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LET’S CEE Schulkino 2016 UNTERRICHTSMATERIALIEN ZU KORIDA 1

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LET’S CEE Schulkino 2016

UNTERRICHTSMATERIALIEN ZU KORIDA

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Inhaltsverzeichnis

1. Korida................................................................................................................................41.1 Synopsis.......................................................................................................................41.2 Zusätzliche Informationen...........................................................................................4

2. Gast zum Film – Regisseur Siniša Vidović..........................................................................5

3. Zum Film............................................................................................................................83.1 Korida (Stierkampf).....................................................................................................83.2 Protagonisten des Films..............................................................................................8

4. Hintergründe zum Film....................................................................................................104. 1 Jugoslawien in den 1980ern.....................................................................................104. 2 Die Auflösung Jugoslawiens......................................................................................114. 3 Der Bosnien-Krieg und der Weg zum Frieden..........................................................134. 4 Bosnien und Herzegowina heute..............................................................................15

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Kurzes Vorwort

Die hier angeführten Informationen und Vorschläge sollen die Vorbereitung des Kinobesuchs erleichtern und unterstützen. Sie sind optional, decken die wichtigsten Themen des Films ab und können sowohl zur Vor- als auch zur Nachbereitung verwendet werden.

Wir wünschen eine erfolgreiche Vorbereitung und einen unterhaltsamen sowie spannenden Kinobesuch!

Ihr Team des LET’S CEE Schulkinos

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1. Korida

1.1 Synopsis

Korida widmet sich der hierzulande weitgehend unbekannten, aber jahrhundertealten Tradition des bosnisch-herzegowinischen Stierkampfes, der im Gegensatz zu den spanischen Corridas unblutig verläuft, und seiner völkerverbindenden Wirkung. Die Protagonisten sind dabei nicht die Stiere, sondern die Menschen, die hinter ihnen stehen. Es wird anhand einzelner Charaktere eine Gesellschaft gezeichnet, die sich im Wandel befindet und in der viele alte Wunden aus dem Krieg (1992-1995) noch immer nicht ganz verheilt sind. Die zahlreichen Koridas, die in den ländlichen Gegenden in Bosnien und Herzegowina jedes Jahr stattfinden, bieten der krisengeprägten Bevölkerung eine willkommene Abwechslung im Alltag und werden von tausenden Menschen besucht. Konfessionelle und ethnische Differenzen zwischen Muslimen und Christen, Kroaten und Serben treten dabei in den Hintergrund. Der Film zeigt zugleich die universelle Verbundenheit von Mensch und Natur und besticht nicht nur durch seine erzählerischen Stärken, sondern auch auf visueller Ebene. Dabei wirft er einen einzigartigen Blick auf eine Gesellschaft, die auf ungewöhnliche Weise versucht, ihre von Kriegen bestimmte Vergangenheit zu verarbeiten.

1.2 Zusätzliche Informationen

Dokumentation Österreich 2016Länge 87 minOriginalsprache Bosnisch-Serbisch-Kroatisch, DeutschUntertitel DeutschFarbe

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Infobox/AnregungenThemen des Films:Integration, Völkerverbindung, bosnische Stierkampftradition (unblutig), Nachkriegsgesellschaft, Verbundenheit zwischen Mensch und Natur

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2. Gast zum Film – Regisseur Siniša Vidović

Siniša Vidović wurde in Rijeka (Kroatien) geboren und lebt nun seit 20 Jahren in Österreich. Er studierte Film und Video an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Sein Abschluss-Kurzfilm „Vater Morgana“ wurde weltweit auf renommierten Festivals gezeigt und gewann zudem den Preis für den besten Studentenfilm Österreichs 2008. Im selben Jahr gründete er seine Produktionsfirma Forafilm, mit der er als Produzent und Regisseur mehrere preisgekrönte Werbespots und Werbefilme produzierte. KORIDA ist sein erster Kinodokumentarfilm. Derzeit entwickelt Siniša als Drehbuchautor und Regisseur diverse Spielfilmprojekte für österreichische Produktionsfirmen.

Filmographie:

2013 | FRENKIE „N...B...“ | Musikvideo2012 | THE A.MEN „Fallin´ Down“ | Musikvideo 2008 | VATER MORGANA | Kurzfilm2008 | PAROV STELAR „Let´s Roll“ | Musikvideo2006 | REPUBLIKA | Experimental2005 | IN 3600 STUNDEN | Experimental2004 | THE STEEL TOWN STORY | Kurzfilm2004 | ANDERE BAUSTELLE | Kurzfilm

Interview mit dem Regisseur (gekürzte Version)

FRAGE: Im Film heißt es „die bosnische Korida ist menschlicher als die spanische.“ Was charakterisiert nun die bosnische Korida?

SINIŠA VIDOVIĆ: Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die bosnische Korida kein Kampf zwischen Mensch und Tier ist, sondern zwei Stiere gegeneinander kämpfen. Das Ende des Kampfes steht dann fest, wenn einer der Stiere sich umdreht, wegläuft und nicht mehr kämpfen will. Der Umstand, dass der Stier selbst entscheidet, kann dazu führen, dass ein Kampf drei Stunden dauert oder gar nicht stattfindet. Das führt auch dazu, dass die Tiere 15 Jahre und älter werden und eines natürlichen Todes sterben. Die Stiere werden für den Stierkampf trainiert, sie sind keine Nutztiere und die Stierbesitzer legen großen Wert auf ihren Stammbaum. Auch legen sie Wert auf die Unversehrtheit des Tieres: Die Hörner werden abgestumpft, sodass sie sich beim Kampf nicht verletzten können.

FRAGE: Die Geschichte der bosnischen Korida ist mehr als 240 Jahre alt. Wie hat sich die gesellschaftliche und auch symbolische Funktion der Korida in ihrer Geschichte entwickelt? Wie hat sie im Laufe dieser Zeitspanne trotz kriegerischer Auseinandersetzungen überlebt?

SINIŠA VIDOVIĆ: Ich erfuhr selbst erst durch meine Recherche von der langen Geschichte der Korida. Wichtig ist, dass sie die Menschen verbindet und dass es nicht um Tierquälerei geht. Vor dem letzten Krieg, also als Jugoslawien noch als Staatenbund existierte, gab es jährlich zwischen fünf und zehn Koridas in Bosnien, die bis zu 150.000 Zuschauer und mehr angezogen haben. Da sie selten stattfand,

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bedeutete sie ein Highlight im Jahreszyklus. Es gibt dort kaum anderes Unterhaltungsangebot. In den letzten zwanzig Jahren wurde sie gewissermaßen privatisiert und es gibt bis nun bis zu 100 Koridas im Jahr – viel zu viele wie manche sagen. Fast jedes Dorf hat seine eigene. Es gibt kein Meisterschaftsprinzip, aber die großen Koridas sind so etabliert, dass der Titel dort etwas Außergewöhnliches und Prestigereiches ist. In den Gegenden, wo ich gedreht habe, hat es während des letzten Krieges die brutalsten Auseinandersetzungen gegeben. Jetzt stehen Menschen, die gegeneinander gekämpft haben, bei der Korida nebeneinander und unterhalten sich. Einige meiner Protagonisten haben sich sehr stark engagiert. Sie begannen nach dem Krieg, sehr früh innerhalb Bosniens zu reisen, auch in Gegenden, wo sie auf Grund ihrer Ethnie nicht erwünscht waren, weil ihre Leidenschaft für den Stierkampf so stark war. Der gemeinsame Stierkampf begann viel früher als der Austausch zwischen ehemals verfeindeten Gruppen über sportliche Ereignisse oder kulturelle Initiativen. Die Korida-Betreiber waren die ersten, die sich nach dem Krieg wieder die Hand gereicht haben. Vielen der Zuschauer geht es viel weniger darum, wer gewinnen wird, sondern ums Zusammensein. Man kann sagen, es ist eine der wesentlichen Initiativen zur Versöhnung, die abseits der Politik von den Menschen ausgeht. Die Existenz der vielen Koridas im heutigen Bosnien zeigt zugleich, dass mit dem Zusammenbruch Jugoslawiens die Menschen nun wieder völkerverständigende und – vereinigende Events wie diese hier brauchen und sich nach diesen sehnen.

FRAGE: Die Ereignisse während des Drehs scheinen den Film in eine andere Richtung gelenkt zu haben. Wie sah Ihr ursprünglicher Ansatz aus, mit dem Sie in das Projekt gegangen sind? Wie sah das mit Senad Halilbašić entworfene Konzept aus?

SINIŠA VIDOVIĆ: Nachdem ich mit Senad die ersten Koridas besucht hatte, gab es für mich zwei Motoren: Das eine war die visuelle Kraft der Tiere beim Kampf, das zweite war die friedensstiftende und völkerverbindende Kraft dieser Stierkämpfe. In der dramaturgischen Zusammenarbeit mit Senad standen wir vor der Frage, in welche Richtung wir gehen sollten. Es war auch wichtig, nicht nur Serben zu zeigen, sondern alle drei Bevölkerungsgruppen vertreten zu wissen, ohne jedoch der jeweiligen Identität eine übertriebene oder gar betonende Wichtigkeit zu geben. Eingangs waren wir näher an einer Sport-Dramaturgie, insofern als auch die Frage, welcher Stier gewinnen würde, im Raum stand. Unsere Absicht war es, die Leidenschaft und die Liebe, die die Menschen zum Stierkampf und den Tieren entwickelt haben, zu zeigen. Die Beziehung zwischen Mensch und Stier, der Umgang mit Sieg und Niederlage – diese Aspekte standen für uns im Vordergrund. Dann kamen völlig unvermutet die Anschläge dazwischen. Hätten wir das in ein Drehbuch geschrieben, hätte man es als unglaubwürdig abgetan. Ein weiteres, unvorhersehbares Ereignis war das Verbot der Grmeč-Korida – etwas, was in über 240 Jahren nie vorgekommen ist. Das hat unserer Filmarbeit nochmals eine neue Dynamik verliehen. Auf so etwas muss man gefasst sein, schnell reagieren und hoffen, dass man nicht Wochen umsonst investiert hat, weil der Film plötzlich eigene Wege geht. Man kann in diesen Momenten nur am Ball bleiben. Ob es für den Film gut ist oder nicht, kann man in diesem Moment nicht sagen.

FRAGE: Was haben diese Ereignisse mit dem Team gemacht? Welcher Bewusstseinsprozess hat bei Ihnen eingesetzt?

SINIŠA VIDOVIĆ: In der Zeit, als wir die Proteste filmten, sind wir sehr viel gereist und haben auf den langen Fahrten sehr viel innerhalb des Teams, aber auch mit den Leuten dort diskutiert. Ich war sehr

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irritiert über das, was passiert ist. Meine Intention, das „Friedensprojekt Korida“ zu filmen, war über den Haufen geworfen, meine eigene Vorstellung davon in Frage gestellt worden. Ich hatte weder mit den Protesten noch mit den Hassausbrüchen gerechnet. Auf einmal brach da ein Gefühl von Unzufriedenheit und Hilflosigkeit durch. Die Menschen fühlen sich vom Staat total im Stich gelassen, obwohl es freie Wahlen gibt. Da wurde uns dann klar, dass es nicht ein Film über Stierkampf werden würde, sondern ein Film über Bosnien und die Nachkriegszeit. Die Korida wurde für mich zur Metapher für Bosnien. Ich könnte den Film vielleicht auch Bosnien nennen, klingt halt nicht sehr attraktiv. Ich sah, was mit der Korida passiert, wenn sich Politik und Religion zu stark dabei einmischen. Zuviel Politik ebenso wie zuviel Religion destabilisiert das friedliche Zusammenleben.

FRAGE: Welche elementare Kraft geht von so einem Stier aus, wenn man ihm so nahe ist?

SINIŠA VIDOVIĆ: Nachdem wir einmal hautnah erlebten, wie ein Stier knapp an uns vorbeidonnerte, hatten wir mehr als großen Respekt. Stärker als beim Kampf selbst habe ich diese enorme Kraft der Stiere in den ruhigen Momenten erlebt. Wenn ich bei den Stierbesitzern auf der Farm war und das Tier aus dem Stall herausgebracht wurde. Beim Kampf wird man auch durch den Lärm rundherum im Publikum abgelenkt, aber wenn nur wenige Leute da sind und dann kommt dieser Koloss aus dem Stall heraus, dann ist man sprachlos. Da hab ich so richtig Ehrfurcht verspürt. Im Unterschied zum spanischen Stier, der in der Hauptklasse 500 kg hat, haben die Stiere in Bosnien 1200 kg. Sie sind mächtig, imposant.

FRAGE: Der Film macht letztendlich deutlich, in welch fragilem Zustand politisch wie wirtschaftlich die Menschen dort leben.

SINIŠA VIDOVIĆ: Mir war immer bewusst, dass das Thema Krieg ein sehr sensibles Thema ist. Man geht dort mit dem Thema so um, als hätte man einen Elefanten in der Wohnung und tut so als würde man ihn nicht sehen! Überall sind die Spuren des Krieges präsent, die Leute haben aber die Schnauze voll und wollen nicht daran erinnert werden. Auch mich hat es anfangs nicht interessiert, da ich die politische Lage in den Medien mitverfolge und so erleichtert war, mit der Korida einmal einen positiven Aspekt im dortigen Leben entdeckt zu haben. Mit diesem Elan bin ich in das Projekt gegangen und wurde eines Besseren belehrt. Im Nachhinein betrachte ich es als ein Glück, dass sich die politische Dimension aufgedrängt hat. Es ist ein Film über ein Bosnien geworden, das auch viele Bosnier so nicht kennen. Vielleicht wollen sie es auch nicht kennen.

Interview: Karin Schiefer, März 2016www.austrianfilms.com

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Infobox/AnregungenSiniša Vidović´ Biographie repräsentiert eine Vielzahl an Menschen, die in Österreich wohnen und Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien haben. Von seiner Biographie lassen sich viele Motive des Films ableiten. Insofern stellt er zweifelsohne einen sehr spannenden Gesprächspartner dar. Es sind somit viele Fragen zu seiner Biographie, zur Integration in Österreich, denkbar, aber genauso gut allgemeine Fragen zu seinem Beruf als Regisseur, wie z.B.:

Welche Aufgaben hat ein Regisseur? Wie erlernt man normalerweise diesen Beruf? Wie hat er ihn erlernt?

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3. Zum Film

3.1 Korida (Stierkampf)

Herkunft: aus dem späten 19. Jhdt.: aus dem Spanischen „corrida de toros“ (running of bulls), ein öffentliches Spektakel, besonders beliebt in Spanien, Portugal und Lateinamerika, bei dem ein Stier zum Angriff gereizt und danach normalerweise getötet wird. Der bosnische Stierkampf, ein weitgehend unbekanntes Spektakel, das in den ländlichen Ecken des Landes stattfindet, ist einzigartig und in keiner Weise mit den spanischen oder mexikanischen „Corridas“ vergleichbar. In einer bosnischen Korida stirbt kein Stier und der Kampf wird Tier gegen Tier ausgetragen. Sobald einer der Stiere wegläuft, ist der andere der Sieger. Stiere werden in diesem bäuerlichen und proletarischen Milieu wie Stars verehrt. Die zwischen April und Oktober nahezu jedes Wochenende an verschiedenen Orten stattfindenden Koridas werden von 3.000 bis 50.000 Menschen besucht.

3.2 Protagonisten des Films

Renata – die Königin: Renata ist als die „kraljica Korida“ - die Königin der Koridas - über die Grenzen Bosnien und Herzegowinas hinweg bekannt. Sie und ihr Ehemann Pero bewirtschaften eine eigene Ranch und legen besonderen Wert auf ihre Stierzucht. Renatas öffentliche Persona, ihre Präsenz auf Facebook, YouTube und Co., sind ihr besonders wichtig. Als eine der wenigen Frauen in der männerdominierten Welt der Koridas achtet sie stark auf ihr Image. Ihr Erfolg und ihr selbstbewusstes öffentliches Auftreten sorgen für viele Feinde und Neider.

Stipe – die Legende: Stipe ist 67 Jahre alt und einer der wenigen noch aktiven Stierzüchter, die schon im ehemaligen Jugoslawien Korida-Wettbewerbe gewannen. Er arbeitete lange als „Gastarbeiter“ in Österreich, da ihn der Krieg zwang sein Heimatdorf zu verlassen. Nun lebt er wieder in Bosnien und bewirtschaftet mit seiner Frau den gemeinsamen Stall. Seine 9 Kinder und 15 Enkelkinder leben alle im Ausland. Gelegentlich kommen sie zu Besuch – auch um Stipe bei den Koridas anzufeuern. Für Stipe sind die Koridas der einzige Ort, an dem eine wahre Versöhnung zwischen den drei ehemals verfeindeten Ethnien der Region stattgefunden hat.

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Infobox/AnregungenRechercheauftrag

Wo auf der Welt gibt es überall Tierkämpfe? Welche Tiere werden dabei eingesetzt? Welche Gründe für derartige Kämpfe finden die Schülerinnen und Schüler dabei?

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Marko – der Vater: Marko ist Stipes Sohn. Er lebt und arbeitet in Traiskirchen, einem Ort an der Peripherie Wiens. Mehrmals im Monat nimmt Marko den weiten Weg nach Bosnien auf sich, auch um seinen drei Söhnen stets in Erinnerung zu rufen, woher ihr Vater kommt. Dazu gehört unter anderem, sie in die Welt der Koridas einzuführen, in der Großvater Stipe ein wichtiger Player ist.

Kinija – der Gute: Kinija ist ein nahezu mittelloser Bauer, der zusammen mit seiner Familie in einem kleinen Häuschen unweit der bosnischen Stadt Mrkonjic Grad lebt. Im Gegensatz zu vielen anderen aktiven Korida-Teilnehmern, die oft bis zu ein Dutzend Stiere in ihren Ställen auf die Kämpfe vorbereiten, besitzt Kinija nur einen Stier. Für ihn steht das kollektive „druzenje“ – das freundschaftliche Zusammensein – im Vordergrund.

4. Hintergründe zum Film

Die folgenden Unterlagen dienen vor allem als Hintergrundinformationen für die Lehrerinnen und Lehrer. Auszüge daraus können aber sehr wohl im Unterricht verwendet werden.

4. 1 Jugoslawien in den 1980ern

In den 1980er Jahren zeichneten sich in Jugoslawien vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise und schleichender Entlegitimierung des politischen Systems zwei gegensätzliche politische Strömungen ab: Auf der einen Seite traten die Verfechter einer Liberalisierung von Wirtschaft und Politik (vertreten vor allem durch Politiker in Slowenien) immer stärker auf den Plan, auf der anderen die Befürworter einer Rezentralisierung und Stärkung des Bundesstaats (angeführt von Politikern in Serbien). Im Zentrum der Kontroversen stand die jugoslawische Verfassung von

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Infobox/AnregungenRechercheauftrag:

Die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Traiskirchen kommt wiederholt im Film vor. Welche Aufgabe hat die Erstaufnahmestelle? Wie viele Menschen wohnen dort? Wie lange bleiben Flüchtlinge in der Regel dort?

Hintergrundinformation: Artikel über den Politikwissenschaftler Vedran Dzihic, der selbst als Kind in Traiskirchen lebte: https://kurier.at/politik/inland/als-fluechtling-zwischen-den-fronten-im-hohen-haus/154.710.979

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1974, mit der der Prozess der Föderalisierung des sozialistischen Jugoslawien abgeschlossen worden war. Die darin verankerte Schwächung der Bundesorgane sowie die Einrichtung eines kollektiven, dem Konsensprinzip verpflichteten Staatsoberhaupts hatten die politische Entscheidungsfindung auf föderaler Ebene erschwert und den sechs Bundesländern sowie zwei Autonomen Provinzen Kosovo und Wojwodina im Rahmen der Republik Serbien weitreichende Zuständigkeiten überantwortet. Die Republik Serbien fühlte sich durch die Aufwertung ihrer zwei autonomen Provinzen zu konstitutiven Teilen der Föderation besonders benachteiligt („Dreiteilung Serbiens"). Wie alle jugoslawischen Verfassungen seit 1946 beinhaltete auch die Verfassung von 1974 das Sezessionsrecht, d.h. das Recht der Völker auf Loslösung vom jugoslawischen Staatsverband. (…)

Die Auseinandersetzungen wurden zunächst als ordnungspolitischer - nicht als nationaler - Konflikt geführt. Dennoch enthielten sie eine nationale Komponente, die mit dem seit Gründung des ersten jugoslawischen Staates Ende 1918 bestehenden Entwicklungs- und Wohlstandsgefälle innerhalb des Landes verbunden war. Den vergleichsweise wohlhabenden Regionen im Nordwesten und Norden Jugoslawiens standen die ärmeren Gebiete im Süden gegenüber, während das engere Serbien (ohne die autonomen Provinzen) in etwa den gesamtstaatlichen Durchschnitt repräsentierte. Trotz staatlicher Umverteilungsmaßnahmen im ersten wie im zweiten Jugoslawien waren die Entwicklungsunterschiede seit 1918 nicht geringer geworden, sondern hatten sich seit Mitte der 1960er Jahre (seit Einführung der „sozialistischen Marktwirtschaft") weiter verschärft. Slowenen und Kroaten standen dem Mitteltransfer in die ärmeren Regionen infolge häufiger Fehlinvestitionen und Mittelverschwendung zunehmend ablehnend gegenüber und fühlten sich durch das sozialistische System in ihrer Entwicklung behindert, während sich Serbien und die ärmeren Regionen über den „Egoismus" der nordwestlichen Republiken empörten. Die einen wie die anderen fühlten sich „ausgebeutet". Bis Mai 1980, bis zum Tod von Josip Broz Tito, der wie kein anderer das sozialistische Jugoslawien repräsentiert hatte, konnte die aufkeimende Unzufriedenheit allerdings unter Kontrolle gehalten werden.

Obwohl die wirtschaftlich-soziale Krise national konnotiert war, waren die transnationalen Beziehungen in Jugoslawien bis in die 1980er Jahre hinein nicht konfliktreicher als in anderen Vielvölkerstaaten. Die These, dass die multinationale Gemeinschaft Jugoslawiens nur eine der politischen Unterdrückung durch das kommunistische Regime geschuldete Chimäre gewesen sei, ist höchst unwahrscheinlich. Untersuchungen zur „ethnischen Distanz" zwischen den verschiedenen Volksnationen in Jugoslawien zeigen unzweifelhaft, dass diese weniger ausgeprägt war als in manchen höher entwickelten Ländern und deutlich geringer als z.B. in den USA. Zahlreiche Umfragen belegen, dass die interethnischen Beziehungen (etwa am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft) von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung Jugoslawiens noch bis Ende der 1980er Jahre als gut oder zumindest befriedigend und nur von einem kleinen Teil der Befragten als schlecht beurteilt wurden. Die einzige Ausnahme betraf das Verhältnis zwischen Albanern auf der einen und Serben, Mazedoniern und Montenegrinern auf der anderen Seite; hier bestanden sowohl auf albanischer wie auf südslawischer Seite massive (mitunter rassistisch geprägte) Vorurteile. Doch bis in das Jahr 1990 hinein rangierte die jugoslawische Zugehörigkeit bei der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger des Landes an erster Stelle (bei Albanern, Slowenen und Kroaten weniger ausgeprägt als beim Rest der Bevölkerung). Es folgten die Zugehörigkeit zu Europa und erst an dritter Stelle die Zugehörigkeit zur jeweiligen Republik oder Region. Fasst man die Ergebnisse der verschiedenen Umfragen zusammen, so bleibt nur eine Schlussfolgerung übrig: Die ethnischen Spannungen waren nicht Ursache für, sondern Folge von Krise und Zerfall Jugoslawiens.

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4. 2 Die Auflösung Jugoslawiens

Eine Einigung über die Ausgestaltung eines neuen („dritten") Jugoslawiens rückte in immer weitere Ferne. Auf dem XIV. Parteitag des BdK im Januar 1990 überstimmte die Milosevic-treue Mehrheit alle Anträge der slowenischen Delegation. Die slowenischen und kroatischen Delegierten verließen daraufhin den Parteitag. (…) Die zunächst von allen Politikern (und der Mehrheit der Bürger in allen Republiken) vertretene gesamtjugoslawische Option rückte deutlich in den Hintergrund, nachdem die 1990 abgehaltenen ersten freien Wahlen seit 63 Jahren in allen Republiken (mit Ausnahme Serbiens und Montenegros) national-„bürgerliche" Parteien oder Koalitionen an die Macht gebracht hatten. Nur in Serbien und Montenegro konnten sich die nationalistisch „gewandelten" Kommunisten behaupten. Nach den Wahlen von 1990 trat der Zerfallsprozess Jugoslawiens in seine akute Phase. In Slowenien bedeutete der Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses „Demos" vom April 1990 eine deutliche Beschleunigung der Verselbständigungspolitik. Auch in Kroatien lief der Sieg der nationalistischen „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft" (HDZ) unter Franjo Tudjman und der gewachsene Einfluss der kroatischen „Hardliner" aus der Westherzegowina und der Diaspora auf eine künftige Abspaltung von Jugoslawien hinaus. Die HDZ und Franjo Tudjman trugen maßgeblich zur Eskalation bei. Ihr mit nationalistischen Parolen geführter Wahlkampf musste die knapp 600 000 Serben Kroatiens zutiefst verunsichern. Die in der novellierten kroatischen Verfassung vorgenommene Herabstufung der kroatischen Serben vom zweiten Staatsvolk zur Minderheit und die Abschaffung der bis dahin notwendigen Zweidrittelmehrheit bei nationalitätenpolitischen Beschlüssen des kroatischen Parlaments nährte die Diskriminierungsängste der Serben. Statt die aufgewühlte Stimmung in der Bevölkerung zu beruhigen, weckten und schürten kroatische wie serbische Politiker die nationalen Emotionen.

Nachdem die Verhandlungen über eine Neuordnung Jugoslawiens im Verlauf des Jahres 1990 an den unversöhnlichen Positionen der einzelnen Republiken gescheitert und die dialogbereiten Politiker überall marginalisiert worden waren, setzte eine wahre Flut von Volksbefragungen ein. Den Auftakt machten die Krajina-Serben in Kroatien im August 1990, gefolgt von den Slowenen im Dezember 1990 und den Kroaten im Mai des folgenden Jahres. Acht weitere Referenden schlossen sich an. Die Bevölkerung Jugoslawiens, die noch nie eine funktionierende, pluralistische Demokratie erlebt und praktiziert hatte, wurde von einem Tag zum anderen mit weitreichenden Entscheidungen konfrontiert. In der Regel erfolgten die Befragungen unter größtem Zeitdruck, und die Wählerinnen und Wähler wurden unzureichend über die Konsequenzen ihrer Abstimmung informiert. In Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro stimmte die jeweilige Bevölkerung über die Souveränität ihrer Republik und/oder die Sezession vom jugoslawischen Bundesstaat ab. Alternativen jenseits von „Ja" oder „Nein" gab es nicht. Diejenigen nationalen Minderheiten, die keine Chance hatten, die republikweite Befragung in ihrem Sinne zu entscheiden, boykottierten die Volksabstimmungen oder führten getrennte Plebiszite durch. Wesentlich mehr als die Ergebnisse der Parlamentswahlen wiesen die Resultate der Volksbefragungen den Charakter von Volkszählungen auf. Die nationale Zugehörigkeit wurde zum fast alleinigen Kriterium für die Entscheidung auf dem Fragebogen.

Am 25. Juni 1991 verkündeten die Parlamente von Slowenien und Kroatien die Unabhängigkeit ihrer Republiken. Daraufhin gab der letzte jugoslawische Regierungschef, der von der Bevölkerung allseits geschätzte Kroate Ante Markovic, der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) die Weisung zur

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militärischen Sicherung der Grenzen in Slowenien. Das war der Beginn eines zehntägigen Krieges zwischen der Volksarmee und der slowenischen Territorialverteidigung, der dank einer europäischen Vermittlungsinitiative beendet wurde. Gleichzeitig mehrten sich in Kroatien die blutigen Zusammenstöße zwischen aufständischen Serben und kroatischer Nationalgarde, Polizei und paramilitärischen Banden, die zu einem Krieg um die serbisch besiedelten Territorien Kroatiens eskalierten. Die JVA, die sich Ende Juli aus Slowenien nach Kroatien zurückgezogen hatte, intervenierte dabei immer offener auf Seiten der serbischen Minderheit, die auch von neuen Sondereinheiten (den „Roten Baretten") der Milosevic unterstehenden Geheimpolizei in Serbien sowie von paramilitärischen Banden aus Serbien unterstützt wurden.

Die seit den Balkankriegen 1912/13 praktizierte Arbeitsteilung zwischen regulärem Militär und paramilitärischen Banden (letztere zur Erledigung der „Drecksarbeit") erlebte in den 1990er Jahren einen neuen Höhepunkt. Zwischen August und Dezember 1991 wurden aus den serbisch kontrollierten Gebieten Kroatiens schätzungsweise 80 000 Kroaten und Muslime zur „Säuberung des Territoriums" vertrieben. Dubrovnik und andere kroatische Städte wurden beschossen, und am 20. November nahmen die Serben die seit knapp drei Monaten belagerte und fast vollständig zerstörte ostslawonische Stadt Vukovar ein, wobei es zu ersten genozidalen Handlungen kam. Am 19. Dezember 1991 formierte sich in Kroatien die „Serbische Republik Krajina", aus der nahezu alle Nicht-Serben vertrieben wurden oder flohen.

Die zahllosen Verhandlungsinitiativen der Europäischen Gemeinschaft zur Lösung des Konflikts blieben bis Ende 1991 erfolglos. Auch die übrigen Akteure der internationalen Politik, allen voran die USA, standen der Entwicklung ratlos und abwartend gegenüber, zumal Jugoslawien seine vormalige strategische Bedeutung für den Westen verloren hatte. Das Ende des Kalten Krieges, die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, der Golfkrieg und die Auflösung der Sowjetunion überforderten Diplomaten und Politiker gleichermaßen.

Nach dem Scheitern einer mit vielen Hoffnungen begleiteten internationalen Jugoslawienkonferenz im September 1991 entschloss sich die deutsche Regierung am 23. Dezember im Alleingang zur Anerkennung von Slowenien und Kroatien, während die übrigen Staaten der EG diesem Schritt am 15. Januar 1992 - oft nur widerwillig - folgten. Die völkerrechtliche Sanktionierung des jugoslawischen Staatszerfalls führte zu heftigen Debatten. Ein Teil der Kritiker lehnte die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens als zu früh und (vor allem mit Blick auf Bosnien-Herzegowina) als konfliktverschärfend ab, während andere ihre Verspätung kritisierten. Tatsache ist, dass Kroatien zu diesem Zeitpunkt die europäischen Kriterien für eine völkerrechtliche Anerkennung nicht erfüllte. Tatsache ist aber auch, dass Milosevic und die Armeeführung die bis zur Jahresmitte 1991 abgegebenen Erklärungen westlicher Politiker, sie würden eine Aufteilung Jugoslawiens nicht akzeptieren, als Ermutigung für ihr militärisches Vorgehen deuteten. Und Tatsache ist ferner, dass die Kriegshandlungen nicht durch die Anerkennung ausgelöst worden waren und dass die serbische Seite ungeachtet aller diplomatischen Bemühungen ihr Kriegsziel - die Eroberung der beanspruchten Siedlungsgebiete in Kroatien und die Vertreibung der dortigen kroatischen Bevölkerung – weiter verfolgte. Erst nachdem dieses Ziel erreicht war, unterzeichnete Milosevic als Vertreter der Serben am 2. Januar 1992 einen vom US-Unterhändler Cyrus Vance vermittelten Waffenstillstand und erklärte sich mit der Entsendung einer UN-Schutztruppe in die umstrittenen Gebiete einverstanden.

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4. 3 Der Bosnien-Krieg und der Weg zum Frieden

Dort hatte die muslimische und kroatische Bevölkerung in einem Referendum Ende Februar/Anfang März 1992 für die Abspaltung vom serbisch dominierten Rumpf-Jugoslawien gestimmt. Der Krieg, der die Republik noch vor ihrer internationalen Anerkennung am 6. April 1992 erfasste, stellte in seinen Ausmaßen die Kämpfe in Kroatien bald in den Schatten. Die serbische Kriegsstrategie des bewaffneten Aufstands einer erst verängstigten, dann aufgehetzten Bevölkerung und des Einsatzes der Jugoslawischen Volksarmee unter Hinzuziehung paramilitärischer Einheiten und „Wochenend-Krieger" aus Serbien und dem Ausland funktionierte in Bosnien noch effektiver als in Kroatien. Zwischen Sommer 1991 und Ende 1993 operierten in Bosnien 83 paramilitärische Banden, darunter 53 serbische, 13 kroatische und 14 bosniakische. Obwohl es bis Kriegsausbruch keinerlei konkrete Anzeichen für eine Bedrohung oder Benachteiligung der bosnischen Serben gegeben hatte, gingen ihre Anführer sofort in die Offensive. Anfang April legten sie einen Belagerungsring um Sarajevo. Am 12. Mai 1992 proklamierte eine Versammlung der bosnischen Serben die „Serbische Republik/Republika Srpska" und wählte Radovan Karadzic zu ihrem ersten Präsidenten. Im Mai 1992 zog sich die JVA offiziell aus Bosnien nach Serbien und Montenegro zurück. Dabei überließ sie einen Großteil ihrer Waffen und Ausrüstungen den bosnischen Serben. 60.000 Soldaten und Offiziere bosnisch-serbischer Herkunft wechselten die Uniform und bildeten fortan zusammen mit 35.000 Freischärlern die Armee der bosnischen Serben unter dem Kommando von General Ratko Mladic. Die militärische Überlegenheit der bosnischen Serben gegenüber den bosnischen Regierungstruppen war überwältigend. Seit Sommer 1992 beherrschten sie mehr als zwei Drittel von Bosnien-Herzegowina.

Eine grundlegende Änderung der Lage in Kroatien und Bosnien zeichnete sich erst im Frühsommer 1995 ab. Anfang August startete die kroatische Armee eine Großoffensive gegen die „Republik Krajina", die innerhalb weniger Tage ohne nennenswerten Widerstand eingenommen wurde. Den serbischen Kriegern und ihren Angehörigen wurde freier Abzug garantiert. Über 150.000 Serben flüchteten daraufhin aus der Krajina in Richtung Bosnien und Serbien, wobei es von kroatischer Seite zu massiven Racheakten und Kriegsverbrechen kam.

Auch in Bosnien-Herzegowina bahnte sich Mitte 1995 die militärische Wende an. Zwar konnte das serbische Militär mit der Eroberung der ostbosnischen UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa im Juli einen letzten Erfolg erringen, aber die militärische Kooperation zwischen bosnischen Regierungstruppen und kroatischer Armee im Nordwesten Bosniens veränderte die militärische Lage innerhalb weniger Wochen von Grund auf. In gemeinsamen Offensiven erzielten kroatische und bosnische Truppen bedeutende Geländegewinne, während die NATO Luftangriffe gegen serbische Stellungen im Raum Sarajevo, Tuzla und Pale flog. In dieser Situation starteten die USA über ihren Unterhändler Richard Holbrooke eine neue Friedensinitiative. Nach Abschluss eines Waffenstillstands im Oktober 1995 trat in Dayton (Ohio) eine Friedenskonferenz zusammen, auf der die zerstrittenen Parteien ein Abkommen paraphierten, das am 14. Dezember in Paris unterzeichnet wurde. Entgegen den serbischen und kroatischen Teilungsplänen blieb Bosnien-Herzegowina als konföderativer Staat unter internationaler Aufsicht bestehen, zusammengesetzt aus zwei „Entitäten": der „bosniakisch-kroatischen Föderation" mit 51 Prozent des staatlichen Territoriums und der „Serbischen Republik" mit 49 Prozent. Im Anhang 7 des Rahmenabkommens von Dayton verpflichteten sich die Vertragsparteien, den Flüchtlingen und Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatgemeinden zu ermöglichen. Dies war insofern ein Novum, als die „internationale Gemeinschaft" seit dem griechisch-türkischen „Bevölkerungsaustausch" von 1923 die Vertreibung und Deportation

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unerwünschter Bevölkerungsgruppen als ultima ratio zur „Lösung" zwischenstaatlicher Konflikte stets akzeptiert hatte.

In den seit 1990/91 von Serben kontrollierten Territorien hatten sofort ethnische Säuberungen eingesetzt, die auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken konnten. Der Begriff „ethnische Säuberung" (etnièko čišćenje) ging nach Beginn des Bosnien-Kriegs um die Welt und wurde 1992 in Deutschland zum „Unwort des Jahres" gewählt. Sofern er als Synonym für Völkermord benutzt wird, ist er ein Euphemismus. Da aber nicht alle der unter diesem Wort subsumierten Aktionen dem völkerrechtlich definierten Tatbestand des Genozids entsprechen, müsste man den Begriff „ethnische Säuberung" regelrecht erfinden, falls es ihn nicht schon gäbe. Ethnische Säuberung und Völkermord sind nicht identisch. Der erste Begriff ist umfassender als der juristisch genau festgelegte Genozid. Er bezeichnet alle von einem Staat oder Para-Staat initiierten, ermunterten oder geduldeten Maßnahmen, die dazu dienen, eine national oder ethnisch unerwünschte Bevölkerung von einem bestimmten Territorium zu entfernen, einschließlich dessen, was an ihre bisherige Präsenz erinnern könnte. Ziel ist die Schaffung eines ethnisch und kulturell homogenen („gesäuberten") Gebiets.

Das Spektrum der Maßnahmen reicht von der systematischen Veranlassung zur Flucht (mittels sozialer Marginalisierung, Drohung, Demütigung etc.), der Zerstörung der wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen der betroffenen Bevölkerung über den Bevölkerungsaustausch (Transfer) und die Zwangsvertreibung (Deportation) bis zu Massenvergewaltigung (als strategisches Instrument), Elitozid und Völkermord. Die Ermordung von etwa 8.000 Muslimen (Bosniaken) nach der serbischen Eroberung der ostbosnischen UN-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995 steht stellvertretend für die vielen Völkermorddelikte und Kriegsverbrechen in den postjugoslawischen Kriegen. Zu deren juristischer Verfolgung hatten die UN bereits am 23. Mai 1993 mit der Resolution 827 einen Ad-hoc-Gerichtshof mit Sitz in Den Haag gegründet. (…) Ethnische Säuberungen sind keine serbische oder balkanische Besonderheit. Sie sind überall möglich, wo entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehören die Verabsolutierung der Ethnonation, die postulierte Deckungsgleichheit von Nation und Territorium, die Definition von Feinden („Sündenböcken") und deren Entmenschlichung, die Konstruktion von Bedrohungsszenarien und Ängsten sowie die Inszenierung von gewaltsamen Zwischenfällen. Massengewalt bricht nicht aus; sie „ereignet" sich nicht, sondern wird generiert. Auch in Jugoslawien handelte es sich nicht um spontane Reaktionen der Bevölkerung oder sozialer Randgruppen, sondern um organisierte und kalkulierte Gewalt, ähnlich dem Terrorismus. (…) Zwei bis drei Millionen Frauen, Männer und Kinder wurden als Flüchtlinge, Vertriebene oder Ermordete Opfer dieses Gruppendenkens.

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Infobox/Anregungen Was sind die Ursachen für den Zerfall Jugoslawiens? Welche vermeintlichen Gründe sind faktisch betrachtet falsch? Welche Rolle spielte die internationale Gemeinschaft im Konflikt? Was versteht man unter ethnischer Säuberung und inwiefern war sie gleichermaßen

Instrument und Ziel der Kriegsparteien?

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4. 4 Bosnien und Herzegowina heute

Bosnien und Herzegowina ÖsterreichFläche 51.129 km2 83.879 km2

Einwohner 3.752.000 = 73 je km2 8.419.000 = 100 je km2

Hauptstadt Sarajevo WienAmtssprachen Bosnisch, Kroatisch, Serbisch Deutsch, Slowenisch (regional),

Kroatisch (regional), Ungarisch (regional)

Bruttoinlandsprodukt 14,9 Mrd. Euro 301,3 Mrd. EuroWährung 1 Konvertible Mark (KM) = 100

Feninga1 Euro (Euro ) = 100 Cent

Religion 45% Muslime, 36% Orthodoxe, 15% Katholiken u.a. (Stand: 2006)

69,9% Christen (66,0% Katholiken, 3,9% Protestanten), 4,2% Muslime, 0,1% Juden, 12,0% religionslos (Stand: 2006)

Quellen: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65643/bosnien-und-herzegowina?p=allhttp://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65762/osterreich?p=all

Bosnien und Herzegowina – wie es fortan heißt – setzt sich aus zwei Teilrepubliken (Entitäten) zusammen: der überwiegend von bosnischen Serben bewohnten Republika Srpska (RS) (49% des Territoriums) und der bosniakisch-kroatischen Föderation (51% des Territoriums). Auf gesamtstaatlicher Ebene wurden ein Zwei-Kammer-Parlament, ein dreiköpfiges Staatspräsidium (zur Wahrung des ethnopolitischen Proporzes), ein Ministerrat, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank geschaffen. Die gesamtstaatlichen Institutionen besitzen jedoch nur wenige Kompetenzen, darunter für die Außen- und Außenhandelspolitik, Zoll- und Geldpolitik, Einwanderungsfragen sowie die Kontrolle des Luftverkehrs, und seit 2005 auch für die Militär- und Verteidigungspolitik. Alle weiteren Kompetenzen liegen bei den Entitäten.

Internationale Organisationen haben in den vergangenen Jahren das Beispiel Bosnien gern als Erfolgsgeschichte dargestellt – nicht zuletzt, um den Abbau ihrer Präsenz zu begründen. Von der Friedens- und Konfliktforschung und Regionalexperten wird die Bilanz dagegen deutlich skeptischer beurteilt. Einige kritisieren die Einrichtung eines "Halbprotektorats" durch die internationale Gemeinschaft und sehen darin die Hauptursache für das Staatsversagen. Von der Verantwortung für den Staat entbunden, zeigten die politischen Akteure in der Folge wenig Bereitschaft, die Probleme des Landes zu lösen.

Um die daraus resultierenden Probleme in den Griff zu bekommen, erhielt der Hohe Repräsentant auch die Befugnis, Gesetze zu erlassen bzw. außer Kraft zu setzen und Politiker, die Hass schüren, ihres Amtes zu entheben. Doch trotz dieser Eingriffsrechte gelang es oft nicht, ethno-nationalistische Politiker zu disziplinieren. Besonders in den Bereichen Bildung und Erziehung, Medien sowie im Sicherheitssektor nutzen die Vertreter der verschiedenen ethnischen Gemeinschaften die Veto-

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Möglichkeiten der auf Machtteilung angelegten Institutionen, um unliebsame Reformen zu unterlaufen. Auch der Aufbau eines einheitlichen Polizeiwesens wurde jahrelang hintertrieben.

Ein zentrales Problem besteht darin, dass die mit dem Dayton-Vertrag ausgehandelte Nachkriegsordnung nur Angehörigen der bosniakischen, kroatischen und serbischen Volksgruppe umfassende Bürgerrechte einräumt. So müssen sich Angehörige von Minderheiten einer der drei Volksgruppen zuordnen, wenn sie sich um ein Amt im dreiköpfigen Staatspräsidium bewerben möchten. Repräsentanten der jüdischen Gemeinde und der Roma (Jakob Finci und Dervo Seidić) klagten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen diese Diskriminierung und erhielten Recht. Die EU hat signalisiert, dass eine Verfassungsreform Voraussetzung für das Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens ist. Inzwischen wurde dieses zwar v.a. auf Drängen der deutschen Regierung von den EU-Mitgliedsländern ratifiziert, doch haben die bosnischen Politiker bislang ihre Zusage noch immer nicht eingelöst.

Aufgrund der inneren Blockade verliert Bosnien-Herzegowina auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft im Vergleich zu den meisten anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens immer mehr an Boden. Kroatien ist seit August 2013 Mitglied. Serbien, Montenegro und Mazedonien sind Beitrittskandidaten. Der EU-Erweiterungsprozess vollzieht sich in einer sehr ungleichen Dynamik, was zu Problemen im Grenzverkehr und zu starken Frustrationen in der bosnischen Bevölkerung führt.

Im Februar 2014 entwickelten sich massive Bürgerproteste, welche die verbreitete Korruption und Klientelwirtschaft, politische Stagnation und soziale Desintegration anprangerten. In Mostar, Tuzla und Sarajevo kam es zu Ausschreitungen, bei denen Regierungsgebäude gestürmt und verwüstet wurden. In mehreren Städten bildeten sich Bürgerplenen – "runde Tische" – an denen politische und soziale Missstände debattiert wurden. Allerdings entfalteten sie keine nachhaltige Wirkung. Die Hoffnung, dass aus der massenhaften Unzufriedenheit eine zivilgesellschaftliche Bewegung entsteht, welche die ethnopolitischen Grenzen überwindet, die verkrusteten politischen Strukturen aufbrechen und grundlegende Veränderungen bewirken könnte, erfüllte sich nicht.

Bei den Wahlen, die im Oktober 2014 für die Parlamente in Entitäten, das Gesamtparlament und die Präsidentschaft, und auch für die Kantonsparlamente stattfanden, zeigte sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung wie in den vorhergehenden Jahren "national" gewählt hat. Zwei von drei Sitzen der Präsidentschaft wurden von eher nationalistischen Kandidaten der HDZ und SDA gewonnen. In der RS wurde Milorad Dodik (SNSD) erneut zum Präsidenten gekürt, der im Wahlkampf der Forderung nach einem Referendum für die Unabhängigkeit der RS Nachdruck verliehen hatte.

Die EU und die anderen internationalen Akteure sind mit ihren Bemühungen um Einflussnahme weitgehend gescheitert. Gleichzeitig ist kein Ausweg in Sicht. Fest steht nur, dass Bosnien nicht sich selbst überlassen werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass die Ende 2014 vom deutschen Außenminister Steinmeier und seinem britischen Kollegen Hammond im Rahmen einer Westbalkankonferenz in Berlin gestartete erneute Vermittlungsinitiative einen Perspektivenwechsel ermöglicht. Experten der International Crisis Group (ICG) fordern die bosnischen Politiker auf, mehr Verantwortung an lokale Entscheidungsebenen abzugeben. Die BürgerInnen sollen sich stärker als bisher ins politische Geschehen einmischen, um korrupten "Eliten" nicht das Feld zu überlassen. Die ICG ist der Überzeugung, dass wirkliche Reformen nur in einer raschen Anbindung an die EU möglich sind und befürwortet die umgehende Eröffnung von Beitrittsverhandlungen.

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Eine besondere Herausforderung besteht darin, jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen, um ihrer Radikalisierung vorzubeugen. Eine Möglichkeit wären internationale Kontakte im Rahmen von Stipendien sowie Schüler- und Jugendaustauschen. Auch sind Maßnahmen zur Minderung der Jugendarbeitslosigkeit erforderlich, um die Abwanderung ins Ausland ("brain drain") aufzuhalten und die Entwicklungspotenziale des Landes zu erhalten.

Für Fragen und Anregungen steht Ihnen

Ihr Team des LET’S CEE SchulkinosGabi Pachler und Tobias Spöri

jederzeit sehr gerne zur Verfügung.

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Infobox/AnregungenFragen zum Text:

Was sind die größten Probleme, mit denen Bosnien und Herzegowina aktuell konfrontiert ist? Wieso sind vor allem junge Menschen davon betroffen? Warum wollen viele Menschen das Land in Richtung Westen verlassen?

IntegrationBosnien und Herzegowina ist von drei ethnischen Gruppen geprägt, die zugleich drei unterschiedlichen Religionen angehören. In letzter Zeit gab es immer wieder Hinweise auf vor allem junge Menschen, die für den sogenannten Islamischen Staat z.B. in Syrien oder dem Irak kämpfen. Der folgende Artikel, erschienen im Kurier, kann in der Klasse gelesen und diskutiert werden: https://kurier.at/politik/ausland/bosnien-vor-allem-muslime-fuerchten-extremisten/223.969.653

Welche Gründe sind denkbar für eine derartige Radikalisierung?