Wahrscheinlichkeitstheorie III Prof. Dr. Wilhelm Stannat · Wahrscheinlichkeitstheorie III Prof....

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Wahrscheinlichkeitstheorie III Prof. Dr. Wilhelm Stannat - Korrigierte Fassung vom 10.7.2014 - Inhaltsverzeichnis 1. Martingale in stetiger Zeit 2. Brownsche Bewegung 3. Ito-Kalkül 4. Stochastische Integration 5. Stochastische Differentialgleichungen 6. Girsanov-Transformation 7. Itô’s Darstellungssatz Der vorliegende Text ist eine Zusammenfassung der Vorlesung Wahrscheinlichkeitstheorie III im Sommersemester 2016 an der TU Berlin. Korrekturen und Kommentare bitte per Email an [email protected]

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Wahrscheinlichkeitstheorie III

Prof. Dr. Wilhelm Stannat

- Korrigierte Fassung vom 10.7.2014 -

Inhaltsverzeichnis

1. Martingale in stetiger Zeit

2. Brownsche Bewegung

3. Ito-Kalkül

4. Stochastische Integration

5. Stochastische Differentialgleichungen

6. Girsanov-Transformation

7. Itô’s Darstellungssatz

Der vorliegende Text ist eine Zusammenfassung der VorlesungWahrscheinlichkeitstheorie III im Sommersemester 2016 an der TU Berlin.

Korrekturen und Kommentare bitte per Email an [email protected]

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1 Martingale in stetiger Zeit

1.1 Grundlagen stochastischer Prozesse in stetiger Zeit

Wir führen zunächst einige grundlegende Konzepte für stochastische Prozesse ein undwiederholen bei der Gelegenheit einige bereits bekannte Konzepte derWahrscheinlichkeitstheorie.

Definition 1.1. Es seien (Ω,F) und (E, E) messbare Räume und I eine nichtleereIndexmenge. Eine Familie X = (Xt)t∈I von messbaren Abbildungen von (Ω,F) nach(E, E) heißt ((E, E)-wertiger) Prozess. Ist zusätzlich ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf(Ω,F) gegeben, so heißt X stochastischer Prozess.

Wir erinnern an die Definition der Borelschen σ-Algebra. Ist (E, d) ein metrischerRaum, z.B., Rd mit der üblichen Euklidischen Metrik, oder - allgemeiner - ein topologischerRaum, so bezeichnet B(E) die Borelsche σ-Algebra auf E, dh, die kleinste σ-Algebra aufE, die alle offenen Teilmengen von E enthält.Ist (E, E) ein messbarer Raum und I eine beliebige Indexmenge, so ist der ProduktraumEI bekanntlich definiert als die Menge aller Abbildungen x : I → E, i 7→ xi. Dann ist dieProdukt-σ-Algebra EI definiert als die kleinste σ-Algebra, für die alle Projektionenπi : EI → E, πi(x) = xi, i ∈ I, messbar sind.Unmittelbar aus dieser Definition folgt: Ist X = (Xt)t∈I ein (E, E)-wertiger Prozess, so istX : (Ω,F)→ (E, EI) immer messbar bzgl. der Produkt-σ-Algebra.

Bemerkung 1.2. Für überabzählbare Indexmengen I ist die Produkt-σ-Algebra relativ grob.Teilmengen von EI , die nicht durch abzählbar viele Indizes i ∈ I vollständig bestimmt sind,liegen niemals in EI . Beispiel:

f ∈ R[0,1] | sups∈[0,1]

f(s) ≤ 1

ist niemals in der Produkt-σ-Algebra B[0,1] enthalten, egal welche σ-Algebra B auf Rgewählt wird.

Ist X ein (E, E)-wertiger stochastischer Prozess auf einem Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F , P ), so bezeichnet

PX(A) := P X−1(A) := P (X ∈ A) , A ∈ EI

die Verteilung von X unter P . Alternative Schreibweise für PX ist L(X).

Definition 1.3. Es seien X und Y zwei (E, E)-wertige stochastische Prozesse auf einemgemeinsamen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F , P ) und mit gemeinsamer Indexmenge I.

(i) X heißt Modifikation von Y, falls für alle t ∈ I

P (Xt = Yt) = 1 ∀t ∈ I .

(ii) X und Y heßen ununterscheidbar (oder äquivalent) falls

P (Xt = Yt ∀t ∈ I) = 1 .

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Bemerkung 1.4. (i) Für allgemeine Bildräume muss die Menge Xt = Yt nicht messbarsein, auch wenn es Xt und Yt sind. Daher muss man in Teil (i) der Definition 1.3eigentlich annehmen, dass die Menge Xt = Yt eine F -messbare Menge F0 enthältmit P (F0) = 1. Analog muss man in Teil (ii) der Definition annehmen, dass dieMenge Xt = Yt ∀t ∈ I einen F -messbare Menge mit P (F0) = 1 enthält.

(ii) Sind X und Y Modifikationen voneinander, so haben sie dieselbe VerteilungPX = PY .

(iii) Sind X und Y ununterscheidbar, so sind sie insbesondere auch Modifikationenvoneinander.

(iv) Sind X und Y Modifikationen voneinander und ist die Indexmenge I höchstensabzählbar, so sind sie auch ununterscheidbar.

Beispiel 1.5. Ω = [0, 1], F = B([0, 1]), P Gleichverteilung auf [0, 1], I = [0, 1],

Xt(ω) =

1 falls t = ω

0 falls t 6= ω ,Yt(ω) ≡ 0

Dann sind X und Y Modifikationen voneinander, aber nicht ununterscheidbar.

1.2 Filtrationen und Stoppzeiten

Von nun an betrachten wir stochastische Prozesse und Filtrationen bezüglich derIndexmenge I = [0,∞). Man kann jedoch auch beliebige Teilmengen I ⊆ [0,∞) und sogarallgemeiner beliebige partiell geordnete Indexmengen zulassen.

Definition 1.6. Ein (E, E)-wertiger Prozess X auf (Ω,F) heißt messbar, falls für alleA ∈ E X−1(A) ∈ B([0,∞))⊗F .Definition 1.7. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum. Eine Familie F = (Ft)t≥0 vonUnter-σ-Algebren von F heißt Filtration, falls Fs ⊆ Ft für alle 0 ≤ s ≤ t gilt.

Für eine gegebene Filtration (Ft)t≥0 interpretieren wir Ft als die zur Zeit t zur Verfügungstehende Information.

Definition 1.8. Ein (E, E)-wertiger Prozess X mit Indexmenge I auf einem messbarenRaum (Ω,F) mit Filtration F = (Ft)t≥0 heißt F-adaptiert, falls für alle t ≥ 0 die AbbildungXt Ft/E-messbar ist.Die Filtration Ft := σ (Xs | s ≤ t) heißt natürliche Filtration von X (oder auchdie von X erzeugte Filtration.

Definition 1.9. Für eine Filtration F = (Ft)t≥0 definieren wir

Ft+ :=⋂s>t

Fs .

Die Familie (Ft+)t≥0 ist wieder einer Filtration und es gilt Ft ⊆ Ft+. Ft+ enthält nebenden zur Zeit t zur Verfügung stehenden Informationen Ft auch noch weitere Informationen,die in Bezug auf Ft "infinitesimal" in der Zukunft liegen.

Definition 1.10. Eine Filtration (Ft)t≥0 mit Ft+ = Ft für alle t ≥ 0 heißt rechtsstetig.

Definition 1.11. Eine Filtration (Ft)t≥0 heißt normal, falls gilt:

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(a) F0 enthält alle P -Nullmengen in F .

(b) Ft+ = Ft für alle t ≥ 0, d.h. die Filtration ist rechtsstetig.

Man sagt in diesem Falle auch, dass die Filtration (Ft)t≥0 den üblichen Bedingungengenügt.

Definition 1.12. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum, (Ft)t≥0 eine Filtration undτ : Ω→ [0,∞] eine Abbildung.

(i) τ heißt Stoppzeit bzgl. (Ft)t≥0, falls

τ ≤ t ∈ Ft ∀t ≥ 0 .

(ii) τ heißt schwache Stoppzeit oder Optionszeit bzgl. (Ft)t≥0, falls

τ < t ∈ Ft ∀t ≥ 0 .

Bemerkung 1.13. (i) Jede Stoppzeit ist auch eine schwache Stoppzeit, aber imallgemeinen gilt eben nicht die Umkehrung.

(ii) Ist (Ft)t≥0 rechtsstetig, so ist auch umgekehrt jede schwache Stoppzeit eineStoppzeit.

Begründung: Ist τ eine schwache Stoppzeit, so folgt

τ ≤ t =⋂n∈N

τ < t+1

n ∈ Ft+ ∀t ≥ 0 .

Beispiel 1.14. Es sei Ω = a, b, F = P(Ω) die Potenzmenge,

Xt(a) := t und Xt(b) := −t

für t ≥ 0. Weiter sei (Ft)t−ge0 die von X erzeugte Filtration, also

F0 = ∅,Ω und Ft = P(Ω) für t > 0 .

Dann ist die Abbildungτ(ω) := inft ≥ 0 | Xt(ω) > 0

eine schwache Stoppzeit aber keine Stoppzeit. Man beachte, dass die gegebene Filtration(Ft)t≥0 auch in der Tat nicht rechtsstetig ist.

Bemerkung 1.15. Für diskrete Indexmengen, zum Beispiel I = N0, folgt für jedeAbbildung τ aus

τ = t ∈ Ft für alle t ∈ I

dass τ eine (Ft)t≥0-Stoppzeit ist. Dies ist für überabzählbare Indexmengen jedoch imallgemeinen falsch. Es gilt zwar für jede Stoppzeit τ nach wie vor, dass

τ = t = τ ≤ t \ τ < t ∈ Ft für alle t ≥ 0

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aber eben im allgemeinen nicht die Umkehrung. Für ein Beispiel betrachte auf demmessbaren Raum (Ω,F) = ([0,∞),B([0,∞))) den Prozess

Xt(ω) =

1 für t = ω

0 sonst.

Es sei (Ft)t≥0 die von X erzeugte Filtration. Dann gilt offenbar Ft = σ(ω | ω ≤ t).Betrachte nun die Abbildung

τ(ω) := inft ≥ 0 | Xt(ω) = 1 .

Dann ist τ sogar keine schwache Stoppzeit, denn τ < t /∈ Ft für t > 0, obwohlτ = t = t ∈ Ft für alle t ≥ 0.

Definition 1.16. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum, (Ft)t≥0 eine Filtration und τ eineStoppzeit (bzgl. (Ft)t≥0). Dann ist das folgende Mengensystem

Fτ := A ∈ F | A ∩ τ ≤ t ∈ Ft ∀t ≥ 0

eine σ-Algebra (Beweis?). Sie heißt σ-Algebra der τ-Vergangenheit.

Lemma 1.17. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum, (Ft)t≥0 eine Filtration und τ, σStoppzeiten (bzgl. (Ft)t≥0). Dann gilt:

(i) Fτ ist eine σ-Algebra.

(ii) Ist τ ≡ t für ein t ≥ 0, so ist Fτ = Ft.

(iii) τ ist Fτ -messbar.

(iv) Für 0 ≤ σ ≤ τ folgt Fσ ⊆ Fτ (sogar wenn σ keine Stoppzeit ist!).

(v) Fσ∧τ = Fσ ∩ Fτ .

(vi) Ist σn, n ≥ 1 eine beliebige Folge von Stoppzeiten bzgl. (Ft)t≥0, so ist σ = supn σnwieder eine Stoppzeit und σ := infn σn eine schwache Stoppzeit.

Bemerkung 1.18. Ist τ eine schwache Stoppzeit, so ist Fτ im allgemeinen keine σ-Algebra,da sie nicht notwendigerweise die ganze Menge Ω enthält. In der Tat ist offensichtlich Fτeine σ-Algebra genau dann wenn τ eine Stoppzeit ist.

1.2.1 Eintrittszeiten

Wir wollen im folgenden untersuchen, unter welchen Bedingungen Eintrittszeiten einesProzesses Stoppzeiten sind.

Definition 1.19. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum und X ein (E, E)-wertiger Prozess auf(Ω,F). Für eine Teilmenge G ⊆ E definieren wir folgende Abbildungen:

SG(ω) := inft > 0 | Xt(ω) ∈ G erste Trefferzeit von GTG(ω) := inft ≥ 0 | Xt(ω) ∈ G erste Eintrittszeit in G .

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Im folgenden sei eine Filtration (Ft)t≥0 auf einem zugrundeliegenden messbaren Raum(Ω,F) gegeben. Wir geben im folgenden Satz erste Resultate an, wann Eintrittszeitenbzw. Trefferzeiten (schwache) Stoppzeiten sind. Eine entscheidende Verbesserung diesesSatzes werden wir dann am Ende diese Abschnittes in Theorem 1.29 erhalten.

Satz 1.20. Es sei (E, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra E und X einE-wertiger adaptierter Prozess. Dann gilt:

(i) Ist G ⊆ E offen und besitzt X rechtsstetige Pfade, so sind SG und TG schwacheStoppzeiten.

(ii) Ist G ⊆ E abgeschlossen und besitzt X stetige Pfade, so ist TG eine Stoppzeit.

Beweis. (i) Offensichtlich gilt für t > 0 aufgrund der Rechtsstetigkeit

TG < t =⋃

0<s<t

Xs ∈ G =⋃

s∈(0,t)∩Q

Xs ∈ G ∈ Ft .

Eine entsprechende Argumentation gilt auch für SG.(ii) Für n ∈ N sei Gn := x ∈ E | d(x,G) > 1

n. Dann ist Gn offen und TGn < TG auf der

Menge TG ∈ (0,∞). In der Tat: da G abgeschlossen und X stetig, muss XTG ∈ Ggelten auf der Menge TG <∞. Ist TG > 0, so folgt hieraus insbesondere TGn < TG. DieFolge TGn(ω) ist offensichtlich aufsteigend und damit konvergent gegen ein T (ω) ≤ TG(ω).Aufgrund der Stetigkeit muss Gleichheit T (ω) = TG(ω) gelten. Hieraus folgt

TG ≤ t =⋂n∈N

TGn < t ∈ Ft

da TGn < t ∈ Ft nach Teil (i).

Definition 1.21. Ein E-wertiger Prozess X heißt progressiv messbar bzgl. einer Filtration(Ft)t≥0, falls für alle t ≥ 0 die Abbildung

X : [0, t]× Ω→ E , (s, ω) 7→ Xs(ω)

B([0, t])⊗Ft-messbar ist.

Bemerkung 1.22. (i) Die progressive σ-Algebra (zur Filtration (Ft)t≥0) ist dasMengensystem

A ⊂ [0,∞)× Ω | A ∩ ([0, t]× Ω) ∈ B([0, t])⊗Ft für alle t ≥ 0 .

Man mache sich klar, dass ein E-wertiger Prozess X progressiv messbar ist, genaudann wenn X : [0,∞)→ E messbar bzgl. der progressiven σ-Algebra ist.

(ii) Ein progressiv messbarer Prozess X ist adaptiert. Die Umkehrung gilt jedoch imallgemeinen nicht, d.h. ein adaptierter Prozess ist nicht notwendigerweise progressivmessbar. Ein Beispiel wird zum Ende des Abschnittes gegeben.

Satz 1.23. Ist X ein (E, E)-wertiger progressiv messbarer Prozess (bzgl. der Filtration(Ft)t≥0) und sei T eine Stoppzeit. Dann gilt:

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(i) XT ist FT -messbar, i.e., für alle B ∈ E ist die Menge

ω | T (ω) <∞ und XT (ω)(ω) ∈ B ∈ FT .

(ii) Der gestoppte Prozess (XT∧t)t≥0 ist wieder progressiv messbar.

Beweis. (i) Es sei t ∈ [0,∞) fest gewählt. Dann ist die Abbildung

ϕ : Ω→ [0, t]× Ω

ω 7→ (T (ω) ∧ t, ω)

Ft/B([0, t])⊗Ft-messbar, denn für 0 ≤ a ≤ t und A ∈ Ft gilt

ϕ−1([a, t]× A) = A ∩ ω | T (ω) ≥ a ∈ Ft

und das System dieser Mengen ist ein Erzeuger der σ-Algebra B([0, t])⊗Ft. Für B ∈ Efolgt hieraus

T <∞ , XT ∈ B ∩ T ≤ t = XT∧t ∈ B ∩ T ≤ t= X ϕ ∈ B ∩ T ≤ t ∈ Ft

sowieT <∞ , XT ∈ B =

⋃n≥1

T ≤ n ,XT ∈ B ∈ F .

(ii) Der Beweis ist ähnlich zum Beweis von Teil (i).

Lemma 1.24. Es sei (E, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra E undXn : (Ω,F)→ (E, E), n ≥ 1, messbar. Es gelte limn→∞Xn(ω) = X(ω) für alle ω ∈ Ω.Dann ist X ebenfalls messbar.

Beweis. Es sei A ⊆ E abgeschlossen und An := x ∈ E | d(x,A) < 1n. Dann ist die

Menge An offen und

X−1(A) =∞⋂n=1

∞⋃k=1

∞⋂m=k

X−1m (An) ∈ F .

Bemerkung 1.25. Das vorangegangene Lemma gilt nicht für beliebige topologische Räume,nicht einmal für kompakte Hausdorffräume. Betrachte beispielsweise das Einheitsinterval[0, 1] mit der gewöhnlichen Topologie, E := [0, 1][0,1] mit der Produkttopologie. Dannexistiert eine Folge von stetigen (und damit messbaren) Abbildungen Xn : [0, 1]→ E, diepunktweise gegen eine nicht messbare Abbildung X konvergiert!

Satz 1.26. Ist X ein rechtsstetiger (oder linksstetiger) adaptierter Prozess (bzgl derFiltration (Ft)t≥0) mit Werten in einem metrischen Raum (E, d), so ist X auch progressivmessbar.

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Beweis. Fixiere t ≥ 0 und definiere für n ∈ N den stochastischen Prozess

Xns :=

X k+1

2nt s ∈ [ k

2nt, k+1

2nt) für 0 ≤ k < 2n

Xt für s = t .

Dann ist Xn progressiv messbar, denn für B ∈ E gilt offenbar

(s, ω) ∈ [0, t]× Ω | Xns (ω) ∈ B

=⋃

0≤k<2n

([k

2nt,k + 1

2nt)× X k+1

2nt(ω) ∈ B

)∪ (t × Xt(ω) ∈ B)

∈ B([0, t])⊗Ft. Aufgrund der Rechtsstetigeit der Pfade s 7→ Xs(ω) giltlimn→∞X

ns (ω) = Xs(ω) für alle ω ∈ Ω und s ∈ [0, t) (und trivialerweise

limn→∞Xnt (ω) = Xt(ω)) so dass aufgrund des vorangegangenen Lemmas auch X

progressiv messbar ist.

Im Falle eines linksstetigen adaptierten Prozesses X betrachte man entsprechend

Xns :=

X k

2nt s ∈ ( k

2nt, k+1

2nt] für 0 ≤ k < 2n

X0 für s = 0 .

Definition 1.27. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum und µ ∈M1(Ω,F) einWahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, E). Dann bezeichne Fµ die Vervollständigung von Fbezüglich µ, dh, die kleinste σ-Algebra, die F und alle Teilmengen von µ-Nullmengen inF enthält. Der Schnitt

Fu =⋂

µ∈M1(Ω,F)

heißt universelle Vervollständigung von F .Der folgende Projektionssatz ist fundamental für die Prozesstheorie. Ein Beweis findet sichin [DM78].

Theorem 1.28. Es sei (Ω,F) ein messbarer Raum, E ein Polnischer Raum (dh, einvollständiger separabler metrischer Raum (zB Rn oder abgeschlossene Teilmengen U ⊂ Rn,oder C([0, T ];U)) und R die Borelsche σ-Algebra auf E. Für A ∈ R⊗F gilt dann

prΩ(A) ∈ Fu ,

wobei prΩ(A) := ω | ∃s ∈ E,Xs(ω) ∈ A die Projektion der Menge A auf Ω bezeichnet.

Damit sind wir jetzt in der Lage, die Aussage von Satz 1.20 entscheidend zu verbessern.

Theorem 1.29. Es sei (Ω,F) messbarer Raum und (Ft)t≥0 Filtration mit Ft = Fut füralle t ≥ 0. Weiter sei X eine (E, E)-wertiger progressiv messbarer Prozess und es seiA ∈ E . Dann sind sowohl SA als auch TA schwache Stoppzeiten.

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Beweis. Wir haben zu zeigen, dass für alle t > 0 sowohl SA < t als auch TA < t ∈ Ftliegen. Für TA betrachte dazu die Menge

At := (s, ω) | 0 ≤ s < t,Xs(ω) ∈ A =⋃n∈N

(s, ω) | 0 ≤ s ≤ t− 1

n,Xs(ω) ∈ A .

At liegt in B([0, t])⊗Ft und somit folgt

TA < t = prΩ(At) ∈ Ft

aufgrund von Theorem 1.28. Für SA betrachte entsprechend die Menge

At := (s, ω) | 0 < s < t,Xs(ω) ∈ A = At \ (0, ω) | ω ∈ Ω ∈ B([0, t])⊗Ft .

Wir sind jetzt auch in der Lage, einen adaptierten Prozess anzugeben, der nicht progressivmessbar ist.

Beispiel 1.30. Es sei (Ω,F) = ([0, 1],B) wobei B die Vervollständigung von B([0, 1])bezüglich des Lebesguemaßes bezeichnet. Es sei B0 die Unter-σ-Algebra aller Mengen Umit λ(U) = 0 oder λ(U) = 1. Weiter sei Ft = B0 für alle t ≥ 0. Definiere nun die Menge

A = (x, x) | x ∈ [0,1

2] ⊆ [0,∞)⊗ Ω .

Dann gilt offenbar A ∈ B([0,∞))⊗F aber für alle t > 0 ist A∩ ([0, t]×Ω) /∈ B([0, t])⊗Ft(andernfalls wäre prΩ(A ∩ ([0, t]× Ω)) = [0, t ∧ 1

2] ∈ Fut was nicht richtig sein kann, da

[0, t ∧ 12] für t > 0 weder Null- noch Einsmenge ist. Es folgt, dass die Indikatorfunktion 1A

ein adaptierter Prozess aber kein progressiv messbarer Prozess ist.

1.3 Martingale

Wir haben die Martingaltheorie in diskreter Zeit in der VL Wahrscheinlichkeitstheorie IIbereits kennengelernt. Wir werden in diesem Abschnitt die wesentlichen Sätze der Theorie

(I) Maximalungleichung

(II) Stoppsatz

(III) Martingalkonvergenzsätze

auf den Fall kontinuierlicher Indexmengen I übertragen. Der Einfachheit halberbeschränken wir uns wieder auf I = [0,∞). Zunächst kurz zur Auffrischung dieDefinitionen:

Definition 1.31. Es sei (Ω,F , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, (Ft)t≥0 eine Filtration. Einadaptierter (R-wertiger) stochastischer Prozess (Mt)t≥0 ⊆ L1(P ), dh, P - integrierbar,heißt

(i) Martingal, falls

Ms = E(Mt|Fs) ∀s ≤ t

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(ii) Submartingal, falls

Ms ≤ E(Mt|Fs) ∀s ≤ t ("im Mittel aufsteigend")

(iii) Supermartingal, falls

Ms ≥ E(Mt|Fs) ∀s ≤ t ("im Mittel absteigend")

Einige Beispiele für Martingale in stetiger Zeit.Brownsche Bewegung

Definition 1.32. Es sei F = (Ft)t≥0 eine Filtration auf (Ω,F , P ). Eine F-BrownscheBewegung (oder F-Wienerprozess) ist ein R-wertiger adaptierter stochastischerProzess (Bt)t≥0 mit folgenden Eigenschaften:

(i) B0 = 0 P-f.s.

(ii) Für 0 ≤ s < t ist das Inkrement Bt −Bs unabhängig von Fs undN (0, t− s)-verteilt.

(iii) B besitzt stetige Pfade.

Zum Vergleich: Eine Brownsche Bewegung im Sinne der Definition wie sie in der VLWahrscheinlichkeitstheorie II gegeben wurde ist eine F- Brownsche Bewegung bzgl der vonB erzeugten Filtration F0

t = σ(Bs | s ≤ t). Umgekehrt ist natürlich jede F-BrownscheBewegung eine Brownsche Bewegung (im Sinne der Definition der VL WT II).

Martingale einer F-Brownschen Bewegung

Lemma 1.33. Es sei (Bt)t≥0 eine F-Brownsche Bewegung. Dann sind die folgendenProzesse Martingale bzgl F = (Ft)t≥0:

(i) (Bt)t≥0.

(ii) (B2t − t)t≥0.

(iii) (exp(αBt − 12α2t))t≥0 ∀α ∈ R.

Beweis. (i)

E(Bt |Fs) = E(Bs + (Bt −Bs) | Fs)= E(Bs|Fs)︸ ︷︷ ︸

=Bs

+E(Bt −Bs|Fs)︸ ︷︷ ︸=E(Bt−Bs)=0

= Bs

(ii)

E(B2t − t | Fs) = E(B2

t −B2s | Fs) +B2

s − t= E((Bt −Bs)

2 + 2(Bt −Bs) Bs | Fs) +B2s − t

= E((Bt −Bs)2)︸ ︷︷ ︸

=t−s

+2BsE(Bt −Bs|Fs)︸ ︷︷ ︸=E(Bt−Bs)=0

+B2s − t

= B2s − s

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(iii) Gαt := exp(αBt − 1

2α2t). Dann gilt

E(Gαt |Fs) = E(exp(α(Bt −Bs)−

1

2α2(t− s)) | Fs)Gα

s

= E(exp(α (Bt −Bs)︸ ︷︷ ︸∼N (0,t−s)

))

︸ ︷︷ ︸exp( 1

2α2(t−s))

exp(−1

2α2(t− s))Gα

s

= Gαs .

PoissonprozessDefinition 1.34. Ein homogener Poissonprozess mit Rate λ > 0 ist ein R-wertigerstochastischer Prozess (Nt)t≥0 mit folgenden Eigenschaften:

(i) N0 = 0 P-f.s.

(ii) Für 0 ≤ t0 < · · · < tn+1 sind die Inkremente

Nti+1−Nti (i = 0, 1, . . . , n)

unabhängig, Poiss(λ(ti+1 − ti))-verteilt.

(iv) N besitzt rechtsstetige Pfade.

Im Unterschied zur Bronwschen Bewegung besitzt ein Poissonprozess monoton wachsendePfade, stückweise konstant mit Sprungstellen der Höhe +1.

Lemma 1.35. Es sei (Nt)t≥0 ein Poissonprozess. Dann sind die folgenden ProzesseMartingale bzgl der von N erzeugten Filtration F0

t = σ(Ns | s ≤ t), t ≥ 0:

(i) (Nt − λt)t≥0 (kompensierter Poissonprozess).

(ii) ((Nt − λt)2 − λt)t≥0.

(iii) (exp(αNt + λt(1− eα)))t≥0 ∀α ∈ R.

Beweis. Zunächst ist klar, dass wie im Falle der Brownschen Bewegung auch in diesem Fallfür 0 ≤ s < t das Inkrement Nt −Ns unabhängig von F0

s ist und

E(Nt −Ns | F0s ) = E(Nt −Ns) = λ(t− s)

E((Nt −Ns)2 | F0

s ) = E((Nt −Ns)2) = (λ(t− s))2 + λ(t− s)

E(exp(α(Nt −Ns)) | F0s ) = E(exp(α(Nt −Ns))) = exp(λ(t− s)(eα − 1)) .

Damit können wir nun analog zum Fall der Brownschen Bewegung zeigen:

(i)

E(Nt − λt |F0s ) = E(Ns + (Nt −Ns) | F0

s )− λt= E(Ns|F0

s )︸ ︷︷ ︸=Ns

+E(Nt −Ns|F0s ) = N2 + λ(t− s)− λt = Ns − λs

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(ii)

E((Nt − λt)2 − λt | F0s ) = E(N2

t −N2s | F0

s ) +N2s − 2λtE(Nt | F0

s ) + (λt)2 − λt= E((Nt −Ns)

2 + 2(Nt −Ns) Ns | F0s ) +N2

s − 2λtE((Nt −Ns) | F0s )

− 2Nsλt+ (λt)2 − λt= E((Nt −Ns)

2) + 2Nsλ(t− s) +N2s − 2λtλ(t− s)− 2Nsλt+ (λt)2 − λt

= (λ(t− s))2 − λs− 2Nss+N2s + 2λtλs− (λt)2 = (Ns − λs)2 − λs .

(iii) Gαt := exp(αNt − λt(1− eα))). Dann gilt

E(Gαt |F0

s ) = E(exp(α(Nt −Ns)− λ(t− s)(1− eα))) | F0s )Gα

s

= E(exp(α(Nt −Ns)))e−(λ(t−s)(eα−1)))Gα

s = Gαs .

(I) Maximalungleichung

Wie im diskreten Fall bereits bemerkt, impliziert die Martingaleigenschaft einesstochastischen Prozesses (Mt)t≥0, dass Mt alle Informationen über den Prozess bis zur Zeitt enthält, da

Ms = E(Mt |Fs) .Für nichtnegative Submartingale (Xt)t≥0 wird wegen Xs ≤ E(Xt | Fs) der Prozess X biszur Zeit t zumindest noch im Mittel durch Xt kontrolliert. Entsprechend gilt auch im Fallekontinuierlicher Indexmengen die Maximalungleichung:

Theorem 1.36. Maximalungleichung (Doobsche Ungleichung) Es sei (Xt)t≥0 einrechtsstetiges nichtnegatives Submartingal und

X∗t := sup0≤s≤t

Xs , t ≥ 0 .

Dann gilt:

(i)

P (X∗t ≥ R) ≤ 1

RE(Xt ;X∗t ≥ R) ≤ 1

RE(Xt) ∀R > 0.

Insbesondere ist Xs : s ∈ [0, t] gleichgradig integrierbar ∀t > 0.

(ii) Ist Xt ∈ Lp(P ) für ein p > 1 so gilt

E((X∗t )p)1p ≤ p

p− 1E(Xp

t )1p .

Bemerkung 1.37. (i) Ist (Xt)t≥0 rechtsstetiges Submartingal, nicht notwendigerweisenichtnegativ, so gilt folgende Variante der Maximalungleichung :

P (X∗t ≥ R) ≤ 1

RE(X+

t ;X∗t ≥ R) ≤ 1

RE(X+

t ) ∀R > 0. (1.1)

Begründung: In diesem Falle ist (X+t )t≥0 ein rechtsstetiges nichtnegatives Submartingal mit

X∗t = sup0≤s≤t

Xs ≤ sup0≤s≤t

X+s ,

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also P (X∗t ≥ R) ≤ P (sup0≤s≤tXs ≥ R), und somit folgt (1.1) aus Teil (i) von Theorem1.36.

(ii) Ist (Mt) ein rechtsstetiges Martingal, so ist (|Mt|) ein nichtnegatives Submartingal.Damit folgt dann für rechtsstetige Martingale:

P ( sup0≤s≤t

|Ms| ≥ R) ≤ 1

RE(|Mt| ;M∗

t ≥ R) ≤ 1

RE(|Mt|) ∀R > 0 ,

E(( sup0≤s≤t

|Ms|)p)1p ≤ p

p− 1E(|Mt|p)

1p ∀p > 1 .

Beweis. (i) Ganz analog zum Beweis im diskreten Falle gilt zunächst für festes n ≥ 1

P

(max

0≤k≤nX k·t

n≥ R

)=

n∑l=0

P

(X l·t

n≥ R ; max

0≤k≤lX k·t

n< R

)≤↑

Markovsche Ungl.

1

R

n∑l=0

E(

X l·tn︸︷︷︸

E(Xt | F l·tn

)

; X l·tn≥ R, max

0≤k<lX k·t

n≤ R

)

≤↑

Xt Submartingal

1

R

n∑l=0

E(E(Xt | F lt

n)); X l·t

n≥ R, max

0≤k<lX k·t

n< R︸ ︷︷ ︸

∈F ltn

)

=↑

Projektivität

1

R

n∑l=0

E

(Xt; X l·t

n≥ R, max

0≤k<lX k·t

n< R

)

=1

RE

(Xt ; max

0≥k≥nX k·t

n≥ R

)≤ 1

RE (Xt ; X∗t ≥ R)

Rechtsstetigkeit von (Xt) ⇒ max0≥k≥n X k·tn↑ X∗t für n→∞, so dass für alle

ε > 0:

P (X∗t ≥ R) ≤ limn→∞

P

(max

0≥k≥nX k·t

n≥ R− ε

)≤ lim

n→∞

1

R− εE(Xt; X

∗t ≥ R)

woraus sich im Grenzwert ε ↓ 0 Teil (i) ergibt.

(ii) Der Beweis von Teil (ii) ist vollkommen identisch mit dem Beweis der entsprechendenAussage im diskreten Fall:

E((X∗t )p) = E

(p

∫ X∗t

0

up−1 du

)= E

(p

∫ ∞0

1u≤X∗t up−1 du

)Fubini= p

∫ ∞0

E(1u≤X∗t )︸ ︷︷ ︸≤ 1uE(Xt;X∗t ≥u) nach (i)

up−1 du ≤ p

∫ ∞0

E (Xt ; X∗t ≥ u) up−2 du

Fubini= p E

(∫ X∗t

0

up−2 du︸ ︷︷ ︸1p−1

(X∗t )p−1

· | Xt |)≤ p

p− 1E (Xp

t )1p E ((X∗t )p)

p−1p

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Im letzten Schritt haben wir die Hölder-Ungleichung angewandt mit p und q = pp−1

.

(II) Stoppsatz

Wir haben in der VL WT II den Stoppsatz für Martingale in diskreter Zeit kennengelernt:Ist (Xn)n∈N ein (Fn)n≥0-Martingal dann gilt für beschränkte (Fn)n≥0-Stoppzeiten S, Tmit S ≤ T , dass

E (XT | FS) = XS .

Ist (Xn)n≥0 ein Submartingal, so gilt exakt mit demselben Beweis entsprechend

E (XT | FS) ≥ XS .

In dieser Form werden wir den Stoppsatz auf den zeitkontinuierlichen Fall übertragen. Dazueinige Vorbereitungen.Von nun an sei wieder (Ft)t≥0 eine Filtration (mit kontinuierlicher Indexmenge [0,∞)) aufeinem zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F , P ).

Lemma 1.38. Es sei T eine (Ft)t≥0-Stoppzeit. Dann gilt:

(i) ∃ Stoppzeiten Tn mit Tn(Ω) endlich ∀n und Tn(ω) ↓ T (ω)∀n ≥ n0(ω).

(ii) Sei S eine (Ft)-Stoppzeit und B ∈ FS, dann gilt:

B ∩ S ≤ T, B ∩ S < T ∈ FS∧T .

(iii) Sei (Xt)t≥0 Rd-wertig und adaptiert. Ist (Xt)t≥0 rechtsstetig, so ist XT FT -messbar.

Beweis. (i) Betrachte:

Tn(ω) :=n2n∑k=1

k

2n1[ k−1

2n, k2n [(T (ω)) + n1[n,∞[(T (ω)) .

(ii)B ∩ S ≤ T ∩ S ∧ T ≤ t = (B ∩ S ≤ t)︸ ︷︷ ︸

∈Ft

∩S ≤ T

= (B ∩ S ≤ t) ∩ S ∧ t ≤ T ∧ t︸ ︷︷ ︸FS∧t-messbar

∈ Ft

Dann gilt auch

B ∩ S < T = (B ∩ S ≤ T)\S ≥ T ∈ FS∧T .

(iii) Nach Satz 1.26 ist (Xt)t≥0 progressiv messbar und damit XT nach Satz 1.23FT -messbar.

Theorem 1.39. Stoppsatz Es sei (Xt)t≥0 ein rechtsseitig stetiges Submartingal, S, Tbeschränkte Stoppzeiten mit S ≤ T . Dann gilt:

XS ≤ E(XT |FS) .

Falls (Xt) Martingal, so gilt XS = E(XT | FS). Insbesondere ist für jedes rechtsstetigenichtnegative Submartingal (Xt)t≥0 und jedes t ≥ 0 die Familie

XT : T Stoppzeit , T ≤ t

gleichgradig integrierbar.

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Beweis. Zunächst sei Xt ≥ 0 ∀t. Es sei S ≤ T ≤ t und G die Menge aller Stoppzeiten mitS ≤ t und

XS ≤ E (Xt | FS) .

Dann gilt für alle Stoppzeiten S mit S(Ω) endlich nach dem Stoppsatz für Martingale indiskreter Zeit, dass S ∈ G. In der Tat: ist S(Ω) = i0, i1, . . . , ik eine Aufzählung desWertebereiches von S, so können wir nach Übergang zu

An :=

Fin für 0 ≤ n ≤ k

Fik sonst .

Xt, t ∈ S(Ω), als (An)n≥0-Submartingal auffassen. Der diskrete Stoppsatz impliziert nun,dass XS ≤ E (Xt | AS). Nun gilt aber FS ⊂ AS (warum?) und damit folgt aus derProjektivität der bedingten Erwartung

XS = E (XS | FS) ≤ E (E (Xt | AS) | FS) = E (Xt | FS) .

Die Familie XS | S ∈ G ist gleichgradig integrierbar, denn

supS∈G

E(XS;XS ≥ R) ≤ supS∈G

E(Xt;XS ≤ R)

≤ supS∈G

E(Xt;X∗t ≥ R) →

R→∞0

aufgrund der Doobschen Maximalungleichung Satz 1.36.

Sei Sn := [2nS]+12n∧ t, Tn analog. Dann folgt Sn ↓ S, Sn(Ω) endlich, Sn ≤ Tn, also

limn→∞

XSn = XS, limn→∞

XTn = XT P -f.s.

und in L1(P ) wegen gleichgradiger Integierbarkeit. Mit dem diskreten Stoppsatz folgt

XS = E (XS | FS) = limn→∞

E (XSn | FS)

≤ limn→∞

E (E (XTn | FSn) | FS)

=FS⊆FSn

limn→∞

E (XTn | FS) = E (XT | FS) .

Insbesondere ist G gleich der Menge aller Stoppzeiten S mit S ≤ t, also auch der Zusatzbewiesen.

Jetzt der allgemeine Fall: Xt nicht notwendigerweise ≥ 0. Dann ist Y (n)t := Xt ∨ (−n) + n,

t ≥ 0 ein Submartingal, ≥ 0. Also Y (n)S ≤ E

(Y

(n)T | FS

), und damit

XS ≤ XS ∨ (−n) ≤ E (XT ∨ (−n) | FS) . (1.2)

Da T ≤ t folgt

XT ∨ (−n) ≤ E(Xt ∨ (−n)︸ ︷︷ ︸≤|Xt|

| FT ) ≤ E (|Xt| | FT ) =: Y

Mithilfe des Satzes von der monotonen Integration (Levischer Konvergenzsatz) folgt nun

E (Y | FS)− limn→∞

E (XT ∨ (−n) | FS) = limn→∞

E(Y −XT ∨ (−n)︸ ︷︷ ︸≤Y−XT

| FS) = E (Y −XT | FS)

= E (Y | FS)− E (XT | FS) .

Mit n→∞ in (1.2) folgt XS ≤ E (XT | FS).

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Wir geben zum Schluss noch einige Ergänzungen zum Stoppsatz.

Satz 1.40. Es sei (Xt)t≤0 rechtsstetiges Martingal, T eine Stoppzeit, dann ist (XT∧t)t≥0

wieder ein rechtsstetiges Martingal.

Beweis. Für 0 ≤ s ≤ t und B ∈ Fs folgt B ∩ s < T ∈ FT∧s und damit

E (XT∧t, B) = E (XT∧t, B ∩ s < T) + E(XT∧t︸ ︷︷ ︸=XT∧s

, B ∩ T ≤ s)

= E (XT∧s, B ∩ s < T) + E (XT∧s, B ∩ T ≤ s)= E (XT∧s, B)

Korollar 1.41. Es sei (Xt) (Ft)-adaptiert, rechtsstetig. Dann ist (Xt)t≥0 ein Martingalgenau dann wenn E (XT ) = E (X0) für alle beschränkten Stoppzeiten T .

Beweis. ′′ ⇒′′ folgt aus dem Stoppsatz.′′ ⇐′′ wie im diskreten Fall: Es sei s < t und A ∈ Fs. Wir haben zu zeigen, dassE (Xt1A) = E (Xs1A). Zu diesem Zwecke definieren wir uns die folgende beschränkteStoppzeit: TA := s1A + t1Ac . Dann folgt wegen

E (XTA) = E (X0) = E (Xt)

dassE (Xs1A) = E (XTA)− E (Xt1Ac) = E (Xt)− E (Xt1Ac) = E (Xt1A) .

Bemerkung 1.42. Wie bereits im diskreten Fall angemerkt, wird der Stoppsatz fürunbeschränkte Stoppzeiten im allgemeinen falsch. Als Beispiel betrachten wir diesmal einestetige Brownsche Bewegung (Bt)t≥0 mit Start in 0 und

T := inft ≥ 0 : Bt > +1 .

Dann gilt (wie im Falle der symmetrischen Irrfahrt) T <∞ P -f.s. (Beweis später),BT ≡ +1 (Begründung!), also

E(BT ) = 1 aber E(B0) = 0 .

(III) Martingalkonvergenzsätze

Als nächstes übertragen wir die Martingalkonzergenzsätze auf den stetigen Fall. Dazubenötigen wir in einem ersten Schritt die Verallgemeinerung des Doobschen UprcrossingLemmas auf rechtsstetige Submartingale.

Es sei im folgenden wieder eine Filtration (Ft≥0) auf einem zugrundeliegendenWahrscheinlichkeitsraum (Ω,F , P ) gegeben. Weiter sei (Xt)t≥0 ein reellwertigeradaptierter rechtsstetiger Prozess.

Für a < b und t0 > 0 sei

U(a, b; t0)(ω) := infn ≥ 0 | t 7→ Xt(ω) überquert [a, b] höchstens n-mal in [0, t0)

die Anzahl der (abgeschlossenen) Aufwärtsüberquerungen des Intervalls [a, b] in der Zeit bist0.

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Theorem 1.43. (Doob’s Upcrossing Lemma) Es sei (Xt)t≥0 ein rechtsstetigesSubmartingal, t0 > 0 und a < b. Dann gilt:

E (U(a, b; t0)) ≤ E ((Xt0 − a)+)

b− a.

Beweis. Für n ∈ N0 setze Xnk := X k

2n. Dann ist (Xn

k ) ein (Fk2m)-Submartingal. Weiter seikn0 := maxk | k

2n< t0 und Un(a, b, kn0 ) die Anzahl der Aufwärtsüberquerungen des

diskreten Submartingals Xn bis kn0 . Dann gilt nach der diskreten Version des UpcrossingLemmas (Theorem 4.13, VL WT II)

E (Un(a, b; kn0 )) ≤E((Xkn0

− a)+)

b− a≤ E ((Xt0 − a)+)

b− a.

wobei in der letzen Ungleichung die Submartingaleigenschaft von (Xt − a)+ ausgenutztwurde, so dass also wegen kn0 < t0 folgt E

((Xkn0

− a)+)≤ E ((Xt0 − a)+).

Aufgrund der Rechtsstetigkeit von t 7→ Xt folgt offenbar Un(a, b; kn0 ) ↑ U(a, b; t0) woraussich mithilfe der monotonen Integration ergibt

E (U(a, b; t0)) = limn→∞

E (Un(a, b; kn0 )) ≤ E ((Xt0 − a)+)

b− a.

Ganz analog zum diskreten Fall ergibt sich nun aus Doob’s Uprcrossing Lemma auch imstetigen Fall der f.s.-Konvergenzsatz:

Korollar 1.44. (f.s. (Sub-) Martingalkonvergenzsatz) Es sei (Xt)t≥0 rechtsstetigesSubmartingal. Dann gilt:

(i) ∃Xt−(ω) := limstXs(ω) ∈ R ∪ ±∞ P-f.a. ω und Xt− ∈ L1(P ) ∀t ∈ (0,∞)

(ii) Falls zusätzlichsupt≥0

E (|Xt|) <∞

so gilt ∃X∞(ω) = limt→∞Xt(ω) ∈ R P.f.a. ω und X∞ ∈ L1(P ).

Beweis. (i) Nach Doob’s Upcrossing Lemma gilt E(U(a, b; t)) <∞, also U(a, b; t) <∞P -f.s ∀t, a < b ∈ R, und damit existiert Xt− wie in (i) P -f.s. (Beweis wie im diskretenFall). Mit dem Lemma von Fatou folgt

E(|Xt−|) ≤ lim infst

E(|Xs|) (|Xs| = X+s +X−s = 2X+

s −Xs)

= lim infst

2E(X+s )︸ ︷︷ ︸

≤E(X+t )

−E(Xs)︸ ︷︷ ︸≥E(X0)

≤ 2E(X+t )− E(X0) <∞, also Xt− ∈ L1(P ).

(ii) Für a < b giltU(a, b; t) ↑ U(a, b;∞) , t ↑ ∞

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also

E(U(a, b;∞)) = limt↑∞

E(U(a, b; t)) ≤ limt↑∞

E((Xt − a)+)

b− a

≤ supt≥0

E(|Xt|) + |a|b− a

<∞

und damit existiert X∞ wie in (ii) P -f.s. Wie in (i) zeigt man X∞ ∈ L1(P ).

Der Lp-Martingalkonvergenzsatz gilt dann genauso wie im diskreten Fall:

Korollar 1.45. (LP -Martingalkonvergenzsatz) Es sei (Xt) rechtstetiges Martingal.

(i) ("p = 1 Fall") Äquivalent sind:

(a) (Xt) ist gleichgradig integrierbar.

(b) X∞ := limt→∞Xt existiert in L1(P ).

(c) ∃Y ∈ L1(P ) mit Xt = E(Y | Ft) für alle t ≥ 0.

In diesem Falle gilt: X∞ = E(Y |∨t≥0Ft) P -f.s. und für alle

(Ft)t∈[0,∞]-Stoppzeiten S, T mit S ≤ T gilt

XS = E(XT | FS) .

Insbesondere ist (Xt)t∈[0,∞] ein (Ft)t∈[0,∞]-Martingal. Hierbei istF∞ :=

∨t≥0Ft = σ

(⋃t≥0Ft

).

(ii) ("p > 1 Fall") Äquivalent sind:

(a) supt≥0E (|Xt|p) <∞.

(b) X∞ := limt→∞Xt existiert in Lp(P ).

Der Beweis lässt sich unter Ausnutzung des f.s.-Martingalkonvergenzsatzes Korollar 1.44Wort für Wort aus dem diskreten Fall übertragen (siehe Korollar 4.16, VL WT II).

Wie einschränkend ist nun die Annahme an ein Submartingal, rechtsstetige Pfade zubesitzen? Eine Antwort hierauf gibt der nächste Satz.

Theorem 1.46. Es sei (Xt)t≥0 ein (Ft)t≥0-Submartingal. Weiterhin sei die Filtration(Ft)t≥0 rechtsstetig. Ist dann ebenfalls t 7→ E(Xt) rechtsstetig, so besitzt (Xt)t≥0 einerechtsstetige Modifikation (Xt)t≥0 die an jeder Stelle t > 0 f.s.-linksseitige Limiten besitzt(und die natürlich ebenfalls ein (Ft)t≥0-Submartingal ist).

Der Beweis verläuft wieder über die diskrete Version von Doob’s Upcrossing Lemma,angewandt aus das Submartingal (Xt)t∈Q∩[0,∞). In der Tat ergibt sich daraus, dass für allet ≥ 0

∃Xt+ = lims↓t,s∈Q∩(0,∞)

Xs P -f.s.

und aufgrund der Rechtsstetigkeit von t 7→ E(Xt) ergibt sich Xt = Xt+. Da diezugrundeliegende Filtration rechtsstetig ist, ist auch (Xt+)t≥0 adaptiert und damit ist allesWesentliche gezeigt. Einen detaillierten Beweis findet man in [KS91].

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Beispiel 1.47. Das folgende (Ft)t≥0-Submartingal (Xt) besitzt keine rechtsstetigeModifikation. Ω = a, b, F = P(Ω), P Gleichverteilung auf Ω, Xt(ω) = 0 für t ∈ [0, 1],

Xt(ω) =

1 für ω = a

−1 für ω = bfalls t > 1 ist.

Es sei F die von X erzeugte Filtration. Dann ist X offenbar ein F-Martingal, das keinerechtsstetige Modifikation zulässt (warum?). Da E(Xt) ≡ 0, ist also insbesondere dieFiltration F nicht rechtsstetig.

1.4 Semimartingale und quadratische Variation

In gesamten Abschnitt betrachten wir ausschließlich stetige Martingale bzgl. einerFiltration (Ft)t≥0 auf einem zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F , P ).

Definition 1.48. (i) A+ bezeichne die Menge aller stetigen reellwertigen adaptiertenstochastischen Prozesse mit monoton wachsenden Pfaden.

(ii) Für einen stochastischen Prozess (Xt)t≥0 definieren wir den zugehörigenVariationsprozess

Vt(ω) := sup∆

∑i

|Xti+1∧t(ω)−Xti∧t(ω)| , t ≥ 0

wobei das Supremum über alle endlichen Teilmengen ∆ = t0, t1, . . . , tn ⊂ [0,∞)genommen wird. Der stochastische Prozess (Xt)t≥0 heißt von lokal beschränkterVariation, falls Vt(ω) <∞ für alle ω ∈ Ω und für alle t ≥ 0.

(iii) A bezeichne die Menge aller stetigen reellwertigen adaptierten stochastischenProzesse von lokal beschränkter Variation.

Bemerkung 1.49. (i) (Xt)t≥0 ∈ A impliziert für den zugehörigen Variationsprozess(Vt)t≥0 ∈ A+

(ii) X ∈ A genau dann wenn X = U − L für Prozesse U,L ∈ A+. Zum Beweis derImplikation ⇒ setze man einfach U = 1

2(Vt +Xt) und L = 1

2(Vt −Xt). Beide sind

monoton wachsend (und stetig) und offensichtlich gilt U − L = X. Die umgekehrteImplikation ⇐ ist klar.

Definition 1.50. (i) Ein adaptierter reellwertiger stochastischer Prozess M = (Mt)t≥0

heißt lokales Martingal bzgl. der Filtration (Ft)t≥0, falls eine aufsteigende Folgevon Stoppzeiten (τn)n≥1 existiert mit τn ↑ ∞ P -f.s., so dass für alle n der gestoppteProzess

Nnt := Mτn∧t , t ≥ 0

ein Martingal ist. Die Folge (τn)n≥1 heißt lokalisierende Folge des lokalenMartingals M .

(ii) Mloc bezeichne die Familie aller stetigen lokalen Martingale,M0loc die Unterfamilie

aller stetigen lokalen Martingale M mit M0(ω) = 0 für alle ω ∈ Ω. SchließlichbezeichneM die Familie aller stetigen lokalen Martingale.

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Bemerkung 1.51. Jedes Martingal ist natürlich auch ein lokales Martingal (z.B. mitlokalisierender Folge τn = n, n ≥ 1). Umgekehrt ist nicht jedes lokale Martingal auch einMartingal. Als Beispiel betrachte man für eine stetige 3-dimensionale Brownsche Bewegung(Bt)t≥0 (mit Start in 0) den Prozess Mt := 1

|x+Bt| , t ≥ 0, für ein x ∈ R3 \ 0. Dann ist Mein lokales Martingal, aber kein Martingal. Der Beweis wird später mithilfe der Itô-Formelgegeben.

Satz 1.52. Es sei (Mt)t≥0 ein stetiges lokales Martingal. Ist dann (Mt)t≥0 gleichgradigintegrierbar, zB wenn

E

(supt≥0|Mt|

)<∞ ,

so ist M ein Martingal.

Beweis. Es sei (τn) lokalisierende Folge, dann ergibt sich mithilfe des Konvergenzsatzes vonLebesgue

limn→∞

Mt∧τn = Mt

in L1(P ) und damit für 0 ≤ s ≤ t

E (Mt | Fs) = limn→∞

E (Mt∧τn | Fs) = limn→∞

Ms∧τn = Ms .

Definition 1.53. Ein stetiger stochastischer Prozess der Form X = M + A mit M ∈Mloc

und A ∈ A heißt stetiges Semimartingal. S bezeichne die Familie aller stetigenSemimartingale. Wir bezeichnen die Zerlegung X = M + A als Doob-Meyer Zerlegung(bzw. Semimartingalzerlegung) des Semimartingals X.

Wir werden später sehen, dass die Klasse der stetigen Semimartingale die richtige Klassestochastischer Integratoren bildet. Das folgende Theorem besagt, dass die Zerlegung einesSemimartingals in lokales Martingal und adaptierten Prozess mit monoton wachsendenPfaden eindeutig ist, wenn man M0 = 0 annimmt.

Theorem 1.54. (Eindeutigkeit der Doob-Meyer Zerlegung) .

M0loc ∩ A = 0 .

Insbesondere ist für X ∈ S die Zerlegung X = M +A eindeutig, wenn man annimmt, dassM0 = 0 ist.

Beweis. Es sei X ∈M0loc ∩ A, also insbesondere X ein stetiges lokales Martingal von

beschränkter Variation. Weiter sei V der zugehörige Variationsprozess. Wir nehmenzunächst an, dass

|Xt(ω)|+ Vt(ω) ≤ K

gleichmäßig beschränkt in t und ω durch eine gemeinsame Konstante K. Zu ε > 0definiere man iterativ Stoppzeiten durch T0 := 0 und

Tn+1 = inft ≥ Tn | |Xt −XTn| ≥ ε , n ∈ N .

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21

Zu fest gewähltem t sei Sn := Tn ∧ t. Dann folgt für n ∈ N

E(X2Sn

)= E

(n−1∑k=0

X2Sk+1−X2

Sk

)

= E

(n−1∑k=0

(XSk+1

−XSk

)2

)+ 2E

(n−1∑k=0

XSk

(XSk+1

−XSk

))

= E

(n−1∑k=0

(XSk+1

−XSk

)2

)≤ εE

(n−1∑k=0

|XSk+1−XSk |

)≤ εE(Vt) ≤ εK

wobei wir von der zweiten auf die dritte Formelzeile den Stoppsatz auf die beschränktenStoppzeiten Sn angewandt haben, woraus insbesondere

E(XSk

(XSk+1

−XSk

))= E

(XSkE

(XSk+1

−XSk | FSk))

= 0

folgt. Da Tn ↑ ∞ folgt hierausE(X2

t ) ≤ εK

und wegen ε > 0 damit E(X2t ) = 0, also Xt = 0 P -f.s. und dies schließlich für alle t.

Für den allgemeinen Fall betrachte man lokalisierende Folgen

Tn := inft ≥ 0 | |Xt| ≥ nTn := inft ≥ 0 | Vt ≥ n

und Tn := τn ∧ Tn ∧ Tn ↑ ∞ (Begründung?). Dann folgt aus dem bisher gezeigten,angewandt auf (XT∧t)t≥0, dass XTn∧t = 0 für alle n, somit Xt = 0 (im Grenzwert n→∞)und das schließlich für alle t.

Bemerkung 1.55. Die Aussage des letzten Theorems kann man auch so deuten: Einstetiges lokales Martingal von beschränkter Variation ist konstant (und damit letztlichtrivial). Jedes nichttriviale stetige lokale Martingal ist damit also notwendigerweise vonunbeschränkter Variation! Die Annahme der Stetigkeit bei dieser Aussage ist entscheidendwie das Beispiel des kompensierten Poissonprozesses (Nt − λt)t≥0 zeigt. Dieser ist einMartingal mit Pfaden von beschränkter Variation, da beide, t 7→ Nt und t 7→ λt monotonwachsend sind.

Definition 1.56. Es sei D die Familie aller unbeschränkten Teilmengen∆ = 0 = t0 < t1 < t2 < . . . ⊆ [0,∞). Für einen stochastischen Prozess X und ∆ ∈ Ddefinieren wir

T∆t (X) =

n−1∑k=0

(Xtk+1

−Xtk

)2+ (Xt −Xtn)2 , t ≥ 0

wobei n so gewählt, dass tn ≤ t < tn+1. Wir sagen, dass X endliche quadratischeVariation besitzt, falls ein Prozess 〈X,X〉 existiert, so dass für alle t ≥ 0 T∆

t (X) inWahrscheinlichkeit gegen 〈X,X〉t konvergiert für |∆| → 0, wobei|∆| := sup|tn+1 − tn| | n ≥ 1 die Feinheit der Zerlegung ∆ bezeichnet. Alternativverwenden wir auch die Bezeichnung 〈X〉t statt 〈X,X〉t.Bemerkung 1.57. Für die Brownsche Bewegung (Bt)t≥0 haben wir bereits gezeigt, dassB2t − t ein Martingal ist. Aus Theorem 1.61 folgt daher 〈B〉t = t, d.h. die Bronwsche

Bewegung besitzt endliche quadratische Variation t.

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Theorem 1.58. (Existenz der quadratischen Variation für gleichmäßig beschränkte stetigeMartingale) Es sei M ∈M0

loc stetiges lokales Martingal, gleichmäßig beschränkt in (t, ω),also insbesondere sogar Martingal. Dann ist M von endlicher quadratischer Variation und〈M〉t ist der eindeutig bestimmte Prozess in A+ für den M2

t − 〈M〉t ein Martingal ist.

Beweis. Die Eindeutigkeit folgt aus Theorem 1.54. Bleibt also die Existenz zu zeigen. Zugegebener Zerlegung ∆ und tk ≤ s ≤ tk+1 gilt

E((Mtk+1

−Mtk)2 | Fs

)= E

((Mtk+1

−Ms)2 | Fs

)+ (Ms −Mtk)

2

und daher folgt für 0 ≤ s < t

E(T∆t (M) | Fs

)= T∆

s (M) + E((Mt −Ms)

2 | Fs)

= T∆s (M)−M2

s + E(M2

t | Fs).

Insbesondere ist daher t 7→M2t − T∆

t (M) ein stetiges Martingal, jedoch ist T∆t (M) noch

nicht der gesuchte Prozess, da nicht notwendigerweise monoton wachsend.

Wir zeigen im folgenden, dass T∆t (M) für |∆| → 0 in Wahrscheinlichkeit konvergiert. Dazu

sei a > 0 fest gewählt. Für zwei Zerlegungen ∆ und ∆′ bezeichne ∆∆′ die Vereinigung derbeiden Zerlegungen, d.h. ihre gemeinsame Verfeinerung. Dann ist Xt := T∆

t (M)−T∆′t (M)

ein Martingal und gleichmäßig beschränkt auf [0, t]× Ω für alle t ≥ 0. Dann ist aber auch

t 7→ Xt − T∆∆′

t (X)

wieder ein Martingal, das in t = 0 verschwindet. Insbesondere istE((T∆

a (M)− T∆′a (M))2

)= E (X2

a) = E(T∆∆′a (M)

). Wir wollen im folgenden zeigen,

dassE(X2a

)→ 0 für |∆|+ |∆′| → 0 . (1.3)

Einen Beweis dieser Aussage findet man in [RY94]. Da L2(Ω,F , P ) vollständig, existiertalso eine Zufallsvariable 〈M〉a, so dass lim|∆|→0 T

∆a (M) = 〈M〉a in L2(P ).

Es bleibt zu zeigen, dass der Prozess t 7→ 〈M〉t eine Modifikation in A+ besitzt, die int = 0 verschwindet und für die t 7→M2

t − 〈M〉t ein Martingal ist. Doob’sMaximal-Ungleichung impliziert, dass für alle a > 0 der Prozess T∆

t (M)− 〈M〉tgleichmäßig auf [0, a] gegen 0 in L2 konvergiert. Insbesondere besitzt 〈M〉t eine stetigeModifikation. Klar ist ebenfalls, dass 〈M〉0 = 0 und dass der Prozess 〈M〉t monotonwachsende Pfade besitzt. Als Grenzwert adaptierter Prozesse, ist auch der Grenzwertadaptiert. Als L2-Grenzwert der Martingale t 7→M2

t − T∆t (M) ist schließlich auch

t 7→M2t − 〈M〉t ein Martingal. Damit ist der Satz vollständig bewiesen.

Wir werden im folgenden Theorem 1.58 auf allgemeine M ∈Mloc verallgemeinern.

Lemma 1.59. Es sei M wie in Theorem 1.58. und T (beliebige) Stoppzeit. Weiterhin seiMT

t := MT∧t das durch T gestoppte lokale Martingal. Dann gilt

〈MT 〉t = 〈M〉T∧t .

Beweis. Der Stoppsatz impliziert, dass der Prozess t 7→M2T∧t − 〈M〉T∧t ein Martingal ist.

Aus der Eindeutigkeit (Theorem 1.54) folgt somit

〈MT 〉t = 〈M〉T∧t , t ≥ 0 .

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Definition 1.60. Es seien Xn und Y rellwertige stochastische Prozesse. Wir sagen dass Xn

gegen Y lokal gleichmäßig in Wahrscheinlichkeit konvergiert, limn→∞Xn = Y

ucp (aus dem Englischen: uniformly on compact sets in probability), falls für alle t > 0sup0≤s≤t |Xn

s − Ys| → 0 in Wahrscheinlichkeit.

Theorem 1.61. (Existenz der quadratischen Variation für stetige lokale Martingale) Es seiM ∈M0

loc. Dann existiert ein eindeutig bestimmter Prozess 〈M〉 ∈ A+ mit 〈M〉0 = 0 sodass

M2 − 〈M〉 ∈ Mloc .

Weiterhin gilt 〈M〉 = lim|∆|→0 T∆(M) ucp, d.h. lokal gleichmäßig in Wahrscheinlichkeit.

Beweis. Die Eindeutigkeit folgt wieder aus Theorem 1.54. DefiniereTn := inft ≥ 0 | |Mt| = n und Mn := MTn . Dann ist Mn ein beschränktes stetigesMartingal. Theorem 1.58 impliziert die Existenz eines Prozesses 〈Mn〉 ∈ A+ mit〈Mn〉0 = 0 so dass

(Mn)2 − 〈Mn〉

ein Martingal ist. Für m ≤ n gilt (Mn)Tm − 〈Mm〉 und damit nach Lemma 1.59

〈Mn〉Tm∧t = 〈Mm〉t . (1.4)

Für festes t ≥ 0 und auf der Menge ω | Tm(ω) ≥ t definieren wir

〈M〉t = 〈Mm〉t .

Dann ist 〈M〉 wohldefiniert wegen (1.4) und gleich limn→∞〈Mn〉. Da außerdem(Mn)2 − 〈Mn〉 Martingal ist für alle n ergibt sich, dass M2 − 〈M〉 ∈ Mloc.

Zum Beweis des zweiten Teils des Theorems wähle δ > 0 und t > 0 fest. Betrachte dieStoppzeiten Tn wie oben und wähle k ∈ N mit P (Tk < t) ≤ δ. Auf der Menge s ≤ Tkgilt

〈M〉s = 〈M〉Tk∧s = 〈MTk〉s .

Daher folgt für ε > 0

P

(sup

0≤s≤t|T∆s (M)− 〈M〉s| ≥ ε

)≤ δ + P

(sup

0≤s≤Tk|T∆s (M)− 〈M〉s| ≥ ε, Tk ≥ t

)= δ + P

(sup

0≤s≤Tk|T∆s (MTk)− 〈MTk〉s| ≥ ε, Tk ≥ t

)≤ δ + P

(sup

0≤s≤Tk|T∆s (MTk)− 〈MTk〉s| ≥ ε

).

Theorem 1.58, angewandt auf das beschränkte Martingal MTk , impliziert nun

lim sup|∆|→0

P

(sup

0≤s≤t|T∆s (MTk)− 〈MTk〉s| ≥ ε

)= 0 .

Da δ > 0 und ε > 0 beliebig, folgt die Behauptung.

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Theorem 1.62. Es seien M , N ∈M0loc. Dann existiert ein eindeutig bestimmter Prozess

〈M,N〉 ∈ A mit 〈M,N〉0 = 0 so dass

M ·N − 〈M,N〉 ∈ Mloc .

Darüberhinaus giltlim|∆|→0

T∆(M,N) = 〈M,N〉 ucp

wobeiT∆t (M,N) :=

∑k

(Mtk+1∧t −Mtk∧t)(Ntk+1∧t −Ntk∧t) .

Beweis. Definiere

〈M,N〉 :=1

4(〈M +N,M +N〉 − 〈M −N,M −N〉) .

Wegen

M ·N =1

4

((M +N)2 − (M −N)2

),

folgt aus Theorem 1.61, dass M ·N − 〈M,N〉 ∈ Mloc. Als Differenz zweier Prozesse inA+ liegt 〈M,N〉 in A, woraus die Behauptung folgt.

Schließlich zeigen wir noch die Existenz der quadratischen Variation für allgemeine stetigeSemimartingale.

Satz 1.63. Es sei X ∈ S ein stetiges Semimartingal, X = M + A mit M ∈M0loc und

A ∈ A. Dann folgtT∆(X)→ 〈M〉ucp .

Man beachte: Die quadratische Variation des Semimartingals hängt nur von M , also demMartingalanteil des Semimartingals X, ab und ist im übrigen unabhängig von A.

Beweis. Es gilt

T∆t (X) =

∑k

(Xtk+1∧t −Xtk∧t)2 = T∆

t (M) + 2T∆t (M,A) + T∆

t (A) .

Nun gilt|T∆t (M,A)| = |

∑k

(Mtk+1∧t −Mtk∧t)(Atk+1∧t − Atk∧t)|

≤ suptk∈∆ ,tk≤t

|Mtk+1−Mtk |

∑k

|Atk+1∧t − Atk∧t| → 0

denn M besitzt stetige Pfade, also ist t 7→Mt(ω) lokal gleichmäßig stetig, und damit

lim|∆|→0

suptk∈∆ ,tk≤t

|Mtk+1−Mtk | = 0 .

Analog zeigt man

T∆t (A) =

∑k

(Atk+1∧t − Atk∧t)2

≤ suptk∈∆ ,tk≤t

|Atk+1− Atk |

∑k

|Atk+1∧t − Atk∧t| → 0 .

Nun folgt die Behauptung des Satzes aus Theorem 1.61.

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Zum Abschluss des Abschnittes noch einige Aussagen zur Struktur stetigerquadrat-integrierbarer Martingale.

Definition 1.64. Es sei

H := M ∈M | supt≥0

E(|Mt|2

)<∞

die Menge der L2-beschränkten stetigen Martingale.

Theorem 1.65. (i) Es sei M ∈ H, dann konvergiert M gegen M∞ f.s. und in L2.

(ii) H ist (nach Übergang zu Äquivalenzklassen) ein (reeller) Hilbertraum bezüglich derNorm

‖M‖H := limt→∞

E(M2

t

) 12 = E

(M2∞) 1

2 .

(iii) Die folgende Norm

‖M‖ := E

(supt≥0

M2t

) 12

ist äquivalent zu ‖M‖H.

(iv) Ist M ∈ H0 (Unterraum aller Martingale M in H mit M0 = 0), so existiert〈M〉∞ = limt→∞〈M〉t P -f.s. und es gilt

‖M‖2H = E (〈M〉∞) .

Beweis. (i) Folgt aus dem Martingalkonvergenzsatz 1.45.

(ii) Die zweite Gleichheit folgt aus der L2-Konvergenz. Bleibt nur noch die Vollständigkeitvon H zu zeigen. Zu diesem Zwecke sei Mn eine Cauchy-Folge in H. Dann istinsbesondere Mn

∞, n ≥ 1, Cauchy-Folge in L2(Ω,F , P ) und damit konvergent gegen einM∞, also limn→∞M

n∞ = M∞ in L2(P ). Dann aber folgt auch

limn→∞

Mnt = lim

n→∞E (Mn

∞ | Ft) = E (M∞ | Ft)

in L2(P ) für alle t ≥ 0. Die Familie der bedingten Erwartungen E (M∞ | Ft), t ≥ 0, istoffensichtlich ein quadratintegrierbares Martingal. Wir wollen im folgenden zeigen, dass esein stetige Modifikation besitzt. Dazu beachte man, dass die DoobscheMaximalungleichung 1.36 impliziert, dass

P

(sup

0≤s≤t(Mn

t −Mmt )2 ≥ ε

)→ 0 für m,n→∞ .

M.a.W., die Folge Mn ist sogar lokal gleichmäßig konvergent und daher ist

M∞t := lim

n→∞Mn

t = E (M∞ | Ft) , t ≥ 0

eine stetige Modifikation.

(iii) Die Äquivalenz der Normen folgt aus den beiden folgenden Ungleichungen

E

(supt≥0

M2t

)≤ 4E

(M2∞)≤ 4E

(supt≥0

M2t

)

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(siehe Doobsche Maximalungleichung 1.36).

(iv) Aus Theorem 1.61 folgt, dass M2t − 〈M〉t ∈Mloc. Es sei wie üblich

Tn := inft ≥ 0 | |Mt| = n. Dann folgt

E(M2

Tn∧t)

= E (〈M〉Tn∧t) .

Aus dem Lemma von Fatou folgt für n→∞ und t→∞

E(M2∞)≤ lim inf

n→∞,t→∞E(M2

Tn∧t)

= lim infn→∞,t→∞

E (〈M〉Tn∧t) = E (〈M〉∞) ,

wobei in der letzten Gleichheit monotone Integration angewandt wurde.Umgekehrt folgt

E (〈M〉∞) = limn→∞,t→∞

E (〈M〉Tn∧t) = limn→∞,t→∞

E(M2

Tn∧t)≤ E

(M2∞)

aus dem Stoppsatz 1.39 angewandt auf das Submartingal M2t .

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Literaturverzeichnis

[I] Grundlegende Texte

[Ba91] H. Bauer, Maß- und Integrationstheorie, 2. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin,1991.

[Ba02] H. Bauer, Wahrscheinlichkeitstheorie, 5. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin, 2002.

[Ev10] L.C. Evans, An Introduction to Stochastic Differential Equations, AMS, Providence,2010.

[Kl06] A. Klenke, Wahrscheinlichkeitstheorie, Springer, New York, 2006.

[KS91] I. Karatzas and S. Shreve, Brownian Motion and Stochastic Calculus, secondedition, Springer, New York, 1991.

[St13] W. Stannat, Wahrscheinlichkeitstheorie I, Vorlesungsskript, TU Berlin, 2015.

[St14] W. Stannat, Wahrscheinlichkeitstheorie II, Vorlesungsskript, TU Berlin, 2016.

[II] Ergänzende Texte

[DM78] C. Dellacherie, P.A: Meyer, Probabilities and Potential, North-Holland,Amsterdam, 1978.

[Kh12] R. Khasminskii, Stochastic Stability of Differential Equations, 2. Auflage, Springer,New York, 2012.

[Pr92] P. Protter, Stochastic Integration and Stochastic Differential Equations, secondedition, Springer, New York, 1992.

[RY94] D. Revuz and M. Yor, Continuous Martingales and Brownian Motion, 2. Auflage,Springer, 1994.

[RW94] L.C.G. Rogers and D. Williams, Diffusions, Markov Processes and Martingales,Volume I: Foundations, 2. Auflage, Wiley, 1994.