Was kennzeichnet den europäischen...

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  • 5Bahn-Report 3/2015

    BahnPolitik

    5Bahn-Report 2/2016

    Mit dem jngsten Entwurf eines Gesetzes zur Strkung des Wettbewerbs im Eisen-bahnbereich (1) strebt die Bundesregierung die Umsetzung der Richtlinie 2012/34/EU in nati-onales Recht an (2). Diese Richtlinie dient der Schaung eines einheitlichen europischen Eisenbahnraums. Einen konkreten rumli-chen Bezug lsst die Richtlinie gleichwohl ver-missen, so dass an dieser Stelle einige Gedan-ken ber die Merkmale eines europischen Eisenbahnraums dargelegt werden sollen.

    Ein wesentliches Merkmal vieler Rume sind die Grenzen, die ihn auf einen bestimmten Bereich einengen (begrenzen). Gibt es innerhalb eines Raumes weitere Grenzen, so lsst sich zwischen Auen- und Binnengrenzen unterscheiden. Die aktuelle Debatte ber Grenzkontrollen an Bin-nengrenzen innerhalb des Schengen-Raumes verdeutlicht dies. Innerhalb der Europischen Union (EU) werden als Binnengrenzen blicher-weise die nationalen Grenzen der einzelnen Mitgliedsstaaten angesehen.

    Fr die meist unter nationaler Prgung histo-risch gewachsenen Eisenbahnsysteme in den Mit-gliedsstaaten haben die Staatsgrenzen insofern eine besondere Bedeutung, weil sie oftmals auch Systemgrenzen darstellen. Vor diesem Hinter-grund entstand das Konzept eines einheitlichen (oder auch integrierten) Eisenbahnraums. In einer Ver$entlichung der EU-Kommission von 2008 heit es hierzu: Die nationalen Schienennetze haben ber die Jahre hinweg Infrastrukturen mit verschiedenen technischen Spezi%kationen ent-wickelt. Die unterschiedlichen Spurweiten, elek-trischen Standards und Sicherheits- und Signal-gebungssysteme erschweren und verteuern ins-gesamt den Zugverkehr zwischen den Lndern.

    Das Schlagwort, unter dem sich der Harmoni-sierungsbestrebungen zusammenfassen lassen, lautet Interoperabilitt: Die Scha$ung eines in-tegrierten europischen Eisenbahnraums er-fordert[...] verbesserte Interoperabilitt oder technische Kompatibilitt der Infrastrukturen, der Fahrzeuge, der Signalgebungs- und anderer Eisenbahnsysteme sowie ein vereinfachtes Ver-fahren zur Zulassung von Fahrzeugen, die auf allen europischen Schienennetzen eingesetzt werden knnen (3).

    Die dem einheitlichen europischen Eisen-bahnraum zugrunde liegenden berlegungen sind also insbesondere technisch, betrieblich sowie zwangslufig rechtlich geprgt und auf eine Harmonisierung der bislang stark national geprgten Bahntechniksysteme und Aufsichtsregime bedacht. Gleichzeitig sollen die Vereinheitlichungen die Wettbewerbsfhigkeit des europischen Schienenverkehrs auf dem ge-meinsamen Binnenmarkt strken. Dies kommt auch durch die Bezeichnung des deutschen Gesetzesentwurfes zur Umsetzung der Richtlinie zum Ausdruck.

    (1) BR-Drucksache 22/16 vom 15.01.16

    (2) Siehe dazu auch S.12-13 in dieser Ausgabe

    (3) Moderne Eisenbahn modernes Europa. Generaldirekti-

    on Energie und Verkehr der Europischen Komission (2008), S.6

    Was kennzeichnet den europischen Eisenbahnraum?

    Whrend es mit dem gemeinsamen Binnen-markt, mit der Euro-Zone oder mit Schengen bereits europische Rume gibt, innerhalb derer der Austausch und die Bewegungen von Waren, Dienstleistungen, Geldern bzw. Personen weitge-hend frei und keinen wesentlichen Restriktionen aufgrund nationaler Grenzen unterworfen sind, so steht ein derartiger Eisenbahnraum, der die aufgrund der Binnengrenzen bestehenden historisch gewachsenen Hemmnisse des Schie-nenverkehrs berwindet, erst noch am Anfang seiner Verwirklichung. Er mutet dabei sicherlich wie eine Utopie an. Schlielich sind selbst fr eine Harmonisierung der europischen Haupteisen-bahnstrecken immense Anstrengungen ntig, die noch lange nicht abgeschlossen sein werden.

    Zugleich sei an die Probleme erinnert, die eine langsame Migration neuer Techniken wie z.B. ETCS (European Train Control System) nach sich zieht: Solange es nicht 7chendeckend ein-gesetzt wird, ist es eine Spezialausrstung und somit vornehmlich teuer (4). Aber auch dort, wo es bereits eingesetzt wird, sind nicht alle Einrich-tungen an Fahrzeugen und Strecken miteinan-der kompatibel (5), so dass wohl weitergehende Standards ntig sind. Bis auf weiteres ist jeden-falls davon auszugehen, dass die europischen Binnengrenzen, also die Grenzen der National-staaten mit ihren jeweiligen Regelwerken, noch lange den internationalen Bahnverkehr auf die-sem Kontinent hemmen werden.

    Vielfltige Hemmnisse aufgrund von Grenzen

    Die Betrachtung von Hemmnissen aufgrund von Grenzen darf allerdings nicht auf die bereits dargelegten Harmonisierungsbestrebungen der nationalen Bahntechniken beschrnkt bleiben. Grenzen hemmen den Schienenverkehr auch

    (4) Erinnert sei beispielsweise an die Einstellung des Nachtzugs

    Jan Kiepura nach Amsterdam; vgl. Bahn-Report 2/2015, S.77

    (5) Siehe dazu auch S.25 in dieser Ausgabe ber die Probleme

    der DB-Baureihe 185 beim ETCS-Betrieb in der Schweiz

    insofern, als dass sie einstmals internationale Bahnstrecken durchtrennt haben. Vielerorts sind diese Strecken nicht wieder aufgebaut worden. Grenzberschreitende Reaktivierungen wie z.B. jngst Selb A (Asch) [CZ] sind eher die Ausnah-me als die Regel.

    Selbst lngst verschwundene oder jedenfalls nicht mehr in der einstigen Intensitt wahrnehm-bare Grenzen haben bis heute Auswirkungen auf das europische Eisenbahnnetz. Das an-schaulichste Beispiel hierfr ist sicherlich der eins-tige Eiserne Vorhang. Innerhalb Deutschlands wurden nach der Wiedervereinigung zahlreiche Lckenschlsse zwischen Ost und West mit den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit vollbracht. Doch im Verlauf der heutigen bundesdeutschen Auengrenzen %nden sich im Bahnnetz nach wie vor kla$ende Lcken: So sei an einige einst zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehende Bahnverbindungen erinnert. Das berleben ihres Gterverkehrs verdankten sie lange Zeit der Tatsache, dass die Niederlande deutsche Kohle als Brennstoff importierten. Nachdem bei den Nachbarn grere Erdgasvor-kommen entdeckt worden waren und folglich in der niederlndischen Industrie sowie in den Haushalten von Kohle- auf Gasversorgung um-gestellt wurde, kam dieses grenzberschreitende Verkehrsbedrfnis jedoch zum Erliegen (6).

    Heute sorgen der gemeinsame europische Binnenmarkt und der Schengen-Raum dafr, dass internationale Ver7echtungen im Gter- wie im Personenverkehr zunehmen und somit verstrkt grenzberschreitende Verkehrsbedrf-nisse bestehen. Doch viele Bahnstrecken wurden noch zu Zeiten strkerer Grenzwirkungen stillgelegt oder gar abgebaut. Dort kann die Eisenbahn also nicht (mehr) dazu beitragen, den Grenzverkehr zu bewltigen. Nicht unbegrndet fordert der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Europischen Parlaments, Michael Cramer, daher, dass die Wiederherstellung der durch

    (6) EK-Special 120 Grenzverkehre (2016), S.87

    VON JULIAN NOLTE

    Zu den zahlreichen grenzberschreitenden Bahnstrecken, deren Verkehr zu Zeiten eingestellt wurde, als Grenzen vielerorts eine noch viel strkere Trennwirkung entfalteten als heutzutage aufgrund der europapolitischen Errungenschaften, gehrt auch die Strecke von Kleve ins nieder-lndische Nijmegen (Nimwegen). Somit steht der Klever Prellbock symbolisch fr die im europi-schen Eisenbahnraum kla$enden Netzlcken, die fr einen internationalen Regionalverkehr auf der Schiene geschlossen werden mssen. Foto (23.03.11): Ralf Daute/kleveblog

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    BahnPolitik

    6 Bahn-Report 2/2016

    Kriegs- und Nachkriegszeit gerissenen Lcken oberste Prioritt erhlt (7). Das von Cramer initi-ierte Projekt Die Lcke muss weg zeigt 15 klei-nere grenzberschreitende Bahnverbindungen in Europa, die derzeit noch ihrer Reaktivierung harren (8).

    Ein Raumkonzeptohne Raumbezug

    Es verwundert, dass gerade dem Konzept eines Eisenbahnraums bislang eine konkret-rumliche, mit Manahmen gefllte Komponente zur Netz-entwicklung fehlt. Denn auch wenn der europ-ische Eisenbahnraum grundstzlich derselben, (binnen)grenzenlosen Logik wie der Schen-gen-Raum, die Euro-Zone oder der gemeinsame Binnenmarkt folgt, so ist ein Unterschied doch

    (7) EK-Special 120 Grenzverkehre (2016), S.2

    (8) siehe dazu http://www.michael-cramer.eu/publikationen/

    missing-links/ (letzter Zugri" am 12.02.16)

    deutlich hervorzuheben: Schienenverkehr ist nicht derart volatil wie es Personen und Produkte oder Gelder und Gter sind. Es besteht fr Zge keine Wahlfreiheit, wie Grenzen berschritten werden soll Eisenbahnen sind im internationa-len Verkehr auf grenzberschreitende Schienen-wege angewiesen.Fehlt eine internationale Bahnstrecke, so %ndet der grenzberschreitende Verkehr der Brger, die im Schengen-Raum reisen, oder der Waren, die auf dem europischen Binnenmarkt ausge-tauscht werden, mit anderen Verkehrsmitteln statt hchstwahrscheinlich auf dem, auch grenzberschreitend, wesentlich engmaschige-ren Straennetz. Als weitere Konsequenz bedeu-tet das: Ein Eisenbahnraum kann sich nur dort entfalten, wo auch Gleise liegen. Das Wrtchen wo im vorherigen Satz unterstreicht die Not-wendigkeit einer verstrkt rumlichen Betrach-tung in Bezug auf die Entwicklung der europi-schen Eisenbahnen.

    Freilich sind rumliche Ideen europischen Konzepten keinesfalls fremd (Stichworte Koh-sion und Konvergenz). Im Bereich der Infrastruk-turen wird die internationale Raumentwicklung beispielsweise durch die Transeuropischen Net-ze von der EU gefrdert. Auch fr die grenzber-schreitende Zusammenarbeit kleinrumiger Ent-wicklungen existieren Programme und Projekte. Dennoch bleibt au$llig, dass ausgerechnet das Konzept eines Eisenbahnraums keine rumlichen Entwicklungsziele aufzeigt.

    Grenzen des TarifwesensDurch Grenzen bedingte Hemmnisse im europi-schen Eisenbahnraum haben weitere Grnde, die nicht ausschlielich durch technisch-betriebliche Interoperabilitt berwunden knnen. Neben den zuvor beschriebenen rumlich-infrastruktu-rellen Konsequenzen von Grenzen steht ebenso die internationale Tari%erung oftmals einer einfa-chen Nutzung des Schienenverkehrs entgegen. Zwar freut sich wohl jeder Reisende, wenn er einen Sparpreis fr 29EUR zur Fahrt von Deutsch-land nach Ungarn erwerben kann. Der Regelpreis ist das jedoch nicht und gnstige Angebote sind auf verschiedenen Vertriebswegen nicht immer gleichermaen verfgbar. Dabei sind derartige Angebotsunterschiede nicht einmal notwendi-gerweise auf die zunehmende Anzahl von Ak-teuren in der Schienenverkehrsbranche zurckzu-fhren. Selbst innerhalb der DB-Vertriebssysteme (personenbedienter Verkauf, Automat, Internet) existieren, gerade bei internationalen Relationen, nicht dieselben Buchungsmglichkeiten.

    Gibt es keine Sonderangebote, ist es nicht sel-ten der Grenzabschnitt, der den Fahrpreis in die Hhe treibt. So kostet beispielsweise die viermi-ntige Fahrt vom deutschen Grenzort Igel ins lu-xemburgische Wasserbillig ohne weiteren Rabatt 4,70 EUR. Zum Vergleich: Fr bereits 4 EUR gibt es eine PNV-Tagesnetzkarte fr beliebig viele Fahr-ten in ganz Luxemburg, die jedoch nicht ab bzw. zu den Grenzpunkten gilt. Wichtig fr einen kon-kurrenzfhigen internationalen Bahnverkehr sind aber nicht zuletzt auch grenzberschreitende Ab-stimmungen ber ein attraktives Angebot (9), ins-besondere im Bereich der Tarife. Mit schlechtem Beispiel vorangegangen sind die BB, die Ende 2015 das beliebte EURegio-Ticket fr Fahrten von sterreich nach Tschechien und nach Un-garn abgescha$t haben.

    Neben den rumlichen Lcken im Netz sind somit auch vielerorts fehlende attraktive grenz-berschreitende Angebote ein weiteres gegen-wrtiges Kennzeichen des europischen Eisen-bahnraumes.

    Mit diesen Ergebnissen will der Beitrag noch einmal die Bedeutung von Grenzen vergegen-wrtigen. Er soll dabei zugleich eine Mahnung an diejenigen sein, die sich fr eine strkere Abschot-tung an den nationalen Grenzen aussprechen: Grenzziehungen waren im Regelfall schnell in die Geschichtsbcher geschrieben. Auswirkungen von Grenzen zu berwinden bedarf, nicht nur wie hier an Beispielen des europischen Eisenbahn-raums gezeigt, leider meist wesentlich lnger.

    (9) Zuweilen ist die Abstimmung an Zustndigkeitsgrenzen

    allerdings selbst innerhalb der Nationalstaaten ein Problem;

    vgl. z.B. Bahn-Report 3/2010, S. 4-5 (Endstation: Aufgaben-

    trgergrenze)

    Moderne E-Loks mit ETCS fr grenzberschreitende Einstze, wie hier 185121 der DB, versinnbildli-chen den hinter dem europischen Eisenbahnraum stehenden Gedanken der Interoperabilitt. Die Migration neuer Techniken verluft allerdings nicht immer reibungslos, wie die aktuellen Probleme der DB-Baureihe 185 beim Einsatz in der Schweiz zeigen (siehe dazu auch S.25). Ebenjene 185121 wartete am 21.09.15 im Grenzbahnhof BuchsSG mit dem Zug45708 aus dem sterreichischen Hall in Tirol auf die Abfahrt zum Rangierbahnhof Limmattal bei Zrich. Foto: Remo Hardegger

    Ein Gterzug aus dem kroatischen akovec war am 21.05.09 im slowenischen Lendava, das auf Schienen nur ber Kroatien zu erreichen ist, angekommen. Auf dem Weg dorthin pas-sierte er damals noch die EU-Auengrenze, so dass in Lendava nicht nur der Bahnhofsvor-stand und ein Rangierer, sondern auch ein Grenzpolizist zur Ausweiskontrolle des Lok-personals (!) warteten. Nach dem EU-Betritt Kroatiens wurde Ende 2014 der Personen-

    verkehr nach Lendava reaktiviert. Ein Lckenschluss in das ungarische Rdics lsst allerdings weiterhin auf sich warten. Foto: Oliver Heckmann