Was soll ich den Angehörigen raten?

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22 MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.) MMW-ONLINE-SPRECHSTUNDE Kompetente Antworten innerhalb von 48 Stunden Unseren Lesern steht ein neuer Online-Service zur Verfügung: Unter www.springermedizin.de/mmw-sprechstunde erhalten Sie Rat in kniffligen Fällen. Unsere Experten, Prof. H. S. Füeßl und Dr. med. P. Stiefelhagen, beantworten – meist innerhalb von 48 Stunden – medizinische Fragen, die sich in Ihrem Praxisalltag ergeben. Dr. med. P. Stiefelhagen Westerwald-Klinik Hachenburg Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Isar-Amper-Klinikum, München-Ost, Haar PEG-Sonde bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz Was soll ich den Angehörigen raten? Frage von Dr. R.: Mich würde Ihre Meinung zur Indikation einer PEG-Sonde im Rahmen der Betreu- ung geriatrischer Patienten interessieren (Lebensqualität, Lebenserwartung etc.). Bei der Beratung ratloser Angehöriger von Patienten mit fortgeschrittener Demenz und fehlender Patientenverfügung ist man da gelegentlich selbst unsicher. MMW-Experte Prof. Füeßl: Ältere Patienten mit fortgeschrittener De- menz stellen insgesamt ein kritisches und schwieriges Indikationsgebiet für den Ein- satz künstlicher Ernährungsmaßnahmen dar. Mit dem Aufkommen der technisch einfachen PEG und unter dem Argument, dass eine ausreichende Ernährung ein un- abdingbares Menschenrecht sei, wurde die- se Maßnahme bei sehr vielen Patienten mit Demenz eingesetzt. Mittlerweile gibt es jedoch eine Vielzahl von systematischen Untersuchungen, die über- einstimmend zeigen, dass ältere demenz- kranke Patienten nicht von einer künstlichen Ernährung profitieren. Diese Aussage gilt für Lebensverlängerung, Lebensqualität, Vermeidung von Aspirationen, Vermeidung von Dekubitus und weiteren klinischen Pa- rametern. Die letzte statistische Erhebung stammt aus dem Jahr 2007. Zu dieser Zeit erfolgten in Deutschland jährlich ca. 160 000 PEG-Anla- gen, davon in etwa einem Drittel bei fort- geschrittenen Demenzpatienten. Neuere Daten liegen nicht vor, doch habe ich auf- grund meiner Erfahrung mit einer großen gerontopsychiatrischen Klinik, für die ich Endoskopien durchführe, den Eindruck, dass in den letzten Jahren ein radikales Umden- ken eingesetzt hat. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bei insgesamt 260 Betten der gerontopsychiatrischen Klinik habe ich zwi- schen 1995 und 2005 pro Jahr etwa 100 PEG- Anlagen vorgenommen. In den letzten drei Jahren waren es zusammen maximal zehn. Es ist nicht leicht und erfordert vom behan- delnden Arzt einfühlsame Kommunikation und umfangreiche Erklärungen, um diese Erkenntnisse den Angehörigen zu vermit- teln. Leider wird auch von Pflegeheimen gelegentlich immer noch ein gewisser Druck ausgeübt und die Anlage einer PEG aus pfle- gerischen Gründen oder – hinter vorgehal- tener Hand –, aus Personalmangel gefordert. Multimorbide, hochbetagte und schwer de- menzkranke Patienten stellen in aller Regel keine Indikation für die Anlage einer PEG dar. Schon die Begründerin der Palliativme- dizin, Cicely Saunders, sagte: „Die Patienten sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil sie sterben.“ MMW-Experte Dr. Stiefelhagen: Die Ethik der PEG-Sonde ist ein schwieriges und auch kontrovers diskutiertes Thema. Fakt ist, dass es bisher keine Studienergeb- nisse gibt, die belegen, dass eine PEG-Sonde bei schwer dementen Patienten Komplika- tionen wie Pneumonie oder Dekubitus ver- hindern kann oder das Leben verlängert. Das sollten wir auch Angehörigen oder Pfle- gekräften, die bei solchen Patienten eine PEG-Sonde verlangen, darlegen, was sicher- lich nicht immer einfach ist, vor allem wenn sie von irgendjemanden mit der unsinnigen Frage konfrontiert wurden, ob sie denn den Patienten verhungern oder verdursten las- sen wollen. Schwer demente Patienten verspüren im Allgemeinen kein Hunger- oder Durstgefühl mehr. Wichtiger als eine PEG-Sonde ist das regelmäßige Anfeuchten der Mundschleim- haut. Dazu kommt, dass die Anlage einer PEG-Sonde auch mit Komplikationen ein- hergehen kann. Ich habe im letzten Jahr drei Patienten erlebt, bei denen die PEG-Sonde bei fehlerhafter Pflege in die Magenwand eingewachsen war. Sinnvoll und notwendig dagegen ist eine PEG-Sonde bei Patienten, die Schluckprobleme haben, aber ger- ne etwas essen oder trinken möchten, z. B. bei Patienten nach Schlaganfall.

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22 MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.)

MMW-ONLINE-SPRECHSTUNDE

Kompetente Antworten innerhalb von 48 Stunden

Unseren Lesern steht ein neuer Online-Service zur Verfügung: Unter www.springermedizin.de/mmw-sprechstunde erhalten Sie Rat in kniffligen Fällen. Unsere Experten, Prof. H. S. Füeßl und Dr. med. P. Stiefelhagen, beantworten – meist innerhalb von 48 Stunden – medizinische Fragen, die sich in Ihrem Praxisalltag ergeben.

Dr. med. P. Stiefelhagen

Westerwald-Klinik Hachenburg

Prof. Dr. med. H. S. FüeßlIsar-Amper-Klinikum, München-Ost, Haar

PEG-Sonde bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz

Was soll ich den Angehörigen raten?Frage von Dr. R.:Mich würde Ihre Meinung zur Indikation einer PEG-Sonde im Rahmen der Betreu-ung geriatrischer Patienten interessieren (Lebensqualität, Lebenserwartung etc.). Bei der Beratung ratloser Angehöriger von Patienten mit fortgeschrittener Demenz und fehlender Patientenverfügung ist man da gelegentlich selbst unsicher.

MMW-Experte Prof. Füeßl:Ältere Patienten mit fortgeschrittener De-menz stellen insgesamt ein kritisches und schwieriges Indikationsgebiet für den Ein-satz künstlicher Ernährungsmaßnahmen dar. Mit dem Aufkommen der technisch einfachen PEG und unter dem Argument, dass eine ausreichende Ernährung ein un-abdingbares Menschenrecht sei, wurde die-se Maßnahme bei sehr vielen Patienten mit Demenz eingesetzt. Mittlerweile gibt es jedoch eine Vielzahl von systematischen Untersuchungen, die über-einstimmend zeigen, dass ältere demenz-kranke Patienten nicht von einer künstlichen Ernährung profitieren. Diese Aussage gilt für Lebensverlängerung, Lebensqualität, Vermeidung von Aspirationen, Vermeidung von Dekubitus und weiteren klinischen Pa-rametern. Die letzte statistische Erhebung stammt aus dem Jahr 2007. Zu dieser Zeit erfolgten in Deutschland jährlich ca. 160 000 PEG-Anla-gen, davon in etwa einem Drittel bei fort-geschrittenen Demenzpatienten. Neuere Daten liegen nicht vor, doch habe ich auf-

grund meiner Erfahrung mit einer großen gerontopsychiatrischen Klinik, für die ich Endoskopien durchführe, den Eindruck, dass in den letzten Jahren ein radikales Umden-ken eingesetzt hat. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bei insgesamt 260 Betten der gerontopsychiatrischen Klinik habe ich zwi-schen 1995 und 2005 pro Jahr etwa 100 PEG-Anlagen vorgenommen. In den letzten drei Jahren waren es zusammen maximal zehn. Es ist nicht leicht und erfordert vom behan-delnden Arzt einfühlsame Kommunikation und umfangreiche Erklärungen, um diese Erkenntnisse den Angehörigen zu vermit-teln. Leider wird auch von Pflegeheimen gelegentlich immer noch ein gewisser Druck ausgeübt und die Anlage einer PEG aus pfle-gerischen Gründen oder – hinter vorgehal-tener Hand –, aus Personalmangel gefordert. Multimorbide, hochbetagte und schwer de-menzkranke Patienten stellen in aller Regel keine Indikation für die Anlage einer PEG dar. Schon die Begründerin der Palliativme-dizin, Cicely Saunders, sagte: „Die Patienten sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil sie sterben.“

MMW-Experte Dr. Stiefelhagen: Die Ethik der PEG-Sonde ist ein schwieriges und auch kontrovers diskutiertes Thema. Fakt ist, dass es bisher keine Studienergeb-nisse gibt, die belegen, dass eine PEG-Sonde bei schwer dementen Patienten Komplika-tionen wie Pneumonie oder Dekubitus ver-hindern kann oder das Leben verlängert. Das sollten wir auch Angehörigen oder Pfle-

gekräften, die bei solchen Patienten eine PEG-Sonde verlangen, darlegen, was sicher-lich nicht immer einfach ist, vor allem wenn sie von irgendjemanden mit der unsinnigen Frage konfrontiert wurden, ob sie denn den Patienten verhungern oder verdursten las-sen wollen. Schwer demente Patienten verspüren im Allgemeinen kein Hunger- oder Durstgefühl mehr. Wichtiger als eine PEG-Sonde ist das regelmäßige Anfeuchten der Mundschleim-haut. Dazu kommt, dass die Anlage einer PEG-Sonde auch mit Komplikationen ein-hergehen kann. Ich habe im letzten Jahr drei Patienten erlebt, bei denen die PEG-Sonde bei fehlerhafter Pflege in die Magenwand eingewachsen war. Sinnvoll und notwendig dagegen ist eine PEG-Sonde bei Patienten, die Schluckprobleme haben, aber ger-ne etwas essen oder trinken möchten, z. B. bei Patienten nach Schlaganfall.