Weltwirtschaft Theorie, Institutionen und Politik Vorlesung 290.328, SS 2007 A.o.Univ.-Prof. Dr....

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Weltwirtschaft Theorie, Institutionen und Politik Vorlesung 290.328, SS 2007 A.o.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Blaas Institut für Geographie und Regionalforschung Universität Wien Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik Technische Universität Wien www.ifip.tuwien.ac.at/geo

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Weltwirtschaft Theorie, Institutionen und

Politik Vorlesung 290.328, SS 2007

A.o.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Blaas Institut für Geographie und Regionalforschung

Universität Wien

 

Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik

Technische Universität Wien

www.ifip.tuwien.ac.at/geo

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 2

Inhalt der Vorlesung:

Kap. 1. Einleitung und Überblick über die Vorlesung

Kap. 2. Theorie: Standardtheorie vs. Kritik der Standardtheorie

Kap. 3. Protektionismus vs. Freihandel

Kap. 4. Regionale vs. Multilaterale Integration

Kap. 5. Standortwettbewerb vs. Unternehmenswettbewerb

Kap. 6. Finanzmarktliberalisierung vs. Finanzmarktstabilität

Kap. 7. Regeln für die Weltwirtschaft: WTO vs. UNCTAD

Kap. 8. Mangelnde Regeln für globale Umweltgüter

Kap. 9. Resümee: Freihandel und Fairer Handel

Literatur und Websites

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1. Einleitung und Überblick

1.1 Globalisierung: empirische Fakten1.2 Ursachen der Globalisierung1.3 Ambivalenz der Globalisierung1.4 Überblick

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1.1 Globalisierung: empirische Fakten

In den letzten Jahrzehnten hat die wirtschaftliche Verflechtung und damit das wirtschaftliche Zusammenwachsen der Länder dieser Erde ein gewaltiges Ausmaß angenommen. Betrachtet man allein das Exportvolumen gemessen in US-Dollar, so kann man sehen, daß die Weltexporte im letzten Jahrhundert nach zunächst nur ganz geringem Anstieg seit den 70er Jahren förmlich explodiert sind. Machten die Exporte pro Kopf der Weltbevölkerung im Jahre 1900 noch 6$ aus, so wurden (bei stark gewachsener Weltbevölkerung) 1998 pro Kopf 915$ exportiert (siehe Abbildungen unten).

Allein in den neunziger Jahren sind die Weltexporte pro Kopf um rund 50 Prozent gestiegen. Der Blick zurück lehrt allerdings, daß die internationale Arbeitsteilung nicht immer Vorfahrt hatte. Noch zu Beginn der dreißiger Jahre tobte ein Handelskrieg, in dem viele Länder ihre Märkte abschotteten und sich wahre Abwertungswettläufe lieferten. Dadurch schrumpfte der internationale Warenaustausch auf das Niveau von 1900. Erst mit der Gründung des GATT nach dem Zweiten Weltkrieg und der vergleichweise hohen politischen Stabilität begann der enorme Aufschwung des Welthandels.

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Ausfuhren aller Länder je Kopf der Weltbevölkerung in US-$

0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

1900 1920 1940 1960 1980 2000

Q: www.iwkoeln.de

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Weltweite Exporte 2002

Asien/Pazifik26%

Nordamerika15%Westeuropa

42%

Afrika2%

Nahost4%

Osteuropa/GUS5%

Lateinamerika6%

Asien/Pazifik

Nordamerika

Westeuropa

Afrika

Nahost

Osteuropa/GUS

Lateinamerika

Gesamt: 6.239 Mrd US-$

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Diesen Prozess des Zusammenwachsens nennen wir heute Globalisierung:

Definition: Unter Globalisierung versteht man den Prozess der zunehmenden internationalen Verflechtung in allen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation etc.).

Im Kontext der Vorlesung steht die wirtschaftliche Verflechtung im Vordergrund, andere Bereiche (Politik, Umwelt) werden aber auch angesprochen.

1.2 Ursachen der Globalisierung

Als wesentliche Ursachen der Globalisierung gelten

• der technische Fortschritt, insbesondere in den Kommunikations- und Transporttechniken, sowie

• das wirtschaftliche Interesse nationaler Wirtschaftssubjekte und die dadurch motivierten politischen Entscheidungen zur Liberalisierung der Weltwirtschaft.

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Technischer Fortschritt

Technologische Entwicklungen

im Transportwesen (Automobil, LKW; Flugzeug; Schifffahrt)

im Informations- und Kommunikationswesen (Mobil-Telefonie; Computer/Internet)

Intensität und Raumwirksamkeit der Technologien

(Verbrennungsmotoren; chemische Industrie;

Atomkraft; Fischfang; etc.)

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Wirtschaftliches Interesse

Unterschiedliche Interessen der Wirtschaftssubjekte an Globalisierung:

Unternehmen: Ausweitung der Absatzmärkte, neue Produktionsstandorte

Arbeitnehmer: Möglichkeit, auch in anderen Ländern Arbeit zu finden

Konsumenten: Vielfalt des Angebotes an Gütern und Dienstleistungen; Reisemöglichkeiten

Staat, öffentlicher Sektor: erwartetes Wachstum und Mehreinnahmen durch den Handel; Arbeitsplätze und Wertschöpfung durch Betriebsansiedlungen

(zu den Vorteilen des Freihandels siehe unten)

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1.3 Ambivalenz der Globalisierung

Es gibt also

• sowohl die technischen Möglichkeiten für eine zunehmende Verflechtung; und die technologischen Fortschritte reduzieren gleichzeitig auch die Kosten grenzüberschreitender Aktivitäten;

• als auch die wirtschaftliche Vorteile durch transnationale Aktivitäten.

Warum gibt es dann überhaupt Gegner der Globalisierung?

Worin besteht das Problem der Globalisierung?

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Das Problem liegt darin, dass die Globalisierung, d.h. (derzeit in erster Linie) die Liberalisierung des Handels, nicht jedem zugute kommt. Sie schafft Gewinner und Verlierer.

Das ökonomische Standardargument ist: die Nettogewinne der Handelsliberalisierung sind positiv, sodass die Gewinner die Verlierer entschädigen können und damit das ganze Land profitiert. Diese Kompensation findet jedoch in der Realität kaum statt (Stiglitz/Charlton 2006, 41).

Werden die Verteilungsfolgen der Globalisierung gebührend berücksichtigt, so kann es sein, dass die Handelsliberalisierung für ein Land nicht mehr Pareto-optimal ist, oder anders ausgedrückt: am Ende geht es nicht allen besser.

Welche Nachteile können mit der Globalisierung verbunden sein?

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Nachteile für:

Unternehmen:

Verlust von Marktanteilen oder ganzen Märkten; Verlust der Eigenständigkeit durch neue (ausländische) Eigentümer

Arbeitnehmer:

Konkurrenz durch andere Arbeitnehmer im In- und Ausland; Verlust von Arbeitsplätzen durch Produktionsverlagerungen

Konsumenten:

Verlust der Kontrolle über Produktqualität; Gefährdung der Versorgungssicherheit

Staat:

Verlust der Autarkie; Gefährdung der Versorgungssicherheit; Abhängigkeit von international operierenden Unternehmen

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Wenn es also Gewinner und Verlierer der (derzeitigen Form der) Globalisierung gibt, dann erscheint es logisch, dass

• einerseits jene, die Vorteile davon haben oder sich solche erwarten, die Globalisierung vorantreiben werden und

• andererseits jene, die Nachteile haben oder solche erwarten, der Globalisierung entschiedenen Widerstand entgegensetzen.

Die Vorlesung greift diese Ambivalenz, die Vielschichtigkeit der Liberalisierung (s-Globalisierung) auf und geht von der zentralen - theoretisch und empirisch zu belegenden - Erkenntnis aus, dass sie weder grundsätzlich negative noch grundsätzlich positive Wirkungen hat. Aus ökonomischer Sicht ist die Liberalisierung weder uneingeschränkt zu befürworten noch zu verurteilen.

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1.4 Überblick über die Vorlesung

Diese Perspektive der Ambivalenz und Vielschichtigkeit spiegelt sich in den meisten Themen der Vorlesung wider:

Kap. 2. Theorie: Standardtheorie vs. Kritik der Standardtheorie

Kap. 3. Protektionismus vs. Freihandel

Kap. 4. Regionale vs. Multilaterale Integration

Kap. 5. Standortwettbewerb vs. Unternehmenswettbewerb

Kap. 6. Finanzmarktliberalisierung vs. Finanzmarktstabilität

Kap. 7. Regeln für die Weltwirtschaft: WTO vs. UNCTAD

Kap. 8. Mangelnde Regeln für globale Umweltgüter

Kap. 9. Resümee: Freihandel und Fairer Handel

Literatur und Websites

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2. TheorieWas soll eine „Theorie der Weltwirtschaft“ erklären?

• internationale, also zwischenstaatliche Handelsströme: Handel mit Sachgütern, Dienstleistungen, Rechten, geistigem Eigentum

• internationale Ströme von Produktionsfaktoren: Arbeit (Migration), Kapital, Wertpapiere

• Bereitstellung internationaler, globaler öffentlicher Güter

• Rahmenbedingungen, Spielregeln und Institutionen der globalen Wirtschaft

• Welt-Wirtschaftspolitik: auf nationaler Ebene (Handelspolitik, Protektionismus etc.) und auf internationaler Ebene (Zusammenschlüsse, Handelsregionen)

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Dominierend war in der theoretischen Diskussion lange Zeit die Frage des Handels, und hier wiederum des Handels mit Sachgütern.

Wir befassen uns in diesem Kapitel ausschließlich mit Theorien des internationalen Handels. Die grundlegenden Fragen sind dabei,

1. welche wirtschaftlichen Vorteile sich durch den Handel zwischen zwei Volkswirtschaften ergeben (können) bzw. unter welchen Bedingungen diese Vorteile entstehen können und

2. welche Güter zwischen den Volkswirtschaften gehandelt werden

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2.1 Standardtheorie

Zur Erklärung des Handels zwischen Volkswirtschaften:

• unterschiedliche Ausstattung mit klimatischen, natürlichen Gegebenheiten und Ressourcen (Bodenschätzen, Klima, etc.) führt dazu, dass in den Ländern unterschiedliche Güter hergestellt werden und zwischen den Ländern diese Güter ausgetauscht werden

• dies ist jedoch (heute nicht mehr) der Hauptgrund für den Handel zwischen Ländern, sondern das Ausnützen relativer und absoluter Effizienzvorteile durch Spezialisierung

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David Ricardo (1817) hat als erster den Zusammenhang zwischen Spezialisierung und Handel analysiert und gezeigt, dass – allerdings unter ganz bestimmten Bedingungen - bereits relative Kostenvorteile genügen, damit ein internationaler Handel für beide Seiten wirtschaftliche Vorteile bringt:

Ricardo`s Theorie der komparativen Kostenvorteile

Betrachten wir zwei Länder A und B, die jeweils zwei Güter produzieren, z.B. Brot und Bier.

Beide Länder seien etwa gleich groß und verfügten etwa über das selbe Ausmaß eines einzigen Produktionsfaktors (Einfaktor-Modell; Faktor Arbeit).

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Sie unterscheiden sich aber wesentlich in 2 Punkten:

1. Land A ist B überlegen, weil es durch den Einsatz seiner Produktionsfaktoren mehr sowohl von Brot als auch von Bier erzeugen kann (siehe Abbildungen).

Wenn im Land A alle Produktionsfaktoren zur Erzeugung von Brot eingesetzt werden, so können maximal 8 Einheiten (z.B. t pro Tag) hergestellt werden, im Falle von Bier maximal 80 Einheiten (z.B. hl pro Tag).

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10 20 30 40 50 60 70 80

1

2

3

4

5

6

7

8

Brot (in t)

Bier (in hl)

Y

Abbildung 2.1: Produktionsmöglichkeiten Land A

Produktionsmöglichkeitenkurve

Transformationskurve

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2. Das Land B ist demgegenüber bei vollem Einsatz des Produktionsfaktors nur in der Lage, entweder maximal 2 Einheiten Brot (t pro Tag) oder 60 Einheiten Bier (hl pro Tag) herzustellen.

3. Außerdem unterscheiden sich die beiden Länder in ihren relativen Kosten oder Opportunitätskosten: In den beiden Abbildungen sind konstante, aber unterschiedliche Opportunitätskosten (= unterschiedliche Steigung und gerade Linie der Produktionsmöglich-keitenkurve) angenommen. Wenn im Land A um eine Einheit weniger Brot (t pro Tag) erzeugt wird, können mit den frei werdenden Produktionsressourcen 10 Einheiten Bier (hl pro Tag) erzeugt werden. Die relativen Kosten von (einer Einheit) Brot sind also im Land A: 10 Einheiten Bier (bzw. von Bier 1/10 Einheit Brot). Wenn im Land B eine Einheit Brot weniger erzeugt wird, können mit den frei werdenden Ressourcen aber 30 Einheiten Bier erzeugt werden, die Opportunitätskosten von (einer Einheit) Brot sind also 30 Einheiten Bier, bzw. von Bier 1/30 Einheiten Brot.

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5

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8

Brot (in t)

Bier (in hl)T

Abbildung 2.2: Produktionsmöglichkeiten Land B

Produktionsmöglichkeitenkurve

Transformationskurve

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Vergleicht man daher die Opportunitätskosten der beiden Länder, so ergibt sich folgendes Bild:

Land A Land B

Brot 10 hl Bier 30 hl Bier

Bier 1/10 t Brot

1/30 t Brot

M.a.W.: A liegt bei den relativen Kosten günstiger bei der Brotproduktion (nur 10 hl Bier gegenüber 30 hl), während B bei der Bierproduktion (nur 0,033 t Brot) günstiger als A (0,1 t Brot) ist.

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10 20 30 40 50 60 70 80

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4

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6

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Brot (in t)

Bier (in hl)

Abbildung 2.3: Produktionsmöglichkeiten Land A und B

AA

AA

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Nach Ricardos Theorie der komparativen Kosten sollen sich nun die

Länder auf jene Produktion spezialisieren, wo sie die niedrigeren Opportunitätskosten haben:

Im Beispiel: A soll sich auf die Brotproduktion und B auf die Bierproduktion spezialisieren.

Nehmen wir nun an, dass diese Spezialisierung stattgefunden hat:

Dann werden insgesamt 8 Einheiten Brot (t pro Tag) und 60 Einheiten Bier (hl pro Tag) insgesamt, also in beiden Ländern zusammen, produziert.

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Brotohne

Spezial.

Bierohne

Spezial.

Brotnach

Spezial.

Biernach

Spezial.

Land A 6 20 8 0

Land B 1 30 0 60

Summe 7 50 8 60

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Handel

Damit nun aus der Spezialisierung für beide Länder wirtschaftliche Vorteile entstehen, müssen natürlich die (jetzt fehlenden) Güter gehandelt werden.

Gehen wir in unserem Beispiel davon aus, dass vor der Spezialisierung im Land A 6 Einheiten Brot und 20 Einheiten Bier erzeugt worden sind, während im Land B 1 Einheit Brot und 30 Einheiten Bier erzeugt worden sind. Nach Spezialisierung erzeugt Land A 8 Einh. Brot und Land B 60 Einh. Bier.

Land A hat nun gegenüber der ursprünglichen Situation einen Überschuss von 2 Einheiten Brot, Land B einen Überschuss von 30 Einheiten Bier. Nehmen wir nun an, dass die beiden Länder bereit sind, in diesem Verhältnis (2 Einheiten Brot gegen 30 Einheiten Bier) zu tauschen. Dann würde die Güterversorgung nach Spezialisierung und erfolgtem Handel für beide Länder besser sein und wie folgt aussehen (Abb. 2.4):

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Abbildung 2.4: Güterversorgung nach Spezialisierung und Handel

10 20 30 40 50 60 70 80

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4

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6

7

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Brot (in t)

Bier (in hl)

A

B

T

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Terms of Trade – Reale Austauschverhältnisse

Im Beispiel haben wir angenommen, dass das Austauschverhältnis Brot/Bier beim Handel zwischen A und B wie folgt aussehen:

A tauscht 2 Einheiten Brot für 30 Einheiten Bier vom Land B (1:15).

Derartige relative Preise werden terms of trade genannt.

Dieses Tauschverhältnis bedeutet für beide Länder ein gutes Geschäft:

Land A könnte durch Verzicht auf 2 Einheiten Brot nur 20 Einheiten Bier produzieren; Land B könnte durch Verzicht auf 30 Einheiten Bier nur 1 Einheit Brot produzieren.

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Unter welchen Preis-Bedingungen werden die Länder gewillt sein, ihre Waren auszutauschen?

Betrachten wir im obigen Beispiel etwa das Produkt “Brot” und dessen jeweilige Opportunitätskosten in den beiden Ländern.

In Land A ist eine Einheit Brot 10 Einheiten Bier wert, daher wird dieses Land bereit sein, Brot gegen Bier zu tauschen, wenn für eine Einheit Brot zumindest 10 Einheiten Bier geboten werden.

In Land B ist hingegen eine Einheit Brot 30 Einheiten Bier wert, daher wird Land B bereit sein, bis maximal 30 Einheiten Bier für eine Einheit Brot zu bieten. Die Grenzen für die Austauschverhältnisse ergeben sich also aus den jeweiligen Opportunitätskosten in den einzelnen Ländern:

Die damit entstehende Ungleichung der Austauschverhältnisse (terms of trade inequality) lautet:

10 Bier < 1 Brot < 30 Bier

(Annahme im Beispiel: 1 Brot = 15 Bier)

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Wenn also die realen Austauschverhältnisse (ToT) zwischen diesen Intervallgrenzen liegen, lohnt es sich für die beiden Länder, zu handeln (analoges gilt natürlich für das zweite Produkt).

Ohne weitere Information können die ToT aber nicht bestimmt werden. Sie hängen neben der Produktionstechnologie von der Nachfrage ab.

Definition:

Die Terms of Trade sind das Verhältnis der Export- zu den Importpreisen.

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Das Modell der komparativen Kostenvorteile

impliziert also eindeutige Aussagen über Spezialisierungsmuster:

jede Nation exportiert das Gut, für welches relative Wettbewerbsvorteile bestehen, wobei diese Wettbewerbsvorteile in den geringeren Relativ (Opportunitäts)kosten bestehen

(Ricardianisches Einfaktor-Modell)

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 33

Aus der Definition und den obigen Überlegungen folgt, daß es im Interesse eines Landes ist, daß seine ToT möglichst hoch sind. Das steht im diametralen Gegensatz zu den Interessen des Handelspartnerlandes. Aus der Sicht des jeweiligen Landes bedeuten hohe ToT ja, daß die Güter des Landes relativ viel wert sind und damit viele Güter des anderen Landes gekauft werden können und umgekehrt.

Es liegt daher nahe, daß die Volkswirtschaften versuchen, die ToT zu ihren Gunsten zu beeinflussen (z.B. durch Nachfrage- und Angebotsbeeinflussung, z.B. Zölle, Handelsbarrieren, etc.).

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Durch Spezialisierung und Handel ist die Produktion insgesamt (weltwirtschaftlich) angestiegen, ohne daß mehr Ressourcen (Produktionsfaktoren) eingesetzt worden sind.

Außerdem ist auch die Produktivität und damit das Einkommen angestiegen. (siehe Abb. 2.4)

Wenn also das Theorem der komparativen Kostenvorteile (relative Kostenvorteile, relative Produktivitäten) gilt, ist ein freier Handel zwischen zwei Ländern immer von Vorteil.

(„Why are all voluntary trades mutually beneficial?“ Stiglitz, Economics, 1993, 75)

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2.2 Kritik der Standardtheorie

In vielen Lehrbüchern1) findet man noch immer die Behauptung, dass das Theorem der komparativen Kostenvorteile uneingeschränkt gilt, und daher der freie Handel immer ein Vorteil für jede Volkswirtschaft ist. Denn dieser ermögliche die effiziente Allokation der volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren.

Diese Behauptung ist schlichtweg falsch, denn das Theorem der komparativen Kostenvorteile gilt nur unter weitreichenden Annahmen, die in vielen Ländern nicht (mehr) gegeben sind:

1) z.B. in einem der Standardlehrbücher der Internationalen Wirtschaft, Krugman/Obstfeld 2006, S. 83

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 36

Notwendige Annahmen für die Gültigkeit des Theorems der komparativen Kosten:

National:

• Vollbeschäftigung der Faktoren

• Vollständige Faktormobilität zwischen den Sektoren (die Arbeiter können sofort in den anderen Sektor wechseln; Kapitalgüter nicht spezifisch)

• Perfekte Märkte (insbesondere Finanz/Risikomärkte)

International:

• Freier Handel, keine Transport- oder Transaktionskosten

• Keine freie Faktormobilität (Arbeit, Kapital) zwischen den Ländern

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 37

Bedingung: Internationale Kapitalimmobilität

Die Bedingung der Kapitalimmobilität wurde von Ricardo selbst als zentral für seine Theorie der komparativen Kostenvorteile angesehen.

If capital is mobile, Ricardo posits here, the theory of comparative costs will not hold, because in that case international specialization will be determined by absolute costs, like specialization in one country (Went 2001, 25).

Kapitalmobilität ist jedoch heute in Europa und global in hohem Masse gegeben, Mobilität der Arbeitskräfte zumindest partiell (innerhalb der EU z.B.).

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 38

Was folgt daraus?

Arbeitsteilung und Spezialisierung erfolgt bei Kapitalmobilität nicht mehr nach den relativen, sondern nach den absoluten Kostenvorteilen (Produktivitäten).

Das Kapital wandert dann dorthin, wo die größte Produktivität ist.

Anders ausgedrückt: das Kapital geht in das Land mit niedrigen Stückkosten (wenn der Lohnanteil entscheidend ist: Lohnstückkosten), ausgedrückt in einheitlicher Währung.

Beispiel Ostdeutschland: Abwanderung in den Westen

Beispiel Ukraine: Ansiedlung lohnintensiver Produktion

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 39

Bedingung: Vollbeschäftigung

In vielen Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, ist Vollbeschäftigung nicht gegeben, sondern ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit vorherrschend.

In diesem Fall ist es nicht notwendig, Arbeitskräfte vom relativ weniger produktiven zum relativ produktiveren Sektor umzulenken, es genügt, bislang ungenutzte Arbeitskräfte überhaupt zu mobilisieren.

Daher:

In der Praxis wirkt die Liberalisierung einerseits nachteilig auf den Sektor aus, der mit Importen zu konkurrieren hat und andererseits sind jene Sektoren, die einen relativen Vorteil der Produktivität haben, oft nicht in der Lage, kurz- oder mittelfristig ihre Kapazitäten auszuweiten.

Die Folge ist, dass die Liberalisierung häufig nur die Arbeitslosigkeit insgesamt erhöht.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 40

Bedingung: Mobilität der Produktionsfaktoren zwischen den Sektoren

Gerade in weniger entwickelten Ländern oder auch in Ländern des Überganges (neue EU-Länder) fehlen oft hinreichende Ausbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten, um rasch von einem Sektor in den anderen wechseln zu können.

Wenn also (auch) diese Voraussetzung nicht gegeben ist, steigert die Liberalisierung die Arbeitslosigkeit insgesamt.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 41

Anhang 1: Das Heckscher/Ohlin Zweifaktorenmodell

(Faktorproportionenmodell)

Das Ricardo-Modell kann die wirtschaftliche Realität nur partiell abbilden, weil es auf einen Produktionsfaktor beschränkt ist. Das H-O-Modell erlaubt hingegen die Einbeziehung eines zweiten Faktors.

Die Begründung für den Handel ergibt sich in diesem Modell aus unterschiedlichen Faktorausstattungen der Länder und den unterschiedlichen Faktoreinsatzverhältnissen.

Spezialisierung erfolgt dabei auf jene Güter, für die ein Land die besten Produktionsfaktor-Voraussetzungen hat (z.B. kapitalintensive Güter bei relativem Kapitalreichtum)

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In diesem Modell können Verteilungswirkungen des Handels analysiert werden, weil ja zwei Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) zur Produktion nötig sind und daher die Verteilung auf diese beiden Faktoren betrachtet werden kann.

Dazu ist es notwendig zu wissen, wie der Güterhandel die Entwicklung der Faktorpreise (= deren Kompensation) beeinflusst.

Eine Aussage dazu gibt das Theorem vom Faktorpreisausgleich.

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Anhang 2: Faktorpreisausgleichstheorem (Stolper/Samuelson)

Nach diesem Theorem führt der internationale Handel zu einem steigenden Preis des reichlich vorhandenen Faktors (Exportgüter nützen den reichlich vorhandenen Faktor intensiver).

Im arbeitsreichen Land steigt also der Lohnsatz, im kapitalreichen Land der Preis des Kapitals.

Gibt es keine Handelshemmnisse und sind die Produktionsfaktoren zwischen den Sektoren vollkommen mobil, dann gleichen sich die Faktorpreise aus und es kommt zu international einheitlichen Faktorpreisen. Damit kompensiert der internationale Handel vollständig die unterschiedliche Faktorausstattung.

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Sind die Produktionsfaktoren aber nicht vollkommen mobil zwischen den Sektoren, gibt es also sog. „spezifische“ Faktoren, die nur in einem Sektor eingesetzt werden können, so ergeben sich daraus weitere Verteilungswirkungen:

Steigt der Preis des mit dem spezifischen Faktor erzeugten Gutes durch Handel, so steigt auch dessen Faktorpreis (mehr Nachfrage nach dem Gut – mehr Nachfrage nach dem spezifischen Faktor).

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Anhang 3: Die Neue Handelstheorie

Die bisherigen Modelle (Ricardo; H-O) können die Handelsstruktur wenn überhaupt, so nur unzureichend erklären. Denn sie unterstellen entweder unterschiedliche Technologien zwischen den Ländern (Ricardo) oder eine unterschiedliche Faktorausstattung (H-O).

Die weltwirtschaftliche Realität zeigt aber, daß in hohem Maße Handel zwischen Ländern mit gleicher/ähnlicher Technologie und Faktorausstattung statt findet.

Das hat zur „Neuen Sicht“ des internationalen Handels geführt.

Neue Handelstheorie:

Abkehr von der Annahme vollständiger Konkurrenz

Skaleneffekte, Firmenwachstum, Monopol

Anwendung der Industrieökonomie auf internat. Fragestellungen

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Neue Handelstheorie (Forts.)

Die Neue Handelstheorie erklärt also den internationalen Handel durch das Ausnützen von Skalenvorteilen (= Kostenvorteilen) und das Eintreten in ausländische Monopolmärkte. Damit ist insbesondere der intraindustrielle Handel (= innerhalb eines Sektors) erklärbar.

Handelsstruktur ist aber damit nicht erklärbar. Pfadabhängigkeit von Entwicklungen (wer war zuerst da?) – Strukturen historisch bedingt

Historische Strukturen können aber durch Skalenvorteile verfestigt werden.

Wohlfahrtseffekte

Internationaler Handel führt vom Monopol zur monopol. Konkurrenz

daher: Wohlfahrtssteigerung durch Preissenkung, Mengensteigerung

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Anhang 4: Internationale Faktormobilität

Bisherige Modelle: Annahme der internationalen Immobilität der Faktoren

Nur wenn Faktoren unterschiedlich hoch entlohnt werden, macht Faktormobilität Sinn (Faktorpreisausgleichstheorem!)

Wenn es Barrieren gibt (Translokationskosten; Zölle, Transportkosten, etc.), die den internationalen Güteraustausch verhindern, kann Faktormigration erklärt werden.

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Kapitalmobilität:

(1) Finanzinvestition (Beteiligung an ausländischen Unternehmen)

(2) Direktinvestition (Errichtung eines Betriebes im Ausland)

Erklärungsansatz: Theorie multinationaler Unternehmen

Vorteile für Auslandsengagements: Nähe zu einem neuen Markt; Kostenvorteile; Technologietransfer einfacher innerhalb eines Unternehmens; Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Politik

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3. Protektionismus versus Freihandel

Protektionismus (Handelspolitik, handelspolitische Eingriffe) ist

eine Form staatlicher Aussenhandelspolitik, mit der die heimische Wirtschaft oder einzelne ihrer Sektoren vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden

oder ganz allgemein:

jede Maßnahme, die bewußt darauf gerichtet ist, Marktergebnisse, die sich bei Freihandel bzw. bei freien Marktverhältnissen einstellen würden, zu verändern.

Definition Protektionismus

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tarifäre und nichttarifäre Maßnahmen, die das Ziel haben, den internationalen Handel zu beeinflussen. Zu diesen gehören:

• Zölle (haben im internationalen protektionistischen Maßnahmen-katalog die größte Bedeutung)

• spezifische Steuerbelastung von Importen oder Steuerent-lastungen von Exporten, Exportförderung, Exportkredite

• Subventionen für die Sektoren, deren Produkte mit Importgütern konkurrieren

• Mengenkontingente

• Spezifische Einfuhrbestimmungen, z.B.: technische Vorschriften oder Lizenzen

• bilaterale Handelsabkommen

• staatliche Außenhandelsmonopole

3.1 Instrumente des Protektionismus

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Kapitalverkehrsbeschränkungen, die das Ziel verfolgen, die internationalen Finanzströme zu regulieren. z.B.: in Form:

• eines Verbotes von Kapitalexporten

• einer Bargelddepotpflicht für ausländische Einlagen bei inländischen Banken zur Beeinträchtigung von Kapitalimporten.

 

Maßnahmen zur Steuerung der gesamten Zahlungsbilanzströme, insbesondere :

• die Devisenbewirtschaftung, mit der der Staat direkt in den internationalen Zahlungsverkehr eingreift

• bilaterale Zahlungsabkommen

Zölle, Importkontingente, Selbstbeschränkungen, Exportprämien und Subventionen für importkonkurrierende Sektoren wirken sich unmittelbar auf außenwirtschaftlich relevante Preise und/oder Mengen aus und haben damit eine protektionistische Zielrichtung.

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Die Instrumente des administrativen Protektionismus diskriminieren ausländische Konkurrenten nicht durch direkte Preis- und Mengensteuerung, sondern durch bürokratische Vorschriften :

Einfuhrvorschriften

Zollwertermittlungsvorschriften

Produktionsvorschriften

Diese Art des Protektionismus erweist sich - obwohl in der praktischen Außenwirtschaftspolitik eine andere Meinung vorzuherrschen scheint - im allgemeinen als ebenso bremsend für den Welthandel wie die offene Protektion mit Zöllen und Kontingenten.

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In aller Regel werden protektionistische Maßnahmen in der staatlichen Außenwirtschaftspolitik eingesetzt.

Allerdings gibt es auch rein privatwirtschaftliche Aktivitäten, die eine protektionistische Zielrichtung haben. (z.B.: die Bildung von internationalen Preis- oder Mengenkartellen, durch die auf den internationalen Märkten ein Angebots- oder Nachfragemonopol entsteht.)

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3.2 Argumente für handelspolitische Eingriffe

1) Schutz der heimischen Produktion aus folgenden Gründen:

 

• Autarkie (z.B. Landwirtschaft; Steinkohle, Stahl), Versorgungsrisiko verringern

• Schutz etablierter Industrien (die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren)

• Streckung des Strukturwandels

• Schutz junger Industrien

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2) Mehrung der Außenhandelsgewinne 

• Optimalzoll (siehe Abbildung)

Einflußmöglichkeiten auf die ToT für ein großes Land (wenn ein großes Land Zoll auf ein Importgut

einhebt, sinkt die weltwirtschaftliche Nachfrage, damit auch der Preis, und die ToT des zolleinhebenden Landes verbessern sich; damit steigt die Wohlfahrt des Landes)

aber: Opportunitätskosten (z.B. bei Retorsionszoll sinkt der Handel insgesamt und damit die Wohlfahrt)

• Strategische Handelspolitik (Ziel: die Aussenhandelsposition eines Landes zu stärken, z.B. Unternehmen des Landes eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt oder eine stärkere Oligopolstellung zu ermöglichen)

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Optimalzoll (Punkt C)

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3) Retorsion als notwendige Antwort? 

• Anti-Dumping (z.B. durch Mengenbegrenzung oder Importzölle) Maßnahmen, wenn Unternehmen anderer Länder ihre Produkte unter den Gestehungskosten anbieten

• Abgleiten in eine nicht-kooperative Falle (Handelskrieg; Regeln wichtig zur Einschränkung strategischer Handelspolitik)

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4) Die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen 

• Forderung von Industrie und Gewerkschaften: gleiche Sozial- und Umweltstandards

• Verbot von Kinderarbeit

• Lohnbedingungen können nicht direkt egalisiert werden, Umwelt- und Sozialstandards sind im Ermessen nationaler Gesetzgebung

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5) Beibehaltung von Zöllen in Entwicklungsländern:

Nach Schätzungen machen die Zolleinnahmen bis zu 40% der öffentlichen Einnahmen in Entwicklungsländern aus.

Eine (strikte) Liberalisierung (d.h. Abschaffung der Zölle) hätte (auch) einen Zusammenbruch des Staatsbudgets zur Folge.

Beispiel: EPAs Verhandlungen 2007:„Die EU fordert im Rahmen der EPAs-Verhandlungen (European Partnership Agreements) von den 75 AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik), ihre Märkte zu liberalisieren. Drei Viertel der AKP-Ländern würde mindestens 40% ihrer Zolleinkünfte verlieren und damit wären Investitionen in Bildung, Gesundheit und Armutsbekämpfung massiv gefährdet.“

Attac Austria , April 2007

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3.3 Argumente für Freihandel 

• Wohlfahrtsgewinne für die Welt

durch Effizienzgewinne (höhere Produktivität) als Folge von

Spezialisierung und Handel (vgl. Kapitel 2)

• Wohlfahrtsgewinne für ein einzelnes Land

Allokationsgewinne - statische Gewinne (s.u.)

dynamische Gewinne (s.u.)

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Statische Gewinne - Allokationsgewinne

• Nutzensteigerung durch niedrigere Preise (als in der Autarkie): diese implizieren einen Einkommenseffekt (höheres Real- Einkommen) und einen Substitutionseffekt (Anpassung von Konsum an die neuen Relativpreise)

• Nutzensteigerung durch einen Spezialisierungseffekt (Anpassung der Produktion an das neue Preisverhältnis)

• Faktoreinkommenseffekt: Realeinkommen der Produktionsfaktoren insgesamt nimmt durch steigendes BIP zu; aber: Realeinkommen jenes Faktors nimmt ab (z.B. Arbeit), wenn ein Land sich auf Produktion jener Güter spezialisiert, die andere Faktoren (Nicht-Arbeit) intensiv nutzen

• Vielfalteffekt: mehr Wahlmöglichkeiten f.d. Konsumenten; höhere Produktivität durch mehr Input-Vielfalt

• Skaleneffekt: Durchschnittskosten sinken

• Gewinneffekt: bei unvollständiger Konkurrenz (Preis über den Grenzkosten): der Wert der zusätzlichen Produktion höher als die Produktionskosten und damit ergeben sich höhere Gewinne

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Dynamische Gewinne (i.a. wichtiger)

• Wettbewerbseffekt: intensiverer Wettbewerb (Beseitigung nationaler Monopole), Tendenz zur Kostensenkung, Suche nach neuen wirtschaftlichen Lösungen, Entwicklung neuer Produkte und Leistungen

• Innovationseffekt: Suche nach günstigeren Produktions-möglichkeiten, Zunahme des technischen Fortschritts, mehr Möglichkeiten des Technologietransfers

• Akkumulationseffekt: durch Aussenhandel entsteht Anreiz und Möglichkeit, mehr Kapitalgüter zu akkumulieren; Akkumulation von Wissen: Innovationseffekt als Spezialfall des Akkumulationseffektes

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3.4. Historische Phasen von Protektionismus und Freihandel vom Beginn des 19. Jh. bis jetzt

Das 19. Jahrhundert begann protektionistisch: die Napoleonische Kontinentalsperre gegen Großbritannien;

1815 treten die „Corn Laws“ in Kraft, die die britische Autarkie bei Agrargütern im Falle eines weiteren Konfliktes zum Ziel hatten.

Danach Abbau von Handelshemmnissen (1846 Aufhebung der Corn Laws) und Beginn einer Liberalisierungsphase

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Bis Ausbruch des 1. Weltkrieges: Zeit des Freihandels, vor allem im Austausch zwischen Großbritannien und seinen Kolonien, begleitet von stabilen Währungsverhältnissen (Goldstandard)

1. Weltkrieg: Ende der weltwirtschaftlichen Integration; Hyperinflation in Deutschland 1923, Weltwirtschaftskrise 1929 waren schwere Störungen der Weltwirtschaft, Zölle und andere Handelshemmnisse nehmen zu; Abwertungswettlauf in den 30er Jahren

Nach dem 2. Weltkrieg: Rahmenordnung für die Weltwirtschaft durch GATT (1947); bis 1971 relativ stabile Währungsrelationen

In den 80er und 90er Jahren: starke Zunahme des Welthandels, auch bedingt durch IT- und Transportkostenverringerung

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3.5 Wie protektionistisch haben sich die Länder in der Vergangenheit verhalten?Q: Chang 2003, Chang 2002

In den letzten zwanzig Jahren konnten die Anhänger des freien Warenverkehrs einige bahnbrechende Erfolge für sich verbuchen. Seit Beginn der Schuldenkrise von 1982 sind viele Entwicklungsländer zu einer radikalen Freihandelspolitik übergegangen.

Zehn Jahre später, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks, öffneten sich weite Weltregionen erstmalig für den freien Handel. In den 1990er-Jahren wurden eine Reihe wichtiger regionaler Freihandelsabkommen unterzeichnet, deren bekanntestes das Nafta-Abkommen (North American Free Trade Association) zwischen den USA, Kanada und Mexiko ist. Als krönender Abschluss wurde von der so genannten Uruguay-Runde des Gatt (General Agreement on Trade and Tariffs) 1994 in Marrakesch die Gründung der Welthandels-organisation WTO (World Trade Organization) für 1995 vereinbart.

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Die Verfechter einer weiteren Liberalisierung des Handels sind überzeugt, dass alle heutigen Industrieländer ihren Reichtum allein dem Prinzip des Freihandels verdanken. Entsprechend kritisieren sie an den Entwicklungsländern, dass sie sich schwer tun, das so bewährte Rezept für wirtschaftliche Entwicklung zu übernehmen.

Nur ist diese Sicht der Dinge durch die historischen Fakten überhaupt nicht gedeckt.

In Wirklichkeit haben die entwickelten Länder, als sie sich selbst noch in der Phase der Entwicklung befanden, keine einzige der politischen Strategien befolgt, die sie heute anempfehlen, schon gar nicht die viel gepriesene Freihandelspolitik. Die größte Diskrepanz zwischen Mythos und historischer Realität zeigt sich dabei ausgerechnet im Falle Großbritanniens und der USA, das heißt bei den beiden Ländern, die ihre führende Rolle in der heutigen Weltwirtschaft angeblich einer auf den freien Markt setzenden Entwicklungsstrategie verdanken.

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Großbritannien hat lange Zeit eine ausgesprochen dirigistische Politik verfolgt - sie in gewisser Hinsicht überhaupt erst erfunden - um so seine wichtigsten Industriebranchen zu schützen und zu fördern.

Großbritannien hatte also seine technologische Führungsposition, die ihm schließlich den Übergang zu einer Freihandelspolitik ermöglichte, "hinter hohen und sehr lange bestehenden Zollmauern" erlangt, wie es der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch formuliert hat.

Friedrich List, der bedeutendste deutsche Ökonom des 19. Jahr-hunderts und Vordenker des Deutschen Zollvereins gilt allgemein als Vater der modernen Theorie, der zufolge ökonomisch rückständige Länder in einer Umgebung aus entwickelten Ökonomien ihre neuen Industrien nicht ohne Intervention des Staates und vor allem nicht ohne Zollschutz nach außen entwickeln können. List verglich damals das britische Eintreten für den Freihandel mit dem Verhalten eines Mannes, der dem anderen die Leiter umstößt, ohne die er selbst nie über eine hohe Mauer gekommen wäre.

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Die Vereinigten Staaten hielten von 1830 bis 1945, also über ein Jahrhundert, ihre Zolltarife für industrielle Fertigwaren auf einem Niveau, das zu den höchsten der Welt gehörte.

Und da ihre geografische Lage - wegen der bis in die 1870er-Jahre hohen Transportkosten - ohnehin eine starke "natürliche" Protektion garantierte, kann man sagen, dass die US-amerikanische Industrie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in der Tat die weltweit bestgeschützte war.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die US-Industrie sich eine unbestrittene Vorherrschaft gesichert hatte, liberalisierten die USA ihre Handelsbeziehungen - wenn auch nicht so eindeutig wie Großbritannien Mitte des 19. Jahrhunderts - und begannen, sich für den Freihandel stark zu machen. Damit hatte sich Friedrich Lists Metapher von der umgestoßenen Leiter ein zweites Mal bestätigt.

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Dass die Amerikaner sich in diesem Punkt nichts vormachten, bestätigt ein Zitat von General Grant, dem Helden des Sezessionskrieges und späteren US-Präsidenten (1868-1876):

"Über Jahrhunderte hinweg hat England auf die Protektion seiner eigenen Wirtschaft gesetzt, dieses Prinzip zu äußerster Konsequenz getrieben und damit befriedigende Ergebnisse erzielen können. Ohne Zweifel verdankt England seine gegenwärtige Stärke ebendiesem System. Nach 200 Jahren dann schien es England genehm, das Prinzip des Freihandels zu übernehmen, weil es sich von der Protektion nichts mehr versprach. Nun denn, verehrte Herrschaften, was ich über mein eigenes Land weiß, bringt mich zu der Überzeugung, dass auch Amerika in 200 Jahren, wenn es von der Protektion alles bekommen hat, was sie bietet, das System des Freihandels übernehmen wird."

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Die wenigen neoliberalen Ökonomen, die über die protektionistische Vergangenheit der heute entwickelten Länder Bescheid wissen, behelfen sich mit folgender Argumentation:

Der Protektionismus mag ja in der Vergangenheit die eine oder andere positive Wirkung gehabt haben, doch in der globalisierten Welt von heute sei er absolut schädlich.

Die Überlegenheit des Freihandels zeige sich schon darin, dass die Wirtschaft der Entwicklungsländer in den letzten zwanzig Jahren liberaler Handelspolitik viel mehr gewachsen sei als in den vorangegangenen Jahrzehnten, in denen die Entwicklungsländer eher auf Protektionismus gesetzt haben.

Doch die Fakten sehen anders aus:

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Wenn der Freihandel eine so großartige Sache wäre, müsste sich nach den vielen Schritten zur Liberalisierung des Handels das Wirtschaftswachstum in den letzten 20 Jahren eigentlich beschleunigt haben.

In Wirklichkeit ist jedoch die Weltwirtschaft in den Jahren zwischen 1960 und 1980 - als es weitaus mehr Schutzmechanismen und andere regulative Instrumente gab - viel schneller gewachsen als heute. In den "schlechten alten Tagen" wuchs das globale Pro-Kopf-Einkommen durchschnittlich um etwa 3 Prozent, in den letzten 20 Jahren hingegen nur um 2,3 Prozent.

In den entwickelten Ländern verlangsamte sich das jährliche Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von durchschnittlich 3,2 Prozent in den Jahren 1960 bis 1980 auf durchschnittlich 2,2 Prozent von 1980 bis 1999. In den Entwicklungsländern halbierte sich die Wachstumsrate sogar von 3 auf 1,5 Prozent. Und wenn in den letzten zwei Jahrzehnten die chinesische und die indische Wirtschaft nicht so stark gewachsen wären - wohlgemerkt ohne Anwendung neoliberaler Rezepte -, dann würde dieser Wert noch niedriger liegen.

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren

Zur Vorgeschichte:

Seit Jahrzehnten versuchen die Industrieländer, ihre Industrie durch internationale Abkommen vor der »Billigkonkurrenz« aus dem Süden zu schützen. Im Falle der Textil- und Bekleidungsindustrie wurde dieser Schutz seit 1974 durch das Multifaserabkommen (MFA – Multi-Fibre-Agreement) geregelt, das bilaterale Vereinbarungen über Mengenbeschränkungen ermöglicht, wenn ein Industrieland durch stark steigende Importe aus einem bestimmten Erzeugerland ernsthaft bedroht fühlt. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum sonstigen GATT-System (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), das nach dem Prinzip der »Gleichbehandlung« tarifliche Beschränkungen (also Zölle) bevorzugt – wenn überhaupt Beschränkungen des freien Welthandels geduldet werden. Mit Hilfe von Quotenvereinbarungen hingegen wurde im Textil- und Bekleidungssektor über Jahre bilateral geregelt, welches Importland von welchem Exportland welche Einfuhrmenge akzeptiert

3.6. Aktuelle Beispiele protektionistischer Politik

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren (Forts. 1)

Auf diese Weise sind während der Dauer des Multifaserabkommens von 1974 bis 1994 hunderte von Quotenvereinbarungen entstanden, die nicht eine generelle Beschränkung der Bekleidungsimporte eines speziellen Landes beinhalteten, sondern sehr spezifisch zugeschnitten waren auf bestimmte Kategorien, z.B. »Mäntel aus Geweben«

Der »Geist« des Multifaserabkommens (Protektionismus und Handelsmengenbeschränkung) widerspricht jedoch dem Credo derjenigen, die im Rahmen von GATT/WTO Freien Handel und freien Wettbewerb global durchsetzen wollen. Ein »Kompromiss« entschärfte den Konflikt zwischen Freihandels- und Protektionsinteressen zu Beginn der 90er Jahre: Die Gründung der Welthandelsorganisation 1995, in die das GATT überführt wurde, sollte den globalen freien Handel durchsetzen, der Textil- und Bekleidungsbereich sollte durch das Welttextilabkommen ab 1994 in einem Zehn-Jahres-Zeitraum in den globalen Freihandel integriert werden.

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren (Forts. 2)

Erleichtert wurde den Befürwortern der Protektion im Textil- und Bekleidungsbereich die Zustimmung zum Auslaufen des Quotensystems vermutlich nicht zuletzt durch die Zustimmung zahlreicher Entwicklungsländern zu anderen wichtigen Liberalisierungsprojekten: »Viele Entwicklungsländer wurden zur Unterzeichnung der WTO Abkommen TRIPS und TRIMS geködert mit dem Versprechen des Wegfalls der Quoten des MFA. Entwicklungsländer behaupteten, dass der Wegfall der Quoten ihren Marktzugang in den entwickelten Ländern wachsen ließe.

Im Rahmen des Welttextilabkommens sollten in vier Stufen die Quoten bis Ende 2004 abgebaut und der Textil- und Bekleidungshandel den allgemeinen WTO-Regeln unterworfen werden. Als letztes wurden Ende 2004 die Quoten für 25 Kategorien für die wertmäßig wichtigsten Massenprodukte wie T-Shirts und Jeans abgeschafft.

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren (Forts. 3)

Mai 2005:

Nach Angaben des EU-Handelskommissars sind in den ersten Monaten des Jahres 2005 die Einfuhren von T-Shirts aus China um 187% und die Leinengarn-Lieferungen um 56% gestiegen. Damit verbunden sei ein dramatischer Rückgang der Produktion und ein Beschäftigungsrückgang um 13% in diesem Sektor (in Öst. Um 17.000 lt. Attac).

Daher: Forderung der EU an China, rasch Maßnahmen zur Eindämmung der Textilexporte zu ergreifen. Falls dies nicht geschehe, werde die Kommission für 2005 vorübergehende Einfuhrbeschränkungen für die beiden Produktkategorien vorschlagen. (Ziel: 7,5% Wachstum der Textilimporte)

Auch die USA hat formell eine „Störung“ des Textilmarktes festgestellt und Einfuhrbeschränkungen für China angekündigt.

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren (Forts. 4)

Reaktion aus China:

Der chinesische Handelsminister Bo warf Washington und Brüssel „unfairen Protektionismus“ vor:

Dort, wo die Industriestaaten absolut im Vorteil sind, propagieren sie freien Welthandel und fordern alle auf, ihnen die Türen zu öffnen.

Bei Nachteilen aber machen sie ihre Türen wieder zu.

Weiters stellte der Minister fest, dass die Industriestaaten 10 Jahre Zeit hatten, um den Textilmarkt freizugeben. Jetzt, gerade vier Monate nach der Abschaffung der Quoten wolle man die Einfuhren wieder beschränken.

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EU: Einfuhrbeschränkungen für chinesische Textilwaren (Forts. 5)

China kommt Europa und den USA aber entgegen:

China erhöht seine nur minimale Exportzölle für 74 Kategorien von Textilien und Kleidung um das Vier- bis Fünffache.

Auf Vorprodukte wie Leinengarn wird pro Kilo nun 30 Cents erhoben.

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USA: Zölle auf Stahlimport

Im März 2002 kündigte Präsident Bush an, dass Importzölle zwischen 8% und 30% auf Stahlprodukte verhängt werden – zum Schutz der US-Stahlindustrie. Die Zölle sollten vom 20. März 2002 an für drei Jahre gelten und zehn verschiedene Gruppen von Stahl erfassen. Begründung: Zunahme der Importe.

Hauptsächlich betroffene Importländer: die EU (6,1 Mio t), Brasilien (3,0), Südkorea (2,2), Russland (1,7), Japan (2,1), Mexiko (3,0), Kanada (4,7) (Stahlimporte im Jahr 2001).

Reaktion der EU (Ende März 2002): Handelsbeschränkungen für Stahl aus Drittländer (Kontingente und Zölle bis zu 26%).

August 2002: die WTO entscheidet im Stahlstreit gegen die USA. Die EU hatte die WTO aufgerufen, den Streitschlichtungsausschuss einzuberufen.

Die USA gewähren Ausnahmen von den Zöllen bei bestimmten Produktkategorien

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USA: Zölle auf kanadisches Bauholz

Ab 23. Mai 2002: Die Internationale Handelskommission der USA belegt die Importe von kanadischem Bauholz mit Zöllen von 27%.

Kanada exportiert bislang jährlich Bauholz im Wert von 10 Mrd. CA-$ (ca. 7 Mrd. €) in die USA und hat dort einen Marktanteil von ca. 33 Prozent.

Begründung der USA für die Zölle: die niedrigen Gebühren, die die kanadischen Provinzen für den Holzeinschlag in den Staatswäldern von den Forstunternehmen verlangen, seien Subventionen.

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USA: Agrarsubventionen

Mai 2002: durch ein neues Agrargesetz (farm bill) werden bis 2007 rund 45 Mrd $ (50 Mrd €) an Subventionen in die amerikanische Landwirtschaft transferiert. (Nicht im Rahmen der Green Box! Siehe WTO-Kapitel)

Brüssel: durch dieses Gesetz steigen die US-Agrarsubventionen um 70%; grosser Schaden vor allem für die Entwicklungsländer.

Die im Rahmen der WTO vorangetriebene Reform der Agrarpolitik, die auf den weltweiten Abbau von handelsverzerrenden Subventionen abzielt, „würde dadurch zum Scheitern gebracht“.

Wirkung: amerikanische Landwirte sind sowohl im Binnenmarkt als auch als Exporteure in andere Länder wettbewerbsstärker (z.B. durch niedrigere Preise).

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USA: Reaktion der EU 2004

In einem der bisher größten transatlantischen Handelskonflikte traten am 1.3.2004 millionenschwere Strafzölle der Europäischen Union (EU) gegen US-Importe in Kraft. Die EU reagiert damit auf US-Ausfuhrsubventionen, die schon vor eineinhalb Jahren von der Welthandelsorganisation WTO für unrechtmäßig erklärt worden sind. Ein europäisches Ultimatum zur Änderung der einschlägigen Gesetze bis zum 1. März hat Washington verstreichen lassen.

Es war das erste Mal, dass die EU im Verhältnis zu ihrem größten Handelspartner USA derartige Vergeltungsmaßnahmen ergriffen hat. Sie ist dazu nach den Welthandelsregeln berechtigt.

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USA: Reaktion der EU 2004 (Forts.)

Zunächst wurden Strafzölle von fünf Prozent auf rund 1600 US-Produkte geben.

Diese Zölle werden dann schrittweise ansteigen. Betroffen sind Textilien wie Anoraks oder Anzüge, Lebensmittel wie Schinken, Tomaten, Ananas oder Milchpulver, Elektrogeräte wie Kühlschränke, Papierwaren, Stahlerzeugnisse oder Atomreaktoren. Wegen dieser Zölle dürften sich die Produkte in der Union verteuern.

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Die UNO hat errechnet (2001), dass den armen Ländern jährlich Einnahmen im Wert von 130 bis 180 Milliarden US-$ entgehen, weil sich die Industrieländer in manchen Bereichen nach wie vor protektionistisch verhalten.

Beispiel: das Multifaserabkommen in der WTO, das den Markt der Industrieländer gegen Importe aus den armen Ländern teilweise abgedichtet hat. Dieses ist aber mit 2005 ausgelaufen.

Ausmass und Wirkungen protektionistischer Politik

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Hinweis: Detaillierte Informationen über Handelsbeschränkungen

findet man in der Market Access-Datenbank der EU http://mkaccdb.eu.int

Die Market Access-Datenbank der EU umfasst:

Sektorale und generelle Handelshemmnisse

Angewandte Zölle

Informationen über Einfuhrförmlichkeiten

Konsolidierte WTO-Zölle

Zum Begriff Konsolidierte WTO-Zölle (bound tariffs)The market access schedules are not simply announcements of tariff rates. They represent commitments not to increase tariffs above the listed rates — the rates are “bound”. For developed countries, the bound rates are generally the rates actually charged. Most developing countries have bound the rates somewhat higher than the actual rates charged, so the bound rates serve as ceilings.

Countries can break a commitment (i.e. raise a tariff above the bound rate), but only with difficulty. To do so they have to negotiate with the countries most concerned and that could result in compensation for trading partners‘ loss of trade.

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4. Regionale vs. multilaterale Integration

ZielMit regionalen Integrationen streben Länder an, dem internationalen Freihandel, wenn auch räumlich begrenzt, etwas näher zu kommen.

DefinitionBei einer regionalen Integration handelt es sich um eine gegenseitige außenhandelspolitische Vorzugsbehandlung von Ländern. Anders ausgedrückt: eine regionale Integration ist ein zunächst wirtschaftlicher Zusammenschluss, der mit zunehmendem Integrationsgrad auch zu einem politischen Zusammenschluss werden kann (siehe Integrationsstufen).

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4.1 Integrationsstufen

1. Assoziierung; Präferenzzonen

Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschluß zur Verfolgung bestimmter, gemeinsam gewählter Vorhaben (z.B. Zollfreiheit für bestimmte Güter). Diese Integrationsform dient meist nur als Vorstufe für die nachfolgenden Integrationsformen. Bsp.: AKP-Abkommen (Lome-Abkommen; s.u.)

2. Regionale Freihandelszone

Bei dieser Art des Zusammenschlusses liegt die freie Beweglichkeit der im Integrationsraum erzeugten Güter vor (d.h. grundsätzlich sind alle Güter von Zöllen befreit; Ausnahmen existieren aber oft). Allerdings besteht die Zollautonomie der einzelnen Mitgliedsstaaten gegenüber Drittländern weiter fort. Bsp.: EFTA, NAFTA (s.u.)

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3. Zollunion

In dieser Form des Zusammenschlusses ist zusätzlich zu allen Elementen der regionalen Freihandelszone eine gemeinsame Außenhandelspolitik der Mitgleidstaaten inbegriffen (z.B. gemeinsame einheitliche Außenzolltarife). Bsp.: EWG, EG

4. Gemeinsamer Markt

Im gemeinsamen Markt liegt außer den Merkmalen der Zollunion die freie Beweglichkeit der Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) vor. Damit sind einerseits gewerbliche Niederlassungsfreiheit und andererseits freie Arbeitsplatzwahl vorgesehen (4 Freiheiten).

5. Wirtschaftsunion

Zum gemeinsamen Markt kommt hier eine partielle, supranationale Wirtschaftspolitik hinzu. Als Beispiele lassen sich die Agrarpolitik oder die Steuerharmonisierung der EU nennen.

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6. Wirtschafts- und Währungsunion

Hier liegen die Wirtschaftsunion und eine supranational Währungspolitik vor. Beispiel dafür ist die gemeinsame EU-Währungspolitik der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.

7. Totale Integration bzw. Politische Union

Es handelt sich dabei um eine Wirtschafts- und Währungsunion mit einer supranationalen Zentralisierung aller bzw. wesentlicher wirtschaftspolitischer Entscheidungen (meist in einem föderalen Aufbau). In der EU ist die Politische Union als Ziel formuliert worden (Konvent; EU-Verfassung; gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik).

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4.2 Grundzüge der Integrationstheorie

Statische Effekte:

handelsschaffende und handelsumlenkende Wirkungen;

2-Länder-Analyse: Länder A und B; A hat von B bisher Importe bezogen, die trotz Importzoll nachgefragt wurden. Durch Abschaffung des Zolls: mehr Handel (Einfuhr), niedrigere Preise, Konsumenten (im Land A) gewinnen (Partialanalyse; Kriterium: Konsumentenrente!)

3-Länder-Analyse A, B, C; Annahme: Drittland C mit günstigerem Angebot; B sei nicht wettbewerbsfähig; daher: A importiert aus C; nach Gründung einer Zollunion der beiden ersten Länder (A und B) muß C weiterhin Importzoll zahlen, für B entfällt der Zoll; daher: Handelsströme werden von C auf B umgelenkt. Land B gewinnt, Land A kann aber verlieren: es importiert nun die weniger wettbewerbsfähigen Produkte aus B anstelle jener aus C

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Wenn man beurteilen will, ob die Zollunion als Ganze gewinnt, müssen die handelsschaffenden und die handelsumlenkenden Wirkungen für alle Länder der Zollunion berechnet werden.

Will man prüfen, ob bei einer Zollunion die Welt insgesamt, also die Mitgliedsländer und die Drittländer eine Wohlfahrtssteigerung erfährt, müssen die handelsschaffenden und -umlenkenden Effekte für alle Länder ermittelt werden.

Achtung: Die Wohlfahrt wird nur an der Konsumentenrente gemessen; Beschäftigungseffekte, die heute wesentlich wichtiger erscheinen, werden darin nicht berücksichtigt!!

Dynamische Effekte (meistens wichtiger):

Ausnutzung von Skalenerträgen (durch mehr Handel); verstärkter intra-industrieller Handel; (und damit tendenziell höhere) Wettbewerbsfähigkeit; höhere Mobilität der Produktionsfaktoren

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4.3 Regionale Integration versus multilaterale Ordnung

Regionale Integration verletzt die Welthandelsprinzipien der Nicht-Diskriminierung und der Meistbegünstigung (siehe unten).

(Meistbegünstigung: Grundsatz, nach dem sich ein Land verpflichtet, dem Vertragspartner alle diejenigen Einfuhrerleichterungen zu gewähren, die es auch Drittländern einräumt; d.h. keine bevorzugte, sondern eine dem bevorzugtesten Land gleichgestellte Behandlung)

Frage: sind regionale Abkommen ein Weg zu wachsender Wohlfahrt im Rahmen einer multilateralen Ordnung oder verstellen sie eher den Weg dorthin?

Unterschiedliche Entwicklungspfade der globalen Wohlfahrt möglich, je nachdem, ob die handelsschaffenden oder die handelsablenkenden Effekte überwiegen, ob sich die regionalen Zusammenschlüsse für eine multilaterale Ordnung öffnen, ob die dynamischen Effekte wirksam werden können.

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Vor- und Nachteile regionaler Integration versus multilaterale Ordnung: einfachere und schnellere Konsensfindung auf regionaler Ebene; die regionale Integration als „Testverfahren für globale Integration; dagegen: weltweite Gültigkeit multilateraler Ordnung;

aber: Gefahr des Zerfalls in regionale Blöcke durch die räumliche Ausnahme vom Prinzip der Meistbegünstigung für regionale Integrationen (gem. GATT-Artikel XXIV)

Bisherige Erfahrungen: regionale Integrationen haben nicht zu bedeutenden Segmentierungen geführt. Aber: (1) die Gefahr von Handelskriegen zwischen den Blöcken und damit Zerfall in Blöcke ist latent gegeben (vgl. „Bananenstreit“ oder „Stahlkrieg“ zwischen EU und USA/NAFTA); (2) Anteil des Handels in regionalen Integrationen nimmt zu: „The Regional Trade Agreements share of world trade is expected to grow from 43% in 2003 to 55% in 2005“ (OECD 2003).

Abwägung zwischen regionaler Integration und multilateraler Ordnung offen; daher sind Mechanismen der Öffnung (Multilateralisierung) regionaler Zusammenschlüsse wichtig.

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4.4 Bestehende regionale Integrationen(siehe dazu; www.wto.org - Regional trade agreements)

Bis Dezember 2002 wurden vom Gatt/WTO etwa 250 regionale Handelsabkommen notifiziert. Ende 2005 werden es voraussichtlich 300 sein.

Bekannte Abkommen sind:

Europäische Union

EFTA

NAFTA

Mercosur

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Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – Europäische Gemeinschaft – Europäische Union (25 Mitglieder: 2005)

EFTA: European Free Trade Association. Ehemals auch Österreich als Mitglied. Heute sind noch verblieben: Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz

NAFTA: North American Free Trade Agreement: USA, Canada, Mexico (siehe unten)

CEFTA: Central European Free Trade Area: Bulgarien, Kroatien, Rumänien

Lomé-Abkommen (71 Staaten in Afrika, in der Karibik u. im Pazifik; AKP-Staaten)

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Bestehende regionale Integrationen (Fortsetzung)

EWR (EEA): Europäischer Wirtschaftsraum:

Mit 40 % des Welthandels der größte gemeinsame Markt der Welt. Er trat am 1. 1. 1994 in Kraft und umfasst die damals 12 EU-Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien; Europäische Union) und 6 der damals 7 EFTA-Staaten (Finnland, Island, Liechtenstein, Österreich, Norwegen und Schweden; Europäische Freihandelsassoziation) mit insgesamt 370 Millionen Menschen; die Schweiz schloss sich als einziger EFTA-Staat nicht dem EWR an. Ziel des EWR ist die Verwirklichung des freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs sowie die Kooperation in den Bereichen Umwelt, Bildung, Forschung, Entwicklung usw.

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Heute (2007) besteht der EWR aus den

27 EU Ländern

plus

Island, Norwegen und Liechtenstein.

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Bestehende regionale Integrationen (Fortsetzung)

TAFTA: TransAtlantic Free Trade Area (Verknüpfung EU mit NAFTA)

LAFTA: Latin American Free Trade Association. Daraus 1980 LAIA Latin American Integration Asssociation

MERCOSUR: Mercado Común des Sur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). Freihandelsabkommen mit Chile

AFTA: Im Rahmen der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), die weit gesteckte Ziele der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit verfolgt, wurde (1994) auch die Errichtung einer ASEAN Free Trade Area (AFTA) beschlossen. Seit 1.1.2003 in Kraft. Gründungsmitglieder (2003): Brunei, Indonesia, Malaysia, Philippines, Singapore, Thailand. Neue Mitglieder: Vietnam (2006), Laos (geplant: 2008), Myanmar (geplant: 2008), Cambodia (geplant: 2010),

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Bestehende regionale Integrationen (Fortsetzung)

CARICOM: Caribbean Community, siehe www.caricom.org; Zusammenschluß karibischer Staaten Haiti, Grenada, Bahamas, Jamaica, etc.

APEC: Asia-Pacific Economic Cooperation, siehe www.apec.info (Japan, China, Australien, Neuseeland, Südkorea, Taiwan, u.a. sowie die NAFTA-Staaten und Chile)

ANZCERTA: Australien New Zealand Closer Economic Relations Trade Agreement

Im Zeitraum bis Dezember 2002 sind 250 Regionalabkommen vom GATT bzw. der WTO notifiziert worden (davon 130 seit Jänner 1995).

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4.5 Beispiel einer (geplanten) regionale Integration:

Die gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA/ALCA

Die Planungen für die FTAA begannen Anfang der 90er Jahre, die Umsetzung ist aber in letzter Zeit ins Stocken geraten und derzeit (2007) auf Eis gelegt.

Langfristig sollen dabei nicht nur alle 34 Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas (mit Ausnahme von Kuba) und der Karibik zu einer Freihandelszone werden, sondern „die westliche Welt“ überhaupt:

„Welcome to the official home page of the Free Trade Area of the Americas (FTAA) process.

This site contains documents from the process initiated in the 1994 Summit of the Americas to integrate the economies of the Western Hemisphere into a single free trade arrangement.“

(www.ftaa-alca.org)

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Im April 2001 haben sich Vertreter von 34 Staaten Nord- und Südamerikas nach intensiven Verhandlungen auf die Schaffung der weltgrösssten Freihandelszone, der

Free Trade Area of the Americas (FTAA) bzw. der

Área de Libre Comercio de las Américas (ALCA)

bis Ende 2005 verständigt. Inkrafttreten sollte die FTAA zum 31. Dezember 2005.

Die von Chile bis Kanada reichende FTAA würde rund 870 Millionen Menschen (ca. 15% der Weltbevölkerung) umfassen.

Der Zusammenschluss stösst allerdings in fast allen Ländern Lateinamerikas auf Widerstand der Gewerkschaften, linker Parteien und der Kirchen. Sie befürchten einen weiteren Abbau von Arbeitsschutzrechten, der Löhne und der Arbeitsplätze.

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Nach der Rückkehr der Demokratie in Lateinamerika in den achtziger und dem Wirtschaftsboom in den neunziger Jahren gab es dort mehrere Anläufe zu regionaler Integration. Die von Alaska bis nach Feuerland reichende "Gesamtamerikanische Freihandelszone" (FTAA) soll den gesamten Kontinent umfassen – 870 Millionen Menschen und 40 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.

aQ; www.arte-tv.com, 8.1.2005

Die FTAA

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MERCOSUR und CAN

Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien gründeten 1991 den Mercosur, den "Gemeinsamen Markt des Südens", mit dem Ziel, eine Zollunion zwischen den Gründerstaaten zu schaffen. 1996 wurde von Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und Venezuela der "Andenpakt" in die "Andengemeinschaft" CAN umgewandelt.

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MCCA und CARICOMIn Zentralamerika war es nach dem Ende der Bürgerkriege möglich geworden, den MCCA, den "Zentralamerikanischen Gemeinsamen Markt", 1993 durch ein neues Freihandelsabkommen zu reaktivieren.In der Karibik wurde im Rahmen des Gemeinsamen Marktes der "Karibischen Gemeinschaft" CARICOM 1991 ein gemeinsamer Außenzolltarif eingeführt..

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Die Nordamerikanische Freihandelszone

Im Norden wurde 1994 von den USA, Kanada und Mexiko das "Nordamerikanische Freihandelsabkommen" NAFTA (französische Abk.: ALENA) unterzeichnet. Es betrifft Waren, Dienstleistungen und Investitionen.

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Die Länder der FTAA1998 begannen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen sämtlichen amerikanischen Staaten mit Ausnahme Kubas, da nur demokratische Staaten von der FTAA betroffen sind.Das Abkommen sollte 2005 unterschriftsreif sein und betrifft den Zugang zu den Märkten, Investitionen, die Landwirtschaft, Subventionen und die Wettbewerbspolitik.

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Unterschiedliche Volkswirtschaften innerhalb der FTAADie geplante panamerikanische Freihandelszone hat nicht nur Befürworter. Zunächst einmal wäre sie äußerst unausgewogen. So erwirtschaftet Brasilien, die größte Wirtschaftsmacht Südamerikas, lediglich 7 % des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts, während die USA allein auf 75 % kommen. Sodann würden hoch industrialisierte Länder des Nordens mit den Entwicklungsländern des Südens, in denen 80 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, zusammengeschlossen.

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Mexikos Erfahrungen mit der NAFTAIn der NAFTA hat man die Erfahrung gemacht, dass ein derartiges Abkommen den Handel zwischen den Partnerländern erheblich fördert, aber das ärmste der drei Länder, d. h. Mexiko, musste einen bedeutenden sozialen und wirtschaftlichen Preis dafür zahlen.

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Uneinigkeit beim Thema LandwirtschaftDie lateinamerikanischen Länder hätten gern Zugang zu den nordamerikanischen Märkten. Aber die USA erhöhten im Mai 2002 die Export-Subventionen für ihre Landwirte. Außerdem möchten sie ihre Hygienestandards auf die südamerikanischen Agrarprodukte ausweiten, wodurch diese von den US-Märkten ausgeschlossen würden. Natürlich würde unter solchen Umständen eine Freihandelszone für die Länder des Südens erheblich an Attraktivität verlieren.

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Politische InstabilitätIn manchen Ländern ist die politische Stabilität nicht gewährleistet.• So führte in Haiti Anfang 2004 eine politische Krise zum Rücktritt von Präsident Aristide.• Venezuela als bedeutender Ölproduzent hat seit der Wahl von Hugo Chávez an Stabilität eingebüßt (?).• In Kolumbien bleibt die Lage aufgrund des Drogenhandels sowie der Aktivitäten von Milizen und FARC-Rebellen unsicher.• In Bolivien und Ecuador wurden die Regierungen unter dem Druck indigener Bevölkerungsgruppen gestürzt.

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Die Befürworter der FTAADie Länder, die für die FTAA eintreten, sind vor allem jene, die enge wirtschaftliche Beziehungen zu den USA haben.• Das gilt für Mexiko und Kanada als Mitglieder der NAFTA.• Und für Chile, das 2003 ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen hat.• Ferner die zentralamerikanischen Staaten und Ecuador, das den US-Dollar zur Landeswährung gemacht hat.• Und die Inselstaaten der Karibik, die sich einen besseren Zugang zum US-amerikanischen Markt erhoffen.

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Die Gegner der FTAADie Mitgliedsländer des Mercosur stehen dem Vorhaben sehr viel kritischer gegenüber. Ihre Wirtschaft ist nicht ganz so abhängig von den USA und ihre Ausfuhren dorthin betragen weniger als 20 % ihres gesamten Exports. Für sie brächte die neue Freihandelszone natürlich auch Wachstumsmöglichkeiten, aber sie könnte letztlich zur Abschaffung des Mercosur führen. Denn dieser ist nicht nur als Freihandelszone konzipiert, sondern ist ein Projekt, das regionale Spannungen vermindern und einen freien Waren- und Personenverkehr gewährleisen soll.

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Der MERCOSUR zwischen Lateinamerika und Europäischer UnionDie Länder des Mercosur werden versuchen, die beiden regionalen Wirtschaftsblöcke Südamerikas enger zusammenzuführen. Dazu soll auch die am 8. Dezember 2004 gegründete "Südamerikanische Staatengemeinschaft" CSN dienen. Darüber hinaus werden sie versuchen, sich der EU anzunähern, durch den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Brüssel.

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Mexiko als DrehscheibeMexiko, als Drehscheibe zwischen Nord und Süd, Mitglied der NAFTA und künftiges Tor zu Europa, hat mit der EU bereits ein Freihandelsabkommen geschlossen (siehe http://ec.europa.eu/external_relations/mexico/intro/index.htm).

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Die verschiedenen Integrationsstufen der USADie USA kämpfen an drei Fronten:• Sie verhandeln weiter um die FTAA,• sie schließen regionale Vereinbarungen, wie z. B. mit den karibischen Staaten,• und sie schließen bilaterale Abkommen, wie z. B. mit Chile.

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Die Konkurrenz aus ChinaChina könnte alle Protagonisten dazu veranlassen, sich zu einigen und der Gesamtamerikanischen Freihandelszone beizutreten.Die chinesischen Exporte in die USA haben nämlich in den vergangenen Jahren drei Mal so stark zugenommen wie die aus Lateinamerika. China ist seit 2002 der zweitwichtigste Handelspartner der USA, hat also Mexiko überholt. Seitdem haben 300 Unternehmen ihre Produktion von Mexiko nach China verlagert, wodurch 20.000 Arbeitsplätze in den maquiladoras verloren gingen.

Im Textilbereich ist diese Entwicklung besonders deutlich. 2003 war dort im Verhältnis zum Vorjahr der Importanteil chinesischer Waren von 16 auf 42 % gestiegen, zuungunsten Mexikos und Guatemalas. Und im US-amerikanischen Textilsektor sind seit 1997 250.000 Stellen verloren gegangen.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 116

5. Standortwettbewerb vs. Unternehmenswettbewerb

Definition

Beim Standortwettbewerb konkurrieren „Standorte“, also Volkswirtschaften (Regionen, Gemeinden) gegeneinander um mobiles Kapital.

(im Kontext dieser Vorlesung: nur Volkswirtschaften)

Dabei repräsentieren diese (öffentlichen) Wirtschaftseinheiten i.A. nicht nur ihr eigenes Interesse (politischer und fiskalischer Erfolg), sondern auch jenes von Arbeitnehmern (Arbeitsplätze) und Unternehmen (Zuliefer- bzw. Absatzmöglichkeit).

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Frage: kann man tatsächlich von einem „Wettbewerb“ der Staaten (Regionen, Städte) sprechen?

Antwort Krugman/Obstfeld (International Economics, 1994): „Staaten stehen nicht im Wettbewerb“

Antwort Siebert (1997): Es gibt einen Wettbewerb zwischen Volkswirtschaften.

Antwort Blaas: Man kann von wirtschaftlichem Wettbewerb von Regionen (Staaten, Städte, etc.) dann sprechen, wenn sie fiskalische Einheiten sind (Körperschaften mit fiskalischen Rechten und Pflichten, Budget, etc.) und nicht bloß Wirtschaftsräume.

Zu: Standortwettbewerb der Städte: siehe J. Becker 2001

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5.1 Mechanismen des Standortwettbewerbs

• Mobilität des Sachkapitals (Exit option); im wesentlichen ex ante Mobilität; Mobilität des Portfoliokapitals (noch höher als die des Sachkapitals): Zinsniveau, Wechselkurserwartungen;

• Austausch der Sachgüter (Veränderungen bei den kompa-rativen Vorteilen wirken langsam und unmerklich, aber im Prinzip über die Kapitalakkumulation genau so wie Veränderungen bei den Faktorvorteilen);

• Austausch der Dienstleistungen (z.B. Tourismus)

• Mobilität des Humankapitals: Wanderung (Exit Option der Menschen als Kontrollmechanismus für politische und gesellschaftliche Bedingungen); Demonstrationseffekt (“There is nothing so annoying as a good example”)

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5.2 Instrumente des Standortwettbewerbs

Im Wettbewerb sind Länder nicht notwendig auf natürliche Vorteile (Landschaft, Naturerlebnisse, Geschichte) angewiesen: Gestaltete komparative Vorteile (“acquired comparative advantages”), die aktiv „produziert“ werden, spielen eine zunehmend wichtigere Rolle.

Instrumente:

(a) Bereitstellung öffentlicher Güter, z.B. Infrastrukturen, Ausbildung (b) Steuerpolitik Abwägen der Kosten (Steuern) und der Nutzen öffentlicher Güter:

KNA(c) Institutionelle Regeln, Institutionen: nur sehr langfristig gestalt- und

veränderbar (Verfassung, Arbeitsbeziehungen, Lohnbildungsregeln etc.)

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Wettbewerb mit Steuern und öffentlichen Gütern

Auswirkungen der Besteuerung und der Infrastruktur; es besteht ein trade off: Besteuerung vertreibt Kapital, Infrastruktur lockt Kapital an;

im neoklassischen Modell gibt es eine optimale Bereitstellung der Infrastruktur, die mittels des marginalistischen Kalküls ermittelt wird;

die optimale „Menge“ einer Infrastruktur liegt dort, wo der Nutzen einer zusätzlichen Einheit gleich den Kosten dieser zusätzlichen Einheit ist

(Grenznutzen der Infrastruktur gleich Grenzkosten)

Andere öffentliche Güter, die für den Wettbewerb relevant sein können: z.B. Grundlagenwissen, Umweltqualität

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Wettbewerb mit institutionellen Regelungen

Standortwettbewerb vollzieht sich auch als Wettbewerb der Regulierungen:

Produktstandards

Produktionsstandards (Verfahrensstandards)

gewerberechtliche Genehmigungsverfahren und

anderer Vorschriften

(institutioneller Rahmen)

Nationale Institutionen sind historisch gewachsen (z.B. die Rechtssysteme) und beeinflussen die Art und Weise wirtschaftlicher Aktivitäten

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5.3 Auswirkungen des Standortwettbewerbs

A. Auf Einkommensverteilung und Arbeitnehmer

Eine Steuer auf einen international mobilen Produktionsfaktor führt dazu, dass der mobile Faktor ausweicht.

Die Steuerlast verlagert sich daher stärker auf den immobilen Faktor (Arbeit). Die führt tendenziell (zusammen mit anderen Entwicklungen wie z.B. De-Industrialisierung, Neuorganisation von Arbeitsprozessen) zu einer Schwächung der Position der Arbeitnehmer bzw. der Gewerkschaften.

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B. Auf politische Handlungsspielräume

Der Handlungsspielraum der Politik wird durch Standortwettbewerb geringer und es verändern sich die Kosten-Nutzen-Relationen der Politik (z.B. höhere Kosten, um Betriebsansiedlungen zustande zu bringen oder um bestehende Produktionen im Land zu behalten).

Insbesondere im Falle einer offenen Volkswirtschaft wird der Handlungsspielraum für die Regierung kleiner:

durch die (potentielle) Abwanderung des Kapitals (= höhere Kapitalmobilität) muss der Staat den multinationalen Unternehmen geringere Steuern auferlegen und/oder mehr öffentliche Güter bieten. Dadurch stehen dem Staat insgesamt weniger Mittel oder zumindest weniger Mittel für andere Aufgaben zur Verfügung.

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Währungswettbewerb als Variante des Standortwettbewerbs:

bei hoher Kapitalmobilität ist die Geld- und Fiskalpolitik der Kontrolle der Finanzmärkte unterworfen.

Beispiel: eine zu expansive, inflationsbeschleunigende Politik findet ihre Grenzen in der potentiellen oder faktischen Abwertung der Währung oder z.B. in fiskalpolitischen Regeln (SGP).

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5.4 Beispiel Österreich

Forderung nach Steuersenkung, Juli 2003

Helmut Kramer, Chef des heimischen Wirtschaftsforschungs-instituts (Wifo) spricht sich im "Presse"-Gespräch sowohl für eine kräftige Absenkung der Körperschaftssteuer (KÖSt) als auch für eine deutliche Reduzierung des Spitzensteuersatzes aus. Für Kramer müsse dringend ein Signal für den Wirtschaftsstandort Österreich gesetzt werden. "Deutschland setzt uns mit der Steuerreform ebenso unter Druck wie die Nachbarstaaten und künftigen EU-Mitglieder, die ganz gezielt niedrige KÖSt-Sätze anbieten", so Kramer.

Nach Ansicht des Wifo-Chefs sollte dieses Signal auch gleich recht deutlich ausfallen: So plädiert er für die Reduzierung des KÖSt-Satzes von derzeit 34 auf 29 Prozent. Dieser Schritt sollte bereits ab Beginn des kommenden Jahres gesetzt werden, so Kramer.

Q: Print-Presse, 28.7.2003

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Beispiel Österreich Fortsetzung

Parlamentsbeschluss der Steuersenkung, Mai 2004

Die Steuerreform wurde am 3. Mai 2004 mit den Stimmen der ÖVP und der FPÖ beschlossen

Im Zuge dieser Reform wurde die Körperschaftssteuer (KÖST) von 34 auf 25 Prozent gesenkt (also noch deutlicher als von WIFO-Chef Kramer vorgeschlagen).

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 127

5.5 Beispiel Steuerwettlauf in der EU und der OECD

Die Unternehmenssteuersätze sinken in ganz Europa, ein Ende der Talfahrt ist bei der Körperschaftssteuer (KöSt) nicht in Sicht.

Im Gegenteil:

Seit 1995 ist der durchschnittliche KöSt-Satz in der alten EU um mehr als acht Prozentpunkte, in den neuen EU-Ländern (ohne Malta und Zypern) um fast elf Prozentpunkte gesunken.

In der EU treiben vor allem die Erweiterungsländer im Osten das "Steuersatz-Dumping" voran. (Siehe Grafik der effektiven Steuersätze auf Unternehmensgewinne).

Eine Harmonisierung ist derzeit nicht in Sicht.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 128Q: Der Standard, 5.6.2007

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 129

Ein Ende des für (letztlich) alle Mitgliedsstaaten ruinösen Wettlaufs beider Unternehmensbesteuerung ist derzeit nicht absehbar.

Bei ihrem Treffen in Brüssel Anfang 2007 scheiterten die EU-Finanzminister(innen) bereits daran, eine stärkere Harmonisierung derSteuerbasis als Zielsetzung in einer gemeinsamen Erklärung auch nur zu erwähnen.

Abgelehnt wurde dies vor allem von Großbritannien und Polen, dieeine solche Absichtserklärung bereits als ersten Schritt in RichtungEU-weit vereinheitlichter Unternehmenssteuern werten.

Derzeit weichen aufgrund national abweichender Steuerbemessungsgrundlagen der nominale (sozusagen "sichtbare") Steuersatz und der effektiv zu zahlende teils stark voneinander ab.

Q: ATTAC News März 2007

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 130

5.6 Abschließende Beurteilung:

Standortwettbewerb – ein (ökonomisch) sinnvoller Prozeß?

Fragen:

1. Kommt es durch den Standortwettbewerb zu einem „degenerativen Prozess“?

2. Können durch den Standortwettbewerb Vorteile entstehen?

3. Ist Standortwettbewerb insgesamt sinnvoll?

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 131

Frage 1:

Kommt es durch den internationalen Steuerwettbewerb zu einer Abwärtsspirale der Bereitstellung von öffentlichen Gütern (bis zum Nullniveau) – also zu einem „degenerativen Prozess“?

Eine solche Abwärtsspirale ist nicht auszuschließen, und sie ist umso wahrscheinlicher, je schwächer die (Verhandlungs-) Position eines Standortes (Staates) gegenüber standortsuchenden Unternehmen ist.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 132

Zwar gibt es Möglichkeiten, dieser Degeneration entgegenzuwirken, wie z.B.:

• Finanzierung von Infrastrukturen durch Gebühren oder Preise (z.B. Autobahnen), sodaß keine (Kapital-) Steuer notwendig ist.

• Privatisierung (solcher) öffentlicher Infrastrukturen.

• Außerdem sind die Nutzer von Infrastruktur möglicherweise bereit, für den Vorteil guter Infrastrukturen eine (höhere) Steuer zu bezahlen.

• Darüber hinaus gibt es auch die Bereitschaft, für das positive gesellschaftliche Umfeld (sozialer Friede, Kohärenz) einen Beitrag zu leisten, weil damit die Lebensqualität des Managements, aber auch die Stabilität und Sicherheit der Investitionen verbessert werden

Diese Gegenkräfte können aber unzureichend sein, um die Abwärtsspirale aufzuhalten.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 133

Frage 2:

Können durch den Standortwettbewerb Vorteile entstehen?

Die positiven Wirkungen des Standortwettbewerbes können in Analogie zum Unternehmenswettbewerb darin bestehen,

dass der Standortwettbewerb auch zu Kostensenkung und zur

Aufdeckung neuer Lösungen führt

Also: Effizienzsteigerung im öffentlichen Bereich möglich

Ambivalent bzw. verteilungspolitisch zu beurteilen ist der Druck in Richtung Deregulierung (wer profitiert?).

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 134

Frage 3:

Ist der Standortwettbewerb insgesamt ein ökonomisch sinnvoller Prozess?

Nein

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sowie die theoretische Argumentation zeigen, dass der Standortwettbewerb fast ausschließlich den international operierenden Unternehmen (TNCs), also deren Eigentümern, zugute kommt. Für die konkurrierenden Volkswirtschaften ergeben sich zwar Vorteile durch Arbeitsplatzvermehrung, aber per Saldo mehr Nachteile als Vorteile.

Standortwettbewerb ist in diesem Sinne die Perversion des Wettbewerbes, denn nicht die Unternehmen konkurrieren miteinander, sondern die Volkswirtschaften.

(Siehe dazu auch Attac 2006.)

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 135

6. Finanzmarktliberalisierung vs. Finanzmarktstabilität

6.1. Finanzmarktliberalisierung

6.2. Der Internationale Währungsfonds

6.3. Die Weltbank

6.4. Finanzmarkt(in)stabilität: ein Muster internationaler Finanzkrisen

Die folgenden Ausführungen behandeln die internationalen Finanzmärkte und Finanzinstitutionen (IWF; Weltbank) vorwiegend aus der Sicht kritischer Wissenschafter und Experten.

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Vorlesung Weltwirtschaft; © Blaas 2007 136

6.1. FinanzmarktliberalisierungQ: Huffschmid-Vortrag, Salzburg, Juni 2001; Kontraste, Jänner 2002

Strukturmerkmale moderner Finanzmärkte

1. Finanzmärkte sind nicht Finanzierungsmärkte, sondern Handelsmärkte

2. Diese Handelsmärkte werden im wesentlichen von einer Gruppe neuer Akteure beherrscht: von den institutionellen Investoren

3. Moderne Finanzmärkte sind globale, offene Märkte (keine Beschränkungen im internationalen Verkehr)

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Auswirkungen deregulierter Finanzmärkte

1. Destabilisierung

Nicht die fundamentale Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zählt, sondern die Erwartung über die (kurzfristige) Kursentwicklung an der Börse.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank: „In Europa war nichts los, die Staaten bauten Kredite ab, also haben wir das Geld (in dreistelligen Milliardenbeträgen) nach Südostasien geschoben“.

2. Disziplinierung auf zwei Ebenen

(a) Unternehmensebene

Institutionelle Investoren vertreten ausschliesslich das Interesse der Eigentümer (shareholder value), Mitarbeiterinteressen müssen daher in den Hintergrund treten.

(b) gesamtgesellschaftliche Ebene

Diejenigen, die über Kapital verfügen, können frei wählen, wo sie ihre Geld anlegen. Verhalten sich Regierungen nicht anlegerfreundlich, weichen sie eben auf andere (entgegenkommendere) Staaten aus.

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Mögliche Gegenstrategien

1. Stabilisierung

Verteuerung der Spekulation (Tobin-Steuer; zinslose Bareinlagen, administrative Maßnahmen). Administrative Maßnahmen (wie z.B. Einfuhrvorschriften, Zollwertermittlungsvorschriften, Produktions-vorschriften) hatten alle Industrieländer bis Ende der 70er Jahre, also wären sie auch heute grundsätzlich möglich

2. Maßnahmen gegen die Disziplinierung

Auf Unternehmensebene: Belegschaften müssen Gegendruck entwickeln können und diesen auch ausüben

Steuerliche Vergünstigung von Veranlagungen in „sozial vernünftigen“ Bereichen

3. Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

Nachhaltigkeit darf nicht zu einem Restposten der Marktwirtschaft verkommen, sondern soll das Ziel schlechthin sein. Zentrales Element: radikale Umverteilung von oben nach unten. Die existierende Verteilung ist nicht nur moralisch unakzeptabel, sondern auch eine massive Gefahr für den Kapitalismus selbst.

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Auswirkungen auf die österreichische WirtschaftspolitikQ:http://www.attac.at/3560.html (2.6.2007)

1. Abnehmende Kapitalbesteuerung

Wenn man den Kapitalverkehr liberalisiert, ohne vorher die Steuersätze zu harmonisieren, fließt das Kapital zu den Standorten mit den niedrigsten Steuern. Vermögen werden in Steueroasen geparkt, transnationale Konzerne deklarieren ihre Gewinne, wo sie kaum oder keine Umsätze machen.

Durch den nachfolgenden Steuerwettlauf geht die Besteuerung von Gewinnen und Vermögen zurück. Der Beitrag der Vermögen zur Staatsfinanzierung ist in Österreich seit 1970 von 3,7% auf 1,3% zurückgegangen, derjenige der Firmengewinnsteuern hat sich von 27 auf 14 Prozent halbiert.

2. Zunehmende Steuerbelastung der Arbeitseinkommen

Wenn das Kapital bei der Staatsfinanzierung "ausfällt", muss sich der Staat seine Einnahmen zunehmend vom [immobilen] Faktor Arbeit holen. In Österreich kommen bereits 60 Prozent aller Steuern und Abgaben vom Faktor Arbeit (zum Vergleich: vom Kapital kommen 10 Prozent).

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3. Hohe Zinsen zugunsten der Geldbesitzer drosseln Konjunktur und Beschäftigung

Im globalen Standortwettbewerb wetteifern die Staaten um die Gunst des Anlagekapitals. Zu den "Ködern" zählen neben niedrigen Steuern auch hohe Zinsen (um den Wechselkurs stabil, die Inflation niedrig und die Rendite hoch zu halten). Nebeneffekt hoher Zinsen ist eine hausgemachte Rezession:

Wenn die Zinsen steigen, zahlen sich immer weniger Investitionen in Produktion und Beschäftigung aus, die Arbeitslosigkeit steigt, die Konjunktur flaut ab. Die Hochzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat eben diesen Effekt, ihre einseitige Ausrichtung auf Preisstabilität ist ein Zugeständnis an die "Bedürfnisse" der Finanzmärkte. (Zusatz: Hohe Zinsen "härten" den Euro.)

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4. Defizit wird größer, Handlungsspielraum der Nationalstaaten kleiner => Sozialabbau

Hohe Zinsen treffen auch den Staatshaushalt. Der österreichische Staat zahlt momentan jährlich fast 7 Milliarden Euro Zinsen an seine Gläubiger. Wäre die reale Verzinsung der Staatsschuld so hoch wie im Schnitt der siebziger Jahre (0,4%), dann betrüge die Verzinsung - bei einer Inflation von 2,1% (Durchschnitt 90er Jahre) - 2,5% oder rund 3 Milliarden Euro, d.h. rund 4 Milliarden weniger als heute.

Infolge hoher Realzinsen, sinkender Kapitalbesteuerung und stagnierender Konjunktur gerät der Staat in Finanzierungsnöte. Die steigenden Ausgaben des Sozialstaates, die zum Teil Folge dieses Problems ist (höhere Arbeitslosigkeit), werden zur Ursache erklärt - und die Sozialleistungen werden gekürzt.

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5. Pensionen werden von der Stabilität der Weltwirtschaft abhängig

Ein Teilprojekt des Rückbaus des Sozialstaates ist die Privatisierung der Pensionssysteme. Das Problem: Die Vorsorgegelder verursachen auf den deregulierten Finanzmärkten genau jene Krisen, welche die Auszahlung der Pensionen gefährden. Die letzten Krisen: Mexiko, Südostasien, Russland, Brasilien.

6. Staat muss Spekulanten subventionieren

In den jüngsten Krisen wurden die Spekulanten mit Steuergeldern aus dem Schlamassel geholt. In der von US-Pensionsfonds mitverursachten Mexiko-Krise 1994 schnürte der IWF ein 50-Milliarden-Dollar-Paket, das als versteckter "Bundeszuschuss" zur privaten Pensionsvorsorge betrachtet werden kann. In der Asienkrise betrug die (rettende) Subvention der Spekulanten bereits 100 Milliarden Dollar.

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7. Shareholder-Mentalität verstärkt Druck auf den Arbeitsmarkt

Aktien werden nicht mehr gekauft, um aus der langfristigen Gesundheit eines Unternehmens Dividenden zu lukrieren, sondern um kurzfristige Kursgewinne mitzunehmen, die nicht zuletzt über niedrige Löhne, Rationalisierungen und Entlassungen erzielt werden.

Unter dem Diktat des Shareholder-Value unterbleiben außerdem viele Investitionen, die keine Rendite abwerfen, welche den Ansprüchen der AktionärInnen genügt. Konjunktur und Beschäftigung bleiben abermals unter ihren Möglichkeiten.

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8. Umweltpolitik stagniert

Wenn die Staaten in Finanzierungsnöte geraten, wird auch beim Umweltschutz gespart. Nur ein Beispiel: Die Anreizmilliarden zur Erreichung des Kyoto-Ziels für den Klimaschutz sind nicht vorhanden. Generell tritt das Umweltbewusstsein bei zunehmender Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und bei unsicheren Pensionen in den Hintergrund: Die Umweltpolitik stagniert.

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6.2. Der Internationale WährungsfondsIWF; IMF: International Monetary Fund

Q: www.imf.org

The IMF is an international organization of 183 member countries, established to promote international monetary cooperation, exchange stability, and orderly exchange arrangements; to foster economic growth and high levels of employment; and to provide temporary financial assistance to countries to help ease balance of payments adjustment.

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Articles of Agreement of the International Monetary Fund

 A R T I C L E I

 Purposes

 The purposes of the International Monetary Fund are:

 (i) To promote international monetary cooperation through a permanent institution which provides the machinery for consultation and collaboration on international monetary problems.

(ii) To facilitate the expansion and balanced growth of international trade, and to contribute thereby to the promotion and maintenance of high levels of employment and real income and to the development of the productive resources of all members as primary objectives of economic policy.

(iii) To promote exchange stability, to maintain orderly exchange arrangements among members, and to avoid competitive exchange depreciation.

(iv) To assist in the establishment of a multilateral system of payments in respect of current transactions between members and in the elimination of foreign exchange restrictions which hamper the growth of world trade.

(v) To give confidence to members by making the general resources of the Fund temporarily available to them under adequate safeguards, thus providing them with opportunity to correct maladjustments in their balance of payments without resorting to measures destructive of national or international prosperity.

(vi) In accordance with the above, to shorten the duration and lessen the degree of disequilibrium in the international balances of payments of members.

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Ursprüngliche Intention und derzeitige Praxis des IWFQ: Stiglitz (2002), Kap. 8

Die ursprüngliche Konzeption des Fonds war ganz wesentlich von J.M. Keynes geprägt. Keynes befürchtete Marktversagen (u.a.) in folgender Weise:

In einer schweren Rezession könnten einige Länder nicht in der Lage sein, die zur Konjunkturbelebung erforderlichen Ausgabensteigerungen und/oder die dafür notwendigen Steuersenkungen zu finanzieren, d.h. Kredite dafür aufzunehmen. Auch scheinbar kreditwürdige Länder könnten vor dem Problem stehen, am (internationalen) Kapitalmarkt keine Kredite zu bekommen.

Eine Institution wie der IWF sollte in einer solchen Situation Abhilfe schaffen können: Indem er Länder zu einer Vollbeschäftigungspolitik drängte und jene Länder, die von einer Rezession bedroht waren und die sich keine expansive Erhöhung der Staatsausgaben leisten konnten, mit Liquidität versorgte, könnte er weltweit die Gesamtnachfrage stützen.

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Die heutige Praxis des IWF sieht jedoch ganz anders aus.

Im IWF herrscht heute die Vorstellung, dass Märkte im Großen und Ganzen gut funktionieren während der Staat mehr oder weniger schlecht funktioniert. Eine Institution, die zum Zwecke gegründet wurde, gewisse Marktmängel zu beheben, wird also heute von Volkswirten geleitet, die nicht an diesen Auftrag glauben.

Der IWF verfolgt dementsprechend eine ganz andere Politik: er drängt Länder, vor allem Entwicklungsländer, zu einer restriktiven oder restriktiveren (stärker konjunkturdämpfenden) Politik, als sie es von sich aus tun würden, indem er den Ländern ausgeglichene Budgets zur Voraussetzung für IWF-Kredite, und damit meist auch zur Voraussetzung von weiteren Krediten auf den internationalen Kapitalmärkten, macht (Forderung nach „Fiskalischer Austerität“). Denn nur so lasse sich das Vertrauen der internationalen (Finanz-)Investoren wiederherstellen.

Die Folgen sind das genaue Gegenteil dessen, was ursprünglich intendiert war: die weltwirtschaftliche Nachfrage insgesamt wird durch eine solche Politik verringert.

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Mit den Worten eines lateinamerikanischen Handelsministers:

„Spätestens in den 90er Jahren entpuppte sich das System (IWF und Weltbank) als trojanisches Pferd, mit dem der sogenannten Dritten Welt und vor allem Lateinamerika ein neoliberales Wirtschaftssystem aufgezwungen wurde. An der Politik dieser Institutionen hat sich trotz erschreckender Auswirkungen im sozialen Bereich bis heute nichts geändert. Es ging um eine stets noch zu verbessernde Investitionsmöglichkeit für den sogenannten Norden bei gesicherten Gewinnausschüttung zu besten Konditionen. In Lateinamerika wuchs währenddessen die Armut.“

Vorschlag: Gründung einer Bank des Südens (Banco del Sur); in ihrem Rahmen sollte ein Reservefonds eingerichtet werden, der mit dem IWF vergleichbar wäre, dessen Motivation aber geradezu gegenläufig zum IWF sein sollte, nämlich die ökonomische Selbständigkeit der südlichen Länder zu befördern. (Interview mit dem venezolanischen Handelsminister Marin, der u.a. den Austritt Venezuelas aus IWF und Weltbank bestätigt, Der Standard, Mai 2007)

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6.3. Die Weltbankwww.worldbank.org

Die Strukturanpassungsprogramme von IWF und WeltbankQ: W. Bello in Mander/Goldsmith 2002 (Kap. 10)

Sog. Strukturanpassungskredite (SAKs) werden seit Anfang der Achtzigerjahre von IWF und Weltbank an verschuldete Länder vergeben.

Diese Kredite sollen die Schuldenprobleme der Länder (in erster Linie Entwicklungsländer) lösen und helfen, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum bei Abbau von Armut und Arbeitslosigkeit zu erzeugen.

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Wie der Name jedoch sagt, sind gewisse Strukturanpassungen der Länder notwendig, damit die Kreditgeber in die Vergabe der Kredite einwilligen.

Üblicherweise umfassen diese Bedingungen folgende Punkte (oder Teile davon):

• Aufhebung der Beschränkungen für Auslandsinvestitionen in der Industrie, im Bankwesen und bei anderen Finanzdienstleistungen. Keine Bevorzugen inländischer Unternehmen.

• Umorientierung der Volkswirtschaft auf den Export, damit das betroffene Land Devisen für den Schuldendienst einnimmt.

• Kürzung von Löhnen oder der Verzicht auf Lohnerhöhungen, um Exporte wettbewerbsfähiger zu machen.

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• Radikale Kürzung der Staatsausgaben, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen (inkl. Abbau sozialer Dienstleistungen).

• Reduzierung von Zöllen, Importquoten und anderen Importrestriktionen, um den Weg für die Integration in die Weltwirtschaft zu ebnen.

• Abwertung der Landeswährung gegenüber harten Währungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte zu verbessern.

• Privatisierung von Staatsunternehmen, um ausländischem Kapital Zugang zu verschaffen.

• Durchführung eines Deregulierungsprogrammes (Aufhebung staatlicher Vorschriften zum Arbeits-, Umweltschutz und zum Schutz natürlicher Ressourcen), um die Kosten der exportorientierten Konzerne zu senken.

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Ursprünglich waren nur wenige Staaten interessiert, Kredite unter derart weitgehenden Bedingungen zu erhalten. Aber in der Schuldenkrise Mitte 1982 wurde es für eine zunehmende Zahl weniger entwickelter Länder immer schwieriger, ihre Kredite, die sie bei Banken in den entwickelten Ländern aufgenommen hatten, zu bedienen. In Übereinstimmung mit den Richtlinien des US-Finanzministeriums machten die US-Privatbanken eine Umschuldung stets von der Zustimmung der Weltbank abhängig. Damit boten sich weitgehende Möglichkeiten der Umsetzung der Strukturanpassungsprogramme:

Anfang 1986 hatten 12 der 15 wichtigsten Schuldnerländer (darunter Mexiko, Brasilien, Argentinien) Strukturanpassungsprogrammen zugestimmt. Und der Anteil der SAKs am Gesamtkreditvolumen der Weltbank stieg von 3% (1981) auf 25% (1986). Ende 1992 waren etwa 297 SAKs vergeben worden.

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Auswirkungen

Eigene Einschätzung durch die Weltbank selbst

In einer Publikation im Jahre 1993 (d.h. 13 Jahre nachdem das erste Strukturanpassungsprogramm eingeführt wurde) vertrat die WB die Auffassung, dass sich die Zukunftsaussichten der Entwicklungsländer verbessert hätten, was vor allem auf die umfangreichen Wirtschaftsreformen zurückzuführen sei, insbesondere auf die Privatisierung, auf die Reduzierung von Handelshemmnissen und den Abbau von Haushaltsdefiziten.

Einschätzung durch andere

Eine Reihe umfassender Studien, darunter sogar eine des IWF, kommt zum Ergebnis, dass die SAKs ihr offizielles Ziel, das Wachstum zu steigern, nicht erreicht haben.

So wurde z.B. in einem Ländervergleich gezeigt, dass das Wirtschaftswachstum in Ländern geringer war, die SAPs durchgeführt hatten als in jenen ohne solche Programme.

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Einschätzung der Strukturanpassungsprogramme am Beispiel ChileQ: Mander/Godsmith 2002, S. 195 ff.

Die Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Ergebnissen eines Strukturanpassungsprogramms lässt sich am Beispiel Chiles der Achtzigerjahre illustrieren.

Chile hatte ein sehr langes Strukturanpassungsprogramm, seine Umsetzung begann 1973, nach dem Allende in einem Putsch gestürzt worden war. Das Programm war besonders radikal, weil eine massiv regulierte Wirtschaft in ein marktwirtschaftliches „Paradies“ verwandelt werden sollte.

Alle Standardmerkmale der SAKs wurden ins Spiel gebracht und mit ideologischem Fanatismus in die Realität umgesetzt. Und Ende der Achtzigerjahre war die chilenische Wirtschaft tatsächlich eine andere:

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• etwa 600 staatliche Unternehmen waren verkauft, nur noch knapp 50 im Staatsbesitz

• Chile hatte sich von einer der protektionistischsten Volkswirtschaften in eine der offensten verwandelt. Alle mengenmäßigen Handelsbeschränkungen waren aufgehoben, und für alle Güter war ein einheitlicher Zolltarif von 10% eingeführt worden.

• Ausländische Investoren hatten durch Beteiligungen eine starke Position in Schlüsselbereichen der Wirtschaft erobert (z.B. Stahl, Telekommunikation, Fluggesellschaften)

• der inländische Finanzmarkt war radikal dereguliert worden

• das Land war wirtschaftlich wesentlich stärker in die internationale Wirtschaft integriert (Handelsvolumen in % des BIP: 1970 35%, 1990 54,4%).

Der IWF und die Weltbank hatten eine zentrale Rolle bei dieser Transformation gespielt und waren stolz auf die Ergebnisse. Aber war sie wirklich ein Erfolg? Die Beurteilung hängt von den angewandten Kriterien ab:

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1. Misst man den Erfolg an der Entwicklung der Auslandsschulden, war das Ergebnis nicht berauschend. Im Jahre 1991 waren die Auslandsschulden auf 19 Milliarden Dollar, 49% des BIP gestiegen.

2. Wenn nachhaltiges Wachstum als Kriterium verwendet wird, kann man Chile nicht als erfolgreich bezeichnen. Das Wachstum in der Pinochet-Ära 1974-1989 war durchschnittlich 2,6% pro Jahr. In den Jahren 1950 bis 1961: 4%, von 1961 bis 1971: 4,6%.

3. Die Politik des freien Marktes stürzte Chile in zwei schwere Rezessionen: 1974/75 nahm das BIP um 12% ab, 1984/85 um 15% (!).

4. Die Kombination einer niedrigen Investitionsrate mit einer radikalen Liberalisierung des Handels führte zu einer Schrumpfung des Fertigungssektors

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Wirkungen der Strukturanpassungsprogramme auf Umwelt und Gesellschaft in Chile:

• Exportorientierte Unternehmen erlebten eine starke Expansion, weil aber diese vor allem in den Sektoren Forstwirtschaft, Fischerei und Landwirtschaft und Bergbau befanden, kam es zu massiven Umweltproblemen.

• Soziale Folgen: damit der Staat die Verluste aus der Schuldenkrise 1983 bezahlen konnte, wurden öffentliche Ausgaben massiv gekürzt, die Löhne eingefroren und der Peso abgewertet, was eine Verschlechterung des Lebensstandards der grossen Masse der schlechter Verdienenden bedeutete.

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• In Zahlen: Zwischen 1980 und 1990 stieg der Anteil der unter der absoluten Armutsgrenze lebenden von 12% auf 15%, der Anteil der unter dem Existenzminimum lebenden stieg von 24% auf 26%. Am Ende der Pinochet-Ära wurden etwa 40% der Chilenen als arm eingestuft.

• Einkommensverteilungs-Polarisierung: der Anteil am Volkseinkommen der unteren 50% sank von 20,4% auf 16,8%, der Anteil der reichsten 10% stieg von 36,5% auf 46,8%.

• Ein derartig zerstörerisches Programm wäre vermutlich in einer Demokratie kaum durchsetzbar gewesen.

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6.4. Finanzmarkt(in)stabilität: ein Muster internationaler Finanzkrisen

Q: Matzner 2001, S. 376 ff.

Der Ablauf einer Finanzkrise kann durch folgende Phasen beschrieben werden:

1. Gewinnchance; z.B. Zinsvorteil heimischer Anleihen gegenüber ausländischen Anleihen (Mexiko 1995) oder hohe Wertsteigerungen von Immobilien (Bangkok 1997)

2. Lokale Investoren kaufen Vermögen (Vermögenstitel) mit kurzfristigen Fremdwährungskrediten (Ausnützen der Zinsdifferenz), andere Investoren folgen dem Beispiel =>Kapitalzustrom (in das spätere Krisenland)

3. Steigende Liquidität des Finanzsystems, Verbesserung der Zahlungsbilanz: => höheres Wachstum (Scheinblüte)

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4. Nach einigen Monaten oder Jahren entsteht aus dem zunächst kleinen Risiko ein allgemeines. Denn die Relation Fremdwährungsfinanzierung zu Finanzierung in heimischer Währung hat signifikant zugenommen und wird prekär: inländische Schuldner können ihre Kredite im Ausland nur dann problemlos bedienen, wenn der Wechselkurs nicht fällt.

5. Es beginnt eine Flucht aus der Währung, damit ein Abwertungsdruck und schließlich die Abwertung der heimischen Währung.

6. Zinserhöhungen zur Abwehr der Kapitalflucht und zur Anlockung neuer Kapitalimporte erweisen sich als krisenverschärfend, weil die hohen oder steigenden Zinsbelastungen zu neuen Konkursen führen und Anleger zusätzlich abschrecken.

7. Das Ende ist eine Finanzkrise (wie z.B. Russland 1998 oder Brasilien)

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Kann das jeder Volkswirtschaft passieren?

Unterscheide: integrierte versus periphäre Märkte (Toporowski 2000)

Integrierte Märkte sind institutionell sowie nach Variantenvielfalt und Volumen voll entwickelt (z.B. die wichtigen OECD Länder und die Schweiz)

In periphären Märkten genügt dagegen ein geringer Kapitalzu - oder Abfluß, um große Wechselkursveränderungen herbeizuführen.

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Was könnten wirksame Gegenstrategien sein?

Vorschlag einer World Financial Authority (WFA), also einer globalen Behörde zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte

(vgl. Eatwell, Taylor 2000)

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7. Regeln für die Weltwirtschaft: WTO vs. UNCTAD

7.1 Strategisches Verhalten erfordert Regeln7.2 Prinzipien der Welthandelsordnung7.3 Die WTO als Organisation7.4 Beispiele für Auseinandersetzungen im Rahmen der WTO7.5 Kritische Stimmen zur WTO7.6 Weitere Aspekte eines globalen Regelwerkes7.7 Die UNCTAD

Anhang: Zur Stabilität der Ordnungen und zu ihrer Interdependenz

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Weil einzelne Länder sich in ihrer Handelspolitik „strategisch“ verhalten können, also z.B. eine Schwarzfahrerposition in der Umweltpolitik einnehmen, und dadurch Gefahren und Probleme für den Welthandel und die Weltwirtschaft verursachen können, ist es sinnvoll, Regeln für den internationalen Handel zu entwickeln.

Nach den negativen weltwirtschaftlichen Erfahrungen der Dreißigerjahre (Protektionismus) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem GATT ein solches Regelwerk begründet, aus dem dann 1995 die WTO hervorging.

Eine Reihe von weltwirtschaftlichen Problemen bedarf der Lösung, wie z.B. der Marktzugang von Exporteuren auf ausländischen Märkten, internationale Wettbewerbspolitik oder die Frage der Vereinheitlichung von Umwelt- oder Sozialnormen.

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7.1 Strategisches Verhalten erfordert Regeln

Kooperatives Verhalten; nicht-kooperatives Verhalten; Gefangenen-dilemma; Handelsgewinne aus einer Liberalisierung; Trittbrettfahrer-Verhalten und öffentliche Güter; strategisches Verhalten für große Länder möglich (Handelspolitik; Umweltpolitik)

Tabelle: Gefangenendilemma mit fiktiven Auszahlungen für die Spieler “Inland” und “Ausland”

Ausland

Inland Freihandel Zollpolitik

Freihandel I (17, 17) II (7, 20)

Zollpolitik III (20, 7) IV (9,9)

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Tabelle: Auszahlungsmatrix von Protektionismus und Liberalisierung durch die EU und Nordamerika (Veränderung des Bruttoinlandsproduktes in Mrd. US-$ in realen Werten 1988 gemäß einer Studie der University of Canberra)

Nordamerika ist protektionistisch Nordamerika liberalisiert

EU - 132 EU 42

Asien-Pazifik - 18 Asien-Pazifik 38EU ist protektionistisch

Nordamerika - 64

Welt: - 214

Nordamerika 53

Welt: 133

EU 37 EU 211

Asien-Pazifik 7 Asien-Pazifik 63EU liberalisiert

Nordamerika 7

Welt: 50

Nordamerika 124

Welt: 397

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Unterschiedliche Philosophien der Außenhandelspolitik

In der Realität werden selbstverständlich nicht nur zwei außenhandelspolitische Strategien (Protektionismus, Freihandel) angewandt, sondern ein Kontinuum von Strategien:

• Autarkie;

• Arbeitsteilung von oben (Comecon);

• Protektionismus;

• Importsubstitution;

• Strategische Handelspolitik;

• Aggressive Handelspolitik (Kombination offensive

Exportpolitik mit Protektionismus);

• Regionale Integration;

• Freihandel

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Unterschiedliche Philosophien der Außenhandelspolitik:

Abbildung

Kontinuum

Autarkie Freihandel

Regionale

Integration

Strategische

HandelspolitikProtektionismus

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Regeln einer Welthandelsordnung

Freihandel bedeutet nicht primär einfach Deregulierung, sondern muss mit beträchtlichem regulatorischen Aufwand hergestellt werden (!).

Regeln sind auf globaler Ebene notwendig, um strategisches Verhalten zu unterbinden und kooperative Lösungen zustande zu bringen; Bindungen der Regierungen auch gegenüber nationalen Interessengruppen wichtig;

Institutionelle Basis der globalen Spielregeln: GATT (1947) bzw. WTO (1995); Ziel: stabile Rahmenordnung für den internationalen Handel zu schaffen, und damit eine wichtige Voraussetzung für die Steigerung des Wohlstandes zu legen

Gründe für eine Einigung auf gemeinsame Regeln (trotz Gefangenendilemma; free rider Anreiz): historische Erfahrung (30er Jahre) der Nachteile des Protektionismus; nationales Prestige und Image steht auf dem Spiel; Unsicherheit bei einem unendlichen Spiel kann zu mehr Kooperationsbereitschaft führen

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7.2 Prinzipien der Welthandelsordnung

Drei Grundprinzipien

1. Liberalisierung

2. Nicht-Diskriminierung

3. Gegenseitigkeit

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Die drei Grundprinzipien:

(1) Liberalisierung (Abbau von Handelshemmnissen; z.B. Zollsenkung);

(2) Nicht-Diskriminierung (Handelspolitische Maßnahmen dürfen nicht zwischen Ländern diskriminieren, alle Länder müssen gleich behandelt werden. Thailändischer Zigarettenfall: Nicht-Differenzieren zwischen in- und ausländischen Anbietern/Gütern);

Meistbegünstigung (Begünstigung für ein Land muss allen Ländern gewährt werden; bilaterale Abmachungen werden dadurch multilateralisiert);

Inländerbehandlung (bei Dienstleistungen gilt das Prinzip der Inländerbehandlung: ausländische Anbieter sind inländischen gleichzusetzen;

Ursprungslandprinzip (Beispiele s.u.); Gegenteil: Bestimmungs-landprinzip)

(3) Reziprozität (Konzessionen müssen gegenseitig sein)

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Beispiel für Ursprungslandprinzip, Produkteigenschaften:

Cassis de Dijon

Import nach Deutschland war möglich, aber keine Vermarktung, weil das deutsche Branntweinmonopolgesetz von 1922 verlangt, dass Fruchtliköre mindestens einen Alkoholgehalt von 32% haben müssen (und nicht 17% wie der Cassis de Dijon). 1979 Entscheid des EUGH: Anerkennung der Ursprungslandregel

Gegenteil: Bestimmungslandprinzip; das Importland legt fest, welche Erfordernisse ein Importgut haben muß; Problem: protektionistischer Mißbrauch möglich;

Beispiel für Ursprungslandprinzip, Produktionsverfahren:

Mexikanischer Thunfisch

Ablehnung des mexikanischen Produktionsverfahrens durch die USA, d.h. der Fangmethode, weil dabei Delphine getötet werden. GATT-Entscheidung: Ursprungslandregel muss auch in diesem Fall (d.h. für Produktionsverfahren) gelten

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7.3 Die WTO als Organisationwww.wto.org

Internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit

gegründet 1995

150 Mitglieder (Stand: 11. Jänner 2007, siehe auch www.wto.org)

Hauptaufgaben:

•Administration der WTO Handelsabkommen

•Forum für Verhandlungen über Handelsangelegenheiten

•Schlichtung von Handelsdisputen

•Überwachung nationaler Handelspraktiken

•Technische Hilfe und Ausbildung für Entwicklungsländer

•Kooperation mit anderen internationalen Organisationen

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Organisation

zentrales Entscheidungsorgan: Ministerkonferenz

operative Organe: WTO-Rat, Generaldirektor, Generalsekretariat; zugeordnete Organe zur Streitschlichtung (DSB: Dispute Settlement Body) und zur Überprüfung der Handelspolitiken.

drei multilaterale Abkommen: GATT (General Agreement on Tariffs and Trade); GATS (General Agreement on Trade in Services); TRIPS (Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights)

Weitere Einzelabkommen; Plurilaterale Abkommen

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Ministerkonferenz

Allgemeiner Rat

Generaldirektor(Sekretariat)

Multilaterale Abkommen

Organ zur Streitschlichtung

Organ zur Überprüfung derHandelspolitiken (Trade

Policy Review Mechanism)

GATT

Rat für den Handelmit Waren

Plurilaterale Abkommen

GATS TRIPS

Rat für den Handelmit Dienstleistungen

Rat für handelsbezogene

Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum

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Q: www.wto.org

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Ministerkonferenzen (ministerial conferences)

höchstrangiges Entscheidungsgremium der WTO

kommt mindestens einmal alle zwei Jahre an verschiedenen Orten zusammen

1. Singapur 1996

2. Genf 1998

3. Seattle 1999

4. Doha 2001

5. Cancun 2003

6. Hongkong 2005 (Dezember)

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Allgemeiner Rat (General Council)

höchstrangiges Entscheidungsgremium am Standort Genf

kommt regelmäßig zusammen, um die Hauptaufgaben der WTO zu erfüllen

besteht aus Repräsentanten der Regierungen der Mitgliedsländer und besitzt das Recht, im Namen der Ministerkonferenz zu handeln

Der Allgemeine Rat kommt auch (mit separater Geschäftsordnung) als Streitschlichtungsorgan und als Trade Policy Review Body zusammen

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Die multilateralen Abkommen

GATT

GATS

GATS bezieht sich auf die Regelung grenzüberschreitender Dienstleistungen, wobei folgende Kategorien unterschieden werden:

* die Bereitstellung eines Dienstes über eine Grenze hinweg

* die Inanspruchnahme eines Inlanddienstes durch Ausländer

* das Angebot eines Dienstes mittels Gründung einer Zweigstelle im Ausland

* das Angebot durch Einzelpersonen, die die Grenze überschreiten

U

TRIPSTRIPS umfasst vor allem die Bereiche:

* Copyright und verwandte Rechte* Trade marks, Service marks* Geographical indications* industrial design* patents

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Weitere Regelungen der WTO:

Streitschlichtung (WTO kann die Änderung handelspolitischer Entscheidungen verlangen und Sanktionen verhängen; 1997 Entscheidung gegen EU: Bananenpolitik ist nicht konform mit den Regeln der Nicht-Diskriminierung der WTO);

Ausnahmen (Zollunion und Freihandelszonen erlaubt, obwohl dies gegen Drittländer diskriminiert; das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Beschränkungen von Importen kann außer Kraft gesetzt werden, damit ein Land seine finanzielle Lage und Zahlungsbilanzprobleme unter Kontrolle bekommen kann; Ausnahmeregeln für Agrarprodukte: Einschränkung des Marktzuganges durch Importbeschränkungen)

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7.4 Beispiele für Auseinandersetzungen im Rahmen der WTO

Der „Stahlstreit“ zwischen der EU und den USA

Teil 1: 2000: Einsatz des Anti-Dumping-Gesetzes durch die USAQ: Der Standard, 3. April 2000

Der Europäische Verband der Eisen- und Stahlindustrie (Eurofer) hatte Beschwerde gegen das Anti-Dumping-Gesetz der USA eingelegt. Die mit dem hohen Dollarkurs kämpfenden US-Stahlkonzerne versuchen, den Import von Stahlwaren aus Europa und Asien mithilfe eines Anti-Dumping-Gesetze zu drosseln. Nach dem Scheitern des Versuches einer gütlichen Einigung hatte Brüssel 1998 die WTO im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens um Konsultationen mit den USA gebeten.

Als Dumping wird der Verkauf einer Ware unter den Produktionskosten bezeichnet. Das umstrittene Gesetz gibt US-Gerichten das Recht, bei Dumping-Prozessen hohe Strafen gegen ausländische Unternehmen zu verhängen, ohne dass eine materielle Schädigung der

klagenden US-Firmen nachgewiesen werden muss.

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Die Welthandelsorganisation (WTO) hat der EU im Streit mit den USA über die amerikanischen Anti-Dumping-Regeln Recht gegeben. Ein WTO-Ausschuss befand, dass ein 1916 beschlossenes US-Gesetz gegen Dumping gegen die WTO-Regeln und das Welthandelsabkommen GATT verstößt. Die USA wurden aufgerufen, ihre Gesetze anzupassen. Die EU-Kommission begrüßte die Entscheidung.

Freude in Brüssel

Die WTO habe völlig mit der EU darin übereingestimmt, dass die US-Bestimmungen die Welthandelsregeln verletzten, teilte die Kommission mit. Dieses Gesetz sei in den vergangenen Jahren mehrfach gegen europäische Firmen angewandt worden. Es stelle ein machtvolles und gefährliches Instrument zur Wettbewerbsverhinderung im Importsektor dar.

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Teil 2: 2002: Einsatz von Schutzzöllen durch die USAQ: Der Standard, 11. Juni 2002

Die US-Regierung hat im März 2002 Schutzzölle von bis zu 30 Prozent auf Stahlimporte verhängt, um die amerikanische Stahlindustrie vor Konkurrenzdruck durch Importe schützen.

Die EU, Japan, Korea und China haben daraufhin Beschwerde bei der Welthandelsorganisation WTO eingelegt.

Im Stahlstreit mit den USA haben sich die EU-Außenminister im Juni 2002 bei der Sitzung des Allgemeinen Rats in Luxemburg auf eine so genannten "short list" geeinigt, um Strafzölle von 100 Prozent auf Produkte aus den USA verhängen zu können (Retorsion). Die "short list" umfasst u.a. Fruchtsäfte, Textilien und Gemüse. Sie soll in Kraft gesetzt werden, wenn die USA bis Juli in den Verhandlungen mit der EU nicht einlenken und weiter Schutzzölle auf Stahlimporte kassieren.

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China hat im Juni 2002 in Genf die Einsetzung eines Panels der Welthandelsorganisation (WTO) verlangt, das über die Legalität der US-Schutzzölle auf Stahlimporten entscheiden soll. Die USA blockierten diesen laut Mitteilung der WTO. China kündigte an, bei der Sitzung des WTO-Schlichtungsorgans (DSB, Dispute Settlement Body)) am 24. Juni 2002 seine Forderung erneut zu stellen. Gemäß den WTO-Regeln können die USA eine zweite Forderung nicht ablehnen.

Die WTO hat dann die Forderung der EU zur Einrichtung einer Expertengruppe (Panel) zur selben Frage akzeptiert. Ende Juni 2002 hat die WTO auch der weiteren Forderung der Schweiz, Norwegens, Japans und Südkoreas entsprochen.

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Teil 3: Juli 2003

Die EU hat im Stahlstreit mit den USA vor der WTO vorläufig Recht bekommen. Die von den USA verhängten Zölle auf Stahlimporte verstoßen gegen die internationalen Handelsabkommen. Die USA wollen Berufung einlegen.

Die Strafzölle müssen nach dem am Freitag (11.7.2003) in Genf veröffentlichten Bericht der Welthandelsorganisation (WTO) umgehend abgeschafft werden. Damit habe die Welthandelsorganisation der Klage gegen die Schutzzölle auf zehn verschiedene Stahlprodukte voll und ganz stattgegeben, sagte eine Sprecherin von EU-Handelskommissar Pascal Lamy in Brüssel. "Wir hoffen, dass sich die USA an das Ergebnis halten werden", fügte sie hinzu.

Die USA kündigten schon Berufung gegen die Genfer Entscheidung an. Die derzeit geltenden Schutzzölle würden unterdessen aufrecht erhalten, erklärte der US-Außenhandelsbeauftragte Robert Zoellick.

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Mit ihren einseitigen Maßnahmen verletzten die USA die allgemeinen von der WTO überwachten Handelsregeln, erklärte die WTO. Die USA hätten auch nicht nachweisen können, dass unvorhergesehene Ereignisse sie zu solchen Maßnahmen gezwungen hätten. Die USA hatten zuvor geltend gemacht, sie seien unter anderem durch den harten Dollar zu einem solchen Verhalten gezwungen gewesen.

Die EU hat bereits Gegenmaßnahmen mit Strafzöllen im Volumen von 2,5 Milliarden Euro gegen US-Produkte beschlossen, diese aber noch nicht zur Anwendung gebracht. Nach Angaben der EU-Kommission hat die Regierung in Washington nun fünf Tage Zeit, die Stahlzölle abzuschaffen oder gegen die WTO-Entscheidung Einspruch zu erheben. Bei einem Einspruch sei ein endgültiges Ergebnis am Jahresende zu erwarten. Reagiere die Regierung in Washington nicht, werde die EU die Strafzölle anwenden.

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Teil 4: Dezember 2003

Die USA kündigten am 4. Dezember 2003 die unverzügliche und vollständige Aufhebung ihrer Schutzmaßnahmen bei Stahlerzeugnissen an.

EU-Handelskommissar Pascal Lamy sagte hierzu: „Ich freue mich, dass sich die USA nach dem nunmehr fast zwei Jahre währenden Stahlstreit dazu entschlossen haben, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und ihre illegalen Schutzzölle aufzuheben. Die Stahlhersteller und Stahlarbeiter in der EU und in den sieben anderen Ländern, die die Maßnahmen gemeinsam mit der EU angefochten haben, werden erleichtert sein. Aber was viel wichtiger ist: In diesem Fall hat sich gezeigt, wie notwendig ein regelbasiertes internationales Handelssystem für uns alle ist."

Gleichzeitig mit der Aufhebung der Schutzmaßnahmen wird ein Überwachungsmechanismus eingeführt. Die EU wird die Lage aufmerksam verfolgen und sicherstellen, dass dieser Mechanismus im Einklang mit den WTO-Regeln angewandt wird.

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7.5 Kritische Stimmen zur WTOQ: Südwind-Agentur 2001

Zur Tätigkeit der WTO und deren Wirkungen gibt es (neben den positiven) auch radikal-kritische und reformistisch-kritische Stimmen, die spätestens seit den Protesten bei der WTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999 auch weltweit Beachtung finden.

Eine radikal-kritische Position nimmt z.B. der Generalsekretär des weltweiten Dachverbandes von Bauern- und Landlosenbewegungen, Rafael Alegria aus Honduras ein (ebenda, S. 6-8). Er steht für jene, die die Organisation WTO als solche völlig ablehnen.

Er fordert „dringend, eine Bilanz über die negativen Auswirkungen zu ziehen, die die WTO bisher gehabt hat“ und schlägt vor, „ein Internationales Tribunal der Völker zu schaffen, das die Verbrechen der WTO verurteilen soll“.

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Die Ablehnung der WTO und die Anschuldigungen werden damit begründet, dass (1) die WTO keine demokratische Legitimation besitze, um die sehr wichtigen Bereiche wie Ernährungssouveränität und Landwirtschaft zu verhandeln; (2) die WTO ein Instrument der großen multinationalen Unternehmen wäre und daher in erster Linie deren Interessen im Welthandel vertreten würde und (3) es nicht für möglich gehalten werde, die WTO zu demokratisieren.

Eine moderatere Position nimmt z.B. die österreichische Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit (AGEZ; siehe auch www.oneworld.at/Agez/) ein (Südwind-Agentur, S. 18-22).

Auch sie sieht schwere demokratiepolitische Defizite der WTO, weil es weder Transparenz bei den Entscheidungen noch eine tatsächliche Partizipation der betroffenen Bevölkerung, nicht einmal der gewählten Parlamente der Nationalstaaten gibt.

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Die AGEZ vertritt die Auffassung, dass der Welthandel und die WTO gezwungen werden müssen, sich den Spielregeln und Rahmenbedingungen einer zivilisierten (menschenwürdigen) Gesellschaft zu unterwerfen, wie sie in UNO-Konventionen oder auch auf diversen NGO-Gipfeln in den letzten Jahren ihren Niederschlag gefunden haben.

Für die WTO würde das u.a. bedeuten, dass ihre Struktur verändert werden muss, um „Transparenz in ihren Entscheidungen und die demokratische Mitbestimmung gesellschaftlich relevanter Gruppen zu erreichen, ihre Arbeit an Gesichtspunkten der Genderrelevanz, der sozialen Verträglichkeit und der nachhaltigen Entwicklung zu orientieren und Konformität mit den geltenden internationalen Menschenrechten und Umweltrechten zu gewährleisten“ (S. 22).In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass bei der Konferenz von Bretton Woods zur Neugestaltung der weltwirtschaftlichen Architektur (neben dem IMF und der Weltbank) auch die ITO (International Trade Organisation) gegründet werden sollte. Diese war jedoch eine Totgeburt, weil sie als Teilorganisation der UNO konzipiert war und auch Menschheitsziele (Entwicklung, soziale Sicherheit) verfolgen, Rohstoffpreise festlegen und den Kapitalverkehr regulieren sollte. Das wollten die USA nicht akzeptieren. So wurde aus dem Gründungsstatut nur ein Absatz, der die Liberalisierung des Welthandels reguliert, herausgenommen und zu einem internationalen Abkommen ausgebaut – das 1947 in Kraft trat: das GATT.

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Naomi Klein: Freihandel ist KriegQ: www.nologo.org; 11. Sept. 2003

(Auszug aus diesem Artikel:)

All this nonsense ends in Cancún this week, when thousands of activists converge to declare that the brutal economic model advanced by the World Trade Organization is itself a form of war.

War because privatization and deregulation kill--by pushing up prices on necessities like water and medicines and pushing down prices on raw commodities like coffee, making small farms unsustainable. War because those who resist and "refuse to disappear," as the Zapatistas say, are routinely arrested, beaten and even killed. War because when this kind of low-intensity repression fails to clear the path to corporate liberation, the real wars begin.

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7.6 Weitere Aspekte eines globalen Regelwerkes

Aggressive Handelspolitik versus multilaterale Ordnung

Eine aggressive Handelspolitik gefährdet die multilaterale Ordnung.

Beispiele:

USA und EU haben handelspolitische Instrumente entwickelt (“Marktöffner”; Vergeltungsmaßnahmen), bei denen die Mechanismen der Welthandelsordnung mißachtet werden (USA können z.B. handelseinschränkende Maßnahmen gegen einzelne Staaten einführen; EU 1984: “neues handelspolitisches Instrument” ermöglicht Vergeltungsmaßnahmen)

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Marktöffner: auf das Land, dessen Markt für eigene Exporte geöffnet werden soll, wird Druck ausgeübt durch (die Androhung von)

Streichen vereinbarter Handelsvergünstigungen

Errichten von Importbeschränkungen

Errichten bilateraler Exportbeschränkungen

Damit stellen sich zwei Handelsblöcke außerhalb der regelgebundenen, multilateralen Welthandelsordnung. Risiko: Eskalation der Maßnahmen, Degeneration der multilateralen Ordnung.

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Probleme der Weiterentwicklung der Welthandelsordnung

Schwachstellen:

1. Unterlaufen der Zollliberalisierung; z.B. durch freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen

2. Schutzklauseln (sind auf selektiver Basis) zulässig, z.B. im Falle plötzlich starker Zunahme der Importe

3. Antidumpingmaßnahmen

4. Sektorale Ausnahmen vom Prinzip der Nicht-Diskriminierung und der Meistbegünstigung; z.B. in der Landwirtschaft

5. schwache Sanktionsmechanismen; von sich aus kann die WTO nicht tätig werden, ein Land muss die WTO zur Streitschlichtung anrufen

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Ansatzpunkte zur Stärkung der Welthandelsordnung:

1. Verzahnung regionaler Blöcke (z.B. transatlantischer Wirtschaftsraum);

2. Zurückdrängen nationaler Subventionen (Probleme: Abgrenzung zu anderen Hilfen wie Forschungsbeihilfen etc.; Ausnahmen für wichtige Sektoren wie Landwirtschaft, Flugzeugbau)

3. Märkte für grenzüberschreitende Dienstleistungen öffnen

4. Inländergleichstellung (ausländischer Unternehmen) bei personengebundenen Dienstleistungen

5. Ursprungslandprinzip als grundsätzliche Regelung akzeptieren

6. Abbau von Genehmigungsverfahren für wirtschaftliche Tätigkeiten, Produkte, Verfahren

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Sozialnormen

Häufig wird gefordert, dass die Sozialnormen (z.B. gesetzliche Regelungen betreffend die Arbeitszeit, die Urlaubszeit, Karenzregelungen etc.) international angeglichen und vereinheitlicht werden sollen mithilfe handelspolitischer Maßnahmen

Dilemma: das würde Freihandelsprinzipien widersprechen und wirken wie das Bestimmungslandprinzip (das importierende Land müsste dieselben sozialen Bedingungen der Produktion herstellen).

Umgekehrt verhindert die Anerkennung des Ursprungslandprinzips die Durchsetzung von Sozialnormen via handelspolitische Maßnahmen.

In der EU: Forderung nach dem Hinzufügen einer Sozial- und Beschäftigungsintegration zur Wirtschaftsintegration; derzeit aber scheint das Europäische Sozialmodell eher in der Defensive gegenüber dem Wettbewerbsziel.

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Internationale Wettbewerbspolitik

Wodurch kann Wettbewerb gefährdet sein?

1. Unternehmen versuchen, eine marktbeherrschende Positionen zu erringen (z.B. durch Kartellbildung, -absprachen);

2. der Staat gewährt oder schützt Monopole (oft unter dem Druck unternehmerischer Lobbies).

3. International operierende Konzerne haben sich vom Nationalstaat „emanzipiert“. Sie wählen ihre Standorte nach den für sie günstigsten Bedingungen und/oder setzen Regierungen unter Druck, ihnen günstige Bedingungen zu bieten (vgl. Standortkonkurrenz-Kapitel)

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Ein weltweiter Ordnungsrahmen, der den Wettbewerb auf globaler Ebene kontrolliert, ist derzeit nicht in Sicht.

Im Gegenteil: bisherige Versuche, z.B. internationale Investitionsabkommen zu verhandeln (z.B. MAI, Multilateral Agreement on Investment), zielen eher auf eine noch weitergehendere Handlungsfreiheit der Unternehmen hin.

Daher Nahziel: Vereinbarung minimaler Regeln über Wettbewerbspolitiken im Rahmen der WTO oder innerhalb regionaler Wirtschaftszusammenschlüsse; z.B. auch unter den OECD-Ländern (Problem: unterschiedliches Rechtssystem der anglo-amerikanischen und der kontinentaleuropäischen Länder)

Derzeit intensive Diskussion unterschiedlicher Varianten der institutionellen Ausgestaltung eines wirksameren Ordnungsrahmens.

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Regeln für die Faktorwanderung

steigende Mobilität der Produktionsfaktoren gewinnt zunehmend an Bedeutung

technisches Wissen

Abwägen notwendig zwischen (1) Verfügungsrechte an neuem technischen Wissen müssen sicher und akzeptiert sein; (2) andererseits muß die Geltungsdauer des Schutzes von neuem Wissen begrenzt sein, damit Diffusion möglich ist.

Kapital

im Standortwettbewerb der Länder wird versucht, für international mobile Unternehmen möglichst günstige Bedingungen zu schaffen; Dilemma: Effiziente Allokation des Kapitals durch Mobilität (Exit-Option) versus degenerativer Prozeß durch Standortwettbwerb (s.o.)

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Arbeit

Exit-Option des Einzelnen wichtiges Freiheitsrecht; dadurch implizite Kontrolle der Politik; aber: Forderung nach Steuerpflicht von (reichen) Steuerflüchtlingen.

Recht auf Auswanderung beinhaltet nicht das Recht, in ein bestimmtes Land einwandern zu dürfen (Einwanderungspolitik).

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Umwelt, Gesundheit und Welthandelsordnung

Bisher haben sich die Regelwerke für Umweltfragen und für die Welthandelsordnung nebeneinander entwickelt; in Zukunft Konsistenz der beiden Regelwerke immer wichtiger

Nationale Umweltpolitik und internationale Regeln

Ist Umwelt ein nationaler Ausstattungsfaktor, so können Preise unterschiedliche Knappheiten der Länder signalisieren (soferne es gelingt, die Umwelt zu bewirtschaften, sie also via Verfügungsrechte zu einem ökonomischen Gut zu machen); marktwirtschaftliche Ansätze der Umweltpolitik (im Vergleich zu administrativen Ansätzen durch Regulierung) erhöhen die Kongruenz der beiden Regelwerke

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Maßnahmen eines Landes, die die Gesundheit schützen sollen (z.B. markteintrittsbeschränkende Regulierungen durch Produktions-genehmigungen, Anlagengenehmigungen und Produktnormen), dürfen nicht diskriminierend sein (thailändischer Zigarettenfall).

Generell sollte Umweltpolitik nicht durch Handelspolitik betrieben werden, umweltpolitische Ziele sind besser durch spezifische umweltpolitische Instrumente erreichbar

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Globale Umweltgüter:

sind weltweit definierte öffentliche Güter (siehe Kapitel Umweltgüter)

Konsistenz der Umweltordnung und der Handelsordnung kann verbessert werden durch Orientierung an einigen Überlegungen:

(1) keine vorübergehenden Ausnahmen schaffen (schlechte Erfahrungen aus anderen Bereichen)

(2) handelspolitische Instrumente nicht für Umweltpolitik einsetzen

(3) Streitschlichtung der WTO sollte auf den Umweltbereich ausgedehnt werden

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7.7 Die UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

www.unctad.org

Teilorganisation der UNO; Sitz in Genf

Gegründet 1964, 192 Länder sind derzeit (Juni 2007) Mitglied der UNCTAD

Parallelorganisation, Konkurrenz zur WTO

„WTO des Südens bzw. der armen Länder“

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Ziele allgemeiner als bei der WTO (wie ITO-Vorstellungen):Handel, Entwicklung, Rohstoffpreise

Von den UNCTAD-Webseiten:

Established in 1964, the United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) aims at the development-friendly integration of developing countries into the world economy.

UNCTAD is the focal point within the United Nations for the integrated treatment of trade and development and the interrelated issues in the areas of finance, technology, investment and sustainable development.

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Einige Schlußfolgerungen aus dem

Least Developed Countries Report 2004 der UNCTAD(s. 212 ff.)

1. Seit den späten 80er Jahren war ein umfangreicher Prozeß der Handelsliberalisierung in den LDCs (Least Developed Countries) im Gange. Zur Zeit haben nur wenige dieser Länder Handelsbeschränkungen. Viele sind bei der Liberalisierung weiter und schneller vorangegangen als Chile in den 70er und 80er Jahren, sodass heute sehr offene Handelsregime (gemessen an internationalen Standards) vorherrschen. Zieht man den Handelsbeschränkungsindex des IMF als Indikator der Liberalisierung heran, so weisen heute einige LDCs dasselbe Maß an Offenheit auf wie hochentwickelte OECD-Staaten.

2. Der Liberalisierungsprozess wurde meistens im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen des IMF und der Weltbank, seltener im Rahmen multinationaler Verhandlungen umgesetzt.

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3. Bis vor kurzem hat es keinerlei gezielte Maßnahmen gegeben, um die Handelsliberalisierung in Verringerung der Armut umzumünzen.

4. Die kurzfristigen Effekte der Handelsliberalisierung variieren zwischen den Ländern beträchtlich, es gibt sowohl Gewinner als auch Verlierer. Als Tendenz lässt sich aber erkennen, dass jene Länder, die den Liberalisierungsprozess in kleinen Schritten und weniger tief gestaltet haben, bessere Ergebnisse bzgl. der Armutsreduktion aufweisen als jene, die schnell und tiefgreifend ihre Märkte geöffnet haben, und auch besser als jene, die nur ihre Märkte abgeschottet haben.

5. Die zentrale Frage ist heute, ob die neuen (handelspolitischen) Rahmenbedingungen eine substantielle und nachhaltige Verringerung der Armut ermöglichen werden. Diese Frage ist weder eindeutig positiv noch eindeutig negativ zu beantworten.

6. Vergleicht man die Wachstumsraten von BIP, Exporten und Investitionen vor und nach der Liberalisierung, so zeigt sich zwar, dass diese in den Ländern mit tiefgreifender Liberalisierung angestiegen sind.

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7. Beim derzeit gegebenen Bevölkerungswachstum sind diese Wachstumsraten jedoch nicht ausreichend, um eine wesentliche Reduktion der Armut zu bewirken. Darüberhinaus gibt es gute Gründe zur Annahme, dass die Nachhaltigkeit des BIP-, Export- und Investitionswachstums keineswegs garantiert ist.

8. Der Prozess der Liberalisierung hat die (ungünstige) Spezialisierung der LDCs auf den Export von Grundstoffen (unbearbeiteten Gütern) weiter verstärkt, anstatt eine Entwicklung hin zu verarbeiteten Gütern zu unterstützen. Außerdem ist nachweisbar, dass der letztere Prozess eher durch den bevorzugten Zugang zu den Märkten hochentwickelter Staaten hervorgerufen wird als durch eine generelle Handelsliberalisierung.

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9. Eine Analyse der Zahlungsbilanzen der LDCs zeigt, dass durch die Liberalisierung zwar die Exporte zugenommen haben, aber noch stärker die Importe. Der Liberalisierungsprozeß verschlechtert also die Zahlungsbilanzen der LDCs und der Entwicklungsländer. Die Abhängigkeit der LDCs von externer Hilfe wird somit verstärkt. Wenn diese Hilfe nicht dem Aufbau eigener Produktionskapazitäten zugutekommt, so steigt damit die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Schuldenkrisen.

10. Eines der schwierigsten Probleme in den LDCs ist, daß Exporterfolge häufig regional und/oder sektoral eng begrenzt bleiben (enclave-led growth), und daß der wirtschaftliche Erfolg der beteiligten Unternehmen aufgrund unzureichender Vernetzung mit der Binnenwirtschaft kaum zu Entwicklung und Armutsreduktion in nennenswerten Ausmaß führt. So können hohe Exportwachstumraten neben unveränderter Armut bestehen.

11. Die Hauptaufgabe der LDCs und ihrer Entwicklungspartner besteht heute also darin, Politikoptionen zu finden, die unter den gegebenen Bedingungen eines liberalisierten Handelsregimes zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsreduktion führen.

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Anhang: Zur Stabilität der Ordnungen und zu ihrer Interdependenz

Bedingung für Stabilität ist, daß der Ordnungsrahmen für alle Länder akzeptabel ist; dies ist dann zu erwarten, wenn die Länder daraus Vorteile erwarten können; wenn beim Ausbau des Regelwerkes sich der Nettovorteil der einzelnen Länder im Laufe der Zeit verbessert

Teilordnungen (z.B. Welthandel und Umwelt) sind interdependent. Drei Problembereiche:

(1) Kompensation von geringeren Vorteilen einer Teilordnung durch einen höheren Vorteil einer anderen Teilordnung möglich, sollte aber nicht überstrapaziert werden;

(2) Konsistenz der Teilordnungen wichtig: Ziele müssen übereinstimmen;

(3) Gültigkeit einer Teilordnung sollte nicht vom Funktionieren einer anderen Teilordnung abhängig sein (Beschränkung wirtschaftspolitischer Instrumente auf spezifische Teilordnungen).

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Art der Interdependenz Mögliche Verzerrungen, Störungen Regelwerk

Güteraustausch

- Sachgüter Protektionistische Außenhandelspolitik Handelsregeln vor allem gegen neue Formen der

(Zölle, Mengenkontingente, freiwillige Exportselbstbeschränkung, protektionistischen Handelspolitik; Ursprungslandprinzip bei

Strategische Handels- und Industriepolitik, Antidumping, Normen

Suventionen, Produktstandards)

Forderung nach einheitlichen Sozialnormen Keine Vereinheitlichung in der Welt möglich

Marktmacht der Unternehmen Wettbewerbsregeln, Freier Marktzugang, Wettbewerbsbehörde?

- Dienstleistungen Diskriminierung ausländischer Anbieter Inländerbehandlung

Faktorwanderung

- Technologie Zu geringer Anreiz f. techn. Fortschritt bei international nicht Schutz durch Intellectual Property Rights, aber Diffusion mit

respektierten Eigentumsrechten der Zeit zulassen

- Kapital Enteignungsrisiko für Auslandsinvestitionen Wettbwerb der Staaten mit Infrastruktur, Steuersystem, den

Steuerwettlauf um mobiles Kapital Regulierungen. Eigeninteresse der Staaten, für Kapital attraktivzu sein

- Arbeit Abrupte Massenwanderungen Freier Handel und freier Kapitalverkehr als Substitut für dieWanderung von Menschen; Recht auf Auswanderung; Offenheitbei der Einwanderungspolitik

Finanzmärkte Volatilität der Wechselkurse Jedes Land muß für stabile Wechselkurse sorgen

Schadstofftransport Mißbrauch der nationalen Umweltpolitik für handelspolitischeZwecke; Schwarzfahrerverhalten einzelner Länder bei globalenUmweltproblemen

Internationale Regelwerke nur bei grenzüberschreitenden undglobalen Umweltproblemen (sonst: nationale Umweltpolitikzuständig); Trennung zwischen Handels- u. Umweltpolitik

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8. Mangelnde Regeln für globale Umweltgüter

Fragestellung:

welche spezifischen Probleme ergeben sich bei Vorliegen globaler Umweltgüter und wie können (neue) institutionelle Lösungen für die Bereitstellung solcher Güter gefunden werden, um das free-rider-Verhalten zu unterbinden?

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Globale Umweltgüter:

sind weltweit definierte öffentliche Güter; um festzulegen, in welchem Ausmaß und welcher Qualität diese Güter bereitgestellt werden sollen, bedarf es einer gemeinsamen Entscheidung aller Länder, daher einer multilateralen Ordnung.

Probleme:

unterschiedliche (Umwelt-) Präferenzen der Länder, unterschiedliches Einkommen, unterschiedliches technisches Know-how zur Bereitstellung von Umweltgütern und damit unterschiedliche Kosten dieser Bereitstellung. Daher: schwierig, einen Konsens über die herzustellende Menge und über die Kostenaufteilung zu finden. (Beispiel: Simulationsmodell Acid Rain; IIASA)

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Das ökonomische Paradigma der Umwelt

„Umwelt“ wird meist als die Gesamtheit der den menschlichen Lebensraum definierenden natürlichen Gegebenheiten verstanden.

Die Wirtschaftswissenschaft betrachtet die Umwelt als ein Gut mit spezifischen Eigenschaften und Funktionen (siehe Abbildung)

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Produktion Konsum

Abfallprodukte

RohstoffeUmwelt allg. Schadstoffe Umwelt allg.

Pro

du

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nsi

np

ut

Ko

nsu

min

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Zusammenhänge zwischen Umwelt als ökonomischem Gut und ökonomischen Prozessen:

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• Umwelt als öffentliches Konsumgut; Umwelt als Aufnahmebecken für Abfallprodukte aus Konsum und Produktion; Umwelt als Ressource in der Produktion. Definition: öffentliches Gut (Nichtausschliessbarkeit vom Konsum; Nichtrivalität im Konsum)

• Räumliche Dimension von Umwelt; nationale Umweltgüter (z.B. ein See); grenzüberschreitenden Umweltgüter (z.B. Flüsse); globale Umweltgüter (z.B. Atmospäre)

• Die umweltökonomische Analyse ist an vielfältige spezifische Bedingungen gebunden, z.B. daß Schadstoffe von stationären oder mobilen Quellen ausgehen können; daß sich Schadstoffe in der Umwelt akkumulieren können; daß Umweltgüter erneuerbar oder nicht erneuerbar sein können.

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Umwelt als nationaler Ausstattungsfaktor (als nationales Gut)

• Auf nationaler Ebene können Umweltgüter unterschiedlich knapp sein, weil:

(1) Ausstattung mit natürlichen Ressourcen, Rohstoffen, Land unterschiedlich;

(2) Aufnahmefähigkeit der Natur für Schadstoffe unterschiedlich;

(3) Präferenzen der Bevölkerung für eine gute Umwelt unterschiedlich;

(4) Institutionelle Regelungen betreffend Umwelt unterschiedlich;

(5) Nachfrage nach Diensten der Umwelt vom Produktions- und Konsumniveau abhängig. Daher: unterschiedliche Knappheitspreise für die Umwelt(güter).

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Umwelt als nationaler Ausstattungsfaktor (als nationales Gut)

Fortsetzung

• Unterschiedliche Umweltausstattung kann wie unterschiedliche Faktorausstattung betrachtet werden; durch internationalen Handel Tendenz zum Faktorpreisausgleich; bei Mobilität des Kapitals Ausgleich über Standortverlagerungen

• Soferne Umweltknappheit auf nationaler Ebene durch Knappheitspreise erfaßt werden kann (z.B. Emissionslizenzen; LKW-Punktekarte), können dadurch die Präferenzen der Bürger zum Ausdruck gebracht werden; kein Anlaß für internationale Regelwerke

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Globale Umweltprobleme

Öffentliche Güter, die (räumlich) die ganze Erde betreffen und von allen genutzt werden (z.B. Erdatmosphäre, Ozonschicht)

• Bei globalen Umweltgütern ist die Umweltqualität für alle Länder, z.B. für zwei Länder gleich groß U1=U2=UW, während die für die Umweltqualität verantwortlichen Emissionen EW=E1 +E2 dem jeweiligen Land zugeordnet werden können.

• Entscheidungsproblem: wieviel Umweltqualität soll für globale Umweltgüter angestrebt werden? Bzw. Wie sollen die Kosten der Bereitstellung dieses Qualitätsniveaus auf die einzelnen Länder aufgeteilt werden?

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Globale Umweltprobleme - Fortsetzung

• Konzept der Zahlungsbereitschaft; diese muß für die einzelnen Staaten ermittelt und aggregiert werde; aber: free rider Problem; bei der Zuweisung der Kosten nach dem Verursacherprinzip tritt das Problem einer fehlenden hoheitlichen (Staats-) Gewalt auf internationaler Ebene zutage.

• Daher: Vereinbarungen erforderlich, durch die sich die Staaten in der Nutzung von Umweltgütern einschränken (Beispiel: CO2-Abkommen).

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Beispiel: Ökologie des Schwarzens Meeres

Forschungsprojekt DANUBS

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9. Resümee

9.1 Theorie und Praxis des Freihandels9.2 Freihandel vs. „Fairer“ Handel

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9.1 Theorie und Praxis des Freihandels

In den meisten theoretischen Abhandlungen – und Lehrbüchern – werden die positiven Wirkungen des Freihandels (Arbeitsteilung, Spezialisierung, Größenvorteile, Warenvielfalt, Wachstum) dargestellt ohne die Annahmen explizit zu machen, die erfüllt sein müssen, damit alle diese Vorteile tatsächlich eintreten. Welche Annahmen sind das?

Annahmen:

Vollbeschäftigung

Ausgeglichene Zahlungsbilanz: Die Zahlungsbilanz jedes einzelnen Landes gleicht sich kontinuierlich und automatisch aus, und die Kosten dieser Anpassung sind geringer als die Kosten einer gezielten Handels- oder Wechselkurspolitik

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Die Produktionsfaktoren können friktionslos von einem Sektor zum anderen wechseln; oder: die Anpassungskosten dieser Reallokation der Faktoren sind geringer als die dadurch erzielten Vorteile

Die komparativen Vorteile erwachsen aus der natürlichen Faktorausstattung eines Landes, sie können nicht gezielt hervorgerufen werden

Kein Wirtschaftssektor (oder keine Gruppe von Sektoren) weist dauerhafte Economies of Scale auf

Das dominierende Ziel der Wirtschaftspolitik ist die Maximierung des Sozialprodukts, unabhängig von Verteilungswirkungen

Ist auch nur eine dieser Annahmen nicht erfüllt, so müssen die positiven Freihandelswirkungen nicht notwendig eintreten.

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„Lehrbuchbeispiel“1)

Wie wirkt Freihandel auf Struktur und Sozialprodukt, wenn die Annahme der Vollbeschäftigung nicht erfüllt ist?

Annahmen des Beispiels:

1. Zwei Länder (Österreich und Ungarn) mit etwa derselben Bevölkerungszahl

2. Jedes Land setzt 5% der Produktionsfaktoren Boden und Arbeit ein, um den Inlandsbedarf an Wein zu erzeugen, und weitere 5%, um den Inlandsbedarf an Textilien zu erzeugen

3. Die Ungarn erzeugen beide Produkte billiger als die Österreicher 4. In jedem Land sind 10% der Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden) unbeschäftigt

1) Nach Stretton 1999, S. 668, 669; zur empirischen Bestätigung siehe Chang 2002.

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5. Handel zwischen Österreich und Ungarn:

6. Ungarn setzt einen Teil der freien Kapazität des Bodens und der Arbeitskraft ein, um die Wein-Produktionsmenge zu verdoppeln, der Wein-Überschuß wird nach Österreich exportiert

7. Die österreichische Weinproduktion kann dem günstigeren Konkurrenzangebot nicht standhalten und bricht zusammen. Die österreichische Handelspolitik könnte die Weinbranche vor der ausländischen Konkurrenz schützen, tut es aber nicht, weil die Mehrheit der Österreicher es vorzieht, einen preisgünstigere Wein zu kaufen

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Wirkungen auf Wirtschaftsstruktur und Sozialprodukt:

In Österreich gibt es keine Weinbranche mehr. Der niedrigere Preis des ungarischen Weins induziert eine gewisse Steigerung der Nachfrage nach anderen Konsumgütern, deren Produktion Beschäftigung und Sozialprodukt in Österreich um 1% anheben. Unter Berücksichtigung von Multiplikatoreffekten werden Beschäftigung und Sozialprodukt insgesamt um 1,5% angehoben.

Das Verschwinden des Weinanbaus senkt die Beschäftigung um 5%. Die Arbeitslosen werden nicht zur Textilproduktion eingesetzt, weil Österreich keinen zusätzlichen Bedarf hat und Ungarn aufgrund der niedrigeren Preise keine Textilien importiert. Durch die gestiegene Arbeitslosigkeit sinken Nachfrage und Sozialprodukt; unter Berücksichtigung der Multiplikatoreffekte sinken Beschäftigung und Sozialprodukt um 6,5%.

Der Nettoeffekt der positiven und negativen Wirkungen ist ein Rückgang des österreichischen Sozialprodukts um 5% und ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit von 10% auf 15% (plus Ansteigen der Ungleichverteilung).

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In Ungarn wird die Zahl der Arbeitslosen durch die zusätzliche Weinproduktion halbiert. Die (Konsum-) Ausgaben der nunmehr Beschäftigten und deren Multiplikatoreffekte steigern das Sozialprodukt und reduzieren die Arbeitslosigkeit um weitere 2%-Punkte. Ungarn steigert daher sein Sozialprodukt um 7% und reduziert die Arbeitslosigkeit um 7%, im wesentlichen durch den Export von Arbeitslosigkeit nach Österreich.

Österreich hätte Sozialprodukt und Beschäftigung durch handelspolitische Maßnahmen (Zölle oder andere Importbarrieren) halten können. Dadurch wäre der österreichische Weinpreis nicht gestiegen, es hätte auch keine Retorsionsmaßnahmen gegeben, weil Österreich nichts nach Ungarn exportiert.

Dieses einfache Lehrbuchbeispiel zeigt, daß die Aussagen der (Freihandels-) Theorie dann falsch sind, wenn in beiden Ländern Arbeitslosigkeit herrscht. Schlußfolgerung: die Aussagen der Handelstheorie gelten nicht unabhängig von Zeit und Raum, sondern hängen von den jeweiligen Bedingungen der involvierten Volkswirtschaften ab. Handelspolitiken können zu bestimmten Zeiten unter bestimmten Bedingungen die volkswirtschaftliche Position verbessern.

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IWF-Chef Köhler (2000):

„Die zentrale Lehre aus den zehn Jahren Transformation war doch, dass freie Märkte nur dann ihre positiven Auswirkungen für alle haben, wenn sie einen funktionsfähigen, institutionellen Unterbau haben.

Deshalb würde ich eine Strategie, die schlicht sagt, die müssen ihr Land öffnen, alles andere geht uns nichts an, für hoch riskant halten.“

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9.2 Freihandel vs. Fairer Handel

Erstens: Freihandel ist kein Ziel, sondern nur ein Instrument

Zweitens: Das Ziel sollte die Wohlfahrtssteigerung in allen Ländern der Erde sein

Drittens: ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, könnte fairer Handel sein

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Was wäre fairer Handel?

Sieben Elemente des fairen HandelsQ: C. Felber, Wie frei ist der Freihandel? Kontraste, Jänner 2002; Stiglitz/Charlton 2006

Erstens: Ebenbürtigkeit der Handelspartner

Es erscheint trivial, dass Freihandel nur zwischen ebenbürtigen Partnern Sinn macht: „Wenn Ungleiches gleich gestellt wird, wird der Starke stärker und der Schwache schwächer“. Was wären nun ebenbürtige Partner?

Anstatt alle Länder schnellstmöglich in das Freihandelsregime der WTO zu drängen, sollte es jedem Land erlaubt sein, sein eigenes kulturell angepasstes Wirtschaftsmodell zu wählen oder zumindest sensible Branchen solange zu schützen, bis sie imstande sind, den Inlandsmarkt zu versorgen und gegen ausländische Konkurrenz zu bestehen.

Beispiele:

• Lateinamerika hat seine Märkte vorschnell geöffnet: die in den Kinderschuhen steckenden Industrien wurden zerstört (Beispiele: Lederverarbeitung in Brasilien, Maschinenbaubranche in Argentinien), der Schwerpunkt der Wertschöpfung verlagerte sich wieder auf Rohstoffausbeutung und Landwirtschaft.

• Weite Teile Afrikas haben durch verfrühte Marktliberalisierung erst gar keinen Binnenmarkt aufbauen können.

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Zweitens: ökologische Kostenwahrheit

Bei ökologischer Kostenwahrheit würde der Transport teurer werden (nach Schweizer Berechnungen würde eine Kilometermaut bei vollständiger Kostenwahrheit € 3,63 oder 50 ATS für einen 40-Tonnen LKW bedeuten; 2003!).

Unter diesen Bedingungen wären neuseeländische Kiwis oder Holz aus Finnland nicht mehr konkurrenzfähig, ein Teil des Handels würde sich erübrigen. Kostenwahrheit wäre der stärkste Impuls für eine Renaissance der Regionen.

Drittens: Wettbewerb mit Qualität und nicht mit politischen Rahmenbedingungen

Steuerdumping, Sozialdumping, Umweltdumping müssten der Vergangenheit angehören. Fairer internationaler Handel muss sich zu hohen Sozial- und Umweltstandards bekennen (Schutz von Menschen und Umwelt).

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Viertens: Regeln müssen durch die Allgemeinheit und nicht nur durch die Global Player gestaltet werden

Wäre der Freihandel tatsächlich im Interesse aller, dann müsste schon der Beitritt zur WTO in einem intensiven Diskussionsprozess aller Beteiligten stattfinden: Gemeinden, Länder, Parlamente, zivile Organisationen, indigene Bevölkerung. Derzeit sind WTO-Verhandlungen vorwiegend elitäre Regierungs- und Expertenangelegenheiten.

Beispiele:

• TRIPS könnte unter den verlangten Bedingungen nicht umgesetzt werden. Denn TRIPS verteuert einerseits die Gesundheitsversorgung der armen Länder, andererseits fördert es die „Biopiraterie“ westlicher Konzerne, indem es Patente auf jahrtausendlang traditionell entwickelte und genutzte Pflanzen vergibt, sobald an diesen nur ein Gen verändert wird.

• Das Abkommen über den Handel mit Waldprodukten bedroht die Lebensräume indigener Völker.

• Das Dienstleistungsabkommen GATS bedroht die flächendeckende und preisgünstige Versorgung der Bevölkerung mit Gütern wie Bildung, Gesundheit, Pensionen und Wasser.

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Fünftens:

Im gleichen Maße, in dem die ärmeren Länder ihre Märkte öffnen, müssen in diesen Ländern Infrastrukturen und Wirtschaftsinstitutionen aufgebaut werden, die es den Ländern ermöglichen, von der Öffnung der Märkte zu profitieren

Sechstens:

Die reichen Nationen sollten nicht darauf drängen, dass alle ärmeren Länder den gleichen Regeln und Zeitplänen der Marktöffnung unterworfen werden.

Siebtens:

Die reichen Länder sollten den Protektionismus und die Subventionierung ihrer Märkte schrittweise abbauen.

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