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Was ist Bildungssoziologie?

Inhaltsverzeichnis

EinleitungBegriffsklärung

Bildung, Erziehung und SozialisationSoziologie

Geschichte: Konstituierungsphase20er und 30er JahreNationalsozialismus und frühe Nachkriegszeit

BildungsforschungBeispiele zur Bildungsforschung nach WissenschaftsbereichenErziehungswissenschaftliche Perspektive

Beispiele zur erziehungswissenschaftlichen BildungsforschungGeschichte: Hochphase

BildungskatastropheBildungspolitik der 60er und 70er Jahre und neue Aufmerksamkeit seit TIMMS und PISA

Klassiker der BildungssoziologieTalcott ParsonsHelmut SchelskyTheodor W. AdornoPierre Bourdieu

Sozialstruktur und ReproduktionBildungszertifikate als kulturelles Kapital

Themen der BildungssoziologieLiteratur- und QuellenverzeichnisAnhang A: Glossar

Einleitung

Begriffsklärung Dieses Modul beinhaltet eine kompakte Einführung in dieBildungssoziologie. Zur Annäherung an das Thema folgt zu Beginneine kurze Analyse des Begriffs 'Bildungssoziologie', die in einerallgemeinen Begriffsdefinition mündet.

Geschichte:Konstituierungsphase

Im Anschluss an die Begriffsklärung steht die geschichtlicheEntwicklung der Bildungssoziologie im Vordergrund. Kapitel dreibeschreibt dabei die Konstituierungsphase der Wissenschaftsdisziplinbis in die 50er Jahre.

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ExkursBildungsforschung

Seit Ende der 50er Jahren entwickelt sich die Bildungssoziologieweitestgehend parallel mit der ihr übergeordneten Bildungsforschung.Deshalb wird in Kapitel vier ein kurzer Exkurs zur Bildungsforschunggeboten.

Geschichte:Hochphase

Anschließend wird in Kapitel 5 die gemeinsame Entwicklung undEntfaltung von Bildungssoziologie und Bildungsforschung bis in dieheutige Zeit dargestellt.

Klassiker Nach der Entwicklungsgeschichte der Bildungssoziologie schließt einÜberblick über einige Klassiker des Faches an, deren Gedanken undWerke die Bildungssoziologie nicht nur in der Vergangenheit geprägthaben, sondern bis heute beeinflussen.

Themen derBildungssoziologie

Der inhaltliche Teil des Moduls endet mit der abschließendenBestimmung der zentralen Themen des Faches.

Begriffsklärung

Einleitung Zu Beginn dieses Moduls werden im Folgenden kurz dieBegriffe Bildung, Erziehung, Sozialisation und Soziologieerläutert, um abschließend zu einer allgemeinenDefinition von Bildungssoziologie zu gelangen.

Bildung, Erziehung und Sozialisation

Unschärfe desBildungsbegriffs

Das unterschiedliche Begriffsverständnis von'Bildung' wird im Modul „Was ist Bildung?“eingehend erläutert. Wie das Modul zeigt, ist derBildungsbegriff relativ weit gefasst und bewegtsich je nach Perspektive zwischenSpannungsfeldern wie Humanressource versusSelbstbildung oder auch enzyklopädischesWissen versus Selbstverwirklichung. DieseUnschärfe des Bildungsbegriffs hat zur Folge,dass alternativ zu 'Bildungssoziologie' auch vonder 'Soziologie der Bildung und Erziehung'gesprochen wird.

Erziehung Erziehung ist laut Emile Durkheim „die

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Einwirkung, welche die Erwachsenengenerationauf jene ausübt, die für das soziale Leben nochnicht reif sind. Ihr Ziel ist es, im Kinde gewisse[...] Zustände zu schaffen und zu entwickeln,die sowohl die politische Gesellschaft in ihrerEinheit als auch das spezielle Milieu, zu dem esin besonderer Weise bestimmt ist, von ihmverlangen“ (Durkheim 1972, S. 30). Damitbenennt er zentrale Grundzüge desErziehungsbegriffs. Wenn man die Definitionhinsichtlich der Zielgruppe etwas weiterformuliert, handelt es sich bei Erziehung um diegeplante Beeinflussung von Kindern,Jugendlichen und Heranwachsenden mit demZiel, sie zu vollwertigen Mitgliedern derGesellschaft zu machen (vgl. Löw 2003, S. 22;Hurrelmann/Engel 1989, S. 90f.). Ebensobezieht sich das Verständnis von 'Bildung' imKontext 'Bildungssoziologie' eher auf diegeplante Vermittlung und Aneignung vonFähigkeiten.

Emile Durkheim (1858–1917), Quelle:commons.wikimedia.org

Glossar:[could not resolve linktarget: il_0_git_831]

Sozialisation Eine gewisse Nähe zur Bildungssoziologie weistauch die Sozialisationsforschung auf. Diese zieltjedoch stärker auf die unbewussten Prozesseder Aneignung. Während Bildung als eine ArtGut, also etwas das man besitzen kann,aufgefasst werden kann und damit zu einemgesellschaftlichen Unterscheidungsmerkmalwird, gilt dies weniger für Sozialisation (vgl. Löw2003, S. 23). Im Gegensatz zu Bildung wirdman sozialisiert, ob man will oder nicht.

PädagogischeSoziologie

Um diesen Überblick zu vervollständigen, seinoch erwähnt, dass der Begriff 'PädagogischeSoziologie' gleichbedeutend mit'Bildungssoziologie' verwendet wird.

Soziologie

Nach der Klärung des ersten Teilbegriffs(Bildung) bleibt natürlich die Frage nach demzweiten Bestandteil von 'Bildungssoziologie'.Was ist Soziologie?

Max Weber Max Weber, der wohl bedeutendste deutscheSoziologe, beschreibt Soziologie als„Wissenschaft, welche soziales Handelndeutend verstehen und dadurch in seinem

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Ablauf und seinen Wirkungen ursächlicherklären will. „Handeln“ soll dabeimenschliches Verhalten [...] heißen, wennund insofern als der oder die Handelnden mitihm einen subjektiven Sinn verbinden“(Weber 1972, S. 1; beide Hrvh. i.O.).Weberbietet damit eine Definition, von deranzunehmen ist, dass sich zumindest vieleSoziologen auf sie verständigen könnten (vgl.Esser 1996).

Max Weber (1864-1920), Quelle:commons.wikimedia.org

Externer Link:

Wirtschaft und Gesellschaftvon Max Weber im Volltext

Makro- undMikroebene

Seine Definition beinhaltet eine wichtigeUnterscheidung zweier Ebenen. Auf derkollektiven Ebene (Makroebene), werdenbestimmte Phänomene beobachtet. DieErklärung dieser Phänomene findet jedochimmer auf der Ebene der individuellenHandlungen von Individuen (Mikroebene)statt. Oder andersherum formuliert: dassubjektiv sinnvolle Handeln von Menschen hat(oftmals völlig unbeabsichtigte) Auswirkungenauf die Gemeinschaft. Um dieseAuswirkungen zu erklären, müssen wir dieHandlungen der Individuen verstehen.

DefinitionBildungssoziologie

Bildungssoziologie könnte man demnach alsWissenschaft beschreiben, welche nachkollektiven Erscheinungen sucht, die imBildungsgeschehen sichtbar werden oder sichauf Bildungs- beziehungsweiseErziehungsprozesse zurückführen lassen. DieUrsachen dieser kollektiven Erscheinungenwerden dann im Sinne des obenbeschriebenen Erklärungsmodells, also alsAuswirkungen individueller Handlungen,erforscht.

Eine solche Definition ist natürlich rechtallgemein. Thematisch befasst sich dieBildungssoziologie im Wesentlichen mit derFrage, inwiefern das Bildungswesen dieStabilität und den Wandel der Gesellschaftbeeinflusst und welche Auswirkungen speziellauf soziale Ungleichheit bestehen. Um diese

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inhaltliche Ausrichtung zu erschließen,empfiehlt sich zunächst ein Blick in dieEntstehungsgeschichte der Disziplin.

Geschichte: Konstituierungsphase

Einleitung Die Konstituierungsphase der Bildungssoziologie in Deutschland lässt sich grob indrei Zeiträume unterteilen: die 20er und 30er Jahre, die Zeit desNationalsozialismus und das langsame Wiederaufleben der Bildungssoziologie inden 50er Jahren.

20er und 30er Jahre

In Deutschland liegen die wesentlichen Antriebe zur Entwicklungeiner Soziologie der Bildung und Erziehung in den 20er und 30erJahren des 20sten Jahrhunderts (vgl. Sommerkorn 1993, S. 31). Sobetonte etwa Theodor Geiger 1930 den besonderen Stellenwert derErziehung für die Gesellschaft und rückte sie damit in das Zentrumder Aufmerksamkeit:

„Der eminent gesellschaftliche Charakter der Erziehung steht überallem Zweifel. Gesellschaft ist ohne Erziehung nicht denkbar, wieandererseits Erziehung nur in der sozialen Sphäre möglich ist.Weshalb denn auch das Erziehungsdenken immer demGesellschaftsdenken entspricht“ (Geiger 1930, S. 405).

Klassenzimmer ausdem Jahr 1920,Quelle: www.pixelio.de

Zum Zeitpunkt dieser Äußerung war die Zahl der in Deutschlandveröffentlichten bildungssoziologischen Texte allerdings noch rechtüberschaubar. Während bekannte Soziologen wie Max Weber oderFranz Oppenheimer das Thema nur am Rande aufnahmen, gingen„die entscheidenden Antriebe einer Soziologie der Erziehung“ vonschreibenden Lehrern aus (Geiger 1930, S. 407). Beispielhaftedafür sind Werke wie 'Deskriptive Pädagogik' von Rudolf Lochner(1927), 'Soziologie der Volksschulklasse' von Hugo Schröder (1928)oder 'Pädagogische Soziologie' von Carl Weiß (1929).

Nationalsozialismus und frühe Nachkriegszeit

Nationalsozialismus Kurz nach den ersten Schritten der Bildungssoziologie in Deutschlandwurde ihre Entwicklung im dritten Reich auch schon wiederabgebrochen. Die Nationalsozialisten verkehrten das klassischehumanistische Bildungsideal in ein Konzept der Gruppenerziehung,welche die Freiheit des Geistes durch Ideologie ersetzte –eigenständiges Denken unerwünscht. Es fanden sich in Deutschlandkaum noch Soziologen, die sich mit Bildungsfragen beschäftigten (vgl.

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Löw 2003, S. 33).

50er Jahre Erst in den 50er Jahren zeigte sich anhand einzelner Studien mitbildungssoziologischer Relevanz ein langsames Aufleben derWissenschaft. Es waren Aktivitäten wie die Gründung desFachausschusses für die Soziologie der Bildung und Erziehung innerhalbder Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahr 1958 oder dieVeröffentlichung des ersten Sammelwerkes zur Bildungssoziologie(Heintz 1959), die den Weg zur vollen Entfaltung der Bildungssoziologiein den 60er Jahren ebneten (vgl. Sommerkorn 1993, S. 34f.).

Seit den späten 50er Jahren entwickelte sich die Bildungssoziologieparallel mit der in dieser Zeit neu aufkommenden fachübergreifendenDisziplin der Bildungsforschung, zu der die Bildungssoziologie alsTeilbereich gezählt werden kann. Da die Ursachen für den Aufschwungbeider Wissenschaften weitestgehend deckungsgleich sind, empfiehlt essich, ihre Entwicklung gemeinsam darzustellen (Kapitel 5). Zuvor folgtim nächsten Kapitel ein kurzer Exkurs zu Ausrichtung und weiterenTeilbereichen der Bildungsforschung.

Bildungsforschung

Wie bereits erwähnt, entsteht in den 60er Jahren die Bildungsforschung alsfachübergreifende Wissenschaft. Ihr Ziel ist es, den beispielsweise bereits1956 von Helmut Schelsky (1961, S. 9f.) beklagten Mangel an empirischenUntersuchungen zu beseitigen und damit verlässliche Daten für Praxis,dass heißt Bildungspolitik und -planung zu liefern (vgl. Sommerkorn 1993,S. 36f., Böhm 2000, S. 79).

Forschungsgebiet Allein das Spektrum erziehungswissenschaftlich ausgerichteterBildungsforschung reicht mittlerweile „von der Strukturanalyse desgesamten Bildungs- und Berechtigungswesens bis zur Durchleuchtungeinzelner schulischer Modellversuche, von der Untersuchung kollektivenLernens bis zur Entschlüsselung individueller Entwicklungsprozesse undvon der Rekonstruktion curricularer Vorgaben bis zur Aufhellungaktualisierter Lehrerintentionen und deren Umsetzung in Lehrerhandeln.“(Beck/Kell 1991, S. 5) Hier zeigt sich, dass das Forschungsgebiet derBildungsforschung nur unscharf abzugrenzen ist (vgl. Tippelt 2002, S. 9),was insbesondere auf ihre interdisziplinäre Ausrichtung zurückgeführtwerden kann. Bildungsforschung umfasst Studien zu Bildungs- undErziehungsprozessen ganz unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche. Imnächsten Kapitel folgen dazu drei Beispiele.

Beispiele zur Bildungsforschung nach Wissenschaftsbereichen

Bildungsökonomie Werden Bildungs- und Erziehungsprozesse auseiner wirtschaftswissenschaftlich geprägten

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Sicht betrachtet, spricht man von'Bildungsökonomie'. Auf makroökonomischerEbene fragt die Bildungsökonomie nach demgesamtgesellschaftlichen Nutzen vonBildungsausgaben (vgl. Böhm 2000, S. 81).Der Bildungsökonom Ludgar Wößmann stellt ineiner ländervergleichenden Studiebeispielsweise fest, das hohe Schülerleistungennicht zwingend von allgemein hohenBildungsausgaben abhängen. Laut Wößmanngeht es in erster Linie darum dieinstitutionellen Anreize so zu gestalten, dassdie vorhandenen Ressourcen auch effizientgenutzt werden (Wößmann 2003).

Auf mikroökonomischer Ebene steht hingegendie auf einzelne Bildungseinrichtungenbezogene effiziente Verwendung von Personalund Material (Input) im Vergleich zumerzielten Lernergebnis (Output) imVordergrund (vgl. Böhm 2000, S. 81). Indiesem Kontext hat sich das so genannte„Bildungscontrolling“ seit der letztenJahrhundertwende zu einem dominantenThema entwickelt. Mit Bildungscontrollingsollen detaillierte Informationen zur Planungund Durchführung von Bildungsaktivitätenerhoben werden, um schließlich denInvestitionserfolg von konkretenBildungsmaßnahmen ermitteln zu können.

Quelle: www.pixelio.de

Externer Link:

„Das Geld versickert“ -Interview mit LudgerWößmann (Die Zeit,14.06.2007, Nr. 25)

HistorischeBildungsforschung

Auch die Geschichtswissenschaft bildet denKern eines eigenen Teilbereichs derBildungsforschung. In der so genannten'historischen Bildungsforschung' geht esdarum, „Bildung und Erziehung im Prozess derZivilisation und ihrer Leistung bei derhistorischen Entdeckung und Konstruktion desMenschen“ darzustellen und zu untersuchen(vgl. Tenorth 2002, S. 136). Dabei werdenzum Beispiel historische Gegebenheitenbeschrieben, Leitmotive herausgearbeitet undVergleiche innerhalb der Geschichte gezogen.

psychologischorientierte Lehr-Lern-Forschung

Die psychologisch orientierte Lehr-Lern-Forschung beschäftigt sich in ihrertraditionellen Form mit Lernen als Art derInformationsverarbeitung, das heißt mit denkognitiven Prozessen wie Speichern,Transformation und Abruf von Wissen. Lehrensoll in diesem Kontext dazu dienen,Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen.Eine neuere Perspektive derForschungsrichtung stellt denAnwendungsbezug von Lernen als Befähigungzur Teilnahme an gesellschaftlichen Praktiken

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in den Vordergrund. Im Gegensatz zumtraditionellen Ansatz wird hier betont, dasssich erlerntes Wissen immer erst imKontextbezug konstituiert. Die Interaktion desLernenden mit seiner Umwelt bestimmtletztlich, welches Wissen entsteht. Lehren wirdals eine Gestaltung einer Umgebungverstanden, die kontextorientiertes Lernenunterstützt. Aufgaben und Problemstellungensollen möglichst authentisch und realitätsnahpräsentiert werden (vgl. Renkl 2002, S.589ff.).

Erziehungswissenschaftliche Perspektive

Grenzt man das Feld der Bildungsforschung stärker auf ihren Schwerpunkt, dieErziehungswissenschaft ein, lassen sich beispielsweise Bereiche wie

a. Unterrichtsforschung,b. Schulklimaforschung oderc. internationale Schulleistungsvergleiche

unterscheiden.

Auch diese Felder sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

Beispiele zur erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung

Unterrichtsforschung Die Unterrichtsforschung untersucht dieAuswirkung von Faktoren wie Schulformund -ort, Zusammensetzung undQualifikation des Kollegiums,Sozialstruktur der Schülerschaft,materielle Ausstattung der Schule etc.,aber auch der spezifischen Lehrer-Schüler-Interaktion auf den Verlauf unddie Qualität des Schulunterrichts. AlsMethoden werden dabei sowohl dieUnterrichtsbeobachtung als auch dasUnterrichtsexperiment eingesetzt.Während Beobachtungen den Unterrichtunter 'normalen' Bedingungenanalysieren, laufen Experimente unterstrikt kontrollierten Bedingungen ab,wobei einzelne Variablen verändert undderen Auswirkungen gezielt untersuchtwerden können (vgl. Diederich 1977, S.1213ff.). Dieser Vorteil vonUnterrichtsexperimenten führt jedochzu einer Einschränkung ihrer externen

Quelle:www.becker-stoll.de

WeiterführendeAnmerkung:

Es gibt unterschiedlicheBeobachtungstechniken.So kann eine Beobachtungz.B. offen oder verdeckt,teilnehmend oder nichtteilnehmend erfolgen.

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Validität (Gültigkeit). Es muss stetsdanach gefragt werden, inwiefern sichdie in einer künstlichen Umgebungerzeugten Ergebnisse auch auf dieRealität übertragen lassen.

Schulklimaforschung Im Gegensatz zur Unterrichtsforschungbeschäftigt sich dieSchulklimaforschung weniger mit denAuswirkungen „harter Faktoren“ wieSchulform oder Ausstattung der Schuleauf den Unterricht, sondern speziell mit„weichen“, dass heißt sozialen undkulturellen Aspekten, die den Unterrichtsowie das sonstige schulische Lebenprägen.

Das Schulklima manifestiert sich dabeiunter anderem im Ausmaß vonLeistungs- und Anpassungsdruck, inpositiven oder negativenSozialbeziehungen sowie in demUmfang vonMitbestimmungsmöglichkeiten vonSchülern. In diesen Bereichen will dieSchulklimaforschung „überfachlicheGleichförmigkeiten im Unterricht [...],also fachübergreifende MerkmaleunterrichtlicherKommunikationsprozesse undInteraktionen“ erfassen (Fend 1977, S.215). Dabei stehen nicht dieallgemeinen gesetzlichen Regelungen,sondern die kulturell geprägtetatsächliche Umsetzung eben dieserRegeln durch die Lehrer imVordergrund, beispielsweise ob LehrerRegeln mehr oder weniger strengumsetzen. Die Perspektive derSchulklimaforschung beruht darauf,dass gesellschaftliche Normen (z.B. derübliche Umgang von Erwachsenen mitHeranwachsenden) das Lehrerhandelnfach- und regelübergreifend prägen.

Ein Ergebnis ist etwa, dassEinstellungen der Lehrer das Schulklimabeeinflussen. Eine progressiveLehrereinstellung führt unter anderemzu einem geringeren Leistungsdrucksowie höher empfundenenMitbestimmungsmöglichkeiten derSchüler, als dies bei einer eherkonservativen Einstellung der Fall ist(vgl. Fend 1977, S. 218).

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Schulleistungsvergleiche Als drittes und letztes Beispiel für eineerziehungswissenschaftlicheBildungsforschung seien internationaleSchulleistungsvergleiche genannt.Studien dieser Art erheben mitempirischen Forschungsmethoden - wieder Name schon sagt - die Leistungenvon Schulen beziehungsweise Schülernund vergleichen dieseländerübergreifend. Auf die bekanntestederartige Untersuchung, PISA, wird inKapitel 6 des Moduls „Was ist Bildung?“genauer eingegangen. WeitereSchulleistungsstudien sind zum BeispielTIMSS (Third International Mathematicsand Science Study) und IGLU(Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung).

Glossar:[could not resolve linktarget: il_0_git_832]

Externe Links, weitereInformationen zu:

IGLU

PISA

TIMSS

Geschichte: Hochphase

Bildungsforschung und Bildungssoziologie wurden in ihrer Entwicklung von den späten 50er bisEnde der 60er Jahre maßgeblich durch die gesellschaftlichen Probleme der Nachkriegszeitgeprägt. In diesem Kapitel steht die gemeinsame Entwicklung dieser Wissenschaften imVordergrund.

Bildungskatastrophe

Sputnikschock 1957 erschütterte der Sputnikschock diewestliche Welt, als die UDSSR als erstesLand der Welt einen Satelliten in eineUmlaufbahn der Erde schickten und damittechnologische, nicht zuletzt imBildungswesen begründete, Defizite desWestens offenbarten. Auch wenn dieAktivität des Satelliten in nichts weiterbestand, als in regelmäßigen Abständen einRadiosignal zur Erde zu senden.

Quelle:commons.wikimedia.org

Metallkugel mit 58 cmDurchmesser: Sputnik 1verglühte 92 Tage nachdem Start in derErdatmosphäre.

Bildungskatastrophe Die daraufhin entstandene Diskussion umdas deutsche Bildungssystem erfuhr durch

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den Philosophen Georg Picht einen weiterenSchub. Unter dem Titel „Die deutscheBildungskatastrophe“ veröffentlichte er1964 vier Artikel in der protestantischenWochenzeitung „Christ und Welt“ (Picht1964).

„Die Bundesrepublik steht in dervergleichenden Schulstatistik am unterstenEnde der europäischen Länder nebenJugoslawien, Irland und Portugal. Diejungen Wissenschaftler wandern zuTausenden aus, weil sie in ihrem Vaterlandnicht mehr die Arbeitsmöglichkeiten finden,die sie brauchen. Noch Schlimmeresbereitet sich auf den Schulen vor: Inwenigen Jahren wird man, wenn nichtsgeschieht, die schulpflichtigen Kinderwieder nach Hause schicken müssen, weiles für sie weder Lehrer noch Klassenräumegibt. Es steht uns ein Bildungsnotstandbevor, den sich nur wenige vorstellenkönnen” (Christ und Welt Nr. 5 v. 31. 1.1964, S. 3).

Externer Link:

Bericht desDeutschlandradio Kulturüber Georg Picht und dieReformdebatte der 60erJahre

Das negative Abschneiden der BRD in dervergleichenden Schulstatistik rüttelte dieÖffentlichkeit auf. In kaum einemhochindustrialisierten Land studiertenweniger Personen pro Geburtsjahrgang alsin der BRD (Achinger, Gertrud 1971, S.145ff.). Aber wie das Zitat von Pficht zeigt,prägten nicht nur zu niedrigeAbiturientenquoten, sondern auchSchulraum- und Lehrermangel dieDiskussion in den 60ern. Zudem gewanndie Thematisierung sozialer und regionalerBildungsgefälle stark an Bedeutung. RalfDahrendorf (1964) beklagte etwa in derWochenzeitschrift „Die Zeit“ den geringenAnteil von Arbeiterkindern an denUniversitäten. Obwohl 1960 mehr als dieHälfte aller Deutschen in Arbeiterfamilienlebten, lag der Anteil der Kinder aus diesenFamilien unter den Studierenden beilediglich fünf Prozent (zum Vergleich: USA30%, England 25%, Schweden 20%)(Dahrendorf 1964, S. 10). Im Verlauf derDebatte wurde die Formel der „katholischenArbeitertochter vom Lande“ zum Inbegriffder Bildungsbenachteiligung.

Ralf Dahrendorf,Quelle:commons.wikimedia.org

Institutionalisierung Die Rede von der Bildungskatastropheführte zu einem starken Aufschwung dergesamten Bildungsforschung. Es

Externe Links:

Max-Planck-Institut für

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entstanden eine ganze Reihe neuerForschungseinrichtungen, wiebeispielsweise das Institut fürBildungsforschung in der Max-PlanckGesellschaft oder das Leibniz-Institut fürdie Pädagogik der Naturwissenschaften ander Universität Kiel (IPN). DieseInstitutionalisierung ermöglichtelangfristige und interdisziplinäre Forschungund sicherte damit nicht zuletzt dieGrundlagen für die Bildungssoziologie (vgl.Sommerkorn 1993, S. 37ff).

Bildungsforschung

Leibniz-Institut für diePädagogik derNaturwissenschaften an derUniversität Kiel (IPN)

Bildungspolitik der 60er und 70er Jahre und neue Aufmerksamkeit seitTIMMS und PISA

Desillusionierung Die Bildungspolitik der späten 60er und 70er Jahre warvon der Absicht geprägt, die beschrieben Probleme imBildungssektor zu beseitigen. Besonders beim Versuch,die Chancengleichheit im Bildungssystem zu stärken,wurde die Bildungspolitik stark von derBildungssoziologie beeinflusst. Die mangelhafteIntegration unterprivilegierter sozialer Gruppen solltedurch bildungspolitische Aktivitäten kompensiertwerden. Mit der nach dem ersten Ölpreisschock 1973einsetzenden Wirtschaftskrise löste sich dieser engeZusammenhang zwischen Bildungspolitik undBildungssoziologie jedoch allmählich wieder auf.Verbreitet wurde die Berufsnot von Jugendlichenbeklagt. Die Entwicklung führte letztlich zu einerDesillusionierung der früheren Hoffnung, dass dieBildungsreform wesentlich zur Lösunggesellschaftlicher Probleme beitragen könne(Sommerkorn 1993, S. 39f.).

Trotzdem haben die Bildungsreformen der 70er Jahre –was häufig übersehen wird – zahlreicheBenachteiligungen beseitigt. So wurden zum Beispieldie „Differenzen der Bildungsbeteiligung nachStadt/Land, katholisch/evangelisch oder nachGeschlecht behoben“ (Löw 2003, S. 14).

Nach der Hochphase der Bildungsforschung undBildungssoziologie in den 60er und 70er Jahren nahmdas politische und öffentliche Interesse an denzentralen Themen dieser Wissenschaften stark ab.

Externer Audio-Link:

Hildegard Hamm-Brücher (FDP) überdieAusbildungschancenfür Mädchen vor derBildungsreform inden 70er Jahren(27.7.1996)

neueAufmerksamkeit

Erst als Mitte bis Ende der 90er Jahre die Wirtschaftzunehmend über Fachkräftemangel klagte und dieTIMMS-Studie zudem deutliche Leistungsdefizite vonSchülern deutscher Schulen aufzeigte, wurde Bildungwieder zum öffentlichen Thema. Dabei standen

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allerdings zunächst ökonomische Faktoren (Bildung alsHumanressource) im Vordergrund.

Als jedoch die PISA Studie 2001 auch dieBenachteiligung von Kindern auseinkommensschwachen Familien offenbarte, rückteauch das Thema soziale Ungleichheit wieder in dasZentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Löw 2003, S. 14).

Ausblick -Klassiker

Nachdem nun die zentralen Begriffe sowie dieEntwicklungsgeschichte der Bildungssoziologie skizziertwurden, folgt im nächsten Kapitel ein Überblick überzentrale Klassiker des Faches.

Klassiker der Bildungssoziologie

Klassiker? Klassiker sind Personen oder Werke, die einewissenschaftliche Disziplin entscheidend mit definieren.Ihre Gültigkeit geht über den Zeitraum ihrer Entstehunghinaus. Klassische Schriften sind historisch und aktuellzugleich, da sie sich aus den Perspektiven gegenwärtigerWissenschaft immer wieder neu entdecken lassen.

Natürlich können an dieser Stelle nicht alle Klassiker derBildungssoziologie vorgestellt werden. Wir beschränkenuns auf Talcott Parsons, Helmut Schelsky und TheodorW. Adorno, die das Fach während seiner erstenHochphase in den 60er Jahren stark geprägt haben undPierre Bourdieu, der sich als einer der wenigenSoziologen systematisch mit Bildungs- undErziehungsfragen beschäftigt hat.

Talcott Parsons

Strukturell-funktionaleTheorie

Talcott Parsons strukturell-funktionale Theorie hatdie Soziologie in den 50er und 60er Jahren starkbeeinflusst. Parsons Auffassung nach habensoziale Systeme (z.B. politisches System,Gesundheitssystem etc.) die Aufgabe, dieStabilität und Erhaltung der Gesamtgesellschaft zusichern. Aus dieser Perspektive fragt er auch nachder Funktion des Bildungswesens. Diesem fällteine Sonderstellung innerhalb von Parsons Ansatzzu, da die moderne Gesellschaft seiner Meinungnach von drei grundlegenden Prozessen desStrukturwandels geprägt ist: der industriellenRevolution, der demokratischen Revolution undeben der Revolution des Bildungswesens.

Talcott Parsons (1902-

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1979)

Funktionen derSchule

Kurz gefasst misst Parsons der Schule zweikonkrete Funktionen zu:

1. bereitet sie auf das Leben als Erwachsenervor und

2. verteilt sie Menschen auf unterschiedlicheBerufssparten.

Sie steuert dabei Rollenübernahme und -verteilung. In manche Rollen sind alle Menscheneiner modernen Gesellschaft zu bestimmtenZeiten gleichermaßen involviert, wie zum Beispielin die Rolle des Erwachsenseins. Schule erfüllt hierihre Sozialisationsfunktion dadurch, dass Sie demIndividuum allgemeine gesellschaftliche Wertevermittelt.

Aus der Perspektive der Bildungssoziologie istjedoch die Funktion der Schule alsrollenzuteilendes System von ebenso großemInteresse. In Form eines Selektions- undAllokationsmechanismus dient sie nach derTheorie Parsons zur Herstellung sozialerSchichtung innerhalb der Gesellschaft, indem sieMenschen in Abhängigkeit von derenintellektuellen Fähigkeiten auf spezielleBerufssparten verteilt.

SchulerziehungimVordergrund

Bemerkenswert ist, dass Parsons nicht dieErziehung im Allgemeinen, sondern konkret dieSchulerziehung als Vorbereitung auf spezielleRollen beziehungsweise Berufe betrachtet. Ererkennt zwar, dass der Schulerfolg von Kindernmit dem Status ihres Vaters korreliert, stellt diesjedoch in den Kontext der am Intelligenzquotientgemessenen „biologischen“ Befähigung derKinder. Parsons zufolge ist die Schule „die ersteSozialisationsinstanz in der Erfahrung einesKindes, die eine Statusdifferenzierung aufnichtbiologischer Basis institutionalisiert“(Parsons1968, S. 166). Zu Beginn derSchulerziehung sind Kinder seiner Meinung nachbis auf die bereits frühkindlich festgeschriebeneGeschlechterrolle nur wenig sozial determiniert, sodass die Schule einen entsprechend großenEinfluss ausüben kann (vgl. Löw 2003, S. 35ff.).

Themen Mit seiner Theorie thematisiert Parsons alsosoziale Ungleichheit, Sozialschicht und Mobilitätund damit Begriffe, die bis heute in der

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Bildungssoziologie eine zentrale Rolle spielen.

WeiterführendeLiteratur

Schlüsselwerk:

Parsons, Talcott (1968): Die Schulklasse alssoziales System, in: Ders.: Sozialstruktur undPersönlichkeit, Frankfurt (zuerst 1964), S. 161-193.

Weiterentwicklung der Theorie:

Dreeben, Robert (1980): Was wir in der Schulelernen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (zuerst 1968).

Helmut Schelsky

Schule als sozialeDirigierungsstelle

Ähnlich wie Parsons sieht auch Helmut Schelskydie Schule als soziale „Dirigierungsstelle“(Schelsky 1965, S. 136), die über sozialen Rangund die Konsummöglichkeiten eines Menschenentscheidet. Im Gegensatz zu Parsons hält erdie Schule mit dieser Funktion jedoch für völligüberfordert. Schelsky zufolge fördert Schuleweder Begabungen, noch selektiert sie nachtatsächlich vorhandenen Fähigkeiten.Stattdessen verweigert sie den Teilnehmern mitihren Leistungsurteilen als berechtigtempfundene Zugangschancen zu sozialenStellungen. „Die Schule wird so zum zentralengesellschaftlichen Mittel für den sozialen Abstiegder Familien in der modernen Gesellschaft“(Schelsky 1965, S. 138).

Helmut Schelsky(1912-1984), Quelle:www.uni-bielefeld.de

Spannungenzwischen Lehrernund Eltern

Eltern empfinden die Schule dabei alsbürokratische Institution, die über die privatenLebenschancen ihrer Kinder entscheidet undverhalten sich ihr gegenüber eher fordernd alskooperativ (Schelsky 1961, S. 18f.).Spannungen zwischen Eltern und Lehrernscheinen in dieser Situation unausweichlich. Umdiese Problematik zu entschärfen, fordertSchelsky, dass die Schule stärker mit den Elternkooperieren und diese frühzeitig und intensivüber Schulwahl- und Berufsmöglichkeiten ihrerKinder beraten soll. Schule soll sich damitweniger als „Agentur des Staates“ und mehr alsInteressenvertreter der Familien generieren(Schelsky 1961, S. 26ff.).

Thema soziale Unabhängig davon, ob Schule ihre

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Ungleichheit gesellschaftliche Funktion nun erfüllt oder nicht,steht als Ausgangspunkt von SchelskysÜberlegungen also auch das Thema sozialeUngleichheit im Vordergrund (vgl. Löw 2003,37f.).

WeiterführendeLiteratur

Schlüsselwerke:

Schelsky, Helmut (1961): Schule und Erziehungin der industriellen Gesellschaft, 3.Aufl.,Würzburg (zuerst 1957).

Schelsky, Helmut (1965): Auf der Suche nachWirklichkeit, Düsseldorf/Köln.

Theodor W. Adorno

Als weiterer Klassiker der Bildungssoziologie giltTheodor W. Adorno. Unter dem Eindruck desVölkermordes im dritten Reich stellt er die Frage,welche Lehren daraus für die Erziehung gezogenwerden müssen. Dabei knüpft er an das klassisch-humanistische und das Bildungsideal derAufklärung an (vgl. Modul „Was ist Bildung“,Kapitel 3.2 und 3.3): „Die einzig wahrhafte Kraftgegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie,wenn ich den Kantischen Ausdruck verwendendarf; die Kraft zur Reflexion, zurSelbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“(Adorno 1977, S. 679).

Theodor W. Adorno(1903-1969)

Der Mensch muss im Sinne der Aufklärung lernen,seiner eigenen autonomen Vernunft zu vertrauen.Er soll die Angst vor den Mächtigen verlieren undihre Handlungen aus kritischer Distanz betrachten.Da ein rationales, vernunftorientiertes Denkenlaut Adorno jedoch die Gefahr der Ausblendungvon Emotionen birgt, fordert er, dass sich dieReflexion nicht nur auf andere, sondern auch aufdie Handlungen des Individuums selbst bezieht.Selbstreflexion soll es dem Menschenermöglichen, eigene Schwächen und Ängsteanzuerkennen und sich seinen Emotionen zuöffnen. Er soll durch Erziehung in die Lageversetzt werden, mitzufühlen und zu lieben, damitAuschwitz für alle Zeit unmöglich wird (vgl. Löw2003, S. 38f.).

Externer Link:

100 Jahre Adorno (3Sat)

Weiterführende Schlüsselwerk:

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Literatur Adorno, Theodor W. (1977): Erziehung nachAuschwitz, in: Kulturkritik und Gesellschaft II,Gesammelte Schriften, Bd. 10.2, Frankfurt amMain (zuerst 1966), S. 679.

Pierre Bourdieu

Als letzter Klassiker der Bildungssoziologie soll in dieser ReihePierre Bourdieu genannt werden, der sich in seinerwissenschaftlichen Arbeit ausgesprochen intensiv dem ThemaBildung und Erziehung gewidmet hat (vgl. Löw 2003, S. 43).

Pierre Bourdieu (1930-2002)

Sozialstruktur und Reproduktion

SozialeStrukturen

Bourdieus Theorie beruht auf der Grundannahme,dass die Gesellschaft von sozialen Strukturengeprägt ist, die sich selbst reproduzieren. Untersozialen Strukturen versteht er unterschiedlicheVerteilungsmuster von materiellen Ressourcen undderen Aneignungsmöglichkeiten. Diese Strukturenbestimmen jedoch nicht nur den Zugriff auf Güter,sondern auch das praktische Handeln der Menschen,dass heißt, sie „bleiben dem Menschen nichtäußerlich, sondern verwirklichen sich im Verhalten,in Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen undUrteilen sozialer Akteure“ (Löw 2003, S. 44). SozialeStruktur beinhaltet bei Bourdieu damit immer eineökonomische und eine kulturelle/soziale Perspektive.

Von Bourdieuaufgenommenes Bildin Algerien

SozialerRaum undHabitus

Genauer betrachtet beschreibt Bourdieu dieGesellschaft als sozialen Raum, der sich in ersterLinie durch die Verteilung von Berufsgruppen (z.B.Facharbeiter, Lehrer, Ingenieure etc.) ergibt.Gruppen, die unter ähnlichen Bedingungen leben,

Externe Links

3sat Artikel zu BourdieusFotografien aus Algerien

weitere Fotografien von

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werden zu Klassen zusammengefasst, wobei dieMitglieder einer Klasse jeweils über einen ähnlichenHabitus verfügen. Der Habitus lässt sich alsWahrnehmungs- und Handlungsmatrix beschreiben,„die immer wieder gleiche Gefühle, Handlungen,Wahrnehmungen, Gedanken undGeschmackspräferenzen“ verursacht (Löw 2003, S.47) und so die verschiedenen Klassen von einanderabgrenzt. So schauen die Mitglieder der einen Klassebeispielsweise gerne Fußball, während andere dasTheater bevorzugen; manchen liegt als sportlicheBetätigung Golf näher, während andere eherWandern bevorzugen. Dabei ist die Unterscheidungder Klassen im sozialen Raum weniger auf einbestimmtes Merkmal zurückzuführen, sondern sieentsteht erst durch den Prozess der Abgrenzungvoneinander und äußert sich in unterschiedlichenBereichen.

Bourdieu

Reproduktionder sozialenStruktur

Der klassenspezifische Habitus, als von den sozialenStrukturen beeinflussten Handlungen der Menschen,führt dazu, dass sich die soziale Struktur derGesellschaft reproduziert. So mag es für einenHeranwachsenden der Mittelschicht beispielsweisenäher liegen, Pädagogik als Jura zu studieren (vgl.Löw 2003, S. 47), während es bei einemAngehörigen der Oberschicht umgekehrt seinkönnte.

Bildungszertifikate als kulturelles Kapital

Verbindung zurBildungssoziologie

Der besondere Bezug zwischen Bourdieus Theorie undder Bildungssoziologie liegt darin, dass Bourdieu sichspeziell für den Zusammenhang zwischen Bildung undsozialer Reproduktion interessiert. Inwiefern istBildung in der Lage, die soziale Position eineseinzelnen zu festigen oder zu verändern?

Bildungszertifikateund dieProblematik derBildungsexpansion

Bourdieu gelangt zum einen zu der Erkenntnis, dassBildungszertifikate den Zugang zu sozialen Positionenund Lebenschancen bieten. In diesem Kontext weister auf ein zentrales Problem hin: Bildungsabschlüsse,die an breite soziale Schichten vergeben werden,verlieren automatisch an Wert. So wurdebeispielsweise in Deutschland mit der steigendenAbiturientenquote das Abitur aufgrund seinergeringeren Exklusivität abgewertet (und derHauptschulabschluss im Übrigen zugleich starkentwertet). Deshalb sieht er die Forderung vonPolitikern im Sinne der Chancengleichheit, immergrößeren gesellschaftlichen Bereichen den Zugang zu

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höherer Bildung zu ermöglichen, kritisch. Bourdieuzufolge können entgegen der Hoffnung der Politiksoziale Unterschiede auf diese Weise nicht wirksamvermindert werden, da das Bildungssystem seineselektive Funktion durch die Herausbildung neuerUnterscheidungsmerkmale (z.B. gute Schule vs.schlechte Schule, Eliteuniversität vs.Massenuniversität) aufrecht erhalten wird.

Schule bestätigtsozialeUnterschiede

Zudem treten laut Bourdieu Kinder mit völligunterschiedlichen, habitusspezifischenVoraussetzungen in die Schule ein, die sie bereits inder früheren Kindheit innerhalb der Familie erworbenhaben. Kinder aus höher gebildeten sind dabei imVergleich zu Kindern aus eher bildungsfernen Klassenstärker mit den Symbolen und dem Umgang derherrschenden Kultur vertraut. Zudem befinden siesich bereits dadurch im Vorteil, dass sie einenstärkeren Sinn dafür vermittelt bekommen, wann undin welcher Form eine Bildungsentscheidung am bestenzu treffen ist (z.B. Wahl einer Fremdsprache odereines Auslandsaufenthalts). Indem die Schule dieseungleichen Ausgangsbedingungen ignoriert, werdendie sozialen Unterschiede nicht vermindert sondernbestätigt. „Statt einer befreienden kommt der Schule[damit] nach wie vor eine konservierende Funktionzu“ (Bolder/Steinrücke 2001).

WeiterführendeAnmerkung:

Die KombinationvonBildungszertifikatenund HabitusbezeichnetBourdieu alskulturelles Kapital.

Bildungszertifikate reichen alleine also nicht aus, umeinen gesellschaftlichen Aufstieg zu erzielen. An diebreite Masse vergebene Abschlüsse verschleiern lautBourdieu die Benachteiligung von Kindern ausschlechter gestellten Familien zusätzlich, indem sieden Eindruck einer nicht genutzten Chance erwecken(„trotz Abitur hat er oder sie nichts erreicht“).Bourdieu plädiert dafür, die kulturellen Unterschiededer Kinder in der Schule stärker zu beachten. Vorallem geht es ihm aber darum, die tatsächlichenMachtverhältnisse aufzudecken (vgl. Löw 2003, S.43ff.).

Externer Audio-Link:

Nachruf zum Todevon Pierre Bourdieu(Babara Schulte,Nordwestradio,24.01.2002)

WeiterführendeLiteratur

Schlüsselwerk:

Bourdieu, Pierre / Passeron, Jean-Claude (1971): DieIllusion der Chancengleichheit, Stuttgart (zuerst1964).

Empfehlung zum Einstieg:

Bourdieu, Pierre: Wie die Kultur zum Bauern kommt.Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001.

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Themen der Bildungssoziologie

SozialeUngleichheit alszentrales Thema

Die in Kapitel sechs behandelten Klassiker beschäftigten sich alle mit derFrage nach der gesellschaftlichen Funktion von Schule. Parsons, Schleskyund Bourdieu stellen hierbei die Wechselwirkungen zwischen Bildung undsozialer Ungleichheit in den Vordergrund und besetzten damit ein Thema,dass die Bildungssoziologie auch heute noch maßgeblich bestimmt.

Vor allem die für Deutschland zum Teil ernüchternden Ergebnisse vonTIMSS und PISA haben dem Thema seit Ende der 90er Jahre in deröffentlichen Wahrnehmung eine beachtliche Renaissance beschert, indemsie die in den 70er Jahren entstandene Illusion gleicher Bildungschancenzerstört haben (vgl. Geißler 2004, S. 362).

aktuelles Beispiel So beschäftigt sich beispielsweise Susanne von Below bis in die jüngsteZeit mit dem Thema Bildungschancen, in dem Sie etwa die Selektivitätunterschiedlicher Bildungssysteme am Beispiel der neuen Bundesländeruntersucht.

Sie unterscheidet dabei unter anderem traditionell-konservative vonreformierten-liberalen Systemen. In traditionell-konservativenBildungssystemen „sind die Strukturen stark festgelegt (z.B.Dreigliedrigkeit), die Selektion erfolgt früh und Übergänge zwischenSchulformen sind schwierig. Auch die Inhalte sind straff geregelt: es gibteinen traditionell ausgerichteten Bildungskanon, dessen Beherrschung füralle verbindlich ist“ (Below 2006, S. 233). Reformierte-liberale Systemezeichnen sich hingegen durch offenere Strukturen (z.B. Existenz vonGesamtschulen und leichtere Wechsel zwischen den unterschiedlichenSchulzweigen) und flexiblere Lehrpläne, die größere MöglichkeitenMöglichkeiten zur individuellen Gestaltung lassen, aus.

Belows Analyse zufolge replizieren traditionell-konservativeBildungssysteme die bestehende Sozialstruktur der Gesellschaft, in demsie Kindern aus unterprivilegierten Familien deutlich wenigerBildungschancen eröffnen, deutlich stärker, als dies unter reformierten-liberalen Bedingungen der Fall ist (vgl. Below 2006).

Einflussfaktorenauf denSelektionsprozess

Bildung verschafft Menschen unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zuLebenschancen und wirkt sich so direkt auf die soziale Struktur derGesellschaft aus. Zusammenfassend stellen dabei Schichtzugehörigkeit,Migrationshintergrund und Geschlecht maßgebliche Einflussfaktoren aufden Selektionsprozess dar. Aus diesem Grund stehen die genanntenFaktoren auch im Zentrum weiterer Lernmodule. Es soll jedoch nichtverschwiegen werden, dass die Bildungssoziologie auch weitere Themenumfasst.

weitere Themen So befassen sich beispielsweise Untersuchungen bereits seit den 50erJahren mit der Lehrerrolle beziehungsweise dem beruflichenSelbstverständnis von Lehrern (vgl. Sommerkorn 1993, S. 41). AktuelleStudien liegen etwa zu dem Zusammenhang zwischenFremdenfeindlichkeit und Bildung (Wiezorek/Fritzsche 2007, S. 243) oderauch dem Kooperationsverhalten zwischen Lehrern (Steinert u.a. 2006,

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S.185) vor.

Literatur- und Quellenverzeichnis

Achinger, Gertrud (1971): Bildungsforschung, in: Groothoff, Hans-Hermann / Stallmann; Martin:Neues Pädagogisches Lexikon. Stichwort „Bildungsforschung“, 5. Auflage, Sp. 146-148.

Adorno, Theodor W. (1977): Erziehung nach Auschwitz, in: Kulturkritik und Gesellschaft II,Gesammelte Schriften, Bd. 10.2, Frankfurt am Main (zuerst 1966), S. 679.

Beck, Klaus / Kell, Adolf (1991): Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung als Aufgabe undProblem, in: Beck, Klaus / Kell, Adolf (Hrsg.): Bilanz der Bildungsforschung, Weinheim, S. 5-13.

Below, Susanne von (2006): Bildungssystem und Selektivität. Eine Typologie am Beispiel derneuen Bundesländer, in: Die Deutsche Schule. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft,Bildungspolitik und pädagogische Praxis, Heft 2, 98. Jahrg., S. 231-242.

Böhm, Winfried (2000): Wörterbuch der Pädagogik, 15 Aufl., Stuttgart.

Bolder, Axel / Steinrücke, Margareta: Vorwort, zu: Bourdieu, Pierre: Wie die Kultur zum Bauernkommt. Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001, S. 7-24.

Dahrendorf, Ralf (1964): Arbeiterkinder an deutschen Universitäten, in: Die Zeit, Nr. 25 und 26,19.06. und 26.06.1964, jeweils S. 10ff.

Diederich, Jürgen (1971): Unterrichtsforschung, in: Groothoff, Hans-Hermann / Stallmann;Martin: Neues Pädagogisches Lexikon. Stichwort „Bildungsforschung“, 5. Auflage, Sp. 1213-1216.

Durkheim, Emile (1972): Erziehung und Soziologie, Düsseldorf, Original von 1911.

Durkheim, Emile (1973): Erziehung, Moral und Gesellschaft. Vorlesung an der Sorbonne1902/1903, Neuwied am Rhein / Darmstadt.

Esser, Hartmut (1996): Soziologie. Allgemeine Grundlagen, 2. Aufl., Frankfurt/New York.

Fend, Helmut (1977): Schulklima. Soziale Einflussprozesse in der Schule, Weinheim und Basel.

Geiger, Theodor (1930): Erziehung als Gegenstand der Soziologie, in: Die Erziehung.Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben, 5.Jahrg., Heft 7, S. 405-427.

Geißler, Reiner (2004): Die Illusion der Chancengleichheit im Bildungssystem – von PISA gestört,in: Zeitschrift für Soziologie und Sozialisation, Heft 4, 24. Jg, 2004.

Heintz, Peter (Hrsg.) (1959): Soziologie der Schule. Sonderheft 4 der Kölner Zeitschrift fürSoziologie und Sozialpsychologie, Köln/Opladen.

Hurrelmann, Klaus / Engel, Uwe (1989): Bildungssoziologie, in: Endruweit, Günter / Trommsdorf,Gisela: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart, S. 90-98.

Löw, Martina (2003): Einführung in die Soziologie der Bildung und Erziehung, Opladen.

Parsons, Talcott (1968): Die Schulklasse als soziales System, in: Ders.: Sozialstruktur undPersönlichkeit, Frankfurt (zuerst 1964), S. 161-193.

Picht, Gerorg (1965): Die deutsche Bildungskatastrophe. München. Zuerst veröffentlicht alsArtikelserie in: Christ und Welt, Nr. 5-8, 31.01.1965 – 21.02.1964.

Renkl, Alexander (2002): Lehren und Lernen, in: Tippelt, Rudolf (Hrsg.): HandbuchBildungsforschung, Opladen, S. 589-602.

Schelsky, Helmut (1961): Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft, 3.

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Aufl.,Würzburg.

Schelsky, Helmut (1965): Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln.

Sommerkorn, Ingrid N. (1993): Soziologie der Bildung und Erziehung, in: Korte, Hermann /Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in Spezielle Soziologien, Opladen, S. 29-55)

Steinert, Brigitte u.a. (2006): Lehrerkooperation in der Schule. Konzeption, Erfassung, Ergebnisse,in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2, 52. Jg, 2006.

Tenorth, Heinz-Eklmar Tenorth (2002): Historische Bildungsforschung, in: Tippelt, Rudolf (Hrsg.):Handbuch Bildungsforschung, Opladen, S. 123-139.

Tippelt, Rudolf (Hrsg.) (2002): Handbuch Bildungsforschung, Opladen.

Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Aufl.,Tübingen (zuerst 1922).

Wiezorek, Christine / Sylke, Fritzsche: Fremdenfeindlichkeit und Bildung, in: Zeitschrift fürSoziologie der Erziehung und Sozialisation, Heft 3, 27. Jg., 2007.

Wößmann, Ludger (2003): Schooling Resources, Educational Institutions and StudentPerformance: The International Evidence, in: Oxford Bulletin of Economics and Statistics, Vol.65(2), S. 117-170.

Anhang A: Glossar

peak

maximum, highest point or degree

penance

sacrament involving the confession of sin, repentance, and acceptance of satisfaction imposed bya priest