Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

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Das Magazin der Deutschen Welle 01 Februar 2010 zeit welt Wettbewerb im Mediversum Gut gefunden.

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weltzeit – das Magazin der Deutschen Welle – erscheint alle zwei Monate. Es richtet sich an kritische Begleiter des deutschen Auslandsrundfunks, an Multiplikatoren in Deutschland aus Medien, Politik, Wirtschaft und Kultur. Interessenten können das Magazin auf Wunsch kostenlos abonnieren. weltzeit bringt Reportagen aus allen Kontinenten, stellt Menschen vor und informiert über das Unternehmen Deutsche Welle, über Programminitiativen und Programmmacher.

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Das Magazin der Deutschen Welle 01—Februar 2010

zeitwelt

Wettbewerb im Mediversum

Gut gefunden.

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www.medienforum.nrw.de

22. medienforum.nrw Koelnmesse, Rheinparkhalle 28.–30. Juni 2010

Das medienforum.nrw ist eine Veranstaltung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), gefördert mit Mitteln des Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. Verantwortlich für Konzeption und Durchführung ist die LfM Nova GmbH.

Gute GeleGenheit, auch mal wieder analoGe KontaKte zu Knüpfen:

MEDiENfoRuM.NRW 28.–30. JuNi 2010

mefo_AZ_Weltzeit_200x156.indd 1 15.01.2010 15:44:06 Uhr

Jede dritte Frau wird Opfer von Gewalt – unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Kultur. Frauen werden misshandelt, weil sie Frauen sind. Gegen solche Menschenrechtsverletzungen setzt sich Amnesty International ein. Häusliche Gewalt darf nicht ungeahndet bleiben. Unterstützen Sie uns dabei, öffentlichen Druck aufzubauen und Unrecht an-zuprangern. Mit Ihrer Unterschrift können Sie etwas verändern. www.amnesty.de/aktionen

Greifen Sie ein. Mit ihrer UnterSchrift.

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vorspann —3weltzeit 01_2010

04–05 nachrichten

06–13 titel»���Wir�sind�nicht�allein:��

Der�internationale�Medienmarkt»���Erik�Bettermann�im�Interview:�

„Eine�Frage�der�Zukunftsfähigkeit“»���China:�Milliarden�für�die�Soft-Power

14 schlaglichter

15 neue medien»��Google�und�die�perfekte�Welle

16-20 partner»��Afghanistan:�Bildungsprogramme�

und�Medienförderung

21 spot

22-23 partner»��Zypern:�Reif�für�die�Einheit

24-25 profil »�Deutschlandbild:�Elisabeth�Cadot»��Kultserie:�Die�Wahrheit…�

26-27 vor ort»��West�Virginia:�Berge�versetzen

28-29 innovation »�Projekt�Zukunft:�Neue�Verpackung

30-31 zoom »�Teilchenbeschleuniger:�Ingolf�Baur

Liebe Leserinnen und Leser,vor einigen Wochen wurde die Ausstrahlung von DW-Programmen über Hotbird 8 gezielt gestört. Der Satellit versorgt Europa, in der Peripherie auch den Mittleren Osten. Dort konnten wir den Verursacher lokalisieren: Die Störsignale kamen aus dem Iran und legten Fernseh- und Hörfunk-übertragungen lahm. Internetangebote – nicht nur der DW – werden von iranischer Seite ohne-hin immer wieder geblockt. Gängige Praxis auch für die Mächtigen in Peking. Allerdings wissen sich die Menschen bei staatlicher Zensur im Netz zu helfen. Über Umwege kommen sie zumeist doch zu den gewünschten Seiten. Die Regierenden in Teheran und Peking ken-nen die Macht internationaler Medien. Deshalb versuchen sie Anbieter wie die Deutsche Welle zu blockieren und setzen selbst vermehrt auf eine mediale Präsenz im Ausland. Vor allem China un-ternimmt große Anstrengungen, um insbesondere den etablierten Stimmen aus dem Westen eine eigene Sicht der Dinge entgegenzusetzen. Erst jüngst hat der chinesische Staatssender CCTV

zusätzlich zu seinem englischen noch ein ara-bisches und ein russisches TV-Programm gestar-tet. Der Iran hat aus demselben Grund Press TV lanciert, Fernsehen auf Englisch für die Welt. Immer mehr Kanäle buhlen auf allen Konti-nenten um die Gunst der Mediennutzer. Die Konkurrenz wächst unaufhaltsam. Und damit wächst auch der Druck für die DW. Die Entwicklung des internationalen Wettbe-werbs auf den Medienmärkten ist Schwerpunkt dieser weltzeit. Wie sich die Deutsche Welle in diesem Umfeld künftig behaupten will, erläutert Intendant Erik Bettermann im Interview. Ein zweiter Fokus dieser Ausgabe liegt auf Afghanistan. Dort produziert die DW das Bil-dungsprogramm „Learning by Ear“ und Trainer der DW-AKADMIE leisten, allen Rückschlägen zum Trotz, Aufbauhilfe für Partnersender. Au-ßerdem werfen wir einen Blick nach Zypern, wo Radio Mayis auf Versöhnung setzt. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.

Guido Baumhauer, Direktor Distribution

Impressum

Deutsche�WelleUnternehmenskommunikation53110 BonnT. 0228.429.2041F. [email protected]/presse

Verantwortlich: Dr.�Johannes�HoffmannRedaktion:�Berthold�Stevens�Gestaltung:�Lisa�Flanakin,�Marco�Siebertz,�Alexandra�SchottkaDruck:�Brandt�GmbH�·�Bonn

Fotos und Illustrationen:�Getty�Images�(Titel),�DW-Archiv�(3,�5,�23,�24,�28,�29,�30),��F.�Sieren�(4),�DW/M.�Müller��(4,�10,�19,�21),�A1PIX�(5),�DW/M.�Siebertz�(6,�8,�11,�12),�L.�Flanakin�(9),�DW/Z.�Tamanna�(16,�17,�18),��V.�Picmanova�(20),�DW/P.�Hen-riksen�(21),��DW/S.�Winand�(21),�M.�Hilbert�(21),�Bayreuther�Fest-spiele�GmbH/E.�Nawrath�(21),��E.�Scagnetti/GRANANGULAR/Bilderberg�(22),�picture�alliance�(24),�DW/L.�Scholtyssyk�(26,�27)

Anzeigen T.�0228.429.2043F.�[email protected]

Werbung im ProgrammT.�0228.429.3507F.�[email protected]

In dieser Ausgabe

Editorial

Jede dritte Frau wird Opfer von Gewalt – unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Kultur. Frauen werden misshandelt, weil sie Frauen sind. Gegen solche Menschenrechtsverletzungen setzt sich Amnesty International ein. Häusliche Gewalt darf nicht ungeahndet bleiben. Unterstützen Sie uns dabei, öffentlichen Druck aufzubauen und Unrecht an-zuprangern. Mit Ihrer Unterschrift können Sie etwas verändern. www.amnesty.de/aktionen

Greifen Sie ein. Mit ihrer UnterSchrift.

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4— nachrichten

Das Mauerstück ist eine Leihgabe, gestiftet von Friedel Drautzburg und Harald Grunert, Berliner Gastronomen mit Bonner Wurzeln. Das 3,8 Tonnen schwere und 3,60 Meter hohe Mahnmal gegen Krieg und Gewalt steht jetzt in der Nähe des Haupteingangs der DW-Zentrale. Es werde die Bonner künftig täglich daran erinnern, „dass uns Demokra-tie nicht geschenkt wird“, sagte Prof. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland.

Intendant Erik Bettermann erinnerte bei der Enthül-lung am 21. Dezember vor rund 100 Gästen daran, dass die Mauer „ein Bauwerk von Menschen gegen Menschen“ gewesen sei. Aufgabe der Medien sei es, die Mauern in den Köpfen zu überwinden.

Der Mauerfall habe Bonn viel Veränderung gebracht, so Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. Vieles sei

damals aus Bonn weggegangen. Andererseits verwies der OB auf Erfolgsgeschichten, „eine davon ist die der Deut-schen Welle“. Der Fall der Mauer habe mit Mut und En-gagement der Menschen in der damaligen DDR zu tun, so Hütter. Und dass man nun ein Berliner Mauerstück in Bonn enthüllen könne, habe schließlich „auch mit vielem zu tun, was im damaligen Bonn entschieden wurde und was in der Folge zum Fall der Mauer geführt hat“. ——Video unter: www.dw-world.de/euromaxx

Umzug nach Bonn Bonn – Ein Stück Berlin in Bonn: Die Bundesstadt am Rhein ziert ein Originalstück der Berliner Mauer, ge-staltet vom Aktions- und Umweltkünstler Ben Wagin. Ende Dezember wurde die Stele vor dem Funkhaus der Deutschen Welle enthüllt.

Talk aus PekingPeking/Berlin – Die Deutsche Welle hat ihr regionales TV-Angebot auf dem asiatischen Markt ausgeweitet. Seit Dezember ist die neue Reihe „Asia Talk“ zu sehen – auch als Video im Netz.

Buch zum Kosovo Bonn/Pristina – DW-Interviews mit dem in Paris lebenden albanischen Schriftsteller Ismail Kadare liegen als Buch vor. Mafia, Korruption und Pressefreiheit im Kosovo sind zentrale Themen, zu denen sich Kadare äußert.

Die halbstündige Sendung entsteht in einem Studio in Peking. Produzent und Moderator Frank Sieren spricht mit pro-minenten asiatischen und europäischen Experten aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Asia Talk wird wöchentlich auf Englisch und Deutsch ausgestrahlt. Asien-Experte Frank Sieren (42) ist Journalist und Buch-Autor (Der China-Code). Er lebt seit mehr als 15 Jahren in der chine-sischen Hauptstadt.

In der Auftaktsendung sprach Sieren mit Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder über das europäisch-asiatische Verhältnis und nicht zuletzt über die deutsch-chinesischen Beziehungen. Schröder hatte sich in seiner Amtszeit in besonderem Maß für den Aus-bau der deutsch-chinesischen Beziehungen stark gemacht. Weitere Gäste waren unter anderem der chinesische Deutschlandspe-zialist und frühere Botschafter Prof. Mei Zhaorong, der Dirigent und Pianist Justus Frantz, der Managementexperte und Un-ternehmensberater Fredmund Malik – und Uwe Kräuter, der Deutsche, der am längs-ten in China lebt. ——

Video unter www.dw-world.de/dw-tv

Mimoza Kelmendi vom Albanischen Programm hat die Interviews dokumen-tiert und das Ergebnis kürzlich in der Hauptstadt des Kosovo Pressevertretern vorgestellt. 17 Mal hat Kadare der DW zwischen 1995 und 2009 Rede und Ant-wort gestanden. Der mehrfach für den Li-teratur-Nobelpreis vorgeschlagene Autor nimmt zu einem weiten Themenspektrum Stellung. Er äußert sich zur Sicherheitslage im Kosovo, zum Krieg und dessen Folgen, zum wachsenden Einfluss der Mafia und zu Korruption. Er spricht über Meinungs- und Pressefreiheit in seiner Heimat und über die nationale Identität der Kosovo-Albaner.

01 Das Mauerstück wurde von Ben Wagin (vorne links) künstlerisch bearbei-

tet, hier mit (v. l.) Harald Grunert, OB Jürgen Nimptsch, Hans Walter Hütter, Erik

Bettermann und Friedel Drautzburg

02 Aus Asien für Asien: Frank Sieren (l.) im

Gespräch mit Justus Frantz02

01

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weltzeit 01_2010

Beethoven und das Land der Samba São Paulo/Bonn – Brasilien ist das diesjährige Partner-land für den Orchestercampus von Deutsche Welle und Beethovenfest Bonn. Eingeladen ist das Orchester „Sin-fônica Heliópolis“ aus São Paulo. Die jungen Musiker werden im Rahmen des Festivals im September 2010 in Bonn auftreten.

Eine Woche lang arbeiten sie mit namhaften Dirigenten und interpretieren im Rahmen des Festivals eine Auftragskomposi-tion der Deutschen Welle. Es wird das erste Auslandsgastspiel des Orchesters sein.

Viele der 75 Musiker im Alter von 15 bis 20 Jahren kommen aus den Favelas von São Paulo. Das Instituto Baccarelli, das die Musiker ausbildet, gehört zu den viel beachteten privaten Bil-dungsinstitutionen Brasiliens. Die Einrichtung fördert sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche – derzeit mehr als 350 Schülerinnen und Schüler.

Die Initiative der Deutschen Welle wird von Brasiliens bedeu-tendstem Klassik-Konzertveranstalter, der Stiftung „Mozarteum Brasileiro“, unterstützt. Die Stiftung wird gemeinsam mit der DW Konzerte des Orchesters in São Paulo ausrichten. Unter-stützt wird die Initiative außerdem vom Generalkonsulat und der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer.

Alljährlich lädt die DW ein Nachwuchsorchester zu einem Workshop im Rahmen des Beethovenfests nach Deutschland ein, 2009 war es das Orchester der Musikakademie Hanoi. ——

The BOBs 2010 und der Klimawandel Bonn – Der Wettbewerb läuft. Im Rahmen des internationalen Weblog-Awards der Deutschen Welle, The BOBs, gibt es in diesem Jahr einen Spezial-Preis zum Klimawandel.

nachrichten —5

Noch bis 14. Februar können Internet-nutzer Weblogs in elf Sprachen und sechs Fachkategorien vorschlagen. Allein für den Spezial-Preis für Weblogs und Pod-casts, die sich dem Thema Klimawandel widmen, waren bis Mitte Januar bereits hundert Vorschläge eingegangen.

Der Wettbewerb greift die rasanten Ent-wicklungen im Web 2.0 auf und bildet das breite Themenspektrum in der Vielfalt der Blogosphären ab. „Wir stoßen einen sprach-übergreifenden Dialog über diese Medien-form an“, erläutert Chefredakteur Marc Koch, verantwortlich für die Hörfunk- und Online-Angebote. Zugleich gehe es darum, Blogger in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit zu unterstützen.

Für Jurymitglied Ai Weiwei sind Web-logs „das effizienteste Instrument für Chinas Demokratie-Bewegung“. In einer Gesellschaft, in der grundlegende Mög-lichkeiten des individuellen Ausdrucks und der Teilhabe am politischen und sozi-alen Leben fehlten, böten Blogs „eine Art virtueller Demokratie“, sagt der in China lebende Künstler und Regimekritiker.

Der Fahrplan: Die Jury wählt aus den Vorschlägen die Finalisten aus. Vom 15. März bis 14. April werden die Gewinner ermittelt – über eine Online-Abstimmung und das Votum der Jury. Bekannt gegeben werden die besten Weblogs und Podcasts am 15. April auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin. Die Preisverleihung

erfolgt auf dem DEuTScHE WEllE GlOBAl MEDiA

FOruM im Juni 2010 in Bonn. Thema der dreitägigen Konferenz: Der Klimawandel und die Rolle der Medien. ——

www.thebobs.com

03 Weblogs zum Klimawandel: die Blogmap zeigt,

wo die vorgeschlagenen Blogs entstehen

03

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6— titel

Profil�erforderlich:�Das�Universum�der�

�international�präsenten�Medien�wird�bunter

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Wir sind nicht allein Immer mehr Auslandssender aus einer wachsenden Zahl von Staaten konkurrieren weltweit um die Mediennutzer. Die etablierten Institutionen müssen sich an neue geopolitische Bedingungen anpassen und ihre Strategien an der neuen Vielfalt des internationalen Medienangebots ausrichten. Dominik Ahrens mit einer Bestandsaufnahme.

titel —7weltzeit 01_2010

Wie umkämpft der heimische Medien-markt ist, wird einem deutschen Nutzer schnell bewusst: Wo man auch einschaltet, zu jeder Zeit buhlen Hunderte Fernseh- und Radio-programme sowie unzählige Internetangebote um die Aufmerksamkeit verschiedener – und identischer – Zielgruppen. Dass ein ähnlicher Andrang inzwischen auf den internationalen Märkten herrscht, ist weniger bekannt.

„Immer mehr Staaten haben ein Interesse daran, international mit eigenen Sendern prä-sent zu sein“, stellt Petra Schneider, Vertriebs-leiterin der Deutschen Welle in Bonn, fest. „In vielen Regionen konkurrieren nicht mehr nur die bekannten Global Player wie BBC und Voice of America mit der Deutschen Welle. Seit Mitte der Neunzigerjahre sind zahlreiche Sen-der neu gegründet, andere teils erheblich ausge-baut worden.“

Zu den wichtigsten neuen Mitspielern ge-hören France24, Russia Today, Euronews und Al Jazeera. Der TV-Nachrichtenkanal France24 sendet seit 2006 auf Französisch, Englisch und

teilweise Arabisch – mit einem Jahresbudget von 80 Millionen Euro. Das englischsprachige Fernsehprogramm von Russia Today und dessen arabischer Ableger Rusiya Al Yaum können seit 2005 nach eigenen Angaben von 200 Millio-nen Abonnenten in Europa, Nordamerika und Südafrika empfangen werden. Und der von 22 europäischen Rundfunkanstalten finanzierte Fernsehsender Euronews kündigte 2009 an, sein Angebot um die Sendesprachen Türkisch, Pol-nisch, Hindi und Mandarin zu erweitern.

Die Ausweitungen bestehender Sender zeugen von neuen geopolitischen Schwerpunkten. „Zum einen verzeichnen wir die Konzentration auf die aufstrebenden wirtschaftlichen Supermächte im asiatischen Raum, allen voran China und Indien. Ein weiteres Zentrum der weltweiten Aufmerk-samkeit ist der Nahe und Mittlere Osten“, so Petra Schneider. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des britischen und amerikanischen En-gagements im Ausland.

So startete der BBC World Service 2005 einen arabischsprachigen und 2009 einen persisch-

»Der Wettbewerbs-

druck ist enorm

gestiegen.«

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sprachigen TV-Kanal. Das Broadcasting Board of Gover-nors (BBG), das die Auslands-sender der USA zusammenfasst, begleitete den besonderen Einsatz der USA nach dem 11. September mit dem Hörfunksender Farda und dem Persian News Network auf Persisch sowie mit Radio Sawa und dem TV-Sender Al Hurra auf Arabisch. 2002 be-ziehungsweise 2004 ins Leben gerufen, sind Sawa und Al Hurra unter dem Dach des Middle East Broadcasting Network zusammengefasst und ver-fügen über ein Jahresbudget von 91,7 Millionen US-Dollar.

Zwölf Stunden Arabisch Auch die Deutsche Welle hat der wachsenden Bedeutung des arabischen Raums Rechnung getragen – 2002 ging DW-TV Arabisch auf Sendung. Das Angebot wurde kontinuierlich ausgebaut. Heute können die Menschen zwi-schen Marokko und Saudi Arabien täglich zwölf Stunden arabisches TV-Programm aus Berlin empfangen, ergänzt um Sendungen in englischer Sprache. Zugleich hat die DW das Hörfunk-programm ausgeweitet und ein umfassendes Internet-Angebot in arabischer Sprache gestartet.

„Die Digitalisierung und der damit verbun-dene dynamische Wandel in der Mediennutzung zeigen auch, dass der klassische Rundfunk an Bedeutung einbüßt“, so Schneiders Einschät-zung. „Durch das Internet sind Medienangebote zunehmend weltweit verfügbar. Das ist für in-ternationale Anbieter wie die DW Chance und Herausforderung zugleich.“

Broadcaster rund um den Globus fragen sich, wie die zunehmend fragmentierte Aufmerksam-keit des Publikums zurückgewonnen werden kann. Die Zielgruppe dort erreichen, wo sie an-gesprochen werden kann, lautet die Antwort.

Denn natürlich werden auch die Wettbe-werber der DW vom Umbruch der gesamten Medien landschaft erfasst: Die Digitalisierung von Produktion und Übertragung und allem voran das Internet, das in vielen Märkten starkes Wachstum verbuchen kann, zwingen alle Anbie-ter zum Umdenken.

Dabei sind es besonders die etablierten Auslandssender, die ihre neuen Aufga-ben nur durch massive Ein-schnitte und Umschichtungen in anderen Bereichen wahrnehmen können. Oftmals geht es darum, eine Senderstruktur, die zu Zeiten des Kalten Krieges und ausschließlich für das Radio entworfen wurde, an die Welt nach dem 11. September und der Online-Revolution anzupassen. Radio France Interna-tionale (RFI) hat 2009 fünf Radioredaktionen aufgelöst, darunter die deutsche. Die BBC stellte binnen drei Jahren elf Fremdsprachenangebote ein, vor allem solche für den südosteuropäischen Raum. Die DW musste aufgrund von Budget-kürzungen zwischen 1998 und 2000 zehn Sprachprogramme einstellen, die via Kurzwelle verbreitet wurden, darunter Schwedisch, Unga-risch und Tschechisch.

Multimediale Ausrichtung „Der Wettbewerbsdruck ist enorm gestiegen“, so Petra Schneider. „Die DW konkurriert in den Medien märkten heute mit einer Vielzahl inter-nationaler, auch nationaler Informationsanbieter. Allein in Europa hat sich seit 2005 die Zahl der Nachrichtenkanäle auf über 160 verdop-pelt. Um in diesem Umfeld zu bestehen, setzen die Anbieter zunehmend auf Regionalisierung und Spartenkanäle und auf die ganze Palette neuer Verbreitungswege – darunter auch mobile Angebote.

Welches Potenzial diese Neuorientierungen besitzen, lässt sich am besten an den Abruf-zahlen der Onlineseiten ablesen, die neben den Fernsehangeboten das stärkste Wachstum

8— titel

Die Zahl der Fernsehsender und Multika-

nal-Plattformen in Europa ist 2009

weiter gestiegen. Ende des Jahres

waren in der Eu 7.200 Sender on

air. in den vergangenen zwölf Mo-

naten wurden 245 Sender gegrün-

det, im selben Zeitraum haben 220

ihren Betrieb eingestellt, knapp

die Hälfte davon spanische lo-

kalkanäle. Nach informationen der

Europäischen Audiovisuellen in-

formationsstelle finden sich unter

den neuen Kanälen vor allem Pro-

gramme von öffentlich-rechtlichen

Sendern, die via DVB-T starteten,

sowie 150 neue Spartenkanäle und

lokalsender, die über Kabel, Satel-

lit und internet ausgestrahlt wer-

den. Die meisten Fernsehsender

gibt es in Großbritannien (1.033

Programme), gefolgt von italien

(388) und Frank reich (297).

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verzeichnen. Besonders während

des Gaza-Konflikts im Januar 2009 und während der Unruhen im Umfeld der iranischen Präsidentschaftswahlen zeigten die vermehrten Zugriffe auf die Seiten der DW (www.dw-world.de) und der BBC, dass die Menschen in der Region die Angebote der Aus-landssender gezielt als Alternative oder Refe-renzquelle zur lokalen Berichterstattung nutzen. Gleichzeitig verbuchte die BBC 2008/2009 einen deutlichen Rückgang der Radiohörer im Iran, was den Wandel zu bestätigen scheint.

Über die digitale Revolution hinaus hat ein weiterer Faktor die weltweite Medienlandschaft nachhaltig verändert: Die Vermittlung einer bestimmten Perspektive verläuft nicht mehr ein-seitig von West nach Ost oder Nord nach Süd. Bereits 1996 ist Al Jazeera auf den Plan getreten, ein arabischer Sender, der ausdrücklich das Ziel verfolgt, der westlichen Berichterstattung eine Alternative entgegenzuhalten – auch in den Ländern der westlichen Welt. Inzwischen ist die private Sendergruppe mit einem geschätzten Etat von 150 Millionen US-Dollar weltweit über Sa-tellit und Kabel empfangbar. Doch auch der ver-meintliche Shooting-Star steht inzwischen unter Budget-Druck und muss sein Geschäftsmodell überdenken.

Asien und Lateinamerika Vor demselben Hintergrund ist auch der Aus-bau des chinesischen Staatsfernsehens CCTV zu sehen. In der Vergangenheit nur Zielgebiet west-licher Auslandssender, auch der DW, geht China mit eigenen Sendern in die Offensive (siehe Seite 12/13).

Als nächste um-kämpfte Region zeichnet sich bereits Lateinamerika ab. Hier ist Russia Today seit Dezember 2009 mit einem spanischen Kanal prä-sent, weitere internationale Broadcaster

wollen ihr Engagement ausbauen.„Die Zeiten, in denen die internatio-

nalen Anbieter ein Monopol auf unabhängige Informationen hatten, sind in vielen Märkten vorbei“, so die Vertriebsleiterin der DW. „Doch das bedeutet in keinem Fall, dass wir nicht mehr gebraucht werden. Dabei muss die DW vor allem ihre Nähe zur Zielregion und ihre inhaltliche Relevanz für die Zielgruppen beweisen. Das wird von unseren Partnern immer mehr einge-fordert.“ Größere Flexibilität bei der multime-dialen Umsetzung von Themen und ein präziser Zuschnitt der Angebote auf die DW-Zielgruppe der Informationssuchenden seien wichtige Vo-raussetzungen dafür. Nur so werde sich die Deutsche Welle auch in Zukunft als unverkenn-bare, verlässliche Stimme von den Mitbewerbern deutlich abheben. ——

titel —9

Internet

TV

Radio

Medien- und Sprachenangebot wichtiger DW-Mitbewerber

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10— titel

01 „Deutschland� muss� wissen,�

ob�es�in�seiner�medialen�Außendar-

stellung� in� der� Regionalliga� oder�

in� der� Champions� League� spielen�

will“:�Erik�Bettermann

? Jahresbeginn ist die Zeit für gute Vor-sätze. Was möchten Sie als Intendant

der Deutschen Welle 2010 für Ihren Sender erreichen? Deutschland muss in der Welt stärker präsent sein. Unser Land muss ein Interesse daran haben, seine Perspektiven und Positionen zu verbrei-ten. Deutschlands Partner weltweit schauen auf unser Land, wollen wissen, wie wir zu wichtigen internationalen Themen und Entwicklungen stehen – ob Klimawandel oder Finanzkrise, Nahost-Konflikt oder Afghanistan. Deutschland genießt als neutraler Mittler hohes Ansehen. Das ist ein Wert, den wir nicht hoch genug ver-anschlagen können. Dafür müssen wir unsere mediale Stimme stärken. In unserer Außendar-stellung geht es vor allem um die Vermittlung

der Werte und Perspektiven, für die Deutschland steht, um Dialog und Aspekte der Entwick-lungszusammenarbeit und um die Förderung der deutschen Sprache und Kultur. Um die weltwei-te Medienpräsenz Deutschlands zu verbessern, brauchen wir eine breite Allianz. Vom Auslands-sender profitieren alle. Insofern sollten sich auch alle einbringen. Diese Diskussion muss jetzt auf die Tagesordnung.

? Sie wollen ausgesprochen dicke Bretter bohren – warum?

Weil es für unser Land eine Frage der Zukunfts-f ähigkeit ist. Die Globalisierung wird an Dyna-mik noch zunehmen – auch im Mediensektor. Die Vielfalt wird größer, der Wettbewerb här-ter. Immer mehr Nationen entdecken die Kraft des Auslandsrundfunks und bauen ihre Medi-enangebote aus. Schauen Sie auf Russland mit Russia Today, auf Chinas Offensive mit CCTV auf Englisch oder Press TV aus dem Iran. Dies unterstreicht die politische Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit anderen Werte-systemen. Und selbst in Paris und in Washing-ton wird die Welt mit anderen Augen gesehen, sind andere Interessen im Spiel. Das bedeutet: Nur wir selbst können unser Land vertreten. Nur mit einer medial klar vermittelten Position wird Deutschland in einer globalisierten Welt wirtschaftlich, politisch und kulturell wahrge-nommen.

? Müssen wir uns somit im Wettbewerb international präsenter Medien noch

stärker zu Wort melden?Das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist viel-sagend, wenn kürzlich in der ZEIT der promi-nente Londoner Zeitschriften-Entwickler Tyler Brûlé ein wesentlich stärkeres Engagement der Bundesregierung gefordert hat. Nur so könne

„Eine Frage der Zukunftsfähigkeit“Bonn/Berlin – Die Konkurrenz rüstet auf. Was setzt Deutschland dagegen? Die Außen-darstellung muss verstärkt werden, sagt Erik Bettermann. Fragen zur Zukunft der welt-weiten Medienpräsenz Deutschlands an den DW-Intendanten.

01

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weltzeit 01_2010 titel —11

die Deutsche Welle, so Tyler wörtlich, in diesem Spiel international richtig mitmischen. 20 Jahre nach der Einheit muss Deutschland wissen, ob es in seiner medialen Außendarstellung in der Regionalliga oder in der Champions League spielen will.

? Wie intensiv soll die Zusammenarbeit mit Landesrundfunkanstalten und ZDF

nach Ihren Vorstellungen werden?Bereits heute gibt es auf vielen Ebenen eine enge und gut funktionierende Zusammenarbeit. Sie basiert auf dem Prinzip des Gebens und Neh-mens. Im Hörfunk sind wir beispielsweise Teil des ARD-Programmaustauschs. Unser Fern-sehen kann auf Angebote der ARD-Landes-rundfunkanstalten und des ZDF zurückgreifen, um einzelne Beiträge oder ganze Sen-dungen in Rio, Singapur oder Kapstadt zu zeigen. Damit können wir insbe-sondere das fremdsprachige Programm attraktiver ge-stalten und das Profil der Deutschen Welle schärfen. Diese Kooperation will ich noch ausbauen. Die ARD-Intendanten haben eine Ar-beitsgruppe gebildet, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Ihr gehören SWR-Intendant Peter Boudgoust als ARD-Vorsitzender, die Intendantin des WDR, Monika Piel, NDR-Inten-dant Lutz Marmor und ich an. Ein-beziehen in diesen Prozess werden wir selbstverständlich den Intendanten des ZDF, Markus Schächter, und Willi Steul vom Deutschlandradio.

? Wie sieht der weitere Fahrplan aus? Zunächst einmal wird es in den Gremien

der DW, in Rundfunk- und Verwaltungsrat, die Debatte über unsere Aufgabenplanung geben. Wir werden sie voraussichtlich Ende März dem Bundestagspräsidenten überreichen, das ist der Startschuss. Mein Ziel ist es, dass wir spätestens 2012 zu einem politischen Konsens kommen. Dann soll es auf breiter Basis eine gemeinsame Verantwortung für die mediale Visitenkarte Deutschlands geben. ——

»Wir brauchen

eine breite

Allianz.«

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„Wer einmal gestrauchelt ist, ist klüger“, sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Deshalb zieht China mit großem Engagement die Lehren aus dem PR-Desaster 2008: Unter dem Motto „Eine Welt – ein Traum“ sollte das olympische China die Welt verzaubern. Doch der Sommer-traum wurde durch Unruhen in Tibet und eine Menschenrechtsdebatte rund um den Sport zu einem medialen Alptraum für die Pekinger Führung. Die kritische Berichterstattung der westlichen Medien wurde in China als „ein-seitig und unfair“ angesehen.

Aus diesem Imageschaden hat das Reich der Mitte die Konsequenzen gezogen: Schätzungsweise 45 Milliarden Yuan, rund 4,5 Milliarden Euro, lässt sich Pe-king eine neue PR-Offensive kosten. Parallel zur Eröffnung weiterer Konfu-zius-Institute zur Förderung der chine-sischen Kultur und Sprache im Ausland – bis Oktober 2009 waren es 282 in 87 Ländern und Regionen – startete die chi-nesische Regierung eine Medien-Offensive,

um die „Soft-Power“ zu steigern.

Kulturfrühling gegen Wirtschaftswinter „Medien entscheiden über Einfluss“, schrieb

Zhu Hong, Sprecher der „State Administration of Radio, Film and

Television

12— titel

Milliarden für die Soft-PowerPeking – Chinas Führung legt sich mächtig ins Zeug, wenn es um die mediale Außendar-stellung der Volksrepublik geht. Xiaoying Zhang stellt die Medien-Offensive Pekings vor.

Konkurrenz und Kooperation schließen�sich�nicht�aus.�Insbesondere�dann,�wenn�zwei�Unternehmen�die�gleichen�Ziele�

haben�und�die�gleichen�Werte�vertreten.�So�lässt�sich�beispielsweise�ein�Mehrwert�er-

zielen�beim�Testen�neuer�technischer�Möglichkeiten.�

Auch�die�Deutsche�Welle�wirkt�in�Rundfunkverbänden�auf�allen�Kontinenten�aktiv�mit.�

Dort�trifft�sie�auf�zahlreiche�internationale�Sender,�die�Mitglied�oder�assoziiertes�Mit-

glied�sind.�Darüber�hinaus�kooperiert�die�Deutsche�Welle�bilateral�und�multilateral�mit�

europäischen�Mitbewerbern,�die�weltweit�agieren.�Regelmäßig�treffen�sich�seit�Jahren�

die�Intendanten�der�großen�internationalen�Sender�BBC,�Voice�of�America,�Radio�France�

Internationale�(RFI),�Radio�Netherlands�Worldwide�(RNW)�und�DW.�Seit�2007�wird�das�

jährliche�Spitzentreffen�von�einer�gemeinsamen�medienpolitischen�Abschlusserklärung�

gekrönt.�Dabei�geht�es�um�Meinungs-,�Informations-�und�Pressefreiheit,�ebenso�um�den�

Dialog�der�Kulturen�und�den�Austausch�von�Meinungen�und�Ideen.

Die Digitalisierung bietet�den�internationalen�Sendern,�die�traditionell�Programm�über�Kurzwelle�ausstrah-

len,�neue�Möglichkeiten.�Digital�Radio�Mondiale�(DRM)��beispielsweise�ist�ein�weltwei-

ter�und�offener�Standard�für�digitalen�Rundfunk�auf�der�Lang-,�Mittel-�und�Kurzwelle.�

Mit�DRM�können�sowohl�Hörfunk�als�auch�Daten�übertragen�werden.�DRM�bietet�Radio�

nahezu� in� UKW-Empfangsqualität.� DW� und� BBC� bestücken� seit� Dezember� 2008� einen�

01 „Wir� müssen� die� zen-

tralen� Medienorgane�

zu� einflussreichen� und�

weltweit� erstklassigen�

Medienunternehmen� ent-

wickeln“:� Zhu� Hong� von� der�

�chinesischen�Medienaufsicht

01

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titel —13weltzeit 01_2010

(SARFT)“, der Medienaufsicht, im November 2009 auf der offiziellen chinesischen Website china.com.cn. „Wir müssen die Chancen der globalen Finanzkrise ergreifen, um die zentra-len Medienorgane wie Radio und Fernsehen zu multimedialen, multilingualen, einflussreichen und weltweit erstklassigen Medienunterneh-men zu entwickeln“, so Zhu Hong in seinem Beitrag mit dem Titel „Kulturfrühling gegen Wirtschaftswinter“. Zu den genannten zentralen Medienorganen gehören der chinesische Aus-landsrundfunk China Radio International, der Nationale Radiosender China National Radio und China Central Television (CCTV).

Anders als die durch die Finanzkrise ange-schlagenen westlichen Medienkonzerne hat beispielsweise CCTV 2009 über die bereits bestehenden englischen und französischen Pro-gramme hinaus ein 24-stündiges russisches und ein arabisches Programm gestartet. Das erklärte Ziel der Chinesen: Das Angebot soll binnen drei Jahren auf sieben Sprachen und elf Kanäle erweitert werden.

Auch Printmedien wie das für seine natio-nalistische Berichterstattung bekannte Blatt Global Times und die Parteizeitschrift Qiushi (Suche nach der Wahrheit) erscheinen neuer-dings auch in englischer Auflage. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua liefert

Nachrichten

aus chinesischer Sicht in sechs Sprachen, sie bie-tet Videos auf ihrer Website an und rüstet sich für mobile Nachrichten-Services.

Expansion statt Pressefreiheit Zu den Maßnahmen der Professionalisierung gehört auch, bekannte Moderatoren und Journa-listen von anderen Sendern abzuwerben – etwa von BBC News und ABC in Australien.

Auch in der Medienpolitik will China neben den Großen der Welt stehen. Im Oktober 2009 lud Xinhua in Zusammenarbeit mit AP, Reu-ters, BBC Global News, News Corporation, Google und anderen Vertretern von 135 interna-tionalen Medienorganisationen zu einem Welt-Medien-Gipfel nach Peking ein. Man wollte sich über die Herausforderungen und Möglichkeiten des digitalen Zeitalters austauschen. Der kleinste gemeinsame Nenner dieses west-östlichen Me-dientreffens fand sich dann in der Abschluss-erklärung mit dem Aufruf zu einer „akkuraten, objektiven, unvoreingenommen und fairen“ Berichterstattung.

Von Pressefreiheit war explizit nicht die Rede. Für sie war wohl zwischen den Expan-sionsinteressen der westlichen Medien und der Imagepflege Pekings leider wieder einmal kein Platz. ——

�gemeinsamen�DRM-Kanal.�Dieser�bietet�einen�Programm-Mix�mit�Weltnachrichten,�Ana-

lysen,�Reportagen�und�Hintergrundberichten,�Kultur�und�Sport.�Das�Angebot�richtet�sich�

an�Hörerinnen�und�Hörer�in�West-�und�Zentraleuropa.�

Im�technischen�Bereich�geht�es�vor�allem�um�Sendezeitentausch,�um�die�Reichweite�des�

eigenen�Programms�zu�erhöhen.�So�strahlt�RFI�seit�Anfang�2006�Französisches�und�Rus-

sisches�Programm�über�die�von�der�DW�angemietete�Mittelwellenfrequenz�in�Sankt�Pe-

tersburg�aus.�Im�Gegenzug�sendet�die�DW�seit�April�2007�Arabisches��Programm�in�Nord-

afrika�und�im�Nahen�und�Mittleren�Osten�über�UKW-Stationen�von�Radio�Monte�Carlo�Dou-

aliya�(MCD),�das�zur�RFI-Gruppe�gehört.�Die�DW�nutzt�ebenfalls�die�UKW-Statio�nen�von�

RFI�in�Eriwan�und�Tiflis�für�die�Ausstrahlung�des�Russischen�und�Deutschen�Programms.

Auch Koproduktionen mit� nationalen� Partnersendern� –� die� als� „Platzhirsche“� im� jeweiligen� Medienmarkt�

ebenso�zu�den�Mitbewerbern�zählen�–�können�eine�Win-Win-Situation�schaffen.�So�pro-

duziert�DW-TV�beispielsweise�mit�dem�ägyptischen�Staatssender�ERTU�die�monatliche�

Talkshow�„Jugend�ohne�Grenzen“,�die�abwechselnd�in�Kairo�und�Berlin�produziert�und�

von�beiden�Sendern�ausgestrahlt�wird.�Gemeinsame�Talkformate�gibt�es�auch�mit�natio-

nalen�Sendern�in�Algier�und�Rabat.�

Adelheid�Feilcke

Page 14: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

14— schlaglichter

Radio der Zukunft

Die Deutsche Welle ist Partner des

neuen, bundesweit einzigartigen

Weiterbildungsstudiengangs „Online

radio“ (M.A.) an der Martin-luther-

universität Halle-Wittenberg (Mlu).

Der Masterstudiengang wird im Herbst

2010 starten und richtet sich an

Hochschulabsolventen mit Berufser-

fahrung im Medienbereich. Er entsteht

im Verbund zwischen der Mlu und

weiteren Hochschulen. Partner ist

auch der Mitteldeutsche rundfunk.

Hintergrund ist der Wandel des radio-

sektors durch die Digitalisierung, die

neue Anforderungen an Journalisten,

Planer und Führungskräfte stellt.

Die lehre erfolgt in großen Teilen

onlinegestützt, damit der Studiengang

auch berufsbegleitend innerhalb von

zwei Jahren absolviert werden kann.

www.onlineradiomaster.de

DRadio Wissen mit DWDie DW ist einer der öffentlich-recht-

lichen Kooperationspartner aus dem

in- und Ausland von „Dradio Wissen“,

dem neuen, digitalen Wissenspro-

gramm des Deutschlandradios. Es

ist seit 18. Januar auf Sendung. Die

DW steuert das Bildungsprogramm

„Studi-DW“, die Sendung „Wissen-

schaft“ sowie „Fokus“ mit Beiträgen

aus unterschiedlichen Weltregionen

bei. Dradio Wissen wird ausschließ-

lich digital verbreitet, es ist im

internet sowie über Kabel und Satellit

zu empfangen. Kernzielgruppe sind

junge Erwachsene.

http://wissen.dradio.de�

Internet-Trends 2010 Nutzer im Web schätzen die

unmittelbarkeit. Ob Twitter oder

Facebook – Kommunikation erfolgt

hier in Echtzeit. Dieser Trend wird sich

Experten zufolge 2010 noch verstär-

ken. Mit den GPS-chips in modernen

Handys werden außerdem ortsbe-

zogene Webdienste noch wichtiger.

Der Nutzer will offenbar wissen, wo

seine Freunde gerade sind, und dies

auch in Netzwerken angezeigt sehen.

Zu den wichtigen Vokabeln für 2010

zählt demnach „cloud computing“:

Dabei liegen Daten nicht mehr auf dem

heimischen rechner, sondern sind im

Netz gespeichert, wo sie auf großen

Servern bearbeitet werden können.

Portale von gesternDeutsche Web-Portale wie T-Online

oder Web.de haben zwar immer

noch eine große reichweite unter

den deutschen internetnutzern.

Aber ihr Anteil an der gesamten im

internet verbrachten Zeit ist zwischen

August 2008 und Oktober 2009 von

27,5 auf 22,2 Prozent gefallen, hat

das Marktforschungsunternehmen

comscore ermittelt. ihre Funktion

als Eingangstor ins Web, gestützt von

der E-Mail, der beherrschenden Kom-

munikationsform, wackelt. Abgelöst

werden sie von Sozialen Netzwerken

und instant Messengern.

Tablet statt E-Book Sie wurden als Zukunft der Bücher

beschrieben und könnten doch nur

eine randnotiz der Technikgeschichte

werden: E-reader wie der Kindle

von Amazon. Mit klobigem Design

und Graustufen-Bildschirm könnten

die Geräte schon bald von einem

neuen Typus verdrängt werden:

in Expertenkreisen munkelt man,

Vorreiter Apple werde in Kürze einen

ultraflachen Tablet-computer auf

den Markt bringen. Dieser könnte die

Mobilität der E-reader mit echten

Multimedia-Fähigkeiten verbinden und

den Markt der elektronischen Bücher

übernehmen.

Wikipedia von morgenin weniger als neun Jahren hat die

Wikipedia-Gemeinde über 14 Millionen

Artikel in 200 Sprachen angesammelt.

Allein die deutsche Wikipedia zählt

annähernd eine Million Artikel. Doch

jetzt stößt das populäre lexikon

offenbar an seine Grenzen. Die

naheliegenden, unstrittigen Themen

sind abgehandelt. Autoren treibt die

Frage um, was noch „relevant“ ist.

Neulinge schreckt das komplizierte

regelwerk ab.

iPhone-App für LeWebDie „iPhone developer conference“ in

Köln hat es vorgemacht: Auf der Ent-

wickler- und Business-Konferenz für

das iPhone und den iPod touch trafen

sich zwar nur etwa 200 Teilnehmer.

Trotzdem gab es ein eigenes kleines

Programm für das iPhone, das infor-

mationen über die Teilnehmer und den

Ablauf der Konferenz bereitstellte.

Auch die leWeb in Paris im Dezember

wartete mit einer eigenen App auf.

So können iPhone-user weltweit auf

ihrem mobilen Endgerät die Diskussion

über Video-livestream ansehen.

Twitter oder Twitterchenim Oktober 2009 waren es rund

185.000 aktive deutschsprachige

Accounts bei Twitter, Accounts, die

mindestens einmal im Monat genutzt

wurden. Einen Monat später waren

es nur noch 175.000, fünf Prozent

weniger. Das monatliche Wachstum

schrumpft seit dem Sommer: im Juni

lag es noch bei 34 Prozent, im August

bei 22 Prozent und im September bei

sieben Prozent. Der Grund: Es melden

sich zwar nicht mehr Menschen als

bisher bei Twitter ab oder nutzen

ihren Account nicht mehr aktiv. Es

melden sich aber immer weniger

Menschen neu an.

Meist gesucht in 2009 Google hat wieder die Suchtrends

des Jahres veröffent licht: Bei den

deutschen Nutzern lagen 2009

Soziale Netzwerke im Trend. Zu den

meist gesuchten Begriffen gehörten

Michael Jackson, Abwrackprämie und

Schweinegrippe – deutlich dahinter:

die Bundestagswahl.

Page 15: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

weltzeit 01_2010

Die Hersteller trafen damals den Nerv der Angestellten, die zwischen Druckerschwärze und Stempelkissen ihr Handwerk gelernt hatten, ebenso wie die Befindlichkeiten der aufstre-benden Umweltbewegung. Der Computer war als Retter der Generation Waldsterben angetre-ten und kaum jemand störte sich daran, dass zu seinen unverzichtbaren Peripheriegeräten der Drucker zählte.

25 Jahre später ist – Computerrevolution und Internet zum Trotz – der Aktenstapel auf dem Schreibtisch nicht geschrumpft. Auch wenn die körperlose E-Mail Fax und Hauspost als das Mittel der Bürokommunikation verdrängt hat, ist die Zusammenarbeit im Grunde gleich geblieben: Projektdaten werden verschickt, geändert, geprüft und an den Absender zurück-geschickt, wo das Spiel in eine neue Runde geht. Und E-Mails werden millionenfach ausgedruckt, um dieses Hin und Her zu dokumentieren.

Kommuniziert wird abwechselnd, Antwort folgt auf Frage, Aktion auf Reaktion. Genau diese fundamentale Tatsache will der Internet-riese Google nun mit „Wave“ ändern, einer Software, die E-Mail und Instant Messenger verdrängen soll.

Das neue Motto lautet Gleichzeitigkeit: Zu einer Wave lassen sich beliebig viele Teilneh-mer einladen, die alle auf einem gemeinsamen Arbeitsfeld Nachrichten schreiben, Medien ein-fügen und Formatierungen vornehmen können. Diese neuen Elemente erscheinen in der Wave als umrandete und mit dem Namen des Ur-hebers versehene Sprechblasen, als sogenannte Blips. Auf den ersten Blick wirkt das Programm daher wie ein konventioneller Chat, in dem Satz auf Satz folgt. Doch anders als beim Chat sind einmal abgeschickte Nachrichten nicht statisch,

sondern kön-nen von jedem eingeladenen Nutzer verändert, ergänzt oder gelöscht werden. So erstellt man in einer Gruppe schnell ein komplexes Dokument oder feilt an kritischen Formulierungen.

Der Verlauf einer solchen Grup-penarbeit kann jederzeit noch einmal nachvollzogen werden, da Wave nicht nur den aktuellen Stand, sondern sämtliche Änderungen speichert. Mit einem Play-Button kann jeder Neuankömmling sich den gesamten Verlauf der Diskussion noch einmal abspielen lassen. Im Gegensatz zur E-Mail ist also zu jeder Nachricht der Kontext immer präsent.

Noch speichert Google die Waves auf seinen Servern – für sensible Daten, Firmenkom-munikation oder auch nur besonders private Unterhaltungen ist diese Form also denkbar ungeeignet. Doch der Internetriese hat einen Teil der Programmgrundlage bereits unter einer Open-Source- Lizenz zur Verfügung gestellt. Damit können Interessierte ihre eigenen Wave-Server aufbauen und sich damit von Google un-abhängig machen.

Seit vergangenen Herbst befindet sich der Dienst im offenen Beta-Stadium, was bedeutet, dass bisher nur eine begrenzte Anzahl Nutzer das System testen darf und der Hersteller den Funktionsumfang jederzeit ändern kann. Ob diese Neuerungen nun auch das papier-lose Büro Realität werden lassen, ist offen. Eines jedenfalls fordern die Beta-Tester im Hilfeforum schon vehement: eine Druck-funktion. ——

Die perfekte Welle?Als in den Achtzigerjahren die Personal Computer in die Büros einzogen, war die Marschrichtung klar: Das papierlose Büro werde in wenigen Jahren Rea-lität sein, versprachen Hersteller wie IBM und Apple vollmundig. Bringt nun Google Wave den Durchbruch? Dominik Ahrens ist eher skeptisch.

neue medien —15

Page 16: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

16— partner

Aufbauhilfe aus dem RadioKabul – Die Deutsche Welle startet die Bildungsprogramme der Reihe „Learning by Ear“ für Afghanistan: Hörspiele in Paschtu und Dari für junge Zielgruppen. Es geht insbeson-dere um Wiederaufbau und Demokratisierung. Produziert wird mit Partnern vor Ort, in Kabul mit dem Privatsender Ariana. Projektleiterin Shikiba Babori berichtet.

Es ist acht Uhr morgens. Die meisten Spre-cherinnen und Sprecher sind pünktlich im Aufnahmestudio im Kabuler Stadtviertel Share Nau eingetroffen. Aber auch heute müssen wir auf einige warten. Aus Sicherheitsgrün-den sind Straßen, die zu den Ministerien und Botschaften führen, gesperrt, dadurch ergeben sich Staus. Dann sind endlich alle da. „Sind alle Handys ausgeschaltet? Dann kann’s losgehen!“,

ruft Produktionsassistentin Nooria Muradi und schließt die Studiotür. Mit diesem Ritual beginnt drei Wochen lang jeder Tag der Produk-tion „Learning by Ear – Afghanistan“. Für 98 Radiosendungen auf Dari und Paschtu.

Für das Casting der afghanischen Sprecher hatten sich nach einem Aufruf über das Radio knapp 40 Interessierte beworben. 28 von ihnen wurden engagiert: Schüler, Abiturienten, Haus-

Die Medien in Afghanistan befinden�sich�zwischen�Liberalisierung�und�erneuter�Repression.�Seit�längerem�häufen�

sich�Versuche,�die�Medien�wieder�unter�engere�staatliche�Kontrolle�zu�bringen.�Nach�

dem�Sturz�der�Taliban�war�die�Medienlandschaft�in�Afghanistan�aufgeblüht,�Journalisten�

hatten�zunächst�große�Freiräume.�Aus�dem�Radio�„Sharia“�der�„Gotteskrieger“�wurde�

wieder�der�staatliche�Sender�Radio�Television�Afghanistan�(RTA),�der�neben�Nachrich-

ten�auch�wieder�Musikprogramme�ausstrahlte.�Rund�300�Zeitungen�entstanden,�14�er-

scheinen� täglich,� sowie�sieben�Nachrichtenagenturen,�darunter�die� landesweit�meist�

genutzte,�unabhängige�Nachrichtenagentur�„Pajwok“.�

In�den�vergangenen�Jahren�kamen�90�private�Radio-�und�20�TV-Anbieter�hinzu,�darunter�

große�Stationen�wie�Radio�Arman�und�Tolo�TV�(2004)�sowie�Ariana��Television�Network�

(2005),�die�westliche�TV-Formate�für�die�afghanische�Gesellschaft�adaptierten�und�sich�

großer�Beliebtheit�erfreuen.�In�Polit-Sendungen�auf�Tolo�müssen�sich�die��afghanischen�

Eliten�ungewohnt�harten� Interviewfragen�stellen.�Shows�wie�„Afghan�Star“�(eine�Art�

�afghanisches�„Deutschland�sucht�den�Superstar“),�orientalische�Hitparaden�im�MTV-Stil�

und�eine�Reihe�von�Bollywood-Serien�werden�nicht�nur�als�bloße�Unterhaltung,�sondern�

als�Ausdruck�einer�neuen�Freiheit�und�Weltläufigkeit�empfunden.�Private�Medien�treten�

selbstbewusst�auf,�haben�sich�als�Machtfaktor�etabliert.��Tolo-Chef�Saad�Mohseni�etwa�

01 Üben,�improvisieren,�vorberei-

ten�auf�eine�neue�Rolle:�Sumaya�Popal,�

eine�der�Sprecherinnen

01

Page 17: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

partner —17 weltzeit 01_2010

frauen, ein Polizist, ein Arzt. Nur wenige haben Erfahrungen als Sprecher, die meisten stehen zum ersten Mal vor einem Mikrofon.

Nur Ziauddin Saei, professioneller Schauspie-ler des ehemaligen afghanischen Nationalthea-ters, ist unter den Bewerbern ein „alter Hase“. Bei den anderen werden anfängliche Hem-mungen schon nach den ersten Proben über-wunden. Junge Frauen, die zum ersten Mal vor fremden Männern ihre Rolle sprechen müssen, gewinnen mehr und mehr Selbstbewusstsein.

Der Arbeitsrhythmus ist intensiv: Bis zu zehn Stunden täglich sprechen und spielen die Ak-teure – mal einen Drogenabhängigen, mal einen Kranken, einen Heiler oder eine alte Frau, die mit traditionellen Hausmitteln heilt. Sie wie-derholen die Sätze, bis die Betonung stimmt, und warten auf ihren nächsten Einsatz in einer neuen, völlig anderen Rolle. In den Pausen gibt es frischen grünen oder schwarzen Tee.

Spiegelbilder des Alltags In der Gruppe sind die traditionellen Geschlech-terrollen verteilt: Bereits zu Beginn war klar, dass die Frauen für das Essen zu sorgen haben. Sie scheuen keine Mühe und servieren täglich Reisgerichte mit Beilagen.

„Ist es nicht eine viel größere Schande, wenn du deine kranke Frau zu einem Arzt bringst?“, wird Abdul Ahad, der Polizist, in der Serie „Mädchen- und Frauenförderung“ gefragt, weil er seine Tochter nicht zur Schule lassen will. Wie sehr dieses Thema mit dem re-alen Alltag der Akteurinnen zu tun hat, kommt erst nach und nach zum Vorschein. Und die Hörspiele behandeln bei weitem nicht das ganze Ausmaß der Probleme afghanischer Frauen und Mädchen, den Druck und die Qualen, die sie tagtäglich ertragen müssen.

Bei einer Aufwärmübung bricht eine Ak-teurin plötzlich in Tränen aus. Die Anweisung,

lauter zu sprechen und selbstbewusst vor dem Mikrofon zu stehen, erschreckt sie derart, dass sie kaum zu beruhigen ist. Schließlich erfahren wir, dass ihre Mutter nach der Geburt ihrer jün-geren Schwester gestorben ist und sie von ihrer Stiefmutter regelmäßig brutal verprügelt und misshandelt wird.

Ein anderes Mädchen erscheint eines Morgens mit einer Platzwunde an der Schläfe und zahl-losen Blutergüssen an den Armen. Weil sie die ihr zugewiesenen Aufgaben im Haushalt nicht erledigt haben soll, wurde sie von ihren Vet-tern geschlagen. Direkte Hilfe lehnt sie ab, die würde alles nur schlimmer machen, sagt sie. Mit dem Schutz durch Behörden oder andere soziale Einrichtungen kann sie ohnehin nicht rechnen. Sollte sich ihre Situation nicht irgendwann bes-sern, sieht sie den Freitod als einzigen Ausweg.

Radio vorherrschendes Medium So wird deutlich, wie viele Themen in diesem Projekt noch behandelt werden müssen. Die erste Staffel soll die Hörer für die Probleme sen-sibilisieren. Jede der ersten fünf Serien, die hier produziert werden, ist ein in sich abgeschlossenes

02 Dialoge�zu�lebensnahen�The-

men:�Mohammad�Akbar�Azimy�und�

Monira�Sadat�im�Studio�beim�Partner�

Ariana�in�Kabul

hat�mit�der�„Mobi�Capital�Group“�ein�Medienimperium�aufgebaut,�zu�dem�Tolo�und�Radio�

Arman�gehören,�ebenso�eine�Produktionsfirma.�Und�die�paschtunische�Bevölkerung�er-

reicht�er�mit�dem�Sender�Lemar.�Ähnliches�gilt�für�Ariana�TV,�hinter�dem�die�mächtige�

Mobilfunkfirma�„Afghan�Wireless“�und�die�einflussreiche�Bayat-Foundation�stehen.

Das Mediengesetz ist�ein�neuralgischer�Punkt:�Im�Spätsommer�2006�ersetzte�Karsai�den�liberalen�Infor-

mationsminister�Said�Makhtoom�Raheen�durch�den�islamistischen�Abdelkarim��Khorram.�

Dadurch� kam� es� zu� politischen� Auseinandersetzungen� zwischen� dem� Parlament� auf�

der�einen,�Minister�und�Präsident�auf�der�anderen�Seite�um�ein�neues,�restriktiveres�

Medien�gesetz.�Khorram�wollte�die�Pressefreiheit�wieder�beschneiden,�die�unter��Raheen�

angestrebte�Unabhängigkeit�von�RTA�aufheben.�Das�Parlament�entschärfte�den�Entwurf�

–�das�Mediengesetz�ist�jedoch�bis�heute�nicht�in�Kraft�getreten.�Seit�wenigen�Wochen�

ist�nun�der�alte�Informationsminister�wieder�der�neue:�Raheen�wurde�als�Minister�vom�

Parlament�bestätigt.

02

Page 18: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

18— partner

Die DW-AKADEMIE beteiligt�sich�seit�2002�mit�Mitteln�des�Bundesministeriums�für�wirtschaftliche�Zusam-

menarbeit�und�Entwicklung�(BMZ)�und�des�Auswärtigen�Amts�und�mit�Hilfe�der�EU-Kom-

mission� am� Aufbau� freiheitlicher� Medienorganisationen� in� Afghanistan.� Ein� langfris-

tiges�Ziel:�der�Umbau�des�staatlichen�Senders�Radio�Television�Afghanistan� (RTA)� in�

eine�öffentlich-rechtliche�Anstalt.�In�einem�Großprojekt�von�Juni�2005�bis�Ende�2006�

unterstützte�die�DW�den�Aufbau�einer�internationalen�TV-Nachrichtenredaktion.�DW-TV�

produzierte�zunächst�Weltnachrichten�für�RTA�in�Dari�und�Paschtu�in�Berlin,�im�August�

2006�übernahm�RTA�dies�in�Eigenregie.�Im�Sommer�2007�konzentrierte�sich�die�DW�auf�

Medientrainings�im�Norden�des�Landes,�schulte�Techniker�von�RTA�und�Privatstationen,�

mit� denen�die�DW� �verstärkt� zusammenarbeitet.� 2008�wurden� junge�Redakteurinnen�

und�Redakteure�sowie��Inlandskorrespondenten�von�Ariana�TV�geschult.�Medienmana-

ger�von�Ariana,�Tolo�und�weiteren�privaten�Fernsehsendern�sowie�von�RTA�besuchten�

ein�Management-Seminar�in�Berlin�und�Bonn.�2009�hat�die�DW�afghanische�Radio-�und�

TV-Journalisten�in�Wahlberichterstattung�trainiert.�

Die Radioprogramme der�DW�in�den�Landessprachen�Dari�und�Paschtu�sind�seit�40�Jahren�in�Afghanistan�über�

Kurzwelle�zu�empfangen,�heute�auch�über�einen�eigenen�UKW-Sender�in�Kabul,�via�Sa-

tellit�und�als�Teil�des�ausgeweiteten�Internetauftritts.�Seit�2007�produziert�DW-RADIO�

täglich�ein�30-minütiges�Hörfunkmagazin�mit�Berichten,�Reportagen�und� Interviews�

zum�zivilen�Aufbau�Afghanistans.�

Florian�Weigand

Learning by Ear ist� eine� Initiative� der� Deutschen� Welle�

mit� Unterstützung� des� Auswärtigen�

Amts.� Das� Bildungsprogramm� wurde�

2008� zunächst� für� Afrika� gestartet.�

Dort� sind�Radionovelas,� Serien� in�Hör-

spielformat,� sehr� populär.� Die� Sen-

dungen�stoßen�vor�allem�bei�jungen�Hö-

rerinnen�und�Hörern�auf�großes�Interes-

se.�„Learning�by�Ear“�wird�gemeinsam�

mit� Partnern� vor� Ort� produziert� und�

ausgestrahlt.� Als� interaktives� Jugend-�

und� Themenradio� vermittelt� die� Reihe�

unterhaltsam�und� informativ�Bildungs-

inhalte�–�etwa�aus�den�Bereichen�Men-

schenrechte,� Gesundheit� und� Umwelt.�

In� der� Krisenregion� Afghanistan� geht�

es�vor�allem�um�Mädchenförderung�und�

Frauen� im� Beruf� sowie� die� Drogenpro-

blematik�im�Land.�Im�Bild:�Sumaya�Popal

(l.)�und�Mursal�Amin.

Hörspiel, in dem sich Jugendliche mit politischer Bildung, Mädchen- und Frauenförderung, Dro-gen, Gesundheit, Verständigung, Toleranz und weiteren Themen auseinandersetzen.

„Learning by Ear“ richtet sich in erster Linie an junge Menschen, die den Großteil der afgha-nischen Gesellschaft ausmachen. Das Projekt soll die vielfältigen Maßnahmen des internationalen Aufbauprozesses in Afghanistan unterstützen und zur Akzeptanz eines modernen, demokra-tischen Gesellschaftsmodells beitragen.

Rund 70 Prozent der Afghanen können weder lesen noch schreiben. Besonders hoch ist die Analphabetenquote unter Frauen und Mädchen. Deshalb ist das Radio in Afghanistan vorherr-schendes Medium. Die Hörspiele werden ein

wichtiger Bestandteil für die Weiterbildung der Gesellschaft.

Für Akteur Naweed Ahmad bietet das Projekt „Learning by Ear“ eine willkommene Gelegen-heit, angesprochene Themen mit Freunden oder innerhalb der Familie zu besprechen: „Gestern habe ich meiner Mutter eine Stelle im Manu-skript gezeigt und ihr gesagt, dass es nicht gut ist, wenn man blutsverwandt ist und innerhalb der Familie heiratet. Ich wusste das früher nicht. Au-ßerdem weiß ich jetzt: Zuerst werde ich meine Ausbildung zu Ende machen und dann erst ans Heiraten denken. Ich habe schon viel gelernt.“

Wie unbedeutend erscheint dagegen das all-morgendliche Ritual der Verspätungen. —— www.dw-world.de/learningbyear

Page 19: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

rückblende —19

? Herr Tecklenburg, wie haben Sie Kabul erlebt? Die Stadt ist fast nicht mehr wiederzuerkennen, sie ist eine

einzige Festung geworden: meterhohe Betonmauern, Stachel-draht, Panzer, unendlich viele Soldaten und Polizei. Was uns auch aufgefallen ist: Es sind kaum noch Frauen unterwegs, die Angst innerhalb der Bevölkerung ist größer geworden. Auch wir konn-ten uns – im Gegensatz zu 2005/2006 – aufgrund der prekären Sicherheitslage nicht frei bewegen. Die Situation insgesamt stellt sich bedrohlicher dar.

? Wie ist die Lage in der internationalen Nachrichten-redaktion von RTA, die Sie mit aufgebaut haben?

Das Redakteursteam, das wir ausgebildet hatten, ist leider er-heblich geschrumpft. Von 14 Redakteuren sind mittlerweile zwölf abgeworben worden – hauptsächlich von anderen Sendern in Afghanistan. Das ist bedauerlich. Aber das ist kein verlorenes Wissen, wir haben etwas für das Land getan. Die fünf Techniker und viele der Sprecher, die wir auch ausgebildet haben, sind noch dabei. Und die Räumlichkeiten und die Ausstattung, die wir ge-schaffen haben, sind noch intakt. Das technische Equipment lässt allerdings zu wünschen übrig.

? Wie steht es um die Qualität der Nachrichten? Die Qualität ist zurückgegangen, weil weniger Personal

vorhanden ist. Bis Ende 2007 wurden zweimal täglich zehn Mi-nuten jeweils in den Landessprachen Dari und Paschtu gesendet – Weltnachrichten auf qualitativ hohem Niveau aus afghanischer Perspektive. Mittlerweile gibt es drei Sendungen am Tag, ab-wechselnd eine Nachricht in Dari und eine Nachricht in Paschtu. Das ist natürlich bedauerlich, da die Hälfte der Zuschauer die jeweilige Nachricht nicht versteht. Wenn man nur noch zu zweit

oder dritt in der Redaktion ist, achtet auch kein Mensch mehr auf Text-Bild-Scheren. Es gibt auch keine festgelegte Dauer der internationalen Nachrichten mehr, sondern sie werden einfach an die nationalen Nachrichten angehängt. Der Wille im afgha-nischen Informationsministerium war nicht stark genug, die Sendung so zu erhalten, wie sie einmal war. Andererseits bin ich froh, dass es die Sendung überhaupt noch gibt.

? Wie sehen die afghanischen Kollegen die Situation? Sie sind alles andere als zufrieden und empfinden auch Scham,

dass man nicht aufrechterhalten konnte, was wir als Deutsche und Afghanen gemeinsam aufgebaut haben, dass die Sendung nicht mehr so aussieht, wie sie damals aussah. Wir haben nun gemein-sam insbesondere an der Textqualität der Nachrichten gearbeitet und konnten den afghanischen Kollegen wieder einige Dinge in Erinnerung rufen. Für die Kollegen bei RTA war unser Besuch auch ein Zeichen – sie haben große Hoffnung, jetzt wieder an das anzuknüpfen, was wir 2006 hinterlassen haben.

? Es ist also noch etwas zu retten?Wenn der geplante Umbau zu einem öffentlich-rechtlichen

Sender vorankommen könnte, zu einem Sender mit ein wenig mehr Staatsferne, der schlanker funktioniert, dann könnte man sehr wohl etwas machen. Die Journalisten, die wir ausgebildet haben und die sich mittlerweile anderweitig orientiert haben oder orientieren mussten, habe ich gefragt: Wollt ihr wieder bei RTA arbeiten, wenn es zu einem Umbau käme? Die Antwort: „Wenn die DW dabei ist, sofort. Und weil RTA unser nationaler Sender ist.“ Das ist eine ungemein wichtige Aussage, die die Verbunden-heit zu ihrem Heimatsender und zu uns, der DW, deutlich macht. Das war auch ein Kompliment für unsere Arbeit. ›

partner —19 weltzeit 01_2010

„Wir haben viele Freunde in Afghanistan“Kabul/Bonn – Trainer der Akademie der Deutschen Welle sind seit Jahren regelmäßig in Afghanistan im Einsatz. Sie unterstützen den staatlichen Afghanischen Rundfunk (RTA) ebenso wie private Partnersender. Michael Teck-lenburg war im Dezember im Rahmen der Medienförde-rung der DW nach drei Jahren erstmals wieder in Kabul. Dort hatte der Projektmanager mit seinem Team für die DW-AKADEMIE über ein Jahr lang eine internationale Nachrichtenredaktion aufgebaut. Kathrin Reinhardt sprach mit ihm.

Page 20: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

20— partner

? Schöpfen Sie Hoffnung, dass der Umbau von RTA durch den neuen Informationsminister wieder in Gang

gesetzt werden kann? Der neue Informationsminister Raheen war ja bereits vor einigen Jahren im Amt und hat seinerzeit unser Projekt unterstützt. Ich kenne ihn aus mehreren Gesprächen. Er gilt als liberal. Es wird unserem Projekt im Rahmen der Medienentwicklung und der journalistischen Arbeit nach halbwegs demokratischen Grundsät-zen sicherlich zum Vorteil gereichen, dass er jetzt wieder dieses Ministeramt bekleidet. Die EU wird möglicherweise den Umbau von RTA von einem staatlichen in einen öffentlich-rechtlichen Sender fördern, eine Voraussetzung ist allerdings ein adäquates afghanisches Mediengesetz. Das Gesetz gibt es zwar inzwischen, bis heute wurde es aber nicht umgesetzt. In jedem Fall wissen wir, dass das BMZ und das Auswärtige Amt unsere Medienent-wicklungsarbeit in Afghanistan weiter unterstützen wollen.

? Trotz aller Schwierigkeiten also insgesamt eine positive Zwischenbilanz?

Ja. Wir haben die afghanischen Kollegen in die Lage versetzt, erstmals in ihrer Fernsehgeschichte eine internationale Nach-richtensendung zu machen – eigenständig und mit eigenem Blick auf die Ereignisse der Welt. Was davon geblieben ist, müssen wir reaktivieren und wieder ausbauen. Wir haben durch unsere kontinuierliche Arbeit viele Unterstützer und Freunde in Afghanistan. ——

www.dw-akademie.de

Nicht aus LiebeKhaled Hosseini ist nach seinem

Bestseller „Drachenläufer“ ein

weiterer sehr ergreifender Roman

gelungen. In „Tausend strahlende

Sonnen“ erzählt er die Geschich-

te zweier Frauen in Afghanistan.

Kathrin Reinhardt hat das Buch

gelesen, das kürzlich als Taschen-

buch erschienen ist.

Alles beginnt 1959, als Mariam als uneheliche Tochter eines Kino­besitzers und einer Steinmetztochter nahe Herat auf die Welt kommt. Nach dem Selbstmord der Mutter wird Mariam als 15­Jährige von ihrem Vater verheiratet, an den 30 Jahre älteren Raschid. Fortan ist sie gefangen in einer Ehe ohne Liebe und Wärme. Zu Laila, die ihr Ehemann eines Tages zur Zweitfrau nimmt und die nun unter demselben Dach lebt, entwickelt sich nach anfänglicher Ablehnung im Lauf der Zeit eine enge Freundschaft und Verbunden­heit. Auch Laila hat sich diese Ehe nicht ausgesucht – nachdem ihre Familie bei einem Bombenangriff getötet wurde und auch ihr Freund Tarik angeblich nicht mehr am Leben ist, muss sie irgendwie überle­ben. Gemeinsam ertragen die beiden Frauen die Demütigungen und Angriffe ihres brutalen Ehemanns und schaffen es, sich gegenseitig Halt zu geben.Hosseini lebt seit 1980 in den USA. In seinem Roman verknüpft er die Schicksale zweier Frauen mit der bewegten Geschich­te seines Heimatlandes Afghanistan. Der Krieg gegen die Sowjets, die Herrschaft der Taliban, die Flucht vieler Afghanen, die Folgen des 11. September – all das lässt er einfließen, im Vordergrund steht jedoch das Leben der Protagonistinnen. Deren Gefühle und Gedanken beschreibt der Autor im De­tail und schafft zwei glaubwürdige Figuren, die sich mit großem Mut der Realität stellen. So kann er dem Leser den Alltag der Frauen in Afghanistan näher bringen. „Tausend strahlende Sonnen“ steht auch für Optimismus, für Lichtblicke, für menschliche Wärme, die bei all der Zerstörung und Not immer wie­der durchscheinen. Hosseini gelingt es, beim Leser verschiedene Emo­tionen hervorzurufen – von Erschrecken und Mitleid über Hoffnung und Resignation bis hin zu Freude und Ergriffenheit.

Tausend�strahlende�Sonnen�–�Khaled��Hosseini�–�Berliner�Taschenbuch�Verlag,�

2009�–�ISBN�978-3-8333-0589-4�–�10,90�Euro�

B u c h t i p p

01-02 Mit�eigenem�Blick�

auf�die�Ereignisse�der�Welt:�Nach-

richtenredaktion�bei�RTA�in�Kabul

01

02

Page 21: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

weltzeit 01_2010

„Ein Zeichen der Schwäche“Bonn – Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, besuchte kürzlich die Farsi-Redaktion der Deutschen Welle. Im Gespräch mit Leiter Jamsheed Faroughi informierte sich Hoyer über Einschät-zungen zur aktuellen Lage im Iran. Im DW-Studio sagte der FDP-Politiker anschließend, die Verschär-fung des Tons durch die iranische Führung sei „ein Zeichen der Schwäche und nicht der Stärke und Souveränität“. Die jüngsten Behinderungen der Satellitenausstrahlung von Programmen der DW in den Iran nannte Hoyer „eine katastrophale Einschränkung der Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger des Iran“. Aus Sicht der Machthaber in Teheran sei dies „ausgesprochen kurzsichtig“.

Wirtschaftsmagazin für Syriens TV Damaskus/Berlin – Die DW-AKADEMIE hat gemeinsam mit dem staatlichen Rundfunksender Syriens (SRTV) ein Konzept für ein TV-Wirtschaftsmagazin entwickelt. Damit verbunden war auch der Aufbau neuer Redaktionsstrukturen und die Schulung von SRTV-Mitarbeitern durch Trainer der DW. Seit Dezember ist die halbstündige Sendung „Mal wa Amal“ („Geld und Hoffnung“) alle zwei Wochen zu sehen. Das verbrauchernahe Magazin vermittelt komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf das tägliche Leben in Syrien. Hintergrund ist der Wandel von der Staats-wirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft.

Bildungsinitiative PASCH multimedial Bonn – In Radio und Internet begleitet die Deutsche Welle die Bildungsinitiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH), 2008 vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufen. Mit Hilfe von PASCH soll ein weltweites Netz von Partnerschulen entstehen, die die deutsche Sprache fördern und Bildungsimpulse vor Ort geben. In Reportagen – aus Kasachstan, Bosnien, der Ukraine, Russland und Kroatien – und mit multimedialer Begleitung macht die DW deutlich, welche herausragende Rolle Sprachkenntnisse und Bildung gerade dort spielen, wo Gesellschaften im Umbruch sind. Umgesetzt wurde das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. www.dw-world.de/pasch, www.pasch-net.de

Wagner und Beethoven in Moskau und Wolgograd Moskau/Bonn – Zu Weihnachten wurde in Russland erstmals eine Gesamtaufnahme von den Bayreuther Festspielen ausgestrahlt. Der landesweite Klassiksender Radio Orpheus übernahm die Produktion der Deutschen Welle. Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“, aufgenommen bei den Bayreuther Festspielen 2009, waren so über UKW in Moskau, St. Petersburg und einem Dutzend anderer russischer Großstädte, darunter Jekaterinburg und Wolgograd, und als Livestream im Internet zu hören. Mit dem Zyklus der neun Beethoven-Sinfonien in der Interpretation der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi wird die Zusammenarbeit mit Radio Orpheus 2010 fortgesetzt.

Journalisten und Militärs im ErfahrungsaustauschBonn – Die Macht der Information in Krisengebieten, das war eines der Gesprächsthemen beim jüngsten Treffen von Vertretern der Bundeswehr und der DW. Zum achten Mal tauschten sich Jour-nalisten des deutschen Auslandssenders und Führungskräfte der Bundeswehr im Funkhaus aus. Mit Programmdirektor Christian Gramsch (r.), zuständig für Hörfunk und Internet, diskutierte man auch über den Einsatz neuer Medien. Unter den Teilnehmern war der neue Kommandeur des Zentrums Operative Information in Mayen, Oberst Richter. Medienmacher der Bundeswehr absolvieren auch Fortbildungsmaßnahmen der DW-AKADEMIE.

spot —21weltzeit 01_2010

Page 22: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

22— partner

01

Nikosia – Radio Mayis, Partnersender der Deutschen Welle mit Sitz im türkischen Teil Zyperns, wirbt bei den türkischen und griechischen Bewohnern der Insel für gegenseitiges Verständnis und für die Einheit. Kathrin Reinhardt stellt ihn vor.

„Radio Mayis“, zu Deutsch: „Radio Mai“ – ein ungewöhnlicher Name für einen Radio-sender. Ungewöhnlich jedoch nicht mehr, wenn man die Hintergründe der Entstehung kennt. „Mai 2004 war damals unser Ziel“, sagt Hasan Kahvecioglu, Journalist und Gründer des Sen-ders. Dann sollte Zypern Mitglied der Europä-ischen Union werden. Kahvecioglu war Teil der Bewegung der türkischen Zyprer, die sich für eine Einigung und einen EU-Beitritt eines ge-einten Landes einsetzten. „Wir wollten dazu bei-tragen, die Insel zu vereinigen“, erinnert er sich.

Dieses Ziel hat Radio Mayis auch heute noch. „Wir wollen den Menschen nahebringen, was die Europäische Union ist und warum wir in dieser als vereintes und nicht geteiltes Land Mit-glied werden sollten“, so Kahvecioglu.

So weit kam es bisher nicht – in einem Re-ferendum im April 2004 lehnte die Mehrheit der griechischen Zyprer die Wiedervereini-gung ab. Der griechische Teil der Insel wurde kurz darauf EU-Mitglied (siehe Kasten S. 23). „Wir haben die Chance damals verpasst“, sagt Kahvecioglu. Radio Mayis macht weiter. Mit seinem Programm versucht es, die Aussöhnung

voranzutreiben, Spannungen vorzubeugen und gegen „nationalistische Elemente“ (Kahvecioglu) anzugehen.

„Stimme der Zivilgesellschaft“Eine Live-Sendung auf Türkisch und Grie-chisch lockt jeden Samstagvormittag zahlreiche Hörerinnen und Hörer im türkischen und im griechischen Sektor vors Radio. In „Adamizin Sesi“ („Talk of the Island“) kommen alle inte-ressierten Zyprer und Gäste aus anderen Ländern zu Wort: „Wir stellen die Kultur der einen Seite wie die der anderen vor“, beschreibt Kahveciog-lu, der die Sendung fünf Jahre lang gemeinsam mit einem Kollegen moderiert hat, das Konzept. Seit Jahresanfang präsentieren zwei junge Leute die Sendung, die jetzt „Talk of the island youth“ heißt. „Stimme der Zivilgesellschaft“ wollen sie sein. Die Themen reichen von Fragen zur Ge-sundheit bis hin zu religiösen Bräuchen. „Wenn wir uns vereinigen wollen, müssen wir mehr über die andere Seite wissen“, ist er überzeugt.

Dies gelte vor allem für die jungen Zy-prer. Sie kennen nur das geteilte Land. Die ältere Generation hingegen, der auch Hasan

01 Jugend-Talk�im�

Radio�soll�die�Mauer�über-

winden:�Grenzabschnitt�in�

Nikosia

Partnerder� Deutschen� Welle� auf� der� grie-

chischen� Seite� Zyperns� sind� bei-

spielsweise� der� öffentlich-recht-

liche� Rundfunk� „RIK“� in� Nikosia,�

„Kanali� 6“� in� Limassol� und� „Radio�

Paphos“� in� Paphos.� Diese� Sender�

übernehmen� das� Griechische� Pro-

gramm� der� DW.� Zudem� druckt� die�

Zeitung��POLITIS�(zu�Deutsch:�Bürger)�

regelmäßig� Kommentare� der� DW� zu�

einem� Thema� aus� der� internationa-

len�Politik�ab.

Reif für die Einheit

01

Page 23: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

partner —23 weltzeit 01_2010

Kahvecioglu an-gehört, hat die Zeit vor 1974, als es noch keinen türkischen und griechischen Sektor gab, erlebt.

„Wir müssen die Jugendlichen für die Ei-nigung begeistern“, so der Journalist. Dafür sei es wichtig, die Geschichte Zyperns richtig darzustellen. Radio Mayis korrigiere „inkor-rekte Informationen“, die von anderen Medien in beiden Teilen Zyperns verbreitet würden, so Kahvecioglu.

„Eine gemeinsame Sprache“Eine wichtige Rolle spielt dabei das Vokabular. Der Sender verwendet eine „gemeinsame Ter-minologie“ und vermeidet Begriffe wie „Beset-zung“ (in griechischen Medien verwendet) oder „Friedensoperation“, wie die Türken die Ereig-nisse von 1974 bezeichnen. Es gehe darum, die jeweils andere Seite nicht zu verletzen.

Mit seinem Programm wendet sich Radio Mayis nicht nur an Jugendliche, sondern an alle in der zypr ischen Gesellschaft. Nicht nur im nördlichen, türkischen Teil der Insel, auch

in einigen südlichen, grie-

chischen Gebieten, ist der Sender über Partner zu empfangen.

Mit der Deutschen Welle arbeitet Radio Mayis seit drei Jahren zusammen. Er übernimmt Nachrichtenmagazine aus dem Türkischen Programm der DW. Live-Gespräche mit DW-Redakteuren gehören ebenfalls zur Kooperati-on. „Radio Mayis ist ein sehr europaorientierter Sender. Sein Programmkonzept und die Sen-derphilosophie der Deutschen Welle passen sehr gut zusammen“, sagt Bahaeddin Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion der DW, über die Zusammenarbeit.

Kahvecioglu sieht fünf Jahre nach der Grün-dung seines Senders Fortschritte beim Dialog zwischen türkischen und griechischen Zy-prern. „Wir haben heute ein besseres politisches Klima“, ist er überzeugt.

So wirbt er weiter für Verständigung und die Einigung Zyperns. Sein Ziel als Medienmacher: eines Tages ein durchgehend zweisprachiges Programm zu senden. ——

www.talkoftheisland.com

Die faktische Teilung Zypernswurde im Juli 1974 mit der militärischen In-

tervention der Türkei vollzogen. Sie hatte sich

dabei auf ihren Status als Garantiemacht für

die Unabhängigkeit der Republik Zypern auf

der Basis des Londoner Vertrags von 1959 be-

rufen. Zuvor hatten griechische Nationalisten

einen Putschversuch mit dem Ziel gestartet, die

Mittelmeer insel an das damals von einer Militär-

junta beherrschte Griechenland anzuschließen,

das ursprünglich auch eine „Garantiemacht“ wie

Großbritannien war.

Der von rund 30.000 Soldaten aus dem tür-

kischen „Mutterland“ beherrschte Nordteil

der Insel ist international nur von der Türkei

als selbständiger Staat anerkannt – unter dem

Namen „Türkische Republik Nordzypern“. Auch

seit dem EU-Beitritt Zyperns scheitern alle

Lösungsversuche an den Maximalpositionen bei-

der Seiten. In getrennten Volksabstimmungen

hatten die Inselgriechen den entsprechenden

Plan des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi

Annan abgelehnt und die Inseltürken diesem

zugestimmt. Der griechische Teil ist dennoch

stellvertretend für ganz Zypern EU-Mitglied

geworden, wodurch die Türkei in die Position

gezwungen wurde, Teil eines EU-Landes be-

setzt zu halten. Eine Alternative wie etwa die

Zurückstellung des EU-Beitritts Zyperns bis

zur gänzlichen Konfliktlösung scheiterte an der

Veto-Drohung Griechenlands gegen die Ost-

erweiterung der EU.

Bahaeddin Güngör

Paphos

Limassol

Larnaca

Famagusta

Kyrenia

LEFKOSIANIKOSIA

Nordzypern

Zypern

Page 24: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

DEUTSCHLANDBILD

24— profil

Hunderttausende friedliche Demonstranten auf dem Hof-garten in Bonn, Polizisten mit Blumen am Revers: So hatte ich mir Deutschland wirklich nicht vorgestellt, als ich Anfang der Achtzigerjahre Paris verließ. Die große Umwelt- und Frie-densbewegung war soeben aufgekommen. Die düstere Zeit der RAF, die das Bild Deutschlands im Ausland, insbesondere in Frankreich, geprägt hatte, schien zu Ende zu gehen. Kaum an-gekommen jedenfalls, mit einem Jura-Diplom in der Tasche und ersten Erfahrungen als Journalistin, entdeckte ich durch meine Arbeit als Reporterin ein neues Gesicht Deutschlands: Deutsche, die – entgegen allen Klischees – gewaltlos marschierten. Junge Demonstranten und Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die gegen militärische Aufrüstung protestierten. Ich staunte und viele an-dere in Europa und außerhalb des Kontinents staunten auch. Viele Emotionen (Angst vor den Pershing-II-Raketen, vor der Atomkraft), diffuse Ziele, auch Experimentierfreude und nicht zuletzt Kritik am vorherrschenden Wirtschafts(wachstums)system prägten diese Bewegung.

Ein schwer durchschaubarer Cocktail für ausländische Journa-listen und Korrespondenten. Ich hatte jedenfalls allerhand zu tun.

WaldsterbenUmso mehr als der „Tod des deutschen Waldes“ ankündigt wurde – Spiegel-Titel im November 1981. Eine wahre Hysterie verbrei-tete sich über das Land. Eine Untergangsstimmung. Franzosen mokierten sich über „die deutsche Seele, verloren in den Tannen“. Auf dem schwarzen Kontinent hingegen, Zielgebiet der Franzö-sisch-Redaktion der Deutschen Welle, meines Tätigkeitsfeldes, war das Echo groß. Die Sorgen der Deutschen korrespondierten mit den Sorgen vieler Afrikaner, dort bangte man um den Verlust der imposanten Natur.

Bonn – Erstaunt, auch erschrocken, zugleich beeindruckt. So umschreibt Elisabeth Cadot Eindrücke, als sie sich in den Achtzigern ein eigenes Deutschlandbild macht. Von Paris kam die Journalistin an den Rhein und dort zur Deutschen Welle.

Friedenstauben und Rabenmütter

Das�Institut:�die�„Rotterdam�Business�School“.�Das�Unterrichtsfach:�Deutsch.�Das�

Thema:�„Sprachliche�Idiome�zum�Thema�Umwelt“.�Das�Lehrmittel:�eine�Folge�von�

„Die�Wahrheit�über�Deutschland“.�Dozentin�Hetty�Burgers�ist�begeistert�von�den�ei-

genwilligen�Einblicken�in�die�deutsche�Mentalität,�die�euromaxx-Reporter�Michael�

Wigge�vermittelt:�„kurz,�informativ�und�zugleich�lustig“,�so�ihr�Urteil�zu�den�Clips,�

die�sie�„für�sämtliche�Sprachniveaus“�nutzt.

Über�60�Ausgaben�wurden�bisher�produziert�und�ausgestrahlt.�Bei�Wigge�geht�es�um�

Pünktlichkeit,�Ordnungsliebe�und�Fleiß,�um�Fußball,�Leidenschaft,�Romantik,�Geld�

und�Humor.�Videojournalist�Wigge�reist�allein�durchs�Land�und�erforscht�die�Deut-

schen�und�ihre�Befindlichkeit.�Rolf�Rische,�für�den�Bereich�Gesellschaft�und�Unter-

haltung�bei�DW-TV�verantwortlich�und�Schöpfer�des�Formats,�möchte�mit�der�Reihe�

zeigen,�„dass�wir�Deutschen�auch�über�uns�selbst�lachen�können“.

Und�das�kommt�an:�Im�November�war�„Die�Wahrheit�über�Deutschland“�als�Dauer-

schleife�beim�50-jährigen�Bestehen�des�Goethe-Instituts�Pune� in� Indien�präsent.�

Mit�der�Ausstellung�„Deutschland�für�Anfänger“,�einem�Gemeinschaftsprojekt�von�

Goethe-Institut,�Bundeszentrale�für�politische�Bildung�und�Auswärtigem�Amt,�wan-

dern�die�DW-Clips�zunächst�durch�deutsche�Städte�und�sind�in�Kürze�unter�anderem�

in�Süd-�und�Südostasien�zu�sehen.�

Corinna� Simon,� Sales-Managerin� beim� Spiegel-Verlag� in� Hamburg,� zeigt� Beiträge�

aus�der�DW-Reihe�auf�internationalen�Konferenzen,�um�so�„ausländischen�Kollegen�

unsere�deutsche�Mentalität�etwas�näherzubringen“.

Und� die� Klicks� auf� die� mehrfach� preisgekrönten� Clips� mit� der� „Wahrheit� über�

Deutschland“�steigen�weiter�an…

www.youtube.com/deutschewelle�

www.dw-world.de/euromaxx�

„Die Wahrheit über Deutschland“

Berlin – Sie läuft Woche für Woche im DW-TV-Magazin „euromaxx – Leben und

Kultur in Europa“. Und sie läuft sehr gut: die Reihe „Die Wahrheit über Deutsch-

land“. Auch im Unterricht wird sie genutzt, wie Kathrin Lemke berichtet.

02

01

01 Schräg,�verschmitzt,�pointiert:�

DW-Reporter�Michael�Wigge

Page 25: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

Der deutsche Wald hat offensichtlich über-lebt – übrigens auch das Wort „Waldsterben“ als ins Französische eingewanderte Vokabel. Über den sauren Regen spricht heute fast keiner mehr. Aber, und das ist typisch deutsch für mich: Nach den starken Emotionen hat der Pragmatismus triumphiert. Deutschland hat umweltfreundliche Waschmaschinen, Kühlschränke und Autos auf den Markt gebracht, Solarmodule und Windrä-der entwickelt, kurz: Produkte „made in Ger-many“, die sich vortrefflich exportieren lassen. Gute Geschäfte mit sauberem Gewissen…

Schlüsselkinder Gesellschaftspolitisch – familienpolitisch vor allem – war dieser Pragmatismus indes lange Zeit Fehlanzeige. Was mich anfangs besonders irritierte, waren die vielen Steine, die man Müttern offenbar in den Weg legte, um sie von der Arbeit fernzuhalten: keine Schule nachmit-tags, kein Mittagessen in der Schule... Welche Frau kann unter diesen Umständen einen Beruf ausüben! Ich musste Vokabeln lernen, die mir kein Lehrer beigebracht hatte: zum Beispiel die „Rabenmutter“. Ich kannte den Raben aus den Fabeln von Lafontaine – er hält einen leckeren

Käse im Schnabel vor der Nase des Fuchses. Aber was war eine Rabenmutter? Schlimmer noch wurde es mit den „Schlüsselkindern“. Ein Zwitterwesen aus einer anderen Galaxie viel-leicht? Aber nein, es hatte etwas mit dem prak-tischen Sinn der Deutschen zu tun: Die Schlüssel hängen um den Hals.

Das Kurioseste an der Sache war, dass die Frauen selbst zum Teil einen ideologisch anmu-tenden Kampf führten um einen diffusen und schweren Begriff: „die gute Mutter“. Ich war sehr überrascht. Die gute Mutter, hieß es, lasse ihr Kind nicht von Fremden erziehen! Inzwi-schen ist die „Super-Woman“ auch in Deutsch-land angekommen, à la Ursula von der Leyen, Ministerin mit sieben Kindern. Und aktuellen Zahlen zufolge melden in diesem Jahr sogar 66 Prozent der Eltern Bedarf an einen Kita-Platz an.

Unsere beiden Länder sind zwar Nachbarn und leben unter dem gleichen großen Dach der europäischen Familie. Deutschland und Frank-reich gehen aber nicht unbedingt dieselben Wege – auch nicht immer im selben Tempo. Der Dialog ist deshalb manchmal schwierig. Das gilt umso mehr für ein Europa der 27! ——

03

Elisabeth Cadot wurde�1951� in�Basel�geboren.�An�der�

Universität�Paris�X�hat�sie�Jura�stu-

diert�und�mit�einer�Maîtrise�in�Öffent-

lichem� Recht� (Internationales� und�

Europäisches� Recht)� abgeschlossen.�

Die� Co-Autorin� juristischer� Ratge-

ber�über�Lebensgemeinschaften�und�

Scheidung� ist� Mutter� einer� Tochter.�

Ihre�Karriere�als�Journalistin�begann�

sie� in� Paris.� Anschließend� war� sie�

Korrespondentin� französischer� Zei-

tungen� in� Deutschland� (unter� ande-

rem� für� Libération� und� L’événement�

du� Jeudi).� Seit� 1985� ist� sie� Redak-

teurin�bei�der�Deutschen�Welle,�viele�

Jahre� in� der� Französisch-Redaktion�

für� Afrika,� aktuell� in� der� Zentralen�

Programm-Redaktion.�Hier�hat�Elisa-

beth� Cadot� insbesondere� zahlreiche�

Europa-Projekte�der�Deutschen�Welle�

mit�konzipiert�und�betreut.��

02 Le�„Waldsterben“:�die�Vokabel�

blieb�im�Französischen,�das�Umwelt-

bewusstsein�im�Deutschen

03 Gesellschaftspolitisch�im�

Hintertreffen:�Mittagessen�in�der�Kita,�

in�Deutschland�noch�immer�nicht�die�

Regel

Page 26: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

26— vor ort

Über allen Gipfeln ist Ruß Charleston – Im US-Bundesstaat West Virginia ist ein DW-Team auf der Suche nach Bildern vom Mountaintop mining, zu Deutsch: Gipfelbergbau. Eine Reportage für das DW-TV-Magazin „Global 3000“. Amerika und seine Klimapolitik, das ist der Rahmen. Miodrag Soric, Studioleiter Washington, berichtet.

„Hoffentlich kommt niemand.“ Der Mietwagen, in dem ich sitze, steht einsam unterhalb einer Bergkuppe am Ende eines Schotterweges irgendwo in West Virginia. Ich „stehe Schmiere“. Mein Beifahrer, DW-Producer Lars Scholtyssyk, hat sich trotz des Schneeregens mit der Kamera auf den Weg zur Bergspitze gemacht. Wir brauchen Aufnahmen vom sogenannten Mountaintop mining, dem Gipfelbergbau. Dabei werden Gebirgsmassive so lange weggesprengt, bis die Kohle im Tagebau abgetragen werden kann. Auf diese Art seien bislang etwa 450 Berge zerstört worden, so amerikanische Umweltschützer. Hat der Berg seine Schätze hergegeben, schie-ben riesige Bagger den übrig gebliebe-nen Schutt, Reste von Bäumen und Felsen zusammen. So entsteht ein neuer Hügel, der allerdings wenig gemein hat mit dem ursprünglichen Berg, den die Natur über Jahrmillionen schuf. Der verwendete Sprengstoff verseucht die Umwelt. Bäume wachsen auf dem Geröll nicht mehr. Das Grundwasser sinkt. Kein Wunder, dass die Kohleindustrie es nicht gern sieht, wenn sie bei ihrer „Arbeit“ beobachtet wird.

Plötzlich wird die Wagentür aufgerissen und Lars Scholtyssyk lässt sich samt Kamera in den Beifahrersitz fallen. Mit den Bildern, die er gemacht hat, ist er nicht zufrieden. Es ist schon zu dunkel geworden. Also gebe ich Gas und wir holpern einen Feld-weg hinunter, vorbei an einem Felsen, auf

den jemand mit leuchtend roter Schrift die Worte schmierte: „Treehuggers suck“. So beschimpfen Bergarbeiter Umweltschützer, die sich dem Gipfelbergbau entgegen stellen.

Ohnmächtiger Obama Weshalb die Reportage? Sie erklärt exempla-risch, weshalb es für Präsident Barack Obama fast unmöglich ist, eine andere Klimapolitik zu verfolgen als sein Vorgänger. Vertreter der Handelskammer in West Virginia reden gar nicht lange drum herum: Natürlich werde es weiterhin den Gipfelbergbau geben. Denn die örtlichen Senatoren und Politiker würden mit Obama zuerst über den Bergbau reden,

dann über ihre Haltung bei der Gesundheitsreform. Nein, das sei keine Erpressung. Man verfolge nur die eigenen Interessen. Tatsächlich kann die Bedeutung des Kohlestroms für die USA kaum über-schätzt werden: Die

Hälfte ihres Stroms erzeugt die Supermacht durch die Verbrennung von Kohle.

„Ein Landbesitzer hat das Recht zu bestimmen, was mit seinem Eigentum ge-schieht. Wenn er seine Bodenschätze auf dem freien Markt verkaufen will, dann darf er das“, erklärt uns ein ‚Miner‘ bei einem Treffen in einer Gaststätte. Dass die Natur dabei für Jahrhunderte zerstört wird, bedau-ert er. Der Erhalt der Arbeitsplätze sei aber wichtiger.

Umweltschützer wie Bo Webb sehen das anders. Wir begleiten ihn mit der Kamera

01 „Baumknutscher“�unerwünscht:�

Bergarbeiter�in�West-Virginia�beschimp-

fen�Umweltschützer,�die�den�Gipfelberg-

bau�abschaffen�wollen

02 Das�ganze�Ausmaß:�Ein�Umwelt-

schützer�führt�uns�an�eine�Stelle,�von�

der�aus�wir�das�Mountaintop�mining�

filmen�können�

01

Page 27: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

weltzeit 01_2010 vor ort —27

zu einer Demonstration in die Hauptstadt Charleston. Bo, inzwischen pensioniert, hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Auf der Autofahrt erklärt er, wer seiner Meinung nach hinter der Kohleindustrie steckt: Inves-toren von der Wall Street, die durch den Abbau der hochwertigen Kohle in West Vir-ginia viel Geld verdienten. Deren Geldgier sei letztlich dafür verantwortlich, dass alter-native Energien in diesem Bundesstaat keine Chance hätten. Das will er ändern.

„Sie vergiften unser Land“Bo Webbs Aufforderung zur Demonstrati-on sind Hunderte von Aktivisten aus ganz Nord-Amerika gefolgt. Der promi-nenteste Redner ist Robert F. Kennedy, Neffe des einstigen amerikanischen Präsidenten. Die hiesige Kohlein-dustrie sei „kri-minell“, sagt er in die DW-Kamera: „Sie vergiften unser Land, zerstören die Wirtschaft, untergraben unsere Demokratie.“ Es gebe bessere Mög-lichkeiten in West Virginia Energie zu ge-winnen, etwa mit Windkraftwerken.

Die Kohleindustrie hat Bergarbeiter zu einer Gegendemonstration mobilisiert. Hunderte von Männern in Bergmanns-kleidung, einige mit Kohleruß in den Ge-sichtern, versammeln sich auf der anderen Seite des Platzes. Zwischen den beiden Gruppen postieren sich Dutzende Poli-zisten. Die Bergarbeiter beschimpfen die Umweltschützer wüst.

Wir klappen das Stativ ein und gehen zu ihnen rüber. Wir kommen ins Gespräch. Ein Kumpel lädt uns zu sich nach Hause ein. Noch am selben Abend drehen wir bei ihm im Wohnzimmer. Da sitzt er auf der Couch, eingerahmt von seinen beiden kleinen Söh-nen, und gibt seine Sichtweise der Auseinan-dersetzung wieder, aufrichtig, menschlich, glaubwürdig.

Das ganze Ausmaß der Zerstörung Am Tag der geplanten Rückreise nach Washington fehlen uns immer noch die Themenbilder vom Tagebau. Der Plan, die ausgehöhlten Berge aus der Luft zu zeigen,

scheitert am Wet-ter. Wir wenden uns erneut an eine lokale Um-weltschutzgrup-pe – und haben Glück. Einer, der zusammen mit einer Handvoll Aktivisten in run-tergekommenen Hütten und einem

ausrangierten Schulbus lebt, führt uns auf verschlungenen Wegen zu einem Berggip-fel. Von hier aus wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich. Zwei Lkw, deren Räder so groß sind wie Wohnwagen, bewe-gen sich inmitten einer Mondlandschaft. Sie kippen Geröll ins Tal. Weit und breit kein Mensch. Endlich haben wir die Bilder, die wir brauchen. ——

www.dw-world.de/global3000

02

Page 28: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

28— vor ort

Der Name ist Programm Berlin – Wissenschaft als erlebbares Abenteuer visualisieren – das war eine entschei-dende Vorgabe der Redaktion. Es galt, das Wissenschaftsmagazin „Projekt Zukunft“ von DW-TV als Marke neu zu entwickeln. Über die Arbeit des Design-Teams berichtet Barbara Orth: Aufzeichnungen aus erster Hand über Idee, Entwicklung und Umsetzung einer neuen „Verpackung“.

Zukunft visualisieren - ohne sie zu kennen. Wissenschaft darstellen - ohne explizit zu wer-den. Wie kam es, dass aus dieser Quadratur des Kreises eine ganze Menge Kugeln wurden?

Das Erscheinungsbild der Sendung soll eine Vielzahl von Themenbereichen auf eindringliche und gleichzeitig den Zuschauer einladende Weise in sich verbinden. Es soll die Relevanz wissen-schaftlicher Themen für das Leben der Men-schen ausdrücken, ohne diese als zu kompliziert erscheinen zu lassen. Die Inhalte des Magazins

Projekt Zukunft sind interdisziplinär, also muss auch die Verpackung einen Brückenschlag zwischen verschiedenen Fachdisziplinen leisten können und diese miteinander verbinden.

Das Studio soll eine futuristische und innova-tive Atmosphäre vermitteln. Als ein multifunk-tionales Ambiente muss es Platz für Gespräche mit Experten und zugleich Möglichkeiten zum Experimentieren und Präsentieren wissenschaft-licher Modelle bieten.

Das waren die Vorgaben.

01-04 Die�Kugel�als�Leitmotiv:�

das�„Making-of“�und�das�Ergebnis�

eines�futuristischen�Sendungsdesigns

Wir machen Wissenschaft erlebbar

Berlin – Fragen an Manuela Kasper-Claridge, Leiterin Wirtschafts- und Wis-

senschaftsredaktion von DW-TV. Sie verantwortet unter anderem das Wissen-

schaftsmagazin Projekt Zukunft – englische Ausgabe: Tomorrow Today.

? ist der Wissenschaftsstandort Deutschland international noch von Bedeutung?

Selbstverständlich!�Deutsche�Forschung�hat�eine�große�Tradition.�Gerade�durch�die�

Max-Planck-Gesellschaften� und� andere� Großforschungseinrichtungen.� Die� Arbeit�

deutscher�Forschungsinstitute�hat�bei�uns�einen�wichtigen�Platz�im�Programm.�Auch�

die�Tatsache,�dass�die�Forschung�mit�öffentlichen�Mitteln�gefördert�wird,�trägt�dazu�

bei,� dass� Deutschland� weltweit� zu� den� führenden� Wissenschaftsnationen� �gehört.�

Und�wenn�man�sich�die�Liste�der�deutschen�Nobelpreisträger�anschaut�–�so�ist�die�

sehr�beachtlich.�

? Wie machen Sie den Zuschauern weltweit Wissenschaft aus Deutschland schmackhaft?

Wir�präsentieren�Wissenschaft�nicht�abstrakt,�sondern�machen�sie�erlebbar.�Die�Zu-

schauer�sind�zum�Beispiel�hautnah�dabei,�wenn�Galileos�Enkel�am�E-ELT,�dem�größten�

Teleskop�der�Welt,�arbeiten.�Forscher�des�astrophysikalischen� Instituts� in�Potsdam�

erklären,�wozu�wir�diesen�neuen�Blick� ins�Universum�brauchen.�Der�Weltraummedi-

ziner�Prof.�Hanns�Christian�Gunga�erläutert,�welche�Auswirkungen�ein�„Space�Trip“,�

eine�Fahrt�durch�Raum�und�Zeit,�auf�den�menschlichen�Körper�hätte.�Zum�Darwin-Jahr�

haben�wir�über�die�Arbeit�am�Max-Planck-Institut�für�Anthropologie�berichtet.�Bis�ins�

kleinste�Detail�wird�dort�erforscht,�was�den�heutigen�Menschen�vom�Neandertaler�un-

01

Page 29: Weltzeit 01_2010: Wettbewerb im Mediversum

Zentrales Element des Entwurfs: die Kugel, der ästhetisch vollkommene geometrische Kör-per. Die Kugel spielt in den Bauplänen der Natur eine überragende Rolle, sie ermöglicht viele Assoziationen zu Wissenschaft und Zukunft.

An dem Bild der Kugel werde „die seman-tische Überdeterminierung technologischer Hardware“ deutlich, urteilt Dierk Spreen in seinem Beitrag „Ästhetik und Kommunikation“. Technologien würden angereichert „mit Hoff-nungen, Wünschen, Erwartungen“ und auf diese Weise „mit Sinn belebt“ – was schon für die Kugel der Wahrsagerin galt. Eine solche seman-tische Anreicherung spiele eine wesentliche Rolle für die kulturelle Akzeptanz neuer Technologien.

Die Übertragung dieses klassischen Motivs in den elektronischen Raum des dritten Jahr-tausends ist für uns eine schlüssige und überzeu-gende Interpretation, die auch in unserer Zeit eine faszinierende Modernität vermittelt.

Der Farbraum ist überwiegend weiß, um das Abstrakte des Begriffs „Zukunft“ und den geistigen Aspekt wissenschaftlichen Denkens zu vermitteln. So entstehen visionäre und fantastische Bilder, die auf inspirierende und prägnante Weise auf die Themen der Sendung einstimmen.

Die Umsetzung des Konzepts ist eine Mi-schung aus Filmaufnahmen „realer“ Akteure zusammen mit 3D-Szenen, die am Computer ge-neriert werden. Futuristisch gekleidete Darsteller wurden in der Bluebox mit einer hoch auflö-senden „Red One“-Videokamera aufgenommen. Exakt nach Drehbuch bewegen sich die Akteure in einem – für sie nicht sichtbaren – virtuellen Raum und interagieren mit ihm. In der Nach-bearbeitung am Rechner wird dieser dann mit

komplexen technischen Verfahren ergänzt. Das Magazin Projekt Zukunft wird in einem drei-dimensionalen virtuellen Studio produziert. Das digitale Set wird räumlich an die Bewegungen der Studiokameras gekoppelt. So werden die Aufnahmen fließender als aus einem klassischen Bluebox-System. Drei virtuelle Monitore wer-den in die Szenerie integriert – für Themen-bilder und Logos.

Der so entstehende futuristische Raum soll das Interesse der Zuschauer an den Themen der Sendung erhöhen – und deren Phantasie anregen.

Die Zukunft kann jeden Augenblick begin-nen – schauen Sie selbst! ——

www.dw-world.de/projekt-zukunft

weltzeit 01_2010 innovation —29

terscheidet.�Und�in�der�Serie�„Kluge�Köpfe�

–�brilliant�minds“�stellen�wir� junge�Men-

schen�aus�aller�Welt�vor,�die� in�Deutsch-

land�in�der�Spitzenforschung�arbeiten.��

? Können sich die Zuschauer beteiligen?

Aus�allen�Teilen�der�Welt�schicken�sie�uns�

Fragen,�die�von�unserer�animierten�Figur�

„Einsteinchen“� in� der� Sendung� beant-

wortet�werden.�So�will�ein�Zuschauer�aus�

Uganda� wissen,� ob� es� erdbebensicheres�

Bauen�gibt,�eine�Zuschauerin�aus� Indien�

fragt,�was�LED-Leuchten�sind,�und�ein�Zuschauer�aus�Kanada�möchte�wissen,�ob�die�

Sahara�wieder�grün�werden�kann.�

? Haben Sie aktuelle Höhepunkte in Projekt Zukunft? Herausragend�sind�die�Spezialausgaben,�etwa�zum�300.�Geburtstag�der�Berli-

ner�Charité,�einer�der�größten�Universitätskliniken�Europas,�die�sieben�Nobelpreis-

träger�hervorgebracht�hat.�Oder�die�Sendung�vom�CERN�in�Genf,�dem�größten�Teil-

chenbeschleuniger�der�Welt.�Dieses�gigantische�europäische�Kernforschungsprojekt�

wird�von�dem�deutschen�Physiker�Prof.�Rolf-Dieter�Heuer�geleitet.�Eine�Sendung,�die�

viel�von�der�Faszination�der�Physik�vermittelt.�Was�mich�besonders�freut:�In�Projekt

Zukunft�kommen�auch�viele�Wissenschaftlerinnen�zu�Wort.�Denn�deutsche�Wissen-

schaft�und�Forschung�sind�schon�längst�keine�Männerdomänen�mehr.��——

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„Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, erklärt Faust in der „Tragö-die erster Teil“. Wer Ingolf Baur kennenlernt, möchte auch ihm diesen Satz in den Mund

legen, so ausgeprägt scheint sein Wunsch nach Erkenntnis und so vielfältig sind seine Interessen und sein Tun. Ein Mann, der vor Tatendrang und Wissensdurst strotzt. Und damit die besten Voraussetzungen mitbringt, um Menschen über das Fernsehen die Fragen der Welt zu erklären.

Dabei war an eine Fernsehkarriere zu-nächst nicht zu denken. Denn Baur stu-dierte Physik. Seine Leidenschaften waren schon als Jugendlicher die Astronomie und die Teilchenphysik – und die lebt er als Student an der Uni Hamburg aus, wo er 1993 sein Diplom macht. Die Diplomar-beit besteht aus einem „Schuhkarton voll mit Elektronik“, wie Baur es in einem einfachen Bild zusammenfasst. Nur, was drin war, das ist schon komplizierter, für Laien allemal. Der Karton war in Wahrheit ein selbstgebautes Kalori-meter. Damit lässt sich in der Elemen-tarteilchenphysik die Gesamtenergie einzelner Teilchen messen. Mit Baurs Gerät konnte man zum ersten Mal, so sagt er, die Strahldichte des Teil-chenstrahls von HERA bestimmen.

Der Teilchenbeschleuniger Wissenschaft verstehen und erklären – das ist nur die eine Seite des Ingolf Baur, Moderator von „Projekt Zukunft“ und „Tomorrow today“ auf DW-TV. Stephan Kolbe sprach mit ihm über seinen ungewöhnlichen Lebensweg und seine vielfältigen Leidenschaften von der Teilchenphysik

bis zum klassischen Gesang.

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zoom —31 weltzeit 01_2010

»Die Show lag

mir näher als das

Sitzen im labor.«

HERA – das war immerhin das Super-Elektro-nenmikroskop beim Forschungszentrum DESY in Hamburg. Durchaus gute Karten also, um in der Wissenschaft etwas zu werden.

Physiker mit GesangsausbildungDoch Baur ist ein Reisender, den es weiterzieht. Begonnen hat das schon als 17-Jähriger, als er ein Jahr lang fern von zu Hause beim Schüleraus-tausch in Michigan, USA, war. Seine erste große Bewährungsprobe, vielleicht auch eine Mut-probe. Auf jeden Fall „ein prägendes Jahr“, wie Baur selbst sagt. Prägend, weil er auch später ein Entdecker sein wird – einer, der sich umschaut, der aufbricht und Neues ergründet.

Und so verlässt er zunächst die Welt der Physik, der Berechnungen und der Compu-tersimulationen und taucht ein in die Welt der Schauspielerei und des Gesangs, des Lebendigen. Theater hatte er schon während des Studiums gespielt. Und was er macht, will er richtig machen. Also absolviert er eine klassische Ge-sangsausbildung und lernt Italienisch. Es folgen diverse kleine Engagements als Sänger und Schauspieler an der Staatsoper und dem Schau-spielhaus Hamburg. „Am Ende lag mir die Show näher als das ewige Sitzen im Labor“, fasst es Baur süffisant zusammen.

Zwischen Show und Wissenschaft Und doch bleibt sein Hang zur Wissenschaft, zur Vertiefung, zur Ergründung der Welt. Aber nun beides – Show und Wissenschaft – zusammenzu-bringen, das muss wohl erst sein Vater anstoßen: „Was der Bublath macht, kannst du doch auch.“ Gemeint war Joachim Bublath, der Wissen-

schaftsmann des ZDF, der mit seiner „Knoff-Hoff-Show“ eine ganze Generation prägte. In gewisser Weise hat der Vater Recht behalten. Denn Ingolf Baur moderiert heute gleich drei Wissenschaftssendungen – seit mitt-lerweile zehn Jahren Projekt Zukunft und das englischsprachige Pendant Tomorrow Today auf DW-TV sowie „nano“ auf 3sat und „Odysso“ im Südwest-rundfunk.

Sein Einstieg beim Fernsehen ist ein Traumstart. 1994 heuert Baur als Praktikant beim damaligen Südwestfunk an – und landet nach nur vier Wochen vor der Kamera: Er ent-scheidet das Casting zur Moderation der Wis-senschaftssendung „Sonde“ für sich. Was jetzt kommt, ist wieder vollkommen neu für Baur, schreckt ihn aber nicht ab. „Ich hatte keine Ah-nung vom Schreiben, von Fernsehen schon gar nicht. Das war die totale Überforderung“, gibt er unumwunden zu. Und trotzdem: Mit Mut für Neues und viel Arbeit geht er die Sache an und eignet sich die Souveränität an, die er heute vor der Kamera ausstrahlt. Wenn, dann eben richtig.

Die Balance zwischen Wissenschaft und Show, zwischen Denken und Körper, das ist Baurs Leben. „Für mich gehört beides zusam-men. Ohne eines von beidem geht es nicht“, sagt er. Und so kann er im einen Moment über den Teilchenbeschleuniger des CERN fachsim-peln, um im nächsten Moment von der jüngsten Operninszenierung seiner eigenen A-cappella-Band zu schwärmen. Die hat er nämlich auch noch… ——

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INTERNATIONALE KONFERENZBONN, 21.-23. JUNI 2010www.dw-gmf.de

THE HEAT IS ONDER KLIMAWANDEL

UND DIE MEDIEN

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