WELCH IM HEUTIGEN DEUTSCH

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German Life and Letters 43:2 January 1990 0016-8777 $2.00

WELCH IM HEUTIGEN DEUTSCH

PAUL VALENTIN

In der deutschen Gegenwartssprache gibt es ein Element, das unter der Form welch- vorkommt, meistens in Verbindung mit Morphemen: welcher, welche, welches, wekhen, w e l c h a , oder aber ohne Morphem: welch ein Gluck! Es dient auch als Basis in der Kombination irgendwelch-; sonstwelch- scheint eine Worter- buchleiche zu sein; etwelch- ist heute in der Bedeutung ‘einig‘ auf das oberdeutsche Sprachgebiet beschrankt: es ist historisch zusammen mit e twm und etlich zu erklaren. Welcherart, welchergestalt, wekherweisc sind erstarrte Nominalgruppen, die keiner Sonderbehandlung bedurfen, wiihrend sich welcherlei in die Reihe allerlei, einerlei, mancherlei, vielerlei ein fiigt.

Etymologisch gesehen ist welch- eine lih-Ableitung (ahd. (h)uuelih), d.h. es geht letzten Endes auf eine Bahuvrihi-Bildung zuruck (got. hwileiks). DaB das Suffix -1ih > lih nicht erhalten wurde, ist wohl auf deutscher Ebene durch die kurze Stammsilbe zu erklaren: vgl. noch so-lih >solch.

So gehort welch- seit wohl zwei Jahrtausenden zu den Satelliten des Nomens: wir beschranken die Bezeichnung ‘Adjektiv’ auf echte attributfhige Elemente, die zwischen Determinans und Nomen stehen, also qualifizierend/beschreibend fungieren, wie gut oder deutsch. Welch- ist ein Determinans der Nominalgruppe, an deren Anfang es ausschliefllich stehen kann:

Welchen Anted haben Sie daran? Mit welchem Filzstift sie auch zeichnet, . . . Irgendwelche alte(n) Geschichten

DaB in der deutschen Terminologie welch- trotzdem meistens als ‘Pronomen’ gefuhrt wird, soll uns nicht verwundern, bezeichnet doch ‘Pronomen’ ein Element, das das Substantiv (besser: den Nominalkomplex) entweder vertritt (wie er) oder begleitet (wie dein). Hier muB aber sofort darauf hingewiesen werden, daB welch- nie als Vertreter vorkommt, mit der problematischen Ausnahme seines Gebrauchs als Relativpronomen: das Bild, welches. . .

Fragwurdiger sind die Beschreibungen von welch-, wie sie in den gangigen Worterbuchern und Grammatiken zu lesen sind. Dort wird welch- als a) ein Interrogativpronomen dargestellt, das b) auch Indefinitpronomen und c) Relativ- pronomen sein kann (so etwa das Worterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Wahrigs Deutsches Worterbuch oder die Duden-Grammatik). Damit werden aber eigentlich nur Verwendungsweisen oder Funktionen genannt, es wird nicht nach dem gesucht, was diesen schon auf den ersten Blick so unterschiedlichen Gebrauchstypen zugrundeliegen konnte. Man sollte sich doch fragen, ob es im heutigen Deutsch ein einziges welch- gibt, oder ob man rnit welch-,, welch-, . . .welch-, operieren soll.

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Wenn wir nun diesem Problem nachgehen, so geschieht dies aus folgender grundsatzlichen Uberlegung. Eine bestimmte Sprache (stark vereinfacht : die Sprache, die zwei Gesprachspartnern gemeinsam ist) besteht aus einer finiten Menge von Elementen und Regeln; unter diesen Elementen sind die sog. Lexeme, denen eine nicht-finite Menge von Gegenstanden, Wesen, Eigen- schaften, Prozessen usw. der wirklichen oder der imaginaren Welt gegenubersteht. Wenn die Sprachteilmehmer einander verstehen, d.h. etwa einem besonderen Lexem einen besonderen Gegenstand zuordnen, so mu5 das Lexem etwas wie einen semantischen Kern besitzen, der auf alle entsprechenden Gegenstande pa5t: diesen Kern kann man mit Hilfe von Saussures Termino- logie s i g n f i i nennen; so bedeutet (nicht: bezeichnet) z.B. Tisch genau dasselbe in EJtisch, Arbeitstisch, Verhandlungstisch, Nierentisch, Katzentisch und sogar in: Gibt es denn hier keinen Tisch?

Was fur die Lexeme ziemlich einleuchtend ist, sollte auch fur die anderen Bestandteile einer Sprache gelten, darunter die sog. grammatischen Worter, und zwar aus dem gleichen Grund der immer gewarleisteten gegenseitigen Verstandigung der Sprachteilnehmer. Wir mussen von der Annahme ausgehen, da5 welch- ein einziges Signifit eigen ist; dieses SignifiC wird so beschaffen sein, da5 es die verschiedenen Vorkommensweisen von welch- erklaren kann.

Daraus folgt die anzuwendende Methode: es sol1 zuerst das moglichst erschopfende Inventar der Verwendungstypen aufgestellt werden, und erst dann versucht werden, das SignifiC herauszuarbeiten, das diesen Verwendungstypen zugrunde liegt und sie in unseren Augen rechtfertigt.

* * * Welch- kommt in interrogativer Funktion vor; es fragt nach der Identitat eines Gegenstandes oder Wesens:

Welcher Student? - Hans Welche Studenten? - Die Germanistikstudenten

und unterscheidet sich dadurch von w a s f u r (nicht: was f u r ein), das nach der Beschaffenheit fragt :

Was fur ein Student? - Ein hohes Semester Was fur Studenten? - Chinesische (Studenten)

Die heutige Umgangssprache weist jedoch eine starke Tendenz zur Venvechs- lung auf (Germanistikstudmten kann ja entweder als Identifizierung oder als Beschreibung aufgefa5t werden).

Welch- ist u.E. immer Determinans einer Nominalgruppe, auch in

Meine Studenten haben gestern demonstriert. - Welche? Die Erstsemester oder die Examenskandidaten?

wo wir eine elliptische Nominalgruppe annehmen, die fur welche Studenten? steht.

Exklaniativsatze werden oft - wohl zu Unrecht - in die N a e der Interrogativ- satze geriickt. Auf jeden Fall kommt welch- auch dort vor:

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Welche Freude! Welch ein Gluck! Welche verriickte Rede!

Eine dritte Verwendungsweise von welch- soll naher beschrieben werden. Nicht nur umgangssprachlich sind heute Beispiele wie:

Politiker mogen Kinder. Meist haben sie auch welche.

Hier steht wekhe an Stelle von Kinder, deren Wiederholung vermieden werden mu&. In

Meist haben sie auch einige

steht einige an Stelle von einige Kinder. Das heist: wenn eine elliptische Nominalgruppe auf Grund der Morphologie auf Null reduziert wird, dann wird welch- a l s Trager von Numerus, Kasus und Genus eingesetzt: alles andere kann aus dem Vortext erganzt werden.

Aus eben diesem Grunde scheint irgendwelch- als Mehrzahl von irgendein- zu fungieren:

Sie mul3 irgendein Problem / irgendwelche Probleme haben.

Aber auch wie oben:

Geben Sie mir bitte 5 Pfirsiche! - Welche? - Irgendwelche.

Das Element irgend- weist nur auf das Aleatorische hin; es soll hier nicht weiter untersucht werden.

Eine indirekte Frage kann man beim besten Willen in

Ich weii3, in welcher Zeitschrift dieser Aufsatz erschienen ist

nicht erblicken. Wir haben es hier rnit einem zusatzlichen Verwendungstyp von welch- zu tun, der durchaus vergleichbar ist rnit demjenigen in

Mit welcher Methode sie auch arbeitet, sie kommt zu keinem Ergebnis.

wo es mit Sicherheit keinen Relativsatz gibt. In beiden Fallen wird namlich auf identifizierbare Gegenstande hingewiesen, ohne dai3 sie jedoch irgendwie spezifiziert oder qualifiziert wurden:

Der Aufsatz ist in der Zeitschrift X erschienen. Sie mag mit der Methode Y oder rnit der Methode Z arbeiten.

War welch- bisher immer als Determinans in einer Nominalgruppe auf- zufassen, so spielt es im letzten zu nennenden Venvendungstyp eine andere Rolle. Es kann namlich auch Relativpronomen sein:

Der Aufsatz, welcher in dieser Festschrift erscheint. Erst dann ist das Burgtheater jenes deutsche Nationaltheater, als welches Kaiser Josef 11. es wollte.

Kann man nun aus diesem ziemlich bunten Inventar ein einheitliches SignifiC von welch- gewinnen?

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Wir gehen zuerst zu den Interrogativsatzen zuriick:

In welcher Zeitschrift ist der Aufsatz erschienen?

Da welch- auch in nicht-interrogativen Satzen vorkomrnt, kann die interrogative Qualitat des Beispiels nicht an welch- liegen: sie wird vielrnehr durch die Wort- stellung und die Intonation angezeigt -und dekodiert. U. E. enthalt eine Frageauberung eine Pro-position, also einen syntaktisch geformten seman- tischen Gehalt, der dem Partner vor-gesetzt wird, rnit der Auflage, den Wahrheitswert dieser Proposition zu bestimrnen. Bei Gliedfragen enthalt die Proposition einen Parameter (man konnte auch sagen: eine Variable), dessen Wert in der Antwort gegeben werden soll, damit die Proposition als wahr betrachtet werden kann. Welch- ist, zusamrnen rnit wer, was, wann, wo, wie und was f u r , ein solcher Parameter:

Der Aufsatz ist in einer Zeitschrift m erschienen: gib den Wert von m an!

Welch- hat also keine 'Bedeutung' im ublichen Sinne. Es ist jedoch nicht leer. Aus unserer Darstellung folgt, dab welch- in interrogativen Satzen die Angabe einer (virtuellen) Identitat ausdruckt, die nicht naher spezifiziert wird (werden

Kann nun dieses SignifiC auch in den anderen Verwendungsweisen von welch-

Es scheint der Fall zu sein in

Ich weib, in welcher Zeitschrift der Aufsatz erschienen ist. Mit welcher Methode sie auch arbeitet, . . .

. kann).

erkannt werden?

Dies geht aus den zu diesen Beispielsatzen oben zitierten Paraphrasen hervor: die Gegenstande werden als existent identifiziert, rnehr nicht.

Exklamativsatze sind ein schwieriges Kapitel. Nicht welch- rnacht sie exklamativ, da es Exklamativsatze ohne welch- gibt, sondern noch einmal Wort- stellung und wohl in erster Linie Intonation. Wir schlagen folgende Erklarung vor. In

Das schmeckt vielleicht gut!

steht vielleicht, das an sich ein Modalisator ist, der die Wahrheit einer Aussage sehr stark einschrankt: und doch druckt dieser Satz als Exklarnativsatz die Wahrheit des sernantischen Gehalts besonders kraftig aus. Es mu5 also angenornrnen werden, dal3 bei Exklamativsatzen der Sprecher die Wahrheit seiner Aussage in einem ersten Schritt zu rnindern vorgibt, um sie dann in einern zweiten Schritt urn so entschiedener zu proklamieren. Zum zweiten Schritt gehoren Intonation und Wortstellung, zum ersten verschiedene Mittel wie vielleicht und gegebenenfalls welch-. Denn welch- in

Welche verruckte Rede!

besagt nur, da5 es sich um eine identifizierbare Rede handelt, es spezifiziert sie nicht. Es wirkt also eher rnindernd auf den Wahrheitswert der Proposition *es ist eine verriickte Rede, *es gehort zu den verruckten Reden.

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In elliptischen Nominalgruppen ist welch- in Wirklichkeit das ubrigbleibende Element - das es sonst nicht gibt: es weist einfach auf die Existenz von Gegenstanden oder Wesen hin, ohne sie irgendwie zu beschreiben oder zu quantifizieren. Auch hier ist welch- reiner Identifikator.

Die bisher untersuchten Verwendungstypen von welch- lassen sich also auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Welch- ist ein Determinans, das iiberhaupt nicht definiert, sondern nur identifiziert oder individualisiert.

* * *

Das dieses Element aber auch als Relativpronomen vorkommen kann, dad wohl verwundern. Denn ein Relativpronomen ist in erster Linie ein Anaphorikum, und Anaphorika sind an sich definit, und sogar hochst determiniert; die meisten sind ja mit den Deiktika identisch oder sehr nah verwandt (dieser, sie, so). Selbst das andere Relativpronomen d- (der usw.) ist auch ein deiktisches Element, oder mindestens der sog. definite Artikel.

Hier stehen wir anscheinend vor einer widerspriichlichen Situation. Ver- gleichbares gibt es freilich im Deutschen, etwa im Falle von das und was, die beide als Relativpronomina gebraucht werden konnen, jedoch einen Bedeutungs- unterschied aufweisen:

Ich suche etwas, was du nicht kennst. Ich suche etwas, das du nicht kennst.

Eine so Mare Trennung zwischen anaphorischen Typen gibt es bei d- und welch- sicherlich nicht. Aber wir wissen einfach nicht, wann genau d- und welch- als Relativpronomina ohne semantische Anderung austauschbar und nicht aus- tauschbar sind. Vielleicht konnte die entsprechende Untersuchung verwertbare Ergebnisse liefern. Unsere Frage mu& aber solange offen bleiben.