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    Karl Walker: Das Geld in der Geschichte

    INHALT

    Karl Walker: Das Geld in der Geschichte.......................................................................................................... 1INHALT .............................................................................................................................................................. 1VOM MÜNZWESEN DER GRIECHEN............................................................................................................. 2ZUR GELDWIRTSCHAFT DER RÖMER.......................................................................................................... 5DIE BARBAREN UND DAS GELD.................................................................................................................... 9WIEDERERWACHENDE GELDWIRTSCHAFT.............................................................................................. 12DIE BRAKTEATEN.......................................................................................................................................... 14MITTELALTERLICHE WIRTSCHAFTSBLÜTE ............................................................................................... 19UNVERGÄNGLICHE KULTURSCHÖPFUNGEN ...........................................................................................22DIE ENTWICKLUNG DER STÄDTE ............................................................................................................... 27DIE DEUTSCHE HANSE................................................................................................................................. 31DIE BESIEDLUNG OSTELBIENS................................................................................................................... 37ARBEIT UND EINKOMMEN............................................................................................................................ 41ESSEN UND TRINKEN................................................................................................................................... 46GESELLIGKEIT UND KLEIDERLUXUS.......................................................................................................... 48LEBENSFREUDE UND SITTLICHKEIT.......................................................................................................... 50BEGINNENDER NIEDERGANG..................................................................................................................... 54DAS VERLORENE MASS............................................................................................................................... 56VERSIEGENDE NACHFRAGE - BÖSE FOLGEN.......................................................................................... 60DIE WEGE DER FALSCHMÜNZEREI ............................................................................................................63DAS GELD IN DER RENAISSANCE .............................................................................................................. 66GOLD UND SILBER AUS DER NEUEN WELT .............................................................................................. 68

    BEFRUCHTUNG DER NATIONALWIRTSCHAFTEN..................................................................................... 70EROBERUNG ODER HANDEL ...................................................................................................................... 72HANDELSKRIEGE UND ZOLLPOLITIK ......................................................................................................... 73 J OHN LAW - UND SEIN PAPIERGELD.......................................................................................................... 75DIE ASSIGNATEN - DAS GELD DER REVOLUTION.................................................................................... 77GELDZUFLUSS UND BEVÖLKERUNGSVERMEHRUNG............................................................................. 79VOM KAMPF UMS GOLD ZUM ERSTEN WELTKRIEG UND ZUR INFLATION........................................... 81ZURÜCK - ZUM ALTEN SPIEL....................................................................................................................... 83FAZIT............................................................................................................................................................... 85LITERATUR-VERZEICHNIS ........................................................................................................................... 87

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    VOM MÜNZWESEN DER

    GRIECHENEs gibt in der Geschichte der Menschheitkeine hochentwickelte Kultur, die nicht auf einer

    ebenso hochentwickelten Arbeitsteilung beruhthätte. Erst die Arbeitsteilung ermöglicht es näm-lich, über die Bedürfnisse des nächsten Tageshinaus den Geist frei zu machen, um Größeresund Bleibendes zu bilden. Arbeitsteilung erfor-dert indessen den Austausch von Leistungen, imfortgeschrittenen Stadium einen entwickeltenHandel.

    In ältesten Zeiten mag der Handel aus demDarbringen von Geschenken und der Entgegen-nahme von Gegengeschenken entstanden sein,

    wie es unter Naturvölkern und Kindern heutenoch ist. Der wahre Charakter dieses "Schen-kens" zeigt sich aber schon in dem ungeschriebe-nen Gesetz, gleichwertige Gaben zu tauschen.Daß Glaukus seinem Gast Diomedes eine gol-dene Rüstung schenkte und eine eherne dafürempfing, wird vom Dichter der Ilias mit dem Tadel vermerkt, daß Zeus ihn "ganz und garseiner Sinne beraubt" habe.

    Im übrigen aber schien sich dieser Handel imAltertum in geradezu vorbildlicher Noblesse ab-zuwickeln. So schreibt Herodot von den Berich-

    ten der Karthager: ". . . es wäre auch noch liby-sches Land und Menschen darin jenseits der Säu-len des Herakles (=Meerenge von Gibraltar).Wenn sie dahin kämen, lüden sie ihre Warenaus, dann gingen sie wieder in ihre Schiffe undmachten einen großen Rauch. Wenn nun die Ein-geborenen den Rauch sähen, so kämen sie andas Meer und legten für die Waren Gold hin unddann gingen sie wieder weit weg von den Wa-ren, die Karthager aber gingen an das Land undsähen nach, und wenn des Goldes genug wärefür die Waren, so nähmen sie es und führen nachHause; wäre es aber nicht genug, so gingen sie

    wieder an Bord und warteten es ruhig ab. Dannkämen sie wieder und legten noch immer etwasGold zu, bis die Karthager zufrieden wären.Keiner aber betrüge den anderen, denn sie rühr-ten weder das Gold eher, als bis die Waren da-mit bezahlt wären, noch rührten jene eher dieWaren an, als bis sie das Gold genommen." (s.Rob. Eisler: Das Geld, S. 49.)

    Dies mag noch echter Tauschhandel gewesensein. Wohl ist vom Golde die Rede, aber nochnicht vom Geld im späteren Sinn dieses Wortes.

    Mannigfache Erzeugnisse in natura gleichwer-tig zu tauschen, ist eine unlösbare Aufgabe. Dadie Aufgabe aber einem Bedürfnis entspricht und

    somit doch vernünftig ist, muß es auch eine ver-nünftige Lösung geben. Diese Lösung fand undentwickelte der Mensch in dem merkwürdigenDing, das er "Geld" nennt. Seit den ältestenZeiten haben mancherlei Dinge als Geld gedient,von denen wir viele heute nicht mehr als Geld

    betrachten können; Vieh, Muscheln, Häute, Skla-ven und Metalle allerArt wurden zeitweise nichtwegen ihrer unmittelbaren Verwendbarkeit, son-dern wegen der Möglichkeit des Weiter- Tauschens gegen die wirklich begehrten Dingeangenommen. Damit wurden sie zu einemZwischenglied im Handel, das den Tauschvermittelt, zum Gelde. Daß in dieser Entwicklungdie Edelmetalle sehr bald den Vorrangeinnahmen, versteht sich von selbst. Schon beiden Assyrern und Ägyptern war das gestückelteHacksilber bekannt, das nichts weiter war als einStück von dem Gußkuchen des geschmolzenen

    und in Wasser gegossenen Metalls. Von hier ausführte ein gerader Weg zur gleichbleibendenStückelung; Stangen, Ringe, Barren, gestempelteBarren, geprägte Münzen folgten.

    In der Geschichte des Münzwesens gelten dieLydier als die Erfinder der Münze. Ihre Münzenbestanden aus einer Legierung von Gold und Sil-ber. Der außerordentlich ergiebige Goldbergbauder Lydier war ja auch die Grundlage für densagenhaften Reichtum jenes Königs Krösus, derim 6. J ahrhundert vor Christus lebte, damalsaber bereits ein hochentwickeltes Geldsystem in

    seinem Lande hatte.

    Wo immer das Geld erstmalig auftrat, erwach-ten wie nach einer zauberhaften Berührung dieschlummernden Kräfte des Neuen, taten sich un-geahnte Quellen der Wohlfahrt und des Reich-tums auf, Handwerk und Künste entwickeltensich, und der Mensch erhob sich über die Bedürf-nisse des Alltags und machte sich an Werke, dieGenerationen überdauerten. Wo aber das Geldwieder verschwand, da zerfiel der Bau der Kul-tur, weil das Fundament der Arbeitsteilung sichauflöste.

    Um die Mitte des 7. J ahrhunderts v. Chr.wurden auf der Insel Mykene die ersten Mün-zen Griechenlands geprägt. J etzt brauchte dasSilber des Händlers nicht mehr geprüft und ge-wogen zu werden, jetzt konnte man fertig ge-prägte Stücke zählen und damit rechnen.

    Vor dieser Zeit war auch in Griechenland dasVieh das gebräuchlichste Tauschmittel "Geld".In den Gedichten Homers ist die Münze nochunbekannt, weshalb alle Werte immer am Rind

    gemessen werden - die goldene Rüstung desGlaukos ist 100 Rinder wert; und Laertes be-zahlt Eurikleia mit 20 Rindern (s. F. Müller-Lyer: Phasen der Kultur, München 1929, S. 250

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    ff). Töchter waren zu diesen Zeiten wertvoll,weil sie Rinder einbrachten, wenn sie einen Mannfanden; Söhne dagegen machten Kosten.

    Durch die Erfindung des Geldes wurde derHandel erleichtert und dieser Erleichterung des

    Handels ist die Entfaltung der gewerblichenProduktion Griechenlands zuzuschreiben; mitden Impulsen, die sich aus dem aufblühendenHandel ergaben, wurden Handwerk, Künsteund Wissenschaft machtvoll gefördert.

     J eder besser gestellte Handwerker in Athenoder Korinth beschäftigte unfreie Arbeiter, Skla-ven, in seiner Werkstätte; auch war es durchausnichts Ungewöhnliches, daß ein Vermögendereinem Sklaven einen Gewerbebetrieb oder einHandelsgeschäft übergab, worin dieser selbstän-dig für den Gewinn des Herrn arbeitete und

    Handel trieb. So besaß der Vater des Demosthe-nes eine Messerschmiede und eine Stuhlfabrikmit zusammen mehr als 50 Arbeitern und andiesem Unternehmen verdiente er so viel Geld,daß er 40 Talent Silber oder fast 200 000 Gold-mark hinterlassen konnte. Kleon betrieb eineGerberei, Hyperbolos eine Lampenfabrik. Es isteinleuchtend, daß eine derartige Produktion so-wohl einen aufnahmefähigen inneren Markt wieauch ein in die Ferne reichendes Netz von Han-delsverbindungen zur Vorbedingung hatte. Aberdie Völker des Altertums saßen ja nach einemWort von Herodot "wie die Frösche um den Teich" an den Küsten des Mittelmeeres, das die-sen Handel von Natur aus begünstigte. Unddieser Handel mit anderen Völkern entwickelteüberall noch spezielle Produktionszweige. Milet,Kios und Samos fertigten Wollstoffe, Teppicheund kostbare Gewänder. Chalkis und Korinthexportierten Waffen, Tongeschirr und Geschmei-de. In Theben und Sizilien saßen die bestenWagenbauer und Agina lieferte Klein- und Ga-lanteriewaren.

    In bezug auf die rechnerische Einteilung im

    Münzwesen war den Griechen die geheimnisvol-le Zahl 12 - die selbst in der Ordnung des Kos-mos ihre Bedeutung zu haben scheint - richtung-weisend, während die semitischen Handelsvöl-ker mit dem Dezimalsystem rechneten. Der grie-chische Silber-Stater zählte 12 Obolen; derObolos war die kleinste Münze. Eine Zwischen-größe stellte die Drachme dar, die wohl die ge-bräuchliche Münze für den alltäglichen Markt-verkehr gewesen sein dürfte; diese Münze hatteden Wert von 6 Obolen. Neben dem Silber-Sta-ter gab es auch Gold-Stater. Den Handelsge-schäften der Großkaufleute diente die Mine, die

    den Wert - d. h. das Silbergewicht - von 60Drachmen hatte, als gebräuchliche Münze; 60Minen waren ein Talent. (*)

    Dem Einfluß der Phönizier und Syrier zufol-ge soll die Mine später auf 100 Drachmen ge-setzt worden sein; doch im übrigen blieb es beider Einteilung im Zwölfer-System, in dem dieZahl 60 - die sich in jede Zahl von 1 bis 6 ohneRest teilen läßt - dominierende Bedeutung be-

    hielt. Nach heutigen Begriffen muß die Kauf-kraft des damaligen Geldes der Griechen außer-ordentlich hoch gewesen sein. In Athen verwan-delte Solon die drakonischen Strafen, die bis zuseiner Zeit (640 - 559 v. Chr.) in Schafen undRindern entrichtet werden mußten, in Geldstra-fen, wobei er das Schaf mit 1 Drachme, das Rindmit 5 Drachmen ansetzte. Kein Wunder, daßsich das neue Geld, in welchem sich Besitz undReichtum in beweglichster Form konzentrierten,allgemeiner Wertschätzung erfreute.

    Es ist die Lichtseite des zunehmenden Reich-

    tums, daß sich eine wachsende Zahl von Men-schen der Kunst und Wissenschaft zuwendenkonnte, und so aus der Masse das Volkes vielehervorragende Begabungen heraustraten.

    Aber die Geldwirtschaft hatte auch eine Schat-tenseite; mit den Diensten, die das Geld demMenschen leistete, verstrickte es ihn auch mehrund mehr in Abhängigkeit. J e weiter wir uns indie Spezialisierung der Gewerbetätigkeit hin-einwagen, desto bedingungsloser sind wir auf die Vermittlung des Leistungsaustausches durchdas Geld angewiesen, und desto tiefer ist dennauch unser Sturz, wenn das Geld einmal seineDienste versagt.

    Schon war es soweit, daß auch die Kriegs-führung vom Gelde abhing. Im Krieg gegendie Phönizier ließ Damarete, die Gemahlin Ge`lons, aus ihrem Silberschmuck Münzen schla-gen und die reichen Bürgerinnen von Syrakusfolgten ihrem Beispiel. Und auch nach dem er-fochtenen Sieg führte sie den kostbaren Tributim Werte von 100 Talenten, den ihr Karthagofür die milde Behandlung der Gefangenen dar-

    brachte, der Münzprägung zu. Daraus entstan-den die prachtvollen Deka-Drachmen; die imSpiegel des Münzwesens einen klaren Wieder-schein von der hohen Kultur Griechenlands ge-ben (s. "Die schönsten Griechenmünzen Sizi-liens", Insel-Bücherei Nr. 559).

    Die Griechen müßten keine Menschen gewe-sen sein, wenn sie durch ihren Aufstieg nichtübermütig und maßlos geworden wären. Daman für Geld alle Schätze der Welt, die schön-sten Gewänder und die erlesensten Genüsse kau-fen konnte, wurde der naive Mensch dieser frü-

    hen Kultur geradezu von einer Gier nach Gelderfaßt. Die griechischen Bauern verkauften ihreErnte, entblößten sich aller Vorräte, nur umGeld zu bekommen; es begann die Verschuldung

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    des Bodens. "Die Pfandsteine fesselten zahllosder Mutter Erde dunkelfarbig Land" hören wirSolon klagen. Für Geld-Darlehen mußten 36Prozent und mehr Zinsen gezahlt werden. Esbegann ein sozialer Verfall; wer einmal in Notgeraten war, versank rasch in Schuldknechtschaft

    und Sklaverei, während auf der anderen Seiteder Reichtum sich steigerte.

    Bald drängte sich in den Städten verarmtesVolk, das auf Kosten der Staatskasse mit Ge-treidelieferungen ernährt und mit Theater er-götzt werden mußte. Soziale Wirren und Auf-stände wurden häufiger. Zweimal in einem ein-zigen Menschenalter wurden in Syrakus die Rei-chen niedergemetzelt, der Besitz neu verteiltund die Schuldscheine verbrannt. Doch solcheAktionen änderten nichts an dem in Gang ge-kommenen Prozeß der finanziellen Auszehrung

    Griechenlands. Die Getreide-Einfuhr für die Ar-men und die Luxusbedürfnisse der Reichen be-wirkten zusammen einen anhaltenden Abflußdes Geldes. Um die Mitte des 5. J ahrhundertsv. Chr. war die attische Tetra-Drachme die gän-gigste Silbermünze der damaligen Welt; ebensowurden in dieser Zeit in Athen noch Goldmün-zen geprägt. Aber das Brotgetreide kam ausÄgypten und kostete Geld, und auch die Kriegs-heere kosteten Geld; und der soziale Verfallzerstörte den inneren Markt, während derAußenhandel passiv wurde und unaufhörlichsilberne Drachmen und goldene Stater auf Nim-

    merwiedersehen verschlang.

    Nach dem traurigen Ausgang des peloponne-sischen Krieges ließ die neue oligarchische Re-gierung Athens 1500 seiner reichsten Bürger hin-richten und deren Vermögen konfiszieren, umGeld in die Staatskasse zu bekommen. Aber dasErgebnis war enttäuschend; der Grundbesitzdieser Reichen ließ sich nicht veräußern, weilniemand mehr da war, der Geld hatte. Und werwürde es auch gewagt haben, zu zeigen, daß ernoch Geld hat, wenn er damit rechnen muß, zuden Reichen gezählt zu werden, die ihres Reich-tums wegen des Todes würdig sind? - So wirk-ten zwei Ursachen zusammen, das Geld vomMarkt zu fegen:Einesteils der tatsächliche Geldabfluß an dieHändler aus den fernen Ländern, die das Brot-getreide für das Volk wie auch die Spezereienund den Luxus für die Vermögenden lieferten;und anderenteils die spekulative Erwartung unddie ängstliche Sorge, daß das Geld noch knapperund am allgemeinen Begehren gemessen nochkostbarer werden würde. Immer schon wurde einDing just in dem Moment, in dem es am dring-lichsten begehrt wird, in auffälliger Weise knapp- weil eben Knappheit den Wert noch steigert.

    Für den Markt und den Handel, der auf dasRollen des Geldes angewiesen war, bedeutetedas Versiegen der Geldzirkulation eine verhee-rende Drosselung der Geschäfte. Die Auflösungder Arbeitsteilung war unabwendbar. Längstwaren die Tempelschätze angegriffen; der Schatz

    von Delphi wird auf mehr als 50 MillionenGoldmark geschätzt - in damaliger Kaufkrafteine gewaltige Summe.-

    Aber der unaufhörliche Abfluß des Geldes -den man damals noch nicht statistisch registrie-ren und erst recht nicht in seinen Auswirkungenabschätzen konnte - brachte Handel und Wan-del zum Erliegen. Die Landwirtschaft war schonzerstört; und jetzt kam der Niedergang auchüber Handel und Gewerbe. Ist es verwunderlich,wenn ein Volk, das sich von der Höhe einer ent-wickelten Arbeitsteilung und Marktwirtschaft

    wieder in die Niederungen urbäuerlicher Haus-wirtschaft zurückgestoßen sieht, nichts Großesmehr zu schaffen vermag?-

    Es mag tragisch sein, aber es ist der Lauf derWelt, daß die Einsichten der Weisen so oft unge-hört oder unverstanden verhallen. "Ehret Ly-kurg", ruft Pythagoras aus, "denn er ächtete dasGold, die Ursache aller Verbrechen!" - Lykurghatte als einziger Gesetzgeber Griechenlands denVersuch gemacht, seinen Staat Sparta aus derAbhängigkeit vom Golde herauszuhalten; dasGeld Spartas war aus Eisen, das in Essig gehär-tet war. Doch über die Verflechtung in den all-gemeinen Handel war Sparta dennoch in die all-gemeine Abhängigkeit verkettet. Der Verfallder Geldordnung zerstörte die hohe Blüte dergriechischen Kultur.

    Nach nur wenigen Generationen standen arm-selige Ziegenhirten verständnislos vor den Tem-peln ihrer großen Vergangenheit und brachenSteine heraus, um ihre kümmerlichen Behausun-gen damit auszubauen. Sie lebten wieder in Na-turalwirtschaft.

    (*) Drachme bedeutet griechisch "das Gefaßte' und betraf ur-sprünglich eine Gewichts- und dann eine Rechnungseinheit.Gewichts- und Wertunterschiede wurden in Teilen oder imMehrfachen der Drachme dargestellt; die doppelte Drachmewar das "Didrachmon", die Vierfachdrachme hieß"Tetradrachmon, eine selten geprägte Münze war dieachtfache Drarchme, das 'Oktodrachmon', wohingegen dieDekadrachme als das Zehnfache der Grundeinheit wiederhäufiger vorkam.

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    ZUR GELDWIRTSCHAFT

    DER RÖMERVon den Griechen hatten die Römer das Me-tallgeld kennengelernt. Ursprünglich war das

    Rind ihr gangbarstes Tauschmittel. Als sie dannum 600 v. Chr. die ersten Bronzemünzen präg-ten, mußten die Münzen noch das Bildnis desRindes tragen, um den Geld-Zweck des gepräg-ten Metalles deutlich zu machen. Sogar der Na-me des Vieh-Geldes ging auf das neue Tausch-mittel über und blieb an ihm haften: Pecus =pecunia.

    Rom war ein gelehriger Schüler in Geldwirt-schaft, Arbeitsteilung und Handel; Rom lerntevon den Griechen, von den Phöniziern und von

    Karthago. Aber das Gemisch der Völkerschaften,das sich an den gewinnbringenden Küstenstri-chen der italienischen Halbinsel seßhaft zu ma-chen trachtete, war unruhig und unberechenbar.So wurden die Römer ein Kriegsvolk. Sie unter-warfen die besiegten Stämme, die etruskischenStadtstaaten und schließlich auch diegriechischen Küstenstädte Süditaliens. Aberselbst zu der Zeit, da die römische Herrschaftüber Unteritalien gesichert war und derEntscheidungskampf mit Karthago begann, warRom noch das in seiner Zivilisation erst in denAnfängen steckende Bauernvolk mit Kupfer-

    Währung und naturalwirtschaftlicher Versorgungdes Staates. Noch war nicht zu erkennen, daßhier einmal eine weltbeherrschende neue Kulturentstehen würde.

    Wenn die Entwicklung Roms in der Folgezeiteinen fast treibhausartigen Fortschritt nahm, solag das wesentlich daran, daß der Krieg rascherals der friedliche Handel die Zaubermacht desGeldes ins Land brachte. Schon nach der Er-oberung von Tarent konnte Rom im J ahre 269v. Chr. aus erbeuteten Kriegsschätzen Silber-münzen prägen; und 62 J ahre später folgten

    schon die ersten römischen Goldmünzen. In den J ahren 202 bis 190 v. Chr. brachten die Frie-densverträge mit Karthago, Syrien und Make-donien allein 150 Millionen Goldmark Kriegs- Tribute nach Rom. Da das Geld im Altertumeine viel höhere Kaufkraft hatte, entspricht dieseSumme etwa dem Realwert von jenen 4 Milli-arden Goldmark, die Frankreich nach dem sieb-ziger Krieg an Deutschland zu zahlen hatte!-Dieser für das damalige Rom gewaltige Zustromvon Edelmetall erlaubte eine rasche Entfaltungder Geldwirtschaft.

    Bei den Römern war bis zur Prägung vonSilbergeld der As - aus einer Gewichtseinheithervorgegangen - die hauptsächlichste Münze.

    Mit der Einführung des Silbergeldes fiel dannaber das Übergewicht dem Denarius zu. Derrömische Denarius war noch eine verhältnismä-ßig gewichtige Silbermünze; aus einem PfundFeinsilber wurden 84 Denare geprägt; das rö-mische Pfund ist mit 370 g anzusetzen. Der De-

    nar hatte in seiner Unterteilung 4 Sestertii zu je4 As. Die Unterteilung des As ergab 12 Unciae=Unzen. Wie bei den Griechen sehen wir auchhier bei den Römern, daß die Zahl 12 mit ihrerUnterteilung in Halbe und Viertel wie auch mitihrem Mehrfachen =84 Denare aus 370 g Silbereine bedeutende Rolle spielte. (*)

    Die wichtigste Kleinmünze war aber doch derSestertius; mit dieser Münze wurde auf denMärkten und in den Haushaltungen der Römeram meisten gerechnet, während die größerenKaufleute mit dem Denar und mit dem Talent

    rechneten. Später, als Rom bereits Goldmünzenprägen konnte, war der Aureus im Werte von25 Denarii oder 100 Sesterzien ein VierzigstelPfund Gold. Diese Goldmünze, die im Laufeder Zeit minderwertiger ausgeprägt wordenwar, wurde dann von Konstantin im J ahre 313n. Chr. durch den Solidus ersetzt.

    Da die römischen Kaiser, deren Bildnisse auf den Münzen waren, zu Zeiten Christi und auchspäter noch im Sinne des heidnisch-römischenWeltbildes als Götter galten, war die römischeMünze für die dem Römerreich unterworfenen jüdischen Provinzen nicht zuletzt auch ein reli-giöses Ärgernis. Von den Essenern, die nach demheutigen Stand der Religionsforschung eine derklösterlich streng lebenden Qumran-Gemeindenahestehende Ordensgemeinschaft waren,berichtet Bischof Hippolyt von Portus, daß sie keinGeld bei sich tragen durften. Da nun mancherleiGründe die Annahme rechtfertigen, daß J esusvon Nazareth vor seinem messianischen Wirkenbereits durch die Gemeinschaft der Essener hin-durchgegangen ist, bzw. in ihr sich vorbereitethat und ihr angehörte, wird uns die biblischeSzene vom Zinsgroschen in einem neuen Lichtlebendig und klar:

    Die Pharisäer hatten beschlossen, dem unbe-quemen Nazarener einen Fallstrick zu legen; da-zu sandten sie ihre Kreaturen samt einigen Leu-ten des römischen Statthalters Herodes zu ihmund ließen ihn fragen: "Meister, wir wissen, daßdu ohne Falsch bist und den Weg Gottes mitWahrhaftigkeit lehrst und nach niemandenfragst, denn du siehst nicht auf das Gesicht derMenschen. Sage uns nun, was dich dünkt: Ist eserlaubt, dem Kaiser den Census zu zahlen oder

    nicht?" Doch J esus merkte ihre Bosheit undsprach: "Was versucht ihr mich, ihr Heuchler?-Zeigt mir die Steuermünze." Und sie brachtenihm einen Denar. Und er sagte zu ihnen: "Wes-

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    sen ist das Bild und die Aufschrift?" Sie sagten:"Des Kaisers." Da sprach er zu ihnen: "So gebtdem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, wasGottes ist." (Matth. 22. 15-22)

    Die Lebenszeit Christi fiel in die Regierungs-

    Epoche des Augustus und seines Nachfolgers Tiberius. Der berichtete Vorgang gilt, wie ihndie Bibel schildert, in der Religionsgeschichte alshistorisch verbürgt. Er zeigt uns, daß es ganzoffensichtlich eine Streitfrage zwischen denstrenggläubigen J uden einerseits und den derrealen Macht gefügig gewordenen Opportuni-sten andererseits geworden war, ob sich der Um-gang mit dem römischen Geld noch mit demGlauben der Väter und mit dem Gesetz Gottesvertrage. J esus von Nazareth aber hat - in Über-einstimmung mit der Ordensregel der Essener -kein Geld mit dem Bildnis des römischen Götzen

    bei sich getragen; er ließ es sich erst vorlegen,als ihm die verfängliche Frage gestellt wurde(s. auch Rob. Eisler: Das Geld, S.152 ff).

    Von Caligula, der wenige J ahre nach demKreuzestod Christi römischer Kaiser wurde undim J ahre 41 auf Grund seiner Grausamkeitenund seines Cäsarenwahns dem Mord verfiel, be-richtet die Geschichte, daß er ein Standbild sei-ner Person von der römischen Truppe zur An-betung durch die unterworfenen Völker habenach Palästina tragen lassen. Die jüdische Be-völkerung übte indessen passive Resistenz; zu Tausenden sperrten die J uden den Weg undverweigerten dem Kaiser die göttliche Ehrung.Es ist naheliegend, daß auch die Münzen Caligu-las den J uden ein Ärgernis gewesen sein dürften.- Doch das hatte keinen Einfluß auf die großewirtschaftliche Bedeutung des römischen Geld-wesens.

    Der römische Gold-Solidus und der Denariusals Silbermünze haben sich bis in die Zeit derVölkerwanderung hinein gehalten, und derDienst, den das geordnete Geldwesen der Ent-

    faltung von Wirtschaft und Kultur zu leistenvermochte, kann auch in der Geschichte Romsnicht hoch genug veranschlagt werden.

    Kundige Hände für mannigfache Gewerbeder arbeitsteiligen Wirtschaft fanden sich auf den Sklavenmärkten, die ihren Auftrieb auchaus dem Niedergang Griechenlands bekamen. J etzt, wo Geld und arbeitsgeübte Hände vor-handen waren, ließ die organisatorische Bega-bung der Römer Städte und Prachtbauten ent-stehen; Straßen und Brücken, wie sie erst das19. J ahrhundert wieder erreichte, Paläste, Thea-

    ter und Bäder wurden gebaut, Wasserleitungen,die jahrhundertelang bewundert wurden undnoch als Ruinen von ihrer einstigen Großartig-keit zeugen.

    Da die Römer - im Gegensatz zu der früherenKriegsführung der Griechen - die unterworfenenVölker mit einer gewissen klugen Mäßigung be-handelten, vermochten sie es auch, das Erobertezu halten. Rom war einstmals nur halb so großwie Attika und umfaßte etwa 1000 qkm Land;

    zu Beginn des christlichen Zeitalters aberherrschte Rom über 54 Millionen und war mit3,3 Millionen qkm Land 6 mal so groß wie dasDeutsche Reich vor dem ersten Weltkrieg!

    Der Hauptstadt dieses gewaltigen Reichesstanden alle Güter einer weltweiten Arbeitstei-lung zu Diensten. Da gab es den Bernstein desNordens, indische Perlen und Edelsteine, arabi-schen Purpur und Wohlgerüche, spanische Wolle,ägyptisches Linnen, griechische Weine, afrikani-sches Öl, chinesische Seide, britannischeAustern, Pelzwerk vom Don usw. Und wenn es

    auch richtig ist, daß Rom nicht ohne Kriege großgeworden ist, so hat doch andererseits die Kaiser-zeit dem römischen Weltreich die längste Frie-denszeit gebracht, die die Welt je gesehen hat.In seinem Werk "Kulturen, Völker und Staatenvom Urbeginn bis heute" weist Hugo Rachelauf diese beachtenswerte Tatsache hin undschreibt:

    "Von 31 v. Chr. bis 235 n. Chr. sind die umdas Mittelmeer gelagerten Länder von Kriegenund Unruhen kaum berührt worden; Kämpfespielten sich nur an den Grenzen ab, allein die Thronfolgekrise von 68/69 und die Aufständein Gallien und J udäa, 69/71, unterbrachen dieseglücklichste Zeit der Menschheit. Im Gegensatzzur Verwilderung der späteren republikanischenZeit bestand trotz aller Mängel ein gerechtes,humanes, auf das Wohl des gesamten Reichesbedachtes Regiment. Die materielle Kultur blühteaußerordentlich und wuchs an Umfang; ein regerund gesicherter Verkehr, ein allgemeiner geisti-ger und kommerzieller Austausch umspannte dieganze römische Welt; Münze, Maß und Gewicht,Zeitrechnung (durch Cäsar neu geordnet) undRecht waren einheitlich geregelt."

    Es ist einleuchtend, daß sich in dieserZeit allesentfalten konnte, was aus Arbeitsteilung, Lei-stungs-Austausch und Weltverkehr damals schonmöglich war. Aber nichts von all dem, was heutenoch von der Größe Roms zeugt, konnte ohnedie wunderwirkende Kraft des Geldes entstehen.

    Dennoch wäre es eine Täuschung, wenn wirglauben wollten, daß Rom seine Geldwirtschaftbewußt und mit Klugheit zum Wahl des Staa-tes betrieben und allezeit richtig gehandelt hätte.

    Aber in Erinnerung an unsere eigenen Erfah-rungen aus der modernen Zeit wundern wir unsnicht darüber, daß schon Rom in der Notlageseiner Kriege zu der damals möglichen Form von

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    Inflationspolitik - nämlich zu Münzverschlech-terungen - seine Zuflucht nahm. Bereits währendder punischen Kriege wurde das Gewicht des rö-mischen Silberdenars herabgesetzt, um mehr De-nare prägen zu können. Die Söldnertruppen er-forderten Geld für die Löhnung; und die Römer

    schritten zu Notprägungen von Goldmünzen ausdem Tempelschatz des J upiter. Den Schatz er-setzten sie durch vergoldetes Blei, denn in die-sem Punkt waren sie der Ansicht - die ja wohlauch in späterer Zeit und unter anderen Religio-nen nicht ganz untergegangen sein soll - bei reli-giösen Dingen genüge die Wahrung des Scheins.

    Um 91 v. Chr. setzte der Volkstribun LiviusDrusus einen Senatsbeschluß durch, demzufolge jeweils eine von 8 Münzen minderwertig "gefüt-tert" sein sollte, innen Kupfer, außen Silber. In jener Zeit war der Geldwert so unsicher, daß -

    wie Cicero schrieb - niemand wissen konnte, waser besaß. Einige J ahre später wollte Marius Gra-tidian wieder gesunde Verhältnisse schaffen undden Versuch der Zahlung mit schlechter Münzeunter Strafe stellen. Dafür wurde er erst ver-herrlicht - und dann auf den Befehl von Sullahingerichtet. Die Münzverschlechterung wurdeweiter betrieben.

    Freilich gab es dann auch wieder Zeiten, indenen die Eroberungen neue Edelmetallbeständeins Land brachten und eine Besserung des Münz-wesens ermöglichten. So brachte die Eroberungder reichen syrischen Handelsstadt Palmyra, zwi-schen Damaskus und dem mittleren Euphrat ge-legen, den Römern gewaltige Schätze ein. Heutenoch zeugen riesige Ruinen, Baalstempel,Säulen-straßen, Theater von der einstigen Größe dieservon den Eroberern zerstörten Stadt; Palmyrawar ja der Mittelpunkt eines Handelsstaates, dersich in seiner Blütezeit bis weit nach Ägyptenund Kleinasien hinein erstreckte.

    Soweit die eroberten Provinzen, die ihre Edel-

    metallbestände an das übermütige Rom abgelie-fert hatten, in der Not des Landes selber zuMünzverschlechterungen ihre Zuflucht nahmen,stellten sich auch im Altertum schon Zustände ein,die uns ziemlich vertraut anmuten. Ägypten warzur Zeit des Soldatenkaisers Diokletian (284 bis305) römische Provinz. Diokletian hatte sich einegroßartige Neuordnung des gewaltigen Reicheszum Ziel gesetzt. Vieles hat sein unbeugsamerWille auch tatsächlich erreicht. Nur das Geldwollte sich nicht fügen; - doch darüber dürftenwir nur lächeln, wenn unsere Zeit nicht genau sotöricht gehandelt hätte wie dieser römische Kai-

    ser, der die durch Geldvermehrung und schlechteKupfermünze zustandegekommene Zerrüttungdes Geldwesens mit Höchstpreis-Verordnungenund Todesstrafe kurieren wollte. Während aber

    in Rom die Metze Gerste immerhin nur 100 De-nare kostete und ein Pfund Fleisch 8-10 Denare,war die Entwertung des Geldes in den Provin-zen bald beträchtlich weiter fortgeschritten. Prof.Eisler stellte aus ägyptischen Papyrusfunden eineaufschlußreiche Übersicht zusammen:

    "Im J ahre 255 n. Chr. kostete in Ägypten eineMetze Weizen von 29,18 Liter 16 Drachmen,314 n. Chr. kostete sie 10 000 Drachmen. EinHaus, das im J ahre 267 n. Chr. 2000 Drachmenkostete, konnte 40 J ahre später darauf eineGrundpfandschuld von 3 840 000 Drachmen auf-nehmen. 3 Kilo Fleisch kosteten damals 8000Drachmen, ein Rehschlegel 50 000, 4 Hühner30 000, 0,5 Liter Wein 12 000 bis 26 000 Drach-men. Entsprechend vollzog sich ein Steigen derLöhne und Gehälter. Im J ahre 304 n. Chr. er-hielten Erdarbeiter und Ziegelverlader 400 bis

    500 Drachmen täglich. Schreiber erhielten beifreier Kost 3000 Drachmen monatlich, ein Reit-knecht 3500, ein Mauleselknecht 6000, ein Leh-rer 6000 Drachmen." (s. R. Eisler: Das Geld, S.173.)

    Wer den Grund seiner Wohlfahrt in den Ta-gen des Glückes nicht erkennt, der lernt ihn er-kennen, wenn er verloren ist. Wie einstmals inAthen Verschwendung, Luxus und Müßiggangden Verfall einleiteten, so auch in Rom. Auchhier entwickelte sich die J agd nach dem Reich-tum in gleicher Art. Der Boden wurde veräußer-lich und beleihbar; die Gier nach dem Gelde unddie Unerfahrenheit im Umgang mit diesem Dingführten zur Verschuldung, maßlose Zinsen zuraschem Verfall des Bauernstandes, zu Schuld-knechtschaft, Landflucht und Überfüllung derStadt.

    Da die handwerklich-gewerbliche Betätigungvon Sklaven und von Freigewordenen ausgeübtwurde, verschmähte der Römer die eigentlicheArbeit. Seine Zivilisation beruhte zwar auf demPrinzip der Arbeitsteilung, aber er selbst hat sich

    an dieses Prinzip nicht gehalten. So drängte sichin der Stadt ein Gewimmel von unbeschäftigten,mittellosen römischen Bürgern, denen genau sowie in Griechenland erst Brot - und dann Brotund Spiele - geboten werden mußten.

    Dieses ständige Verzehren ohne Leistung, dasmaßlose Pracht- und Luxus-Bedürfnis der ver-mögenden Schichten bewirkte auch hier einenfortgesetzten Abfluß von Gold und Silber nachden fernen Ländern, von denen die begehrtenErzeugnisse auf Schiffen und Handelsstraßenherkamen. Mußte nicht der unerhörte Aufwand

    der römischen Zirkusspiele auch eineökonomische Kehrseite haben? Sulla ließ 100Löwen in die Arena rasen; Pompejus steigertedas Schauspiel auf 500 Löwen und zahllose

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    andere Tiere aus allen erreichbaren Zonen. Cäsarließ 65 v. Chr. über 600 Gladiatoren in silbernerRüstung zum Schaukampf antreten und imfolgenden J ahr - zur Vorbereitung seines letztenSchrittes zur ab- soluten Macht - das römischeVolk an 22 000 Tischen prächtig bewirten und mit

    Geld und Getreide beschenken.

    Die Logik der Geldrechnung ist unerbittlich,ob man sie begriffen hat oder nicht. Rom warwohl imstande, die Edelmetallbestände seinerProvinzen zu mobilisieren - in den Silberberg-werken Spaniens waren zeitweise bis 40 000Menschen beschäftigt und in ähnlichem Umfangwurde in Siebenbürgen Gold geschürft. - Aberder Abfluß war dennoch größer.

    Als schließlich mit dem Schwinden des Geldesauch noch die Erschöpfung der spanischen

    Silberminen eintrat, war der Niedergang Roms sogut wie besiegelt. J etzt halfen auch drakonischeMaßnahmen gegen die Ausfuhr von Edelmetallennichts mehr; und selbst die Münzverschlechterung- bis zu 95 v. H. Beimischung von Kupfer!-konnte den erforderlichen Geldumlauf nicht ein-mal mengenmäßig halten. Der Glanz des Rö-merreiches war auf der Basis einer weit ausge-dehnten Geldwirtschaft und Arbeitsteilung er-standen und nun mit dem Verfall dieser Funda-mente wieder erloschen. -

    (*) Was die Kaufkraft des römischen Geldes anbelangt, so er-hielt man um die Zeit Christi Geburt in einer Herberge für1 Denar Verpflegung und Nachtlager für 16 Tage; und um 20n. Chr. kostete der Eintritt in eines der prächtigen römischenBäder für Frauen 1 As, für Männer sogar nur 3 Unciae (=3Unzen, 0.25 As); s. Menzner-Florken, "Kaufkraft undZeitgesche-hen", Verlag Arbogast, Otterbach 1958.

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    DIE BARBAREN UND DAS

    GELDAn Rhein und Donau waren die Legionendes römischen Weltreichs stehen geblieben.

    Nordwärts und ostwärts dehnte sich inunermeßlicher Weite waldreiches Land, bewohntvon halb nomadenhaften Völkerschaften. Anfängevon stadtähnlichen festen Siedlungen gab es fastnur an der Grenze zum Römerreich.

    Aus dem Osten über die Wolga hereinbre-chend war der Mongolenstamm der Hunnen überEuropa gefegt, raubend und sengend und dieüberfallenen Völker mitreißend oder vor sichhertreibend. Die Schutzwälle, die das römischeReich an seinen Grenzen errichtet hatte, konnten

    die Flut nicht aufhalten. Das Weltreich der Rö-mer ging unter, andere Völker und Reiche füll-ten den Raum, jahrhundertelang sich in Kämp-fen und Kriegen verändernd.

    Den Zusammenhang zwischen Geldwirtschaftund Geschichtsverlauf hat die eigentliche Ge-schichtsforschung nie sonderlich berücksichtigt.Aber die Wirtschaftsgeschichte kennt die soge-nannten "langen Konjunkturwellen" als die Zeit-abschnitte steigender Geldvermehrung. "Mir istkeine Periode wirtschaftlicher Blüte bekannt, dienicht auf einen außerordentlichen Zufluß von

    Gold zurückzuführen wäre", sagt Sombart. DieKehrseite davon ist die wirtschaftliche Stagna-tion, der Zerfall der sozialen Organismen undder Kulturen, sobald das Geld sich vermindert,abfließt oder in anderer Art versickert.

    Eine solche Periode war mit der anhaltendenPassivität der Handelsbilanz des römischen Welt-reiches über die Kultur des Altertums gekommenund hatte der Zeit der Völkerwanderung ihrenStempel aufgedrückt. J ahrhundertelang warendie Raubkriege und Beutezüge der mit den Wan-derungen der Goten und der Hunnen in Bewe-

    gung gekommenen Völker an der Tagesordnung.Rom hat die Arbeitsteilung nicht weiterentwik-kelt und ausgedehnt, sondern mit der Verschwen-dung des Geldes zugleich sein wirtschaftlichesBlut verloren und seine Kraft vergeudet. Acker-bau, Gewerbe, Handwerk und Handel verküm-merten. Wer noch Geld hatte, hütete es als einenSchatz. Selbst die Barbaren wußten schon dasalte römische Geld von den rot gewordenen Sil-bermünzen des späten Rom zu unterscheidenundverschatzten das bessere Geld. Die alten Germa-nen bohrten ein Loch durch den beliebten römi-

    schen Goldsolidus und trugen die Münzen aneiner Schnur um den Hals. Was der Sinn desGeldes sein sollte, war fast vergessen. Aber die

    Gier nach den gleißenden Schätzen von Goldund Silber lag wie ein uralter Fluch über allem.Die ganze Geschichte der Völkerwanderungist ein endloser Bericht über den Kampf um ge-waltige Schätze, die dereinst einmal Geld warenund eine volkswirtschaftliche Funktion gehabt

    hatten, jetzt aber von der Raubgier und Pracht-liebe der Großen verschluckt wurden. GustavFreytag schildert in seinen "Bildern aus der deut-schen Vergangenheit" die Fürstenschätze ausArmringen, Spangen, Diademen, Bechern, Bek-ken, Schalen und Trinkhörnern samt ganzen Tischplatten und Pferdeschmuck. Die Tafelauf-sätze, silberne Becken für Speisen und Früchtewaren zuweilen von so protzigem Ausmaß, daßman sie mit Hilfsgeräten auf die Tische hebenmußte; eines Mannes Kraft reichte nicht mehraus.

    Der fränkische König Chilperich (561-584)ließ einen Tafelaufsatz aus Gold und Edelstei-nen machen, 50 Pfund schwer; und der KönigGunthram erzählte beim festlichen Mahl: "Fünf-zehn Schüsseln, so groß, wie die größten dort,habe ich schon zerschlagen und habe nur diesebehalten und eine andere, 470 Pfund schwer." Zusolchen Prunkstücken wurde das gemünzte Goldund Silber, das aus der Beute und aus den Tri-butleistungen der jeweils Besiegten stammte, ver-arbeitet. Als die Franken unter Clodevech dieRömer besiegt und aus Gallien vertrieben hat-ten, waren ihnen riesige Bestände römischen Gol-

    des in die Hände gefallen. Aber bevor etwasSinnvolles damit geschehen konnte, waren neueWidersacher an die Stelle der Erschlagenen ge-treten. Ein düsteres Bild von Tücke und Raub-gier zeichnet Gustav Freytag nach mit der dra-matischen Schilderung: "Als der KönigssohnChloderich seinen Vater auf Anstiften des Chlo-devech getötet hatte, zeigte er dem Boten desargen Vetters die große Truhe, in welche derErmordete seine Goldstücke zu legen pflegte, dasagte der Gesandte zu ihm: ,Miß die Tiefe mitdem Arm aus, damit wir die Größe wissen!̀ -und als der Frevler sich niederbeugte, zerschmet-

    terte ihm der Franke den Kopf mit seiner Axt."(s. G. Freytag: "Bilder aus deutscher Vergangen-heit, S. 155.) - Verläßliche geschichtliche Nach-weise über diesen Vorgang hat die Geschichts-forschung nicht gefunden und so mag es sein,daß die Fama hier - ebenso wie in der Nibelun-gensage - Dichtung und Wahrheit vermischte.Wieviel Wahrheit aber mag ganz im Dunkel derVorzeit versunken sein? -

    Dem Golde gegenüber ist der Mensch uner-sättlich, und so hortete also die Raubgier undBesitzleidenschaft der kämpfenden Fürsten undKönige die noch aus dem Altertum vorhande-nen Edelmetallbestände mehr und mehr in nutz-losen Schätzen. Als die fränkische Königstochter

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    Rigunthe 584 zu den Westgoten nach Spaniengesandt wurde, füllte ihr Schatz 50 Frachtwa-gen. J edem Fürstenkind wurde schon bei seinerGeburt ein Schatz angelegt. Zahllos sind auchdie Berichte von vergrabenen und versenktenSchätzen. Wir denken an Alerichs, des Goten-

    königs Grab im Busento, an die geheimnisum-witterte Bestattung Attilas, des Hunnenkönigsin goldenem, silbernem und eisernem Sarg, anden Nibelungenhort und den ewigen Zwist um alleSchätze. Bis auf den heutigen Tag ist das Rau-nen um vergrabene Schätze zu hören. Noch 1895wurde in Köln eine römische Kriegskasse mit15 Zentnern römischer Münzen gefunden, einSchatz, der wohl vor dem herannahenden Feindvergraben und nach verlorenem Kampf nichtwieder gehoben werden konnte.

    In diesen J ahrhunderten der Völkerwande-

    rung gibt es denn auch nur wenige, jeweils balderstorbene Ansätze zur Neuerweckung einerGeldwirtschaft. Kelten und Germanen haben inihren ersten Versuchen nur Nachprägungen derrömischen und griechischen Münzen vorgenom-men. Das Münzbild solcher Prägungen ist ent-sprechend roh, und die Unerfahrenheit des Stem-pelschneiders zeigt sich mitunter sogar in seiten-verkehrter Wiedergabe des Münzbildes, das alsVorlage diente. Von einer Entfaltung der Geld-wirtschaft kann erst wieder gegen Ende des er-sten J ahrtausends gesprochen werden; derReichtum des Altertums, der einstmals bereits in

    Münzen geprägt einen volkswirtschaftlichenDienst getan und eine Entfaltung vonArbeitsteilung und Kulturblüte ermöglicht hatte,war einfach jahrhundertelang umgeformt undseiner Aufgabe entzogen worden: Objekt derHortbildung, der Machtgewinnung, des Prunkes,des ständigen Kampfes und Raubes. Und dieKehrseite davon skizziert Hugo Rachel in seinenBetrachtungen zum Untergang der Antike, indemer schreibt:"Durch das unaufhaltsame Schwinden des barenGeldes trocknete das Wirtschaftsleben gleichsamaus und glitt in ein längst überwundenes Sta-

    dium, zur Naturalwirtschaft zurück." (s. HugoRachel: Kulturen, Völker und Staaten, S. 99.)Kriegsstürme, Raubzüge und Verwüstungensind ein unfreundliches Wetter für das Erblüheneiner neuen Kultur; die Lehre des Christentums,die Wesentliches zur Gestaltung einer neuenWelt bringen konnte, fiel noch auf steinigenAcker, während sie im Römerreich bereits seitdem J ahre 313 anerkannte Staatsreligion war.Bei manchem aus den germanischen Stämmenzum Christentum Übergetretenen verband sichdie neue Lehre noch in absonderlicher Weise mitden überlieferten Begriffen der Väter, und nochnach J ahrhunderten war manche Handlung mehrvom Blut und Urväterglauben als vom Geisteechten Christentums diktiert.

    So muß man, wenn man von einem "christ-lichen Abendlande" spricht, wohl doch ein wenigbedenken, daß dieser Begriff kaum vor dem8. J ahrhundert seine Gültigkeit haben dürfte.Als Bonifatius bei Geismar die Donar-Eichefällte, schrieb man bereits das J ahr 724; und als

    der Stamm der Sachsen als letzter großer Ger-manenstamm nach erbittertem Widerstand sichdem Christentum beugte - Widukind ließ sichim J ahre 785 taufen - neigte sich dieses J ahrhun-dert bereits seinem Ende zu. -

    Erstmalig seit dem Untergang des weströmi-schen Reiches war in diesem 8. J ahrhundert indem Frankenkönig Karl, der damit der Großewerden sollte, ein Mann erstanden, der die Er-ben der untergegangenen römischen Weltmacht,die schon ziemlich festgefügten germanischenReiche auf dem geschichtlichen Boden der einsti-

    gen römischen Herrschaft und weit darüber hin-aus zu einem neuen Ganzen zu einen vermochte.Erstmalig traten jetzt auch aus dem Schoße derbarbarischen Eroberer andere Gesichtspunkte alsKrieg und Raub politikbestimmend hervor. DemWeitschauenden erschloß sich der Blick in eineneue Weltgestaltung, nicht minder großartig alsdie des versunkenen Römerreiches. ÜberlieferteReste griechisch-römischer Kultur, Kunst, Ge-setzgebung, Geistesbildung usw. auf dem Bodendes für eine Gemeinschaftsbildung unter denMenschen unerhört fruchtbaren Christentumsneu begründet, fingen an, unter Karl dem Gro-

    ßen zu gewaltigen Wandlungen zu führen.

    Daß die Einführung des Christentums vonKarl d. Gr. nicht immer mit christlicher Duld-samkeit und Großmut betrieben wurde, ist be-kannt; aber man wird bei der Würdigung seiner Taten bedenken müssen, daß die Einigung dergermanischen Stämme unter der Glaubenslehredes Christentums von ihm als politische Not-wendigkeit angesehen wurde. So betrachtet wares weniger der Christ Karl als vielmehr der ger-manische König und Schöpfer des nachmaligen"heiligen römischen Reiches deutscher Nation",dem es unerträglich gewesen sein mochte, inner-halb dieses Reiches eine klaffende Lücke odergar einen Herd der Feindschaft zu wissen, dergleichwohl von Menschen desselben Blutesbewohnt wird.

    Doch wie man auch immer darüber denkenmag - mit späten Wertungen ändern wir nichtsan vollzogenen Werken, die Nachwelt hat auf den Tatsachen weiterzubauen - unmerklich voll-zog sich eine Verlagerung der wieder erwachen-den Lebensströme des völkerbewegenden Ver-

    kehrs vom Mittelmeerraum zum Rhein. Dennunmerklich begann die innere Ordnung des wer-denden Reiches, die gute Verwaltung, die sorg-same Rechtspflege, die Förderung des Unter-

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    richts, dem sich der Kaiser im hohen Mannesalterselbst noch unterzog, ihre Früchte zu tragen.Auch die wirtschaftliche Förderung, hauptsäch-lich bestimmt von der Ordnung des Bodenrechts,der Lehensordnung, des Marktrechts und Münz-wesens wirkte sich aus.

    Die germanischen Stämme, insbesondere in jenen Gebieten, die noch außerhalb der einstigenRömerherrschaft, also nordöstlich von Rhein undDonau, lagen, haben freilich bis in das letzte J ahrhundert vor der J ahrtausendwende über-wiegend in altväterlicher Naturalwirtschaft ge-lebt. Soweit sie durch Tausch und Handel fremd-ländisches Gerät, Schmuck, Münzen und derglei-chen erwarben und Zinn, Bernstein, Honig,Wachs oder Felle dafür gaben, diente das Er-worbene nur dem persönlichen Bedarf, allenfallsauch einer stetigen Schatzbildung. Die durch Be-

    rührung mit den Römern und durch die Zügeder Völkerwanderung in die Hände der Germa-nen gelangten griechisch-römischen Münzen wur-den also, wie bei allen Naturvölkern, lediglichals Schmuck und Schatzmittel betrachtet. So ver-sickerte auch hier ein großer Teil der Münzbe-stände des römischen Reiches in den unergründ-lichen Wäldern Germaniens, ohne daß sie hierschon jene Wirtschaftsbelebung herbeiführenkonnten, die in entwickelteren Kulturen bei sol-cher Art "aktiver Handelsbilanz" zustande zukommen pflegt.

    Um diese Zeit wäre es hier für eine ausge-dehnte Geldwirtschaft auch einfach noch zufrüh gewesen. Erst kam es darauf an, von derNaturalwirtschaft zur Arbeitsteilung zu gelan-gen; und auf dieser Linie der Notwendigkeithatte das römische Kolonisationstalent - ob-wohl die Barbaren die Herren und die Römerdie Unterlegenen waren - ein dankbares Betä-tigungsfeld gefunden. Was jetzt aus Rom kam,kam freilich nicht mehr in klirrenden Waffen,die früher die römische Kultur begleitet hatten,sondern es kam im Habitus der neuen Religiondes Christentums. Sicher ist die fortschreitendeVerschmelzung der fränkischen Herrschaft mitder römischen Kirche, die mit der Kaiserkrö-nung Karls d. Gr. ihren Höhepunkt erreichensollte, einer der bedeutungsvollsten Vorgängeder europäischen Geschichte gewesen. Undwenn es in diesem Zusammenhang auch nichtprimär wichtig sein mag, so war es dochandererseits auch nicht von Nachteil, daß dasganze Erbe der geldwirtschaftlichen Erfahrung derRömer sich im Zuge dieser Entwicklung auf dieVölker des fränkischen Herrschaftsbereichsfortpflanzte.

    Was die römische Kirche diesen Völkern zu-gleich mit dem neuen Weltbild des Christen-tums an gewerblichen Fertigkeiten und ökono-

    mischen Künsten des Rechnungswesens mitMaß-, Gewichts- und Geldeinheiten brachte,machte sich aber für die Kirche auch bezahltdurch die junge Kraft, deren die Kirche alsSchutz bedurfte. Der Zerfall der alten römi-schen Weltmacht in einn weströmisches und ost-

    römisches Reich - im J ahre 395 waren Romund Byzanz endgültig geschieden - hatte auchfür das Christentum, wenn nicht ursächlich, sodoch als weitere Vertiefung der Kluft den gro-ßen Glaubenskonflikt zwischen arianischer undrömisch-katholischer Christusvorstellung ge-bracht. Da die Vandalen, Goten, Langobardenund andere germanische Stämme sich zuerst derarianischen Lehre, wonach Christus nicht alsGottes Sohn gilt, zuneigten, bedeutete der Siegdes Frankenkönigs Chlodewech und sein Über-tritt zum katholischen Christentum (496) zu-gleich den Sieg der römischkatholischen Kirche

    über die arianisch-byzantinische. Der Fama zu-folge soll Chlodewech vor der Schlacht gelobthaben, zum römischen Glauben überzutreten,wenn Christus ihm den Sieg schenckt. Daß manso etwas mit dem fremden Gott aushandelnkönne, war dem Vorstellungsvermögen desfränkischen Kämpen durchaus natürlich. - Nun,waren also die Würfel gefallen und so ging dieEntwicklung auf J ahrhunderte hinaus ihrenneuen Weg.

    Währenddessen erfuhr auch das byzantinischeReich ein wechselvolles Schicksal, bis es 1453

    endgültig den Mohammedanern (MohammedII.) erlag. In seiner hohen Blütezeit trugen diebyzantinischen Münzen vornehmlich Christus-und Marienbildnisse. J ustinian II (658 - 711)hatte als erster ein Christusbild auf seinen So-lidus gesetzt, wie Robert Eisler meint, sicherweniger aus Frömmigkeit als vielmehr, um denMohammedanern das Nachprägen seiner Mün-zen religiös zu verleiden (s. Rob. Eisler: "DasGeld" S. 160). Die Handelsbeziehungen mitByzanz waren während der Zeit der Völker-wanderung noch schwach; erst die J ahrhunder-te der Kreuzzzüge brachten den fränkisch-ale-

    manischen Völkern den näheren Kontakt mitdem Orient - und damit auch byzantinischeEinflüsse auf ihr Münzwesen. Letztere tratenin der Brakteatenprägung der Stauferzeit, wor-auf wir noch kommen werden, besonders deut-lich hervor.

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    WIEDERERWACHENDE

    GELDWIRTSCHAFTWenn mit der Ausdehnung der deutsch-ger-manischen Herrschaft über das riesige Gebiet deseinstigen Römerreiches wohl auch die Gold- und

    Silberschätze der vergangenen Kulturen in dieHände neuer Herren gekommen waren, so konntedie eigentliche kulturfördernde Nutzung aberdoch erst dadurch erfolgen, daß das tote Metallzu lebendigem, befruchtendem Geldumlauf wurde. Dieser Entwicklung hat Karl der Großeentscheidende Impulse gegeben.

    Wohl haben vor dieser Zeit schon die Goten,Langobarden, Kelten und andere Völker eineMünzprägung betrieben. Ihre Münzbilder stell-ten jedoch nur mehr oder weniger gelungene,vielfach aber auch vollkommen entstellte Nach-bildungen alter griechisch-römischer Prägungendar. (siehe Abb. auf Seite 40)

    Goldmünzen zu prägen und das eigene Bildauf die Münze zu setzen, war einst das Vorrechtder römischen Kaiser gewesen. Dieses Vorrechtwurde während der Zeit der Völkerwanderungnicht angetastet; erst Theoderichs Sohn Theode-bert I. von Austrasien wagte es, einen Goldsoli-dus mit seinem eigenen Namen zu prägen (534bis 548). Der Vorgang wurde von Prokop, demChronisten der Gotenkriege, als empörende An-

    maßung registriert. Bemerkenswert für die im6. J ahrhundert einsetzende Zunahme der Münz-prägung ist, daß die Kirche mehr und mehr -und zwar aus eigener Machtvollkommenheit -als Münzherr auftrat. Insbesondere geschah dieswestlich des Rheins im Gebiet des heutigenFrankreich, wo die Bistümer Rennes, Orleans,Le Mans, Bordeaux, Toulouse, Angers und an-dere zu nennen wären.

    Vom 6. J ahrhundert an traten aber auch Nameund Monogramm des Königs mehr und mehrzurück zu Gunsten der Erwähnung von Münz-

    stätte und Münzmeister. Die Münzmeister, ausder Goldschmiedezunft hervorgegangen, von de-nen man etwa 2000 Namen kennt, übten ihr Ge-werbe für Könige, Bischöfe und Grundherren imUmherziehen aus. Im 8. J ahrhundert wurde nunim fränkischen Reich das unter den Merowin-gern mit zunehmender Lässigkeit gehandhabteMünzrecht nach dem Sturz des letzten Merowin-gers Chilberich von Pippin dem Kleinen mitEnergie in die Hand genommen. Der erste Ka-rolinger, der sich selbst die Königskrone genom-men hatte, vereinfachte das Münzwesen des frän-kischen Reiches durch Einführung der Silber-

    währung. Goldmünzen ließ er nicht mehr aus-prägen. Geprägt wurde nur noch der Silber-De-nar, aus dem römischen Pfund 300 Stück, später264 Stück. Diese Anfänge einer neuen Münz-

    ordnung hat der Sohn Pippins, Karl der Große,mit zielbewußter Hand auf das ganze nach-malige "Heilige römische Reich deutscher Na-tion" ausgedehnt. Er setzte sein Bildnis und sei-nen Namen auf die Münze, und auch die Gro-ßen, denen er das Recht, Münzen zu schlagen,

    verliehen hatte, mußten seinen Namen mit auf die Prägung setzen. Die Zahl der Münzstätten- bei Antritt seiner Regierung bestanden deren40 - vermehrte sich auf 80, darunter Köln, Bonn,Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Dursteede,Basel, Chur. Auch Karl der Große blieb bei derSilberwährung. Goldmünzen wurden von ihmoffensichtlich nicht für den allgemeinen Handels-verkehr herausgegeben. Nach Auffassung derForscher sind die in wenigen Funden zutage ge-förderten Goldmünzen nur als Kriegs-Sold fürdie fränkischen Soldaten aus Beutegold geschla-gen worden.

    Dem Münzwesen Karls des Großen lag dieRegel zugrunde, aus einem Pfund Feinsilber240 Silber-Denare zu prägen. Unklarheiten be-stehen jedoch über das Gewicht des Pfundes; dieAngaben schwanken zwischen 367 und 491 g.Der Denar stellte in der damaligen Münzverfas-sung auf deutsch einen "Silber-Pfennig" dar.12 Denare oder Pfennige ergaben einen Schilling(lat. Solidus); 20 Schillinge waren demgemäß1 Pfund. Dieses karolingische Münzsystem: 12Pfennige (Pence) =1 Schilling; 20 Schillinge =1 Pfund hat sich bei den Angelsachsen bis auf 

    den heutigen Tag erhalten, wie ja auch die Be-zeichnung "1 Pfund Sterling" ursprünglich einPfund von den durch die Oesterlinge - die ausdem Osten kommenden Kaufleute - ins Landgebrachten Silbermünzen bedeutete. Die Einfüh-rung des karolingischen Münzsystems in Eng-land wird dem Einfluß des angelsächsischen Ge-lehrten Alkuin zugeschrieben, den Karl derGroße an seinen Hof gezogen hatte.

    Eine Prägung von Schillingmünzen war inder Münzordnung Karls des Großen nicht vor-gesehen. Der Begriff war nur eine Rechen-Größe.Erst bei entwickelteren Verkehrsbedürfnissen im13. und 14. J ahrhundert entstand im "Groschen"eine entsprechende Ausprägung. Der Groschenstellte einen "großen" und dicken Pfennig darund hatte den Wert von 12 Denar, womit eralso einem Schilling entsprach. In manchen Ge-genden wurden auch Groschen von geringeremWert als 12 Denar geschlagen.

    Daß es sich bei dieser Ausprägung einer grö-ßeren Münze überall um die Berücksichtigungder wachsenden Anforderungen des Wirtschafts-

    verkehrs handelte, geht auch daraus hervor, daßder "große Denar" im 12. J ahrhundert auch inFlorenz als "Grossoni", in Frankreich als "gros Tournois" und in England als "groats" auf-

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    tauchte; das Verhältnis zum Denar ist jedochnicht überall und nicht für ständig das gleichegewesen, wie in Deutschland (s. Karl Helferich:"Das Geld", S. 39).

    In der allgemeinen Entwicklung der Kultur

    konnten sich die Auswirkungen der Rückkehrzur Geldwirtschaft naturgemäß nur sehr lang-sam zeigen. Zu groß und zu weiträumig war dasReich Karls des Großen und nur der südwest-liche Teil war alter Kulturboden. Handwerk,Viehzucht und Ackerbau mußten erst gelehrtund entwickelt werden; dies waren Aufgaben,deren sich die vom Kaiser geförderten Klöstermit besonderem Eifer annahmen.

    In diesen Zeiten wurden neue Münzen in derRegel beim Anlaß bedeutender geschichtlicherEreignisse oder sonstiger denkwürdiger Tage im

    Leben der Münzherren geschlagen. So hat Karlder Große, nachdem er 784 dem Langobarden-reich ein Ende bereitet hatte, auf dieses Ereignisgemeinsam mit dem Papst Hadrian III. einenPfennig prägen lassen. Ebenso ließ er auf seineKaiserkrönung zum Weihnachtsfest in Rom im J ahre 800 einen Pfennig schlagen, der auf derVorderseite sein Brustbild und auf der Rückseiteein Bildnis der Kirche zeigte, als deren Beschüt-zer er sich fühlte.

    Die straffe Ordnung des Münzwesens, die

    Karl der Große durchgesetzt hatte, ist unter sei-nen Nachfolgern wieder verloren gegangen. Ineinem Kapitular des Kaisers (805) war einst be-fohlen worden, daß Münzen nur an kaiserlichenPfalzen geprägt werden durften; und es war vor-geschrieben, "daß diese neuen Pfennige in jedemOrt, in jeder Stadt und auf jedem Marktplatzebenso umlaufen und von allen empfangen wer-den." Nach A. Luschin v. Ebengreuth, Grundrißder Münzkunde, war die Münzhoheit als solcheein wesentliches Recht des römischenImperators, von dem es auf den Kaiser des"Heiligen römischen Reiches deutscher Nation"

    überging. Von Thomas von Aquin wurde dannaber die Lehre begründet und verbreitet, daß dieMünzhoheit auch dem Papst und der Kirchezustehe. Diese Auffassungen fanden in denmittelalterlichen Rechtsbüchern ihrenNiederschlag; so kam es, daß schließlich jedermann, der eine höchste Gewalt, ein"supremum imperium" innehatte, auch dasRecht der Münzhoheit besaß, das er nach untengegen Abgaben oder auch als Pfründe für Vasal-len- und andere Dienstleistungen weiterverlei-hen konnte (s. a. a. O. S. 58).

    Unter dem Nachfolger Karls d. Gr., Ludwigdem Frommen, gelangten nun die Kirchenfür-sten wieder zu Einfluß und Bedeutung in derMünzprägung; und dieser Einfluß verstärkte sich

    in der Folgezeit mit der jetzt in Erscheinung tre-tenden Schwäche der Karolinger mehr und mehr.Diese Entwicklung ist aber andererseits nichtganz unverständlich, denn Kirche und Klösterhatten in diesen Zeiten beträchtliche Aufgabenauf sich genommen, für deren Finanzierung ent-

    sprechende Einkünfte erforderlich waren. Nachder Bekehrung der Sachsen zum Christentumwurde z. B. das Kloster Corvey gegründet undmit reichen Schenkungen - z. B. mit der Einrich-tung einer Münzstätte und Verleihung der Ein-künfte aus der Münzprägung - bedacht.

    Ähnlich verhielt es sich in zahlreichen anderenFällen und auch in den kommenden Zeiten; dieAbtei von St. Gallen, die Freie Reichsabtei Hers-feld, auch Frauenklöster wie die Abtei Quedlin-burg, erhielten das Münzrecht, ebenso der späterin der Kolonisation des Ostens tätig gewordene

    Deutschritterorden.

    Unter den fränkischen und sächsischen Kai-sern verstärkte sich die Tendenz, die Münzrechtean Kirchenfürsten und Abteien zu vergeben,noch mehr, denn jetzt waren Geistlichkeit, Bi-schöfe und Äbte die eigentlichen Stützen derHerrschaft gegen die Machtansprüche und Be-sitzgelüste des Adels. Mit der eintretendenSchwächung der Reichsmacht wurden dann aberauch die Kirchenfürsten in der Münzprägung mehrund mehr selbständig; dazu kam, daß die Münz-rechte für Abgaben und Vasallendienste auch anHerzöge und Markgrafen vergeben wurden, wo-mit aber immerhin eine reichliche Versorgungder in Gang kommenden Wirtschaft mit Geldgegeben war.

    Dieses Letztere dürfte für die allgemeine Ent-wicklung von Wirtschaft und Kultur das We-sentliche gewesen sein, und so war es denn ganzrichtig, daß die Becher und Schalen, Becken undHumpen in den Schmelztiegel wanderten - unddanach als blanke Silber-Pfennige auf die Märkte.

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    DIE BRAKTEATENWenn eine Linie der Entwicklung des Münz-wesens vornehmlich in dem durch Donau undRhein begrenzten südwestlichen Raum Europasdurch Nachbildung römischer Münzen und all-

    mähliche Verselbständigung in der Kunst desStempelschneidens und Prägens erblickt werdenkann, haben wir es im nordostgermanischenRaum noch mit einer zweiten Entwicklungslinie,einer anderen Technik der Nachbildung und Neu-prägung von Münzen zu tun. Auch diese nahmihren Ausgang von der Goldschmiedekunst herund hatte ihre Wiege in der Schmuckgestaltung.

    Es handelte sich hierbei um die Technik, orna-mentale Linienmuster, Runenzeichen und der-gleichen auf der Vorderseite erhaben und auf der Rückseite vertieft in Gold-, Silber- oder Kup-

    ferblech zu treiben. Derartige Arbeiten wurdenerst als Gewandspangen, als Schmuck und An-hänger getragen; es gibt Funde davon, die auseiner Zeit von 400 bis 1000 J ahren vor der christ-lichen Zeitrechnung stammen.

    In der nachrömischen Zeit wurde indessen diese Technik des Einprägens eines Bildes in dünnesSilber- oder Goldblech auch auf die dadurchvereinfachte Nachahmung von Münzen angewen-det. Es gibt Stücke - allerdings auch in dieserForm noch mit einer Anhänge-Öse versehen, le-diglich zum Schmuck bestimmt -, welche aus zwei

    Abdrücken, Vorder- und Rückseite einer Münze,zusammengesetzt und am Rande zusammenge-halten, bestehen. - Einen solchen Schmuck-An-hänger, bestehend aus zwei dünnen Goldblechen,über eine römische Münze aus der Zeit von 215v. Chr. gehämmert, von einem goldenen Ringzusammengehalten, die alte Münze noch als Kernenthaltend, zeigt Schwarzkopf in seiner interes-santen Abhandlung über "Germanische Schmuck-brakteaten" in dem Band "Das Erbe unsererAhnen" S. 476. (siehe auch Abb. S.19)

    Die Herstellung solcher Abdrücke stellte na-türlich gegenüber den Schwierigkeiten des Stem-pelschneidens ein vereinfachtes Verfahren dar.Es war nur notwendig, die Prägung auf einerweichen Unterlage, z. B. auf Blei, vorzunehmen.Mit dem im allmählich zunehmenden Wirtschafts-verkehr zutage getretenen größeren Bedarf an Tauschmitteln kam naturgemäß auch im nordisch-germanischen Raum die Entwicklung des Münz-wesens in Fluß. Es erübrigte sich schließlich, diePrägung mit einer Anhänge-Öse zu versehen, dadie Münzen dauernd von Hand zu Hand liefenund nicht mehr als Schmuck am Halse getragen

    wurden. So kamen etwa um die Mitte des zwölf-ten J ahrhunderts in Skandinavien unter dem Dä-nen Sven Grathe die einseitig geprägten Silber-blech-Münzen auf, die man später als "Brak-

    teaten" - bractea =dünnes Blech - bezeichnete(s. Schwarzkopf : a. a. O. S. 469).

    Im übrigen ist aber die wirkliche Entwicklungder Brakteaten-Geldwirtschaft doch eine reindeutsche Erscheinung; die nordischen Ansätze

    dazu sind, ohne eine Bedeutung erlangt zuhaben, wieder erloschen.

    In Deutschland sind die ersten derartigen Prä-gungen in der bischöflichen Münze von Magde-burg geschlagen worden. Nach neuerenForschungen von Prof. Dr. Arthur Suhle hatErzbischof Hartwig von Magdeburg, der von 1079bis 1102 regierte, damit begonnen, die um dieseZeit zur Aufnahme eines großen Münzbildesschon ziemlich breit und dünn gewordenenSilberpfennige einseitig schlagen zu lassen.Allerdings erst Erzbischof Wichmann von

    Seeburg, der anno 1152 von Barbarossa inMagdeburg eingesetzt worden war, hat dieseMünzprägung im Erzstift zu ungeahnter Blüteentfaltet.

    Als sich dieses Verfahren der Münzprägungin Deutschland ausbreitete, waren seit der Münz-ordnung Karls d. Gr. bereits 300 J ahre vergan-gen. Im Verlaufe dieser Zeit waren aber durchdie Nachfolger Karls d. Gr. - angefangen vonLudwig dem Frommen - die Reichsrechte derMünzprägung an unzählige Könige, Fürsten, Gra-

    fen, Bischöfe, Grundherren, Klöster und Städteverliehen worden. Hieraus hat sich naturgemäßein sehr buntes Bild der Münzverfassung erge-ben, zumal vom 11. J ahrhundert an Bild, Nameund Gepräge der Münze durch die Träger desMünzrechtes verändert werden durften.

    Schon während dieser Zeit, also noch vor demErscheinen der Brakteaten, war die Vergebungdes Münzrechtes von fiskalischen Erwägungenbestimmt. Die mit dem Münzregal Beliehenenhatten dafür Abgaben zu leisten, die sie bei derPrägung durch Erhebung eines "Schlagschatzes"

    und durch "Auswechseln" hereinholten.

    Mit dem Aufkommen der Brakteaten in derHohenstaufenzeit war nun einesteils die Tech-nik der Münzprägung vereinfacht; man hattezwar vor dieser Zeit schon "Dünnpfennige" ge-prägt, die aber beidseitig ein Bild trugen, dasfreilich mitunter ziemlich unklar wurde, weilder Stempel der Rückseite sich durchpreßte unddie Vorderseite störte, wie auch umgekehrt. Nunkam die Gegenprägung in Wegfall.

    Die Herstellung der Münzen wurde nach wievor von den Münzmeistern vorgenommen, dieim Umherziehen an die Höfe der Fürsten und Bi-schöfe und der kleineren Münzherren kamen und

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    dort ihre Kunstfertigkeit anbrachten. Danebengab es indessen auch eine große Anzahl Präge-stätten des Reiches, von denen viele gleichfallsdie Prägetechnik der Zeit pflegten. So hat z. B.Barbarossa seine prachtvollen Brakteaten in denkaiserlichen Münzstätten in Saalfeld, Altenburg,

    Mühlhausen und Nordhausen schlagen lassen.

    Die nicht-privilegierte Herstellung von Mün-zen wurde, unbeschadet der Großzügigkeit, mitder das Münzrecht an unzählige Beliehene ver-geben war, nach dem Kodex der mittelalterlichenRechtspflege sehr streng, mit dem Abhacken derHand, geahndet.

    Andererseits war es natürlich, daß die in derBrakteaten-Technik hergestellten dünnen Sil-berblechmünzen im Verkehr weniger dauerhaftsein konnten als die beidseitig geprägten stärke-

    ren Geldstücke. Um die den Wertbegriffen ge-recht werdende Silbermenge auf die Münze zuverwenden, wurde die Einzelmünze größer ge-macht. Es gibt Brakteaten von fast 5 cm Durch-messer. Man konnte sie gegebenenfalls durch-brechen oder durchschneiden und auf diese Artteilen.

    Aus diesen Umständen und der höheren Ab-nutzung, die solches Geld im Verkehr erlitt, er-gab sich dann wohl die Notwendigkeit einerlaufenden Nachprägung. Die Münzmeister hat-

    ten ihre "Arbeitsbeschaffung", wie man heutesagen würde. Die Nachprägung von Münzen waraber nicht allein aus den Erträgnissen der neuerschlossenen Silbergruben im Harz, im Elsaß,in den Tiroler Bergen und in Böhmen zu bewäl-tigen, sondern sie wurde nun auch als Umprä-gung von aufgerufenen Münzen vorgenommen.

    Daß bei der Ausgabe von neuen Münzen dasalte Geld außer Kurs gesetzt, um des Metall-wertes willen aber eingezogen und mit entspre-chendem Abschlag gewechselt wurde, ist ein sehralter Brauch. In seinem Wörterbuch der Münz-

    kunde erwähnt Freih. Friedrich v. Schrötter, daßderartiges schon im alten Rom gemacht wurde (s.a. a. O. S. 440), und Prof. A. Suhle führt in sei-ner Schrift "Die deutschen Münzen des Mittel-alters" an, daß Karl d. Gr. im Kapitular vonMantua anno 781 mit seiner grundlegendenNeuordnung des Münzwesens die Annahme deralten Pfennige verboten habe (s. a. a. O. S. 22).

    Nach der mittelalterlichen Münzverfassung,die insbesondere im "Sachsenspiegel" niederge-legt war, - dem ältesten und bedeutendstendeutschen Rechtsbuch, 1220 von Eike von Rep-

    kow in lateinischer Sprache, später noch in nie-dersächsischer Mundart geschrieben und großen-teils vom "Schwabenspiegel" für Südwest-Deutschland übernommen - war es rechtens, eine

    Änderung der Münzen vorzunehmen, "wennneue Herren kommen". Anläßlich eines solchenWechsels der Herrschaft, sei es auf Grund vonErbfolge beim Tode eines Fürsten oder Grafen,oder auch nach dem Ausgang von Machtkämp-fen unter den Großen, war es demgemäß nach

    dem Gesetz der "Renovatio Monetarum" Rechts-brauch, die umlaufenden Münzen aufzurufenund unter Abzug eines Schlagschatzes gegenneue Münzen einzuziehen.

    Derartige Aufrufe und Umprägungen erwie-sen sich nun nach Einführung der weniger dau-erhaften Brakteaten auch ohne den Anlaß vonRegierungswechsel und damit zu häufigerenZeitpunkten als zweckmäßig. Kulischer berich-tet in seiner "Allgemeinen Wirtschaftsgeschichtedes Mittelalters und der neuen Zeit", München1928, daß man in Polen diese "revocationes",

    "innovationes" oder "mutationes" viermal im J ahre durchführte - daß es Verordnungen gab,die zu jeder Messe neues Geld vorsahen. Bern-hard von Anhalt, der Sohn von Albrecht demBären, der durch Krieg und Erbschaft das Ha-velland erworben hatte und sich "Markgraf vonBrandenburg" nannte, hat in 32 Regierungs- jahren fast hundert Prägungen herausgebracht.In Wien gab es in 150 J ahren fast ebensovieleverschiedene Wiener Pfennige. Kaiser FriedrichII., der Enkel Barbarossas, hatte nach dem Todedes letzten Babenbergers das Herzogtum Öster-reich dem staufischen Reich einverleibt und in

    Wien in Fortsetzung der Babenberger Pfennig-prägung nunmehr kaiserliche Brakteaten ge-schlagen.

    Von Erzbischof Wichmann von Magdeburgsind mehr als 70 verschiedene Prägungen be-kannt; Erzbischof Wichmann scheint der erstegewesen zu sein, der die eigenen Münzen selbstwieder aufrief, während doch nach der Rechts-regel des Sachsenspiegels die Münzerneuerungnur bei Herrschaftswechsel erfolgen sollte. DieMünzverrufung wurde unter seiner Herrschaftzweimal im J ahre vorgenommen, am 4. Fasten-sonntag vor Ostern und an Mariä Himmelfahrt,am 15. August; wahrscheinlich waren diese Ter-mine auch Markttermine. Für 12 alte Pfennigewurden jeweils 9 neue Pfennige gegeben. Vonden Erträgnissen dieser Münzerneuerung kannman sich ungefähr ein Bild machen, wenn manerfährt, daß Erzbischof Wichmann einige J ahreverpflichtet war, aus der "moneta Magdebur-gensi" jährlich 236 Mark Silber - die "KölnischeMark" zu 233 g oder rund 240 Denarii - an denDomschatz abzuführen. Das waren also jeweilsmehr als 56 000 Silberpfennige! -

    Das Verfahren des Erzbischofs Wichmannmachte sehr bald Schule; schon prägten auchdie Bischöfe von Halberstadt und Hildesheim

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    solrhe Münzen, die Askanier und die Welfen,die Landgrafen von Thüringen, - zu jener Zeit,als die Wartburg erbaut wurde - und zahlreicheAbteien und Städte. Zu den schönsten Prägun-gen der damaligen Zeit zählen die HalberstädterStephans-Pfennige, die sicherlich nicht wenig

    zur Finanzierung der im 12. J ahrhundert ent-standenen berühmten Chorschranken in der Hal-berstädter Liebfrauenkirche beigetragen haben.Auch die Kaiserlichen Münzstätten Barbarossasprägten solche "Brakteaten", wie man diese dün-nen, leicht zu brechenden und zu teilenden Mün-zen allerdings erst in der Folgezeit nannte. (*)

    In den Brandenburgischen Landen war es nachLuschin von Ebengreuth (Grundriß der Münz-kunde, S. 62) üblich, den Abschlag auf die Lauf-zeit der Münze zu verteilen, um ihn nicht allzufühlbar werden zu lassen. So wurden im ersten

    Vierteljahr 12 Pfennige auf den Schilling ge-rechnet, im zweiten Vierteljahr 13 Pfennige, imdritten Vierteljahr 14 Pfennige, dann 15 Pfen-nige und nach dem Ablauf des vierten Viertel- jahres erfolgte die Verrufung des alten Pfennigs,von dem nun 16 Stück auf den Schilling abge-führt werden mußten. Der neue Pfennig aberkam wieder zu 12 Stück auf den Schilling inUmlauf, also zum alten Wert.

    Über den materiellen Nutzen, den der Schlag-schatz den Münzherren einbrachte, gehen dieAnsichten der Forscher auseinander. Er mageben durchaus unterschiedlich gewesen sein, daes auch von der Geschicklichkeit der Münzer ab-hing, aus einem gegebenen Metallbestand nachdem Umschmelzen und unter Einhaltung be-stimmter Mindestgewichte der Münzen möglichstviel herauszuholen. Luschin von Ebengreuth er-wähnt (a. a. O. S. 62) das Kloster Melk, dasnach seinen Aufzeichnungen durch die Münz-verrufung in einem Jahr allein soviel eingebüßthabe, daß der Verlust etwa dem zehnten Teildes Münznutzens entsprochen habe, den derHerzog aus dem ganzen Lande zog. Das wäreein hoher Verlust, beziehungsweise für denMünzherrn ein sehr bescheidener Gewinn gewe-sen. Erzbischof Wichmann von Magdeburg hatin dieser Hinsicht offenbar mehr Gewinn her-ausgeholt, obwohl auch in Magdeburg die Aus-prägung "al marco" stattfand, d. h. ein PfundPfennige (=20 Schilling zu je 12 Pfennigen)mußten das Gewicht einer Mark haben.

    Während technisch gut ausgeführte und durchihre Prägungen auch kunstgeschichtlich wert-volle Brakteaten vornehmlich aus den Münz-stätten Magdeburg, Halle, Erfurt, Halberstadt,

    Goslar wie auch aus den Münzstätten vonFriedrich Barbarossa, Heinrich dem Löwen unddem wendischen Fürsten J aczo von Köpenickherrührten und bis in die Mitte des 14. J ahr-

    kunderts reichten, wurden kleinere Brakteatenmehr in Niedersachsen, dort aber bis in dieHälfte des 16. J ahrhunderts geprägt.

    Eine Besonderheit stellten die Pfennige ausdem Nürnberger Münzgebiet dar. Sie waren

    kleiner als die mitteldeutschen Brakteaten undzeigten beidseitige Prägung, wobei die Prägungder einen Seite allerdings in der Regel ziemlichstarke Zerstörungen aufwies. Es liegt hier auchder Gedanke nahe, daß es sich bei diesen Mün-zen vielleicht jeweils um Umprägungen der vor-her gängigen Pfennige gehandelt haben könnte,so daß die vermeintliche Rückseitenprägungeigentlich nur die gelöschte frühere Prägung dar-stellte. Der große Hersbrucker Brakteatenfund,der sich im Hirtenmuseum in Hersbruck befin-det, weist ausschließlich solche Münzen auf, ver-mutlich aus den Prägestätten Nürnberg, Regens-

    burg, Donaueschingen und Ingolstadt. Es sindvorzüglich herausgearbeitete Münzbilder, aberdie Ränder sind offensichtlich von Hand be-schnitten, was bei dem dickeren Material müh-seliger war als bei den dünner ausgeprägtenmitteldeutschen Brakteaten.

    Eine zu den Brakteaten gehörende Münzestellen auch die "Schüssel-Pfennige" dar, diewegen der schüsselförmigen Gestalt der Schröt-linge so genannt wurden und die vornehmlichim Westen, im Rheinland, Niedersachsen, Braun-schweig und Lüneburg zu Hause waren. Daseigentliche Verbreitungsgebiet der Brakteatenreichte in Norddeutschland im Westen bis an dieWeser, im Norden bis an die Nord- und Ostsee;den Kern bildete, wie gesagt, die MagdeburgerGegend, Thüringen, der Harz, die Mark Bran-denburg, die Mark Meißen; daran schlossen sichdie Oberlausitz, Schlesien und weiter östlich undsüdöstlich noch Polen und Böhmen an.

    Ein zweites Verbreitungsgebiet, das sich - wieProf. Suhle in seinem bereits zitierten Buch über"Die deutschen Münzen des Mittelalters" her-

    vorhebt - im Stil der Prägungen von dem erst-genannten Bereich merklich abzeichnete, begannsüdlich des Mains, umfaßte Schwaben, Würt-temberg, die Bodenseegegend mit dem ZentrumKonstanz und den Schweizer Städten Basel,Bern, St. Gallen u. a. und reichte nach anderenQuellen bis nach Österreich, wo in Wien eineregelmäßige Münzerneuerung geübt wurde. - Somag es wohl richtig sein, was Corragioni in sei-ner "Münzgeschichte der Schweiz", Genf 1896,schrieb: "Brakteaten waren die einzige Geld-sorte, die vom 12. bis 15. J ahrhundert bei unsGeltung hatte."

    In der landläufigen Geschichtsbetrachtungscheint es über diese Epoche des Münzwesenseine ziemlich feststehende Ansicht zu geben: die

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    Mannigfaltigkeit und der ständige Wechsel derPrägungen werden sehr abschätzig beurteilt undgelten als Zeichen einer völligen Zerrüttung derGeldordnung, eines "heillosen Münzenwirr-warrs", wie beispielsweise J ohannes Scherr sichin seinem Werk "Deutsche Kultur- und Sitten-

    geschichte" ausdrückt. (s. a. a. O. S. 246).

    Dieser Wertung geschichtlicher Tatbeständeliegt aber offensichtlich eine im Mittelalter unbe-kannte, erst in der neueren Zeit aufgekommeneÜberbewertung der Uniformität, der Gleichheit,Gleichmäßigkeit, Einheitlichkeit, Einigkeit undEinheit in allen Dingen zugrunde. Auf den Sinnder Sache bezogen stellen indessen diese Äußer-lichkeiten keinesfalls die entscheidenden Wertedar, und es ist ebenso oberflächlich wie töricht,danach urteilen zu wollen. Dem Mittelalter kames darauf an, im übersehbaren Raum Ordnung

    zu haben; und dem Fahrenden, der in die Frem-de kam, war hinreichend damit gedient, wenndie Ordnung draußen grundsätzlich gleichartigwar, wenn sie also von den gleichen Prinzipiengetragen wurde und danach ablief.

    Im übrigen könnte man fast sagen, daß dasMittelalter rein intuitiv volkswirtschaftlich klü-ger gehandelt hat als unsere Geschichtsforschermitunter einzusehen vermögen. Es dürfte näm-lich durchaus sinnvoll gewesen sein, die Einwoh-ner in den neuen Kolonisationsgebieten desOstens von der primitiven Schatzbildung abzu-bringen und sie zum richtigen Gebrauch des Gel-des als Zirkulationsmittel zu erziehen. Dazubedurfte es wohl nachhaltiger, ständig wieder-kehrender Impulse, die durch die regelmäßigerfolgende Geldverrufung auch tatsächlich wirk-sam wurden.

    In den Gebieten der entwickelteren Kulturdes Westens, wo Handel und Handwerk, Kunstund Gelehrsamkeit schon weiter fortgeschrittenwaren, genügte ganz offensichtlich die einfacheRegelung der "Renovatio monetarum", die eine

    Münzerneuerung nur beim Wechsel der Herrenvorsah. Zu bemerken bleibt allerdings, daß sichauch hier die gekrönten Häupter nicht allezeitan diese Regel hielten. In Frankreich war esPhilipp der Schöne (1285 -1314), der sich mitwiederholter Münzverrufung ziemlich einträg-liche Finanzquellen erschloß.

    Da es sich im Westen um ein entwickelteresGeldwesen, um eine größere Mannigfaltigkeitvon Silber- und Goldmünzen handelte, wurdedie Willkür von Münzverrufung allgemein alsschädlich empfunden. Es war auch allzu offen-

    sichtlich, daß es den Münz-Herren nur noch auf den Gewinn aus der Verschlechterung des Me-tallgehaltes ankam, ein Motiv, das ursprünglichbei den Brakteaten nicht vorlag.

    Im allgemeinen aber wurde die Regel der"Renovatio monetarum" ziemlich streng einge-halten. Nur beim Wechsel der Herren war eineMünzerneuerung erlaubt, zwischenzeitlich warsie allenfalls vor dem Antritt eines Kreuzzugesstatthaft.

    Daraus ist zu ersehen, daß zwischen den Ge-bräuchen des fortgeschritteneren Westens unddem eigentlichen Brakteaten-Geldwesen nur ge-wisse Gradunterschiede bestanden. Tatsächlichhat die "Renovatio monetarum" bis weit überdie Grenzen des eigentlichen Brakteatengebieteshinaus ihre Gültigkeit und Wirkung gehabt.So weiß z. B. auch Fritz Schwarz in seiner Schrift"Vorwärts zur festen Kaufkraft des Geldes" zuberichten, daß selbst in England eine derartigeGeldsteuer erhoben wurde (s. a. a. O. S. 54).

    Bei Beurteilung dieser Dinge darf man sichalso nicht davon beeindrucken lassen, daß es fastaussichtslos ist, die Fülle der Prägungen und dieinnerhalb eines großen Wirtschaftsraumes wäh-rend einer Zeit von 300 J ahren zustandegekom-menen Unterschiedlichkeiten fein säuberlich zurubrizieren. Wesentlich ist allein die ungeheuer-liche volkswirtschaftliche Auswirkung, die durchdie überall gleichartig gehandhabte "perma-nente Geld-Erneuerung" zustandekam. Die un-ter solchen Verhältnissen unmöglich gewordeneHortung und Schatzbildung wurde ständig um-gewandelt in pulsierende Nachfrage nach denErzeugnissen des Gewerbefleißes.

    Niemand im weiten Raum der mittelalterli-chen Welt wäre so einfältig gewesen, diesesBrakteaten-Geld oder auch die sonstigen, derzeitweiligen Erneuerung unterworfenen Handels-münzen, die morgen oder in einigen Wochenvom Bischof oder Landesherrn aufgerufen undgegen Abzug eines Schlagschatzes gegen neuesGeld eingezogen werden konnten, länger alsverkehrsnotwendig zu behalten oder gar mitBedacht zu horten.

    In diesem Umstand liegt, soweit von ökono-mischen Zusammenhängen die Rede sein kann,die logische Wurzel für jene gewaltige Dynamik,aus der die gesamten Leistungen der gotischenEpoche entstanden sind. Es liegt in dieser Ent-wicklung eine zwingende Folgerichtigkeit. Dieschon mit der Münzordnung Karls d. Gr. be-gonnene Auflösung der frühmittelalterlichenSchatzbildung, die Einschmelzung der Prunk-stücke, die Edelmetall-Zufuhr aus dem wieder-aufgenommenen Silbererz-Bergbau haben denAnfang eines kulturfördernden Geldverkehrs

    ermöglicht; und die nun um die Mitte des 12. J ahrhunderts um sich greifende fortlaufendeMünz-Erneuerung verhinderte jetzt auf volle

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    drei J ahrhunderte hinaus ein erneutes Horten,Konzentrieren und Erstarren des Geldes! -

    Alle kaufmännische Tüchtigkeit, aller Fleiß,alle handwerkliche Kunstfertigkeit und Erfin-dungsgabe, durch gegenseitige Befruchtung ge-

    fördert, konnte nur in den Erzeugnissen und re-alen Gestaltungen des Gewerbefleißes selbstWohlhabenheit und Reichtum schaffen. So ist esfür diese Zeit richtig, daß die Kapitalbildung,insofern das Kapital aus Münzgeld bestand, da-durch unmöglich wurde, daß das Geld einzigals Tauschmittel und nicht gleichzeitig als Schatz-mittel verwendbar war (s. L. v. Ebengreuth;"Allgemeine Münzkunde und Geldgeschichte desMittelalters" 1926). Demgegenüber hat sich aberdie Kapitalbildung in anderer Form um so groß-artiger entwickelt. -

    Da indessen ein jedes Ding zwei Seiten hat -weil nun einmal dem "einen sin Uhl" dem "an-dern sin Nachtigall" ist -, gibt es begreiflicher-weise auch Klagen über diese periodisch wieder-kehrende Münzverrufung. So findet der böhmi-sche Chronist Cosmas die Wirkung dieser Ein-richtung "ärger denn Pest, verheerender alsFeindeseinfall, Hungersnot und andere Land-plagen", denn in seiner Vorstellung war die mo-netäre Schatzbildung wichtiger als die wertschaf-fende Zirkulation. -

    (*) Soweit man unter Brakteaten numismatisch lediglich dieeinseitig geprägten Münzen versteht, sind diese natürlich nichtdie Erfindung des Erzbischofs Wichmann. Wichmann hat jedoch die halbjährliche Münzerneuerung eingeführt. Diesbezeugt auch die Magdeburger Schöppenchronik: "He leit okerst twie in dem jare penninge slan, des vore nue was: mensloh to voren pen- ninge to eines Bischops live." Danach gehtdie Verrufung in Magdeburg auf Erzbischof Wichmannpersönlich zurück, da sie vorher nicht bestand. (s. A. Suhle:Das Münzwesen Magdeburgs . . . S. 4)

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    MITTELALTERLICHE

    WIRTSCHAFTSBLÜTEObwohl die Wirtschaft des hohen Mittelaltersneben Viehzucht und Ackerbau nur die hand-

    werkliche Erzeugung von Gütern kannte, kannman mit Fug und Recht von einer über J ahr-hunderte anhaltenden Wirtschaftsblüte sprechen,neben der sich die Konjunkturen der Neuzeit -was ihre Dauer und Verläßlichkeit anbelangt -doch ziemlich kläglich ausnehmen.

    In diese Zeit fiel die Entstehung der deutschenStadt, des deutschen Bürgertums, der Hand-werkszünfte und Kaufmannsgenossenschaften.Hatten die Klöster handwerkliche Künste undFertigkeiten gelehrt, so kam es nun darauf an,

    sie nutzbar zu machen; hatte der Kaiser, derBischof, der Landesherr Geld ausgegeben, demHandel und Wandel zu dienen, so mußte mansich regen, zum Markte ziehen, um zu sehen,was man erwerben konnte.

    Städte entstanden um die Sitze von geistlichenund weltlichen Grundherren, wie Burgen imebenen Land, mit schützenden Mauern umzogen.Und der Landesherr gab dem Flecken das Markt-recht. Der Mann, der im Schutze der Stadtmauerlebte, fühlte sich wie ein Bewohner der Burg als"Bürger". Der Markt zog Fremde heran und

    Bewohner des Landes, die ihre Produkte zumVerkauf brachten und städtische Gewerbeer-zeugnisse einhandelten. So hatte der Bürger, derein Handwerk ausübte, bald seinen laufendenAbsatz und konnte sich sagen: "Handwerk hateinen goldenen Boden." - Kein Wunder, daß derZustrom vom Lande zur Stadt ständig zunahmund dort Haus an Haus sich drängte, bis dieMauer gesprengt und die Stadt erweitert wer-den mußte.

    Die Stadt bot neben wirtschaftlichen Vortei-len auch noch die persönliche Freiheit, während

    der Bewohner des Landes als Unfreier seinemGrundherrn außer zu Zehnt-Abgaben auch nochzu Dienstleistungen verpflichtet war. Ein J ahrin der Stadt zu leben, machte ihn nach demRecht der Stadt zu einem freien Bürger, gleich-gültig, woher er kam und was er vorher gewe-sen war. Aber persönliche Freiheit der schaffen-den Menschen gehört ja mit zur Entfaltungwirtschaftlicher Blüte. Lebendige Tatkraft, Schaf-fen und Wagen, Erfinden und Verbessern istimmer nur möglich, wenn sich alle Kräfte regenkönnen, durch sinnvolle Auswirkungen geför-dert und bestätigt. Darin liegt alles, was zur

    Wirtschaftsblüte gehört, denn Arbeitswille, Er-findungsgabe, Tüchtigkeit, Hunger und Liebesind allezeit da.

    Dieser sinnvolle Ablauf für die gesamte pro-duktive Tätigkeit aller Stände lag also in dieserEpoche des Mittelalters in einer zunehmendenNachfrage nach allen Erzeugnissen desGewerbe-fleißes; und diese zunehmendeNachfrage wurde verkörpert von klingenden

    Münzen, die nirgends zum Rasten kamen, inkeinem heimlichen Hort verschwanden, sondernheute beim Schuhmacher, morgen beimGewandschneider und übermorgen beimPfannenschmied Absatz schafften.

    Hier, in der werdenden und wachsenden Stadtoffenbarte sich am klarsten und eindrucksvoll-sten, daß Arbeitsteilung und Leistungsaustauscheinem jeden die Gewähr der Geborgenheit zugeben vermögen. Lebenssicherheit vermitteltFreude am Schaffen und emsiger Fleiß durch-pulst das Leben der Gemeinschaft. Aus hand-

    werklichen Fertigkeiten entwickeln sich Künste;aus schlichten und einfachen Erzeugnissen undGeräten des täglichen Gebrauchs wurden all-mählich gediegene Produkte und Handelswaren,die ihren Weg ins Land hinaus und nach ande-ren Städten fanden. -

    Die wichtigsten Tage des Güterumsatzes wa-ren die Tage des Marktes. Oft wurde der Marktauch im Anschluß an kirchliche Feiern abgehal-ten, da zu diesem Anlaß ohnehin viel Volk indie Stadt strömte. Zur Messe zu gehen, wargleichbedeuten