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    "Weltgesellschaft" und "Globalisierung":berlegungen zu einer Systemtheorie der Welt-Wissenschaft

    Guido Martin

    Vor dem Hintergrund des Anspruchs an eine Theorie globaler Wissenschaft, analytisch-

    konzeptionelle Klarheit zumindest bezglich der in diesem Kontext relevanten Grundthemati-

    ken "Wissenschaft" und "Globalitt" (und/oder "Globalisierung") anzubieten, werden im Fol-

    genden Theorieangebote Niklas Luhmanns zu "Weltgesellschaft" und Wissenschaft als

    (Welt-) Funktionssystem betrachtet. Diese sollen dann so modifiziert und konkretisiert wer-

    den, dass sie erstens als Rahmen empirischer Beobachtungen nutzbar werden und zweitens

    eine deutlichere Perspektive auf die Globalitt von Wissenschaft ergeben. Im Anschluss an

    die Entwicklung dieser (in gewisser Weise radikalen) Konzeption eines globalen Wissen-

    schaftssystems ist auf die Frage einzugehen, wie aus dieser Perspektive jene Beobachtungen,

    die sich gemeinhin mit der Semantik der "Globalisierung" assoziieren, zu betrachten sind.

    Die folgenden berlegungen sind sich dabei der Kontingenz ihres systemtheoretischen

    Ausgangspunktes bewusst: Die vorgebrachten Argumente verstehen sich nicht implizit als

    Argumentegegen alternative Theorie- oder Begriffsdispositionen, es geht vielmehr darum zu

    zeigen, dass es anhand des systemtheoretischen Theorieapparates mglich ist, ein konzeptio-

    nell klares (und in den Kontext einer allgemeinen Gesellschaftstheorie integriertes) Verstnd-

    nis von Weltgesellschaft zu entwickeln, auf dieser Grundlage Wissenschaft als Welt-

    Wissenschaft zu beschreiben und eine solche Konzeption als Rahmen einer empirischen Stu-

    die einzusetzen. 1Damit ist gleichwohl der Anspruch verbunden, dem weit verbreiteten aber

    analytisch selten hinreichend bestimmten Begriff "Globalisierung" mit dem systemtheoreti-

    schen Begriff der "Weltgesellschaft" und seiner Anwendung auf Wissenschaft als gesell-

    schaftlichem Teilsystem eine soziologisch-theoretisch gehaltvolle Alternative gegenberzu-

    stellen, wobei im Ergebnis allerdings auch deutlich werden wird, dass mit "Weltgesellschaft"

    nicht all jene Phnomene bezeichnet sind, auf die die gesellschaftliche Selbstbeschreibung

    gegenwrtig mit der Semantik der "Globalisierung" reagiert.

    1 Als Beispiele fr grundstzlich anders ansetzende theoretische Zugriffe auf die Thematik der Globalisierungvon Wissenschaft vgl. etwa Schott (1991, 1993, 1994) mit einem im wesentlichen akteurszentrierten Ansatz, dervor allem die "scientific community" als Handlungskontext beleuchtet. Mit diesem Konzept operieren vor allemauch Crane (1972) und Price (1986). Crawford/Shinn/Srlin (1993) dagegen konzentrieren sich auf die Beobach-tung von "scientific practice", worunter sie die Produktionwissenschaftlichen Wissens als spezifischen Hand-lungstypus verstehen (wobei die Kommunikation des so erzeugten Wissens kaum zum Thema wird). Zu institu-

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    I. "Weltgesellschaft"

    "Die Vorstellung der Elemente des Gesellschaftssystems mu von substantiellen Einheiten

    (Individuen) auf selbstreferentielle Operationen umgestellt werden, die nur im System und nur

    mit Hilfe eines Netzwerkes von gleichen Operationen hergestellt werden knnen (Autopoie-

    sis)."2

    Diese auf epistemologischen berlegungen im Zusammenhang der Beobachtungskybernetik

    grndende Forderung veranlasst Luhmann dazu, Gesellschaft als selbstreferentielles autopoie-

    tisches System zu beschreiben, das sich stndig durch die Selbstreproduktion seiner Elemente,

    die er in Kommunikationen identifiziert, selbst reproduziert und durch seine Beobachtungen

    Wirklichkeit konstituiert:

    "Akzeptiert man die Vorschlge, dann ist unter Gesellschaft ganz einfach das umfassende so-

    ziale System aller aufeinander bezugnehmenden Kommunikationen zu verstehen. Die Gesell-

    schaft besteht aus nichts anderem als aus Kommunikationen, und durch die laufende Repro-

    duktion von Kommunikation durch Kommunikation grenzt sie sich gegen eine Umwelt an-

    dersartiger Systeme ab."3

    Die soziologische Beschreibung des Gesellschaftssystems hat dann auf der Ebene der Beo-

    bachtung zweiter Ordnung, also der Beobachtung von Beobachtungen (hier: der Beobachtung

    der Selbstbeobachtung der Gesellschaft), zu erfolgen.

    Kommunikation im Luhmannschen Sinne meint die Einheit der Differenz von Infor-

    mation/Mitteilung/Verstehen, wobei mit Verstehen die Kommunikation als Einheit operativ

    generierende Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung bezeichnet ist:

    "Die Zeitpunktgebundenheit der Operation Kommunikation bezieht sich auf den Zeitpunkt des

    Verstehens auf Grund der Beobachtung einer Differenz von Information und Mitteilung. Erst

    das Verstehen generiert nachtrglich Kommunikation. (Wir brauchen diese Feststellung, um

    schriftliche Kommunikation und Kommunikation mittels Geld einbeziehen zu knnen)."4

    Aus dieser Konzeption von Kommunikation als dreifach selektiver Einheit von Informati-

    on/Mitteilung/Verstehen resultiert die prinzipielle Ortlosigkeit derselben: Versteht man

    tionalistisch orientierten Anstzen einer Konzeption globalisierter Wissenschaft siehe etwa die Beitrge in Droriet al. (2002).2Luhmann 1990, 243Luhmann 1990, 24

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    Kommunikation mit Luhmann als emergente Systemebene, die sich gerade nicht auf das re-

    duzieren lsst, was sich "innerhalb" der daran teilnehmenden Bewusstseinssystemen ereignet,5

    dann folgt daraus unmittelbar, dass Kommunikation keinen Ort inne hat. Hieraus ergibt sich

    nahezu zwangslufig, dass Raumgrenzen keine grundstzlichen Hindernisse fr Anschlsse

    von Kommunikation an Kommunikation darstellen knnen. Entsprechend ist Gesellschaft fr

    Luhmann sptestens seit der "Vollentdeckung" des Erdballs, der Durchsetzung funktionaler

    Differenzierung als dominanter Gesellschaftsstruktur und der Umstellung der Zeitsemantik

    auf das Schema Vergangenheit/Zukunft unter Prferenz fr Zukunftsorientierung (Kontin-

    genz) nur noch als Weltgesellschaft zu denken. 6

    Der Luhmannsche Begriff der Weltgesellschaft integriert dabei zwei Perspektiven:

    "Einerseits heit dies, da es auf dem Erdball und sogar in der gesamten kommunikativ er-

    reichbaren Welt nur eine Gesellschaft geben kann. Das ist die strukturelle und die operative

    Seite des Begriffs. Zugleich soll der Ausdruck Weltgesellschaft aber auch sagen, da jede Ge-

    sellschaft (und im Rckblick gesehen: auch die Gesellschaften der Tradition) eine Welt kon-

    struiert und das Paradox des Weltbeobachters dadurch auflst."7

    Die Systemtheorie geht also davon aus, dass es (gegenwrtig) nur ein Gesellschaftssystem in

    der Welt gibt und entsprechend nur eine gesellschaftlich konstruierte "Welt" (im Sinne einesallen Kommunikationen zugrundeliegenden Mglichkeitshorizontes). Die folgenden berle-

    gungen zu einer Theorie der Welt-Wissenschaft nutzen im wesentlichen die erste, "strukturell-

    operative", Perspektive des Weltgesellschaftsbegriffs ohne damit etwas ber die prinzipielle

    Relevanz oder Fruchtbarkeit des phnomenologisch-epistemologischen Aspekts aussagen zu

    wollen.

    Zu betonen ist die Radikalitt dieses Begriffs von Weltgesellschaft, der letztlich eine

    weitgehende Irrelevanz der Raumdimension fr die Operationen von Gesellschaft als umfas-

    sendem Kommunikationssystem behauptet:

    "Geht man von Kommunikation als der elementaren Operation aus, deren Reproduktion Ge-

    sellschaft konstituiert, dann ist offensichtlich in jeder Kommunikation Weltgesellschaft impli-

    ziert, und zwar ganz unabhngig von der konkreten Thematik und der rumlichen Distanz

    4Luhmann 1997, 72

    5Zum Verhltnis von Bewusstsein und Kommunikation vgl. etwa ausfhrlich Luhmann 1992, 11ff.6Vgl. Luhmann 1997, 148ff. Zu ergnzen wre die Bedeutung von Schrift, Buchdruck und symbolisch generali-sierter Kommunikationsmedien, die die Mglichkeiten interaktionsfreier Kommunikation dramatisch erweitern.7Luhmann 1997, 156

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    zwischen den Teilnehmern. Es werden immer weitere Kommunikationsmglichkeiten voraus-

    gesetzt und immer symbolische Medien verwendet, die sich nicht auf regionale Grenzen fest-

    legen lassen."8

    Weltgesellschaft in diesem Sinne definiert sich folglich nicht anhand des Ausmaes tatschli-

    cher unmittelbarer globaler kommunikativer Vernetzung, 9 sondern daran, dass eben diese

    prinzipiell dadurch mglich wird, dass sich die Strukturen des Systems Gesellschaft, die

    Kommunikation als dessen Operationen erst ermglichen, 10 systemweit (also hier: weltweit)

    realisieren. Weltgesellschaft in diesem Sinne erscheint dann als Bedingung der Mglichkeit

    unmittelbarer transregionaler kommunikativer Vernetzungen. Der so verstandene Begriff der

    Weltgesellschaft rekurriert folglich primr auf die Beobachtung von Systemstrukturen und

    weniger auf die Beobachtung von Systemoperationen. 11

    II. Wissenschaft als Funktionssystem

    Als Ausgangspunkt der folgenden Analysen von Wissenschaft fungiert deren Beschreibung

    als gesellschaftliches Funktionssystem, wie sie Luhmann (1992) vorgeschlagen hat und die

    hier in ihren Grundzgen rekapituliert werden soll.

    Ein zentrales Merkmal moderner Gesellschaft stellt fr Luhmann deren strukturelle

    Differenzierung in Funktionssysteme dar, die ihrerseits als autopoietische Systeme zu be-

    schreiben sind. Funktionale Differenzierung meint hier die Ausbildung von gesellschaftlichen

    Teilsystemen, die sich auf die Bewltigung bestimmter gesellschaftlich relevanter Probleme

    "spezialisiert" haben. Als funktional differenziertes Teilsystem gilt ein Subsystem der Gesell-

    schaft dann, wenn es sich autonom und exklusiv mit der Lsung eines spezifischen gesell-

    schaftlichen Problems befasst. Als Funktion des Wissenschaftssystems beschreibt Luhmann

    die Gewinnung neuer Erkenntnis.

    8Luhmann 1997, 1509Letztlich kann man wohl ohnehin davon ausgehen, dass der Anteil transregionaler Interaktionen oder kommu-nikativer Anschlsse an der Gesamtzahl der innerhalb von Gesellschaft stattfindenden Kommunikationen statis-tisch gesehen verschwindend gering sein drfte und dass d aran auch eine etwa fr die letzten 100 Jahre beobach-tete relativ dramatische Zunahme transregionaler Interaktionen praktisch nichts ndert. Vgl. aber auch die indiesem Zusammenhang interessante Beobachtung bei White 1992, 70ff., dass erstaunlich groe Zahlen von Per-sonen ber indirekteBeziehungen (gemeinsame Bekannte, Bekannte von Bekannten usw.) als miteinander inVerbindung stehend zu beobachten sind.10 Vgl. Luhmann 1984, 392f.: "Er [der Strukturbegriff] bezeichnet eine Bedingung der Mglichkeit basalerSelbstreferenz und selbstreferentieller Reproduktion des Systems."

    11Wobei zu bercksichtigen ist, dass die Systemtheorie das Verhltnis von Operation und Struktur grundstzlichzirkulr denkt: Systemstrukturen (in der Form von Erwartungserwartungen) sind zwar als Bedingung der Mg-lichkeit von Systemoperationen anzusehen, werden aber gleichwohl (ausschlielich) in eben diesen Operationenkonstituiert und aktualisiert.

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    Der Begriff "Funktion" ist dabei folgendermaen zu verstehen:

    "Eine Funktion ist zunchst einmal nichts anderes als ein Vergleichsgesichtspunkt. Ein Prob-

    lem wird markiert (man spricht dann von 'Bezugsproblem'), um eine Mehrheit von Probleml-

    sungen vergleichbar zu machen und fr Auswahl und Substitutionsleistungen verfgbar zu

    halten."12

    Damit grenzt sich dieser Funktionsbegriff explizit von Vorstellungen der Zwecksetzung ab:

    "Anders als oft angenommen, hat der Funktionsbegriff nichts mit dem Zweck von Handlungen

    oder Einrichtungen zu tun."13

    Nach Luhmann kann man allgemein nicht von einer (als kausal interpretierbaren) Vorgngig-

    keit von Problemen vor Problemlsungen ausgehen:

    "Die Markierung von Bezugsproblemen geschieht in dem System, das mit ihrer Hilfe Prob-

    lemlsungen sucht, und geschieht nur dann, wenn Problemlsungen sich anbieten. Insofern er-

    zeugt die Lsung das Problem, das mit ihrer Hilfe gelst wird; und die Beobachtersprache

    'Problem', 'Funktion' dient nur dazu, bereits etablierte Einrichtungen im Interesse von Alterna-

    tiven zu reproblematisieren; oder auch dazu, zu kontrollieren, wie weit man mit Variationen

    gehen kann, ohne den Funktionskontext zu sprengen."14

    Ein solches Verstndnis des Funktionsbegriffes impliziert weiter, dass Systeme bzw. Operati-

    onen, die in Bezug zu bestimmten Funktionen beschrieben werden knnen, ber keine expli-

    zite Kenntnis des jeweiligen Bezugsproblems verfgen mssen. Die Motivation der einzelnen

    Systemoperationen muss nicht in der Intention der Erfllung einer bestimmten Funktion lie-

    gen:

    "Die Operation ist nicht auf Kenntnis ihrer Funktion angewiesen, sie kann statt dessen einen

    Zweck ... substituieren."15

    12Luhmann 1996, 22313Luhmann 1996, 22214Luhmann 1996, 22315Luhmann 1996, 222

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    ber die Motivation zur Ausfhrung der einzelnen Systemoperationen ist demnach mit der

    Funktionsbestimmung des entsprechenden Systems nichts ausgesagt. Im Kontext der Beo-

    bachtung von Wissenschaft wird dies etwa im Hinblick auf industrielle Forschung relevant:

    deren in der Regel vorzufindende explizite Primrorientierung an konomischen Kriterien

    (Entwicklung profitabel vermarktbarer Anwendungen) sagt, folgt man diesem Theorierah-

    men, zunchst nichts darber aus, ob es sich dabei um Wissenschaft handelt.

    Dieser Funktionsbegriff und die daraus sich ableitende Methode der funktionalen Ana-

    lyse liee sich, soweit bisher geschildert, nahezu beliebig auf die Beobachtung aller denkba-

    ren Problemstellungen anwenden. Diese Beliebigkeit reduziert sich allerdings in der Kombi-

    nation funktionaler Analyse mit Systemtheorie. Dabei wird der Funktionsbegriff ausschlie-

    lich auf eine bestimmte anzugebende Systemreferenz bezogen. Im Falle der als Funktionssys-

    tem bezeichneten ausdifferenziertem gesellschaftlichen Teilsysteme beschrnkt sich die funk-

    tionale Analyse auf Bezugsprobleme von (gesamt-)gesellschaftlicher Relevanz, orientiert sich

    also an der Systemreferenz "Gesellschaft". Es geht folglich um die Beschreibung der (ge-

    samt-) gesellschaftlichen Funktion von Wissenschaft; und nicht: um die Funktion von Wis-

    senschaft fr einzelne Individuen, Institutionen oder Organisationen (wie etwa: Unterneh-

    men).

    Auch Funktionssysteme sind Teil der Gesellschaft. Whrend sich Gesellschaft als

    ganzes durch die exklusive Verwendung von Kommunikationen als Letztelementen von ihrer

    nichtkommunikativen Umwelt abgrenzt, mssen gesellschaftliche Subsysteme, die ja als sol-

    che auch exklusiv aus Kommunikationen bestehen, einen anderen Weg der wechselseitigen

    Abgrenzung finden. Diese erfolgt nach Luhmann dadurch, dass sie ihre Kommunikationen an

    jeweils spezifischen Codes ausrichten:

    "Die wichtigsten Funktionssysteme strukturieren ihre Kommunikation durch einen binren,

    zweiwertigen Code, der unter dem Gesichtspunkt der jeweils spezifischen Funktion universel-le Geltung beansprucht und dritte Mglichkeiten ausschliet."16

    Unter Codes versteht Luhmann Unterscheidungen, mit denen ein System seine eigenen Ope-

    rationen beobachtet. Binre Codierung fhrt zu einer Strukturierung der Selbstbeobachtung

    und Selbstbeschreibung des jeweiligen Systems. Der binre Code eines Funktionssystems

    stellt demnach die Leitdifferenz dar, an der das jeweilige System seine Operationen orientiert.

    Binre Codes beanspruchen unter dem Gesichtspunkt ihrer spezifischen Funktion universelle

    16Luhmann 1990, 76

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    Geltung: Jedes Funktionssystem strukturiert seine Kommunikationen durch seinen jeweils

    spezifischen Code. Das Wissenschaftssystem operiert unter dem Code der zweiwertigen Lo-

    gik (wahr/unwahr). Die Zuweisung eines Wertes erfolgt anhand von "Programmen", die die

    Kriterien fr die Zuweisung von Codewerten angeben. Im Fall des Wissenschaftssystems

    handelt es sich dabei vor allem um Theorien und Methoden. Im Gegensatz zur Codierung

    eines Systems sind Programme austauschbar und gewhrleisten somit die Mglichkeit der

    evolutionren Anpassung binr codierter Systeme an vernderte Umweltbedingungen.

    Durch binre Codierung werden gleichzeitig Universalitt und Spezifikation, Auto-

    nomie und Abhngigkeit, Offenheit und Geschlossenheit der einzelnen Funktionssysteme

    gesteigert. Jedes System ist ausschlielich fr alle Kommunikationen zustndig, die unter

    seinem jeweiligen Code operieren. Diesen Sachverhalt bezeichnet die Luhmannsche Theorie

    als "operative Geschlossenheit". Andererseits kann jedes System aber nur im Hinblick auf

    seinen eigenen Code operieren, ist somit stndig auf die Leistungen der jeweils anderen Funk-

    tionssysteme angewiesen und insofern von diesen abhngig. Gerade weil autopoietische Sys-

    teme operativ geschlossen operieren, sind sie auf Umweltkontakte angewiesen und somit in

    dieser Hinsicht offene Systeme. Die These operativer Geschlossenheit bestreitet demnach

    keineswegs die Annahme (wie immer notwendiger) "grenzberschreitender Kausalitten". So

    ist Wissenschaftskommunikation etwa auf die Motivation individueller Teilnahme, die Ver-

    fgbarkeit von zur Durchfhrung von Forschung bentigter Infrastruktur oder finanzieller

    Mittel angewiesen. Operative Geschlossenheit in Form der Orientierung eines funktional dif-

    ferenzierten gesellschaftlichen Subsystems an einem spezifischen binren Code bedeutet

    nicht, dass dieses seine Operationen vllig isoliert und unabhngig von seiner Umwelt durch-

    fhren knnte, dass andere Codes fr seine Operationen nicht relevant wrden, sondern ledig-

    lich, dass es nicht ber die Zuordnung von Werten anderer Codes disponieren kann.

    Aus den im Vorigen geschilderten theoretischen Dispositionen folgt hinsichtlich der Globali-

    tt von Wissenschaft als Funktionssystem: Da sich Funktionssysteme im oben beschriebenen

    Sinne durch die Universalitt ihrer funktionalen Spezifikation innerhalb des Gesellschaftssys-

    tems auszeichnen und (moderne) Gesellschaft als Weltgesellschaft gedacht wird, sind auch

    Funktionssysteme in der Konsequenz nicht anders zu denken denn als Welt-Funktionssysteme

    der Weltgesellschaft. Universale Zustndigkeit fr ein (welt-) gesellschaftlich relevantes Be-

    zugsproblem impliziert einen weltgesellschaftlichen Operations- und Orientierungshorizont

    eines so spezifizierten Funktionssystems. Rumliche (regionale) Differenzen erscheinen dann

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    als Differenzen, die unter Magabe funktionaler Differenzierung zu betrachten sind (etwa als

    segmentre Binnendifferenzierung eines Funktionssystems).17

    III. Beobachtung von (Welt-)Wissenschaft

    Die bis hierhin nachvollzogene Theorie Luhmanns bewegt sich auf einem Abstraktionsniveau,das zwei in unserem Kontext relevante Fragen nahe legt: Ist es mglich und notwendig, mehr

    ber Globalitt von Wissenschaft zu sagen, als es Luhmann in der lapidar-radikalen (und da-

    mit in gewisser Weise schon tautologischen) Gleichsetzung von Wissenschaft als Funktions-

    system mit Welt-Wissenschaft tut? Und: Lsst sich die Luhmannsche Theorie als Rahmen

    einer Studie, die die empirische Beobachtung von Wissenschaft anstrebt, nutzen?

    Es sollen im Flgenden Ergnzungen bzw. Modifikationen der Theorie vorgeschlagen

    werden, die sie fr empirische Beobachtungen anschlussfhig werden lassen und gleichzeitig

    eine (vergleichsweise) konkretere Beschreibung der Globalitt von Wissenschaft erlauben.

    Will man auf der Basis der Luhmannschen Theorie Empirie zum Thema "Wissenschaft in der

    Weltgesellschaft" betreiben, stellt sich zunchst ganz pragmatisch die Frage, wie sich Wissen-

    schaftskommunikation beobachten lsst. Es sind also zwei Probleme zu lsen: Wie lsst sich

    Kommunikation im Luhmannschen Sinne empirisch beobachten und wie lsst sich eine spezi-

    fische Kommunikation als Element des Wissenschaftssystems identifizieren?

    Kommunikation im Luhmannschen Sinne der dreifach selektiven Einheit der Diffe-

    renz Information/Mitteilung/Verstehen verschliet sich einer unmittelbaren Beobachtung. Sie

    lsst sich, so Luhmann, allenfalls mittelbar in der simplifizierten Form von kommunikativen

    Handlungen beobachten:

    "Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, da Kommunikation nicht als Handlung und der Kom-

    munikationsproze nicht als Kette von Handlungen begriffen werden kann. ... Die wichtigste

    Konsequenz dieser Analyse ist: da Kommunikation nicht direkt beobachtet, sondern nur er-schlossen werden kann. Um beobachtet werden oder um sich selbst beobachten zu knnen,

    mu ein Kommunikationssystem deshalb als Handlungssystem ausgeflaggt werden."18

    Kommunikative Handlungen, aus deren Beobachtung man auf das Stattfinden von Wissen-

    schaftskommunikation schlieen knnte, wren etwa die Produktion und Rezeption wissen-

    schaftlichen Wissens. Allerdings kann man ber die Beobachtung von Handlungen Wissen-

    schaft nur schwer definieren. Funktionale Spezifikation lsst sich auf der Ebene der Beobach-

    17Vgl. als Anwendung dieser These auf das Beispiel des Nationalstaates Stichweh 2000.

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    tung von Handlungen nicht festmachen, da diese in der Regel auf die Zurechnung von Teleo-

    logien, Intentionen, Motivationen etc. der Akteure rekurriert.19Eine Definition von Wissen-

    schaftlichkeit anhand der Teleologie von Handlungen scheint damit problematisch sie fhr-

    te wohl zu heroisierenden, normativ idealtypisierenden Aussagen wie: "Forschung hat Wahr-

    heit oder Erkenntnis als letztes (einziges, wesentliches) Ziel". Liee man sich auf eine solche

    Position ein, wre etwa unter anderem zu klren, was "Wahrheit" oder "Erkenntnis" konkret

    meint (man denke beispielsweise an Technikwissenschaften oder "angewandte Forschung").

    Zudem wre darzulegen, ob bzw. wie sich eine Grundteleologie einer Handlung feststellen

    liee. Und liegt es ferner nicht nahe anzunehmen, dass fr den Rezipienten eines wissen-

    schaftlichen Kommunikationsangebotes die psychologischen (oder institutionellen) Dispositi-

    onen und Motivationen, die zu seiner Entstehung fhrten, im Grunde irrelevant sind? Mit dem

    Rekurs auf die Handlungsebene handelte man sich also eine Reihe von Problemen ein, die

    analytisch klar zu lsen zumindest mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wre. Somit

    erscheint es lohnenswert, sich nach Alternativen fr die Beobachtung von Kommunikationen

    in Reduktion auf kommunikative Handlungen umzusehen.

    Abgesehen von der grundstzlichen Problematik der Unbeobachtbarkeit von Kommu-

    nikation, wird in unserem Kontext, wie im Vorigen schon implizit angedeutet, auch das Prob-

    lem der Identifikation eines spezifischen Kommunikationstyps, hier also: wissenschaftlicher

    Kommunikation, relevant. Der Luhmannsche Rekurs auf die operative Geschlossenheit des

    Wissenschaftssystems und auf die Theorie-Position des Beobachters zweiter Ordnung hilft

    hier nicht wirklich weiter. Luhmann schlgt vor, die Soziologie solle eine Beobachtungsposi-

    tion zweiter Ordnung einnehmen und entsprechend Gesellschaft und ihre Subsysteme bei de-

    ren Selbstbeobachtung beobachten. Da sich autopoietische Systeme im Zuge ihrer Selbstbeo-

    bachtung konstituieren, vollziehe der soziologische Beobachter zweiter Ordnung dann diese

    selbstkonstitutiven Prozesse nach: Der Gegenstand soziologischer Beobachtung erzeugt sich

    also grundstzlich selbstreferentiell und wird nicht erst durch die Theorie generiert.20

    Dieseepistemologisch begrndete Enthaltsamkeit der Systemtheorie, was definitorische Gegen-

    standsbestimmungen betrifft, leuchtet zwar zunchst (sofern man sich auf die zugrundelie-

    18Luhmann 1984, 225f.19Schon die Frage, wer die relevanten zu beobachtenden Akteure sind, ist keineswegs trivial: In unserem Kon-text etwa: einzelne Wissenschaftler oder kollektive Akteure wie Organisationen (Institute) oder Forschergrup-

    pen?20Dieses Bild muss allerdings, um der Luhmannschen Theorie gerecht zu werden, dahingehend verkompliziertwerden, dass sich die Theorie gleichzeitig der Tatsache bewusst bleibt, als Kommunikation gesellschaftliche

    Praxis zu vollziehen, also selbst Teil ihres Gegenstandsbereichs zu sein. Die konsequente Bercksichtigungdieser Einsicht, die fr Luhmann eine wesentliche Bedingung der Mglichkeit der Konstruktion einer soziologi-

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    genden epistemologischen berlegungen der Kybernetik zweiter Ordnung einlsst) ein; eben-

    so die These der operativen Geschlossenheit des Wissenschaftssystems. Die fr Luhmann

    daraus resultierende Idee, die Selbstbeobachtungen des Wissenschaftssystems aus einer Per-

    spektive zweiter Ordnung zu beobachten, stellt aber vor ein praktisch-logisches Problem: Um

    die Selbstbobachtungen und Selbstbeschreibungen des Wissenschaftssystems zu beobachten,

    mssen diese auch vom Beobachter zweiter Ordnung zunchst als solche identifiziert werden!

    Dies mag relativ problemlos mglich sein im Hinblick auf solche Selbstbeschreibungen, die

    Ansprchen an "Reflexionstheorien" des Wissenschaftssystems im Luhmannschen Sinne ge-

    ngen, also im Hinblick auf die explizite und theoriefrmige (und das heit: auf begriffliche

    Klarheit und Konsistenz hin ausgerichtete) Thematisierungen der Einheit des Systems im Sys-

    tem. Die "gewhnliche" wissenschaftliche Kommunikation wird sich dagegen in der Regel

    nicht explizit semantisch als solche ausweisen. Und eine quasi an Institutionen oder Organisa-

    tionen sich festmachende Analyse bleibt in dieser Hinsicht unbefriedigend. Die in der Regel

    implizit gewhlte Herangehensweise, das, was an Forschung in der "Akademie" stattfindet,

    automatisch unter Wissenschaft zu subsummieren und darin den Standard fr bzw. Idealtypus

    von Wissenschaftlichkeit festzumachen, erscheint letztlich (im Kontext einer Theorie von

    Wissenschaft als Kommunikationssystem) theoretisch hchst unzureichend oder zumindest

    als bermige Simplifikation. Wissenschaftskommunikation im Luhmannschen Sinne findet

    auch nicht grundstzlich in einer Organisation statt: Funktionssysteme lassen sich nicht als

    Organisation oder als aus Organisationen bestehend beschreiben. Eine grobe Zuordnung von

    bestimmten Organisationen zu spezifischen Funktionskontexten stellt eine rein intuitiv-

    pragmatische Betrachtungsweise dar, die ohnehin durch das Zitieren von Gegenbeispielen

    leicht zu kritisieren ist: beispielsweise findet an Universitten nicht nur Wissenschaft statt,

    sondern auch Erziehung; auch in Unternehmen wird Personal ausgebildet und lsst sich Wis-

    senschaft beobachten (teilweise wird auch "Grundlagenforschung" in Industrielabors durchge-

    fhrt). Zudem vollzieht sich, wie oben dargelegt, im systemtheoretischen Verstndnis Kom-munikation im rumlichen Sinne prinzipiell ortlos. Das Zuweisen eines quasi institutionellen

    Ortes spezifischer Kommunikationen ist gleichermaen problematisch. So mag es noch ein-

    leuchten, Rechtskommunikation an Gerichten zu verorten oder Erziehungskommunikation an

    Schulen. Man schliet dabei dann von dem geographischen oder institutionellen Ort, an dem

    die an der Kommunikation partizipierenden psychischen Systeme (die inkludierten Personen)

    sich befinden, auf einen Ort der Kommunikation. Dies funktioniert allerdings nur in System-

    schen "Universaltheorie" ausmacht, kann als zentrale Leistung der systemtheoretischen Theoriekonstruktionangesehen werden.

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    kontexten, in denen interaktioneller Kommunikation eine prominente Rolle zukommt (etwa

    Erziehung, Recht, Krankenbehandlung). In Systemkontexten, in denen die Kommunikation

    sich von Interaktion weitgehend unabhngig gemacht hat, machen solche Zuordnungen kei-

    nen Sinn mehr.21Auch eine These der Bauart "Wissenschaft vollzieht sich im Wesentlichen

    an Universitten oder Forschungsinstituten" lsst sich also systemtheoretisch nicht halten.

    Begrifflich przise wre dann auf systemtheoretischen Grundlagen zu formulieren, dass eine

    Korrelation zwischen der Inklusion von Personen in entsprechende Organisationen und der in

    Funktionssysteme bzw. strukturelle Kopplungen zwischen Funktionssystemen und ange-

    schlossenen Organisationen zu beobachten sind.

    Die bis hierhin skizzierte Problemlage lsst sich also folgendermaen zusammenfassen: (1)

    Kommunikation im Luhmannschen Sinne lsst sich nicht unmittelbar beobachten. (2) DieBeobachtung wissenschaftlicher Kommunikation in der Form von Handlungen stellt vor

    Probleme, die sich kaum analytisch-theoretisch klar lsen lassen drften. (3) Auch aus der

    Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung folgt die Notwendigkeit, Kriterien der Identi-

    fikation von Wissenschaftskommunikation zu formulieren.

    Im Folgenden soll versucht werden, in enger Anlehnung an Ideen, die Luhmann selbst

    im Zuge seiner Beschreibung von Kunst als Funktionssystem entwickelt hat,22 einen mgli-

    chen Ausweg aus dieser Problemlage zu skizzieren. Zu diesem Zwecke ist zunchst auf dieverwendeten Konzeptionen "Form"/"Beobachtung" und die Medium/Form-Unterscheidung

    einzugehen.

    Inspiriert von George Spencer Brown fasst Luhmann eine "Form" als Einheit einer Unter-

    scheidung auf:

    "Ein differenztheoretischer Umbau des Formbegriffs verschiebt den Schwerpunkt vom geord-

    neten Inhalt der Form auf deren Differenz. Damit wird das, was als Zufall gesehen war, erwei-

    tert auf eine 'andere Seite' der Form und letztlich jede Differenz, sofern sie als Einheit markiert

    wird, unter den Formbegriff subsumiert."23

    21 Vielleicht liegt es an dieser Loslsung von Interaktionsabhngigkeiten, dass solchen Systemkontexten allge-mein eher "Globalitt" zugesprochen wird. Man denke etwa an Wirtschaft oder Wissenschaft. Die Akteure beo-

    bachten sich hier in der "unpersnlichen", abstrakten und weitgehend ohne Interaktion auskommenden Form desMarktes.22Siehe ausfhrlich Luhmann 1996.23Luhmann 1996, 49

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    Jede Unterscheidung kann danach als Form bezeichnet werden, wobei streng genommen so-

    wohl ihre beiden Seiten als auch die Grenze, welche diese trennt, unter den Formbegriff zu

    fassen sind. Formen werden Luhmann zufolge asymmetrisch gebildet, der Sinn einer solchen

    Formbildung liegt fr ihn in der Bezeichnung einer (und nicht der anderen) Seite einer Unter-

    scheidung. Nur diese bezeichnete ("innere") Seite der Form kann Luhmann zufolge fr weite-

    re Operationen verfgbar gemacht werden. Somit wird auch deutlich, inwiefern hier unter

    "differenztheoretischer Formentheorie" und "Theorie der Beobachtung" im Grunde genom-

    men das gleiche verstanden wird: Ein Unterschied ist nur insofern festzustellen, als der die

    Einheit der Differenz Unterscheiden/Bezeichnen bezeichnende Begriff "Beobachtung" eher

    auf die operative Konstitution von Formen verweist. Mit "Form" ist folglich das "Beobach-

    tungsinstrument Unterscheidung"24bezeichnet, dessen operative Inanspruchnahme "Beobach-

    tung" genannt wird.

    Eine Differenz, die zu den zentralen Beobachtungsinstrumenten vor allem der spten

    Luhmannschen Theorie zhlt, ist die Medium/Form-Unterscheidung. Luhmann zielt mit sei-

    nem Verstndnis dieser Unterscheidung auf eine berwindung "dingontologischer Konzepte"

    ab, die diesbezglich mit der Metapher einer Wachsmasse (Medium) operierten, auf die Zei-

    chen (Formen) eingraviert und wieder eingeebnet werden knnen. Demgegenber reprsentie-

    ren Medien und Formen fr Luhmann keinerlei physikalische Sachverhalte mehr, sie existie-

    ren nicht "an sich", sondern stellen systeminterne Konstruktionen dar, die nur fr die sie kon-

    stituierenden Systeme Relevanz aufweisen. Die Unterscheidung von Medium und Form be-

    zieht sich dann auf die Art der Kopplung von "Elementen", wobei auch Elementen keine

    "dinglichen Qualitten" eignen, sondern diese wiederum als systemrelative Konstruktionen

    gedacht sind. Die als "Medium" und "Form" unterschiedenen Arten der Kopplung von Ele-

    menten werden von Luhmann als "lose" bzw. "feste" Kopplung bezeichnet. Der Begriff des

    Mediums als der losen Kopplung von Elementen meint danach

    "... eine offene Mehrheit mglicher Verbindungen von Elementen, die mit der Einheit eines

    Elements noch kompatibel sind - also etwa die Zahl der sinnvollen Stze, die mit einem sinn-

    identischen Wort gebildet werden knnen. ... Lose Kopplung, die Vielzahl mglicher Verbin-

    dungen, kann in sachlicher und zeitlicher Hinsicht verstanden werden. Sachlich ist dann ge-

    meint, da viele festere Kopplungen in Betracht kommen und jede Formbildung eine Selekti-

    24Luhmann 1996, 111

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    on erfordert. Zeitlich wird unter einem Medium oft eine Bedingung der Mglichkeit von ber-

    tragungen verstanden."25

    Medien sind nach Luhmann daran erkennbar, dass sie diese Mglichkeit der kontingenten

    Formenbildung bereitstellen bzw. daran, dass ein System diese Mglichkeiten erkennt und

    nutzt.26Medien sind somit nur im Hinblick auf Formen, die "... im Medium durch feste Kopp-

    lung seiner Elemente gewonnen [werden],"27bezeichenbar: Die Unterscheidung von Medium

    und Form macht nur als Unterscheidung Sinn.

    Die so konzipierte Medium/Form-Unterscheidung weist einige Besonderheiten auf,

    die auch fr die folgenden, auf Wissenschaft bezogenen berlegungen relevant werden: Zu-

    nchst ist die Unterscheidung Medium/Form selbst zugleich als Form (als Unterscheidung)

    und als Medium (als Beobachtungsinstrument, anhand dessen unterschiedliche Sachverhalte

    beobachtet werden knnen) beobachtbar. Dies lsst sich dahingehend verallgemeinern, dass

    die Elemente, die ein Medium bilden (formen!), immer zugleich als Formen in einem anderen

    Medium beobachtbar sind (sonst knnten sie nicht unterschieden werden):

    "Medien werden aus immer schon geformten Elementen gebildet, denn anders knnte weder

    von loser noch von fester Kopplung die Rede sein."28

    Damit erffnen sich Mglichkeiten eines "evolutionren Stufenbaus von Medium/Form-

    Verhltnissen". Ferner ist fr die Unterscheidung von Medium/Form charakteristisch, dass

    ihre beiden Seiten nur in wechselseitigem Bezug bezeichnet werden knnen. Da zudem nicht

    an dingliche oder materielle Elemente gedacht ist, lsst sich feststellen,

    "... da die Bildung von Formen die Mglichkeiten des Mediums nicht verbraucht, sondern

    zugleich regeneriert. ... Formen erfllen diese Regenerierfunktion dadurch, da sie typisch

    kurzfristiger existieren als das Medium selbst. Sie koppeln und entkoppeln das Medium, knn-

    te man sagen."29

    25Luhmann 1996, 18626 Als "Universalmedium", das jeder Beobachtung zugrunde liegt, nimmt die Luhmannschen Theorie sozialerSysteme Sinn (verstanden als Einheit der Differenz von Aktualitt/Potentialitt) an. Vgl. dazu ausfhrlich Luh-mann 1984, 92ff.; Luhmann 1997, 44ff.27Luhmann 1996, 16928 Luhmann 1996, 176. Diesen Sachverhalt verdeutlicht Luhmann etwa am Beispiel des Mediums Sinn: "Diesinngebende Unterscheidung von Aktualitt und Potentialitt tritt auf der Seite des Aktuellen in sich selbst wie-

    der ein; denn aktuell kann nur sein, was auch mglich ist. Entsprechend ist die Unterscheidung von Medi-um/Form selbst eine Form; oder in Anwendung auf Sinn: Sinn ist als Medium eine Form, die Formen konstitu-iert, damit sie Form sein kann" (Luhmann 1996, 174).29Luhmann 1996, 170

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    Inwieweit erschlieen nun der Begriff der Beobachtung und die Medium/Form-

    Unterscheidung einen Ausweg aus der oben geschilderten Problemlage der unmittelbaren

    Unbeobachtbarkeit von Kommunikation?

    Spezifiziert man wissenschaftliche Kommunikation als Handlungskomplex auf die

    kommunikativen Handlungen der Produktion und Rezeption wissenschaftlichen Wissens, so

    lsst sich diese Unterscheidung (Produktion/Rezeption) wieder auf die Vorstellung von auf

    der Basis von Wahrheit als symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedium codierten

    Beobachtungen generalisieren. Das heit: sowohl die Konstitution einer wissenschaftlichen

    Information (die "Produktion" wissenschaftlicher Kommunikationsangebote) als auch das

    Verstehen derselben (die "Rezeption" wissenschaftlicher Kommunikationsangebote) lassen

    sich anhand des Konzepts codegeleiteter Beobachtung fassen. Diese Konzeption der wissen-schaftlichen Beobachtung abstrahiert damit von Handlungen und Akteuren und lst dabei die

    Differenz von Produktion/Rezeption wissenschaftlichen Wissens im Begriff der Beobachtung

    auf.

    Im Folgenden soll, der sprachlichen Einfachheit halber, die Form wissenschaftlicher

    Kommunikationsangebote mit dem Begriff des (wissenschaftlichen) "Textes" bezeichnet

    werden. Der Begriff soll dabei vom Verbreitungsmedium entsprechender Kommunikationen

    abstrahieren und bezieht sich dann sowohl auf Texte ("Publikationen") im alltagssprachlichenSinne als auch etwa auf mndliche Kommunikationsangebote jeglicher Art.

    Die Konstruktion wissenschaftlicher Texte lsst sich folgendermaen als Beobachtung

    beschreiben: Die Kombination einzelner Beobachtungen (etwa in der Form von Begriffen,

    Thesen, Empirie) als Medium konstituiert den wissenschaftlichen Text als Form. Der Text

    wird dabei zur Form,indem die ihn medial konstituierenden Formen aneinander angeschlossen

    werden: Mit Hilfe definierter Begriffe lassen sich weitere Begriffe definieren, Argumente

    schlieen an Argumente an etc. Allerdings gengt eine solche Kombination intern anschluss-

    fhiger Formen noch nicht zur Herstellung eines wissenschaftlichen Kommunikationsangebo-

    tes, vielmehr wird die Form des Textes erst zum Medium wissenschaftlicherKommunikation,

    wenn sich ihre Beobachtung gleichzeitig an wissenschaftsspezifischen Strukturvorgaben (d. h.

    vor allem an Theorien und Methoden als Programmen des Wissenschaftssystems) orientiert.

    Die als Beobachtung beobachtbare Konstitution eines wissenschaftlichen Textes kombiniert

    folglich Formen unter Bercksichtigung zweier Kriterien: Anschlussfhigkeit der Einzelbeo-

    bachtungen, die als Medium der Textkonstitution fungieren bei gleichzeitiger Orientierung an

    systemspezifischen strukturellen Vorgaben. Diese strukturellen Vorgaben manifestieren sich

    im Falle von Wissenschaft im wissenschaftsspezifischen symbolisch generalisierten binr

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    codierten Kommunikationsmedium der Wahrheit und je aktuell gltigen Zuordnungskriterien

    fr die resultierende Codewert-Alternative wahr/unwahr in der Form wissenschaftlicher Theo-

    rien und Methoden.

    Die Herstellung eines wissenschaftlichen Textes kann somit als Beobachtung aufge-

    fasst werden, bei der, wenn ein solcher zum Zwecke der Kommunikation hergestellt wird, der

    "Autor" den "Text"30stets im Hinblick darauf beobacht, wie andere Beobachter, die an Wis-

    senschaft partizipieren, ihn verstehen knnten. 31 Auch die Rezeption von Texten lsst sich

    entsprechend als Beobachtung beschreiben: Auch der Rezipient des Textes beobachtet die

    darin festgelegten Formen im Hinblick auf ihre wechselseitige Stimmigkeit und ihre Kompa-

    tibilitt mit systemstrukturellen Vorgaben wie Theorien und Methoden. 32

    Die vorstehenden Analysen lassen die bewusst zirkulr angelegte Disposition der Be-

    griffe Medium, Form und Beobachtung deutlich hervortreten: Einzelne Beobachtungen des

    Textautors werden als Formenkontingent zum Medium der Konstitution eines Textes. Der

    Begriff des Textes bezeichnet als solcher eine spezifische Form, die dann wiederum zum

    Verbreitungsmedium wissenschaftlicher Kommunikation werden kann, indem andere Beob-

    achter den Text beobachten.

    Wissenschaftliche Beobachtung meint hier: die in einem wissenschaftlichen Kommu-

    nikationsangebot getroffenen Formfestlegungen bezglich ihrer internen Anschlussfhigkeit

    und ihrer Kompatibilitt mit im System als relevant durchgesetzten Programmvorgaben zu

    beobachten. Die Rekursivitt der Autopoiesis des Wissenschaftssystems manifestiert sich im

    Mitfhren von systemisch determinierten Strukturvorgaben in jeder Formkonstitution im Zu-

    ge der Produktion/Rezeption eines Textes. Diese Systemstrukturen laufen auf der Ebene der

    Beobachtung zweiter Ordnung in allen Schritten des Anschlusses von Beobachtung an Beo-

    bachtung mit und sind somit als Kriterien der Einschrnkung der Formkombinatorik bei der

    wissenschaftlichen Textbeobachtung stets prsent.

    Der Begriff der Beobachtung macht dabei das symmetrische Verstndnis von Kom-munikation deutlich, das der Systemtheorie zugrunde liegt: Dem Mitteilungsaspekt wird kein

    Primat gegenber dem Verstehensaspekt eingerumt und umgekehrt; nur wenn sich beides

    30Es erscheint an dieser Stelle angezeigt, noch einmal daran zu erinnern, dass damit keineswegs nur schriftlichePublikationen gemeint sind.31In bezug auf Kunstkommunikation stellt Luhmann (1996, 116) in diesem Zusammenhang fest: "Das kann vonseiten des Knstlers nur so geschehen, da er am eigenen Beobachten des entstehenden Kunstwerks klrt, wie erund andere das Werk beobachten werden. ... Immer ist davon auszugehen, da es um ein Beobachten des Beo-

    bachtens geht ..."32Auch hier wieder die Analogie in der Kunstkommunikation: "Fr den Betrachter gilt dasselbe. Er kann anKunst nur teilnehmen, wenn er sich als Beobachter auf die fr sein Beobachten geschaffenen Formen einlt,also am Werk die Beobachtungsdirektiven nachvollzieht." (Luhmann 1996, 116)

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    ereignet, findet Kommunikation statt.33 Der Luhmannsche Beobachtungsbegriff, der in for-

    mal-abstraktem Sinne die Einheit der Differenz von Unterscheiden und Bezeichnen bezeich-

    net, ermglicht somit eine Abstraktion von der die Differenz zwischen Produzenten und Rezi-

    pienten im Wesentlichen konstituierenden Unterscheidung zwischen Teilnahme an Wissen-

    schaftskommunikation in Produzenten- und Publikumsrollen. 34

    Die Beobachtung von Beobachtungen unterscheidet sich von der Beobachtung von

    Handlungen insofern, als sie vollkommen von Zwecken, Intentionen etc. absehen kann. Fr

    die aus wissenschaftlichen Textbeobachtungen sich konstituierende wissenschaftliche Kom-

    munikation als Element des Funktionssystems Wissenschaft bedeutet dies: Wissenschaftliche

    Kommunikation findet immer dann und nur dann statt, wenn entsprechende codeorientier-

    te und aufeinander bezogene Beobachtungen stattfinden, unabhngig von den Handlungs- und

    Motivationskontexten, in die sie eingebettet sind.

    ber die Beobachtung entsprechender Beobachtungen lsst sich dabei nur mittelbar

    auf das Sich-Ereignen von Kommunikation schlieen: Eine einzelne Beobachtung konstituiert

    noch keine Kommunikation. Wissenschaftliche Kommunikation ereignet sich erst dadurch,

    dass mindestens zweiwissenschaftliche Beobachtungen eines Textes im oben festgelegten

    Sinne aufeinander Bezug nehmen (wobei dann zwangslufig die erste dieser Beobachtungen

    jene ist, die den Text als Medium potentiell anschlieender Beobachtungen anderer Beobach-

    ter konstituiert). Als wissenschaftliche Kommunikation kann danach alle Kommunikation

    gelten, die sich am wissenschaftsspezifischen Code orientiert, wobei wissenschaftliche Texte

    lediglich Thema bzw. Trger (Verbreitungsmedium) der Kommunikation sind, nicht aber

    Element des Kommunikationssystems Wissenschaft.

    Die Globalitt des Wissenschaftssystems erscheint in dieser Perspektive als stndige polykon-

    textural (und damit ohne Rcksicht auf Raumgrenzen) sich vollziehende Selbstbeobachtung

    von Wissenschaft. Sie ist so gesehen vllig indifferent gegenber Interaktionsformen, sondern

    33 Daraus folgt, dass die Vorstellung einer Zentrum/Peripherie-Differenzierung der "world scientific communi-ty", die sich an beobachteten Unterschieden der durchschnittlichen wissenschaftlichen Produktivitt und Kreati-vitt bestimmter Regionen festmacht (so Schott 1988; 1994; 1994a), sich nicht in den systemtheoretischen Theo-rierahmen berfhren lsst. Hier wird statt dessen der primre Modus der Binnendifferenzierung des Wissen-schaftssystems in der segmentren Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Disziplinen gesehen.34 Oder auf einer allgemeineren Ebene der Betrachtung: der Differenz zwischen Erleben und Handeln. DieserUnterschied zwischen Erleben und Handeln besteht der Luhmannschen Perspektive zufolge in der je systemin-ternen Zurechnung von Selbstreferenz (Handeln) und Fremdreferenz (Erleben). Diese Zurechnungen sind alssolche immer schon Beobachtungsoperationen eines Systems. Fr die Konstitution von Systemen ist die Diffe-

    renzierungsmglichkeit zwischen diesen beiden Zurechnungsarten zwar entscheidend, auf der operativen Ebeneknnen gleichwohl beide Arten der Zurechnung als Beobachtungen behandelt werden. Luhmann (1996, 129f.)spricht dann etwa mit Blick auf die Differenz von Knstler/Rezipient von "Selbstbeobachtung der Kunst inwechselnden Perspektiven".

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    manifestiert sich vielmehr im Selektionshorizont der zu beobachtenden Texte und im struktu-

    rell einheitlichen Rahmen der Kriterien entsprechender Beobachtungen: Texte werden unab-

    hngig von ihrer geographischen oder politischen35Provenienz beobachtet und werden unter

    der Erwartung konstruiert, gleichermaen rezipiert zu werden oder zumindest theoretisch re-

    zipiert werden zu knnen. Entwicklungen moderner Kommunikationstechniken wie bei-spielsweise Literaturdatenbanken, Fernleihe, elektronische Publikationen etc. sind dafr kei-

    neswegs notwendig, sondern beschleunigen oder erleichtern solche Selbstbeobachtungspro-

    zesse allenfalls. Als global erscheint demnach im Wesentlichen der Modus der Selbstbeo-

    bachtung des Wissenschaftssystems, also einerseits die immer in Betracht gezogenePotentia-

    litt globaler kommunikativer Anschlsse und andererseits die systemweit - also: global

    durchgesetzten strukturellen Vorgaben wissenschaftlicher Beobachtung.

    Dabei geht es, und das unterscheidet diese Sichtweise von der klassischen Vorstellung

    der "Universalitt" von Wissenschaft,36 nicht um Konsens oder intersubjektive und interob-

    jektive Geltungsansprche bezglich wissenschaftlichen Wissens, sondern um eine strukturell

    singulre Form der Kommunikation in einem spezifischen symbolisch generalisierten binr

    codierten Medium, die im Rahmen des durch dieses Medium aufgespannten Beobachtungsho-

    rizontes und der je aktualisierten Systemstrukturen (also vor allem: Theorien und Methoden)

    dissensuelle wie konsensuelle Kommunikation gleichermaen zulsst: Auch wenn sich Pro-

    duzent und Rezipient eines Textes an einem systemisch vorgegebenen Kontingent an Pro-

    grammen orientieren, folgt daraus nicht zwangslufig eine gleichsinnige Zuordnung der Co-

    dewerte.

    IV. Weltgesellschaft und Globalisierung

    Es stellt sich die Frage, wie die hier vorgeschlagene Theoriedisposition von Weltgesellschaft

    und Weltwissenschaft Beobachtungen verortet, die gemeinhin unter dem Begriff "Globalisie-

    rung" stattfinden und sich in der Regel auf Phnomene zunehmender globaler "Interrelation"

    35Es fllt auf, dass nationalstaatliche Grenzen eine wesentliche Kategorie bei der Analyse von Phnomenen derGlobalisierung darstellen (siehe nur plakativ den Titel von Crawford et. al. 1993: "Denationalizing Science").Dies mag einen pragmatischen Grund im Kontext der quantitativen empirischen Untersuchung von Globalisie-rungsphnomenen haben (mit Bezug auf Wissenschaft etwa: Analyse transnationaler Koautorschaften oder Zita-

    tion), aus einer reinen (soziologischen) Theorieperspektive verwundert die durchgngige unreflektierte Gleich-setzung der Unterscheidungen national/transnational und regional/global doch einigermaen.36 Siehe zur Vorstellung der Universalitt von Wissenschaft und deren Zusammenhang zur Globalisierung denBeitrag von Stichweh in diesem Bericht.

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    und/oder "Diffusion"37beziehen. Dafr liegen (bezogen auf Wissenschaft) zunchst zwei Al-

    ternativen nahe: (1) Globalisierung knnte als Prozessbegriff zur Bezeichnung der Ausdiffe-

    renzierung eines Weltwissenschaftssystems im oben beschriebenen Sinne eingesetzt werden

    oder (2) als Prozessbegriff zur Bezeichnung relativ neuer Strukturnderungen innerhalb des

    (Welt-) Wissenschaftssystems.38

    Die erste Variante bricht mit dem gngigen Begriffsverstndnis insofern, als sie Glo-

    balisierungsforschung als ein Unterfangen erscheinen lsst, mit dem sich in erster Linie

    Historiker auseinanderzusetzen htten: Der Prozess der "Globalisierung" wre dann historisch

    vor dem 17. Jahrhundert zu verorten und htte mit der Etablierung des Funktionssystems

    Wissenschaft seinen Abschluss gefunden.

    Die zweite Variante wirft die Frage auf, welches denn die Systemstrukturen sein knn-

    ten, die sich verndern. Anders formuliert: Welchen systemstrukturellen Unterschied macht

    die als Globalisierung beobachtete Entwicklung etwa der rumlichen Verortung von Interak-

    tionsmustern (wie: Zunahme transregionaler interaktiver Kontakte zwischen Wissenschaft-

    lern)?39Der systemtheoretische Theorierahmen scheint keine Mglichkeit zu bieten, entspre-

    chende Entwicklungen im Kontext des Wissenschaftssystems (Zunahme operativ-

    interaktioneller Vernetzung von Wissenschaftlern) als Strukturwandel eben dieses Systems im

    strengen Sinne zu konzipieren. Damit soll nichts ber die Relevanz solcher Entwicklungen

    oder die Fruchtbarkeit ihrer Beobachtung gesagt werden! Systemtheoretisch bleibt lediglich

    die Frage offen, welche Systemstruktur sich von wo nach wo wandelt. Letztlich scheinen sich

    hier Strukturen zu "globalisieren", die in streng systemtheoretischer Sichtweise der Umwelt

    des Kommunikationssystems Wissenschaft zuzuordnen sind und die man als "Produktionsbe-

    dingungen" von Wissenschaft bezeichnen knnte. Systemtheoretisch kaum vertretbar er-

    scheint auch die Vorstellung, es sei ein (aktuell sich immer noch vollziehender) Prozess des

    Wandels der Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems weg von nationalen bzw. regi-

    onalen Differenzierungen hin zu globalen Differenzierungsmustern zu beobachten. Der Grunddafr liegt darin, dass die Unterscheidung nationaler Teilsysteme eines als Kommunikations-

    system beobachteten Wissenschaftssystems im Hinblick auf gegenwrtige Verhltnisse nicht

    37Ein Begriffspaar anhand dessen Stichweh (2000a, 108ff.) die gngigen Verstndnisse von Globalisierung wohlrecht treffend beschreibt.38 Auf dem Abstraktionsniveau allgemeiner Gesellschaftstheorie knnte man freilich auch fragen, worauf dieGesellschaft mit ihrer zunehmend in unterschiedlichen Funktionskontexten sich durchsetzenden Selbstbeschrei-

    bung anhand der Semantik von "Globalisierung/Globalitt" reagiert.39Vgl. etwa fr viele quantitativ ansetzende empirische Studien: Glnzel (2002), Leclerc/Gagn (1994), Narin etal. (1991) jeweils mit bibliometrischen Analysen und Hoch/Platt (1993) mit der Betrachtung des Migrations-verhaltens von Wissenschaftlern.

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    tragbar scheint.40Unter systemtheoretischen Vorzeichen erscheint es angemessener, mgliche

    Unterschiede zwischen nationalen "Communities", die sich zweifellos beobachten lassen, als

    Resultat der Orientierung an bestimmten wissenschaftsexternen Anschlusskontexten (vor al-

    lem: Recht und Politik) zu fassen. Auch dies ist eine Position, die Niklas Luhmann vertreten

    hat:

    "Regional differenzierbar in der Form von Staaten ist nur das politische System und mit ihm

    das Rechtssystem der modernen Gesellschaft. Alle anderen operieren unabhngig von Raum-

    grenzen ... Die Bedeutung der Raumgrenzen liegt in den Interdependenzen zwischen dem poli-

    tischen System und dem Rechtssystem auf der einen und den brigen Funktionssystemen auf

    der anderen Seite."41

    Um es noch einmal klar zu sagen: Die Tatsache, dass, mit Blick auf Wissenschaft, Prozessen,die gemeinhin als "Globalisierung" bezeichnet werden, hier nicht die theorietechnische Wrde

    zugesprochen wird, als Strukturwandel des Funktionssystems Wissenschaft durchzugehen,

    soll deren Bedeutung keineswegs schmlern. Sowohl die Bedeutung von regionalen Unter-

    schieden wie auch von transnationalen oder globalen Gemeinsamkeiten oder Prozessen, die

    vom einen zum anderen fhren, scheint unter Zugrundelegung eines systemtheoretischen Ver-

    stndnisses von Weltgesellschaft fassbar und beobachtbar: "Trotz dieser ziemlich deutlichen

    Indikatoren folgt daraus nicht, dass regionale Unterschiede keine Bedeutung mehr htten. ImGegenteil: gerade das dominante Muster funktionaler Differenzierung scheint ihnen einen

    Ansatzpunkt fr ein Bewirken von Unterschieden zu bieten. Um dies zu erklren, knnen wir

    den Begriff der Konditionierung benutzen. Der Ausgangspunkt liegt in der evolutionren

    Unwahrscheinlichkeit funktionaler Differenzierung. Regionale Besonderheiten knnen dann

    sowohl frdernd als auch verhindernd eingreifen."42Unter der Voraussetzung des hier vorge-

    schlagenen Verstndnisses von "Wissenschaft der (Welt-) Gesellschaft" lassen sich dann un-

    terschiedliche Realisationen von deren Systemoperationen als Reaktion auf ihre unter Um-

    40 Beobachtet man statt dessen, wie etwa Crawford/Shinn/Srlin (1993), Wissenschaft nicht als Kommunikati-onssystem, sondern das Betreiben von Wissenschaft als spezifischen Handlungstypus, macht es durchaus Sinnzwischen "nationaler" und "transnationaler" Wissenschaft zu unterscheiden. Als "transnational science" geltendann "activities involving persons, equipment or funds from more than one country" (a.a.O., 1), wobei bei "acti-vities" offensichtlich eben nicht an interaktionsfreie wissenschaftliche Kommunikation gedacht ist, sondern

    vielmehr an Forschung im Sinne eines spezifischen Handlungstyps mit dem Ziel der Produktion wissenschaftli-chen Wissens.41Luhmann 1997, 166f.42Luhmann 1997, 810

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    stnden regional unterschiedlichen Umweltbedingungen beobachten. Damit beobachtet man

    dann "Wissenschaft in derWeltgesellschaft". 43

    Der Begriff "Weltgesellschaft" meint dann gleichzeitig mehr und weniger als die Semantik

    der "Globalisierung": Er impliziert die historisch frhe und einmalige Etablierung eines singu-

    lren und damit grundstzlich weltumspannenden Gesellschaftssystems, dessen Globalitt

    keinerlei Gradualisierung zulsst. In dieser Hinsicht ist der Begriff "Weltgesellschaft" weitaus

    radikaler als der der "Globalisierung", der auf einen fortschreitenden Prozess zunehmender

    Realisation globaler Interrelation und Diffusion verweist. Andererseits sind eben diese zu-

    nehmenden Interrelationen und Diffusionen im Begriffder Weltgesellschaft nicht notwendig

    impliziert. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die soziologische Systemtheorie Luhmann-

    scher Prgung gleichwohl in der Lage ist, entsprechende Prozesse zu beobachten und die

    Konzeption von Gesellschaft als Weltgesellschaft sie zudem als wahrscheinliches Resultat der

    Koevolution sozialer Systeme der modernen Gesellschaft erscheinen lsst.

    43 Fr przise Beobachtungen der in dieser Theorieperspektive zum Teil wissenschaftsextern zu verortendenProduktionsbedingungen vo n Wissenschaft vgl. etwa, Heintz (2000), Knorr (1984, 1999), Krige (1993), La-tour/Woolgar (1979), Latour (1987).

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