Wandmalereien · Wandmalereien in altmrkischen Kirchen HIER INVESTIERT EUROPA IN DIE LÄNDLICHEN...

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Mittelalterliche Wandmalereien in altmärkischen Kirchen HIER INVESTIERT EUROPA IN DIE LÄNDLICHEN GEBIETE. Die Altmark erstreckt sich im Norden Sachsen-Anhalts. In dieser historisch gewachsenen Kulturlandschaft hat sich ein außergewöhnlich umfangreicher Bestand an mittelalterlichen Wandma- lereien erhalten. Die Bandbreite reicht in den mehr als 70 zumeist Dorfkirchen und wenigen Stadt- und Klosterkirchen von umfassenden Ausmalungen des Kirchenraums bis hin zu einzelnen Frag- menten. Ausgehend von ihrer intensi- ven Farbigkeit, der Vielfalt an Ornamen- ten und dem Bilderreichtum können die Wandmalereien eine authentische Vorstellung von sakralen Innenräumen der Romanik und Gotik vermitteln. Um diesen kulturellen Schatz wissenschaft- lich zu erforschen und der Öffentlich- keit zugänglich zu machen, initiierte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gemein- sam mit den Evangelischen Kirchen- kreisen Stendal und Salzwedel das Pro- jekt „Mittelalterliche Wandmalereien in altmärkischen Kirchen“. In Koopera - tion mit den Lokalen Aktionsgruppen Uchte-Tanger Elbe und Mittlere Alt- mark wird das Projekt im Rahmen des LEADER / CLLD-Prozesses durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, die Evangelische Kirche in Mittel- deutschland sowie die Kirchliche Stif- tung Kunst und Kulturgut in der Kirchen- provinz Sachsen gefördert. Unter der Leitung des Landesdenk- malamts nahmen Fachleute der Restau- rierungswissenschaften, Bauforschung und Kunstgeschichte die Wandma - lereien interdisziplinär in den Blick. Eine weitere wichtige Rolle spielte die Foto - grafie, die manche nur schwer zugäng- liche Wandmalereien sichtbar mach- te. Einführend wurden die historischen Hintergründe beleuchtet, die zu der regen Bautätigkeit und der umfangrei- chen Ausstattung der Kirchenbauten geführt haben. Die Befunde der Baufor- schung ermöglichen eine Differenzie- rung der Bauphasen der Kirchen und eine zeitliche Einordnung der Wandma- lereien. Die Herstellungstechnik, späte - re Veränderungen und Überarbeitungen der Wandmalereien sowie den Erhal- tungszustand untersuchte eine Restau- ratorin. All diese Ergebnisse bilden die Grundlage für die kunsthistorische Ein - ordnung der Wandbilder und die Bewer- tung des Gesamtbestandes mittelalter- licher Wandmalereien in der Altmark. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter: www.wandmalereien.lda-lsa.de Projektinformation Kraatz, Dorfkirche | Umrisszeichnung von Tieren, Ende 15. Jh. (Foto: T. Arnold) Riebau, Dorfkirche | Feldsteinkirche mit Apsis und Westquerturm, um 1230/50 (Foto: R. Wellkisch) Klein Rossau, Dorfkirche | Bilderwände, Mitte 15. Jh. (Foto: C. Scherf) Klein Rossau, Dorfkirche | Bilderwände mit Szenen der Passion Christi, Darstellung der Geißelung und Kreuztragung, Mitte 15. Jh. (Foto: M. Behne)

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MittelalterlicheWandmalereienin altmärkischen Kirchen

HIER INVESTIERT EUROPA IN DIE LÄNDLICHEN GEBIETE.

Die Altmark erstreckt sich im Norden

Sachsen-Anhalts. In dieser historisch

gewachsenen Kulturlandschaft hat sich

ein außergewöhnlich umfangreicher

Bestand an mittelalterlichen Wandma-

lereien erhalten. Die Bandbreite reicht

in den mehr als 70 zumeist Dorfkirchen

und wenigen Stadt- und Klosterkirchen

von umfassenden Ausmalungen des

Kirchenraums bis hin zu einzelnen Frag-

menten. Ausgehend von ihrer intensi-

ven Farbigkeit, der Vielfalt an Ornamen-

ten und dem Bilderreichtum können

die Wandmalereien eine authentische

Vorstellung von sakralen Innenräumen

der Romanik und Gotik vermitteln. Um

diesen kulturellen Schatz wissenschaft-

lich zu erforschen und der Öffentlich-

keit zugänglich zu machen, initiierte

das Landesamt  für Denkmalpflege und

Archä ologie Sachsen-Anhalt gemein-

sam mit den Evangelischen Kirchen-

kreisen Stendal und Salzwedel das Pro-

jekt „Mittelalter liche Wandmalereien

in altmärkischen Kirchen“. In Koopera-

tion mit den Lokalen Aktionsgruppen

Uchte-Tanger Elbe und Mittlere Alt-

mark wird das Projekt im Rahmen des

LEADER / CLLD-Prozesses durch den

Europäischen Landwirtschaftsfonds für

die Entwicklung des ländlichen Raums,

die Evangelische Kirche in Mittel-

deutschland sowie die Kirchliche Stif-

tung Kunst und Kulturgut in der Kirchen-

provinz Sachsen gefördert.

Unter der Leitung des Landesdenk-

malamts nahmen Fachleute der Restau-

rierungswissenschaften, Bauforschung

und Kunstgeschichte die Wandma -

lereien interdisziplinär in den Blick. Eine

weitere wichtige Rolle spielte die Foto-

grafie, die manche nur schwer zugäng-

liche Wandmalereien sichtbar mach-

te. Einführend wurden die historischen

Hintergründe beleuchtet, die zu der

regen Bautätigkeit und der umfangrei-

chen Ausstattung der Kirchenbauten

geführt haben. Die Befunde der Baufor-

schung ermöglichen eine Differenzie-

rung der Bauphasen der Kirchen und

eine zeitliche Einordnung der Wandma-

lereien. Die Herstellungstechnik, späte-

re Veränderungen und Überarbeitungen

der Wandmalereien sowie den Erhal-

tungszustand untersuchte eine Restau-

ratorin. All diese Ergebnisse bilden die

Grundlage für die kunsthistorische Ein-

ordnung der Wandbilder und die Bewer-

tung des Gesamtbestandes mittelalter-

licher Wandmalereien in der Altmark.

Weitere Informationen zum

Projekt finden Sie unter:

www.wandmalereien.lda-lsa.de

Projektinformation

Kraatz, Dorfkirche | Umrisszeichnung von Tieren, Ende 15. Jh. (Foto: T. Arnold)

Riebau, Dorfkirche | Feldsteinkirche mit Apsis und Westquerturm, um 1230/50 (Foto: R. Wellkisch)

Klein Rossau, Dorfkirche | Bilderwände, Mitte 15. Jh. (Foto: C. Scherf)

Klein Rossau, Dorfkirche | Bilderwände mit Szenen der Passion Christi, Darstellung der Geißelung und Kreuztragung, Mitte 15. Jh. (Foto: M. Behne)

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HIER INVESTIERT EUROPA IN DIE LÄNDLICHEN GEBIETE.

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STENDAL

SALZWEDEL

HAVELBERG

TANGERMÜNDE

SEEHAUSEN

OSTERBURG

GARDELEGEN

KALBEBISMARK

KLÖTZE

Wolfsburg

DIESDORF

Sachsen-Anhalt

Altmark

1 Altmersleben | Dorfkirche

2 Arendsee | ehem. Klosterkirche

3 Arensberg | Dorfkirche

4 Audorf | St. Johannes

5 Beese | Dorfkirche

6 Bismark | Stadtkirche

7 Böddenstedt | St. Stephan

8 Bombeck | St. Laurentius

9 Buch | Dorfkirche (ehem. St. Constantius)

10 Buchwitz | Dorfkirche

11 Dahrendorf | Dorfkirche

12 Dambeck | Dorfkirche

13 Dambeck | ehem. Klosterkirche St. Maria

14 Dankensen | Dorfkirche

15 Döllnitz | St. Nikolaus

16 Drebenstedt | Dorfkirche

17 Erxleben (Osterburg) | St. Godehardus

18 Fahrendorf | Dorfkirche

19 Gardelegen | St. Nikolai

20 Gardelegen | St. Marien

21 Güssefeld | St. Maria Magdalena

22 Hagen | Dorfkirche

23 Havelberg | Dom St. Marien

24 Henningen | St. Laurentius

25 Hohenlangenbeck | Dorfkirche

26 Ipse | Dorfkirche

27 Jübar | Dorfkirche

28 Klein Ballerstedt | St. Peter und Paul

29 Klein Rossau | Dorfkirche

30 Klein Schwechten | St. Laurentius

31 Kraatz | Dorfkirche

32 Lichterfelde | Dorfkirche

33 Maxdorf | Dorfkirche

34 Möllendorf | Dorfkirche

35 Riebau | Dorfkirche

36 Ritzleben | Dorfkirche

37 Rockenthin | Dorfkirche

38 Röxe (OT v. Stendal) | Friedhofskapelle St. Katharina

39 Salzwedel | sog. Mönchskirche

40 Salzwedel | St. Marien

41 Salzwedel | St. Katharinen

42 Sanne (Sanne-Kerkuhn) | Dorfkirche

43 Schernikau (Bismark) | Dorfkirche

44 Schönberg am Damm | Dorfkirche

45 Schönebeck | Dorfkirche

46 Siedengrieben | Dorfkirche

47 Siepe | St. Nikolaus

48 Späningen | Dorfkirche

49 Stendal | St. Marien

50 Stendal | St. Jacobi

51 Stendal | Dom St. Nikolaus

52 Stendal | ehem. Klosterkirche St. Katharinen

53 Sydow | Dorfkirche

54 Tangermünde | sog. Kapitelturm der Burg

55 Tangermünde | St. Stephan

56 Uchtdorf | Dorfkirche

57 Vienau | Dorfkirche

58 Winterfeld | Dorfkirche

59 Wistedt | Dorfkirche

60 Wollenhagen | Dorfkirche

Standortübersicht

Dahrendorf, Dorfkirche | Bilderwand mit Szenen der Passion Christi, Ende 15. Jh., überarbeitet 1940/41 (Foto: T. Arnold)

Jübar, Dorfkirche | Darstellung mit einem Reiter und Hirschen, 2. Hälfte 15. Jh. (Foto: T. Arnold)

Stendal, St. Marien | Rankenmalerei mit musizierenden und Vögel jagenden Gestalten, um 1480, Ausschnitt (Foto: M. Behne)

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HIER INVESTIERT EUROPA IN DIE LÄNDLICHEN GEBIETE.

Die mittelalterlichen Wandmalereien

sind nicht nur wertvolle Zeugnisse des

künstlerischen Schaffens in der Altmark.

Sie spiegeln auch das damalige Welt-

bild der Menschen, das stark vom christ-

lichen Glauben geprägt war, wider. Im

Zentrum standen die Frage nach dem

Seelenheil im Jenseits und die Hoffnung

auf Erlösung durch Jesus Christus bei

seiner Rückkehr am Ende der Welt. Die

Wandbilder übersetzten das biblische

Wort in eine für alle lesbare Sprache und

machten Predigt und Liturgie verständ-

licher. Die wichtigsten Bildthemen des

Mittelalters lassen sich, neben weiteren,

auch in der Altmark finden.

Die ältesten spätromanischen Wand-

malereien in der Altmark stammen aus

dem 13. Jahrhundert. Den prominentes-

ten Platz in der Kirche, die Apsiskalot-

te, nimmt die Darstellung der Maiestas

Domini ein, die auf der apokalyptischen

Vision des Evangelisten Johannes be-

ruht. Christus erscheint auf einem Thron

sitzend in einer Mandorla, einem man-

delförmigen Strahlenkranz, umgeben

von den vier Evangelistensymbolen

Adler, Stier, Löwe und Engel. Maria und

Johannes der Täufer, die bei Christus

Fürbitte für die Menschen halten, erwei-

tern dieses Bild zu einer Deesis.

Die meisten Wandmalereien haben sich

aus dem 15. Jahrhundert, der Spätgotik,

erhalten. Eine wichtige Bildform dieser

Zeit sind die Bilderwände, die in der

Altmark oft mehrere Seiten des Kirchen-

raumes umziehen. Die in bis zu vier Rei-

hen übereinander angeordneten klein-

formatigen Bildfelder erzählen vor allem

die Passionsgeschichte Christi.

Den Höhepunkt des Ausmalungspro-

gramms, meist im Osten der Kirche, bildet

nun oftmals die Darstellung des Jüngs-

ten Gerichts. Sie zeigt Christus als Wel-

tenrichter mit den fürbittenden Maria und

Johannes. Darunter werden den Gläu-

bigen die Auferstehung der Toten, der

Einzug der Seligen ins Paradies sowie, in

drastischen Bildern, die Qualen der Ver-

dammten auf dem Weg in die Hölle vor

Augen geführt.

Ein beliebtes Bildthema waren Heili-

ge, die als Vorbilder und Schutzpatrone

eine wichtige Rolle im Leben der Gläubi-

gen spielten. Besonders populär sowohl

in Mitteleuropa als auch in der Altmark

war der hl. Christophorus. Sein Anblick

sollte vor dem plötzlichen Tod ohne Sa-

kramente schützen. Dazu wurde er häu-

fig in riesenhafter Größe an gut einseh-

barer Stelle in der Kirche abgebildet.

Möllendorf, Dorfkirche | Weltgericht, Ende 15. Jh. (Foto: T. Arnold)

Audorf, St. Johannes | Bilderwände mit Szenen der Passion Christi (Foto: T. Arnold)

Güssefeld, St. Maria Magdalena | Maiestas Domini-Darstellung, Mitte 13. Jh. (Foto: T. Arnold)

Stendal, St. Jacobi | Hl. Christophorus, Detail des Christuskindes, Anfang 16. Jh. (Foto: M. Behne)Bildpredigten und

gemalte Glaubens vorstellungen

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Die Altmark ist eine über tausendjäh-

rige Kulturlandschaft westlich entlang

der mittleren Elbe, deren frühe Besied-

lungsgeschichte von Slawen, Franken

und Sachsen geprägt war. Landes- und

Kirchengeschichte sind untrennbar mit-

einander verbunden und setzten mit

karolingischer Missionierung ein. Doch

die bisherige Annahme einer fränkischen

Nordmark in Anlehnung an die Bistümer

Verden und Halberstadt ist neueren For-

schungen zugrunde mangels Quellen-

nachweisen ebenso in die Kritik geraten

wie eine udonische Altmark unter den

Grafen von Stade (bzw. der Nordmark

1056 / 57 – 1134). Obgleich einzeln vor-

handener Burgen und Siedlungen wur-

de der altmärkische Raum wohl erst im

12.  Jahrhundert hochmittelalterlich ko-

lonisiert mit einhergehendem Landes-

ausbau und Neugründungen mit Einbin-

dung der Elbslawen.Um die sächsische

Grenzregion konkurrierten miteinander

die zeitgenössischen Protagonisten Kai-

ser Lothar III. (1075 – 1137), Herzog Hein-

rich der Löwe (um 1129 – 1133 / 35), Mark-

graf Albrecht der Bär (um 1100 – 1170)

und auch Erzbischof Wichmann von

Magdeburg (1116 – 1192). Als exponier-

ter Westteil der Markgrafschaft Bran-

denburg festigte sich das Territorium im

frühen 14. Jahrhundert in Konfrontation

der Askanier, Welfen und Wittelsbacher

einerseits und Abwehr jener fürstlich-dy-

nastischen Eigeninteressen durch ritterli-

che und städtische Landstände anderer-

seits zu einem topographischen Terminus

Altmark, zunächst als Sammelbezeich-

nung für mehrere Vogteien, Städte und

der darin sitzenden Niederadligen. Als

territorialgeschichtliche Zäsuren gelten

zweifellos das Ende der askanischen

Landesherrschaft 1319 / 20, die Präsenz

der Wittelsbacher und Luxemburger  –

vor allem unter Karl  IV. (1316 – 1378)

und seiner Nebenresidenz Tangermün-

de  – und letztlich die Einsetzung der

(Hohen-)Zollern als Kurfürsten von Bran-

denburg 1415 unter Kurfürst Friedrich I.

(um 1371 – 1440). Dass die Altmark

nun zur Kernprovinz von Brandenburg-

Preußen bis 1946 wurde (abgesehen von

napoleonischen Interregnum des Kö-

nigreichs Westphalen 1806 – 1813), be-

scherte ihr die malerische Bezeichnung

„Wiege Preußens“. In dieser Zeit epoche

setzte sich auch bis Mitte des 16. Jahr-

hunderts die Reformation als kirchen-

geschichtliche und thematische Zäsur

durch.

Carte von dem Grossen Durchbruch der Elbe in der Alte=Marck … 1771 (LASA MD, C 28 IX, B VII Nr. 3)

Historische Forschung

Tangermünde, Burganlage. Residenz Karls IV. und der Hohenzollern in der Altmark | (Foto: G. Preuß)

Salzwedel, Altstadt | (Foto: R. Wellkisch)

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Ziel einer jeden Bauforschung ist die

Aufdeckung und Darlegung der Bau-,

Entwicklungs-, Nutzungs- und auch Be-

sitzgeschichte eines Gebäudes – also

die Klärung von Fragen wie: Wann ist

das Bauwerk errichtet worden, wie sah

das Gebäude in dieser oder jener Zeit

aus, welche An- und Umbauten haben

wann stattgefunden? Aber auch: Wer hat

diese Maßnahmen veranlasst, durch-

geführt und warum?

Die Bauforschung bedient sich da-

bei verschiedener Methoden. Wichtigs-

te und primäre Quelle ist das Gebäude

selbst. Das Bauwerk wird in Grund- und

Aufriss vermessen, die Baubefunde

(Baunähte, vermauerte Öffnungen, Fens-

tereinbrüche, Anbauten etc.) werden so-

wohl zeichnerisch als auch fotografisch

dokumentiert. In manchen Fällen werden

dendrochro nologische Untersuchun gen

zur absoluten Alters bestimmung der

verbauten Hölzer durchgeführt. Im Vor-

feld findet eine umfassende Literatur-

recherche statt. Es erfolgt die Sichtung

und Auswertung von Archivalien; an-

hand von Text- (Inventare, Kostenan-

schläge, Rechnungen etc.) und vor allem

Bildquellen (historische Bestands- und

Planzeichnungen, ältere Fotografien)

können Bau zustände verschiedener

Epochen erkannt werden. Die Zusam-

menschau all dieser Erhebungen, Un-

tersuchungen und Analysen erlaubt die

Vorlage einer im besten Fall gesicherten

Bauabfolge, dargestellt in farbigen Bau-

altersplänen.

Beim Projekt „Mittelalterliche Wandma-

lereien in altmärkischen Kirchen“ besaß

die Bauforschung vor allem die grundle-

Bauforschung

links: Bauforschung im Kirchendach (D. Höhne) Mitte: Altmersleben, Dorfkirche | Grundriss und Süd ansicht der Kirche, Zeich-nung aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Landesarchiv Sachsen-Anhalt)

unten: Buch, Dorfkirche (ehem. St. Constantius) | Kirchengrundriss als farbiger Baualtersplan (Zeichnung: T. Schöfbeck / D. Schmann / B. Weber)

gende Aufgabe, die baugeschichtliche

Abfolge und chronologische Einordnung

der Gebäudebereiche zu erkennen und

darzustellen, in denen sich die erhalte-

nen Wandmalereien befinden.

Gerade die Dorfkirchen, die zahlenmä-

ßig den Hauptanteil der in diesem Projekt

untersuchten Objekte ausmachen, spiel-

ten im Gegensatz zu Dom-, Stifts- und

Klosterkirchen in der Bau- und Kunstge-

schichte bislang eine eher untergeordne-

te Rolle; erst in den letzten Jahrzehnten ist

ein deutlicher Aufschwung in der wissen-

schaftlichen Forschung zu verzeichnen.

Insofern erbrachten die Bauforschungen

einen hohen Erkenntnisgewinn zu den

ländlichen Sakralbauten der Altmark, denn

für manche der Dorf kirchen erfolgte über-

haupt das erste Mal eine ernsthafte bauge-

schichtliche Betrachtung und Bewertung.

Lichterfelde, Dorfkirche | Kirchennordwand mit deutlicher Bauphase: links das Kirchenschiff aus der Zeit um 1300, rechts die aufgesetzte Turmwand vom Ende des 15. Jahrhunderts mit Schlitz-fenster und Löchern der Rüst-ebenen (Foto: T. Schöfbeck / D. Schumann)

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Ein Aspekt der restauratorischen Un-

tersuchung ist die Erforschung der

Techniken und Materialien, die bei der

Herstellung der mittelalterlichen Wand-

malereien Verwendung fanden. Zu die-

sem Zweck werden die Bilder mithilfe

von Tageslichtlampen im Auf- und Streif-

licht auf Werkspuren untersucht. Dabei

werden beispielsweise die Beschaffen-

heit des Mauerwerks, die Art und Wei-

se von Putzauftrag und Oberflächen-

bearbeitung, grundierende Tünchen,

Vorzeichnungen und -ritzungen sowie

Hinweise auf Konstruktionshilfen wie

Zirkel- und Schnurschläge dokumen-

tiert. Stark gedünnte oder verblasste

Bildpartien, bei sichtbarem Licht für un-

ser Auge nicht mehr wahrnehmbar, sind

in manchen Fällen unter UV-Strahlung

erkennbar. Zum besseren Verständnis

des Malschichtaufbaus können Lupen-

brille und Mikroskop zum Einsatz kom-

men. Bei speziellen Fragestellungen zur

Zusammensetzung von Mörteln oder

zur Identifizierung von Pigmenten wer-

den Proben durch ein naturwissenschaft-

liches Labor analysiert.

Ein Thema, das im Projekt vertieft wur-

de, betrifft die mittelalterliche Pigment-

palette. Heute wird der Farbklang der

Wandbilder von den Erdpigmenten roter

und gelber Ocker dominiert, die den Ma-

lern vorwiegend zur Verfügung standen.

Ursprünglich müssen wir uns die Malerei-

en jedoch wesentlich farbiger vorstellen.

Die Darstellungen wurden in den meisten

Fällen mit einem Bindemittel auf den ab-

gebundenen, also nicht mehr frischen

links, Mitte: Hagen, Dorfkirche | Szene der Heimsuchung (Maria und Elisabeth) bei sichtbarem Licht und unter UV-Strahlung, Ende 14. Jh. (Foto: T. Arnold)

rechts: Havelberg, Dom St. Marien | süd licher Kreuzgang, gemaltes Maßwerk mit Ritzungen von Zirkelschlägen im Streiflicht, um 1400 (Foto: T. Arnold)

Putz gemalt. Aus diesem Grunde sind die

Farbschichten im Vergleich zur Fresko-

technik weniger stabil und empfindliche

Partien heute teilweise verloren. Dazu ge-

hören oft auch Blau und Grün, die mit den

teuren, bergmännisch gewonnenen Pig-

menten Azurit und Malachit gemalt und

häufig sparsamer aufgetragen wurden.

Außerdem haben chemische Farbver-

änderungen der Pigmente das Erschei-

nungsbild der Malereien verändert. Davon

betroffen sind u. a. das auffällige hellrote

Bleipigment Mennige (Verschwärzung)

sowie die Blaupigmente Azurit (Vergrü-

nen) und Vivianit (Entfärbung zu Grün

bzw. Gelb). Sehr wahrscheinlich wurde

die Farbigkeit der Bilder einst zusätzlich

noch durch den Einsatz von Farbstoffen

bereichert, die heute verblasst sind.

Restauratorische Untersuchung zur Herstellungstechnik

Schernikau (Bismark), Dorfkirche | Szene der Geißelung Christi, mit Mennige gemalte verschwärzte Lippen und Blutstropfen, 15. Jh. (Foto: T. Arnold)

Uchtdorf, Dorfkirche | disputierende Propheten, ursprünglich blauer Hintergrund, Entfärbung von Vivianit, um 1250 (Foto: M. Behne)

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Der Wandmalereibestand der Altmark ist

einzigartig. Nicht minder wertvoll ist die

Vielzahl an bauzeitlichen Putz- und Farbbe-

funden im Außenbereich. Sie sind oft die

ersten künstlerisch-handwerk lichen Ge-

staltungen am Kirchenbau, wurden unmit-

telbar mit der Errichtung des Baues aus-

geführt und sind somit älter als viele der

Wandmalereien im Inneren. Diese Außen-

befunde widersprechen unserer tradierten

Vorstellung vom feldsteinsichtigen mittel-

alterlichen Kirchenbau und weisen auf den

Gestaltungswillen der Erbauer, die mit ein-

fachen Mitteln wie Putz, Farbe, Ritzungen

oder dem bewussten Einsatz unterschied-

licher Oberflächenstrukturen Unzuläng-

lichkeiten der lokalen Baumaterialien ka-

schiert haben, um Bauten zu schaffen, die

sich in ihrem Erscheinungsbild deutlich von

den zeitgenössischen Bauwerken der Um-

gebung abgehoben haben dürften.

Wandmalerei und Architekturfarbigkeit

unterliegen vielfältigen Schadensmecha-

nismen. Zu nennen sind hier vor allem klima-

tische Einflüsse, Feuchteeinträge und Salz-

belastungen durch mangelnde Baupflege,

Einwirkungen luftgetragener Schadstoffe

durch Industrie, Landwirtschaft und Ver-

kehr. Auch frühere Einträge von Konser-

vierungsmaterialien können durch ihr Al-

terungsverhalten Schäden bewirken.

Riebau, Dorfkirche | Südwand, Putzritzungen in Form von Quadermauerwerk mit Bogenfries im Traufbereich (Foto: T. Arnold)

Ipse, Dorfkirche | Ostseite, großflächig erhaltene mittelalterliche Putzfragmen-te mit Fugenritzungen und Farbfassung (Foto: T. Arnold)

Ipse, Dorfkirche | Zeichnerische Re konstruktion der bauzeitlichen Architekturfarbigkeit (Zeichnung: C. Scherf)

Stendal, St. Jacobi | Christophorus-darstellung, Ostwand Kirchenschiff, vor und nach der Restaurierung. Durch Abnahme eines Überzuges von 1911 und Kalktüncheresten konnte die Ables-barkeit der Malerei verbessert werden (Foto: M. Heyer)

WAS TUN zur Erhaltung von Wandmalerei und Architekturfarbigkeit?

Gardelegen, St. Nikolai | Darstellung des hl. Christophorus, um 1530, Detail. Die Malerei ist seit der Zerstörung der Kirche 1945 der Witterung ausgesetzt. 2006 Not sicherung der Fragmente und Kon struktion eines Notdaches. Zustand 2014 (Foto: T. Arnold)Erhaltung / 

Konservierung

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Restaurierung

Mit dem Erfassungsprojekt konnte erst-

mals ein Überblick zum Bestand und

zum Zustand der Wandmalereien in

der Altmark gewonnen werden. Ei-

nige besonders gefährdete Objekte

konnten not gesichert werden, d. h. der

Schadensverlauf wird in einem ersten

Schritt gestoppt bzw. verlangsamt. Eine

Verbesserung der Ablesbarkeit durch

„Nachmalen“ oder „Auffrischen“ der

Farben widerspricht dagegen der heu-

tigen, wissenschaftlich fundierten Res-

taurierungsethik, die das Original und

seine Erhaltung ins Zentrum aller Be-

mühungen stellt.

Es ist anzunehmen, dass über den be-

kannten Wandmalereibestand hinaus

noch weitere Wandbilder unter jünge-

ren Farbschichten verborgen sein kön-

nen. Daher sind bei allen Eingriffen am

Bauwerk restauratorische Vorunter-

suchungen zwingend notwendig. Die

Ausführung dieser Arbeiten sowie alle

praktischen Arbeiten an Wandmale-

rei und historischer Architekturfassung

liegen heute ausschließlich in der

Hand von Fachrestauratoren. Nur so ist

die wissenschaftliche und handwerk-

liche Expertise bei der Untersuchung

und Bearbeitung historischer Oberflä-

chen gesichert. Spontane Freilegungen

durch interessierte Laien oder Handwer-

ker, wie in der Vergangenheit durchaus

vorgekommen, haben wertvolle Befunde

zerstört oder stark geschädigt. Eine sol-

che Vorgehensweise wird heute durch

das Denkmalschutzgesetz geahndet.

Erhaltungsstrategien:

• Restauratorische Voruntersuchungen

bei Eingriffen in die historische Bau-

substanz im Innen und Außenbereich

• Ausführung aller Arbeiten am histo-

rischen Bestand von qualifizierten

Fachrestaurator*innen

• Nach größeren Restaurierungsmaß-

nahmen ist es angeraten, den Zustand

der Wandmalerei im Rahmen eines

Wartungsvertrages regelmäßig kont-

rollieren zu lassen, um Schäden früh-

zeitig zu erkennen. Diese relativ ge-

ringen finanziellen Aufwendungen

zahlen sich langfristig aus.

• Neufreilegungen finden nur in be-

gründeten Einzelfällen statt. Vor-

aussetzungen hierfür sind unter an-

derem sichere raumklimatische

Bedingungen, die Finanzierung der

Restaurierung sowie die Übernah-

me anfallen der Kosten für Kontroll-

und Pflege maßnahmen in den Fol-

ge jahren.

• Instandhaltung und vor allem Kont-

rolle der baulichen Gegebenheiten

in Vorsorge auf sich abzeichnende

Schäden. Im Idealfall werden da-

für engagierte Gemeindemitglieder

eingebunden. Über das Landesamt

für Denkmalpflege und Archäolo-

gie sind Hinweise und praktische

Handlungsanweisungen zum Thema

Pflege und Wartung von Kirchen-

bauten und Ausstattungen in Form

von Checklisten zu erhalten. Hier ist

klar geregelt, wer für welche Auf-

gaben zuständig ist. Direkte An-

sprechpartner sind die zuständi-

gen Gebietsreferent*innen beim

LDA. Alter nativ dazu können diese

Checklisten über die Web site der

Vereinigung der Landes denk mal-

pfleger her unter geladen

werden.

WIE können die Ergebnisse der Wandmalereierfassung über das Förderziel des LEADER-Programmes hinaus praktisch umgesetzt werden?

Gardelegen, St. Marien | Szene der Geburt Jesu, 2. Hälfte 14. Jh., Detail. Gravierende Schäden durch abrollende Malschicht, Zustand 2018 (Foto: C. Scherf)

Gardelegen, St. Nikolai | Notdach über Fragmenten einer monumentalen Christophorusdarstellung, um 1530 (Foto: T. Arnold)