Wasserkraft - THINK ING. kompakt - Ausg. 9/10

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Ausgabe 9 | 2010 »» I N T R O Hinein ins Nass „Steter Tropfen höhlt den Stein“, heißt es ja so schön im Volks- mund. Der alte Spruch verdeutlicht zwei Eigenschaften des Wassers ganz besonders: Zum einen den ewigen, sich selbst erneuernden Kreislauf des irdischen H 2 O- Systems und zum anderen die ungeheure Kraft, die das flüssige Element mit sich bringt. Denkt man an die gigantischen Dimensionen, in denen Wasser innerhalb der Erdatmosphäre als aufsteigender Wasserdampf und niedergehender Regen zirkuliert, wird einem dieser perfekte Träger dauerhaft nutz- barer Energie mehr als deutlich. Wasserkraftwerke schalten sich genau in diesen Kreislauf ein und gewinnen auf schadstoff- freie Weise Energie. Möglich wird die Nutzung der Wasserkraft durch Höhendifferenz, denn jeder noch so kleine Bach will irgendwann zum Meer. Alles abfließende Wasser enthält dabei zwei Formen von Energie, die sich nutzen lassen: Im Fließen steckt kinetische Energie, im Hinunterdonnern aus großen Fallhöhen potenzielle Energie. Wer genau wissen will, wie’s läuft mit dem Wasser und der liquiden, regenerativen Zukunft, der sollte in ein Ingenieurstudium eintauchen und so viel Energie wie möglich ziehen, aus dem fas- zinierenden, feuchten Element. // Die Erde wird nicht ohne Grund der „blaue Planet“ genannt. Blicken Astronauten aus dem All auf die Erdoberfläche, erkennen sie schnell, dass mehr als zwei Drittel von Wasser be- deckt sind. Und das schimmert in einem strahlenden Blauton. Wasser verpasst unserem Heimatplaneten aber nicht nur einen faszinierenden Anstrich, es war schon vor Milliarden von Jahren der Quell allen Lebens, als sich in den Ur-Ozeanen die ersten organischen Moleküle und daraus wiederum die ein- fachsten Vorformen von Lebe- wesen entwickelten. Bis zur heutigen Vielfalt der Evolution hat sich das Leben in ganz erstaunlicher Weise dem Wundermolekül aus Wasser- stoff und Sauerstoff angepasst. 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser gibt es auf der Erde, nur 3,5 Prozent davon sind Süßwas- ser. Diese Wassermassen bergen auch ein riesiges Energiepoten- zial, das sich durch verschiedene Methoden nutzen lässt. Selbst wir Menschen bestehen zu »» K R A F T W E R K S M O D E L L E Tests im kleinen Maßstab Große Lösungen im kleinen Maß- stab: Für am Nil geplante Wasser- kraftwerke baut die Versuchsanstalt für Wasserbau in Obernach Model- le, an denen mit hydraulischen Versuchen die Wirkung der enor- men Kräfte im Testbetrieb erprobt wird. »» weiter S. 3 + 4 »» T U R B I N E N Effektiv Strom abschöpfen Wasserkraftwerke haben einen hohen Wirkungsgrad. Das liegt auch an den verschiedenen Turbinenarten, denn ohne Turbinen und daran angeschlossene Strom- Generatoren lässt sich aus dem schönsten Wasserfall keine Ener- gie gewinnen. »» weiter S. 5 + 6 fast 70 Prozent aus Wasser und trinken im Laufe unseres Lebens bis zu 65.000 Liter. Wasser ist das wichtigste Lö- sungsmittel auf unserem Plane- ten – im Kleinen wie im Großen. Es transportiert alles Lebensnot- wendige sowohl durch Pflanzen, Tiere und unseren Körper, als auch durch Ozeane, Flüsse und Seen. Zudem ist H 2 O die einzige chemische Verbindung auf der Erde, die in der Natur in allen drei Aggregatzuständen vor- kommt – flüssig als Wasser, fest als Eis sowie Wasser marsch und Strom im Fluss ! Regenerativ mit hohem Wirkungsgrad – Wasserkraft ist eine unendliche, umweltfreundliche und effektive Art der Stromerzeugung »» W A S S E R K R A F T »» weiter S. 2 © E.ON AG kompakt © Foto oben: Andrei Merkulov, Fotolia · Foto ganz oben: Photofey, Fotolia © Royalty free Jeden Monat neue Infos aus der Welt der Ingenieure Jeden Monat neue Infos aus der Welt der Ingenieure Thema: Wasserkraft Thema: Wasserkraft © Obernacher Versuchsanstalt für Wasserbau

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Der Kreislauf des Wassers ist die Grundlage allen Lebens auf unserem Planeten. Und aus der genialen Kombination aus Wasser- und Sauerstoff kann sogar eine Menge klimaschonender Energie entstehen. In Wasserkraftwerken wird die Bewegung des Wassers in elektrischen Strom umgewandelt. Ingenieure entwickeln, tüfteln und testen für die bestmögliche Nutzung dieser natürlichen Energiequelle.

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Ausgabe 9 | 2010

»» I N T R OHinein ins Nass „Steter Tropfen höhlt den Stein“, heißt es ja so schön im Volks-mund. Der alte Spruch verdeutlicht zwei Eigenschaften des Wassers ganz besonders: Zum einen den ewigen, sich selbst erneuernden Kreislauf des irdischen H2O-Systems und zum anderen die ungeheure Kraft, die das flüssige Element mit sich bringt. Denkt man an die gigantischen Dimensionen, in denen Wasser innerhalb der Erdatmosphäre als aufsteigender Wasserdampf und niedergehender Regen zirkuliert, wird einem dieser perfekte Träger dauerhaft nutz-barer Energie mehr als deutlich.

Wasserkraftwerke schalten sich genau in diesen Kreislauf ein und gewinnen auf schadstoff-freie Weise Energie. Möglich wird die Nutzung der Wasserkraft durch Höhendifferenz, denn jeder noch so kleine Bach will irgendwann zum Meer. Alles abfließende Wasser enthält dabei zwei Formen von Energie, die sich nutzen lassen: Im Fließen steckt kinetische Energie, im Hinunterdonnern aus großen Fallhöhen potenzielle Energie. Wer genau wissen will, wie’s läuft mit dem Wasser und der liquiden, regenerativen Zukunft, der sollte in ein Ingenieurstudium eintauchen und so viel Energie wie möglich ziehen, aus dem fas-zinierenden, feuchten Element. //

Die Erde wird nicht ohne Grund der „blaue Planet“ genannt. Blicken Astronautenaus dem All auf die Erdoberfläche,erkennen sie schnell, dass mehrals zwei Drittel von Wasser be- deckt sind. Und das schimmert in einem strahlenden Blauton. Wasser verpasst unserem Heimatplaneten aber nicht nur einen faszinierenden Anstrich, es war schon vor Milliarden von Jahren der Quell allen Lebens, als sich in den Ur-Ozeanen die ersten organischen Moleküle und daraus wiederum die ein-

fachsten Vorformen von Lebe- wesen entwickelten. Bis zur heutigen Vielfalt der Evolution hat sich das Leben in ganz erstaunlicher Weise dem Wundermolekül aus Wasser-stoff und Sauerstoff angepasst. 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser gibt es auf der Erde, nur 3,5 Prozent davon sind Süßwas-ser. Diese Wassermassen bergen auch ein riesiges Energiepoten-zial, das sich durch verschiedene Methoden nutzen lässt. Selbst wir Menschen bestehen zu

»» K R A F T W E R K S M O D E L L ETests im kleinen Maßstab Große Lösungen im kleinen Maß- stab: Für am Nil geplante Wasser-kraftwerke baut die Versuchsanstalt für Wasserbau in Obernach Model-le, an denen mit hydraulischen Versuchen die Wirkung der enor-men Kräfte im Testbetrieb erprobt wird. »» weiter S. 3 + 4

»» T U R B I N E NEffektiv Strom abschöpfen Wasserkraftwerke haben einen hohen Wirkungsgrad. Das liegt auch an den verschiedenen Turbinenarten, denn ohne Turbinen und daran angeschlossene Strom- Generatoren lässt sich aus dem schönsten Wasserfall keine Ener-gie gewinnen. »» weiter S. 5 + 6

fast 70 Prozent aus Wasser und trinken im Laufe unseres Lebens bis zu 65.000 Liter.Wasser ist das wichtigste Lö-sungsmittel auf unserem Plane-ten – im Kleinen wie im Großen. Es transportiert alles Lebensnot-wendige sowohl durch Pflanzen, Tiere und unseren Körper, als auch durch Ozeane, Flüsse und Seen. Zudem ist H2O die einzige chemische Verbindung auf der Erde, die in der Natur in allen drei Aggregatzuständen vor-kommt – flüssig als Wasser, fest als Eis sowie

Wasser marsch und Strom im Fluss !Regenerativ mit hohem Wirkungsgrad – Wasserkraft ist eine unendliche, umweltfreundliche und effektive Art der Stromerzeugung

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gasförmig als Wasserdampf. In diesen unterschiedlichen Formen zirkuliert Wasser fortwährend in einem riesigen globalen Kreislauf. Dessen eigentlicher Antreiber ist die Sonne, denn deren Wärme lässt Wasser über Festland und Ozeanen verduns-ten und als Wasserdampf zurück in die Atmosphäre aufsteigen. Immer wieder aufs Neue.

Deshalb ist Wasser nicht nur ein mächtiger Quell allen Lebens, sondern hat auch ein riesiges Energiepotenzial. Denn überall dort, wo sich Wasser bewegt, lässt sich diese Kraft zur Energie-gewinnung und Stromerzeugung nutzen. Dieses nie versiegende System haben schon die Menschen in der Antike angezapft. Sie bauten an Bächen und Flüssen Wasserräder, durch die Mühlsteine oder Sägeblätter angetrieben wurden. Ein einfaches Prinzip, das sich durch den Lauf der Geschichte hinweg erhalten hat.Heutzutage sind die Dimensionen, in denen Ener-gie benötigt und erzeugt wird, aber ganz andere geworden. Aus der kleinen Wassermühle am Bach haben sich riesige Wasserkraftwerke mit großen Staumauern entwickelt und statt Kurbelwelle und Pleuelstange drehen sich gewaltige Turbinen.Das Prinzip ist dasselbe geblie-ben. Kinetische Energie wird in mechanische Energie umgewan-delt. Letztere wird allerdings nicht mehr direkt, sondern zur Strom-erzeugung genutzt. Per Turbine und angekoppeltem Dynamo wird daraus elektrische Energie. Völlig ohne Schadstoffausstoß, denn man verfeuert ja keine natürlichen Ressourcen, sondern klinkt sich in einen bestehenden

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»» Fortsetzung von S. 1: Wasser marsch und Strom im Fluss!

Kreislauf ein. Diesen hält Mutter Natur von ganz alleine „im Fluss“ – durchs globale Wetter. Verduns-tung, Regen und Schnee bringen Wasser im-mer wieder in höhere Lagen, aus denen es dann wieder abfließen muss. Ein sich ständig wiederholender erdumspannender Prozess und damit die perfekte regenerati-ve und sich selbst speisende Energiequelle.

Trotzdem beträgt der Anteil der Wasserkraft an der gesamten in Deutschland erzeugten

Energiemenge lediglich 3,3 Prozent. Das liegt natür-

lich an der geografischen Be-schaffenheit hierzulande. Län-

der wie Österreich, Norwegen, Island oder Paraguay decken den nationalen Strombedarf zu

mehr als 90 Prozent aus Wasser-kraft. Im weltweiten Maßstab werden etwa 16 bis 19 Prozent der elektrischen Energie in Was-serkraftwerken erzeugt. Damit ist Wasserkraft global gesehen die zurzeit bedeutendste regenerative Energie. Sie weiterhin zu nutzen, macht Sinn. Schätzungen zufolge ist derzeit nur etwa ein Fünftel des Potenzials ausgeschöpft.

Trotzdem darf man nicht ver-schweigen, wie dramatisch der Bau großer Wasserkraftwerke teil-weise in Natur und menschliche Lebensräume eingreift. Vor allem, weil damit meist riesige Stau-dammprojekte verbunden sind, die das biologische Gleichgewicht der Flüsse entscheidend stören

der es zwar mit 18.200 Mega-watt auf die größte Generator-Leistung weltweit bringt, der aber auch einzigartige Ökosysteme zerstört, die Sediment-Selbstreini-gung des riesigen Flusses verhin-dert und dessen Langzeitfolgen insgesamt bisher kaum absehbar sind. Auch diese Aspekte müssen beim Bau neuer Wasserkraft-werke beachtet werden.Ist das der Fall, bleibt Wasser eine famose Form der Energie-gewinnung – extrem rege-nerativ, effektiv und umwelt-freundlich. Wasser marsch! //

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können. Mahnende Beispiele sind umstrittene, gigantische Projekte wie der Assuan-Damm im Niltal,

der die alljährliche, natürliche Nilflut be-endet hat, was mittler-weile zur Versalzung der Böden führt oder der Drei-Schluchten-

Damm am Jangtsekiang in China,

Studieren mit voller (Wasser)KraftPer Ingenieurstudium kann man sich dem Thema Wasserkraft auf verschiedene Arten nähern: in den Bereichen Bauingenieurwe-sen, Elektrotechnik oder Maschinenbau. Passende Studiengänge findet man unter Stichworten wie Wasserbau, Erneuerbare Energien, Umwelttechnik oder Energietech-nik in der IngenieurStudiengangSuche auf der THINK ING. Website: www.search-ing.de

Welches Kraftwerk für welches Wasser?

Laufwasserkraftwerke Solche Kraftwerkstypen werden als Niederdruckanla-gen an Flüssen gebaut. Für die Stromerzeugung mittels Turbine reicht die Strömungsgeschwin-digkeit des Flusswassers aus. Eine Aufstauung ist nicht nötig.

Speicherkraftwerk Dieser Typ wird auch Talsper-renkraftwerk genannt und man ahnt gleich, dass zum Betrieb solcher Hochdruckanlagen ein Damm und aufgestaute Wassermengen nötig sind. Je größer die Stauhöhe, desto höher der Druck in den unte-ren Wasserschichten und den dort angebrachten Turbinen.

Pumpspeicherkraftwerk Das Pumpspeicherkraftwerk ist eine Hochdruckanlage und ein Speicherkraftwerk zugleich. Die Besonderheit liegt darin, dass nachts mit überschüssi-gem Strom Wasser in ein höher gelegenes Speicherbecken gepumpt wird. Tagsüber rauscht dieses Wasser dann durch steile Fallrohre und treibt mit großem Druck Turbinen an.

Gletscherkraftwerk Bei diesen speziellen Hoch-druckanlagen werden hoch gelegene Gletscherseen an ihrer tiefsten Stelle angebohrt und deren Wasser über Rohr-leitungssysteme – teilweise auch über weite Strecken – zu den Turbinen entsprechender Kraftwerke im Tal transportiert.

Gezeitenkraftwerke Eine Meeresbucht wird durch einen Damm abgeschottet. Die durch die Gezeiten entste-hende Flut fließt durch Einlässe und dieses hindurchströmen-de Wasser treibt Turbinen an. Das Wasser wird hinter dem Damm aufgestaut und erst bei Ebbe wieder abgelassen, wodurch die Turbinen erneut angetrieben werden können.

Wellenkraftwerk Diese Kraftwerke sind noch in der Erprobungsphase und ähneln beispielsweise auf dem Wasser schwimmenden Schlangen aus Stahlkörpern. Die Wellen heben einzelne Segmente an oder senken sie ab. Durch diesen Vor-gang wird Luft durch Turbinen in Kammern hinein- und heraus-gepresst. Bei beiden Wegen lässt sich Energie erzeugen.

Die 221 Meter hohe Mauer des Hoover-Staudamms staut den Colorado-River auf einer Länge von 170 Kilometern. Der so erzeugte See hat einen Inhalt von rund 35 Milliarden Kubikmetern Wasser. 17 Turbinen erzeugen eine Leistung von über 2.000 Megawatt

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neneinläufe, Verlandungen, Turbulenzen bei der Strömung und jegliche andere Prob-leme, die sich erst während der Simulation ergeben. Nicht nur in Kajbar sind die Ingenieure von Obernach ge-fragt. Auch im weiter südlich gelegenen Shereik arbeiten die Wissenschaftler für eine Kraftwerksanlage an großen Lösungen in kleinen Modellen, damit am Nil eine neue Stau-stufe entsteht. Bei der Rena-turierung der Isar wurden die Wasserbauer der TU München ebenfalls um Rat gefragt. Beim Nachbau des voraussichtlich im Frühjahr 2011 fertigen Abschnitts, im Maßstab 1:20, zeigte sich, dass bei Hochwas-ser Flutgefahr droht. Als nächs-tes erproben die Wissenschaft-ler, wie an einem bestehenden Staudamm in Schweden die Hochwasserentlastungsanla-ge erweitert werden kann.

können durch die riesigen Pumpen in den künstlichen Stausee fließen. Bald soll das Nil-Kraftwerk im Norden des Sudan das 35-fache Ausmaß annehmen und eine Strom-leistung von 360 Megawatt erbringen. „Unsere Anlage ist wie eine Modelleisenbahn. Wir machen die hydraulischen Modellversuche, damit später keine Fehler entstehen“, sagt Hartlieb.

So können die Ingenieure auf Komplikationen direkt reagieren und die proble-matische Stelle umgestal-ten. Computersimulationen ergänzen und optimieren die Versuche. Alleine sind sie nicht ausreichend, denn die Berechnung von Strömung, Luft und Wasser sprengt den Rahmen jeder Rech-nerleistung. Die künstlich geschaffene Natur gibt den Planern die Sicherheit, dass

Große Lösungen im kleinen Maßstab»» K R A F T W E R K S M O D E L L E

Nach starken Regenfäl-len wird das Hochwas-ser im Wasserkraftwerk Kajbar immer mehr zum Problem. Einer der Mess-punkte an den Tiefauslässen der Entlastungsanlage meldet bedenkliche Druckschwan-kungen. Die Betonstruktur droht schwere Schäden zu nehmen – all das bringt Dr.-Ing. Arnd Hartlieb nicht aus der Ruhe, obwohl er gleich neben den laut tönen-den Turbinenanlagen steht. Im Gegenteil, es war genau das, was er sehen wollte.

Hartlieb ist Betriebsleiter der Obernacher Versuchs-anstalt für Wasserbau, einer Institution der TU München. Das Kajbar-Kraftwerk ist noch ein Modell und nicht größer als zehn mal fünf Meter. Es besteht aus Beton, Steinen und PVC -Werkstof f. Bis zu 650 Liter Wasser pro Sekunde

Der Betrieb von geplanten Kraftwerken wird in der Versuchsanstalt für Wasserbau in Obernach anhand von Modellen vorab getestet

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ihre Entwürfe auch unter natürlichen Verhältnissen funktionieren, „dabei galten solche Tests noch vor 15 Jahren als Auslaufmodelle“, so Hartlieb. Mittlerweile sind sie wieder obligatorisch und die Anstalt in Obernach ist eine gefragte Anlaufstelle.

Die Übertragung des über eine halbe Milliarde Euro teuren Projekts im Sudan auf das vergleichsweise kleine Modell in Obernach birgt einige Schwierigkeiten. „Schwerkraft und Trägheit sind die dominierenden Kräfte. Sie müssen im gleichen Verhältnis auf das Modell übertragen werden“, erklärt Hartlieb. Ist das Test-Kraft-werk erst einmal fertigge-stellt, müssen die möglichen Schwachpunkte erkannt und gelöst werden: die Kavita-tion, der Sedimentabfluss, das Hochwasser, die Turbi-

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Wasser marsch: Mit hydraulischen Modellen testet die Obernacher Versuchsanstalt für Was-serbau den Betrieb von Wasserkraftwerken vor deren Errichtung unter Laborbedingungen

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Die insgesamt zehn Hektar große, teils exotisch anmutende Obernacher Versuchsanstalt ist in Europa einzigartig und genießt international hohes Renommee. Gegründet wurde sie von dem Bauingenieur und Wasserkraftpionier Oskar von Miller in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Schon damals kamen die Kunden aus aller Welt, um ihre Untersuchun-gen in Deutschland machen zu lassen. Heute ist die Anlage eine Institution der TU Mün-

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chen, so dass auch Studenten in die Abläufe mit eingebunden werden. Durch Exkursionen und Laborpraktika soll angehenden Bau- und Umweltingenieuren Appetit auf den Job gemacht werden. Hauptlehraufgabe ist, dass die Studenten am Ende eine Bachelor- oder Master-Arbeit anhand der vermittelten Erkenntnisse verfassen können.

Gerade in Zeiten immer knapper werdender Ressour-cen ist das Interesse an der

Wasserkraft und ihren Möglich-keiten sehr hoch. „Wasserkraft hat den wichtigsten Anteil an den erneuerbaren Energien“, sagt Hartlieb. Wasser ist nicht nur günstig, das Obernacher Test-Kraftwerk bezieht sein wichtigstes Gut aus der Isar und damit gratis, seine Kräfte lassen sich auch effizient und umweltfreundlich nutzen. Der Erntefaktor ist im Vergleich zu Wind- und Sonnenkraft extrem hoch und im direkten Betrieb entstehen keine Treibhausgase.

Zur Person

Bevor Dr. Arnd Hartlieb zum Betriebsleiter der Obernacher Versuchsanstalt wurde, schloss der heute 41-Jährige 1994 ein Bauingenieurstudium an der TU München ab. Dort promo-vierte er auch mit einer Arbeit über ein flussbauliches Thema. Er entwickelte das sogenannte offene Deckwerk, eine natur-nahe Methode zur Sohlstabili-sierung von eintiefungsgefähr-deten Flussabschnitten. Dabei werden Steine mit einer be-stimmten Größe und Belegungs-dichte auf die Flusssohle aufge-bracht und die weitere Erosion der Flusssohle verhindert. Die Methode wurde inzwischen an Flussabschnitten an der Wertach und der Iller angewendet. //

In Obernach denkt man zu-sätzlich ökologisch. Umgehungs-gewässer, Fischtreppen und mehr Raum zwischen den Turbinen-blättern stehen genauso auf der Tagesordnung wie die Steigerung der Energieeffizienz. Anhand der Modelle wird ebenfalls versucht, den Lauf der Fische nachzuvoll- ziehen, um zu erforschen, wie diese sich am besten umleiten lassen. Schließlich ist eine ge-sunde Umwelt ebenso wichtig wie die Nutzung der Wasser- kraft.

Dr.- Ing. Arnd Hartlieb

Zehn mal fünf Meter groß ist das im Bau befindliche Modell des Kajbar-Kraftwerks, das später 35 Mal so groß am sudanesischen Nil errichtet wird

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Alles muss passen, bevor das Modell geflutet wird: An den Wasserauslässen werden verschiedene Messpunkte installiert, wodurch im späteren Testbetrieb mögliche Schwachpunkte ermittelt werden

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Ein großes Plus der Was-serkraftwerke ist ihr hoher Wirkungsgrad: erstaunliche 90 Prozent. Von so viel Effizienz sind Kraftwerkstypen, die Sekundär-Energieträger wie Kohle oder Gas verfeuern, um Strom zu erzeugen, weit ent-fernt. Zum Vergleich: Fossil be-triebene Kraftwerke bringen es

im weltweiten Durchschnitt nur auf einen Wirkungsgrad von etwa 30 Prozent. Mit neuesten Brennkammern und Technolo-gien schaffen es ganz moderne „Fossile“ auch auf 50 Prozent. Trotzdem heißt das: Von 100

Prozent eingesetzter Primär-energie kommen am Ende im schlechtesten Fall nur 30 Pro-zent als Strom hinten raus, 70 Prozent geht in der Prozessket-te oder als Abwärme verloren.

Der am weitesten verbreitete Turbinen-Typ in Wasserkraft-werken ist die Francis-Turbine

– benannt nach ihrem amerika-nischen Erfinder James B. Fran-cis, der sie 1849 entwickelte. Das Wasser wird durch einen spiralförmigen Einlauf in Form eines Schneckengehäuses, in dem sich das feststehende

Leitrad befindet, gedrückt und erhält dadurch einen zusätzli-chen Drall. Danach trifft es auf die eigentliche Turbine, die aus einem runden Kranz mit vielen schräg gestellten Schaufeln besteht. Da am Laufradein-tritt der Druck höher ist als am Austritt, spricht man auch von einer Überdruckturbine. Fallhöhen des einströmenden Wassers von bis zu 800 Metern ermöglichen eine Leistung von bis zu 750 Megawatt.

Die Pelton- oder Frei-strahlturbine, benannt und erstmals konstruiert im Jahre 1880 vom amerikanischen In-genieur Lester Pelton, erinnert von Aussehen und Bauart an die klassischen Schöpfräder. Aber der Wirkungsgrad ist ungleich höher, denn solche vorwiegend in Speicher-kraftwerken im Hochgebirge eingesetzten Turbinen nutzen die Geschwindigkeit und Be-wegungsenergie des Wassers aus sehr großen Fallhöhen. Dazu wird das Wasser aus einer Düse mit einem Druck von bis zu 200 bar auf die bis zu 40

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Freier Fall und hoher DurchflussDamit Wasserkraftwerke einen optimalen Wirkungsgrad erzielen, gibt es ganz unterschiedliche Bauformen von Hochleistungs-Turbinen

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Nadine Staben (31) hat an der Fachhochschule Lippe und Höxter technischen Um- weltschutz mit

den Schwerpunkten Wasser- und Abwassertechnologie studiert. Seit 2007 arbeitet sie als wissen-schaftliche Mitarbeiterin beim IWW Zentrum Wasser.Ein Arbeitstag beginnt mit …meinen netten Kollegen, einem spannenden Projekt und einer heißen Tasse Tee.An der Kraft von Wasser fasziniert mich …die Diskrepanz zwischen „weich“ und „hart“, zwischen „Erhaltung“ und „Zerstörung“ von Leben, zwischen „Ruhe“ und „Sturm“. Es macht mich wahnsinnig, wenn …Menschen an Wassermangel oder verunreinigtem Wasser sterben müssen, obwohl es das Wissen und die technischen Möglichkei-ten gibt, dieses zu verhindern.Die Ingenieurausbildung in Deutschland …ist hochqualifiziert, spricht leider nur immer noch zu wenig Frauen an. An meiner Tätigkeit gefällt mir …die Vielseitigkeit des Ingenieur-berufes, der Kontakt mit Kunden und Kollegen, die Herausforde-rung, immer wieder kreativ neue Ideen zu entwickeln.Entspannung finde ich …bei einem guten Buch, beim Sport, in der Natur und beim Musizieren.Wenn ich nicht Ingenieurin geworden wäre, …würde ich meine Energie und Kraft vermutlich in der Entwicklungshilfe oder an einer anderen Stelle für die Menschen und den Erhalt der Umwelt einsetzen.Ein Ingenieurstudium … öffnet die Tür zu vielen spannen-den beruflichen Möglichkeiten und lehrt kreativ zu denken sowie hinter die Dinge des Alltags zu sehen.Am liebsten berechne ich …verfahrenstechnische Kenngrößen zur Auslegung von Membranan-lagen und Adsorptionsprozessen. Als Rentnerin werde ich ...Studentin der diversesten Disziplinen, ehrenamtlich an vielen Stellen tätig und hoffentlich mit meiner Familie glücklich sein. //

Staumauern müssen extremem Wasserdruck standhalten

Eine Francis-Turbine mit typisch spiralförmigem Einlauf im Wasserkraftwerk Olidan in Trollhättan, Schweden

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ge Wasserdrücke, aber hohe Durch-flussmengen ent-wickelt. Mit ihren verstellbaren Schaufeln ähnelt sie einem Schiffs-propeller. Nicht nur die Schaufeln, sondern auch die einleitenden Rohre lassen sich verstellen. Dieses sogenannte Leit-werk ist wich-tig, weil damit einströmende Wassermas-sen so gelenkt werden können, dass sie immer parallel zur

Welle der Turbine auf die drei bis sechs Schaufeln des Laufrads treffen. So kann auch auf schwankende Wasserzu-fuhr optimal reagiert werden. Dieser Turbinentyp eignet

sich für Wasserkraftwerke an Flüssen mit großen Durchfluss-mengen und relativ geringen Fallhöhen (bis 50 Meter). Die Leistung einer Turbine errechnet sich aus folgenden Faktoren und Einflussgrößen: dem Produkt der Erdbeschleuni-gung (9,81 m/sec2), der Fallhöhe des Wassers (in Metern), dem Durchfluss durch die Turbine (in m3/sec) und dem Wirkungsgrad. Solch eine Formel macht etwas sehr Erstaunliches in Bezug auf die Wasserkraft deutlich: Die vergleichsweise geringe Wasser-menge eines Gebirgsbaches mit großen Fallhöhen von mehreren Hundert Metern kann mehr Strom erzeugen, als die riesige Wassermenge eines Flusses, die

lediglich den Niveauunterschied eines Stauwehres überwindet. Rein rechnerisch hätte ein Was-serstrahl bei einer Fallhöhe von 1.000 Metern die Wahnsinns-geschwindigkeit von nahezu 500 km/h. Aber auch ganz real gibt es beispielsweise in den Alpen Wasserkraftwerke mit Fallhöhen von bis zu 1.800 Metern und Wassergeschwin-digkeiten von über 600 km/h. //

Schaufeln des Laufrades gelei-tet. Diese sind in der Mitte mit einem messer-scharfen Steg in zwei Halbschau-feln geteilt, damit die kinetische Energie noch besser ausge-nutzt werden kann. Da das Antriebswasser vor der Düse einen hohen Druck und nach dem Austritt aus der Düse wieder Umgebungsdruck

annimmt, nennt man dieses Prinzip Gleichdruck-Turbine. Die Kaplan-Turbine hat der österreichische Ingenieur Viktor Kaplan Anfang 1920 für gerin-

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Wasserlatein & Gezeitendeutsch

» Archimedische Schrauben:Die Entstehung der ersten Wasserräder wird schon um 230 v. Chr. vermutet. Die sogenannten Archimedischen Schrauben waren noch einfa-che Wasserhebewerke, die mit Schaufelrädern funktionierten. Das Drehmoment des Rades wird über eine Kette auf eine dreieckige Trommel übertragen, welche die wassergefüllten Behälter nach oben befördert. » Erntefaktor:Der Erntefaktor gibt das Verhältnis der gewonnenen zur investierten Energie an. Im Vergleich zu den Wind-kraftanlagen (20) und den Fotovoltaik-Anlagen (5) haben Wasser-Kraftwerke eine sehr hohe Energieeffizienz (50 bis 150). Ein Kohlekraftwerk kommt auf 100 bis 150 und ein Atom-kraftwerk auf bis zu 200.» Fischtreppe:Eine Fischtreppe ist eine wasser-bauliche Vorrichtung, durch die Fische und Kleintiere der Gewäs-sersohle auch aufsteigende Hin-dernisse, etwa Wasserfälle oder Stauwehre, überwinden können.» Great Laxey Wheel:Das 1854 erbaute Great LaxeyWheel gilt als das größte Wasser-rad Europas. Das Prachtwerk auf der Isle of Man hat einen Durch-messer von etwa 22 Metern und ist auf der britischen 20-Pfund-Note abgebildet.» Katarakt:Katarakte sind durch Felsblöcke gegliederte Stromschnellen. Das Wasserkraftwerk in Khartum entsteht am dritten Nil-Katarakt. Im Mittellauf des Nils muss das Wasser insgesamt sechs dieser reißenden Stromschnellen aus Granit überwinden. » Kavitation:(lat. cavitare = aushöhlen) Durch Druckschwankungen bilden sich Hohlräume in Flüssig-keiten aus und wieder zurück, was insbesondere durch schnell bewegte Objekte wie Turbinen oder Propeller passiert. Hier wirken extrem hohe Kräfte. Die Druck-stöße können im schlimmsten Fall ganze Brocken aus dem Beton oder den Turbinen sprengen.

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ImpressumHerausgeber:

GESAMTMETALL

Gesamtverband der Arbeitgeberverbände

der Metall- und Elektro-Industrie e. V.

Voßstraße 16 · 10117 Berlin

Objektleitung: Wolfgang Gollub (verantw.)

Druck: color-offset-wälter GmbH & Co. KG,

Dortmund

RWE-Mitarbeiter bei Messungen am Pumpspeicher-kraftwerk in Herdecke

Revisionsarbeiten an einer Freistrahlturbine der Illwerke in Österreich

In Pumpspeicherkraftwerken rauscht Wasser tagsüber durch steile Fallrohre in Turbinen, nachts wird es mit überschüssigem Strom wieder in den hoch gelegenen Speicher zurückgepumpt

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