Was versprechen die »neuen« Medien - und was bringen sie ...

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Neue Medien – Vortrag von Harald Kraemer Tertianum Stiftung © [email protected] / 29. Mai 2010 / S. 1 / 15 Was versprechen die »neuen« Medien - und was bringen sie wirklich? Vortrag von Harald Kraemer am 29. Mai 2010 anlässlich der Tagung Bildung und Lernen in der 2. Lebenshälfte Tertianum Stiftung, Zürich Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Prof. Bachmaier, ich bedanke mich sehr für die Einladung und Möglichkeit, heute zu Ihnen allen sprechen zu dürfen und freue mich, dass Sie bis nun ausgeharrt haben. Ich möchte diesem Vortrag, der den Titel trägt Was versprechen die »neuen« Medien und was bringen sie wirklich? eine kleine Erkenntnis des französischen Malers Eugène Delacroix vorausschicken. Als der 58jährige Eugène Delacroix im Sommer des Jahres 1856 die erste Eisen- bahnfahrt seines Lebens unternahm, schrieb er als unmittelbaren Eindruck nieder: » Sehen bedeutet nichts mehr. Man kommt an, um abzureisen. « Wie wir im Folgenden sehen werden, hat auch anderthalb Jahrhunderte später dieser Eindruck nichts von seiner Brisanz verloren. Mitte der 1990er Jahre wurde Multimedia in den Kulturwissenschaften und Museen als die große Chance betrachtet, » nicht nur Daten und Informationen, sondern ganze Wissensstrukturen zu verarbeiten und dadurch den Wert der vorgegebenen Informationen zu steigernAls Beispiel für die euphorische Literatur jener Epoche des multimedialen Neolithikums sei hier die Publikation Kulturwissenschaften und Neue Medien von

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Neue Medien – Vortrag von Harald KraemerTertianum Stiftung

© [email protected] / 29. Mai 2010 / S. 1 / 15

Was versprechen die »neuen« Medien -

und was bringen sie wirklich?

Vortrag von Harald Kraemer

am 29. Mai 2010 anlässlich der Tagung

Bildung und Lernen in der 2. Lebenshälfte

Tertianum Stiftung, Zürich

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Prof. Bachmaier,

ich bedanke mich sehr für die Einladung und Möglichkeit, heute zu Ihnen allen

sprechen zu dürfen und freue mich, dass Sie bis nun ausgeharrt haben.

Ich möchte diesem Vortrag, der den Titel trägt Was versprechen die »neuen«

Medien und was bringen sie wirklich? eine kleine Erkenntnis des französischen

Malers Eugène Delacroix vorausschicken.

Als der 58jährige Eugène Delacroix im Sommer des Jahres 1856 die erste Eisen-

bahnfahrt seines Lebens unternahm, schrieb er als unmittelbaren Eindruck nieder:

» Sehen bedeutet nichts mehr. Man kommt an, um abzureisen. «

Wie wir im Folgenden sehen werden, hat auch anderthalb Jahrhunderte später

dieser Eindruck nichts von seiner Brisanz verloren.

Mitte der 1990er Jahre wurde Multimedia in den Kulturwissenschaften und Museen

als die große Chance betrachtet, 

» nicht nur Daten und Informationen, sondern ganze Wissensstrukturen

zu verarbeiten und dadurch den Wert der vorgegebenen Informationen zu

steigern. «

Als Beispiel für die euphorische Literatur jener Epoche des multimedialen

Neolithikums sei hier die Publikation Kulturwissenschaften und Neue Medien von

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Norbert Gabriel aus dem Jahre 1997 genannt.

Eine der damaligen Vorstellungen lautete, dass Multimedia

» zunächst alle verfügbaren Informationselemente aus ihrem Kontext

herauslösen und dann Verknüpfungsschemata bieten, mit deren Hilfe

jeder Benutzer die Informationseinheiten neu kombinieren kann. «

Amüsant aus heutiger Sicht sind insbesondere die drei Worte

» alle «, » jeder « und » neu «.

Etwas Multimediales, das all diese Ansprüche befriedigt, könnte ein wenig

aussehen, wie die rotierenden Objekte des amerikanischen Künstlers John Beech.

John Beech, Rotating Painting, 2009

Doch recht bald wurde deutlich, dass die Gestaltung und Vermittlung von Wissen

mittels Multimedia auf eine Paradoxie stösst.

Olafur Eliasson, Ventilator, 1997

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Die Komplexität vernetzter Inhalte steht in einem gewissen Widerspruch

- zur Hierarchisierung datenbankgestützter Informationen,

- zur kostengünstigen Produktion von virtuellen Rekonstruktionen und

- zu einer gelungenen Navigation, die unterschiedliche Benutzer wie

Fachexperten und Schulkinder gleichermassen ansprechen soll.

Die grosse Frage von damals ist die grosse Herausforderungen von heute:

Lässt sich Komplexität unseres Denkens überhaupt abbilden mittels den

Möglichkeiten, welche die Multimediatechnologie bietet?

Das grosse Schlagwort damals aber hiess

Interaktivität.

Und um Ihnen zu zeigen, was Interaktivität bedeutet, wollen wir ein kleines

Experiment durchführen. Hierfür benötige ich unbedingt die Mithilfe eines

Freiwilligen. Und da kommt mir kein besserer in den Sinn als Sie, geschätzter Herr

Professor Bachmaier.

Dieter Kiessling, Continue, 1997

Im Rahmen der Reihe artintact des Zentrums für Kunst- und Medientechnologie

wurde 1997 dieses interaktive Drama als CD-ROM herausgegeben. Wie wir

gesehen haben, versetzt Dieter Kiesslings subtiles Binärstück »Continue« den

Benutzer in eine herkulaneische Scheidewegsituation, indem der Künstler den

Benutzer zwischen »quit« und »continue« wählen läßt.

Die Wahl von »continue« zieht die Verdoppelung der vorgegebenen Befehle nach

sich, so daß dem Logarithmussystem der Weizenkornlegende folgend nach einer

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Weile der Bildschirm mit mikroskopisch kleinen Befehlsfeldern gefüllt ist, die

keine gezielte Vorgabe, sondern nur mehr Zufallstreffer erlauben und somit die

Befehle ad absurdum führen.

Peter Land, (Interactive Game), 2003

Die Freiheit der interaktiven Auswahl kehrt sich ab einem gewissen Zeitpunkt

gegen den Benutzer. Willentliche Entscheidungen werden durch den Moment des

Zufalls aufgehoben. Das Programm nimmt dem Benutzer die Entscheidung ab. Die

Interaktivität wird zufällig und somit hinfällig. Das Bewußtwerden dieser

Ohnmacht angesichts der durch das Programm vorgegebenen Entweder-Oder-

Möglichkeit führt zu einem Erkennen der wahren Grenzen des Benutzers innerhalb

sogenannter interaktiver Systeme.

Nachdem ich Ihnen nun – dank wagemutiger Unterstützung von Prof. Bachmaier – die

Begrenztheit interaktiver Systeme vorgeführt habe, wollen wir nun auf die Chancen

und Möglichkeiten zu sprechen kommen, die Multimedia im kulturellen Bereich

wirklich bereithält.

So gab es Ende der 1990er Jahre eine Phase der Ernüchterung und des Umdenkens.

Man verabschiedete sich von der Wunschvorstellung, die Komplexität vernetzter

Informationen nicht nur darstellen, sondern auch noch vermitteln zu können und

konzentrierte sich auf das, was Museen schon immer gut konnten:

Geschichten erzählen.

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Hier sehen Sie eine kleine Auswahl von Multimedia Anwendungn mit

unterschiedlichsten Themen, die ich Ihnen ja gerne alle vorgeführt hätte.

Mein derzeitiges Forschungsprojekt

» Hypermedia Communication Design & Museum «

beschäftigt sich mit der Analyse dieser Relikte und ich dokumentiere dies in Buchform.

Einige dieser herrlichen Dinge können schon nicht mehr angesehen werden, da die

Computertechnologie sich stetig wandelt.

Nehmen wir aus der Fülle von Themen einfach zwei Beispiele heraus.

Ich wähle diese Beispiele aus zwei Gründen. Erstens haben sie einen Bezug zur

Schweiz und speziell zu Zürich bzw, dem Kanton Zürich und zweitens hatte ich das

Vergnügen bei diesen Projekten mitwirken zu dürfen, so dass ich, falls Sie Fragen zu

den Projekten haben, diese nachher auch beantworten kann.

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1. Virtueller Transfer Musée Suisse

Seit 2003 erzählt beispielsweise der Virtueller Transfer Musée Suisse seine interaktiven

Geschichten in fünf Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch,

Englisch) zu rund 600 Sammlungsobjekten aus den 8 Museen der Musée Suisse

Gruppe im Internet. Die Adresse lautet: http://www.virtualtransfer.com

Der Virtuelle Transfer Musée Suisse wurde damals als Konzeption eines künftigen

integrativen Neuen Landesmuseums entwickelt; aber keine Sorge ich werde nun keine

Rede für oder gegen den Erweiterungsbau halten und mich hüten, mich in diese

Diskussion einzumischen. Ich möchte Sie aber dennoch über das damalige Projekt

Virtueller Transfer Musée Suisse informieren, weil es in Museumskreisen weltweit als

vorbildlich für das Erzählen interaktiver Geschichten gilt.

Der Virtuelle Transfer ist keine digitale Sammlung, kein Portal und auch kein virtuelles

Museum, sondern war als eine Art Online Agentur zur direkten Kommunikation mit

den Internet-BesucherInnen und BenutzerInnen gedacht.

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Im Mittelpunkt steht die Wiederentdeckung von Charme und Charisma der

Sammlungsobjekte und ihrer Geschichten, die es online zu erforschen gilt.

Eine kulturgeschichtliche Sammlung ist zugleich Panoptikum und Paradies, Panorama

und Prisma.

So treffen sich Mohrenautomaten, Palmesel, neolithische Gefässe, Postkutschen,

Einhörner, Ritter und Madonnen, Hans Erni, Friedrich Dürrenmatt und Mark Twain zu

einem interaktiven StellDichein im WWW.

Hier eine Auflistung aller Geschichten, die es im Virtuellen Transfer Musée Suisse auf

http://www.virtualtransfer.com zu entdecken gibt:

Wunderkammer

Madonna von Chur, 12. Jh.

Kachelofen aus dem Alten Seidenhof, Zürich, 1620

Langobardisches Folienkreuz, Stabio TI, um 600

Postkutsche, um 1850

Sargtuch, Graubünden, 18. Jh.

Gynäkomorphes Gefäss, Neolithikum

Merkur von Thalwil,

Palmesel, Steinen, Kanton Schwyz, um 1020

Anton Sohn, Wirtshausszene, um 1830-1840

Mohrenautomat, Augsburg, 1646

Anekdoten

Friedrich Dürrenmatt: Herkules / Stall des Augias

Mark Twain: Die Rigi-Besteigung

Franz Hohler: Defekte Geräte

Leo Tuor: G‘Latun (Herbst)

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Zeitzeugen

Trottinett: Pioniere der Mikromobilität

Mauritius Ehrlich: Das Notzimmer, 1945

Rudolf von Ringoltingen: Memento Mori

Namenlose Arbeiter / Kinderarbeit gestern - heute

Frau Oberst Engel - die Amazone Napoleons

Bilderalbum

Drachen, Nixen und andere seltsame Wesen

Ungewöhnliche Gefässe

Chain Reaction - Zeitgenössiche Schmuckstücke

Kombinationen

Assoziationen zu Text und Bildern

Lernkurs / Quiz

Ritterturnier / Ideal und Wirklichkeit

Stilkunde: Historismus

Projekte

Alpine Szenarien

Hans Erni: Landibild, 1939

In der Folge möchte ich Ihnen kurz einige hiervon vorstellen:

Das Notzimmer von Mauritius Ehrlich

Mauritius Ehrlich, Sozialdemokrat jüdischen Glaubens, floh nach der

Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre 1938 von Wien in die

Schweiz und gelangte dann nach Zürich. 1944 entwarf er sein ‚Notzimmer’, eine

Garnitur aus Möbeln und Geschirr für eine vierköpfige Familie, und schenkte es

der Schweiz. Die Firma AERMO, durch Ehrlich und einen Schweizer Kompagnon

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gegründet, stellte in den folgenden Jahren hiervon über 30.000 Stück her. Das

Modell des Notzimmers befindet sich im Schweizerischen Landesmuseum.

Das Langobardische Folienkreuz aus Stabio

Das Langobardische Folienkreuz aus Stabio (TI) war auf dem Totenhemd eines

Bestatteten aufgenäht und beinhaltet neben der Kreuzform auch keltische

Ornamente und vier Adler, die vermutlich als Symbol für den römischen Gott

Jupiter stehen. Das Kreuz wird auf ungefähr 600 Jahre nach Christi datiert;

entstammt also einer Zeit in der das Christentum als Staatsreligion noch recht jung

war. In einem kurzen Film spricht eine männliche Person (dargestellt von Hans

Peter Treichler) mit sich selbst und stellt sich die Frage:

Der Skeptiker: »Wer weiss schon, was uns im Jenseits erwartet? Werde ich den

Göttern meiner Väter begegnen oder diesem neuen Christengott?«

Der Gottesfürchtige: »Keiner vermag dies mit Gewissheit zu sagen.«

Der Skeptiker: »Was also bleibt zu tun?«

Der Gottesfürchtige: »Das Vergehende ehren – das Kommende begrüssen.«

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Der Skeptiker: »Vielleicht sollte ich die Form des Kreuzes wählen, um am Tage des

Jüngsten Gerichtes erkannt zu werden und dieses mit den Ornamenten meiner

Väter schmücken?«

Der Gottesfürchtige: »So ist man sicher. ... Doch reicht eigentlich ein Leben

aus, um die Wahrheit Gottes zu erfassen?«

2. Museum Schloss Kyburg

Nach diesem Ausflug ins Virtuelle möchte ich Ihnen allen als zweite Anregung einen

Besuch auf Museum Schloss Kyburg schmackhaft machen.

Bereits ein halbes Jahr nachdem die Ausstellungsräume des unweit der Stadt

Winterthur gelegenen Museums Schloss Kyburg im Jahre 2002 neu gestaltet waren,

stellten sich die Verantwortlichen die Frage:

Wie kann das Instrumentarium der Multimedia das Vermittlungs-

angebot der bestehenden Ausstellung optimal unterstützen und

erweitern?

Unter dem Motto Lustvolle, tragische und lehrreiche Geschichten erzählt von

Bewohnern und Gästen der Kyburg werden die in der Ausstellung vorhandenen

historischen Persönlichkeiten als Erzähler und Zeugen ihrer Epoche eingebunden.

Hierbei wurde besonders auf Quellennähe und Bezüge zum historischen Geschehen

geachtet.

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Wie kam eigentlich der Landvogt Johann Jakob Leu im 18. Jahrhundert an

sein Wissen, um das 16-bändige Allgemeine Helvetische Lexikon zu schreiben?

In der fiktiven Fernsehsendung Wissen ohne Grenzen fordert Moderator Dr. Gugel den

Landvogt zu einem Wettkampf besonderer Art heraus, in dessen Folge die zwei

Wissenssysteme, Lexikon und Suchmaschine, gegeneinander antreten.

Johann Jakob Leu im

Gespräch mit Dr. Gugel

Im ehemaligen Arbeitszimmer des Landvogts installiert, greift diese Medienstation

eine, spätestens seit der PISA-Studie, brisante Thematik auf:

Inwieweit benötigen Schüler und Studierende heutzutage angesichts des im

Internet abrufbaren Wissens noch eine klassische Bildung?

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An den Beispielen der Begriffe Minerva, Kartoffel und Geburtshelferkröte werden

Recherche der Fakten und deren Auswertungsergebnisse, also Methoden der Analyse

und Genese simuliert.

Recherche nach dem Begriff Minerva

Links: Johann Jakob Leu

Rechts: Dr. Gugel

Und spätestens, wenn in der zweiten Folge der Fernsehsendung die Resultate

präsentiert werden, wird im abschliessenden Zwiegespräch zwischen Johann Jakob Leu

und Dr. Gugel ersichtlich, dass beide Systeme ihre Vorteile und ihre Nachteile haben.

Johann Jakob Leu:

„Fakten verwalten ist eine Sache, aber neues Wissen daraus gewinnen ist eine

ganz andere. Dafür braucht es schon etwas mehr. Wissen muss nicht nur

verwaltet werden, sondern Wissen muss gelebt werden.“

Woraufhin Dr. Gugel entgegnet:

„Heutzutage muss man nicht mehr alles wissen; es reicht, wenn man weiss,

wie man an die Informationen rankommt, denn diese sind immer verfügbar.“

Fazit und Ausblick

Transparenz, Mobilität und dialogische Kommunikation werden zu den wesentlichen

Kennzeichen einer Vermittlung, die auf Bedürfnisse ihrer Besucher und Benutzer

reagiert, Strategien einer aktiven Wahrnehmbarkeit von Kunst und Wissen entwickelt;

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also mitwirkt und agiert.

Statt nüchterner Besucher-Information scheint eher anregende Benutzer-Inspiration

gefragt, denn, wie Forschungsergebnisse der Psychologie und Neurologie mittlerweile

bestätigen, führt nur die Verknüpfung eines Erlebnisses mit einem Sujet, einem Ding

oder eben einem Objekt zu einer langfristigen Speicherung in unserem Gedächtnis.

Multimediale Kommunikation im Museum sollte anregen, Impulse geben und den

Besucher zur Beschäftigung mit dem Artefakt und der Geschichte, die es erzählt,

hinführen. Doch um wahrzunehmen, so Ernst Cassirer, bedarf der Mensch der

» Zwischenschaltung künstlicher Medien. «

Oder mit den Worten des Bochumer Soziologen Heiner Treinen ausgedrückt:

» Ohne mediale Unterstützung bleiben Ausstellungsobjekte

generell im geistigen Dunkel. «

So kommt der musealen Königsdisziplin der Vermittlung als tragende Strategie der

Generierung von Wissen eine zunehmend wichtigere Stellung zu. Die großen Chancen

und Möglichkeiten, welche die Multimedia-Technologie mit all ihren Maßnahmen

hierbei bietet, liegen in der Verschmelzung unterschiedlicher Kommunikationsmedien

und Wahrnehmungsträger.

Doch stellen sich angesichts der zunehmenden Multimedialisierung unserer Museen

zahlreiche Fragen:

Wie stark muss sich ein Besucher bei seinem Museumsbesuch

von der Technik mittlerweile vereinnahmen lassen?

Jean Tinguely

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Sind die durch Medien gegebenen Informationen eigentlich glaubwürdig?

Rebecca Horn

Wie steht es eigentlich mit der Aura des Sammlungsobjektes angesichts all der

digitalen Reproduktionen?

Anthony Rousseau

Museen unserer Zeit und auch der Zukunft sind herausgefordert, zu diesen Fragen

Stellung zu beziehen, wollen sie nicht von der technologischen Entwicklung

mitgerissen werden oder diese gar ignorieren.

Gegenüber der freien Seherfahrung, der Betrachtung eines originalen

Sammlungsobjektes, muss der Computer als eine wahrnehmungsreduzierende

Behinderung bezeichnet werden.

Hans Haacke, Blue Sail, 1964/65

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Die Aura lässt sich nicht reproduzieren; die reale Präsenz des Kunstwerkes ist

unumgänglich. Und dennoch können die im Vermittlungsbereich eingesetzten Medien

stark zum Erkennen der inhaltlichen Aussagen beitragen. Indem sie sich informativer,

narrativer, ludischer, explorativer und edukativer Strategien der Vermittlung bedienen.

Sammlungsobjekte erzählen Geschichten und diese wollen erzählt sein.

Angesichts dieser Entwicklungen sollte nicht unerwähnt bleiben, dass unsere kulturelle

Vergangenheit unsere Zukunft unentwegt mitgestaltet und dass Museen nicht nur als

Hüter und Torwächter zu verstehen sind, sondern immer stärker zu Impulsgebern und

interaktiv multimedialen Sendern transformieren, wenn sie auch künftig als die

wesentlichen Vermittler der Grundwerte unserer Gesellschaft gelten dürfen. So liegt es

letztendlich auch an uns Besuchern, egal welchen Alters und egal welcher fachlicher

Qualifikation, die Qualität des Einsatzes multimedialer Wissensvermittlung

mitzubestimmen, denn, wie es heisst es bei Johann Wolfgang von Goethe so überaus

treffend:

» Das Jahrhundert schreitet voran, doch jeder fängt von vorne an. «

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Die CD-ROM zum Virtueller Transfer Musée Suisse erhalten Sie im Shop des

Schweizerischen Landesmuseums, die CD-ROM zur Kyburg auf Museum Schloss

Kyburg.

Falls Sie Fragen haben, bitte kontaktieren Sie mich:

[email protected]