen Dimension schneiden im Ver-gleich zu den vorgenannten Dimensionen teil-weise deutlich besser ab. Im Sinne einer Bei-behaltung des hohen Niveaus, aber auch einer Steigerung unter Wohlstandsgesichtspunkten signalisieren die Indikatoren gleichzeitig Handlungspotenzial, beispielsweise im Bereich wirtschaftlicher Innovation und einer weiteren Erhöhung des Anteils hergestellter Umwelt-schutzgüter sowie entsprechender Dienstleis-tungen.

Zu hoch sind hier jedoch nach wie vor einige der erfassten Begleit- und Folgekosten der bis-herigen wirtschaftlichen und sozialen Ent-wicklung in Deutschland, welche das Wohl-standsniveau faktisch untergraben und die Frage nach einer Umsteuerung auf die politi-sche Agenda heben.

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6. KONTROLLINDIKATOR ZUR PROBLEMATIK DER VERSCHULDUNG

Kaum ein volkswirtschaftliches und gesell-schaftspolitisches Problem wird so kontrovers diskutiert wie die Frage des Umgangs mit De-fiziten: Ist eine weiter steigende Verschuldung oder Schuldenabbau angebracht? Hier stehen sich zwei wirtschaftstheoretische Grundhal-tungen gegenüber - die keynesianisch be-gründete antizyklische Konjunkturpolitik, die in Zeiten von Wirtschaftskrisen durch „deficit spending“ die Wirtschaft wiederbeleben will, und eine Austeritätspolitik, die durch Um-strukturierungs- und Anpassungsmaßnahmen gerade in Zeiten von Krisen Schulden abbauen möchte, um die Haushalte von Zinslasten zu befreien. Ob Schulden Teil des Problems oder Teil der Lösung sind, ist besonders am Beispiel Griechenlands und den südlichen europäi-schen Staaten umstritten. Eine zweite gegen-sätzliche Politikfront manifestiert sich in der Haltung der USA und der Position Deutsch-lands zur Frage der (weiteren) Verschuldung staatlicher und wirtschaftlicher Akteure.

Unbestritten ist, dass Schulden für Investitio-nen in sehr vielen Fällen notwendig und auch erwünscht sind, denn sonst würde sich die Investitionstätigkeit auf die Anlage eigener Gewinne oder des Eigenkapitals beschränken. Kreditmärkte üben eine für alle Wachstums-prozesse maßgebliche Allokationsfunktion aus, indem hier die Anlagewünsche von Kapi-taleignern mit den Finanzierungswünschen von Investoren zusammenkommen – was nur über Verschuldung möglich ist. Das von vielen Ökonomen postulierte Leitmotiv lautet, dass es in einer freien Marktwirtschaft ohne Schul-den kein Wachstum gäbe. Nur dann kann der so genannte „positive Schuldenzyklus“ gelin-gen, wenn nämlich die Unternehmer durch ihre kreditfinanzierten Investitionen mehr Geld verdienen, als sie in Form von Tilgung und Zinsen an die Gläubiger zurückzahlen

müssen. Genau diesem Mechanismus ver-dankt sich die Akzeleration von Wachstums-prozessen, die möglich werden, wenn die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen dies zulassen.

Verbesserungen bei der Entwicklung des Wohlstands in einer Gesellschaft sind – in dieser Perspektive – dann nicht nachhaltig, wenn sie durch eine Verschuldung zustande kommen, die in einer angemessenen Zeit nicht wieder abgebaut werden kann. Deswe-gen ist es wichtig, zu überprüfen, ob mit den Entwicklungen in den vier Dimensionen des Wohlstandsberichtes eine entsprechende Ver-änderung in der Verschuldung der Gesell-schaft insgesamt einhergeht. Denn wie die letzten Wirtschaftskrisen in den 2000er Jahren gezeigt haben, ist es eben nicht immer „nur“ die Verschuldung der Öffentlichen Haushalte, von denen bedrohliche Verschuldungskrisen ausgehen – Ausgangspunkt können auch die privaten Haushalte oder der Unternehmens-sektor sein.

Als Beispiel seien hier die von „Immobilien-preisblasen“ ausgehenden Krisen genannt, wie sie in den USA, Irland oder Spanien zu beobachten waren. So kann sich die Einkom-mensverteilung in Zeiten eines Immobilien-booms zwar verbessern. Wenn dieser Boom aber lediglich auf eine massive Zunahme der Verschuldung von privaten Haushalten oder Unternehmen zurückzuführen ist und durch plötzlich steigende Zinsbelastungen die „Im-mobilienpreisblase“ dann platzt, kann es zur Katastrophe kommen: Schuldner können ihre Kreditlasten nicht mehr bedienen – und er-halten dann beim folgenden Zwangsverkauf ihrer Immobilie nur noch ein Bruchteil des Preises, den sie in Zeiten des Booms selbst bezahlt hatten. Auch viele Unternehmen kön-

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nen dann in die Lage kommen, Insolvenz an-melden zu müssen; diese Entwicklungen kön-nen dann zusammen dazu führen, dass Ban-ken in Schieflage geraten und große volks-wirtschaftlichen Verwerfungen mit starken negativen Auswirkungen entstehen, die sich dann auch in einer massiven Verschlechterung der sozialen und gesellschaftlichen Indikato-ren ausdrücken.

Die steigende Verschuldung im privaten Sektor der USA oder in Spanien schien so lange ab-gesichert, als dieser Verschuldung reale Werte gegenüberstanden: eben Immobilien, die zu den hohen Marktpreisen bewertet wurden. Die fallenden Häuserpreise in den USA lösten dann aber die sogenannte „Subprime-Krise“ aus. Von dieser Krise gingen weltweite Schockwellen aus, Hypothekenbanken und schließlich der gesamte Bankensektor wurden erfasst. Im Zuge der Übernahme umfangrei-cher Bankenrisiken wurden private Risiken sozialisiert und belasteten die Staatshaushalte vieler Länder in extremer Weise.

Zur Situation in Deutschland

Letztlich blieb auch Deutschland nicht völlig verschont. Jedoch steht Deutschland zumin-dest von den Auswirkungen her noch nicht im Zentrum der soeben skizzierten Risiken und Spannungsverhältnisse. Dennoch kämpfen in Deutschland viele private Haushalte mit Schulden. Jeder zehnte Bundesbürger hat fi-nanzielle Probleme bei der Schuldentilgung. Betroffen sind ca. 6,85 Millionen Menschen.

Für eine differenzierte Sicht nach wirtschaftli-chen Akteuren sei auf Abbildung 15 (nachfol-gende Seite) verwiesen: In Deutschland ist die Verschuldung des Öffentlichen Gesamthaus-halts bis 2012 kontinuierlich angestiegen und blieb bis 2014 nahezu unverändert; 2015 hat es seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder ei-nen Rückgang gegeben. Die Verschuldung der Unternehmen ist im letzten Jahrzehnt eben-falls angestiegen, unterbrochen von einem kleinen Rückgang zu Zeiten der Finanzkrise. Die Verschuldung der privaten Haushalte blieb im selben Zeitraum nahezu unverändert.

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Abbildung 15: Entwicklung des Verschuldungsgrades unterschiedlicher Akteure bis 2015

In wirtschaftswissenschaftlichen Darstellun-gen üblich ist es, die Verschuldung auf das Bruttoinlandsprodukt zu beziehen – damit soll ausgedrückt werden, dass ein Land mit einem höheren BIP sich auch eine höhere Verschuldung „leisten“ kann, da es durch seine Wirtschaftskraft auch leichter in der Lage wäre, den Schuldendienst aus Tilgung und Zinslasten zu bedienen. Diese Annahme liegt auch den Maastricht-Kriterien zugrunde, denen zufolge die Staatsschulden nur einen bestimmten Anteil des BIP betragen sollen. Die Übertragung der Schuldenrelation zum BIP auf die Gesamtverschuldung könnte sich aber als höchst problematisch erweisen, einfach

schon deswegen, weil der Handlungsspiel-raum privater Akteure mit dem der öffentli-chen Institutionen nicht vergleichbar ist. Ge-nerell gilt jedoch, dass die Verwendung des BIP als derart entscheidende Bezugsgröße die Gefahr birgt, alle die falschen Steuerungssig-nale mit zu transportieren, derentwegen im vorliegenden Bericht der Nationale Wohl-fahrtsindex als Bezugsgröße gewählt wurde und nicht das BIP: Auch hier zeigt sich, dass eine Orientierung am BIP als Wohlstandsmaß missverständliche Konsequenzen haben könnte.

Dies zeigt die folgende Abbildung 16 auf deutliche Weise. Hier wurde normiert auf das Jahr 2010 = 100 die Entwicklung der Relation

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der Gesamtverschuldung zum BIP (rote Linie) gegenübergestellt zur Relation der Gesamt-verschuldung zum NWI (grüne Linie). Die Rela-tion zum BIP weist ihren Höchstwert im Jahr 2010 auf – zufällig im Normierungsjahr. Die Entwicklung ist bis 2012 eher uneinheitlich, ohne klare Richtung, danach setzt ein deutli-cher Rückgang ein, und 2015 erreicht die Zeitreihe ihren bis dato niedrigsten Wert.

Ganz anders sieht die Relation der Gesamt-verschuldung zum NWI aus: Hier weist die Zeitreihe am Beginn, im Jahre 2005, den niedrigsten Wert auf und erreicht ihr bisheri-ges Maximum nach fast kontinuierlichem An-stieg im Jahr 2013. Aufgrund des Time-lags bei der Berechnung des NWI wird der Wert dieser Zeitreihe für das Jahr 2015 erst ab April 2017 verfügbar sein.

Abbildung 16: Gesamtverschuldung im Verhältnis zu BIP und NWI

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Mit der Ausweitung der Betrachtung auf die Gesamtverschuldung einerseits und mit der Gegenüberstellung der Verschuldungsrelation zu BIP und NWI andererseits wird deutlich, dass es eines Perspektivenwechsels bedarf, wenn man die Verschuldung als Kontrollindi-kator zur Betrachtung des gesamtgesellschaft-lichen Wohlstands hinzunehmen möchte.

• Erfolgte unter Wohlfahrtsgesichtspunkten durch das wirtschaftliche Wachstum gleichzeitig ein Substanzverzehr der Ver-gangenheit in Form von fossilen Brenn-stoffen, Rohstoffen und Naturkapital ein-schließlich der Übernutzung von beste-henden Ökosystemen, so kommt durch

eine nicht nachhaltige Verschuldung ein Substanzverzehr der Zukunft hinzu, im doppelten Wortsinn durch „kapitale“ Schulden, welche zukünftig zu Buche schlagen werden.

• Die Zinsbelastung scheint gegenwärtig zwar beherrschbar. Aber angesichts des absoluten Schuldenniveaus, nicht nur bei Staaten, sondern auch bei Unternehmen und privaten Haushalten, bedeuten Zins-steigerungen neue drastische Risiken, deren potenzielle Auswirkungen gerade mit Blick auf den gesamtgesellschaftli-chen Wohlstand im Sinne des vorliegen-den Berichtes bislang zu wenig diskutiert zu werden.

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7. DER JAHRESWOHLSTANDSBERICHT IM KONTEXT NEUER GESELLSCHAFTLICHER BERICHTSMODELLE

Alternative Wohlstands- und Wohlfahrtsmo-delle – einschließlich alternativer Indikato-ren- und Gesamtrechnungsansätze – sind auf der Ebene der Ministerien und regierungsamt-lichen Entscheidungsträger inzwischen zwar bekannter, aber scheinen angesichts der be-stehenden Interessenlagen kaum in Entschei-dungsprozesse einzufließen.47 Dies gilt gleichermaßen für Deutschland wie für Eu-ropa, denkt man an die Prioritäten der Euro-päischen Kommission mit ihren klassischen wachstumsfördernden Konjunkturprogram-men und der Initiative zur Etablierung einer „wirtschaftspolitischen Steuerung“ im Rahmen des so genannten „European Semester“.48

Gleichzeitig läuft aber der internationale Dis-kussionsprozess zu einem alternativen Ver-ständnis von Wirtschaftswachstum (Stichwort: „Beyond GDP“) weiter; ihm haben sich die Or-ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung49, die Weltbank mit ihrem Konzept des “Total Wealth“50 und das Um-weltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP)51 angeschlossen.

Im Kontext der internationalen Bemühungen zum Erhalt von Biodiversität werden nun Kon-zepte entwickelt, um den Wert von Natur und von Ökosystemen sowie deren „Dienstleistun-gen“ anzuerkennen und sich von einem rein ökonomischen Wachstum abzusetzen, so bei der Convention of Biological Diversity 2010

47 Siehe hierzu beispielsweise Forderungen im neuen Um-weltprogramm des BMUB (2016, S. 23).

48 Das “European Semester” bezeichnet einen festgesetz-ten Rhythmus im Jahr, in dem Richtlinien zur Politik der einzelnen Mitgliedsstaaten von der EU empfohlen wer-den. Dieser standardisierte Prozess der ökonomischen “Steuerung” ist dabei stark am Leitindikator Wachstum des BIP orientiert (vgl. European Commission 2015).

49 Siehe hierzu die Webseite der OECD: http://www.oecd.org/statistics/measuring-well-being-and-progress.htm

(Stichwort Aichi-Target 2). Sogar die Weltbank, die sich seit einigen Jahren mit einem erwei-terten Wohlfahrtsverständnis unter Einbezie-hung von Naturkapital und sozialem Kapital befasst, unterstützt eine internationale Initia-tive der Wohlstandsbilanzierung und Bewer-tung von Ökosystemdienstleistungen („Wealth Accounting and Evaluation of Ecosystem Ser-vices“).52

Aufbauend auf dem System der umweltökono-mischen Bilanzierung (englisch abgekürzt: SEEA) haben die Vereinten Nationen diesen An-satz erweitert, um eine experimentelle Vari-ante mit der etwas komplizierten Bezeichnung „System of Environmental-Economic Ac-counting – Experimental Ecosystem Accounts (SEEA-EEA).

Übergreifende Motivation für die Abkehr von Berichtsformen der traditionellen Ökonomie und insbesondere für eine ökosystembezogene Erweiterung sogar der umweltökonomischen Bilanzen ist die Erkenntnis, dass im Zuge von menschlichen Aktivitäten die Degradierung der Funktionsfähigkeit natürlicher Ökosysteme und deren Potenziale ein Ausmaß annimmt, welches sich einerseits auf die Biodiversität negativ auswirkt und in der Folge auch die Wirtschaft selbst beeinträchtigt (ausführlicher hierzu „The Economics of Ecosystems and Bio-diversity“ TEEB 2010; Convention on Biological

50 “It certainly could be argued that the fundamental duty of government is to ensure that its policies lead to increases in social welfare”, World Bank 2011, S.4.

51 Die ‚UN Statistical Commission Friends of the Chair Group on Broader Measures of Progress‘ (FOC) hat 2015 eine Umfrage zu nationalen Erfahrungen mit alternativen Wohlfahrtsindikatoren in Auftrag gegeben.

52 Weiterführend hierzu siehe URL: https://www.waves-partnership.org/

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Diversity; TEEB-Deutschland 2015; bemer-kenswert auch der WWF 2015).53

Die Arbeit der Enquête-Kommission „Wachs-tum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deut-schen Bundestages ist in diesem Zusammen-hang ebenfalls hervorzuheben, da nach dem Einsetzungsbeschluss der Kommission im Deutschen Bundestag ein explizites Ziel in der Entwicklung eines gegenüber dem BIP weiter-reichenden Indikators bestand.54 Die Einrich-tung der Kommission war international gese-hen einzigartig, da sich bislang in keinem an-deren Land ein so hochrangiges parlamentari-sches Gremium mit Wirtschaftswachstum und den damit korrespondierenden Problemlagen befasst hat. Als jedoch mit der Vorlage von ei-nem Mehrheits- und zwei Minderheitenvoten schließlich drei konkurrierende Indikatoren-sätze gegenüber Politik und Öffentlichkeit um Aufmerksamkeit rangen, wurde die Chance verpasst, mittels neuer Indikatoren ein Zeichen für die Zukunft zu setzen. Eine günstige Aus-gangssituation konnte so nicht genutzt wer-den.

Die Idee eines Jahreswohlstandsberichts stellt vor diesem Hintergrund eine neue Initiative dar. Nachträglich und indirekt ließe sich so auch das ursprüngliche Anliegen der Kommis-sion fortführen und präzisieren.

Insgesamt scheint es einen Trend in mehreren Ländern und auf der internationalen Ebene zu geben, subjektive Indikatoren und Messungen zur Zufriedenheit verstärkt auf die statistische Agenda zu bringen. Häufig bieten die bekann-ten Studien von Stiglitz/Sen/Fitoussi (Commis-sion on the Measurement of Economic Perfor-mance and Social Progress) von 2009 und die Arbeiten des britischen Ökonomen Layard (2005) die argumentative Grundlage für ent-sprechend neue und durchaus aufwändige Er-

53 Näheres hierzu unter: The Economics of Ecosystems and Biodiversity: http://www.teebweb.org/ Zur CBD unter http://www.cbd.int/ Zu TEEB-Deutschland: http://www.natur-kapital-teeb.de/aktuelles.html Indessen gibt es auch ver-mehrt Kritik an einer „Neuen Ökonomie der Natur“, wel-che über solche Bewertungen die Tür zu einer neuen Ver-wertung öffnen könnte, siehe beispielsweise

hebungen. Dolan/Layard/Metcalfe (2011) kon-statieren ein steigendes Interesse an Messun-gen des subjektiven Wohlbefindens weltweit, das unter anderem auch durch die Material- und Datensammlung der „World Data Bank of Happiness“ dokumentiert wird.

Die entscheidende Frage ist jedoch, ob diese neue Entwicklung letztlich eine Ergänzung bis-heriger Indikatoren einer ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit darstellt oder dann unabhängig davon eine eigene statistische Er-fassungslandschaft entsteht. Die OECD zumin-dest hat bei ihrem „Better-Life“-Index er-kannt, dass die Gewährleistung eines nachhal-tigen Wohlbefindens der Bevölkerung auf Dauer auch eine Erhaltung und Förderung des Sozialen Kapitals und des Naturkapitals impli-zieren muss (Durand 2014).

Ein positives Beispiel stellen inzwischen die Bemühungen des Schweizerischen Eidgenössi-schen Departments des Innern und des Bun-desamts für Statistik dar. Der dortige Bundesrat hatte 2010 im Rahmen des Bundesratsbe-schlusses zum Thema „Grüne Wirtschaft“ den Auftrag erteilt, das BIP mit weiteren Indikato-ren zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung zu ergänzen. Dieser Auftrag wurde dann im „Aktionsplan Grüne Wirtschaft 2013“ konkretisiert. 2014 ist erstmals ein umfangreiches „Indikatorensys-tem Wohlfahrtsmessung“ vorgelegt worden; es deckt sich in weiten Teilen mit den Intentionen des vorliegenden Jahreswohlstandsberichts und kann dabei – aufgrund des unmittelbar verfügbaren Datenpools und den Kapazitäten einer statistischen Behörde – über ein be-trächtliches Spektrum an Themenbereichen berichten (ausführlich hierzu: BFS 2014). In-zwischen ist Ende 2016 eine erste Aktualisie-rung erfolgt (BfS 2016).

Fatheuer/Fuhr/Unmüßig: Natur oder Naturkapital? In: Kri-tik der Grünen Ökonomie 2015.

54 Vgl. Deutscher Bundestag, Bundestagsdrucksache 17/3853, S. 3.

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8. AUSBLICK

Der Jahreswohlstandsbericht soll jährlich zeit-nah mit dem Jahreswirtschaftsbericht veröf-fentlicht werden. Dabei sollen die Kernindika-toren regelmäßig fortgeschrieben und in ihrer Entwicklung analysiert werden.

Um eine neue Form gesellschaftlicher Bericht-erstattung zu etablieren, muss die Datenerhe-bung und statistische Erfassung der Indikato-ren in Zukunft auch von offizieller Seite unter-stützt und weiterentwickelt werden.

Dies ist ein zwar aufwändiges, jedoch kein utopisches Unterfangen, denn die Entwicklung im Bereich einer alternativen Berichterstattung schreitet gegenwärtig schnell voran. So erhält die Idee eines Jahreswohlstandsberichts bei-spielsweise durch neuere Arbeiten des Office for National Statistics in Großbritannien Unter-stützung. Das Amt zählt zu den führenden sta-tistischen Einrichtungen, die eine Erfassung des Wohlergehens systematisch vorzunehmen versuchen (ONS 2015) und auch im Bereich der Erfassung des vorhandenen Naturkapitals und des Naturerbes aktiv sind (ONS 2014, DE-FRA/ONS 2016).

Eine konkrete und machbare Version hat zu-dem die Schweiz mit ihrem Indikatorensystem Wohlfahrtsmessung vorgestellt, bei der die verschiedenen Aspekte der Schaffung, Vertei-lung und dem Erhalt von Wohlfahrt mit Daten aus den amtlichen Statistiken unterlegt wer-den.

Im internationalen Raum befasst sich der UN-Report „Inclusive Wealth“ mit den Herausfor-derungen einer umfassenderen Wohlfahrtsbi-lanzierung, unter Einschluss von Aspekten des Humankapitals und neueren Erkenntnissen zur Erfassung von Ökosystemdienstleistungen (UNU-IHDP and UNEP 2014).

Schließlich kann der Jahreswohlstandsbericht in zukünftigen Versionen die Diskussion über die internationalen „Sustainable Development Goals“ aufgreifen, welche im Herbst 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wur-den. Denn zu den 17 Zielen und 169 Teilzielen sind im Prinzip Monitoringsysteme erforder-lich, die teilweise noch aufgebaut werden müssten (Open Working Group 2014). Auch empfiehlt sich, die Indikatoren der bundes-deutschen Nachhaltigkeitsstrategie im Auge zu behalten, welche sich ab 2017 gleichfalls stär-ker an den SDGs ausrichten.

Längerfristiges Ziel der Arbeiten hier ist es da-her, den traditionellen Jahreswirtschaftsbe-richt und den Jahreswohlstandsbericht zu ei-ner neuen Berichtsform zu verschmelzen. Im konzeptionellen Sinne ermöglicht dies eine stärkere Orientierung der wirtschaftlichen Pro-zesse am Ziel gesellschaftlichen Wohlstands. Im empirischen Sinne geht es um eine Erwei-terung des Spektrums dafür geeigneter Indika-toren, die einer abgesicherten, amtlichen Er-hebung bedürfen, um über die Zeit aussage-kräftige Entwicklungen für Deutschland erken-nen zu können.

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ANLAGE: INDIKATORENKENNBLÄTTER

Im Folgenden wird eine Charakterisierung der bislang ausgewählten Kernindikatoren mittels eines formalisierten Kennblattes vorgenommen.

Das Indikatorenkennblatt erfüllt mehrere Funktionen:

• Es erlaubt eine detailliertere Darstellung des betreffenden Kernindikators im Kontext von ei-ner der vier relevanten Dimensionen sowie des Bezugs zu gesellschaftlicher Wohlfahrt.

• Es bildet die inhaltliche und methodische Grundlage für die Ausgestaltung des geplanten

Jahreswohlstandsberichtes.

• Die Fortschreibbarkeit in methodischer, datenmäßiger oder interpretativer Hinsicht wird er-

leichtert, was wiederum eine periodische Veröffentlichung der Kernindikatoren unterstützt.

• Weiterentwicklungen oder Veränderungen eines Kernindikators im Laufe der Zeit können

berücksichtigt werden, zugleich sind diese Modifikationen erkennbar.

• Mit den hier erstellten Angaben ist eine Transparenz und Nachvollziehbarkeit der einzelnen

Kernindikatoren gewährleistet, die für die Erstellung eines fundierten alternativen Jahres-wirtschaftsberichts für notwendig erachtet wird.

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I 1: ÖKOLOGISCHER FUSSABDRUCK IM VERHÄLTNIS ZUR BIOKAPAZITÄT

Indikator:

(Name)

Ökologische Dimension, Kernindikator 1

Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität

Relevanz und Inter-pretation

Der Ökologische Fußabdruck stellt eine ökologische Buchhaltung dar, wel-che den Verbrauch natürlicher Ressourcen mit der Kapazität vergleicht, die in dem entsprechenden Land zur Verfügung steht. Sie misst die Land- und Wasserfläche, die zur Erneuerung von Ressourcen unter Berücksichti-gung gegenwärtiger Technologien benötigt wird, um den jeweiligen Kon-sum der Bevölkerung zu befriedigen. Dabei wird auch die Aufnahme von Abfällen miteinbezogen. Umgerechnet werden diese unterschiedlichen Dimensionen in virtuelle „globale Hektar“, die als Flächenmaß interpre-tiert werden können. Die materielle Güterverwendung eines Landes trägt zu dessen Wohlstand bei. Langfristig kann dieser Wohlstand aber nur innerhalb der ökologi-schen Tragfähigkeit aufrecht erhalten werden. Über die Diskrepanz zwi-schen aktuellem Konsum und der Biokapazität gibt der Indikator Auf-schluss.

Datenquelle/ Literatur www.footprintnetwork.org zur Erklärung der Methode und zum Aufbau des Indikators http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/GFN/page/trends/ger-many/ Rechenergebnisse für Deutschland: Global Footprint Network (Hrsg.) (2015): Nowcasting Country Trend Ger-many, 2012 – 2015, unveröffentl. Manuskript.

Ziele (sofern vorhan-den)

Der Ökologische Fußabdruck sollte langfristig die Biokapazität von Deutschland nicht überschreiten.

Trend/Verlauf Daten stehen für Deutschland ab dem Jahr 1961 zur Verfügung. Die Bi-okapazität verbessert sich über die ganze Zeit – mit wenigen Ausnahme-jahren –geringfügig und liegt jetzt bei ungefähr 2 Global Hektar (GHa). Der Fußabdruck steigt zwischen 1961 und dem Ende der 1970er Jahre drastisch an und erreicht einen Maximalwert von 5,8 GHa. Seitdem sinkt der Wert in der Tendenz langsam und erreicht jetzt Werte um 4.4 GHa. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen – um 1973 und 2008/09 – kommt es zu ei-nem Rückgang des Ökologischen Fußabdrucks, die deutsche Wiederverei-nigung hat einen Ausreißerwert nach oben gebracht. Seit der Krise steigt der Ökologische Fußbadruck wieder langsam, aber kontinuierlich an; er hat gemäß Prognosewert 2015 damit alle Fortschritte seit etwa 20 Jah-ren wieder rückgängig gemacht.

Angaben zur Aktuali-tät und Fortschreib-barkeit

Derzeit besteht ein Time-lag t = 48 Monate. Fortschreibungen der Daten erfolgen regelmäßig. Das Global Footprint Network hat für die Endfassung des vorliegenden Berichts eine Schätzung der Zeitreihenentwicklung bis zum Jahr 2015 in einem Prognoseverfahren erstellt, das auf Basis der Zeitreihenentwicklung bis 2012 mit Hilfe von Korrelationsanalysen zu Da-tenreihen, für die aktuellere Werte vorliegen, durchgeführt wurde („Now-Casting“). In den folgenden Jahren kann die gesichert berechnete Zeit-reihe wie auch das Prognoseverfahren fortgesetzt werden

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Methodik/ Berech-nungsverfahren

Das Rechenverfahren ist außerordentlich aufwändig; die Methode wird vom Global Footprint Network gepflegt. Mit einer Lizenz, die je nach ge-planter Anwendung zu unterschiedlichen Preisen vom Global Footprint Network erworben werden kann, können Zeitreihen auch selbst erstellt werden; vor Veröffentlichung muss eine Freigabe durch den Lizenzgeber erfolgen.

Abschätzung der Prognostizierbarkeit

Das Global Footprint Network bietet eine Abschätzung der Werte bis zu Werten für das jeweils aktuelle Jahr an (nicht kostenlos; hier durchge-führt, s.o.).

Abschätzung zur in-ternationalen Ver-gleichbarkeit

Die internationale Vergleichbarkeit ist gegeben; das Global Footprint Net-work bietet derzeit Berechnungen für 182 Länder der Erde an. Die jewei-lige Datenqualität wird dabei auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 6 (sehr gut) eingeschätzt; Deutschland erreicht hier einen Wert von 5. Die Datenqualität bestimmt die Größe der Konfidenzintervalle der Zeitreihen.

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I 2: INDEX ZUR ARTENVIELFALT UND LANDSCHAFTSQUALITÄT

Indikator

(Name)

Ökologische Dimension, Kernindikator 2

Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität

Relevanz und Interpre-tation

Die Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen ist eine wesentliche Vorausset-zung für einen leistungsfähigen Naturhaushalt und bildet zugleich eine menschliche Lebensgrundlage. Natur und Landschaft in Deutschland sind durch Jahrhunderte währende Nutzungen geprägt. Ausgewählte Vogelarten – die nicht bejagt werden und die nicht zu den Zugvögeln gehören – sind charakteristisch für die unterschiedlichen Lebens-räume, etwa für Böden und Bäume der Wälder. Da sich fast alle physi-schen Eingriffe und stofflichen Einträge auf die Nahrungsketten aus-wirken, zeigen Bestandsentwicklungen dieser Vogelarten auch Verän-derungen damit verbundener Pflanzen- und Tiergesellschaften sowie der jeweiligen Landschaftsqualität an. Vögel als Bioindikatoren stehen insofern am Ende von biologischen und ökosystemaren Wirkungsket-ten. Entsprechende Zu- oder Abnahmen stellen quantitative und qua-litative Signale dar.

Datenquelle/ Literatur Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2014a): Nachhaltige Entwicklung in Deutschland – Indikatorenbericht 2014.

Achtziger et al. (2007): Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt. Studie im Auftrag des BfN.

Ziele (sofern vorhan-den)

Offizielle Zielsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie war bisher ein Index von 100, welcher bis zum Jahr 2015 (eigentlich) erreicht werden sollte; dies würde in etwa dem Wert von 1975 mit 101 ent-sprechen.

Mit der Neuauflage 2016 der Nachhaltigkeitsstrategie sind Änderungen vorgenommen worden: Der Zielwert von 100 im Index soll nun für das Jahr 2030 gelten, mithin 15 Jahre später erreicht werden (siehe Bun-desregierung 2017).

Trend/Verlauf Daten liegen in Fünfjahresintervallen zwischen 1970 und 1995 vor, seit 1995 jährliche Werte. Zwischen 1975 und 1995 ist ein Rückgang von 101 auf 77 zu verzeichnen, bis 2011 gab es eine weitere Verschlechte-rung auf den Wert 63. Der Zielwert ist damit erheblich verfehlt worden.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

Der Time-lag betrug 2014 t = 36 Monate; veröffentlicht werden die Werte derzeit alle zwei Jahre. Im Zuge der Erstellung der überarbeiteten Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sind im Frühjahr 2017 jedoch neuere Werte bis zum Jahr 2013 veröffentlicht worden. Mithin beträgt der aktuelle Time-lag t = 36 Monate.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Der Berechnung des Indikators liegt die Entwicklung der Bestände von 51 Vogelarten zu Grunde, die die wichtigsten Landschafts- und Le-bensraumtypen in Deutschland repräsentieren: Agrarland, Wälder, Siedlungen, Binnengewässer, Küsten und Meere, aus methodischen Gründen derzeit ohne die Alpen. Ein Expertengremium hatte für jede einzelne Vogelart Bestandszielwerte für das Jahr 2015 festgelegt, diese hätten erreicht werden können, wenn europäische und nationale Re-gelungen mit Bezug zum Naturschutz und Leitlinien einer nachhaltigen

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Entwicklung zügig umgesetzt worden wären. Aus dem Grad der Zieler-reichung aller ausgewählten Vogelarten wird jährlich ein Wert für den Gesamtindikator berechnet.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Da kleinere Schwankungen des Bestandswerts auch von Witterungsein-flüssen abhängen, wird der Wert exakt kaum zu prognostizieren sein. Trends scheinen jedoch auch über längere Zeiträume eher stabil.

Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Der Index ist international nur sehr schwer vergleichbar, da sowohl die Auswahl der Vogelarten als auch die Abschätzung der erreichbaren Be-standsdichte für ein Referenzjahr von Land zu Land stark variieren kann.

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I 3: S 80 : S 20 - RELATION DER EINKOMMENSVERTEILUNG

Indikator

(Name)

Soziale Dimension, Kernindikator 3

S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung

Relevanz und Interpre-tation

Die Einkommensverteilung ist ein entscheidender Faktor für den mate-riellen Wohlstand und – unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten – für die Wohlfahrt in einem Land. Verglichen werden deshalb die Gesamtein-kommen eines reicheren Teils der Bevölkerung mit dem Gesamtein-kommen des ärmeren, unteren 20%-Teils. In der Tendenz erhöht eine Bewegung zu mehr Einkommensgleichheit die gesellschaftliche Wohl-fahrt allein deswegen, weil ein zusätzliches Einkommen für arme Be-völkerungsschichten diesen mehr zusätzlichen Nutzen verschafft, als eine gleiche Einkommenssteigerung beim reichen Teil der Bevölkerung. Eine Ausnahme von dieser neoklassischen Grenznutzentheorie wäre al-lenfalls dann zu konstatieren, wenn eine Gesellschaft überzeugt wäre, dass eine Steigerung der Einkommensgleichheit zu mehr Ungerechtig-keit führen würde. In diesem sehr unwahrscheinlichen Fall müsste zu einem Atkinson-Index der Einkommensverteilung gewechselt werden.

Datenquelle/ Literatur Die Daten werden von Eurostat seit 1995 jährlich angeboten, aus „technischen Gründen“ werden derzeit keine Werte für die Jahre 2002 – 2004 geliefert. http://ec.europa.eu/eurostat/data/database Tabel-len nach Themen Bevölkerung und soziale Bedingungen Einkom-men und Lebensbedingungen Einkommensverteilung und monetäre Armut Einkommensverteilung Einkommensquintilsverhältnis.

Ziele (sofern vorhan-den)

Ziel wäre eine Bewegung in Richtung zu mehr Gleichheit bei der Ein-kommensverteilung, jedenfalls vom jetzigen Niveau der Ungleichheit aus.

Trend/Verlauf Der Wert verbessert sich in Deutschland von 4,6 im Jahr 1995 auf 3,5 im Jahr 2000. Danach verschlechtert sich der Wert wieder und erreicht mit 4,9 den Höchstwert der Zeitreihe bislang im Jahr 2007. Seitdem schwankt der Wert zwischen 4,3 und 4,6. Dieser Ausgangswert der Zeitreihe wird auch 2013 erreicht. Mit 5,1 erreicht der Wert 2014 einen historischen Höchststand. Im letzten Berichtsjahr 2015 ist die Vertei-lungsrelation wieder geringfügig auf 4,8 in Richtung Erhöhung der Ein-kommmensgleichheit zurückgegangen. Ähnliche Entwicklungen sind indessen in anderen OECD-Staaten zu konstatieren (OECD 2015).

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

Derzeit beträgt der Time-lag zwischen t = 12 und t = 18 Monaten.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Berechnet wird das Verhältnis des Gesamteinkommens der reichsten 20 % der Bevölkerung als Vielfaches des Gesamteinkommens der ärmsten 20 % der Bevölkerung.

Als Gesamteinkommen wird das verfügbare Haushaltsnettoäquivalenz-einkommen verwendet.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Eine Prognose würde stark von einer BIP-Prognose und einer Prognose der Veränderung von Steuergesetzgebung und Transferleistungen ab-hängen.

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Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

EUROSTAT bietet Daten für alle Länder Europas.

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I 4: BILDUNGSINDEX

Indikator

(Name)

Soziale Dimension, Kernindikator 4

Index zur Bildung in Deutschland (eigene Konstruktion auf Grundlage verschiedener Bildungsindikatoren)

Relevanz und Interpre-tation

Bildung ist ein zentraler Baustein, der Menschen die Beteiligung am (erfolgreichen) Arbeitsleben ermöglicht. Die Chancen für eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, persönliche Perspektiven und Handlungs-möglichkeiten sowie zu einem guten Gesundheitszustand werden er-höht. Eine möglichst breite Beteiligung der Menschen an formellen Bildungs-prozessen kann daher als Vergrößerung dieses Möglichkeitsraumes an-gesehen werden, der einer Wohlfahrtssteigerung im Sinne des „Fähig-keitenansatzes“ (capability approach, u.a. im Sinne von A. Sen 2005) entspricht.

Datenquelle/ Literatur Der hier vorgestellte Index fasst fünf Komponenten zusammen, die un-terschiedliche Aspekte des Bildungssystems und des Bildungsniveaus der Bevölkerung erfassen:

– Die Entwicklung der Punktzahl bei den PISA-Studien für Deutsch-land; Quelle: OECD, PISA im Fokus, Daten bis 2012; Ergebnisse bis 2015 werden am 6.6.2016 publiziert und können die hier vorge-nommene Extrapolation des Gesamtindex geringfügig verändern.

– Der Anteil der Bevölkerung mit Abschluss der Sekundarstufe II; Quelle: OECD Datenbank education at a glance, educational attain-ment of 25-64 year olds

– die erwarteten Bildungsjahre bis zum Alter von 39 Jahren; Quelle: Eurostat, Datenbank: http://ec.europa.eu/euros-tat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&langu-age=en&pcode=tps00052

– Die Differenz der mathematischen Kenntnisse 15jähriger Schüle-rinnen und Schüler von Eltern mit niedrigem und Eltern mit hohem Bildungsniveau (Quelle: OECD, PISA International Data Explorer);

– die Höhe der gesamten öffentlichen Bildungsausgaben in Deutsch-land. Quelle: Statistisches Bundesamt, Bildungsfinanzbericht 2015

Die Zeitreihen der fünf Komponenten wurden auf das Jahr 2010 = 100 normiert und deren Entwicklung vor und nach dem Basisjahr gleichge-wichtig im Index zusammengefasst.

Ziele (sofern vorhan-den)

Zielsetzung ist eine Steigerung der Bildungsbeteiligung und des Bil-dungsstandes der Bevölkerung, sowohl bei der Ausbildung als auch bei der Fort- und Weiterbildung, vor allem auch der Bevölkerung in „bil-dungsfernen“ Schichten und der Bevölkerung mit Migrationshinter-grund. Ein Zielwert des Index kann kaum quantitativ festgelegt werden. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland bei den Komponenten des Index in der Regel keinen Spitzenplatz ein.

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Trend/Verlauf Es besteht ein langfristiger Trend zu einer Verbesserung des Bildungsin-dex insgesamt. Nimmt man weitere Daten zu Hilfe, so ist eine Durchläs-sigkeit der Bildungsschichten jedoch nach wie vor nur begrenzt gege-ben; Kinder aus sozial schwächeren Milieus erzielen anteilig geringere Abschlüsse zur Hochschulreife.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

In der Regel sind die Daten mit einem Time-lag von t = 24 bis 36 Mo-naten verfügbar.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Die Daten beruhen auf Angaben der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sowie einer Auswertung des Mikrozensus.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Eine Prognose wird derzeit nicht unternommen.

Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Internationale Vergleiche wären aufgrund der Datenverfügbarkeit zu-mindest im OECD-Raum leicht möglich.

I 5: NETTOINVESTITIONSQUOTE

Indikator

(Name)

Ökonomische Dimension, Kernindikator 5

Nettoinvestitionsquote

Relevanz und Interpre-tation

Der Indikator zeigt die Entwicklung der Nettoanlageinvestitionen im Verhältnis zum Nettoinlandsprodukt und errechnet sich als Differenz aus den Gesamtinvestitionen minus den Abschreibungen. Sie zeigen damit die Investitionen an, die über den Ersatz des Kapitalverzehrs hinausgehen. Die Nettoinvestitionsquote ist ein Maß für den Zuwachs des Anlagekapitals und damit des Produktionspotenzials in einem Land.

Datenquelle/ Literatur Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

Ziele (sofern vorhan-den)

Angestrebt ist eine moderate Erhöhung mit anschließender Stabilisie-rung der Werte der Nettoinvestitionsquote.

Trend/Verlauf Die Nettoanlageinvestitionen zwischen 1992 und 2004 zeigen einen deutlichen Negativtrend von 12,2 Prozent auf 2,4 Prozent des Brutto-inlandsprodukts. Nach 2004 zeigt sich 2009 und 2010 ein Einbruch, der 2009 seinen Tiefststand mit nur noch knapp über einem Prozent erreicht, dem ein Ausgleich des konjunkturell bedingten Rückgangs im

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Jahr 2011 mit über 4,6 Prozent folgt; danach erreichen die Werte wie-der das Niveau von etwa 2,5 Prozent.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

In der Regel ist sind die Daten mit einem Time-lag von t+12 Monate verfügbar.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Die Nettoinvestitionen ergeben sich aus den Bruttoinvestitionen minus den Abschreibungen.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Prognoseversuche können im Rahmen der Konjunkturprognostik ange-stellt werden; auch könnten entsprechende Prognosen unter Heranzie-hung von Erhebungen zum Geschäftsklimaindex überlegt werden.

Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Die Daten sind im Rahmen des Europäischen Systems der Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) standardisiert und können im Eu-roraum problemlos international verglichen werden.

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I 6: ANTEIL VON (POTENZIELLEN) UMWELTSCHUTZGÜTERN AN DER BRUT-TOWERTSCHÖPFUNG

Indikator

(Name)

Ökonomische Dimension, Kernindikator 6

Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Bruttowert-schöpfung

Relevanz und Interpre-tation

Eine „Ökologisierung“ der Wirtschaft spiegelt nicht nur politische Ziele in Deutschland wider, sondern signalisiert, dass eine Green Economy sowohl die ökonomische Entwicklung fördert als auch innerstaatliche und weltweite Umweltentlastungseffekte mit sich bringt. Im Sinne der Rio+20 Schwerpunktsetzung könnte hiervon auch ein Signal für andere Staaten ausgehen. Zugleich unterstützt Deutschland weltweite Bemü-hungen für einen stärkeren Klima- und Umweltschutz.

Datenquelle/ Literatur Gehrke, Birgit/Schasse, Ulrich/Ostertag, Katrin (2014): Wirtschaftsfaktor Umweltschutz – Die Leistungen der Umweltschutzwirtschaft in Deutsch-land. Dessau: Umweltbundesamt. Berechnungen des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung aus Daten von OECD, ITCS, UN-COMT-RADE.

Gehrke, Birgit/Schasse, Ulrich (2015): Die Umweltschutzwirtschaft in Deutschland – Produktion, Umsatz und Außenhandel. Dessau: Umwelt-bundesamt

Daten zur Bruttowertschöpfung vom Statistischen Bundesamt.

Ziele (sofern vorhan-den)

Durch die Betrachtung des Anteils an der Bruttowertschöpfung wird auf die „Umweltintensität“ der deutschen Wirtschaft Bezug genommen. Je höher dieser Anteil ist, desto stärker ist die Ökonomie auf die Produk-tion von Umweltschutzgütern ausgerichtet. Sicher kann dieser Indikator nicht über alle Grenzen steigen; dennoch zeigt die Entwicklung, dass die deutsche Wirtschaft von einem Optimum hier noch sehr weit ent-fernt ist. Angesichts der internationalen Zielsetzung der ökologischen Sustainable Development Goals, insbesondere des Klimaschutzziels, ei-nen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5-2° C nicht zu überschreiten, und dem Klimaschutzabkommen von Paris 2015 wäre eine deutliche Erhöhung des Anteils an Umweltschutzgütern sinnvoll und vor allem im Blick auf die sektoralen Wirtschaftsstrukturen näher zu präzisieren.

Trend/Verlauf In der Bundesrepublik Deutschland ist der Anteil der Produktion von potenziellen Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung zwi-schen 2002 und 2011 von 2,56 Prozent auf 4,49 Prozent kontinuierlich gestiegen. Danach erfolgte ein Rückgang bis 2013 auf 4,21 Prozent.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

Die Zeitreihe hat derzeit einen Time-lag von t = 36 Monate; bei einer Fortschreibung der Zeitreihe kann sich dieser Time-lag auf t = 12 Mo-nate reduzieren.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Es handelt sich um eine Berechnung des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung auf der Basis einer eigenen Definition potentieller

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Umweltschutzgüter durch Klassifikation von Produktgruppen aus offizi-ellen Statistiken von OECD, ITCS, UN-COMTRADE.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Eine Prognose erscheint zum jetzigen Zeitpunkt ohne die Erhebung ei-gener zusätzlicher Primärdaten nicht möglich. Vor allem beeinflusst die Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen, der Subventionen und Innovationsförderung (etwa im Bereich Batterien/Speicher für er-neuerbare Energien oder von Elektroautos) das Ergebnis ganz erheb-lich; ebenso wie die konjunkturelle Entwicklung der deutschen Wirt-schaft insgesamt, die wiederum von den Rahmendaten der Entwick-lung der Weltwirtschaft abhängt.

Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Die internationale Vergleichbarkeit ist durch den Bezug auf internatio-nale Produktions- und Außenhandelsstatistiken der OECD und von ITCS und UN-COMTRADE prinzipiell gegeben.

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I 7: GESUNDE LEBENSJAHRE

Indikator

(Name)

Gesellschaftliche Dimension, Indikator 7

Gesunde Lebensjahre (Healthy Life Years)

Relevanz und Interpre-tation

Der Indikator Gesunde Lebensjahre (GLJ) bei der Geburt gibt die Zahl der Jahre an, die eine Person zum Zeitpunkt ihrer Geburt erwartungs-gemäß in guter gesundheitlicher Verfassung unter Abwesenheit körper-licher und psychischer Beeinträchtigungen bei alltäglichen Verrichtun-gen leben wird. GLJ ist ein Indikator der Gesundheitserwartung, der In-formationen zu Sterblichkeit und Krankheit miteinander verknüpft. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist die Anzahl der Jahre, die eine Per-son eines bestimmten Alters im Durchschnitt noch zu leben hat, wenn man die altersspezifischen Sterberaten des Ausgangsjahres zugrunde legt

Datenquelle/ Literatur Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/data/database Tabellen nach Themen Bevölkerung und soziale Bedingungen Gesundheit Ge-sundheitszustand Gesunde Lebensjahre und Lebenserwartung bei der Geburt

Ziele (sofern vorhan-den)

Ein quantitatives Ziel, wie sonst häufig im Indikatorenbereich verwen-det, erscheint hier wenig sinnvoll. Der Indikator sollte so nah wie mög-lich an der Entwicklung der Gesamtlebenserwartung liegen, bei der – nach Erkenntnissen der Medizin – eine weitere Steigerung ebenfalls im Rahmen des Möglichen erscheint.

Trend/Verlauf Im Vergleich zu den Statistiken der Gesamtlebenserwartung zeigt der GLJ-Indikator in zweifacher Hinsicht ein überraschendes Bild. Zum ei-nen ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern in keiner Weise so ausgeprägt wie bei der Gesamtlebenserwartung, im Gegenteil: 2006, 2007 und 2013 liegt der Indikator für Männer sogar knapp über dem für Frauen. Außerdem zeigt der Indikator zwischen 2006 und 2014 keine einheitliche Tendenz; in den letzten drei Jahren der Zeitreihe fällt er sogar wieder leicht ab. Der deutliche Rückgang von 2007 nach 2008 könnte auf eine Neuformulierung der Frage bei der Erhebung zu-rückzuführen sein.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

Die Aktualisierungen können mit einem Time-lag von t = 30 Monaten erwartet werden.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Zur Berechnung des Indikators werden Daten zur altersspezifischen Prävalenz der gesunden beziehungsweise kranken Bevölkerung und Daten zur altersspezifischen Sterblichkeit benötigt. Gute gesundheitli-che Verfassung wird über die Abwesenheit von Funktionsbeschränkun-gen und Beschwerden definiert. Der Indikator wird getrennt für Män-ner und Frauen berechnet

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Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Eine prognostische Untersuchung wurde bislang noch nicht versucht.

Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Die internationale Vergleichbarkeit ist gegeben und wird über Eurostat (EU-SILC) angeboten.

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I 8: GOVERNANCE INDEX

Indikator

(Name)

Gesellschaftliche Dimension, Indikator 8

Governance Index (eigene Konstruktion auf der Basis der World Bank Governance Indicators)

Relevanz und Interpre-tation

Gesellschaftlicher Wohlstand ist nicht zuletzt das Resultat institutionell garantierter Freiheiten und der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns. Insofern kommt der Ausgestaltung demokratischer Rechte, gutem Re-gieren, Vertrauen und politischer Stabilität eine zentrale Rolle zu. Der erstellte Index versucht, sechs verschiedene Aspekte dieses „intangib-len Kapitals“ eines Landes zu operationalisieren und somit die (nicht selbstverständlichen) politischen Rahmenbedingungen für eine nach-haltige Entwicklung des Wohlstands eines Landes in das Blickfeld zu nehmen.

Datenquelle/ Literatur Daten sind verfügbar, die Datenbasis ist anerkannt, aktualisierte Werte gibt es jährlich mit einem Time-lag t = 18 Monate. URL: http://info.worldbank.org/governance/wgi/pdf/c59.pdf

Ziele (sofern vorhan-den)

Der Index geht über die Spanne von 0 bis 100; ein Wert möglichst nahe 100 sollte angestrebt werden. Hier kann zusätzlich ein internationaler Vergleich mit anderen Industriestaaten eine Orientierungshilfe darstel-len.

Trend/Verlauf Der Index erreicht vor 2000 seine historischen Höchststände, um dann bis 2003 auf seinen niedrigsten Wert abzusinken, der aber immer noch knapp unter 88 liegt. Seitdem ist kein klarer Trend zu erkennen; 2006 und 2007 sind Werte zwischen 91 und 92 zu verzeichnen, dann sinkt der Index bis 2011 wieder auf einen Wert knapp unter 89, um bis 2014 auf etwas über 92 anzusteigen, den höchsten Wert seit dem Jahr 2000. Im Jahr 2015 folgte ein deutlicher Rückgang auf einen Indexwert knapp unter 90.

Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit

Es besteht ein Time-lag zwischen t = 15 und t = 24 Monaten. Es ist an-zunehmen, dass die Weltbank die Governance Indicators weiter pflegt. Unter dieser Voraussetzung ist die Möglichkeit der Fortschreibung gege-ben.

Methodik/ Berech-nungsverfahren

Die sechs Dimensionen von Governance der World Bank Governance In-dicators – Voice and Accountability, Political Stability and Absence of Violence, Government Effectiveness, Regulatory Quality, Rule of Law, Control of Corruption – werden zugrundegelegt. Aus dem „percentile rank” der einzelnen, gleich gewichteten Dimensionen wird der Durch-schnittswert als Index berechnet. Alle 24 Indikatoren zu den sechs Di-mensionen sind in Zeitreihen von 1996 bis 2015 verfügbar.

Die jeweils herangezogenen Einzelindikatoren für die Dimensionen sind teilweise sehr umfangreich und von der Auswahl sowie Berechnung her mit normativen Entscheidungen verbunden.

Abschätzung der Prog-nostizierbarkeit

Eine Prognostizierbarkeit scheint hier angesichts der Vielzahl herange-zogener Einzelvariablen für die jeweiligen Dimensionen kaum möglich.

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Abschätzung zur inter-nationalen Vergleich-barkeit

Die internationale Vergleichbarkeit ist hier nicht nur gegeben, sondern geradezu Voraussetzung für die Errechnung des Indexwertes, da dieser ja auf dem jeweiligen „percentile rank“ aufbaut. Die Weltbank unter-sucht mit dieser Methode 215 Staaten und Gebiete, bei denen sich die Datenverfügbarkeit allerdings sehr unterschiedlich darstellt.

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JAHRESWOHLSTANDSBERICHT 2017

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