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    Die offene Verschwrung

    Aufruf zur Weltrevolution

    Herbert George Wells

    meist abgekrzt H.G. Wells

    ISBN 3-548-20269-1

    Ungekrzte Ausgabe

    Englischer Originaltitel: The open conspiracy, Erstausgabe 1928

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    Vorbemerkungen

    Herbert George Wells, meist abgekrzt H. G. Wells, (*1866; 1946) war ein englischer Schriftstellerund Pionier der Science-Fiction-Literatur. Wells war auch Historiker und Soziologe.

    1884 bekam er ein Stipendium. Drei Jahre studierte er Physik, Chemie, Geologie, Astronomie undBiologie letzteres bei Professor Thomas Henry Huxley, einem brillanten, aber polemischen Wissen-schaftler, der die Darwinsche Theorie der Evolution vertrat. Wells' Jahre mit Huxley formten in ihmdie Ideen, die er spter in seinen Bchern vertrat, nmlich dass das Christentum bzw. dessen AnsichtenUnfug und der Mensch ein weiterentwickelter Affe sei, dass der Evolutionsprozess tendenziell unmora-lisch und stets eher zur eigenen Zerstrung denn zum Fortschritt fhren knne.

    Zunchst dem Marxismus nahe stehend, wandelte sich Wells zum Sozialisten und gehrte der Fabi-an Society, der Erfinderin der Sozialdemokratie an und engagierte sich in der Folge in der neu ge-grndeten Labour Party bis er sie nach einer Kontroverse verliess. Er kandidierte auch fr das britischeParlament. Er war Mitglied im 14-kpfigen Eliteclub mit dem Namen "Koeffizienten", im PEN-Clubund in zahlreichen malthusianischen Organisationen zur Geburtenkontrolle.

    1918 wurde er kurze Zeit Propagandaleiter gegen Deutschland in Lord Northcliffes Komitee fr

    Propaganda gegen den Feind. Und da er sich schon 1901 mit neuen Militrtechniken wie dem Panzerbeschftigt hatte, wurde er bei der technischen Verbesserung von Kriegsgert zu Rate gezogen, ebensospter im Zweiten Weltkrieg. Zusammen mit dem Experten fr bakteriologische Kriegsfhrung, SirRay Jankester, grndete Wells die "British Science Guild". Darber hinaus war Wells jahrelang mitdem Spezialisten fr chemische und biologische Kriegsfhrung, J.B.S. Haldane, eng befreundet. 1922war er Delegierter Grossbritanniens auf der internationalen Abrstungskonferenz in Washington. Erarbeitete eng mit Winston Churchill zusammen und interviewte Lenin, Stalin und F.D. Roosevelt. Inden USA, wo Wells im Weissen Haus mehrere Male zu Gast war, wurde das einflussreiche MagazinThe New Republic nach Wells' Utopie einer "Neuen Republik" benannt. Wells war nicht nut Mitgliedder genannten Gesellschaften, sondern er war nach John Coleman, dem Verfassers Das Komitee der300 Mitglied desselben, also der hchsten Organisation der W eltelite.

    H. G. Wells und Bertrand Russell (1872-1970) legten die Weltbeherrschungsplne, die in diesem

    Kreis ausgebrtet wurden, schriftlich nieder. Russell offenbart uns den Geist dieser Kreise besonders inThe Impact of Science on Society (1952, Die Auswirkung der Wissenschaft auf die Gesellschaft).Ein weiterer Schriftsteller ist K. S. Mereschkowskij, der 1903 Das irdische Paradies oder ein Win-

    ternachtstraum: Ein Mrchen aus dem 27. Jahrhundert verffentlichte, das sich seither tendenziell soweit realisiert hat, dass man sie eher als Anweisung (fr die Jesuiten wie Mereschkowskij selberschreibt) betrachten sollte. Der Grnder der Paneuropa-Bewegung, Richard Nicolaus Graf Coudenho-ve-Kalergi, beschrieb ebenfalls die Weltherrschaftsplne in einzelnen Bereichen. Auch Coudenhove-Kalergi war nach Angaben von Coleman Mitglied des Komitees der 300. Grundstzlich wollen unssolche Utopien vorbereiten auf deren Programme, die der rechtmssigen geistigen Evolution (undunserem gesunden Instinkt) widersprechen.

    Studiert man die tatschliche Geschichte, so werden Wells Aussagen auf Schritt und Tritt immerwieder besttigt. Deshalb wurde auch der Buchtitel so treffend gewhlt, denn das Komitee war bereits

    damals der Ansicht, dass eine Verffentlichung ihrer Plne besser sei als die weitere Verheimlichung.Das Komitee konnte sich dieses Vorgehen allerdings nur leisten, weil es bereits damals ber gengendstarke Arme verfgte, allfllige Angriffe zu kontern bzw. abzutun. Den Verantwortlichen der OffenenVerschwrung war schon damals klar, dass sie eine Weltherrschaft nur erreichen knnten, wenn sieweitere Kreise mitbeteiligten, zum Beispiel die Industrie.

    Siehe auch Die Offene Verschwrung auf

    http:/ / www.lochmann-verlag.com/ Die%20offene%20Verschw%20Nr.%2036.pdf Die Offene Verschwrung: H.G . Wells und der Kampf der Zivilisationen, von Stephan Marienfeld,

    in der Neuen Solidaritt Nr. 11/ 2002

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    InhaltsverzeichnisSeitennummer: Original neu

    Vorwort 7 4

    1 Von der Notwendigkeit der Religion fr das menschliche Leben 11 4

    2 Unterordnung des ich das Wesen aller Religion 18 6

    3 Von der Notwendigkeit einer Neuformulierung der Religion 21 7

    4 Die praktische Auswirkung der modernen Religion 30 9

    5 Die Aufgabe der Menschheit der Weltstaat 37 11

    6 Umfassende Charakteristik des Weltstaates 42 12

    7 Keine Utopie von stndigem Glck 64 17

    8 Die offene Verschwrung muss heterogen sein 66 18

    9 Mit welchen Krften und Widerstnden die Offene Verschwrungin den bestehenden modernen Staaten rechnen muss 77 20

    10 Die Offene Verschwrung und die Widerstnde der unterentwickelten Vlker 102 27

    11 Widerstnde und feindliche Mchte in uns selbst 118 30

    12 Die Offene Verschwrung beginnt mit Aufklrung und Propaganda 132 34

    13 Erste Aufbauarbeit der Offenen Verschwrung 149 38

    14 Bestehende und in Entwicklung begriffene Bewegungen, derenVereinigung mit der Offenen Verschwrung zu erwarten ist 168 43

    15 Heim, Gesellschaftsgruppe und Schule als schpferische Krfte.Die gegenwrtige Vergeudung jugendlichen Ernstes 181 46

    16 Fortschreitende Entwicklung der Offenen Verschwrung zuWeltkontrolle und Weltgemeinschaft 188 48

    17 Die Weltgemeinschaft 197 50

    Randbemerkungen zu diesem Entwurf 200 51

    Hinweis: Der Beginn der neuen Seiten im Original werden nachstehend mit # xy angegeben.

    # 7

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    Vorwort

    Dieses Buch gibt so einfach und klar wie mglich die Leitgedanken meines Lebens wieder, die Per-spektive meiner Welt. Mir scheint, als htte ich mit meinem ganzen Sein und Handeln nur Beitrgeund Erluterungen zu diesen Ideen und Vorstellungen gegeben. Alle meine brigen Werke, mit kaumeiner Ausnahme, sind nichts als Vorstsse, Untersuchungen, Illustrationen und Kommentare zum Kernaller Dinge oder sein Produkt , den ich hier versuche, nackt bis auf den Grund und unzweideutigniederzulegen. Das ist mein Glaubensbekenntnis. Hier wird man Richtlinien und Kriterien fr alles,was ich tue, finden.

    Da dieses Buch das ganze menschliche Geschick und die Aufgabe des Menschen in ihrem ganzenUmfang zum Inhalt hat, wird man es ein anmassendes Buch nennen. Ein Vorwurf, der zu nahe liegt,als dass er nicht erhoben werden sollte, und den wir daher als gemacht voraussetzen knnen. Aber ist esnicht anmassender, das Leben als Ganzes zum Gegenstand zu nehmen, als sich mit seinen Teilen undAspekten zu befassen? Es ist nur eine Frage des Grades und der Methode. Die Karte eines ganzen Erd-teils vermag #8 sehr wohl mit einem geringeren Aufwand an geistiger Mhe und Arbeit gezeichnetwerden, als die chemische Analyse einer Muskelfaser oder die Untersuchung ber die Struktur eines

    Atoms erfordert. Ein Mensch ist nicht deshalb anmassend, weil er mit dem Theodoliten anstatt mitdem Mikroskop arbeitet. Einige von uns beschftigen sich mit den grossen, andere mit feineren, subtile-ren Fragen. Jedem seine Aufgabe. Im Reich der G edanken gibt es keine Hierarchie.

    Hier wird der freilich lcken- und fehlerhafte Versuch eines Schemas fr alles menschliche Verhaltengegeben, wird errtert, was der Mensch und was die Menschheit tun sollte. Der anstrmenden Fllemoderner Gedanken und Impulse wird ihr Rahmen und ihre Richtung gewiesen. Ich glaube, dass demvon mir vorgezeichneten Wege die schpferischen Krfte des Menschengeschlechts am ehesten organi-siert werden knnen und organisiert werden sollten zum allumfassenden Kampf gegen kollektive Frust-ration und Tod. Ich glaube auch, dass auf diesem und nur auf diesem Wege die Menschheit sich ausder Unsicherheit eines Geschpfs befreien kann, das sich entwickelt hat und das im Spiel der materiel-len Krfte degradiert oder vernichtet werden kann. Uns bietet sich, will ich meinen, eine grosse Gele-genheit dar. Einer gnstigen Gelegenheit, nicht einem Verhngnis sehen wir uns gegenber. # 9

    So will ich denn Zeugnis ablegen und meinen Plan begrnden. Hier erklre ich, ist die Wahrheit undder Weg der Erlsung. Stnde es in meiner Macht, ich wrde dieses Buch jedem denkenden Menschenin die Hand geben. Zeige mir, wrde ich sagen, was in diesem Buch falsch ist, oder aber erklre mir,warum du diesen Prinzipien nicht nachlebst.

    Ich bitte den Leser um G eduld, es handelt sich um ein P roblem, das fr ihn sehr wichtig ist. Mglich,dass es ihm nicht liegt, wie ich meine Gedanken vorbringe, wie ich meine Stze formuliere. Will ernicht darber hinwegsehen um der wichtigen Dinge willen, die ich ihm zu sagen habe? Er wird hierIdeen finden, die bereits in vielen Kpfen leben und immer zahlreicher werden. Ich bin nur der Beob-achter, der seine Zugehrigkeit zu dieser Gedankenwelt bekennt und voller Ernst und Hingabe daraufhinweist, was vor sich geht, und dass der gnstige Augenblick zum Handeln gekommen ist. Will derLeser wenigstens zu verstehen versuchen, ehe er ablehnt? Ich errtere hier die Mglichkeit einer gros-sen hoffnungsvollen Umwlzung in allen menschlichen Angelegenheiten, eines belebenden und ver-

    edelnden Wandels in unserem Dasein. Es geht um nichts weniger als um die Frage, ob unsere Art, ober und ich in ihr und als Teil von ihr bestehen bleiben oder erlschen soll. # 10 # 11

    1 Von der Notwendigkeit der Religion fr das menschliche Leben

    Nur wenige Menschen, wenn berhaupt, lassen sich immer von selbstlosen oder religisen Motivenleiten, andererseits stehen auch nur wenige oder keine ganz ausserhalb ihres Einflusses. Das Alltagsle-ben der weitaus meisten Menschen verluft unzweifelhaft irreligis. Sie scheinen sich lediglich durch

    ihren G esichtskreis, durch Vielfalt und Intelligenz von den Tieren zu unterscheiden. Bestimmend sindinstinktive Impulse, individuelle Sehnschte und persnliche Ziele. Sie fallen von Genuss zu Genuss,von Enttuschung zu Enttuschung, werden von zuflligen Begegnungen angezogen oder abgelenkt,

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    vergessen die Dinge mehr oder weniger und nehmen sie nach Belieben wieder auf. Dennoch bewegtsich das Dasein der meisten Menschen innerhalb von Grenzen, die gesteckt sind durch die herrschen-den Begriffe von Anstand und Ehre, von Recht und Unrecht. Und obschon die Lebensfhrung dergrossen Masse weder wahrhaft sittlich noch in Wahrheit religis ist, so achten sie doch die # 12 landlu-figen moralischen und religisen Formen und Maximen, genau wie sie sich den landlufigen Sittenfgen und ausgetretene Pfade gehen. Hier liegt fr sie die Linie des geringsten Widerstandes, und dasgengt.

    Gemeinwesen sind immer zusammengehalten worden und werden noch heute zusammengehalten

    durch G esetze und Moralkodices, die aufgebaut sind auf religisen Ideen, und das obwohl die wenigs-ten Menschen mehr als einen oberflchlichen Begriff von solchen Ideen haben. Religion war in ihrerVollstndigkeit stets Sache einer kleinen Minderheit. Sie hat den G emeinwesen wohl Gestalt und Funk-tionsfhigkeit gegeben, sie aber niemals ganz durchdrungen. Doch konnte scheinbar eine Daseinsge-meinschaft ohne Religion nicht auskommen. Ohne Sie entbehrte die Moral der Grundlage, waren dieGesetze nicht gerechtfertigt. Der wechselnde Hang der meisten Menschen zu einer gewissen Recht-schaffenheit jenseits ihrer Eigenliebe wird gesttzt, wie eine schwachstengelige Kletterpflanze von ei-nem Gitterwerk, durch die standhaftere Minderheit aufrechter, opferbereiter Menschen, die zu allenZeiten das Banner der Selbstlosigkeit hochgehalten haben und es noch heute hochhalten. Die nach wievor das Salz der Erde sind.

    Religise Vorstellungen entsprangen seit je den verschiedensten emotionellen und intellektuellenQuellen des nach einer Synthese strebenden # 13 menschlichen Geistes. Spekulative Deutungen, M eta-phern, die im stndigen Gebrauch die Form der Feststellungen von Tatsachen angenommen haben,Phantasiegebilde als Folge keimender und unterdrckter Triebe, trgerische Analogien, Gleichnisse,die aus einem Augenblick der inneren Erleuchtung geboren wurden, missverstandene und verzerrteTraditionen, dogmatische Auslegungen als gereizte Antwort auf widersprechende Kritik, die seltsamenKompromisse der geistlichen Diplomatie, die Sehnsucht nach bernatrlichen Sanktionen und Recht-fertigungen, und die Nachtmahrgestalten der Furcht, dieser gespenstische Schatten alles bewussten Le-bens all das tut sich bei der Entstehung einer jeden Religion unentwirrbar zusammen. Der bleibendeWert einer Religion fr ein Gemeinwesen hat jedoch immer in der wirksamen Hilfe gelegen, die sie beider Unterordnung des Ich und bei der Ausbildung des Gemeinschaftsgeistes geleistet hat was beidesohne sie nicht zu erreichen war. Mit Hilfe von aufgeklrtem Egoismus allein scheint es bisher nochnie geglckt zu sein, eine Gemeinschaft im Zustand eines gesunden und kraftvollen Zusammenlebens

    zu erhalten. Aufgeklrter Egoismus vermag wohl in Ausnahmefllen und unter einem leichten odermssigen Druck soviel Uneigenntzigkeit hervorzubringen, dass er tatschlich von staatsbrgerlicherTugend nicht zu unterscheiden ist, und die vielen # 14 Einzelwesen in einer jeden Gemeinschaft kn-nen zweifellos ohne oder mit nur geringem eigenen Dazutun, je nach dem W ert und der Kraft der dieseGemeinschaft zusammenhaltenden berzeugung auf einem bestimmten moralischen Niveau und indieser oder jener Verhaltensweise zusammenleben. Irgendwo aber mssen in diesem G emeinwesen dietragenden berzeugungen leidenschaftlich und ehrlich gehalten und genhrt werden. Ein Gemeinwe-sen ohne die bindende Kraft seiner Ideale ist einem G ebude vergleichbar, dessen Mrtel zu Sand zer-fallen ist. Fr eine Weile mag es noch stehen, aber es ist gefhrdet.

    Nun hat in den Gemeinwesen, in denen wir heute leben, eine weitgehende Schwchung und nde-rung der religisen berzeugungen stattgefunden. D as ist die Folge eines ungeheuren Anwachsens desWissens, einer gesteigerten Kritikfhigkeit, einer relativen Schwchung von Regierung und Autoritt,

    was wiederum eine noch nie dagewesene Redefreiheit nach sich gezogen und so die Verfestigung vonZweifeln zu einer geschlossenen und streitbaren Ablehnung ermglicht hat. Gleichzeitig hat die Ent-wicklung der Technik das Wirkungsgebiet des Menschen erweitert, das wirtschaftliche Leben mehr undmehr internationalisiert und ehemals autonome Staaten und Gebiete einander so nahegebracht, dass sieaufeinander zersetzend wirken knnen. Es gibt mehr Stress in unseren G esellschaften # 15 und wenigerbindende Kraft. Es scheint sich vor unserem Geschlecht eine Weite zu ffnen wie nie zuvor, aber siebirgt das Ungewisse, birgt ungeahnte G efahren.

    In der Vergangenheit gab es Phasen moralischer und religiser Verwirrung. Angesichts neuer Ver-hltnisse und Herausforderungen verlieren bis dahin als richtig anerkannte berzeugungen und Vor-stellungen leicht ihre Geltung, oder man versumt es, rechtzeitig den neuen Problemen zu begegnen.Dann bricht eine Zeit der Lockerung der Sitten, eine Art Verruchtheit an. Skrupel schwinden. Man lsstdem Verrat, der Grausamkeit, der rcksichtslosen Eigenliebe, bis dahin zurckgedrngt, offen die Zgelschiessen. D as Regieren wird abenteuerlicher, tyrannischer und ungerechter, und der moralische Unter-schied zwischen Herrscher und Bandit reduziert sich fast bis zum Nullpunkt. Nur bei einfachen, opfer-bereiten Menschen kann man noch zarte, rechtschaffene Seelen finden, sonst nirgendwo mehr auf der

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    Welt. Und wenn sich noch hier und da der Wille zu einem besseren Leben offenbart, so ist er nichtimstande, das Chaos zu ordnen. Das Italien Macchiavellis und Deutschland nach den zerrtteten Re-formationskriegen sind typische Beispiele fr solche Stadien der Gottlosigkeit in der Geschichte dermenschlichen G esellschaft. Und doch hat sich in solchen Zeiten das Herz der Menschen # 16 nicht et-wa zum Bsen gewandelt, auch ist nicht pltzlich ein Geschlecht von Vipern entstanden. Aber jeneernstdenkende Minderheit, die unter gesicherten Bedingungen den Glauben der meisten und die mora-lischen Grundstze aller gesttzt hat, wurde durch die geistige Verwirrung gespalten und geschwcht.Der Mensch ist immer noch aus den gleichen Elementen zusammengesetzt, aber die hemmenden und

    die treibenden Krfte sind in ihrer Interaktion auf einen Punkt gegenseitiger Neutralisation und kollek-tiven Unvermgens gekommen.

    Viele Anzeichen sprechen dafr, dass man heute in weiten Teilen der W elt wieder einer solchen E-poche des Zerfalls und des Unheils zusteuert. Der Bandit, der politische Bonze und der Abenteurerfangen an, in einem verhngnisvollen Masse erfolgreich und unan tastbar zu werden. M enschen, die zuanderen Zeiten ein tatkrftiges Leben voller Selbstvertrauen gefhrt und einen entscheidenden Einflussauf die menschlichen Angelegenheiten genommen htten, sind im Innersten verunsichert und wissennicht, ob sie eingreifen sollen. Der alte Glaube hat keine berzeugungskraftmehr, er ist belanglos undunaufrichtig geworden. Wohl sind deutliche Anzeichen dafr vorhanden, dass ein neuer Glaube in derWelt entsteht, aber ein neuer Glaube in der Welt entsteht, aber er wartet noch darauf, in Formulierun-gen und Organisationen verkrpert zu werden, die es ihm ermglichen, erfolgreich # 17 auf allemenschlichen Angelegenheiten einzuwirken.

    In der vorliegenden Schrift unternehme ich den Versuch, diese Anstze so zusammenzufassen, dasssie fr des Schreibers wie fr des Lesers Leben tatschlich als Richtschnur dienen knnen. # 18

    2 Unterordnung des ich das Wesen aller Religion

    Die Religionen, d ie bisher ber weite Gebiete und Zeitrume hinweg dazu dienten, d ie Menschen inmehr oder weniger geordneten, gesitteten, anstndigen, fortschrittlichen Gesellschaften zusammenzu-halten, wurden von der Allgemeinheit in einer usserst abgeschwchten Form angenommen. In ihren

    Anfngen waren sie alle hochgespannt und kompromisslos. So haben wir beispielsweise am Anfang desChristentums den vollkommensten Kommunismus, der Buddhismus beginnt mit einem restlosen Ver-zicht auf irdische Wnsche, der Islam mit einer leidenschaftlichen, zwingenden Hingabe der ganzenWelt an Allah. Frher oder spter fanden sich jedoch die religisen Prediger mit der menschlichenSchwche und mit einer weniger strengen Form des Glaubens der Allgemeinheit ab.

    Aber wenngleich der Glaube und seine Ausbung abgeschwcht und dem Mittelmass der Menschenangepasst werden mussten, ehe sie allgemein Aufnahme fanden, so kommt es doch zu keinem wesent-lichen Konflikt zwischen der intensiven # 19 und der oberflchlicheren Form. Der durchschnittlicheMensch war mit allem einverstanden, was in den Glaubenslehren stand; nur einen Aufschub, eine Mil-derung der schweren, drckenden Forderungen verlangte er. Wenn er den Anforderungen nicht Gen-ge tat, so berief er sich auf seine Schwche, und nicht auf eine Abkehr vom G lauben.

    In ihrer Vollstndigkeit, in ihren esoterischen Formen von denen, fr die Religion ein Beruf war,

    war stets das oberste Gebot der Religionen weitgehende Unterordnung des Ich. Und darin lag ihreschpferische Kraft. So etwas wie eine selbstgengsame Religiositt, gleichsam ein privates religisesSolo, gibt es nicht. Bei bestimmten Formen des Protestantismus und bei gewissen mystischen religisenAbarten knnte es fast scheinen, als wollten sie aus dem Glauben ein Duett zwischen dem Individuumund seiner Gottheit machen. Aber das mag als eine Entartung der religisen Impulse angesehen werden.Ebenso wie der normale Sexualtrieb den einzelnen aus seinem Egotismus herausreisst und ihn anregt,der Erhaltung der Art zu dienen, so hebt auch der normale religise Prozess den einzelnen aus seinemEgotismus heraus zum Dienst an der Allgemeinheit. Es ist dies kein Handel, kein Gesellschaftsvertragzwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft, es bedeutet eine Unterordnung beider, des einzelnensowohl als der Gemeinschaft, unter ein anderes, eine Gottheit, # 20 eine gttliche Ordnung, eine Norm,eine hhere Gerechtigkeit etwas, das bedeutsamer ist als der einzelne und die Gesellschaft. Was inder Phraseologie gewisser Religionen Schulderkennung und Flucht aus dem Sndenbabel genanntwird, sind gelufige Beispiele fr diese Beziehung beider, des egozentrischen einzelnen und der jeweili-gen Gesellschaftsordnung, zu etwas weit Hherem.

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    Das ist nun der dritte Wesenszug des religisen Verbundenseins, eine Hoffnung, eine Verheissung,ein Ziel, das den Bekehrten nicht nur von sich selbst, sondern auch von der Welt, so wie sie ist, zu et-was Besserem hinlenkt. Erst die Selbstentusserung, dann der Dienst an der Allgemeinheit und zuletztdieser schpferische Drang, etwas Neues aufzubauen.

    Fr die Menschheit der Geister, die ich als das Salz der Erde bezeichnet habe, scheint dieser Aspektdie ursprngliche Anziehungskraft der Religion gewesen zu sein. M an bedenke, dass der Wunsch nachReligiositt ber die ganze Menschheit verbreitet ist. Die Religion hat niemals ihre einzelnen Jngergesucht, sie mussten zu ihr kommen. Die Sehnsucht, sich aus freien Stcken hheren Zielen hinzuge-

    ben, als sie das Alltagsleben bietet, beherrscht bei jenen wenigen unverkennbar alles andere, sie ist aberauch bei einem nicht zu unterschtzenden Teil der grossen Mehrheit zu spren. # 21

    3 Von der Notwendigkeit einer Neuformulierung der Religion

    Jede grosse Religion hat sich als Geschichte und als Kosmogonie dargestellt. Es erschien notwendigzu sagen, weshalb und zu welchem Zweck. Jede Religion war gezwungen, sich die zur Zeit ihrerEntstehung herrschenden physischen Vorstellungen und vielfach auch die geltenden moralischen und

    sozialen Werte zu eigen zu machen. Sie durfte ber den in der philosophischen Haltung und Aus-drucksweise ihrer Zeit scheinbar natrlich gegebenen Rahmen fr einen Glauben nicht hinausgehenund sich auf nichts beziehen, was den jeweiligen Stand der Wissenschaft berschritten htte. In diesenBedingungen lag schon der Keim in ihrem Verfall und zu ihrer schliesslichen Entthronung.

    Aber da der Gedanke einer stndigen Bewegung, die immer weiter und weiter von dem jeweils Be-stehenden fort und niemals wieder zu ihm zurckfhrt, neu ist, hat man bisher jede religise Neuent-wicklung in der W elt in vllig gutem G lauben als die hchste und letzte Wahrheit ausgerufen. Die Idee,dass die Religion #22 neu formuliert werden knnte, hat etwas Verwirrendes. Sie scheint die Glau-benskraft zu erschttern und bringt Unsicherheit in die Reihen der Glubigen, denn die Fhigkeit derMenschen, den gleichen Geist in unvernderter G estalt wiederzuerkennen, ist usserst unterschiedlich.Whrend einige den gleichen Gott in einer Vielfalt von Namen und Symbolen ohne grosse Schwierig-keit zu erkennen vermgen, knnen andere die verschiedensten Gottheiten nicht auseinanderhalten,

    sofern diese sich unter der gleichen Maske und dem gleichen Namen verbergen. Vielen erscheint esdurchaus natrlich und vernnftig, Religion in Begriffen biologischer und psychologischer Notwendig-keiten zu formulieren. Fr andere wiederum ist jede Abwandlung der religisen Glaubensstze gleich-bedeutend mit verdammenswertester atheistischer Irrlehre. Fr sie muss Gott bis ans Ende aller ZeitenGott bleiben ein Gott, der so anthropomorph ist, dass er einen Willen und einen Plan hat, dass erGnaden erweisen und Gefhle erwidern kann, dass er im Grunde ein menschengleiches Wesen ist.Andere vermgen sich Gott als den grossen Urgrund alles Seins vorzustellen, so unpersnlich und soweit vom Menschen entfernt wie eine atomare Struktur.

    Es ist nicht so sehr einer ungengenden Anpassung an psychologische N otwendigkeiten zuzuschrei-ben, wenn die anerkannten Religionen zur Zeit an Ansehen eingebsst haben, als vielmehr #23 denhistorischen und philosophischen Verpflichtungen, die sie eingingen, und den Konzessionen, die sie derallgemeinen menschlichen Schwche hinsichtlich ehemals belangloser, heute jedoch lebenswichtiger

    Fragen wie Besitz, geistige Bettigung und soziale Glaubenswrdigkeit gemacht haben. Ihre Grundst-ze decken sich nicht einmal mehr in grossen Zgen mit der W irklichkeit, und sie haben es nicht mehr inder Hand, in weiten Bereichen, wo Verwirrung herrscht, Gebote zu erteilen. Man hrt Menschen fra-gen: Ich knnte als katholischer Glubiger restlos glcklich sein, wenn ich nur glauben knnte! Dochist fast der ganze Unterbau religiser Auslegungen, auf dem unser Dasein steht, zu altmodisch und irre-levant, a ls dass jener tiefe Glaube erwachsen knnte, die fr die Hingebung denkender Menschen uner-lsslich ist.

    Moderne Schriftsteller und Denker haben grossen Einfallsreichtum altehrwrdiger religiser Begriffean neuen Ideen bewiesen. Peccavi . Das Wort Gott ist in den meisten Kpfen so eng mit religisenVorstellungen verquickt, dass man nur mit usserstem Widerstreben davon lsst. Das Wort bleibt, ob-schon der Begriff sich immer mehr verflchtigt. Gott rckt der Wirklichkeit fern und ferner, und SeineDefinition wird in steigendem Masse zu einem Bndel von Negationen, bis Er schliesslich in SeinerRolle als das Absolute ein vllig negatives Geprge bekommt. Solange wir vom Guten sprechen kn-nen, sagen # 24 einige, knnen wir von G ott sprechen. Gott beschliesst in sich die Mglichkeit zumGuten, Er ist das Prinzip des Guten in der Welt. Wollte man aus der Sprache die Stze, in denen der

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    Name Gottes gebraucht wird, fortlassen, so wrde die Religion, ihrer Meinung nach, bei so mancherGelegenheit sprachlos dastehen.

    Sicherlich gibt es ein Etwas ber dem Individuum und ber der bestehenden Welt. Wir haben dasbereits als Charakteristikum aller Religionen betont. Diese berzeugung ist der Schlssel zum Glau-bensmut, ist das Wesen des Glaubens berhaupt. Aber ob man sich nun dieses Etwas immer noch alseine hhere, eine allumfassende Persnlichkeit vorzustellen hat selbst wenn man noch so sehr in die-ser Vorstellung befangen war , ist eine andere Frage. Persnlichkeit ist das letzte berbleibsel desAnthropomorphismus. Der moderne Drang nach einer pedantischen Wahrhaftigkeit will von solchen

    Konzessionen an die traditionelle Ausdrucksweise nichts wissen. Andererseits lebt in vielen feinsinni-gen, religis orientierten Geistern die fast zum Bedrfnis gesteigerte Sehnsucht nach einem Gegenstandder Anbetung, der so individualisiert wre, dass er zumindest zu einem rezeptivem Bewusstsein fhigwre, selbst wenn man keine endgltige Antwort von ihm erwartet. Eine Art von Mentalitt kann dieWirklichkeit als solche akzeptieren, die eine andere erst projizieren und dramatisieren muss, bevor # 25sie sie erfassen und entsprechend reagieren kann. Die menschliche Seele ist kompliziert, sie duldet kei-ne Aufklrung, die ein gewisses Mass an Herbheit und Strenge bersteigt. Der menschliche Geist hatdie Begriffe Liebe, Hingabe, Gehorsam und Demut im Verhltnis zu anderen Persnlichkeiten fassengelernt, und nur schwer berwindet er die letzte Stufe zu einer Unterordnung unter etwas bersinnli-ches, das der letzten Spur des Persnlichen beraubt wurde. Wenn von nicht unmittelbar materiellenDingen die Rede ist, so muss sich die Sprache der Gleichnisse bedienen. Und obschon ein jedesGleichnis der Gefahr der Verwirrung in sich trgt, knnen wir doch ohne sie nicht auskommen. Esbedarf einer weitgehenden geistigen Toleranz und deshalb der hochentwickelten Fhigkeit, ein meta-physisches und emotionelles Idiom in ein anderes zu bertragen, wenn es nicht zu einer bedauerlichenVergeudung sittlicher Krfte in unserer Welt kommen soll.

    Man muss sich ber drei tiefgreifende Unterschiede in der geistigen Verfassung der heutigen und dervergangenen Zeiten klar werden, wenn die augenblickliche religise Entwicklung in ihrer Beziehung zudem religisen Leben der Vergangenheit richtig erkannt werden soll. Wir haben grosse Fortschritte inder Erkenntnis seelischer Vorgnge gemacht und dringen mit mehr Mut zu den Ursprngen menschli-cher Gedanken und G efhle vor. Parallel zu den biologischen # 26 Erkenntnissen, die uns im menschli-chen Krperbau Fisch und Amphibie entdecken liessen, laufen Enthllungen auf psychischem Gebiet,die uns aufzeigen, dass sich elementare Krfte wie Furcht und Luft und Eigenliebe unter dem Druckdes sozialen Fortschritts verndert, modifiziert, zu komplizierten menschlichen Motiven sublimiert

    haben. D urch diese Analyse hat sich unsere Einstellung zur Snde zutiefst gewandelt. Was uns vordemSnde schien, erscheint uns jetzt als Unwissenheit, Unzulnglichkeit, schlechte Gewohnheit, und dermoralische Konflikt hat zu drei Vierteln seinen egozentrischen, melodramatischen Charakter verloren.Es gilt nicht mehr, weniger schlecht zu sein, es gilt, unsere bedingten Reflexe zu organisieren und nichtlnger ein so stmperhaftes trichtes Dasein zu fhren.

    Zum zweiten hat sich die Auffassung vom Ich unter dem Einfluss des biologischen Denkens so weitverndert, dass wir nicht mehr so geneigt sind, das Individuum in einen Gegensatz zur W elt zu setzen,wie es unsere Vter taten. Langsam bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass wir aus Missverstndnis Ego-tisten sind. Die Natur fhrt das Ich irre, erfllt es mit Sehnschten, die gegen seine persnlichen Inte-ressen gerichtet sind, um es der Erhaltung der Art dienstbar zu machen. Sind erst unsere Augen frdiese Dinge geffnet, sehen wir in uns je nachdem hhere oder geringere Wesen als das endgltige Ich.Die # 27 Seele des Menschen ist nicht lnger sein eigen. Er entdeckt, dass sie ein Teil eines Hheren ist,

    das bestanden hat, ehe er war, und das bestehen wird, wenn er nicht mehr ist. Der Glaube an ein Wei-terleben der sterblichen Kreatur mit allen Zuflligkeiten und Idiosynkrasien seiner Vergnglichkeit zer-fllt in dieser neuen Sicht der Unsterblichkeit zu Nichts.

    Noch ein dritter wesentlicher Gegensatz zwischen der neuen und frheren Denkweise hat dazu bei-getragen, die allgemeine Form bestehender Religionen unzeitgemss und unbrauchbar zu machen, undzwar die Neuorientierung der gelufigen Vorstellung von der Zeit. Der starke Hang des menschlichenGeistes, alles als die unvermeidliche Folge der Vergangenheit anzusehen, das gleichsam die Zukunfthilflos vor sich her treibt, ist durch eine Menge scharfsinniger Kritik ins Wanken gekommen. Die Auf-fassung vom Fortschritt als einem immer mchtiger um sich greifenden Zweck, eine Auffassung, diesich brigens mehr und mehr den menschlichen G eist erobert, lsst unser religises Leben sich der Zu-kunft zukehren. Wir denken nicht mehr an Unterwerfung unter die unumstsslichen Gebote einer abso-luten Gewalt, wir wollen teilhaben an einem Abenteuer zugunsten einer Macht, die an Boden und de-ren Sieg sicher ist. Die Geschichte unserer Welt, so wie die Wissenschaft sie uns aufzeigt, steht in ei-nem W iderspruch zu allen G eschichten, auf denen die Religionen # 28 fussen. Es hat nicht irgendwanneinmal eine Schpfung gegeben, beginnen wir zu erkennen, sondern Schpfung ist ewig. Es gab keinen

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    Sndenfall, der den Widerstreit von Gut und Bse erklrt, es gibt nur einen strmischen Aufstieg. DasLeben, wir wissen es, ist nichts als immerwhrender Anfang.

    Es scheint unvermeidlich, dass die Religion sich dieser vorwrtsschauenden, das Individuum analy-sierenden Geistesrichtung anpasst, wenn sie eine ordnende, leitende Macht in der gegenwrtigen Ver-wirrung menschlicher Dinge sein will. Sie muss sich freimachen von ihren Heiligengeschichten, vonihren groben Vorurteilen und muss davon lassen, die Menschen glauben zu machen, dass ihre persnli-chen Ziele nach dem Tod weiterleben werden. Die Sehnsucht zu dienen, sich unterzuordnen, stndigzu wirken, sich frei zu machen aus der rumlichen und zeitlichen Begrenztheit des individuellen Da-

    seins, das ist das unsterbliche W esen einer jeden Religion. Es ist Zeit, die Religion von allem anderenzu befreien, um sie fr grssere Aufgaben bereit zu machen, als ihr je gestellt worden sind. Die Ge-schichten, die Symbole, die gut fr unsere Vter waren, behindern und trennen uns. Sakramente undRiten bringen nur einen Widerstreit der Geister mit sich, bedeuten nichts als eine Vergeudung unsererkargen Gefhle. Die Erklrungen ber das Warum sind in der Religion ein unntzer Kraftaufwand.Wichtig ist nur die Sehnsucht # 29 nach Religion und nicht, wie sie entstanden ist. Willst du die Religi-on nicht, so vermag keine berredung, keine berzeugungskraft der Welt sie dir zu geben. Der ersteSatz in dem neuen Glaubensbekenntnis muss daher nicht heissen: Ich glaube, sondern Ich gebenmich hin.

    An was? Und wie? Das sind die Fragen, denen wir uns zunchst zuwenden mssen. # 30

    4 Die praktische Auswirkung der modernen Religion

    Religise Hingabe ist ein kontinuierlicher Prozess, der in einer Reihe von Taten zum Ausdruckkommt. Sie kann nichts anderes sein. Man kann sich nicht einem Hheren verschreiben und dann hin-gehen und leben, wie man zuvor gelebt hat. Das wre eine armselige Travestie der Religion, die nichtdas von ihr erfllte Leben von Grund auf umformen wrde. Nun gehrte zwar zu einer solchen religi-sen Umstellung des Lebens im Rahmen der bestehenden und der frheren Religionen der Menschheitimmer viel Selbsterniedrigung, aber nur gegenber Gott oder den Gttern, viel Selbstkasteiung, abernur zum Zwecke der moralischen Vervollkommnung des Ich. So war zum Beispiel der Glaubenseifer

    des frhen Christentums, bevor das Einsiedlerleben dem organisierten Mnchsleben gewichen war, inkeiner Weise auf Dienen gerichtet, es sei denn, auf geistlichen Dienst gegenber anderen Menschen.Aber sobald das Christentum eine geschlossene, sozialorganisatorische Macht geworden war, setzte eingrosses Werk des Heilens #31 und Trstens, der Hilfe, Arbeit und Erziehung ein. Die neue Tendenzwar und ist darauf gerichtet, das, was man auf sich selbst gestellte Frmmigkeit, gleichsam den D ienstam eigenen Ich nennen knnte, auf ein Mindestmass zu beschrnken und die Ttigkeit nach aussen zuentfalten und zu intensivieren. In dem Masse, in dem Individualitt an Bedeutung verliert, wird auchdas Ideal der inneren Vollkommenheit zurckgedrngt. Wir denken nicht mehr daran, unser Selbstabzutten, zu lutern, zu vervollkommnen, wir wollen uns an ein umfassenderes Dasein verlieren. Wirdenken immer weniger daran, das Ich zu besiegen, und immer mehr, uns vom Ich zu befreien. Undwenn wir es doch unternehmen, uns selbst irgendwie zu vervollkommnen, so gleichen wir darin demSoldaten, der seine wichtigste Waffe putzt und schrft.

    Unsere klarere Erkenntnis stndigen Wechsels, unser umfassenderer und tieferer Einblick in die G e-schichte des Lebens befreit unseren Geist von mancher Beschrnkung, die der Vorstellungskraft unsererVter gesetzt war. Vieles, was ihnen fest und unabnderlich schien, sehen wir als vorbergehende Er-scheinung, die wir beherrschen knnen. Unsere Vorfahren sahen das Leben in seinen Bestandteilen einfr allemal festgelegt und unwandelbaren Gesetzen unterworfen. Wir sehen das Leben als einen nochunentschiedenen Kampf fr Freiheit und Kraft gegen Enge # 32 und Untergang. Wir sehen, wie dasLeben endlich unser zugleich tragisches und hoffnungsvolles Niveau erreicht. Wir wissen, dass wirheute vor grosse Mglichkeiten und gewaltige Probleme gestellt sind. Sie bestimmen unser Dasein.Und die Einstellung des ganzen Daseins auf die Lsung dieser Probleme und auf die Verwirklichungder ihnen liegenden Mglichkeiten erscheint mir als der praktische Aspekt, die materielle Form, alsQuintessenz aller heutigen Religionen.

    Die moderne Religion bedarf so gut wie die vergangener Zeiten ihres ureigensten subtilen und tiefe-ren inneren Lebens, ihre Stunden des Meditierens und der Selbstbetrachtung, hat Zeiten der Bedrngnisund des Suchens und der Anrufung, kennt gleich jener ernste und andchtige Stimmungen, - aber dieseinneren Aspekte sind nicht das Thema unserer Erwgungen. Hier handelt es sich lediglich um die nach

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    aussen gerichteten Formen, um die Richtschnur und Organisierung moderner religiser Bestrebungen,um die Frage, was wir als Glubige zu tun und wie wir es zu tun haben.

    Nun, da die moderne Sicht des Lebens klar ist, haben wir auch unermessliche Mglichkeiten undgewisse ernste Gefahren sehen gelernt. Sie sind eine Herausforderung fr die Menschheit. Sie bilden einvllig neues Gerst, einen neuen Rahmen fr das moralische Leben. Bei dem ein fr allemal festgeleg-ten, beschrnkten G esichtskreis der Vergangenheit bestanden die Werke # 33 der ttigen N chstenliebehauptschlich in Linderungsmitteln fr solche bel, die man fr unheilbar hielt. Die religise Gemein-schaft pflegte die Kranken, speiste die Hungrigen, gewhrte Flchtigen Zuflucht, erbat Barmherzigkeit

    bei den Mchtigen, aber sie dachte nicht im entferntesten daran, Krankheiten, Hungersnten und derTyrannei vorzubeugen. Das Jenseits war das immer bereitstehende Refugium aus dieser Welt der un-berwindlichen Mhsal und der Verwirrung. Heute knnen wir uns sehr wohl eine Weltordnung den-ken, aus der diese belstnde ganz oder fast verbannt sind. Immer mehr kommen die Menschen zu derErkenntnis, dass eine solche Ordnung durchaus im Bereich der Mglichkeiten liegt. Und haben wir unserst zu dieser Erkenntnis durchgerungen, dann knnen wir uns nicht lnger zufrieden geben mit einerReihe von guten und gerechten Taten, die sich lediglich auf Linderung und Trost beschrnken. Das istnichts als erste Hilfe. Der religise Geist wird khner als je zuvor, er durchbricht die Schranke, dieman einst fr unbersteigbar hielt. Allmhlich lernt er seine grsseren Pflichten begreifen. Ob wir derVerwirklichung dieser als mglich erkannten besseren Weltordnung nher kommen oder nicht, daswird fortan der Prfstein fr unser Verhalten sein.

    Die Verwirklichung dieser denkbaren besseren Ordnung setzt gewisse notwendige Errungenschaftenvoraus. Fr jeden klardenkenden Menschen # 34 steht fest, dass der Unsinn eines immer vernichtendenKrieges nicht aus der Welt geschafft werden kann, solange die Vlker nicht einer allgemeinen politi-schen Kontrolle unterstellt und solange gewisse durch das stndige Anwachsen der Bevlkerung, durchwirtschaftliche Ansprche hervorgerufene Ursachen nicht beseitigt werden. W ill man das unbestrittenebel des Krieges vermeiden, will man jeden Grad von Wohlstand und Kraft erreichen, der jetzt amHorizont aufscheint, so muss eine wirksame Weltkontrolle nicht nur der Streitkrfte, sondern auch derProduktion und Distribution der wichtigsten Gter und der Bevlkerungszunahme einsetzen. Es istunsinnig, anders als auf der Grundlage einer solchen Kontrolle von Frieden und weltweiten Fortschrittzu trumen. Sind diese Dinge erst einmal gesichert, dann knnten Fhigkeiten und Energien einer vielgrsseren Anzahl von Menschen als bisher fr die beglckende Ttigkeit des wissenschaftlichen For-schens und der schpferischen Arbeit freigemacht, knnten die menschlichen Mglichkeiten viel besser

    eingesetzt und vermehrt werden. Ein solcher Schritt voran im menschlichen Dasein, der erste zu einemgewaltigen Vormarsch, zu einem Vormarsch, dem keine Grenzen gesetzt sind, ist jetzt tatschlich mg-lich geworden. Die Menschheit hat diese Chance. Aber wir haben nicht die Gewissheit, dass sie siewirklich ergreifen wird, weil nichts sie dazu zwingt. Und sie # 35 wird es auch nicht automatisch tun.Nur eine Organisation von Willen und Energie, wie sie die Welt noch nie gesehen hat, kann sie dazubringen.

    Das sind die neuen Bedingungen, die von den wachsameren Geistern unserer Generation gesehenwerden und die den Unterbau fr das allgemeine Denken abgeben werden, sobald erst die modernenDeutungen der Menschheitsgeschichte und der praktischen und geistigen Mglichkeiten Allgemeingutgeworden sind. Es man scheinen, als sei manchen bsen politischen, sozialen und konomischen Bru-chen und Einrichtungen nicht beizukommen. Doch sie sind weder von ewiger Dauer, noch sind sieunkontrollierbar. Nur dann jedoch knnen sie unserem Einfluss unterworfen werden, wenn die aufge-

    wandte Kraft grsser und entschlossener ist als die Instinkte und die Trgheit, von denen Sie gesttztwerden. Religion, eine zeitgemsse illusionslose Religion sollte darin bestehen, sich mit der Fhrungund Kontrolle des politischen, sozialen und konomischen Lebens zu befassen, oder sie muss eingeste-hen, dass sie nur ein Heilmittel zur Linderung von U nbehagen ist. Wird sie die ntige Kraft aufbringen,um die Menschheit aus den gegenwrtigen Wirrnissen und Gefahren, aus ihrem erbrmlichen, enttu-schenden und fruchtlosen Dasein herauszuheben und sie einer Phase der relativen Sicherheit, des ge-steigerten W illens, der planmssig und stetig zunehmenden # 36 Kraft und dem weitverbreiteten tiefenGlck eines hoffnungsvollen und intensiven Lebens entgegenzufhren?

    Meine Antwort lautet ja, und unsere Aufgabe ist nun zu untersuchen, welches die Anfangsstadienauf diesem W ege sind. Ich schreibe hier fr diejenigen, die mit mir daran glauben, dass es geht, und diedie Folgerungen aus der Weltgeschichte und aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeitschon zu erfassen beginnen. # 37

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    5 Die Aufgabe der Menschheit der Weltstaat

    Ehe wir zur Betrachtung der Formen und Methoden bergehen, nach denen die ernstmeinendeMinderheit der Menschen ihre unumgngliche Aufgabe in Angriff nehmen muss, wird es angebrachtsein, diese Aufgabe in grossen Umrissen aufzuzeichnen und so eine Vorstellung von ihrem Riesenaus-mass zu geben. Wie sollen diese neuen Formen, die man fr das menschliche Dasein erstrebt, beschaf-fen sein, und wie sollen sie aus den alten Formen heraus entwickelt oder ihnen aufgezwungen werden?Und welche passiven und aktiven Widerstnde sind dabei zu erwarten?

    Fr diese Umstellung ist nicht mit einer Unterbrechung im Ablauf des Lebens zu rechnen. Tagschliesst sich an Tag, und das allgemeine Geschehen nimmt seinen Fortgang. Die neue Weltordnungmuss organisch aus der bestehenden Welt erwachsen.

    Die umfassendste Vorstellung dieser neuen Welt ist die einer politischen, sozialen und konomi-schen Einheit. In ihr sind alle unsere anderen # 38 Begriffe von fortschrittlicher Entwicklung beschlos-sen. Das ist Ziel und Richtschnur einer kleinen, aber wachsenden Anzahl von Menschen in der ganzenWelt. W eit grsser jedoch ist die Zahl derer, die heute schon wissen, dass eine solche Einheit durchausim Bereich der Mglichkeit liegt, es aber nicht wagen, sie herbeizuwnschen, weil sie die ungeheurenSchwierigkeiten scheuen, die es zu berwinden gilt, und vorlufig noch nicht sehen, wie sie sie ber-brcken oder umgehen knnen. Aber die grosse Mehrheit sieht noch nicht das Abenteuer des Lebensals Ganzes, der Anschein der Bestndigkeit und Endgltigkeit der bestehenden Lage ist eine Zwangs-

    vorstellung fr sie, die Wirklichkeit, die sie sehen, scheint ihnen ewig zu sein. Sie nehmen die Welt hin,wie sie sie vorfinden. Hier jedoch wende ich mich an die modern denkenden Menschen, und fr sie istein gesicherter, befriedigender Zustand der Welt nicht denkbar, solange es nicht einen einheitlichenWeltstaat gibt. Nur dann knnen in Zukunft Kriege verhtet werden, wenn jene moralischen, kono-mischen und biologischen Krfte, die sonst zu Kriegen fhren wrden, der Kontrolle eines solchenWeltstaats unterworfen werden.

    Ein solcher Weltstaat drfte schwerlich nach den M ethoden der bestehenden souvernen Staaten re-giert werden. Hier bedarf es einer neuen Art der Fhrung mit einer neuen Psychologie. Man wird kaumeinen Prsidenten oder einen # 39 Knig brauchen, der sich an die Spitze aufgereihter Menschenheerezu stellen htte; denn wo kein Krieg ist, bedarf es auch keines Fhrers, um irgendwelche Heere irgend-wohin zu fhren, und in einer polyglotten Welt ist ein Parlament der ganzen Menschheit ein undenkba-res Regierungsinstrument. Die unseren zeitgenssischen Staaten zugrunde liegende Organisation ist

    immer noch eine rein militrische, und das ist gerade das, was eine Weltorganisation nicht sein kann.Fahnen, Uniformen, Nationalhymnen, in Kirchen und Schulen emsig gepflegter Patriotismus, dasmarktschreierische, prahlerische G etse unserer miteinander konkurrierenden souvernen Staaten dasalles gehrt einer Entwicklungsphase an, die wir gerne zur Vergangenheit zhlen mchten. Wir alleheben den vernnftigen W unsch, dass die Staatsgeschfte der Welt durch entsprechend gerstete, wirk-lich interessierte, kluge und der Sache ergebene Menschen gefhrt werden, und dass ihre Ttigkeit einerfreien, offenen, wachsamen Kritik unterworfen sei, der es zwar nicht gestattet ist, den G ang der Ereig-nisse sprunghaft zu unterbrechen, die aber einflussreich genug sein msste, alles Unzulngliche oderUnbefriedigende in der allgemeinen Fhrung, ohne bereilung, aber auch ohne Zgern abzundernoder zu beseitigen.

    Eine Weltbewegung, die eine Beseitigung oder Erweiterung oder Verschmelzung der bestehendenpolitischen, konomischen und sozialen #40 Institutionen zum Ziele hat, muss sich im Masse ihrerAusbreitung mehr und mehr mit den Fragen der praktischen Kontrolle beschftigen. Sie wird wahr-scheinlich, wenn sie anwchst, einen grossen Stab von aktiven Staatsbeamten, von industriellen undfinanziellen Fhrern und Direktoren heranzuziehen, sich wohl auch eine grosse Anzahl intelligenterArbeiter verpflichten. Mit zunehmender Ttigkeit wird sie ganz neue Methoden der Zusammenarbeitentwickeln mssen. Mit ihrem Anwachsen wird sie lernen, wie man die Staatsgeschfte fhrt und dieKritik zu ihren Aufgaben erzieht. So dass diese Bewegung ihrer Natur gemss nicht eigentlich daraufabzielen wird, eine Weltregierung einzusetzen, sondern vielmehr selbst eine zu sein. Und nach ber-windung der erzieherischen und kmpferischen Formen ihres Anfangsstadiums werden mit zunehmen-den Erfahrung und Macht und Verantwortlichkeit Schritt fr Schritt neue Formen der Verwaltung ent-stehen, neue Wege des Forschens und der Korrektur von Fehlern gefunden werden.

    Die Modernisierung religiser Impulse macht den Kampf um die Errichtung eines Weltstaates zur

    obersten Pflicht. Und wenn der Leser einmal berlegt, wie die notwendige Organisation eines solchenWeltstaates beschaffen sein muss, so wird er sehr bald zu dem Schluss gelangen: Eine Bewegung zurErrichtung einer Weltregierung, mag sie in ihren Anfngen noch so begrenzt an # 41 Zahl und Macht

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    sein, muss darauf hinarbeiten, sich selbst teilweise oder gnzlich zu einem Weltdirektorium und durchAngleichung in ihrer Gesamtheit zu einer Weltgemeinschaft zu entwickeln oder sie muss von Anbe-ginn an zugestehen, dass ihr Beginnen wertlos und nichts als dilettantischer Zeitvertrieb ist. # 42

    6 Umfassende Charakteristik des Weltstaates

    Wenn wir hier vor dem modern denkenden Menschen unsere Untersuchung ber die praktischenAufgaben fortfhren, so ist es angebracht, im Rahmen dieses kurzen Umrisses eines weltweiten Ge-meinwesens zunchst einmal zu zeigen, wohin das zeitgenssische Streben geht. Uns ist nicht mit jederbeliebigen Vereinigung der menschlichen Belange gedient, uns kommt es auf eine ganz bestimmte Artder Vereinigung an. Ein Weltcsar wre vom fortschrittlichen Standpunkt kaum mehr zu begrssen alsdas Weltenchaos. Die von uns erstrebte Einheit bedeutet Freiheit des menschlichen Denkens und For-schens und der schpferischen Arbeit. Eine erfolgreiche Verschwrung, die nur das Ziel htte, die Herr-schaft an sich zu reissen, die Weltmacht zu ergreifen und zu behalten, wre im besten Falle erst derRahmen eines Erfolges, knnte das gerade Gegenteil von Erfolg werden. Befreiung von der Drohungdes Krieges und von den krftevergeudenden internationalen Wirtschaftskonflikten wre mit dem Ver-

    lust aller brigen Freiheiten wohl zu teuer erkauft. # 43Und weil wir diese Vereinheitlichung der menschlichen Bemhungen nicht einfach um der Einheitwillen, sondern als Mittel zu ganz bestimmten Zwecken wollen, mssen wir um jeden Preis sei esVerlust an Zeit oder an wirksamer Kraft, sei es ein strategischer oder taktischer Nachteil darauf beste-hen, dass diese einheitliche Fhrung und alle sie vorbereitenden Bewegungen und Organisationen demLichte einer freien, ungehemmten Kritik angesetzt werden.

    Der Mensch ist ein Tier, unvollkommenes Tier, und in der Dunkelheit nicht ganz vertrauenswrdig.Er ist weder vor moralischen noch vor geistigen Fehltritten sicher. Wir alle, die wir die erste Jugendhinter uns haben, wissen, wie wenig wir sogar uns selbst trauen knnen, und wir sind froh, wenn wirwissen, dass unsere Schritte von anderen beobachtet und kontrolliert werden. Darum kann sich eineBewegung, die den bestmglichen Zustand der Welt erreichen will, die Vorteile geheimer Methodenund taktischer Verschleierungen nicht leisten. Das muss sie ihren Gegnern berlassen. ber unsere

    Absichten muss von Anfang an Klarheit herrschen, ber unser Vorgehen darf kein Missverstndnisaufkommen.Die Verschwrung der Religion unserer Tage gegen die bestehenden Institutionen muss eine offene

    Verschwrung sein, wenn sie gerecht bleiben will. Sie ist verloren, wenn sie in den Untergrund geht.Jeder Schritt zur Welteinheit muss #44 bei vollem Tageslicht getan werden, eine anders gewonneneEinheit wre des Gewinnens kaum wert. Innerhalb des so gewonnenen Rahmens muss die Hauptarbeitaufgenommen werden.

    Dieser offene Vorstoss zur Beherrschung der Welt muss um der Wissenschaft und schpferischenLeitung willen unternommen werden. Es gilt einen Kampf um die Befreiung der wissenschaftlichenund schpferischen Krfte, und dieser Kampf muss in allen seinen Phasen einer wachsamen Kritik un-terstellt sein, damit nicht jene grossen Ziele den Anforderungen des Konflikts zum Opfer fallen.

    Die Sicherheit schpferischen Fortschritts und schpferischer Arbeit setzt eine sachkundige Rege-

    lung des wirtschaftlichen Lebens im Interesse der Allgemeinheit voraus. Nahrung, Wohnung und ge-ngend Freizeit fr jedermann! Die fundamentalen Bedrfnisse der animalistischen Existenz mssensichergestellt sein, ehe die eigentlich menschliche Seite sich frei entfalten kann. Der Mensch lebt nichtvon Brot allein. Er isst, um zu lernen und schpferisch zu wirken, und wenn er nicht isst, kann er dasnicht. Sein Leben muss ein wirtschaftliches Fundament haben, genau wie ein Haus ein Fundamenthaben muss, und wirtschaftliche Gerechtigkeit und Leistungsfhigkeit soll allen anderen Aktivittenzugrunde liegen. Aber die menschliche Gesellschaft ausschliesslich unter dem wirtschaftlichen Ge-sichtspunkt zu betrachten, nur unter diesem die # 45 gesamte politische und soziale Arbeit zu organisie-ren, hiesse, aus lauter Beschftigung mit materieller Versorgung das Hauptziel des Lebens aus den Au-gen zu verlieren.

    Es ist wahr, der Mensch ist wie die Tierwelt, aus der er hervorgegangen ist, ein Produkt des Exis-tenzkampfes. Aber anders als die Tiere hat er die Mglichkeit, diesem durch Konkurrenz verursachtenDruck auf die Existenzmittel, der das Schicksal aller brigen Tierarten geworden ist, zu entgehen. Ein-mal kann er den Bevlkerungszuwachs einschrnken, und dann scheint es pro Kopf der Bevlkerungnoch unbegrenzte Mglichkeiten der Produktionssteigerung zu geben. Dank einem berschuss an E-

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    nergie, wie sie noch keine andere Tierart besessen hat, kann er daher dem Kampf ums Dasein ber-haupt entrinnen. Nur durch kluge Kontrolle der Bevlkerungszahl vermag der Mensch sich ausserhalbjenes Konkurrenzkampfes zu stellen, der bisher fr die Entwicklung der Arten bestimmend war. Eineandere Mglichkeit, diesen Kmpfen zu entgehen, gibt es fr ihn nicht.

    Es besteht durchaus die Hoffnung, dass spter einmal die Planung der Geburtenrate in seiner Machtliegen wird. Aber das geht ber den augenblicklichen Stand des praktisch Mglichen hinaus, und dar-um wollen wir uns hier nicht lnger damit aufhalten. Wir beschrnken uns auf die Feststellung, dass dieVorbedingung fr das von uns erstrebte Weltgemeinwesen den organisierten # 46 Weltstaat, der sein

    eigenes Geschick in Hnden hlt die bewusste kollektive Kontrolle der Bevlkerungszahl ist.Der Beschaffenheit der Frau liegt nicht etwa ein starker, instinktiver Wunsch nach zahlreicher

    Nachkommenschaft zugrunde. Der Fortpflanzungstrieb wirkt indirekt. Die Natur sichert dem Men-schen die Erhaltung der Art mittels Leidenschaft und Instinkte, die bei gengender Aufgeklrtheit,Klugheit und Unabhngigkeit der Frau sehr wohl befriedigt werden knnen, ohne dass zahlreiche Kin-der in die Welt gesetzt werden. In einer W elt, wo klares, allen zugngliches Wissen um die Dinge ver-breitet sein und in der Praxis frei angewendet werden wird, wird schon eine leichte Umstellung in densozialen und konomischen Verhltnissen gengend Anreiz oder Abschreckung bieten, um die allge-meine Geburtenquote oder die Quote bestimmter Typen, je nachdem das Gemeinwesen es fr wn-schenswert erachtet, zu bestimmen. Solange die Mehrzahl der Menschen unfreiwillig in Wohllust undIgnoranz empfangen wird, wird der Mensch allen brigen Tieren gleich dem Druck des Daseinskamp-fes unterworfen sein. Die sozialen und politischen Vorgnge werden ein vllig anderes Gesicht be-kommen, sobald wir die Mglichkeit und Durchfhrbarkeit dieser grundlegenden Unwlzungen in dermenschlichen Biologie erkannt haben werden. # 47

    In einer derart entlasteten Welt wird die Produktion der notwendigen Gter weit weniger schmerzli-che Probleme stellen als die heutige Jagd nach Besitz und Genuss seitens der Erfolgreichen und nachArbeit und einem Existenzminimum seitens der Massen. Bei der unbeschrnkten Bevlkerungszunah-me gab es, als Ziel des konomischen Prozesses, nur eine Alternative: Entweder die G leichheit zahlrei-cher Menschenmengen auf einem Lebensniveau, das nur das pure berleben garantierte, oder einesolche Ungleichheit, dass eine Minderheit auf hherem Lebensstandard lebte, indem sie jeden Produk-tionsberschuss, an den sie Hand legen konnte, den zunehmenden Proletariermassen vorenthielt. Trotzgrosser Hast und vieler Konflikte hat das, was wir das kapitalistische System nennen, nmlich die unterdem Schutz des Gesetztes vor sich gehende unsystematische Ausbeutung der Produktion durch priva-

    ten Besitz, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart alles in allem doch Vorteile erbracht, indem esder Tendenz zu einem niedrigen Konsum die unvermeindliche Folge eines um biologische unbe-kmmerten Sozialismus entgegengewirkt hat. Mit der wirksamen Beschrnkung der Bevlkerungszu-nahme jedoch erffnen sich der Menschheit vllig neue Ausblicke.

    Es war seit je der Fehler der Nationalkonomie, der orthodoxen wie der unorthodoxen, dass ihreArbeit in der Luft beginnt, dass sie sich mit # 48 der gerade gltigen Praxis und die gerade gltigen An-schauungen mit Fragen von Lohn, Preis, Wert und Besitz beschftigt, wo doch die tieferen Ursachenwirklich nicht auf dieser Ebene zu finden sind. Die Urgrnde der menschlichen Gesellschaft sind biolo-gischer und psychologischer Art, und die wesentlichen Probleme der Volkswirtschaft liegen auf demGebiete der angewandten Physik und Chemie. Zunchst gilt es zu untersuchen, wie man die Natur-schtze am besten ausnutzt, und danach, wie man dem Menschen zu der angenehmsten und wirksams-ten Arbeitsform verhelfen kann. Damit htten wir dann einen Standpunkt gefunden, von dem aus ber

    die heutigen Methoden geurteilt werden kann.Die akademischen konomen jedoch und mehr noch Marx und seine Anhnger lehnen es ab, sich

    mit diesen fundamentalen Fragen zu beschftigen. Und indem sie sich dummerweise auf ihren gesun-den, praktischen Verstand berufen, begrnden sie ihren Standpunkt kritiklos mit der allgemein blichenGegenberstellung von Arbeitnehmer und Arbeitnehmer und mit einem langen Gefasel ber Profit undLohn. Besitz und entrechtetes Proletariat sind nur eines der vielen Kapitel der Volkswirtschaft.

    Die konomen jedoch wollen sich ernstlich nur mit den heutigen Zustnden beschftigen, alle bri-gen existieren fr sie nicht. Und die Marxisten mit ihrem unberwindlichen Hang, #49 Schlagworteanstelle von Urteilen zu setzen, verdammen alle brigen als Utopisten , ein Wort, das im Mundeder Auserwhlten ebenso endgltig erledigend ist wie das Gegenstck dazu, das bei den Kommunistenals Ersatz fr Gedanken so beliebte Wort Bourgeois. Wenn sie sich weismachen knnen, dass eineIdee oder eine Behauptung utopisch oder bourgeois ist, dann ist es ihnen vllig gleichgltig, ob sierichtig oder falsch ist. Sie ist fr sie erledigt. Genau wie in nobleren Kreisen alles erledigt ist, was manals atheistisch, subversiv oder verrterisch abstempeln zu knnen glaubt.

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    Wenn die Welt ihre heutigen Verkehrsprobleme vor anderthalb Jahrhunderten den Nationalkono-men vorgelegt htte, dann htten sie jede Errterung ber Eisenbahnen, Automobile Dampfschiffe undFlugzeuge mit einem mglichst geringen Aufwand an Worten und Tinte abgetan und htten sich mitdem erheblichen Bewusstsein, Extravaganzen in ihre Schranken verwiesen zu haben, in langatmigenneuralgischen Dissertationen, Streitschriften, Vortrgen und Abhandlungen ber Landstrasse undLandstrassennetz, ber Schlagbume, Kanle, die Einwirkung der Schleusengebhr auf die Schiffer,ber Flughfen und Ankerpltze, Belastbarkeit, Trger, Reisewagen, H andkarren und Fussgnger aus-gelassen. Gar bald wre es zu einer raschen und leichten Differenzierung zwischen einer pferdebesit-

    zenden Minderheit und einer Mehrheit #50 der Fussgnger in Gefhlen und Wnschen gekommen.Das ungerechte Schicksal dieser zu Fuss gehenden Mehrheit htte jedem Philosophen, der nicht reitenkann, qualvolle Stunden bereitet, die jedem reitenden Philosophen gar nicht so ungerecht erschienenwre. Und eine Kluft htte sich aufgetan zwischen den Anhngern der Schule des schmalen Fusspfades,der Schule gar keines Fusspfades oder gar jener, die die Zeit herbeisehnen, da unter der Diktatur derFussgnger alle Pferde ber eine gemeinsame, breite Strasse gefhrt werden. Und alles das mit tiefstemErnst und mit der grssten Wrde. Denn diese Dinge, die Fusswege und Landstrassen und Kanle mitihrem Verkehr waren real, und so utopische Plne, wie ein Verkehr bergauf oder gegen Wind undFlut mit einer Schnelligkeit von dreissig oder vierzig oder noch mehr M eilen in der Stunde gar nichtzu sprechen von der noch viel ungeheuerlicheren Vorstellung eines Lufttransports -, htte man mit ei-nem berlegenen Lcheln abgetan. Das Leben bewegte sich auf zwei Beinen, zuweilen mit Hilfe vonRdern, oder es schwamm, ruderte oder liess sich vom Wind ber das W asser treiben. So war es immergewesen und so wrde es in alle Ewigkeit bleiben.

    Aber sobald diese von der Zeit geheiligte Beschftigung mit der Zuweisung der Anteile des Urhebers,des Organisators, des Arbeiters, des Materiallieferanten, des Kreditgebers, des Steuereintreibers an derGesamtproduktion aufhrt, # 51 als Hauptproblem in der Volkswirtschaft behandelt zu werden, sobaldwir uns von einer Voreingenommenheit, die von Anfang an diese Wissenschaft mehr zu einer Balgereials zu einer wirklichen Wissenschaft stempeln musste, befreit haben und an eine bersicht der Maschi-nen und der brigen fr die Befriedigung des Marktbedarfs der ganzen Menschheit ntigen Produkti-onsmittel gehen und im weiteren untersuchen, wie alle diese Mittel und Maschinen mit dem geringstenAufwand an Arbeit und dem grsstmglichen Erfolg verwendet und die Erzeugnisse verteilt werdenknnen, - dann werden wir in der Volkswirtschaft Richtlinien gewonnen haben, nach denen Ausbeu-tung, Beschftigung und Finanzen wirklich eingeschtzt werden knnen, statt bloss Diskussionsgegens-

    tand zu sein. D ie Fragen des Anspruchs dieses oder jenes Beteiligten drfen wir ruhig als untergeordneteiner spteren Betrachtung vorbehalten. Wir mssen jede Art der menschlichen Mitarbeit an der ge-meinen Sache lediglich unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie diese Mitarbeit am wenigsten mhe-voll und gleichzeitig wirksam zu gestalten ist.

    Die Anstze zu einer solchen wirklich wissenschaftlichen konomie haben wir bereits in dem Stu-dium der industriellen Organisation und der industriellen Psychologie. Wenn sich erst insbesondere dieWissenschaft der industriellen Psychologie weiter entwickelt haben wird, dann # 52 werden wir sehen,wie alle diese Errterungen ber Besitz, Profit, Lohn, Finanzen und Akkumulation des Kapitals, diebisher fr die H auptfragen gehalten wurden, zurckgedrngt werden von jener weit bedeutungsvollerenFrage, welche Konventionen in dieser Materie, welches Geldsystem und welche Auffassung von Eigen-tum den grssten Antrieb und die geringsten Reibungen in jenes weltweite System der Zusammenarbeitbringen, das die allgemeine konomische Basis fr das Funktionieren des Weltstaates abzugeben hat.

    Unzweifelhaft muss sich die oberste Leitung des menschheitsumfassenden Wirtschaftskomplexesdieser neu gestalteten Welt auf ein Informations- und Beratungsbro sttzen, das alle Ressourcen unse-res Planeten in Rechnung stellt, den laufenden Bedarf abwgt, die Produktionsarbeit zuweist und dieDistribution kontrolliert. Die topographischen und geologischen Aufnahmen der modernen zivilisiertenGemeinwesen, ihre offiziellen Dokumente und ihre periodischen Ausgaben von landwirtschaftlichenund industriellen Statistiken sind die ersten groben, unkoordinierten Anfnge eines solchen wirtschaft-lichen Denkens im Weltmassstab. In der Propagandaarbeit von David Lubin, einem Pionier, den dieMenschheit nicht vergessen sollte, und in seinem Internationalen Landwirtschaftlichen Institut in Romversuchte man schon, M onat fr Monat, Jahr fr Jahr, objektive Berichte # 53 ber die Weltproduktion,den Weltbedarf und den Weltverkehr zu geben. Eine derartige grosse Zentralorganisation der Volks-wirtschaft wrde mit der Zeit der Welt die Richtung weisen; sie wrde anzeigen, was hier und dort undberall am besten zu geschehen htte, wrde allgemeine Schwierigkeiten beseitigen, neue Methodenuntersuchen, billigen und anregen und den bergangsprozess vom Alten zum Neuen durchfhren. Eswre nicht etwa eine Organisation zur Majorisierung, die einer unwilligen, sich auflehnenden Mensch-heit ihren Willen aufzwingen will. Sie wrde wegweisend sein, wie eine Landkarte wegweisend ist.

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    Eine Karte zwingt niemanden einen Willen auf, beugt niemanden unter ihre Weisheit. Und dochgehorchen wir ihr.

    Der Wille, eine Karte zu besitzen, die vollstndig, genau und auf den neuesten Stand gebracht ist,und die Entschlossenheit, sich nach ihr zu richten, msste das ganze Gemeinwesen durchdringen. Undes muss die Aufgabe nicht eines besonderen sozialen oder konomischen Teils der Gesellschaft, son-dern aller religis gesinnten Menschen sein, diesen Willen zu nhren und zu unterhalten. Darum mussam Anfang einer Revolution, die den Weltfrieden, allgemeinen Wohlstand und Schaffensfreude zumZiel hat, die Organisation und Sttzung dieser Willenskraft stehen.

    Unter dem Begriff Regierung verstand man frher und versteht man noch heute die Einschchte-rung #54 und Zhmung der Untertanen und seine Unterjochung unter Gott oder den Knig oder dieMchtigen des Gemeinwesens. Willensbeugung, Zhmung des widerspenstigen Jngeren oder Unter-gebenen war ein wesentliches Moment in der primitiven Gesellschaftsordnung, und deren Traditionbeherrscht noch heute unsere Erziehung und unsere Gesetze. Zweifellos muss sich jeder normalemenschliche Wille an jede Gesellschaftsform anpassen. Kein M ensch ist vollkommen. Aber Zwang undBeschrnkungen stellen die Reibungsmomente der sozialen Maschine dar, und je weniger Zwang eineGesellschaftsordnung ausbt, desto williger, natrlicher und leichter wird sie akzeptiert, desto wenigerwerden moralische Bemhungen vergeudet und desto glcklicher wird die Gesellschaft sein. Der Ideal-zustand bei sonst gleichen Bedingungen wre der, der am wenigsten Anlass gibt zu Willenskmpfenund zur Unterdrckung des Willens. Das muss die primre berlegenheit sein bei Festlegung der ko-nomischen, biologischen und geistigen Organisation des von uns erstrebten Weltstaates.

    Wir haben bereits festgestellt, dass die Einflussnahme auf die Bevlkerungsdichte durchfhrbar ist,ohne mit der menschlichen Natur in einen heftigen Gegensatz zu geraten, dass, wenn wir erst diegeeignetste Atmosphre der Aufklrung geschaffen und die Aufmerksamkeit geweckt haben, wir hiermit weit weniger Beschrnkung # 55 des persnlichen Willens auskommen werden, als es heute der Fallist. Auf dieselbe Art und Weise wird es mglich sein, das allgemeine Wirtschaftsleben der Menschheitbefriedigender zu gestalten und alle Dinge, die fr Wohlstand, Freiheit und Ttigkeit des Menschenntig sind, wird es in berfluss geben, unvergleichlich mehr als unter den heutigen Verhltnissen unddas mit nicht nur nicht mehr, sondern unendlich viel weniger Unterjochung und Versklavung als heute.Die Nabelschnur ist noch nicht zerschnitten zwischen dem Menschen und dem blinden Existenzkampf,und immer noch nimmt er Teil an der ungeheuren Verschwendung seiner Mutter Natur. Er muss esnoch lernen, den richtigen Preis der Gter, die er zum Leben braucht, zu schtzen. Er fngt berhaupt

    erst an, sich klar zu machen, dass es da tatschlich etwas zu lernen gibt. Mit den heutigen wirtschaftli-chen Methoden treibt er Schindluder mit dem Willen und den Mglichkeiten des Menschen.Heute wissen wir, dass das neunzehnte Jahrhundert ein Untermass von Denkkraft an einen un-

    fruchtbaren Streit zwischen Individualismus und Sozialismus verschwendete. Man behandelte die bei-den als einander ausschliessende Alternativen, anstatt sie als nur graduelle Unterschiede anzusehen.Die menschliche Gesellschaft war, ist und wird immer sein ein kompliziertes System des Ausgleichszwischen rcksichtslosen Liberalismus # 56 einerseits und D isziplin, Unterordnung unter gemeinsameAufgaben andererseits. Die Dinge bewegen sich nicht einfach von einem rein individualistischen zueinem rein sozialistischen System und umgekehrt. In einem Fall kann sehr wohl Freiheit der persnli-chen Initiative und in einem anderen Normierung und Zwang von Vorteil sein. Das private Eigentumkann niemals gesellschaftlich garantiert und zugleich unbeschrnkt in Hinsicht auf Anwendung undAnhufung sein, wie die extremen Individualisten wollen, und ebenso wenig kann es abge-

    schafft werden, wie die extremen Sozialisten fordern. Eigentum ist nicht Diebstahl, wie Proudhonbehauptet. Es ist der Schutz der Dinge vor Willkr und Missbrauch. In manchen Fllen mag dadurchder Gebrauch einer Sache eingeschrnkt oder verboten sein, der fr die Allgemeinheit von Vorteil wre,und es knnte sein, und ist es auch so, dass das Eigentum nicht immer einen einwandfreien Weg geht.Aber fr all das ist nicht Abschaffung das Heilmittel, sondern eine Revision der Eigentumsrechte.Das Eigentum in seiner konkreten Form ist fr die Handlungsfreiheit in Bezug auf Material notwendig,whrend es in seiner abstrakten Form, als Geld, jene flssige, verallgemeinerte Form, ein Freibrief istfr individuelle Bewegungsfreiheit und individuelle Wahl der Entlohnung.

    Die Wirtschaftsgeschichte der Menschheit ist die Geschichte der Anwendung des Eigentums. #57Sie berichtet vom Konflikt zwischen hemmungslos raffendem Egoismus von einzelnen und der Emp-rung der Enterbten und Erfolglosen, und von dem dahinter ganz zurcktretenden Verantwortlichkeits-gefhl fr allgemeine Wohlfahrt. Geld ist das Ergebnis einer Reihe von abstrakten bereinkommenund war vielen Restriktionen, Monopolisierungen und Regulierungen unterworfen. Es ist niemals einewirklich logische Einrichtung gewesen und hat die weitestgehende und komplizierteste Entwicklungvon Kredit, Schuld und Enteignung zugelassen. Alle diese Umstnde haben ein charakteristisches Sys-

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    tem von Missbrauch und Korruption zur Folge gehabt. Diese Geschichte ist sehr kompliziert, und dieverwickelten Beziehungen von Abhngigkeit, Druck, Behinderungen, falsch angebrachten Diensten,von Geschftsunsicherheit und von zerrttenden Verpflichtungen, in denen wir heute leben, lassen soeinfache und generelle Lsungen nicht zu, wie sie zum Beispiel viele Verfechter des Sozialismus frmglich erachten.

    Aber die berlegungen und Untersuchungen der letzten hundert Jahre haben uns klar gezeigt, dassdie Klassifikation des Besitzes gemss den auszubenden Rechten und dem Umfang des Eigentums inZukunft die Grundlage jedes Systems der sozialen Gerechtigkeit bilden muss.

    Gewisse Dinge, wie der Ozean, die Luft, seltene wilde Tiere, mssen Kollektivbesitz der ganzenMenschheit sein. Sie knnen n icht als gesichert # 58 gelten, bevor man sie nicht als solchen ansieht undbevor nicht eine konkrete Krperschaft da ist, die diese Eigentumsrechte ausbt. Wie auch diese Kol-lektivkontrolle aussehen mag, sie wird dieses Allgemeingut zu bewahren haben, das Meer vor Schiff-fahrtshindernissen, die seltsamen, scheuen Tiere der Wildnis vor der Ausrottung durch Jger und nrri-sche Sammler. Mit dem Aussterben so mancher Geschpfe zahlt der Mensch fr die Trgheit, mit derer eine so wichtige Frage wie die Ausbildung allgemein gltiger Regeln behandelt hat. Dazu gibt esvielerlei Gter des allgemeinen Gebrauchs, d ie nach einer einheitlichen Kontrolle im Interesse der All-gemeinheit verlangen. Die Rohstoffe der Erde sollten allen gehren, drften nicht von einem raffgieri-gen Individuum oder einem raffgierigen Staat monopolisiert, und ihre Ausbeutung fr das allgemeineWohl darf nicht unterbunden werden durch zufllige Ansprche auf territoriale Vorrechte, die dieseroder jener rckstndige oder geschftstchtige Einzelne oder Stamm geltend macht.

    In der Vergangenheit mussten die meisten dieser universellen Anliegen dem Konkurrenzbetrieb pro-fitschtiger Einzelpersonen berlassen werden, einfach weil es bisher noch keine kollektive Krper-schaften gab, die organisiert und fhig waren, diese Anliegen zu entwickeln und zu kontrollieren. D ochwird niemand ernstlich behaupten, dass die Versorgung mit Verteilung # 59 der Ware in der ganzenWelt durch verantwortungslose, lediglich von Gewinnsucht geleitete Personen oder G esellschaften dievom G esichtspunkt der ganzen M enschheit empfehlenswerteste Methode sei. Die Ausnutzung des Bo-dens und aller brauchbaren Naturprodukte war restlos den Gesetzen und Gebruchen des Privateigen-tums untergeordnet, weil das bisher die einzig bekannte und anwendbare Form der Besitzregelung war.Die Entwicklung sowohl von grossen privatwirtschaftlichen Unternehmen wie von staatlichen Institu-tionen mit konomischen Funktionen, also eigentlich die Entwicklung des mehr oder weniger unper-snlichen, kollektiven Besitzes, ist eine Errungenschaft der letzten Jahrhunderte, und dieser Entwick-

    lung haben wir es zu danken, wenn die Idee von organisiertem gemeinschaftlichem Eigentum glaub-wrdig geworden ist.Selbst in modernen Staatsunternehmen besteht noch die Tendenz, die Rolle des eiferschtig lauern-

    den, primitiven, persnlichen Eigentmers aufrechtzuerhalten, und zwar in der Fiktion eines Eigen-tumsrechts Seiner Majestt des Knigs. In Grossbritannien zum Beispiel ist die unklare Vorstellungverbreitet, als schwebte Georg Rex irgendwie ber dem Generalpostmeister seiner Postverwaltung,dessen Anordnungen er genehmigen, verwerfen, und den er zur Rechenschaft ziehen knne. Aber derWeltpostverein, der einen eingeschriebenen Brief von Chile nach # 60 Norwegen und von Irland nachPeking befrdert, hat mit Privateigentum nahezu nichts mehr zu tun. Er funktioniert, unterliegt eineroffenen und sachlichen Kritik, und wenn man davon absieht, dass die politische Polizei der verschiede-nen Lnder sich manchmal Briefe aneignet und heimlich ffnet, arbeitet er alles in allem leidlich zu-friedenstellend. Und hinter ihm steht als treibende Kraft nichts anderes als der zweckbewusste, gesunde

    Menschenverstand.Aber wenn wir nun hier vorschlagen, das Privateigentum durch eine hhere Form des Kollektivei-

    gentums zu ersetzen, das einer freien Kritik unterworfen und der ganzen Menschheitsrepublik fr dieOberaufsicht ber Meer und Land, fr Herbeischaffung und Verarbeitung der Rohstoffe, fr Warendist-ribution und Verkehr verantwortlich ist, dann haben wir in der Tat alle Mglichkeiten der berfhrungdes Privateigentums in Kollektiveigentum erschpft mehr knnen auch die extremsten unter den zeit-genssischen Sozialisten nicht verlangen. Und wenn wir dazu noch die Forderung aufstellen, dassdurch eine zentrale Weltinstanz ein Geldsystem gesichert werde, wodurch der Arbeiter gerecht entlohntwird und der Lohn fr ihn seinen Realwert behlt, und wenn wir des weiteren noch die Kreditwirt-schaft im allgemeinen Interesse der Kontrolle einer sozialisierten Weltbankorganisation unterstellen,dann htten wir den ganzen Bereich umrissen, aus dem Privatbesitz # 61 und unbeschrnktes Privatun-ternehmertum ausgeschlossen wurden. Darber hinaus wird uns die Gesellschaftspsychologie wahr-scheinlich lehren, dass die beste Arbeit im Dienste der Allgemeinheit stets durch individuelle Initiativegeleistet wird, vorausgesetzt, man berlsst ihr sie Freiheit der Entfaltung. Wenn der einzelne Grund-besitzer und Grubenbesitzer ganz von der Welt verschwindet, so wird er wahrscheinlich durch den vom

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    Kollektivbesitz abhngigen Pchter grosser Areale mit weitgehend gesicherten Pachtvertrgen durchHausverwalter und Konzessionsinhaber ersetzt werden. Und die Erfahrung wird lehren, dass man esam zweckdienlichsten dem Landwirt berlsst, durch seine eigene individuelle Leistung den grsstmg-lichen Ertrag zu erzielen, genau wie es dem Hausverwalter berlassen bleiben muss, Haus und Gartenseinen Wnschen gemss zu gestalten.

    Das wre in groben Umrissen, soweit es sich um seine Fhrung und sein Wirtschaftsleben handelt,der Weltstaat, der der zeitgenssischen Vorstellung entspricht, was die Leistung des Wirtschaftslebensbetrifft. Die Ausbildung solcher kollektiven Krperschaften, die imstande wren, diese umfassenderen

    Eigentumsrechte im Interesse der Allgemeinheit so auszuben, wie es die individuellen Eigentmer,von denen jeder auf eigene Faust arbeitet, nicht vermgen, darin sehen heute die denkenden Menschendie wirkliche, praktische Aufgabe. Wie diese kollektiven # 62 Krperschaften beschaffen sein mssen,ob sie durch Wahl einzusetzen sind, oder woher sie sonst ihre Autoritt beziehen sollen, das alles sindheute noch offene Fragen. Auch glte es noch die Reichweite ihrer Arbeitsmethoden, ihrer Beziehun-gen zueinander und zu der zentralen Instanz, die das Hirn der Weltwirtschaft sein sollte, zu definieren.Aber es ist mglich, dass ich noch vor Abschluss dieser Abhandlung in der Lage sein werde, durch pr-zisere Vorschlge zumindest die Grundlage fr eine solche Definition zu geben.

    Im neunzehnten Jahrhundert stellte der Sozialismus in seinen verschiedenen Formen, die starkenFormeln des Kommunismus miteingeschlossen, eine Reihe von Vorschlgen zur Errichtung einer sol-chen Kollektivgewalt dar; doch waren das zumeist sehr unklare Entwrfe, denen der Faktor einer ge-sunden psychologischen Analyse fast vllig fehlte. Und da diese Vorschlge im Grunde nichts andereswaren als Protest und Auflehnung gegen die krasse Ungerechtigkeit selbstschtiger individualistischerAusbeutung der neuen effizienteren technischen und finanziellen Methoden des achtzehnten und neun-zehnten Jahrhunderts, so gingen sie begreiflicherweise in ihren Forderungen ber die Grenzen einervernnftigen Sozialisierung hinaus und suchten in geradezu absurder Weise die Schwierigkeiten undGefahren einer kollektiven Kontrolle als geringfgig darzustellen. Emprung # 63 und Ungeduld warendie sie leitenden Gefhle, und wenn sie auch nicht viel aufbauten, so enthllten sie doch viele Miss-stnde. Ihrer Pionierttigkeit haben wir es zu danken, wenn wir heute die vor uns liegende Aufgabe inihrem ganzen Umfang zu bersehen vermgen. #64

    7 Keine Utopie von stndigem G lck

    Es wre falsch, dem Leser die geeinte Welt, auf die uns das Streben der religisen Minderheit hin-lenken will, als statischen, ewig gleichen Zustand von Glck auszumalen. Man knnte daran zweifeln,ob berhaupt so etwas wie Glck mglich ist, anders als unter stndig wechselnden Lebensbedingun-gen, die stndig weitere und anregendere Ausblicke bieten. Eine von dem D ruck der berbevlkerung,von den krftevergeudenden Kriegen und der Monopolisierung der Quellen des Wohlstands durch ein-zelne befreite Menschheit wird mit einer ganz anderen Willens- und Tatkraft dem Universum gegen-berstehen. Der Wechsel und das Neue das wird die Parole des Lebens sein. Jeder Tag wird sich vondem vorangegangenen unterscheiden durch grsseren Reichtum der Interessen. Das Leben, das frherRoutine, Last und Missgeschick war, wird zu Abenteuer und Entdeckung werden. Es wird nicht lnger

    mehr die alte Geschichte sein.Noch haben wir uns kaum ber die Tierwelt in ihrem Daseinskampf erhoben, noch leben wir im

    # 65 frhen Dmmer menschlichen Bewusstseins; der Geist der Meisterschaft beginnt erst zu erwachen.Ich glaube daran, dass die stndige wissenschaftliche und knstlerische Erkundung unserer inneren undusseren Welt durch wissenschaftliche und knstlerische Bemhungen eine Entfaltung der Willens-und Tatkraft mit sich bringen wird, deren Grenzen und Formen heute noch nicht abzusehen sind.

    Unsere Gegner heissen geistige Verwirrung, Mangel an Mut, Mangel an Wissensdurst und an Phan-tasie, Trgheit und ein bermass an Egotismus. Gegen diese Feinde muss die Offene Verschwrung zuFelde ziehen, sie sinds, die die menschliche Freiheit gefangen halten und die menschliche Entwicklunghemmen. # 66

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    8 Die offene Verschw rung muss heterogen sein

    Diese laut und offen erklrte Absicht, aus dem gegenwrtigen Flickwerk partikularistischer Regie-rungen eine wirkliche Weltordnung zu machen, die militaristische Einstellung, die bisher den Regie-rungen ihren Stempel aufgedrckt hat, durch eine andere zu ersetzen und das Kreditwesen und die um-fassenden fundamentalen Prozesse des Wirtschaftslebens dem Zugriff privater Gewinnsucht und indi-vidueller Monopolisierungsbestrebungen zu entziehen diese Offene Verschwrung, auf die notwendi-gerweise das moderne religise Denken seine praktischen Aktivitten ausrichten muss, wird ganz natr-lich eine starke Opposition auf den Plan rufen. Der Offenen Verschwrung steht fr ihre schpferischeArbeit kein freier Spielraum zur Verfgung; sie bedeutet Aufbauarbeit, bei der man sich kaum bewegenkann, ohne an etablierte Zustnde anzustossen. Sie lehnt es ab, mit dem Strom zu treiben, alles laufenzu lassen. Sie wird alle Dinge des Lebens, von Anfang bis zu Ende, unter die Lupe nehmen und allefr nicht gut genug # 67 erachten. Sie kmpft gegen die allgemein verbreitete menschliche Neigung an,alles in Ordnung zu finden.

    Man knnte nur daraus schliessen, und das wre ein voreiliger, falscher Schluss, dass wir nur beiden Unglcklichen, Unzufriedenen, Entrechteten, bei den vom Land Besiegten Sympathien und leiden-schaftliche, ttige Untersttzung der revolutionren Umwlzungen zu erwarten haben. Dieser Gedankeliegt dem marxistischen Dogma vom Klassenkampf zugrunde und beruht auf einer grob vereinfachtenKenntnis der menschlichen Natur. Demnach sollen die erfolgreichen Wenigen kein anderes treibendes

    Motiv kennen als den Wunsch, ihre Vorteile zu wahren und zu mehren. Eine vllig imaginre Solidari-tt zu diesem Zwecke, ein niedriger, widersinniger Klassengeist wird ihnen angedichtet. Auf der ande-ren Seite setzt man bei der Masse der Erfolglosen, dem Proletariat, die Fhigkeit voraus, seine Lageklar zu erkennen, und whnt, dass mit seiner zunehmenden Verarmung und Erbitterung auch seineErhebung, seine konstruktive Diktatur und so das Tausendjhrige Reich in immer greifbarere Nhercke.

    Sicherlich steckt viel Wahres in dieser theoretischen Grundlage der kommunistischen Revolution,doch ist diese Wahrheit verzerrt. Gleich allen anderen Lebewesen neigen auch die Menschen dazu,Verhltnisse, die ihnen Vorteile bieten, aufrechtzuerhalten, und eine nderung zu # 68 erstreben, wenndiese nicht gnstig sind. Und so kommt es, dass viele Menschen, denen es gut geht, an den gegen-wrtigen Verhltnissen wenig oder gar nichts gendert wissen wollen vor allem hauptschlich solche,die zu dumm sind, um die Langeweile eines stagnierenden Daseins zu empfinden , whrend ein gros-

    ser Teil derer, die die Unannehmlichkeit beschrnkter Mittel und einer starken berbevlkerung ameigenen Leibe spren, durchaus eine nderung erstreben. Aber viel grssere Massen der sogenanntenkleinen Leute sind ihre Unterdrckung und Armut schon so gewohnt, dass sie ihr Los gar nicht mehrstark genug empfinden, um es anders zu wollen; oder aber, wenn sie es dennoch empfinden, so ist dieAngst vor etwas Neuem immer noch grsser als die Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal. Mehr noch.Diejenigen, deren Elend so gross ist, dass ihren zu dmmern beginnt, irgend etwas msse geschehen,neigen viel eher dazu, vom Himmel und der Regierung unter kindischen Drohungen eine Verbesserungihrer Lage, und Rache und Strafe auf das Haupt der beneideten Glcklichen, mit denen sie in unmittel-baren Kontakt stehen, herabzuflehen, als dass sie auf den Gedanken kmen, den einzigen Weg zu su-chen, der das Los der Menschheit bessern knnte, nmlich den der d isziplinierten, aufbauenden Arbeit.In der Praxis scheint sich der Marxismus zu einem bequemen Sammelplatz fr verderbliche, zerstreri-sche Krfte auszubilden, # 69 und er erweist sich als so unerschpferisch, dass er grossen Schwierigkei-ten gegenber faktisch ohnmchtig ist. In Russland, wo, wenigstens in den stdtischen Zentren und umsie herum, der Marxismus auf die Probe gestellt worden ist, ist von der Heilslehre einer Arbeiterrepu-blik nur mehr ein Schlagwort, eine Parole fr die Rechtglubigen briggeblieben, die so wenig prakti-sche Bedeutung hat wie der Kommunismus Jesu und die Kommunion mit Christus im Christentum.Tatschlich verbirgt sich hinter diesem Credo eine Oligarchie, die durch ihre Berufe zur Macht gelangtund hartnckig bestrebt ist, entgegen dem Misstrauen und der Feindseligkeit der westlichen Finanziersund Politiker, ihr Bestes zu tun und interessante und hufig auch erfolgreiche Experimente zur Soziali-sierung des wirtschaftlichen Lebens durchzufhren. Jahr fr Jahr erkennen wir deutlicher, dass Mar-xismus und Kommunismus Abwege vom Pfade des menschlichen Fortschritts sind, dass der Aufstiegber verschlungenere Wege geht, ber Wege, die den normalen Trieben der menschlichen Natur weni-ger schmeicheln.

    Die einzige wichtige Wahrheit in der von Marx und Engels aufgestellten Theorie der sozialen Ent-wicklung ist die, dass erfolgreiche, behaglich lebende Menschen geneigt sind, jedem wesentlichenWechsel in dem bestehenden Flickwerk der Verhltnisse ablehnend gegenberstehen, ja, aktiven Wi-

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    derstand zu leisten, wie gross #70 auch die endgltigen Gefahren dieser Verhltnisse und um die Ent-behrungen und Leiden anderer Menschen sein mgen. Der wesentlichste Irrtum dieser Theorie bestehtin der naiven Annahme, dass man die Benachteiligten zu mehr als zu chaotischen und zerstrerischenManifestationen ihrer Unzufriedenheit wachrtteln knne. Wenn wir nun den Irrtum zurckweisenund die Wahrheit akzeptieren, so verlieren wir zwar den trgerischen Trost eines Glaubens an diesenmit Zauberkrften ausgestatteten Riesen, das Proletariat, das diktieren und einrichten, aufbauen undschaffen wird; aber wir bereiten den Weg fr die Anerkennung einer ber die ganze Gesellschaft ver-streuten Elite von klugen, religis gesinnten Menschen und fr das Studium der Methoden, durch die in

    den D ingen des Lebens dieses schpferische Element eingesetzt werden kann gegen den massiven W i-derstand des Egoismus und des phantasielosen, um das liebe Ich besorgten Konservatismus.

    Nun scheinen bestimmte Typen von M enschen, zum Beispiel Ruber und Diebe, nur Schdlinge derGesellschaft zu sein, an denen man kein gutes Haar lassen kann, whrend andere, wie zum BeispielBuchmacher, uns mit einem Minimum an Unterhaltung und Zerstreuung versorgen, das jedoch einMaximum an Schdlichem in sich birgt. Hartnckige Mssiggnger sind nur eine Belastung fr dieGesellschaft. Andere soziale Stnde wieder, wie Berufssoldaten, # 71 verbergen unter dem traditionel-len Anschein von Ehrbarkeit ein im Grunde parasitisches Dasein, wenn man ihre Ttigkeit im Hinblickauf die Entwicklung der modernen Gesellschaft betrachtet. Armeen und Rstungen sind Krebsschden,verursacht durch den bsartigen Charakter, den unter den heutigen Bedingungen der bertreibung undMassensuggestion der Virus des Patriotismus angenommen hat. Aber da nun einmal in der heutigenWelt Armeen bereitstehen, um Gewalt anzuwenden, so muss die Offene Verschwrung fhig sein, mili-trischer Gewalt zu trotzen und Armeen, die sich ihr in den Weg stellen, zu bekmpfen und zu vernich-ten. Vielleicht kann man die beiden ersten hier angefhrten Typen als ganze Gruppe verdammen undvon der Mitwirkung am organisierten Bemhen um eine Verwandlung der W elt ausschliessen; mit demSoldaten kann man es begreiflicherweise nicht tun. Der Weltstaat wird seine eigenen wissenschaftli-chen Methoden der Vorbeugung haben mssen, solange es auf unserem Planeten noch Menschen ge-ben wird, die mit Fahnen, Uniformen und Waffen herumlaufen, bereit, im Namen der nationalen Sou-vernitt Mitmenschen Gewalt anzutun und den freien Warenaustausch zu verhindern.

    Und wenn wir uns den Klassen zuwenden, dem Grossgrundbesitzer, dem industriellen Organisator,dem Bankier usw., die das bestehende System, so wie es ist, beherrschen, dann drfte es # 72 uns erstrecht klar werden, dass uns weitgehend aus diesen Reihen, aus ihrem Schatz an Erfahrung und traditi-onellen Methoden die fhrenden Krfte der neuen Ordnung erstehen mssen. Die Offene Verschw-

    rung kann nichts mit der ketzerischen Anschauung zu tun haben, dass der Weg des menschlichen Fort-schritts ber einen grossen Klassenkrieg fhrt.Wir wollen uns einmal einen solchen Komplex von Aktivitten, Usancen, angehuften Erfahrungen,

    Vorteilen nher betrachten, wie ihn das Bankwesen darstellt. Zweifelsohne gibt es viele Bankiers undmancherlei Praktiken im Bankwesen, die auf Kosten der Allgemeinheit den Vorteil einzelner oder be-stimmter Gruppen verfolgen. Sie kaufen die Ware auf, monopolisieren und verknappen sie, treiben diePreise hoch und mehren so ihren Reichtum. Und viele andere aus dieser Bankwelt bewegen sich ingewohnten Gleisen. Sie fhren die Dingen weiter, wie sie sie vorfinden, und stehen einer fortschrittli-chen Weltorganisation der Finanzen weder hindern noch frdernd gegenber. Aber dann bleibt nochein kleiner Rest von originellen, intelligenten Menschen, die mit dem Bankwesen verknpft oder geistigan ihm interessiert sind und erkannt haben, welche wichtige, anregende Rolle es in der W eltwirtschaftspielt, die ihre eigene, komplizierte Funktion so sehr interessiert, dass sie deren Quellen, Bedingungen

    und Zukunftsmglichkeiten wissenschaftlich erkennen #73 mchten. Solche Typen tendieren naturge-mss zur Offenen Verschwrung. Ihre Forschungen fhren sie unvermeidlich weit ber den Blickkreisihrer Berufsgenossen hinaus, zu einer Untersuchung ber Wesen, Strmungen und Schicksal des ge-samten Wirtschaftsprozesses.

    Nun kann man das Thema des vorangegangenen Abschnittes mit verschiedenen Variationen auf an-dere Berufgruppen anwenden, auf den Industriellen, den Grosskaufmann und den Leiter der grossenTransportunternehmen, auf den Werbefachmann, den Kleinhndler, den Landwirt, den Ingenieur, denBaumeister, den Chemiker und auf eine Anzahl von Berufstypen unseres zeitgenssischen G emeinwe-sens. Bei ihnen allen sollten wir unterscheiden zwischen einem minderwertigen schdlichen Teil, einemmittelmssigen, der ausgetretene Wege geht, und einer aktiven, fortschrittlichen G ruppe, an die wir unsganz natrlich wenden, wenn es um die vorbereitende Arbeit zu dem von uns ersehnten fortschrittli-chen Weltstaat geht. Und wir brauchen mit unserer Analyse nicht bei der Unterteilung der einzelnenTypen stehenzubleiben. In fast jedem individuellen Fall finden wie ein Gemisch, einen Menschen vonschwankender Gesinnung, der selbst nicht recht weiss, was er will, manchmal niedrig, manchmal mitdem Strom schwimmend, manchmal lebendig und voll geistiger und moralischer Energie. Und kann

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    ihnen die Offene Verschwrung nicht ganz fr sich gewinnen, # 74 so muss sie sich mit einem Teil desMenschen begngen, wie sie ja auch nur auf bestimmte Gruppen einer Berufsklasse und nicht auf dieganze Klasse zhlen kann.

    Dieser Plan, aus allen oder fast allen Berufsklassen der modernen Gesellschaft die Besten zu sich he-rberzuziehen und mit dieser Auslese den Grund zu einem Weltstaat zu legen, erscheint ziemlich ein-leuchten