Waibels Sonnenfinsternis

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Aus: "Operation Sunrise". Atti del convegno internazionale (Locarno, 2 maggio 2005), a cura di Marino Viganò - Dominic M. Pedrazzini (Lugano 2006) Helden braucht das Land Waibels Sonnenfinsternis Von Shraga Elam* Mit Geheimdienstoffizier Max Waibel hat die Schweiz einen neuen Helden gefunden, der das Ende des zweiten Weltkriegs beschleunigt haben soll. Tatsächlich spielte Weibel eine zwiespältige Rolle in problematischen Verhandlungen zwischen der SS und den Westalliierten und schützte nach dem Krieg NS-Kriegsverbrecher. Am 2. Mai 1945, sechs Tage vor Kriegsende in Europa, kapitulierten die Deutschen in Norditalien. Bewirkt hatte die frühzeitige Waffenniederlegung die so genannte «Operation Sunrise». Unter diesem Namen führten US-Geheimdienstler hierzulande Friedensverhandlungen mit SS-Offizieren. Von grosser Bedeutung waren dabei der Schweizer Nachrichtenoffizier Max Waibel samt Mitarbeitern und ein Informant namens Max Husmann. Sie stellten nicht nur eine Villa im Tessin zur Verfügung und ermöglichten die komplizierte Ein- und Ausreise der Nazis. Sie traten auch immer in Erscheinung, wenn die Verhandlungen ins Stocken gerieten. Nach dem Krieg entstand das Bild, Waibel hätte, im Alleingang und ohne die Zustimmung seiner Vorgesetzten, «Sunrise», zu Erfolg geführt. Endgültig zum Helden wurde Waibel, weil der Bundesrat ihn rügte und viele Jahre lang das Erscheinen seines «Sunrise»-Buches verbot. Waibel soll aber nicht nur das Bedürfnis nach Helden befriedigen, sondern auch als eine Art Entgegnung auf die Vorwürfe dienen, wonach die Schweiz den Krieg verlängert habe. Freilich gibt es da noch einige Details, welche die Freude am hochgejubelten neuen Helden verderben könnten. Namhafte Forscher wie Militärhistoriker Hans-Rudolf Fuhrer beurteilen die Kriegsverkürzung nämlich als unbedeutend. Umso schwerer wiegen der geleistete Schutz für NS-Kriegsverbrecher und die nachrichtendienstlichen Fehlleistungen. Und was Waibels Friedensstiftung betrifft, so kann man darin auch die ersten Schüsse im Kalten Krieg erkennen. «Mutig und beharrlich, nicht Befehlen, sondern dem eigenen Gewissen gehorchend, entzündete er das Friedensfanal, das den Krieg in Europa verkürzte», heisst es

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Aus:"Operation Sunrise". Atti del convegno internazionale (Locarno, 2 maggio 2005), a cura di Marino Viganò - Dominic M. Pedrazzini (Lugano 2006)Helden braucht das LandWaibels SonnenfinsternisVon Shraga Elam*Mit Geheimdienstoffizier Max Waibel hat die Schweiz einen neuen Helden gefunden, der das Ende des zweiten Weltkriegs beschleunigt haben soll. Tatsächlich spielte Weibel eine zwiespältige Rolle in problematischen Verhandlungen zwischen der SS und den Westalliierten und schützte nach dem Krieg NS-Kriegsverbrecher.

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Aus:"Operation Sunrise". Atti del convegno internazionale (Locarno, 2 maggio 2005), a cura di Marino Viganò - Dominic M. Pedrazzini (Lugano 2006)

Helden braucht das Land

Waibels Sonnenfinsternis

Von Shraga Elam*

Mit Geheimdienstoffizier Max Waibel hat die Schweiz einen neuen Helden gefunden, der das Ende des zweiten Weltkriegs beschleunigt haben soll. Tatsächlich spielte Weibel eine zwiespältige Rolle in problematischen Verhandlungen zwischen der SS und den Westalliierten und schützte nach dem Krieg NS-Kriegsverbrecher.

Am 2. Mai 1945, sechs Tage vor Kriegsende in Europa, kapitulierten die Deutschen in Norditalien. Bewirkt hatte die frühzeitige Waffenniederlegung die so genannte «Operation Sunrise». Unter diesem Namen führten US-Geheimdienstler hierzulande Friedensverhandlungen mit SS-Offizieren. Von grosser Bedeutung waren dabei der Schweizer Nachrichtenoffizier Max Waibel samt Mitarbeitern und ein Informant namens Max Husmann. Sie stellten nicht nur eine Villa im Tessin zur Verfügung und ermöglichten die komplizierte Ein- und Ausreise der Nazis. Sie traten auch immer in Erscheinung, wenn die Verhandlungen ins Stocken gerieten. Nach dem Krieg entstand das Bild, Waibel hätte, im Alleingang und ohne die Zustimmung seiner Vorgesetzten, «Sunrise», zu Erfolg geführt. Endgültig zum Helden wurde Waibel, weil der Bundesrat ihn rügte und viele Jahre lang das Erscheinen seines «Sunrise»-Buches verbot. Waibel soll aber nicht nur das Bedürfnis nach Helden befriedigen, sondern auch als eine Art Entgegnung auf die Vorwürfe dienen, wonach die Schweiz den Krieg verlängert habe. Freilich gibt es da noch einige Details, welche die Freude am hochgejubelten neuen Helden verderben könnten. Namhafte Forscher wie Militärhistoriker Hans-Rudolf Fuhrer beurteilen die Kriegsverkürzung nämlich als unbedeutend. Umso schwerer wiegen der geleistete Schutz für NS-Kriegsverbrecher und die nachrichtendienstlichen Fehlleistungen. Und was Waibels Friedensstiftung betrifft, so kann man darin auch die ersten Schüsse im Kalten Krieg erkennen.«Mutig und beharrlich, nicht Befehlen, sondern dem eigenen Gewissen gehorchend, entzündete er das Friedensfanal, das den Krieg in Europa verkürzte», heisst es auf der Gedenktafel für Waibel, die am 6. Mai 2005 beim Armee-Ausbildungszentrum Luzern enthüllt wurde. Einige Tage zuvor wurde in Losone/TI der inzwischen verstorbene Waibel offiziell gefeiert und rehabilitiert. Unter Beteiligung internationaler Prominenz würdigte der damalige Bundespräsident Samuel Schmid die «Operation Sunrise» und den Geheimdienstler.Max Waibel wurde am 2. Mai 1901 in Basel geboren und promovierte 1923 zum Doktor der politischen Wissenschaften. Ab 1927 fungierte er als Instruktionsoffizier auf dem Waffenplatz Luzern. 1935 in den Generalstab versetzt, wurde er 1938 an die Kriegsakademie Berlin abkommandiert. Bei Kriegsausbruch 1939 kehrte er in die Schweiz zurück und leitete während des Aktivdienstes die Nachrichtensammelstelle Rigi/Luzern. 1940 gehörte Waibel zu den Anführern des «Offiziersbundes», welcher den Kampf gegen eventuell einmarschierende deutsche Truppen auf eigene Faust aufnehmen wollte, falls der Bundesrat die Kapitulation beschliessen würde. Zusammen mit zwei anderen Offizieren wurde Waibel verhaftet, jedoch bald wieder entlassen und Ende 1940 sogar zum Major befördert. Sein grösster Ruhm erlangte Waibel aber durch seine besonders delikate Rolle bei den «Sunrise»-Verhandlungen ab Februar 1945. Und über die Jahre mutierte Waibel gewissermassen zum „Mr. Sunrise“.

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Anlässlich seiner festlichen Ansprache in Losone am 1. Mai 2005 hielt der damalige Bundespräsident Samuel Schmid fest: «Zwischen dem 2. und dem 8. Mai 1945 [Kriegsende in Europa] liegt ein Unterschied von sechs Tagen. Sechs Tage weniger Blutvergiessen. Sechs Tage weniger Zerstörungen. Sechs Tage weniger menschliches Leid. Daran dürfen wir auch nach sechzig Jahren noch mit Fug und Recht erinnern.» 1 Der Historiker Edgar Bonjour war seinerzeit sogar noch weiter gegangen: «Sunrise» habe den Krieg um ganze sechs bis acht Wochen verkürzt. Und nicht nur das. Dank Waibels Vermittlerkünsten sollen die Deutschen in Oberitalien auf die Taktik der «verbrannten Erde» verzichtet haben. Mit andern Worten: Unzählige Städte, Dörfer, Strassen, Brücken und Kulturgüter wurden von der Zerstörung bewahrt, unzählige Gefangene vor der Erschiessung gerettet, schrieb Bonjour. 2

Die italienische Historikerin Elena Aga Rossi postuliert, dass das Kapitulationsabkommen nicht nur die Zerschlagung der norditalienischen Schwerindustrie verhinderte, sondern auch den Rückzug deutscher Truppen in die sogenannte «Alpenfestung». Dort, im österreichisch-bayerischen Alpenmassiv, hätten Elitetruppen bis zum letzten Blutstropfen Widerstand leisten sollen. Aber auch die Schweiz hätte von «Sunrise» profitiert: Es sicherte ihr den wichtigen Zugang zum Genueser Hafen und ersparte ihr eine Flüchtlingswelle. 3

Studien, die dieses positive Bild in Frage stellen, werden von der Öffentlichkeit dagegen kaum wahrgenommen. So argumentiert etwa der Schweizer Militärhistoriker Hans Rudolf Fuhrer aufgrund deutscher Akten, dass die Wehrmacht in Norditalien ohnehin kurz vor dem Zusammenbruch gestanden habe. Ihre Versorgungslage sei katastrophal gewesen, die Flugzeuge der Alliierten hätten uneingeschränkt den Luftraum kontrolliert, die Kampfeinheiten seien sehr schlecht besetzt gewesen und der immer stärker werdende Partisanenkrieg habe zusätzlich die Nachschubtransporte und den Meldefahrerverkehr erschwert. 4

Militärhistoriker Fuhrer sieht in der «verbrannte Erde»-Drohung, welche die Geheim-Verhandlungen ausgelöst haben soll, ein reines Phantom:«Der eindeutige Nachweis eines klaren Befehls zur systematischen Zerstörung Norditaliens in den Jahren 1944/45 liegt bis heute nicht vor. Weder im zentralen deutschen Bundesarchiv-Milittärarchiv in Freiburg in Breisgau noch in den amerikanischen National Archives in Maryland finden sich substantielle Hinweise für eine derartige Planung.»5

Die italienische Historikerin Elena Aga Rossi vertrat am gleichen Kolloquium eine andere Einschätzung. «Sie gehe davon aus», berichtete Radio DRS, «dass die Wehrmacht eben doch eine Politik der verbrannten Erde verfolgt habe - auch in Italien, entgegnete sie Fuhrer. In Mittel- und Süditalien habe die Wehrmacht auf ihrem Rückzug Häuser, aber vor allem Industrieanlagen, Häfen und Eisenbahnanlagen zerstört. (…) Es habe ein Plan zur Zerstörung Norditaliens bestanden - nur schon der Hafen von Genua beispielsweise sei vermint gewesen, sagt Aga Rossi.»6

Max Waibel sah die Lage, selbst ein Jahr nach Kriegsende, ganz anders als Fuhrer. Seine Beschreibung der «Sunrise»-Ausgangssituation liest sich wie ein Eigenlob: «Erst wenn man sich die allgemeine Lage an den Kampffronten und insbesondere die Situation der Heeresgruppe C [Wehrmacht in Italien] wieder vergegenwärtigt, wird klar, wie gewagt und scheinbar aussichtslos es sein musste, ausgerechnet diese Heeresgruppe zur bedingungslosen Kapitulation veranlassen zu wollen. Unter allen deutschen Heeresgruppen stand die in Italien

1 http://www.bundespraesident.admin.ch/internet/president/de/home/redint/reden2005/050501a.html 2 Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Band IV, Basel, Helbling & Lichtenhahn 1976 S. 125-1333 Elena Aga Rossi, Vortrag 2. Mai 2005, Promotions-Kollegium "Sunrise '05, Lugano. Elena Aga Rossi and Bradley F. Smith, Operation Sunrise: the secret surrender, New York, Basic Books, 1979. 4 Hans Rudolf Fuhrer, Vortrag 2. Mai 2005, Promotions-Kollegium "Sunrise '05, Lugano5 Ebenda.6 Schweizer Radio DRS 2, Kontext, 9.5.2005

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noch am festesten.»7

Zweifellos entpuppte sich das deutsche «Alpen-Réduit» als leere Drohung. Nach dem Krieg wunderte sich ein SS-Nachrichtenoffizier, «dass die Alpenfestung von den Alliierten masslos überschätzt wurde.»8 Selbst die US-Armee gab 1981 zu, dass das «Réduit» erwiesenermassen das Produkt deutscher Täuschung und fehlerhafter Nachrichtendienstarbeit sei.«Although it eventually proved to be a product of German delusion and faulty American intelligence, the so-called German National Redoubt nonetheless influenced Allied strategy in 1945.» 9

Das heisst im Klartext: Sowohl Schweizer wie US-Geheimdienste schätzten die Stärke und Strategie der Deutschen falsch ein. Diese waren am Ende und blufften nur. In Tat und Wahrheit hatten sie kaum mehr etwas anzubieten; den verhandelnden Nazis ging es vor allem um ihr eigenes Überleben. Denn der Preis für die deutsche Kapitulation war sehr hoch: ein Straferlass für Kriegsverbrecher. Einen zentralen Aspekt des Waibel-Mythos entkräftete ausgerechnet der heutige persönliche Berater Samuel Schmids, Stefan Costa. Dieser räumte schon 1998 in seiner Liz-Arbeit mit der Legende vom Alleingang Waibels gegen den Widerstand seiner Vorgesetzten auf.10

Gemäss Costa zeigen die Bundesarchiv-Akten, dass Nachrichtendienst-Chef Brigadier Roger Masson in groben Zügen sehr wohl über die Rolle seines Untergebenen bei «Sunrise» informiert war und diese auch billigte. Das Gleiche gilt für den Armeechef General Henri Guisan. Costa schreibt: «Roger Masson wandte sich - als ihn Max Waibel über die Bedeutung der sich anbahnenden Aktion [«Sunrise»] informierte - insgesamt fünf Mal persönlich an General Henri Guisan.» Das war ungewöhnlich. «Normalerweise wurde die schweizerische Armeespitze durch den Nachrichtendienst mittels periodisch erscheinender "Bulletins de renseignements" über die allgemeine Lage sowie die spezielle Nachrichtensituation ins Bild gesetzt. In diesem Fall jedoch glaubte Masson Guisan und den Generalstabschef (GSC) Korpskommandant Jakob Huber direkt über den Vorstoss... orientieren zu müssen.»11

Als Waibel nach dem Krieg unter Beschuss geriet, weil er seine Vermittlerrolle bekannt gemacht hatte, konnte er nicht nur auf Massons Rückendeckung zählen. Auch die graue Eminenz des Aussenministeriums, Walter Stucki, der «Sunrise» schon während des Krieges unterstützte, schaltete sich öffentlich zugunsten Waibels ein. Er schrieb: «Denken wir an die humanitären Aufgaben, die Wahrung fremder Interessen, an die von den Mächten anerkannte Vermittlertätigkeit, wie sie etwa in Vichy oder in der Beschleunigung der deutschen Kapitulation in Oberitalien durch schweizerische Hilfe zum Ausdruck gekommen war. Deutlicher denn je muss die Welt wissen, dass diese Dienste an jenen, die in den Krieg gestürzt wurden, nur dank unserer neutralen Stellung möglich gewesen sind. Daraus erkennt aber die Welt ebenso deutlich, dass Neutralität für uns nicht bequemes Abseitsstehen bedeutete.»12 Was häufig vergessen wird: «Sunrise» war keine Einzelaktion, die von 'Friedensaktivsten' in die Welt gesetzt wurde. Hinweise zeigen, dass Himmler schon ab 1941 anfing, Fühler in die Richtung der Alliierten auszustrecken. Dies, weil Militäreinschätzungen dem Russlandfeldzug keine Erfolgschance beimassen, jedoch Hitler von diesem Vorhaben nicht abzubringen war. Die Prognosen der Strategen bewahrheiteten sich schnell. Schon einige Monate nach Beginn der deutschen Russlandinvasion sollen auf Himmlers Schreibtisch Berichte gelegen haben,

7 Max Waibel, Kapitulation in Norditalien. Originalbericht des Vermittlers, Basel, Helbling & Lichtenhan, 1981 S. 268 SD-Obersturmbahnführer Wilhelm Höttl, Interview im «Spiegel», 27.11.19639 The US Army Military History Institute (USAMHI), German National Redoubt – 1945 - European Theater #8e, Oct 1981 http://www.ibiblio.org/pub/academic/history/marshall/military/mil_hist_inst/w/ww2eto8e.asc 10 Stefan Costa, Auswirkung der ‚Sunrise’ –Waffenstillstandverhandlungen: Aspekte des Übergangs vom Zweiten Weltkrieg in den Kalten Krieg?, Lizentiatsarbeit, Universität Bern, Eingereicht im Januar 199811 Costa, Auswirkung der ‚Sunrise’ ,S. 39 und Schweizer Bundesarchiv E27/9540/ Bd. 3, Roger Masson an General Henri Guisan und Generalstabschef Jakob Huber, 8.3.1945. 12 Schweizer Bundesarchiv E27/9540/Bd 1 S. 5, Waibel an de Montmollin, 30.4.1946, Zit. In Costa, S. 63

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dass ein grosser Teil der deutschen Armee an der Ostfront nicht mehr existiere. Spätestens am 31. Juli 1941 erfuhr Himmler, «Dass von 18 an der Ostfront eingesetzten Panzerdivisionen gut 40% als endgültig vernichtet betrachtet werden können. Die Menschenverluste seien horrend.» 13

Folglich versuchte die SS-Führung, wie auch ein Teil der NS-Elite, zu retten, was zu retten war. Vergeblich. Die Alliierten lehnten ihre Friedensinitiativen immer wieder ab. Nur eine bedingungslose Kapitulation kam in Frage, lautete die Antwort. Abgesehen davon misstrauten die Westmächte dem Separatfriedensangebot. Laut ihrer «Keiltheorie» wollten die Nazis damit lediglich die Alliierten spalten. Denn ein NS-Vorschlag war, den Krieg zu stoppen und die gemeinsame antikommunistische Sache aufzunehmen.Um den Widerstand der Alliierten gegen das Angebot zu überwinden, versuchte Himmler, Juden als Druckmittel zu benutzen. Zwei grosse Erpressungsversuche, in denen seine Botschaft (auch über die Schweiz) übermittelt wurde, sind bekannt: der Europa Plan von 1942/43 und jener in Ungarn von 1944/45. Er wäre bereit, Millionen von Juden frei zu lassen, wenn die Westmächte mit ihm verhandeln und eine entsprechende Zahlung erfolgen würde, lauteten seine Forderungen, ansonsten würden diese Juden vernichtet. Wie andere Rassisten glaubte auch Himmler, dass «die Juden» die Welt beherrschen, und entsprechend sollte das imaginäre Weltjudentum im Stande sein, z.B. Roosevelt zu beeinflussen, auf den grausamen Deal einzugehen. Die Erpressung des SS-Chefs funktionierte aber nicht, u.a. auch weil die jüdischen Lobbys damals nicht so einflussreich waren, wie er glaubte. Und dass einige Millionen Juden ermordet würden, war auch den Machthabenden der Alliierten ziemlich egal.14

Ab 1944 wurden die SS-Bemühungen, einen Sonderfrieden zu schliessen, intensiviert. Es gab mehrere Schienen verschiedener SS-Fraktionen, die sich gegenseitig bekämpften und konkurrierten. Denn ihnen ging es vor allem um das eigene Überleben, die Sicherung ihrer Existenz nach der sich anbahnenden Niederlage und eine eventuelle Machtposition in der Nachkriegsneuordnung. Eine zentrale Figur bei diesen Bestrebungen war Walter Schellenberg, der Chef des Geheimdienstes SD, der über mehrere Kanäle die Alliierten zu erreichen versuchte. Aber auch ihm ging es vor allem um eigene Interessen, denn 1944 blockierte er die Initiative von Wilhelm Harster, dem SD-Chef in Italien, der einen italienischen Industriellen namens Franco Marinotti in Oktober 1944 als Geheimvermittler in die Schweiz sandte, um mit britischen Vertretern über einen separaten Frieden zu diskutieren.15 Kurz darauf sandte die SS aus Italien einen anderen Friedensboten, nämlich den Priester Don Giuseppe Bicchierai, der mit Dulles Kontakt aufnahm. Bicchierai überreicht Dulles ein schriftliches Projekt von Kardinal Schuster aus Mailand.16 Wie englische Dokumente zeigen, stand Bicchierai in enger Verbindung mit dem SS-Standartenführer Walther Rauff aus Mailand. 17 Nach dem Krieg half dieser Priester mehreren Nazi-Verbrechern, darunter auch Rauff, aus Europa zu fliehen.Im November 1944 wurde die Idee, erneut einen italienischen Mittelsmann in der Schweiz einzusetzen, wieder belebt. In einem Meeting von SS-Geheimdienstoffizieren schlug Obersturmführer Guido Zimmer vor, seinen Freund, den italienischen SS-Vertrauensmann und Industriellen Baron Luigi Parrilli in die Schweiz zu schicken. Dieser sollte Kontakt mit

13 Kurt Emmenegger, Q.N. wusste Bescheid, Schweizer Spiegel verlag, Zürich 1965, S. 2814 Für eine detaillierte Beschreibung s. Shraga Elam, Hitlers Fälscher - wie jüdische, amerikanische und Schweizer Agenten der SS beim Falschgeldwaschen halfen, Wien, Ueberreuter Verlag, 2000, Kapitel 6, S. 52f. 15 National Archives and Records Administration (NARA), RG 226, E 119A, Box 71, Folder 1828, Sixth Detailed Interrogation Report on SS Sturmbannfuehrer Huegel, Dr. Klaus, 21.6.1945. S. auch Allen Dulles – Geron v.S. Gaevernitz, Unternehmen »SUNRISE« - Die geheime Geschichte des Kriegsendes in Italien, Düsseldorf/Wien, Econ-Verlag, 1967 S. 62-64.16 Ebenda S. 64-66.17 The National Archives of England, Wales and the United Kingdom, HS 8/887 Op. BOYKIN: interrogations and statements, interrogation report on Benuzzi Valerio, 21.1.1945

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dem US-Geheimdienstler Allen Dulles herstellen.18

Parrilli wurde ausführlich von Zimmer instruiert. Der italienische Baron hätte zu erwähnen, dass Zimmer «ohne Wissen seiner Dienststellen einigen Kreisen von einflussreichen Personen angehoere, die eine bestimmte politische Richtung verfolgen, die fuer die Englaender dann Bedeutung haben falls der Entschluss, Deutschland um jeden Preis zu vernichten und Russland das Feld zu ueberlassen, nicht schon entschieden sei.»19

Dulles war ab 1943 Chef des US-Nachrichtendienstes OSS für die Schweiz in der wichtigen Spionage-Schaltstelle Bern. Nach dem Krieg wurde er CIA-Chef. Die Wahl von Dulles war nicht zufällig, denn er galt als deutschfreundlich, weil er vor dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschaftsanwalt, zusammen mit seinem Bruder John Forster, ein wichtiges Bindeglied zwischen dem amerikanischen Big Business und dem deutschen Grossunternehmertum war. Kein Wunder, bemühten sich etliche Deutsche, unter ihnen auch Delegierte von Himmler, Kontakte zu ihm zu knüpfen, um die Sonderfrieden-Perspektiven zu entwickeln.Es dauerte lange, bis Berlin die Parilli-Mission in der Schweiz bewilligte. Mitte Februar 1945 konnte auch die Unterstützung von SS-General Karl Wolff gewonnen werden. Wolff bekleidete damals das Amt des höchsten SS- und Polizeiführers in Italien und war der dritte Mann in der SS-Hierarchie. Ihm unterstanden alle SS-, Polizei- und Sicherungstruppen sowie das Wirtschaftsdezernat in Italien. Der italienische Emissär fuhr am 21. Februar 1945 in die Schweiz. Ein deutscher Diplomat behauptete, Parrilli sei ein Nazi-Agent und habe «für eine Reise für ein paar Tage vom Comer See nach der Schweiz und zurück 6.000 sfrs verlangt und erhalten, dies zu wiederholten Malen.»20 Der Baron traf in Zürich seinen langjährigen Freund Dr. Max Husmann und unterbreitete ihm das Angebot der SS: einen Separatfrieden um die Zerstörung von Norditalien zu verhindern.Husmann, Inhaber des Zugerberger Knabeninstituts Montana, war eine undurchsichtige Figur. Der zum Katholizismus konvertierte Jude wurde von der militärischen Spionageabwehr (Spab) verdächtigt, für den SS-Geheimdienst zu arbeiten und eine «stark deutsche und faschistische Einstellung» zu pflegen: «Die stark deutsche und faschistische Einstellung des Dr. Husmann wird darin erblickt, dass er englische und holländische Lehrer entliess und italienische und speziell den deutschen Lehrer bevorzugt, der Rassenlehre und Mathematikunterricht erteile, obschon er zunächst nur als Hauslehrer für den deutschen Schüler Assag herkam und auch nur für diese Tätigkeit Aufenthaltbewilligung erhielt.»21 Der Verdacht im Dienst der SS zu stehen wurde nach dem Krieg durch den ehemaligen deutschen Botschafter in Italien, Rudolf Rahn, bestätigt.22

Der Schweizer Geheimdienstler Max Waibel hingegen bezeichnete Husmann als Freund, mit dem er seit Frühjahr 1940 «in regem Gedankenaustausch über alle wichtigen Probleme, welche der Krieg stellte» 23 sei. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass Husmann ein Doppelagent war.Nach dem Erhalt von Parrillis Botschaft kontaktierte Husmann Waibel. Der Geheimdienstler brach seine Winterferien in St. Moritz ab und fuhr sofort nach Zürich, um Parrilli zu sehen. Am 25. Februar traf Waibel Allen Dulles in Luzern, und die «Operation Sunrise» wurde lanciert. Nach einigen Vorbereitungsrunden kam General Wolff am 8. März nach Zürich, wo 18 Richard Breitman, Analysis of the Name File of Guido Zimmer, Record Group 263: Records of the Central Intelligence Agency, Records of the Directorate of Operations http://www.archives.gov/iwg/declassified-records/rg-263-cia-records/rg-263-zimmer.html. S. auch NARA Zimmer Name File, (ZNF) ‘File traces on Zimmer,’ Zipper Desk, (nd), #7, JRX-554 28.6.1945, Interrogation Report Ennemoser Frida.19 NARA, Zimmer Name File, Guido Zimmer Notebooks S. 12, Betrifft: Schweizer Reise des Baron P.20 Schweizer Bundesarchiv E4320 B 1973/17 Bd. 4, Bundesanwaltschafts-Akten Max Husmann, Aktennotiz Insp. Schmid 14.7.1949 21 Schweizer Bundesarchiv, E27/10065 Spab-Akten, Bericht Major Barblan, 29.7.194122 Schweizer Bundesarchiv E4320 B 1973/17 Bd. 4, Bundesanwaltschafts-Akten Max Husmann, Aktennotiz Insp. Schmid 14.7.194923 Max Waibel, 1945 Kapitulation in Norditalien, Basel, Helbing & Lichtenhahn Verlag, 1981, S. 28

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er sich mit Dulles traf. Dieser war vom SS-General positiv beeindruckt.Laut Dulles sagte Wolff, er könne den Befehlshaber des deutschen Militärs in Italien, Albert Kesselring, zum Mitmachen bewegen. Kesselring könnte dann zusammen mit Wolff die Situation in Norditalien und Westösterreich kontrollieren. Dadurch würden Hitler und Himmler nicht imstande sein, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Wolff war auch der Meinung, dass die Kapitulation in Italien auf andere Generäle, die alle auf einen ersten Schritt warteten, ansteckend wirken könnte. Gemäss Dulles forderte Wolff keine Gegenleistung, was seine persönliche Sicherheit oder «privilegierte Behandlung aus 'kriegsverbrecherischer' Betrachtung»24 anbelangte.Die letzte Aussage ist allerdings nicht glaubwürdig, denn einige Tage vor diesem Treffen, bei den Vorgesprächen, gab Dulles' Mitarbeiter Paul Blum den SS-Leuten zu verstehen, dass die an den Verhandlungen beteiligten Deutschen nach dem Krieg geschützt würden. «Jeder, der hilft, den Krieg zu verkürzen, gibt uns damit den Beweis seines guten Willens...»25 Dieses Versprechen - wie weiter unten zu sehen sein wird - wurde nach dem Krieg eingelöst und schwere NS-Kriegsverbrecher wie Karl Wolff und Guido Zimmer wurden gedeckt.Um seinen Goodwill zu beweisen, war Wolff bereit, die Kriegsführung gegen die Partisanen einzustellen und 150 Juden, die im KZ-Bozen interniert waren, sowie andere Gefangene freizulassen. Er behauptete, gemäss Dulles, «dass er jegliche in diesem Zusammenhang angebotenen Lösegelder zurückgewiesen habe. Solche Gelder wurden wahrscheinlich schon von den Mittelsmännern geschluckt.»26

Akten in der Schweiz und Israel zeigen, dass Wolff schon im Januar 1945 in Verhandlungen zur Freilassung von 150 Juden verwickelt war27. In einer Meldung an einen jüdischen Aktivisten teilte der Vermittler, der IKRK-Delegierte Hans Bon, der sich mit Wolff getroffen hatte, mit, dass finanzielle Forderungen gestellt wurden.28 Es ist nicht wahrscheinlich, dass Wolff, der eine zentrale Rolle bei dieser Angelegenheit spielte, zwar über Zahlungen von Lösegeldern informiert war, jedoch selber nichts damit zu tun gehabt hätte. Wolffs Erwähnung der möglichen Befreiung von jüdischen Häftlingen erinnert stark an die schon erwähnten SS-Versuche, mit Juden Menschenhandel zu betreiben und sie gleichzeitig als Druckmittel bei zähen Verhandlungen zu benutzen. Der jüdische Nazi-Agent Valerio Benuzzi, der im Auftrag Wolffs und dessen Untergebenen, Standartenführer Walther Rauff (Guido Zimmers Vorgesetzten), in dieser Sache tätig war, verschwand am 28. Februar 1945 spurlos aus dem Hotel Bellevue in Bern, ohne seine Ausweispapiere mitgenommen zu haben. Benuzzi hatte zuvor das IKRK in Genf besucht und die Erpressungsbotschaft auch an den Schweizer Vertreter der jüdischen US-Hilfsorganisation AJDC, Saly Mayer, übermittelt. Wie neu entdeckte britische Akten zeigen, wurde Benuzzi mit zwei anderen Italienern vom britischen Geheimdienst auf Schweizer Boden entführt und über Frankreich nach Italien verschleppt. Die drei standen unter Verdacht, Spionage in der Schweiz zu betreiben und italienische Widerstandsorganisationen infiltriert zu haben.29

Am 26. April wurde mitgeteilt, dass nach den Verhandlungen zwischen dem IKRK-Generalsekretär, Hans Bachmann, und dem zweiten Mann in der SS-Hierarchie, Ernst Kaltenbrunner, dieser den Befehl gab, die Juden im KZ Bozen freizulassen.30 Was genau hinter den deutschen Kulissen ablief, ist nicht bekannt. Einerseits behauptete

24 NARA, Record Group 226, Entry 90, Box 7, Folder 86, From: Bern Switzerland (Dulles), To: OSS, 9 March 1945. #6689. For Glavin, 109, and Forgan. #829. 25 Dulles und Gaevernitz, Unternehmen »SUNRISE«, S. 10026 Neal H. Petersen, (ed.) Allen Welsh Dulles, From Hitler's Doorstep: The Wartime Intelligence Reports of Allen Dulles, 1942-1945, University Park, Pa, Pennsylvania State University Press, 1996, p. 469 27 IKRK-Archiv, G3/24b Bd. 83 Italie du Nord 1944-1945, Protokoll der Sitzung am 26. Januar 1945 28 Yad-Vashem-Archiv, Jerusalem, P 36, Saly Mayer Archive, Mikrofilm Nr. 16, Lelio Vittorio Valobra an Saly Mayer 4. Februar 1945 29 The National Archives of England, Wales and the United Kingdom, HS 8/886 Operation BOYKIN 30 IKRK-Archiv G.59/8/EV, Telefongespräch-Protokoll, 26.4.1945

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Wolff, er habe die Verhandlungen mit Dulles im Alleingang und gegen den Widerstand von Kaltenbrunner und Himmler geführt, anderseits lag das KZ Bozen eindeutig im Einflussbereich Wolffs. Denn gemäss einem mit der Freilassung beauftragten jüdischen Nazi-Agenten hätte der KZ-Kommandant ohne Bewilligung Wolffs die Häftlinge nicht freisetzen können.31

Die Sachlage war noch verwickelter, da Kaltenbrunner, parallel zu Wolffs Schiene, versuchte, andere Kanäle zu Dulles zu eröffnen. Es war das Verhandlungsangebot seines vertrauten Nachrichtenoffiziers, des ebenfalls aus Österreich stammenden Wilhelm Höttl, das am 25. Februar Dulles erreichte. Drei Tage später reiste Höttl in die Schweiz ein, und zwar mit der Hilfe von Waibels engstem Mitarbeiter, Hauptmann Konrad Lienert, der gleichzeitig als St. Galler Kantonspolizei-Chef amtierte.Höttl war über Wollfs Verhandlungen gut informiert, und schon deshalb ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sein Chef Kaltenbrunner und auch Himmler nicht im Bild waren. In seinen Memoiren schrieb Höttl:«[Botschafter Rudolf] Rahn erzählte mir auch ganz offen von seinem Plan und dass die Verbindung bereits hergestellt sei, und zwar durch einen alten VM [Vertrauensmann] von uns, den .... Baron Luigi Parilli...32«Als Höttls Trumpfkarte bei den Gesprächen mit Dulles erwies sich die Drohung mit einer imaginären «Alpenfestung». Dulles glaubte an diese Gefahr, nicht zuletzt, weil er darüber viele überzeugende Berichte des ansonsten zuverlässigen Schweizer Geheindienstlers Hans Hausamann erhalten hatte. Der OSS-Mann wollte eine solche Gefahr unbedingt neutralisieren. Dass er sich dabei verschätzte, brachte ihm nach dem Krieg viel Kritik ein. Denn sein Irrtum prägte nicht nur die «Sunrise»-Verhandlungen. Er beeinflusste auch die Strategie der Westalliierten in Europa.Höttl sagte nach dem Krieg: «Ich habe zu meiner Überraschung bei den Verhandlungen mit Dulles in der Schweiz festgestellt, dass die Alpenfestung von den Alliierten masslos überschätzt wurde. (...) ...die Amerikaner hatten ... eine Mordsangst vor der Alpenfestung, weil es ihnen an Hochgebirgstruppen und entsprechender Ausrüstung fehlte. Sie verfügten über Agentenberichte, die von Verlagerungen der Rüstungswerke in Alpenstollen sprachen...33»Die «Alpenfestung» diente Dulles als Begründung für seine Gesprächsbereitschaft mit der SS. In einem Telegramm an die OSS-Zentrale teilte er folgendes mit:«Natürlich können Personen wie Himmler und Kaltenbrunner keine Immunität von unserseits erlangen; solange sie aber glauben, dass dies möglich sei, bietet sich uns die Möglichkeit, einen Keil in die SD zu schieben und damit die Effektivität der deutschen Réduit-Pläne zu mindern. .... Ich habe keinen Skrupel solche Typen wie Himmler, Kaltenbrunner & Co. zu betrügen. Durch indirekte Kanäle arrangieren wir, dass Höttl an der Schweizer Grenze kommen kann, wo er von einem Vertrauensmann empfangen wird.34»In einem Buch, welches von Höttl inspiriert wurde steht:«In St. Gallen wurden die Verhandlungen mit alliierten Stellen mit Falschgeld finanziert.»35

Solche Blüten, nämlich von der SS gefälschte Pfundnote landeten in der Tat auch bei OSS-

31 «Ich kehrte zurück zum Gauleiter und sagte: "Ich habe meinen Teil erfüllt. Lassen Sie bitte jetzt die KZ-Insassen frei." Er antwortete: "Ich kann es nicht machen. Dafür muss ich die Bewilligung von SS-General Wolff haben."» S. Hitlers Fälscher S. 78 bzw. Haganah Archiv (Tel –Aviv) Signatur 93.23, Interview der israelischen Historikerin Nana Nusinow (Sagi) mit dem jüdischen Nazi-Kollaborateur Jaac van Harten in Tel Aviv, 23. 9. 1967 S. 8 f. Diese Aussage wurde eigentlich von einem anderen jüdischen Naziagenten namens Valerio Benuzzi anlässlich seines Besuches beim IKRK in Genf bestätigt (s. IKRK Archiv G59/3/7, Note sur un entretien avec Monsieur Valerio BENUZZI; Concerne: situation des Israélites en Italie du Nord, P. Kuhne, 18.12.1944). 32 Wilhelm Höttl, Einsatz für das Reich - Im Auslandsgeheimdienst des Dritten Reiches, Koblenz, Verlag S. Bublies, 1997, S. 34033 «Spiegel», 27.11.196334 Neal H. Petersen, From Hitler's Doorstep, p. 461 35 Eberhard Frowein, Wunderwaffe Falschgeld -In freie Bearbeitung den Tatsachen nacherzählt, Kreuzlingen Neptun Verlag, 1954, Klappentext

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Agenten. Etwa drei Tage nach dem Krieg tauchten in Feldkirch sieben oder acht Männer auf, die aus der Schweiz kamen. Sie trugen Halstücher mit Sowjetsternen und gaben sich als Mitglieder der österreichischen Widerstandsbewegung aus. Sie plünderten und stahlen bis die französischen Militärpolizei sie entwaffnete und auswies. In der Schweiz gaben sie zu Protokoll, dass sie in Zürich vom Dulles-Agenten Kurt Grimm (Falsch-)Geld und den US-Amerikanern Waffen erhalten hätten. Weitere Untersuchungen des Zürcher Polizei-Nachrichtendienstes ergaben, dass Hptm. Konrad Lienert und Waibels Nachrichtensammelstelle 1 (N.S.1 oder Rigi) in diese Aktion verwickelt waren, d.h. davon wussten und dabei mitgeholfen hatten. 36

Höttls Versuche ein Abkommen mit Dulles zu erreichen, scheiterten, auch wenn er den US-Geheimdienstler über eine weitere Schiene zu erreichen versuchte, und zwar durch den ehemaligen deutschen Generalkonsul in Los Angeles, Georg Gyssling, welcher damals beim Hauptquartier der SS-Waschanlage der gefälschten Pfundnoten in Meran/Südtirol stationiert war.37

Die Dulles-Wolff-Linie dagegen schaffte es, trotz grosser Schwierigkeiten auf beiden Seiten, ihr Ziel zu erreichen. Wolff war erfolgreich, weil es ihm gelungen war, Wehrmacht-Generäle mit einzubeziehen und den Eindruck zu erwecken, dass weder Himmler noch Kaltenbrunner in den Verhandlungen verwickelt waren. Nach dem Krieg wollte Waibel die Geschichte der Verhandlungen veröffentlichen. Doch die Publikation seines Werks wurde ihm verboten und eine Untersuchung eingeleitet. Das Problem lag nicht nur darin, dass ein publizitätsfreudiger Geheimdienstler von den Behörden nicht gern gesehen wird. Es bestand die Befürchtung, die UdSSR könnte gegen eine Verletzung der Schweizer Neutralität protestieren. Denn die Sowjetunion betrachtete «Sunrise» als antikommunistische deutsch-britisch-amerikanische Verschwörung und als einen der ersten Schüsse im Kalten Krieg.Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Kriegsverbrecher wie Karl Wolff und Guido Zimmer durch Dulles, Waibel und Husmann später geschützt wurden. Damit wurde «Sunrise» zu einem Vorläufer verschiedener Operationen, die mit System betrieben wurden: US-Geheimdienste retteten eine ganze Reihe von Nazi-Verbrechern, um sie später im Kalten Krieg gegen die Kommunisten zu benutzen.Der Historiker Stefan Costa erbringt Beweise, wie sich Husmann nach dem Krieg für SS-General Wolff einsetzte: «[Husmann] wandte sich am 9. August 1947 mittels eines siebenseitigen Briefes direkt an den zuständigen Ankläger in Nürnberg, General Telford T. Taylor. Husmann schrieb darin: ‹(...) Nach unserer Schweizer Auffassung gehören General Wolff und seine Mitarbeiter für die Kapitulation nicht vor ein Gericht, sondern sie haben das militärische Versprechen auf eine loyale Behandlung nach Kriegsende.›»38

Costa verzichtet darauf, mehr aus dem gleichen Schreiben Husmanns zu zitieren:«Major Max Waibel ..... und ich haben als Schweizer General Wolff die Garantie gegeben, dass die Anglosachsen ihr Versprechen halten werden, auch ohne irgendwelchen schriftlichen Vertrag. Die Alliierten lehnten es kategorisch ab, eine schriftliche Vereinbarung zu treffen, weil es uns damals schon bekannt war, und heute öffentlich und historisch nachgewiesen ist, dass General Stalin bei Präsident Roosevelt energisch intervenierte, diese Verhandlungen in der Schweiz abzubrechen.»39

Dies war zweifelsohne Teil der Reaktion Husmanns auf einen Brief, den Wolff aus der Gefangenschaft schrieb:«AUF GRUND MEINES GUTEN GEWISSENS UND MEINER REINEN HAENDE GLAUBE ICH TROTZ ALLEDEM FEST AN DIE UNVERAENDERTE GRUNDEINSTELLUNG UNSERES GEMEINSAMEN FREUNDES, SOLANGE ICH NICHT EINE GEGENTEILIGE

36 Schweizer Bundesarchiv E4320 (B) 1991/243 Bd. 75 A.Z. C.13.921, Bundesanwaltschafts-Dossier Wilhelm Bruckner, Bericht des Nachrichtendienstes der Zürcher Polizei 25. Juni 194637 Elams, Hitlers Fälscher, S. 77-7838 Costa, Auswirkung der Sunrise, S. 2539 Schweizer Bundesarchiv E27/9540/Bd. 5 Brief von Max Husmann an Gen. Telford T. Taylor, 9.8.1947

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MITTEILUNG MIT BEGRUENDUNG ERHALTE. –KOENNEN SIE ALS MEIN NEUTRALER FREUND + GARANT ETWAS FUER MEINE BEIDEN FAMILIEN SORGEN ODER WENIGSTENS DEN 9 UNSCHULDIGEN KINDERN WAEHREND DER HUNGERSNOT AB UND ZU EIN LIEBESGABENPAKET ZUKOMMEN LASSEN?»40 In seinem 2007 erscheinenden Buch will der britische Historiker Michael Salter neue Belege für die aktive Beschützung Wolffs durch Dulles und Waibel veröffentlichen41. Salter beschreibt darin, wie sich Wolff 1950 bei Waibel beschwerte, dass private Effekten seiner Familie von den US-Amerikanern beschlagnahmt und nie zurückgegeben wurden. Wolff verlangte eine Kompensation. Waibel wandte sich an Dulles mit der Empfehlung, Wolff zu helfen und beschrieb diese Angelegenheit als «die letzte Phase unseres Sunrise Spiels», um hinzuzufügen; «Unter uns gesagt bezweifle ich, ob dieses Spiel je zu Ende gehen wird.»42 Waibels Bemerkung weist klar darauf hin, dass die Deckung der deutschen «Sunrise»-Unterhändler zur Operation gehörte. Dulles war empört über Wolffs unverschämte Forderung, und schrieb im Wissen über dessen kriegsverbrecherische Vergangenheit zurück; «Unter uns gesagt, KW [Karl Wolff] realisiert nicht, was für ein Glück er hat, dass er den Rest seines Lebens nicht im Gefängnis verbringen muss. Seine klügste Politik wäre es also, schön ruhig über den Verlust von Unterwäsche usw. zu bleiben. Er hätte leicht mehr als nur sein Hemd verlieren können.»43 Trotz aller Schutzmassnahmen wurde Wolff 1964 in München wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300 000 Juden zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt – notabene nicht von den Alliierten, sondern von einem deutschen Gericht.Ein Mitbeteiligter an «Sunrise», F. J. Stalder, schrieb 1946, dass Guido Zimmer der wichtigste Verbindungsoffizier zwischen Wolff und Dulles gewesen sei und dass ohne Hilfe Zimmers –der jeweils unter Gefahr für sein eigenes Leben gehandelt habe – die Kapitulationsgespräche sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen seien. «Aus verschiedenen Gesprächen über das Unternehmen Sunrise meine ich mich zu erinnern, dass wiederholt gesagt wurde, Zimmer solle, wegen seiner Rolle bei den Kapitulationsverhandlungen, jede Nachsicht durch die Alliierten erfahren. Über diese Empfehlung hinaus denke ich nicht, dass wir irgend eine moralische Verpflichtung gegenüber Zimmer haben, obwohl ich keine Gegenargumente sehe, ihm kleine Gefallen zu leisten.»44

In einem Artikel argumentiert Historiker Salter weiter, dass Dulles Obersturmführer Zimmer nicht nur wegen dessen sehr wichtiger Rolle bei «Sunrise» geschützt habe, sondern weil er den SS-Mann als geeignete Informationsquelle betrachtete und ihn ausserdem anfänglich als Berater für geheimdienstliche Aktionen in Italien vorsah. Ein anonymer US-Beamte protestierte in einem Memo vom September 1945 gegen die Beihilfe, welche Dulles Zimmer leistete. Denn Zimmer war an der Ermordung, Beraubung und Deportation von italienischen Juden beteiligt.45

Dass «Sunrise» Nazi-Verbrecher deckte, wirft grosse Schatten auf die Operation und deren Protagonisten Waibel, Dulles und Husmann. Denn gegenüber Erpressern kann es keine Loyalität geben. Waibel jedoch war, wie sein Brief an Dulles beweist, bereit, diesen Beistand unbefristet zu leisten. Schon deshalb taugt er nicht zur Heldenrolle und auch nicht zum Märtyrer. Waibels Militärkarriere litt überdies keineswegs. Im Gegenteil: Kurz nach Kriegsende wurde der Geheimdienstler zum Oberstleutnant befördert. Ab 1947 bekleidete er

40 Ferruccio Lanfranchi, La resa degli ottocentomila, Milano, Rizzoli, 1948, S. 358 Brief Wolff and Husmann 9.4.194641 Michael Salter, Nazi War Crimes: Intelligence Agencies And Selective Legal Accountability, London, Glasshouse Press, 2007. Herr Prof. Salter war so freundlich, dem Autor einige Stellen über Wolff zur Verfügung zu stellen.42 Mudd Library, Princeton University New Jersey DCMLP Box 59, Folder 10 Allen Dulles Paper, Waibel to Dulles, June 7, 1950 (Dank an Prof. Salter)43 Ebenda, Dulles to Waibel, June 12, 1950 (Dank an Prof. Salter)44 NARA RG 263 Box 59 Zimmer Name File, Brief J.F. Stalder and Mr. Horton, 3.4.194645 Michael Salter and Maggi Eastwood, Negotiating Nolle Prosequi at Nuremberg: The Case of Captain Zimmer , Journal of International Criminal Justice 2005 3(3), p. 649-665

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den wichtigen Posten eines Militärattaches in Washington, und 1954 wählte ihn der Bundesrat zum Waffenchef der Infanterie mit der gleichzeitigen Beförderung zum Oberstdivisionär.Abgesehen davon räumte sogar Waibel selber ein, dass weder er noch Dulles die wichtigsten Figuren bei den Verhandlungen waren - sondern Husmann: «Allen Dulles [war nicht] der Spiritus rector, sondern Dr. Max Husmann. Ihm ist es in erster Linie zu verdanken, dass die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten immer wieder aus dem Weg geräumt werden konnten, während Allen Dulles eher zögerte, sehr vorsichtig war und stets befürchtete, gegen die Weisungen der amerikanischen Regierung oder später Feldmarschall Alexanders zu handeln. Die Initiative, die Verantwortungsfreude, und überhaupt der Glaube, der einen beseelen muss, wenn man ein so schweres Werk vollbringen will, lag bei Dr. Husmann und, wenn ich so sagen darf, gelegentlich auch bei mir.»46

Wenn es bei der Operation «Sunrise» einen Helden gegeben haben sollte, so wäre dies am ehesten Max Husmann gewesen – ein mutmasslicher Nazi-Doppelagent.

*Der israelische Recherchierjoumalist und Buchautor Shraga Elam lebt in Zürich. 2004 gewann er den renommierten australischen Journalistenpreis Gold Walkley Award für seine Enthüllung über Konti australischer Prominenter bei Bank Leumi (Schweiz)

46 Schweizer Bundesarchiv J.1.121 1974/64/N1 Wilhelm Lützelschwab/13, Waibel, Bericht zum Buche von Kimche (Vorbemerkungen). Zitiert in Costa, Auswirkung der ,Sunrise’, S. 105