weltzeit 03_2010 Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

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Das Magazin der Deutschen Welle 03 Juni 2010 zeit welt DEUTSCHE WELLE GLOBAL MEDIA FORUM Der Klimawandel und die Medien

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weltzeit – das Magazin der Deutschen Welle // THEMEN // Klimawandel: Aufbruch ins Bewusstsein / Interview: Erik Bettermann / Klima-Blog: Coluna Zero / Internet und Stromverbrauch: Surf the Planet! // Deutschlandbild: Blagorodna Grigorova / Das läuft: Gesichter Deutschlands / Medienfreiheit: 20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens / Mediendialog Russland: Zwischen Macht und Kommerz / Im Gespräch: Adrienne Woltersdorf über China / Sun City: Die Rentner-Stadt / Vorgestellt: Meggin Leigh

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Das Magazin der Deutschen Welle 03—Juni 2010

zeitwelt

deutsche welle global media forum

Der Klimawandelund die Medien

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WAS HYBRID-TV FÜR DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS BEDEUTET.

www.medienforum.nrw.de

22. medienforum.nrw Köln, Staatenhaus am Rheinpark 28.–30. Juni 2010

Das medienforum.nrw ist eine Veranstaltung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), gefördert mit Mitteln des Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. Verantwortlich für Konzeption und Durchführung ist die LfM Nova GmbH.

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vorspann —3weltzeit 03_2010

04–05 nachrichten

06–15 titel»���Klimawandel:�Aufbruch�ins��

Bewusstsein»��Interview:�Erik�Bettermann»���Klima-Blog:�Coluna�Zero

16 neue medien»��Internet�und�Stromverbrauch:�

Surf�the�Planet!

17 schlaglichter

18-19 profil»��Deutschlandbild:�

Blagorodna�Grigorova»��Das�läuft:�Gesichter�

Deutschlands

20-23 studiogespräch»��Medienfreiheit:�20�Jahre�nach�

dem�Zerfall�Jugoslawiens

24 spot

25 partner»��Mediendialog�Russland:��

Zwischen�Macht�und�Kommerz

26-27 ansichten »��Im�Gespräch:�Adrienne�

Woltersdorf�über�China

28-29 vor ort »�Sun�City:�Die�Rentner-Stadt

30-31 zoom »�Vorgestellt:�Meggin�Leigh

Liebe Leserinnen und Leser,Menschen in aller Welt sind in hohem Maß über den Klimawandel besorgt. Sie fühlen sich ins-besondere durch extreme Wetterlagen bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine weltweit an-gelegte, vom Marktforschungsinstitut Synovate in Zusammenarbeit mit der DW durchgeführte Studie. Sie untersucht Einstellungen zum Kli-mawandel in 18 Ländern auf allen Kontinenten. Auch die Verantwortung und Rolle der Medien bei der Lösung dieses Zukunftsthemas sind Ge-genstand der Untersuchung.

Umfassende Ergebnisse werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum in Bonn vorstellen. Vom 21. bis 23. Juni erwarten wir wieder mehr als 1.000 Teilnehmer im World Conference Center. Experten aus Medien, Po-litik, Wirtschaft und Wissenschaft werden bei der dritten Auflage der internationalen Konfe-renz über den Klimawandel und die Rolle der Medien debattieren. „The Heat is On“ – so der bewusst alarmierende Titel. In 50 Einzelveran-staltungen werden die Teilnehmer viele Facetten der Problematik behandeln. Sie werden dabei

stets die Aufgaben, Möglichkeiten – auch Gren-zen – der Medien bei der Vermittlung des The-mas im Blick haben.

Das Format eines Medienkongresses mit in-ternationaler Ausrichtung und interdisziplinärem Ansatz stößt auf wachsendes Interesse. Dass er auch in diesem Jahr gelingen wird, daran werden wieder zahlreiche Partner ihren Anteil haben. Herausgehoben seien hier die Stiftung Inter-nationale Begegnung der Sparkasse in Bonn als Mitveranstalter und die Unterstützung durch das Auswärtige Amt, die NRW-Landesregierung und Deutsche Post DHL.

Das Deutsche Welle Global Media Forum bietet ein attraktives Rahmenprogramm – und als interkulturelle Kommunikationsplattform nicht zuletzt die Möglichkeit, Netze zu knüpfen und auszubauen.

Die weltzeit gibt einen Vorgeschmack auf das Forum. Ich würde mich freuen, wenn Sie dabei sind.

Annelie GrönigerGeschäftsführung DW-Media Services

Impressum

Deutsche�WelleUnternehmenskommunikation53110 BonnT. 0228.429.2041F. [email protected]/presse

Verantwortlich: Dr.�Johannes�HoffmannRedaktion:�Berthold�Stevens�Gestaltung:�Marco�Siebertz�Druck:�Brandt�GmbH�·�Bonn

Fotos und Illustrationen:�picture�alliance�(Titel�und�Sei-ten�6,�10,�11,�20,�21,�22),�DW/M.�Müller�(4,�5,�13,�18,�23,�25,�27,�31),�ushahidi.com�(4),�Roland�Berger�(4),�G.�M.�B.�Akash�(8,�12),�DW/M.�Bertram�(10),�DW-Archiv�(14,�19,�24),�B.�Rezende�(15),�Fotolia.de/Claudiu�S.,�E.�Pawlowska�(16),�Fotolia.de/Unclesam�(17),�rbb�(24),�DW/M.�Kasper-Claridge�(24),�DW/M.�Siebertz�(25),�Yovohagrafie�(26),�Fotolia.de/Heino�Pattschull�(27),�DW/M.�Soric�(28,�29)�

Anzeigen T.�0228.429.2043F.�[email protected]

Werbung im ProgrammT.�0228.429.3507F.�[email protected]

In dieser Ausgabe

Editorial

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4— nachrichten

Auf Ushahidi.com werden Berichte von Nut-zern gesammelt, die die Anwendung „Ushahidi“ in ihre Webseite eingebunden haben. Erstmals wurde 2008 auf einer solchen interaktiven Karte verzeichnet, wo es in Kenia nach den Wahlen zu Ausschreitungen gekommen war. Seither haben Nutzer in vielen weiteren Ländern Ushahidi

eingesetzt, etwa zum Auffinden von Erdbeben-opfern auf Haiti. Entwickelt hat die Anwendung ein Team aus Afrikanern und US-Amerikanern.

Die Preise der sechsten Ausgabe des Wettbe-werbs wurden in elf Sprach- und sechs Fachka-tegorien vergeben. Als bestes deutsches Weblog wurde „der-postillon.com“ ausgezeichnet. Hier veröffentlicht Stefan Sichermann täglich Satire-Nachrichten. Die internationale Jury lobte den „ironischen Humor, das Design im Stil einer Zeitung und den spielerischen Umgang mit Bildern“.

Erstmals wurde die Kategorie „Bestes Fach-blog“ vergeben, in diesem Jahr zum Thema Klimawandel. Das Sieger-Blog „Coluna Zero“ (deutsch: Säule Null) wird vom Brasilianer Bruno Rezende betrieben. Sein Leitmotiv: ein verant-wortungsbewusster Konsum (mehr auf Seite 15).

Überreicht werden die Preise beim Deut-sche Welle Global Media Forum am 22. Juni in Bonn. —— www.thebobs.com I www.dw-gmf.de

Perlen der Blogosphäre Bonn/Berlin – Das Blog „Ushahidi.com“, zu Deutsch: Zeugenaussage, ist Sieger des inter-nationalen Weblog-Awards The BOBs der Deutschen Welle. Die Jury entschied sich für ein Weblog, das zugleich eine Anwendung ist, mit der man zum Beispiel Informationen aus Konfliktregionen und Katastrophengebieten auf einer interaktiven Karte visualisieren kann.

Koalition der Vernunft Berlin – Der Wirtschaftsbeirat der Deutschen Welle unterstützt die Pläne, den Auslands-sender nachhaltig zu stärken. „Eine optimale mediale Visitenkarte in der Welt ist auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, sagte Roland Berger, Sprecher des Beirats.

01-02 Victor�Miclovich,�einer�

der�Autoren�des�Blogs�Ushahidi.com:�

praktische�Lebenshilfe�–�hier�Infor-

mationen�über�Vermisste�nach�dem�

Erdbeben�in�Haiti

03 Stärkung�der�Außendarstel-

lung�auch�im�Interesse�der�Wirt-

schaft:�Roland�Berger

Das Gremium hatte in seiner jüngsten Sitzung intensiv über die „Aufgabenplanung 2010 bis 2013“ der Deutschen Welle diskutiert. Berger sagte anschließend, er setze auf eine breite „Ko-alition der Vernunft“ für den deutschen Aus-landssender: Es gehe darum, die Anstrengungen in Deutschland für eine starke DW zu bündeln. Die ARD-Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio und auch kommerzielle Medienunternehmen sollten nach Auffassung des Wirtschaftsbeirates mehr als bisher in die Dis-kussion um die Zukunft der medialen Außendar-stellung einbezogen werden. „Wir wollen auch die Länder aufgrund ihrer medienpolitischen Kompetenz für den medialen Auftritt Deutsch-lands im Ausland gewinnen“, so Berger.

Nach dem DW-Gesetz nimmt die Bundes-regierung zu den inhaltlichen Aspekten der Aufgabenplanung innerhalb von sechs Wochen Stellung. Das Parlament soll sich unter Berück-sichtigung dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten damit befassen. Interessierte finden den Entwurf des Strategiepapiers im Internet. ——

www.dw-world.de/unternehmen

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weltzeit 03_2010 nachrichten —5

250 Gäste waren zum Festakt in das ehema-lige Ballhaus La Redoute in Bonn gekommen. Dort überreichte Erik Bettermann, Intendant der Deutschen Welle und Vorsitzender des Ver-eins Internationaler Demokratiepreis Bonn, die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung. „Shirin Ebadi kämpft seit Jahren unerschrocken dafür, dass in Iran die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte auch eingehalten werden, insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern“, begrün-dete Bettermann die Entscheidung der Jury. Der Verein wolle mit dieser Würdigung zugleich „Solidarität mit der Demokratiebewegung in Iran zeigen“.

Das griff die Preisträgerin auf und widmete die Auszeichnung „all den Menschen und Grup-pen in Iran, die in den zurückliegenden Jahren für die Demokratie gekämpft und dabei kein Opfer gescheut haben“. Die „Grüne Bewegung“ sei eine demokratische, keine ideologische Bewegung und sie sei in allen Gesellschafts-schichten verankert, betonte Ebadi.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, hob in seiner Laudatio die Ent-schlossenheit und den Mut Ebadis hervor. „Sie haben nie zugelassen, dass aus Querschlägen Rückschläge wurden. Dafür möchte ich Ihnen danken.“

Ebadi nahm die Preisverleihung zum Anlass, einmal mehr an Europa und die Vereinten Na-tionen zu appellieren. „Der Kampf gegen die Todesstrafe in Iran darf nicht nur auf dem Papier stattfinden, sonst droht eine neue Hinrichtungs-welle“, sagte sie. Derzeit säßen 18 politische Häftlinge in Todeszellen. Die EU verhalte sich in dieser Frage „zu indifferent“. Wirtschafts-sanktionen allerdings schadeten nur der Bevöl-kerung. „Besser wäre es, die EU würde ihre Botschafter als Zeichen des Protests aus Teheran zurückziehen.“

Kritik richtete Shirin Ebadi auch gegen west-liche Unternehmen, die beispielsweise Software lieferten, die Teheran zur Verfolgung von Re-gimekritikern einsetze. „Auch der Fernseh- und Internetempfang in Iran wird mit Hilfe west-licher Technik gestört.“ Ebadi zeigte sich zu-gleich überzeugt: „Wenn sich ein Volk so einig und aufopfernd für die Demokratie einsetzt, wird es siegen.“ ——

www.demokratiepreis-bonn.de

„Eine außergewöhnliche Persönlichkeit“Bonn – Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat am 20. Mai den In-ternationalen Demokratiepreis Bonn erhalten. Die Anwältin, die sich seit Jahren uner-müdlich für die Achtung der Menschenrechte in ihrem Heimatland einsetzt, sei „eine außergewöhnliche Persönlichkeit“, sagte Staatsminister Werner Hoyer in seiner Laudatio.

04 Zur�Preisverleihung�ein�

Appell�an�die�westliche�Welt,�poli-

tische�Häftlinge�in�Todeszellen�nicht�

zu�vergessen:�Shirin�Ebadi�mit�(v.l.)�

Bonns�OB�Jürgen�Nimptsch,�DW-In-

tendant�Erik�Bettermann,�Jürgen�

Wilhelm,�Vorsitzender�des�Demokra-

tiepreis-Kuratoriums,�und�Staatsmi-

nister�Werner�Hoyer

04

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6— titel

Wenn�wir�den�Kollaps�in�unseren�Berichten�als��

unvermeidlich�darstellen,�könnte�das�paradoxerweise�die�

Chance�sein,�ihn�doch�noch�zu�verhindern

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Ein authentisches Bild der Klimadiskussion zu vermitteln ist nicht einfach: Da war die von Enttäuschung geprägte Debatte im Anschluss an Kopenhagen. Dann Aufregung über Fehler in wissenschaftlichen Berichten. Schließlich der Petersberger Klimadialog – und Hoffnung auf einen Neuanfang. Zwischen diesen Polen bewegt sich das Deutsche Welle Global Media Forum Ende Juni in Bonn. Dort geht es um die Herausforde-rungen des globalen Klimawandels im Lichte der Darstellung in den Medien. Eine Einstimmung von Susanne Nickel.

titel —7weltzeit 03_2010

Das Treffen der 45 Umweltminister Anfang Mai auf dem Petersberg bei Bonn hat die Wei-chen für eine weitere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Klimawandels gestellt. Zugleich hat es in Vorbereitung auf den Gipfel im Novem-ber im mexikanischen Cancún eine neue Sicht auf die Prioritäten politischen Handelns eröffnet. Führte Kopenhagen Ende 2009 in dieser Frage zu einer Polarisierung zwischen den Weltmächten China und USA, so entwickelte der Petersberger Dialog die Vision einer Industriegesellschaft, die sich neu orientieren muss, will sie zukunftsfähig sein. Dabei handelt es sich um die pragmatische Erkenntnis, dass in der Weltgemeinschaft die-jenigen die Nase vorn haben werden, die ihre Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig auf einen Klima schonenden Entwicklungspfad bringen.

In der weltweiten Klimadiskussion spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Denn es liegt insbesondere in ihrer Verantwortung, die komplexen Zusammenhänge zu analysieren, sie einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln und für

einen globalen Klimaschutz zu werben. Längst wird in Redaktionen das Thema ressortübergrei-fend definiert und bewertet: Es ist weltpolitisch, ökonomisch, sozial und ökologisch gleicherma-ßen relevant. Der globale Klimawandel hat die Nische eines singulären Umweltthemas verlassen. Journalisten begegnen ihm bei der Recherche über extreme Wetterereignisse, über strittige Investitionsentscheidungen oder auch bei der Einordnung internationaler Beziehungen.

In diese Gemengelage stößt das diesjährige Deutsche Welle Global Media Forum vom 21. bis 23. Juni mit seinem Thema „The Heat is On – Climate Change and the Media“. Die Kon-ferenz rückt den globalen Klimawandel in das Blickfeld von Journalisten und Medienmanagern.

Das umfangreiche Programm der internatio-nalen Konferenz spiegelt die vielfältigen Facetten der Thematik wider. In mehr als 50 Panels und Workshops beschäftigen sich Experten aus Me-dien und Wissenschaft, Wirtschaft und Politik mit Bestandsaufnahme, Analyse, Bewertung. Sie

»Medien sind

unser mächtigstes

Werkzeug.«

Aufbruch ins Bewusstsein

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suchen nach Lösungsvorschlägen als Ergebnis kontrovers geführter Debatten.

Zugleich geht es um die Fragen: Welche Rolle spielen die Medien? Welche Aufgabe haben sie zu erfüllen? Und wo stoßen sie an ihre Grenzen? Fragen, die das Spannungsfeld des Rollenverständnisses beim Thema Klimawandel illustrieren: der Journalist als professionell dis-tanzierter Beobachter – und zugleich als verant-wortlicher Akteur, der bei seinem Publikum das erforderliche Bewusstsein schafft.

standortbestimmung für die medienDer englische Journalist und Psychotherapeut Mark Brayne leitet einen Workshop, der die He-rausforderungen des Klimawandels aus psycho-logischer Sicht betrachtet. Er bewertet sowohl die Einflussmöglichkeiten als auch den Willen der Medien, Veränderungen herbeizuführen, kritisch: „Wissenschaftliche Forschungen sagen uns, dass ein Untergang unserer Zivilisation in wenigen Generationen droht, wenn wir den Kli-mawandel nicht verhindern.“ Brayne ist „über-zeugt, dass die Medien in ihrer heutigen Form mit dieser Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts schlichtweg überfordert sind“. An der Wächter-rolle der Medien hält er gleichwohl fest: „Solan-ge Politiker, Wirtschaftsführer und Wähler nicht

verstehen, wie ernst die Lage ist, gibt es keine Hoffnung auf einen Wandel. Und was ist unser mächtigstes Werkzeug, wenn es darum geht, zu verändern, was Menschen denken? Die Medi-en! Wenn wir den Kollaps in unseren Berichten als unvermeidlich darstellen, könnte das para-doxerweise die Chance sein, ihn doch noch zu verhindern – vielleicht.“ Brayne wird mit seiner Position nicht nur auf Beifall stoßen.

menschenrechte und Nord-süd-gefälleDass auch das Thema Klimagerechtigkeit in der politischen Diskussion eine wichtige Rolle spielt, machte Außenminister Guido Westerwelle im Mai auf dem Petersberg deutlich. Der Klima-wandel stelle die Einhaltung von Menschen-rechten infrage, bedrohe das Recht auf Leben in einer gesunden Umwelt. „Gerade in den Län-dern, die am wenigsten zum Klimawandel bei-getragen haben, ist die Existenz von Millionen von Menschen gefährdet.“

Dieses Nord-Süd-Gefälle ist zentrales Anlie-gen von Adil Najam. Der in Pakistan geborene US-Amerikaner lehrt Global Public Policy an der Boston University und ist Mitautor des 4. Weltklimaberichts, den der Weltklimarat vor-gelegt hat. Auch er stellt seine Thesen auf dem Forum der DW in Bonn vor. In Haiti, so Najam,

8— titel

01 Naturkatastrophen�als�mah-

nende�Vorboten:�Überlebenskampf�

mit�Symbolcharakter�in�Bangladesch

01

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seien beim Erdbeben im Januar 2010 vor allem deshalb so viele Menschen gestorben, weil sie aufgrund der Armut in Hütten und baufälligen Häusern lebten. Für ihn sind „die wichtigsten Akteure nicht länger nur die Nationalstaaten, sondern auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft“. Jede Seite müsse das tun, was sie am besten könne: „Die Re-gierungen erlassen Regeln und Richtlinien, die Wirtschaft macht Gewinne und die Zivilgesellschaft übt eine Kontroll-funktion aus“, so der Professor.

eine million bäume und der regenwaldDer heute zwölf jährige Felix Finkbeiner entwickelte vor drei Jahren die Idee, Kinder könnten in jedem Land der Erde eine Million Bäume pflanzen, um auf diese Weise einen CO2-Ausgleich zu schaffen. Mittlerweile sind in der Initiative „Plant for the Planet“ Kinder in 72 Ländern der Erde aktiv. Sie bezeichnen sich als Botschafter für Kli-magerechtigkeit, was Felix Finkbeiner im DW-Interview am Rande des Petersberger Klimadialogs erläuterte: „Es ist ungerecht, dass die Menschen in den Industrienationen – ohne dafür zahlen zu müssen – einen deutlich höheren CO2-Ausstoß haben dürfen als die Menschen in ärmeren Ländern, die dazu noch am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden.“ Felix stellt das Projekt auf dem Deutsche Welle Global Media Forum vor.

Klimagerechtigkeit fordert auch Pater Marco Arana aus Peru, der sich seit vielen Jahren für die Menschen- und Umweltrechte der Arbeiter und Bauern in Cajamarca ein-setzt. Bei den Wahlen im kommenden Jahr in Peru wird er, trotz vieler Widerstände, für das Amt des Präsidenten kan-didieren. In Anerkennung seines Engagements erhält Arana den Aachener Friedenspreis. Auf dem Deutsche Welle Glo-bal Media Forum wird er über die Situation der Menschen in seinem Land durch die zunehmende Vernichtung des Regenwaldes berichten – und auf Erfahrungen mit den Medien seines Landes eingehen.

umweltjournalisten und widersacher Der Schutz der äthiopischen Kaffeewälder als Existenz-grundlage der einheimischen Landbevölkerung, der Zusammenhang zwischen Bürgerkrieg und Umweltzer-störung auf den Philippinen und Risiken und Heraus-forderungen der Umweltberichterstattung in autoritären Staaten, etwa in China – das sind weitere Themen der Konferenz.

Wer in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit über Umweltskandale und Proteste betroffener Menschen be-richten will, braucht Mut. Das wird eine Diskussionsrunde deutlich machen, an der investigative Reporter beteiligt sind, die Repressalien und Behinderungen bei ihrer Arbeit erfahren haben: Liu Jianqiang, der für die einflussreiche chinesische Wochenzeitung „Southern Weekend“ über Chinas aufstrebende Umweltbewegung schreibt, Tamer Mabrouk aus Ägypten, Blogger und Zeitungsjournalist, der

titel —9weltzeit 03_2010

Bertrand Piccard Forscher,�Abenteurer�und�UN-Sonderbotschafter.�1999�umrundete�

er�den�Globus�nonstop�im�Heißluftballon.�Jetzt�will�er�erneut�ein-

mal�um�die�Welt�–�mit�einem�solarbetriebenen�Leichtflugzeug.�In�

Bonn�stellt�er�sein�Projekt�„Solar�Impulse“�vor�und�zeigt�ein�Mo-

dell�seines�Solarfliegers.�Piccard:�„Wir�brauchen�Pioniergeist.“

Felix Finkbeiner Zwölfjähriger� Klimabotschafter,� Gründer� der� weltweiten� Schü-

lerinitiative�„Plant� for� the�Planet“.� In� jedem�Land�der�Welt�eine�

Million�Bäume�als�Zeichen�für�mehr�Klimagerechtigkeit�pflanzen,�

das�ist�das�Ziel�der�Aktion.�Felix:�„Wir�wollen�für�unsere�Zukunft�

kämpfen.“�

Hermann Scheer Träger�des�Alternativen�Nobelpreises,�Präsident�von�Eurosolar�und�

Vorsitzender�des�Weltrats�für�Erneuerbare�Energien.�Der�SPD-Poli-

tiker�ist�Mitglied�des�Deutschen�Bundestags�und�des�Internationa-

len�Parlamentariernetzwerks�für�Erneuerbare�Energien�–�und�gilt�

als�„Dickschädel“�und�„Sonnenkönig“.�

Werner BooteFilmregisseur�und�Autor.�Zehn�Jahre�hat�es�gedauert,�bis�sein�Do-

kumentarfilm�„Plastic�Planet“�fertig�war,�eine�mutige�Dokumen-

tation�über�unsere�Kunststoffwelten.�In�den�Chefetagen�der�Che-

mieindustrie�kennt�und�fürchtet�man�ihn.�Boote:�„Irgendwann�er-

kennt�man,�dass�es�cool�ist,�beim�Konsumieren�nachzudenken.“

Pater Marco Arana Peruanischer�Priester,�Umweltaktivist�und�Präsidentschaftskandi-

dat.�Soeben�mit�dem�Aachener�Friedenspreis�ausgezeichnet.�Der�

Mitbegründer�der�Umweltorganisation�„Grufides“�spricht�in�Bonn�

über�die�Vernichtung�der�Regenwälder,�die�Auswirkungen�auf�das�

Klima�und�die�Folgen�für�die�indigenen�Völker�Perus.�

Mark Brayne Reporter,�Korrespondent,�Psychotherapeut�und�Gründer�des�Euro-

päischen�Dart�Center�für�Journalismus�und�Trauma�in�London.�Auf�

die�Einstellung�komme�es�an,�sagt�Brayne,�und�meint�die�Journa-

listen.�Seine�provozierende�These:�„Medien�sind�in�ihrer�heutigen�

Form�mit�dieser�Kernaufgabe�des�21.�Jahrhunderts�überfordert.“�

Adil Najam Professor�of�Global�Public�Policy�an�der�Boston�University�und�Zu-

kunftsforscher.�Mitautor�des�4.�Weltklimaberichts,�den�der�Welt-

klimarat,� Friedensnobelpreisträger� 2007,� vorgelegt� hat.� Najams�

Anliegen:� das� Nord-Süd-Gefälle� beim� Thema� Klimawandel.� „Die�

Folgen�treffen�arme�Länder�besonders�stark.“

Alle Experten des Deutsche Welle Global Media Forum unter www.dw-gmf.de

Page 10: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

10— titel

03 THE�HEAT�IS�ON:�schmelzende�

Eisberge�am�südlichen�Polarkreis

04 Plastic�Planet:�Müllkippe�in�

der�Nähe�von�Manila,�Philippinen

unter anderem über die Verschmutzung des Suez-Kanals mit Chemieabfällen berichtet hat, und Grégory Ngbwa Mintsa aus Gabun, der in einem Blog über die größten afrikanischen Ölunterneh-men schreibt und 2008 wegen seiner kritischen Haltung inhaftiert worden war.

Verantwortung für die Zukunft Das Deutsche Welle Global Media Forum verspricht, einen wesentlichen Aspekt der Kli-madiskussion mit Leben zu füllen: die Zusam-menarbeit der Völker, Staaten und Regionen – auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit. Der internationale Medienkon-gress zeigt die Verantwortung auf, die die In-dustrienationen in diesem Kontext wahrnehmen müssen, indem sie ihr technologisches Know-how und ihre Innovationskraft zur Bekämpfung des Klimawandels einsetzen. Die Vorausset-zungen für eine nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene sind gegeben. So betrachtet, ist der Klimawandel als Chance zu begreifen.

Zumindest die Optimisten unter den Klima-schützern sind überzeugt: Wenn es gelingt, das Tempo des Klimawandels zu verlangsamen und die Zeit zu nutzen, um auf eine Ressourcen scho-nende Wirtschaftsweise umzustellen, wird eine moderne, sauber produzierende Industrie entste-hen – auch dies ein Prozess, in dem die Medien eine entscheidende Rolle spielen: als kritische Beobachter, als Zeugen, Berichterstatter und Kommentatoren.

Vor diesem Hintergrund verknüpft die Deut-sche Welle mit dem Forum die Zielsetzung, durch innovative Beispiele aus der Praxis eine ermuti-gende Sicht auf das Thema beizusteuern. Dafür

01 02

Die Partner des ForumsZahlreiche� Partner� gestalten� das� Programm� der� Konfe-

renz� mit:� unter� anderem� das� UN-Klimasekretariat� (UN-

FCCC),�das� International�Human�Dimensions�Program�on�

Global� Environmental� Change� (UN� IHDP/ESSP),� EU-Kom-

mission�und�Weltbank,�das�Wuppertal�Institut,�World�Wild-

life�Fund� for�Nature� (WWF),�NABU�und�klima-allianz,�das�

Institut�für�Weltwirtschaft�Kiel,�das�Deutsche�Institut�für�

Entwicklungspolitik�(DIE),�das�Zentrum�für�Entwicklungs-

forschung�(ZEF).�Mitveranstalter�ist�die�Stiftung�Interna-

tionale� Begegnung� der� Sparkasse� in� Bonn.� Unterstützt�

wird�die�Konferenz�zudem�vom�Auswärtigen�Amt,�dem�Mi-

nisterium�für�Generationen,�Familie,�Frauen�und�Integra-

tion�des�Landes�NRW,�dem�Europäischen�Fonds�für�regio-

nale�Entwicklung,�der�Stadt�Bonn,�DHL,�KSB�Aktiengesell-

schaft�und�Faber-Castell.��

Die Fotos vom KlimawandelUnter�dem�Motto�„Hot�Shots�–�Your�View�on�Climate�Change“��

sucht�die�DW�Fotos,�die�die�Folgen�des�Klimawandels�oder�

Projekte�zum�Klimaschutz�darstellen.�Menschen�aus�aller�

Welt� sind� eingeladen,� ihre� Eindrücke� bis� 23.� Juni� per�

E-Mail� an� [email protected]� zu� schicken.� Die� Fotos�

werden�auf�einer�klickbaren�Weltkarte�veröffentlicht.�Alle�

Einsender�können�Preise�gewinnen.�

www.dw-gmf.de/hotshots

Die Farben des WassersDie�farbliche�Vielfalt�des�Wassers�macht�der�Künstler�und�

Fotograf�Sven�Hoffmann�in�seinem�Projekt�„aqua�globalis“�

sichtbar.� Seine� Fotografien� aus� unterschiedlichen� Regi-

onen�der�Welt�präsentiert�die�Deutsche�Welle�im�Funkhaus�

Bonn.�Die�Ausstellung�wird�am�17.�Juni�um�17.30�Uhr�eröff-

net�und�ist�bis�14.�Juli�täglich�von�9�bis�18�Uhr�zu�sehen.�

www.aquaglobalis.com

Page 11: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

weltzeit 03_2010

03 Olkaria�III:�das�erste�private�

geothermische�Kraftwerk�in�Afrika�

04 Solar�Impulse:�mit�Sonnen-

kraft�um�die�Welt

steht beispielsweise Bertrand Piccard. Der schwei-zer Abenteurer, Forscher und Arzt will mit einem Solarflieger die Welt umrunden. Spektakulär die Aktion, überzeugend seine Ziele: „Wir wollen die Schlüsselrolle von erneuerbaren Energien und sauberen Technologien aufzeigen, um die Abhän-gigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Ich will demonstrieren, dass wir Pioniergeist brauchen zur Gestaltung einer besseren und nach-haltigeren Zukunft.“ In Bonn stellt er sein Projekt „Solar Impulse“ und ein beeindruckendes Modell seines Fliegers vor.

Bruno Wenn, Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Investitions- und Entwicklungs-gesellschaft (DEG), präsentiert Olkaria III, ein Projekt aus Kenia, das erste private geothermische Kraftwerk in Afrika. Die DEG übernehme eine Vorreiterrolle bei der Nutzung erneuerbarer Energien und der Entwicklung von Strompro-jekten auf dem Kontinent, sagt Wenn. „Wir gewährleisten, dass es funktioniert und rentabel, ökologisch und sozial verträglich ist sowie einen nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung leistet. Olkaria III ist ein leuchtendes Beispiel für die Wirtschaftlichkeit von Klimaprojekten.“

Die Agenda des Deutsche Welle Global Media Forum verspricht viel Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Und konstruktive Anstöße für Me-dienmacher und weitere Akteure. ——

www.dw-gmf.de

Im Vorfeld und während der Konferenz finden Sie zusätzliche Informationen und Berichte zum Thema im Presseblog: blogs.dw-world.de/presse

Pressefotos: www.flickr.com/deutschewelle

Mitschnitte: soundcloud.com/dwgmf

titel —11

03 04

Die Kunst der KinderWie�sehen�Kinder�in�den�verschiedenen�Teilen�der�Welt�den�

Klimawandel?�Auf�dem�Deutsche�Welle�Global�Media�Forum�

ist�eine�Auswahl�von�Bildern�eines�internationalen�Kinder-

malwettbewerbs�zu�sehen�–�ein�Projekt�der�Partnerschaft�

zwischen�der�Bayer�AG�und�dem�Umweltprogramm�der�Ver-

einten�Nationen�(UNEP).�Die�Sonderausstellung�mit�40�Dru-

cken�der�besten�Motive�aus�den�vergangenen�Jahren�wird�

am�Montag,�21.�Juni,�um�13.30�Uhr�im�World�Conference�Cen-

ter�Bonn�(WCCB)�eröffnet.�

www.unep.bayer.de

Der Blog aus dem EisIce-Bloggerin� Irene� Quaile� ist� wieder� unterwegs:� Die� DW-

Umweltjournalistin� ist� am� 26.� Mai� zu� einer� Expedition� in�

die� vom� Klimawandel� besonders� stark� betroffene� Ark-

tis� aufgebrochen.�Dieses�Mal� besucht� sie�die� Forschungs-

station� Ny� Alesund� auf� Spitzbergen.� Dort� untersuchen�

Wissenschaftler� des� Leibniz-Instituts� für� Meereswissen-

schaften� der� Universität� Kiel� an� Bord� des� Greenpeace-

Schiffs� Esperanza� die� Auswirkungen� des� Klimawandels�

auf� die� Ozeane.� Irene� Quaile� berichtet� im� Ice-Blog.� Auf�

dem� Deutsche� Welle� Global� Media� Forum� leitet� sie� am� 21.�

Juni� den� Workshop� zum� Thema:� „Sex,� Drugs� and� Climate� �

Change:�How�to�get�the�message�to�a�media-sated�public“.�

blogs.dw-world.de/ice-blog�

Der Weg zur KonferenzSchauplatz�des�Deutsche�Welle�Global�Media�Forum�ist�das�

am�Rhein�gelegene�World�Conference�Center�Bonn�(WCCB).�

Die� Konferenzsprache� ist� Englisch.� Anmeldungen� und� Ak-

kreditierungen� im� Internet.� Das� Konferenzsekretariat� ist�

zu�erreichen�unter�T.�0228.429-2142

www.dw-gmf.de

Page 12: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

12— titel

? Warum veranstaltet auch die Deutsche Welle eine internationale Konferenz zum Klimawandel?

Weil bislang noch niemand die Frage gestellt hat, welche Rolle die Medien beim Thema Klimawandel spielen, und zwar in allen Teilen der Welt. Hierfür ist das Deutsche Welle Global Media Forum der richtige Rahmen. Es ist der Medienkongress in Deutschland mit internationaler Ausrichtung, bei dem wir Medienvertreter aus aller Welt – darunter zahlreiche Partnersender des deutschen Aus-landsrundfunks – mit Akteuren aus Politik, Kultur, Wirt-schaft, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft zusammenbringen. Und dies mit dem Ziel, hier inter-disziplinär Lösungen für Herausforderungen der Globa-lisierung zu erarbeiten. Der Klimawandel gehört zu den dringendsten Fragen unserer Zeit und die Medien müssen hierfür Bewusstsein schaffen. Journalisten als Vermittler der komplexen Zusammenhänge tragen eine besondere Verantwortung. Deshalb diese Konferenz, deshalb zu diesem Thema.

? Heißt das, Sie erwarten eine aktivere Rolle der Medien – nicht nur Berichterstattung, sondern

auch Vorschläge für Lösungen? Natürlich geht es zunächst immer darum, dass die Medien zentrale Zukunftsthemen so objektiv wie möglich abbil-den und verständlich machen. Zugleich wird es wichtiger, dass Journalisten mit gut recherchierten Geschichten Bewusstsein fördern, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Medien müssen ein Forum bieten für den Austausch von Ideen und Meinungen. Durch Digitalisierung und In-ternet, durch Blogs und Twitter sind in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten enorm gewachsen. Immer mehr Menschen beteiligen sich an diesem Diskurs. Von den Diskussionen, die unterhalb der politischen Ebene geführt werden, können auch die Regierenden profitieren. Die Neuen Medien ermöglichen einen ungefilterten Blick in die Mitte der Gesellschaften.

? Wie behandelt die DW in den journalistischen Angeboten das Thema Klimaschutz?

Der Klimawandel und Umweltthemen stehen in un-seren Redaktionen ganz oben auf der Agenda. Ich nenne nur ein paar herausragende Dinge aus jüngster Zeit: die multimediale Serie „Ideas for a cooler world“, 50 TV-Reportagen aus aller Welt über beispielhafte Projekte zum Klimaschutz mit viel Hintergrund im Internet. „Wege aus

„Wir brauchen einen Klimawandel in den Köpfen von Journalisten“ DW-Intendant Erik Bettermann zu Intention, Thema und Ausrichtung der Konferenz. Fragen von Johannes Hoffmann und Berthold Stevens.

01 „Die�Medien�dürfen�sich�nicht�

vereinnahmen�lassen�von�jenen,�die�

um�der�Sensation�willen�fragwürdige�

Katastrophen-Szenarien�entwickeln“:��

Empfangsgeräte�nach�Überschwem-

mungen�in�Bangladesch

01

Page 13: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

titel —13weltzeit 03_2010

der Krise – Klimawandel“ ist eine weitere Reihe, diese unter Federführung des Hörfunks. Und wie unser eigenes Land aufgestellt ist, ist Thema des Projekts „Deutschland 360 Grad“. Hierfür sind unsere Volontäre durchs Land gefahren – übrigens mit Hybridauto, Bahn oder Fahrrad. Einige der Programmprojekte werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum prä-sentieren.

? Wie dringen Sie mit diesen Botschaften in Schwellenländern wie China durch,

wo Wirtschaftswachstum auch durch Um-weltsünden erkauft wird und wo Pressefrei-heit ein Fremdwort ist? Peking oder auch Teheran verwehren in der Tat Stimmen von außen den freien Zugang zu den Menschen im Land. Was unsere Redaktionen umso mehr bestärkt, regelmäßig Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes aufzugreifen. Dazu zählen – im Fall China – bilaterale deutsch-chinesische Projekte wie Solarparks oder Ge-wässersanierung ebenso wie in China gefragte Umwelttechnologien aus Deutschland. Dazu zählt gleichermaßen eine wahrheitsgetreue Be-richterstattung über Umweltkatastrophen oder massive Eingriffe in die Natur in China selbst. Hier sind den Inlandsmedien enge Grenzen gesetzt – eine Lücke, die internationale Sender schließen müssen. Das gilt natürlich insbesondere bei Katastrophen wie der Verseuchung des Amur, des Grenzflusses zu Russland. Oder denken Sie an die Folgen des gigantischen Drei-Schluchten-Damms in der Provinz Hubei, für den bis zu anderthalb Millionen Menschen umgesiedelt wurden.

? Was bedeutet das konkret für Journa-listen in diesen Ländern?

Am Beispiel China wird deutlich: Es gibt keinen global gültigen Königsweg, um für das Thema Klimawandel Bewusstsein zu schaffen. Medien und Journalisten müssen ihre Herangehensweise den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Um in restriktiven Medienmärkten etwas bewegen zu können, sind vertrauensbildende Maßnahmen

und Dialog erforderlich. Von außen müssen wir das gemeinsame Interesse am Klimaschutz deut-lich machen. Journalisten müssen auch die Argu-mente der Schwellenländer aufgreifen und ernst nehmen, denn diese haben beim Wirtschafts-wachstum einen berechtigten Nachholbedarf. Genau diese Diskussionen werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum führen.

? Das setzt verantwortungsbewusst agie-rende Journalisten voraus.

Für mich ist klar: Wir brauchen einen Klima-wandel auch in den Köpfen von Journalisten. Seriosität, hohe Qualität und Glaubwürdigkeit müssen der Maßstab sein bei einem Thema, das die Welt bewegt. Intensive Recherchen, sorgfältige Gewichtung von Quellen und prä-zise Analysen sind wichtiger als Schlagzeilen und Emotionen. Die Medien dürfen sich nicht vereinnahmen lassen, weder von jenen, die um der Sensation willen fragwürdige Katastrophen-Szenarien entwickeln, noch von jenen, die vor-eilig Entwarnung geben. Die Menschen weltweit bewegt das Thema.

02 „Um�in�restriktiven�Medien-

märkten�etwas�bewegen�zu�können,�

sind�vertrauensbildende�Maßnahmen�

und�Dialog�erforderlich“:�Intendant�

Erik�Bettermann

02

Page 14: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

14— titel

? Lässt sich dieses globale Interesse belegen?

Ja – mit aktuellen Daten. Wir werden zum Auftakt der Konferenz umfassende Ergebnisse einer vom Marktforschungsinstitut Synovate in Zusammenarbeit mit der DW durchgeführten Studie vorstellen. Sie untersucht Einstellungen zum Klimawandel bei der Bevölkerung in 18 Ländern, darunter Deutschland und Frankreich, Brasilien und die USA, China und Südafrika. Auch die Verantwortung und Rolle der Medi-en bei der Lösung dieses Zukunftsthemas sind Gegenstand der Untersuchung. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Menschen weiterhin in hohem Maß über den Klimawandel besorgt sind.

? Und auf dem Forum in Bonn gibt es dann die üblichen Plastiktaschen mit

Hochglanzbroschüren und Wegwerf- Artikeln? Nein! Wir werden den unvermeidlichen CO2-„Fußabdruck“ so gering wie möglich halten und ein hohes Maß an Nachhaltigkeit errei-chen. Das beginnt beim Veranstaltungsort. Das World Conference Center Bonn (WCCB) ist als Partner von „Sustainable Bonn“ ausge-

zeichnet worden. Bei der Organisation und Durchführung der Konferenz wird die „Grüne Hausordnung“ des WCCB beachtet. Auch viele Konferenzhotels verhalten sich vorbildlich, neutralisieren beispielsweise nicht vermeidbare Emissionen durch den Kauf von Umweltzerti-fikaten. Alle Teilnehmer können während der Konferenz kostenlos den öffentlichen Nahver-kehr und Leihfahrräder nutzen. Auch die Kon-ferenzunterlagen sind so weit wie möglich aus zertifizierter Produktion, aus nachwachsenden Rohstoffen und wiederverwerteten Materialien. Bei der Verpflegung haben wir auf Speisen und Getränke regionaler Herkunft Wert gelegt.

? Gilt das bei der DW auch im Unter-nehmensalltag?

Wir stellen uns dem Thema Klimaschutz und leisten unseren Beitrag, die CO2-Emissionen und den Verbrauch natürlicher Ressourcen zu reduzieren. Beispielsweise ist eine leistungs-starke Solaranlage auf dem Funkhaus Bonn in Planung. ——

01

Umwelt und Klima als Programm

»Es gibt keinen

Königsweg, um für

den Klimawandel

Bewusstsein zu

schaffen.«

Sonderprojekte� zu� Umweltthemen� und� speziell� zum� Kli-

maschutz�bietet�die�Deutsche�Welle�in�allen�Sprachen:�

�» Im�Fernsehen�sind�dies�beispielsweise�die�Magazine�Pro-

jekt Zukunft,�das�Wissenschaftsmagazin,�und�insbe-

sondere�Global 3000,�beides�auf�Deutsch�und�Englisch.��

www.dw-world.de/global3000�

www.dw-world.de/projekt-zukunft

�» Im�Rahmen�von�Global 3000�werden�die�50�Reportagen�

des�Multimediaprojekts�„Ideas�for�a�cooler�world“�aus-

gestrahlt.�Diese�Serie,�die�bis�Frühjahr�2011�läuft,�stellt�

beispielhafte�Projekte�zum�Klimaschutz�aus�aller�Welt�

vor.�„Ideas�for�a�cooler�world“�schließt�Beiträge�auf�Ara-

bisch�und�Spanisch�sowie�online�auch�auf�Chinesisch�ein.�

Die�Reihe�wird�von�zahlreichen�Partnern�der�DW�über-

nommen,�beispielsweise�vom�brasilianischen�öffentlich-

rechtlichen�TV�Cultura�und�von�Nautanki,�einem�der�be-

deutendsten�Videoportale�Indiens.�Auch�auf�der�chine-

sischen�Videoplattform�Tudou�und�dem�populären�Video-

portal�Ikbis,�Jordanien,�ist�die�Reihe�abrufbar.�Zahlreiche�

Goethe-Institute�und�andere�Mittlerorganisationen�ver-

linken�auf�das�DW-Angebot.���

www.ideasforacoolerworld.de

�» „Wege�aus�der�Krise�–�Klimawandel“�ist�eine�umfang-

reiche�Hörfunk-Serie�mit�Online-Dossier.�Prominente�Ex-

perten�verdeutlichen�die�Ursachen�des�Klimawandels�und�

zeigen�mögliche�Lösungen�auf.�

�» „Deutschland�360�Grad“�ist�ein�Projekt�der�DW-Volon-

täre.�Die�Nachwuchsredakteure�waren�im�Land�unter-

wegs�und�dabei�auf�umweltschonende�Weise�mobil.�In�der�

Reihe�„Generation�Klimawandel“�stellen�sie�zehn�junge�

Menschen�vor,�die�sich�für�den�Klimaschutz�einsetzen.�

www.dw-world.de/d360

�» Themen�wie�Rohstoffe�und�Alternative�Energien,�Wasser-

mangel�und�Wüstenbildung�greifen�alle�30�Sprachredakti-

onen�auf,�auch�in�Koproduktionen�mit�Partnersendern�in�

Afrika,�Asien�und�Lateinamerika.�Im�englischen�Angebot�

beispielsweise�zählen�das�Online-Dossier�Environment�&�

Development�und�das�Magazin�Living Planet dazu.�

www.dw-world.de/livingplanet

�» Die�Berichterstattung�zu�Umweltthemen�ist�darüber�hi-

naus�Bestandteil�der�Fortbildungsangebote�der�DW-AKA-

DEMIE.�Sie�richten�sich�an�Medienschaffende�in�Entwick-

lungs-�und�Transformationsstaaten.��

www.dw-akademie.de�

Page 15: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

weltzeit 03_2010

Sein� Blog� ist� noch� jung.� Seit� September� 2009� ist� Coluna�

Zero�(deutsch:�Säule�Null)�online.�Entstanden�ist�die�Idee�auf�

einer�Bergtour:�„Meine�Freunde�wollten�mit�mir�den�Pico�das�

Agulhas� Negras� im� Bundesstaat� Rio� de� Janeiro� besteigen.�

Ich� sagte:� Auf� geht’s!� Ich� hab� mir� die� Kamera� geschnappt�

und�dachte:�Ich�filme�das.�Und�damit�alle�es�sehen�können,�

habe�ich�es�ins�Internet�gestellt.�Die�Leute�fanden�es�super!“

Er�hatte�noch�nie�einen�Berg�bestiegen.�Jetzt�hatte�er�Lust�

auf�mehr.�„Ich�dachte,�wir�unternehmen�mehr�Ausflüge�und�

machen�Videos�darüber.�Und�dann�habe� ich�mich�entschlos-

sen,�ein�Blog�zu�erstellen,�damit�die�Videos�nicht�alle�einzeln�

bei�YouTube�herumschwirren.“�Dass�bald�Umweltnachrichten,�

Diskussionen� und� Meinungsbeiträge� hinzukamen,� auch� das�

war� so� nicht� geplant:� „Meine� Kamera� ist� kaputt� gegangen.�

Aber�das�Weblog�brauchte�trotzdem�Input.“�Rezende�betreut�

das�Blog�derzeit�allein.�Einige�treue�Leser�schicken�Vorschlä-

ge�für�Blog-Beiträge.�

Die� Nachricht,� dass� die� Deutsche� Welle� sein� Blog� auszeich-

net,�hat� ihn�überrascht.�„Ich�hatte�noch�nicht�einmal�damit�

gerechnet,�nominiert�zu�werden.“�

Der�Einsatz�für�den�Klimaschutz�ist�ihm�wichtig.�Noch�wich-

tiger�aber�erscheint�dem�Brasilianer�„die�Freiheit�jedes�Men-

schen,�sich�eine�eigene�Meinung�bilden�zu�können,�verschie-

dene�Ideen�zu�sammeln�und�zu�einer�Verständigung�zu�kom-

men“.� Dafür� sei� das� Blog� da.� Schließlich� würden� Menschen�

aus�der�ganzen�Welt�darin� lesen�und�Kommentare�abgeben.�

Die�Plattform�biete�ein�Meinungsspektrum,�das�weit�über�das�

hinausgehe,�was�in�den�konventionellen�Medien�zu�finden�sei.�

„Ich�schreibe�über�meine�Sicht�der�Dinge.�Durch�die�Kommen-

tare�der�Leser�kommt�eine�zweite,�dritte,�vierte�oder�fünfte�

Meinung�hinzu.�Also�eröffnet�es�eine�Fülle�von�unterschied-

lichen�Perspektiven.�Das�Wichtige�an�der�Diskussion�über�den�

Klimawandel� ist�die�Beteiligung�von�Leuten� in�anderen�Län-

dern,� in� anderen� Regionen.� Kein� anderes� Kommunikations-

mittel�ist�so�interaktiv�wie�ein�Blog.“�

Rezende�verdient�kein�Geld�mit�Coluna�Zero.�Das�würde�der�

Intention� des� Blogs� widersprechen.� Denn� zentrales� Anlie-

gen�ist�es,�die�Menschen�dazu�zu�bewegen,�einen�nach�seiner�

Überzeugung� maßlosen� Konsum� zu� verringern.� „Ich� würde�

doch�nicht�jede�Menge�Werbung�auf�eine�Seite�packen,�die�für�

verantwortungsvollen�Konsum�steht.“

Das�Zielpublikum�von�Coluna�Zero�ist�jung.�„Die�Nutzer�sind�

zwischen�18�und�28�Jahre�alt“,�weiß�der�Autor.�Allerdings�will�

er�hier�keine�Grenzen�ziehen,�richtet�sich�ebenso�„an�jung�ge-

bliebene�Ältere,�die�Freude�an�unseren�Abenteuern�haben�und�

an�der�Sprache,�die�wir�benutzen“.��——

www.colunazero.com.br�

www.thebobs.com

Klima-Blog mit Konsum-Index rio de Janeiro – menschen aus aller welt sollen sich an der diskussion über den Klimawandel beteiligen. das ist dem

28-jährigen brasilianer bruno rezende wichtig. für das blog „coluna Zero“ hat er beim weblog-award the bobs den

Preis in der fachkategorie „Klimawandel“ erhalten. dw-mitarbeiter deyvis drusian stellt blog und blogger vor.

titel —15

Wahl 2.0 am Zuckerhut

Das� Internet� und� Soziale� Medien�

werden�eine�bedeutende�Rolle�spie-

len� bei� den� Präsidentschafts-� und�

Parlamentswahlen�im�Herbst�in�Bra-

silien.� Der� Wahlkampf� für� den� Ur-

nengang� am� 3.� Oktober� verspricht�

dadurch� mehr� Bürgerbeteiligung�

und� Transparenz.� Rund� 60� Millio-

nen� Brasilianer� haben� inzwischen�

Zugang� zum� Netz� –� etwa� 50� Pro-

zent� der� Wähler.� Unter� den� Sozi-

alen� Netzwerken� wird� insbesonde-

re�„Orkut“�genutzt.�Auch�Blogs�er-

freuen�sich�großer�Beliebtheit�–�die�

brasilianische�Blogosphäre�wächst.�

Besonders� gefragt:� humorvolle� In-

halte,� wie� sie� zum� Beispiel� „Kibe-

Loko“� bietet.� Die� Bloggerin� Rosa-

na�Hermann,�Mitglied�der�Jury�von�

The� BOBs,� ist� überzeugt,� dass� sich�

durch�Internet�und�Web�2.0�auch�die�

Sichtweise�ihrer�Landsleute�auf�die�

traditionellen�Massenmedien�verän-

dert:�„Die�Menschen�beginnen,�das�

Monopol�des�Fernsehens�in�Frage�zu�

stellen.“� Zudem� könnten� Autoren-

blogs�die�Programmplanung�großer�

Sender�beeinflussen,�wie�einige�Bei-

spiele�zeigten.

Page 16: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

16— neue medien

Surf the planet!Noch schnell eine E-Mail abschicken, kurz die Nachrichten im Live-Stream schauen und dann noch den Status bei Facebook ändern. Schon sind zwei Stunden rum. Internetzeit verfliegt. Und die Stromuhr läuft mit. Welche Folgen hat das fürs Klima? Droht in Zukunft ein Surf-Verbot? Oder retten uns „grüne“ Computermodelle? Monika Griebeler hat nach Antworten gesucht.

0,2 oder sieben Gramm? Wie viel CO2 entsteht bei einer nor-malen Google-Anfrage? Die Debatte darüber läuft seit einem Jahr, geklärt hat sich wenig. Denn die Diskussion ist im Grunde beispielhaft für alles, was sich um IT und Klima dreht: Man weiß, dass man nichts weiß. Oder zumindest wenig. Eine Klimabilanz für das Internet zu erstellen ist schwierig, wenn nicht sogar un-möglich. Denn es geht nicht nur um den Stromverbrauch im Betrieb von Routern, Servern, Datenleitungen und Computern, sondern auch um den bei ihrer Produktion.

Fest steht zumindest so viel: Privatleute schaden dem Klima nur zu einem kleinen Teil. Das meiste hängt an großen Unternehmen. Allein um die Serveranlagen zu kühlen, geht oft rund die Hälfte der Energie drauf. Vier mittelgroße Kohlekraftwerke sind nach Berechnungen des Borderstep Instituts in Berlin nötig, um Server und Rechenzentren in Deutschland mit Energie zu versorgen. Weltweit braucht es laut dem Freiburger Öko-Institut etwa 20 Großkraftwerke mit jeweils 1000 Megawatt Leistung, nur um den Strombedarf des Internets zu decken. Hinzu kommt der Verbrauch von mobilen Geräten und von Druckern und Scannern.

In Deutschland verbraucht das Internet rund zwei Prozent des Stroms, die Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) rund acht Prozent, haben Klimaforscher berechnet. Welt-weit verursache das Internet somit so viel CO2 wie etwa ein Vier-tel des Flugverkehrs, schätzt Claus Barthel vom Wuppertal Institut für Klimaforschung. Die ITK stößt laut Umweltbundesamt dem-entsprechend mehr CO2 aus als der gesamte deutsche Luftverkehr. Auch hier sind die genauen Zahlen umstritten.

Klar ist: Der Energiebedarf wird wei-ter wachsen. „Schätzungen sagen vo-raus, dass der Verbrauch bis 2020 noch einmal um 20 Prozent steigen wird“, sagt Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftstechnologien und Technolo-giebewertung. Gründe unter anderen:

leistungsfähigere Computer, größere Flachbildschirme, aufwän-digere Mobiltelefone. „Grüne IT“ soll die Lösung sein: Geräte, frei von Giftstoffen, die Energie sparen und so die Umwelt scho-nen. Das können Computer mit Bambusgehäuse sein oder solche mit stromsparenden Chips oder Bauteilen aus „Bio-Kunststoff “. Auf der diesjährigen CeBit hatten diese grünen Modelle wieder ihren festen Platz. Doch Kritiker sehen in der Grünen IT nicht mehr als einen griffigen Werbeslogan. Schließlich werde Strom auch für IT-Anbieter immer teurer – und Klimaschutz mache sich gut. Umweltverbände bemängeln vor allem, dass es für die meisten Firmen nach wie vor primär um Leistungsstärke gehe. Sie fordern eine einheitliche, verbindliche Verbrauchskennzeichnung und strenge Standards für Energieeffizienz.

Grüne IT hin oder her – man weiß wenig. Denn zugleich scheint die Online-Welt das Klima per se zu schonen: Manager konferieren per Web-Video, statt zu fliegen, Wissenschaftler pu-blizieren online statt in gedruckter Form und Leser klicken sich zum Buch, statt in den Laden zu fahren. Wem das nicht reicht, für den haben Verbraucherzentralen und Umweltbundesamt Tipps, wie richtiges Surfen das Klima schützt: zum Beispiel schnelles Internet nutzen, dann dauert alles nicht so lange. Gezielt sur-fen, nicht sinnlos online Zeit und Strom vertändeln. Und Musik digital speichern, statt sie auf CD zu brennen. Kurz: „Leben Sie online, aber bewusst!“ ——

Den neuen Ratgeber „Computer, Internet und Co: Geld sparen und Klima schützen“ des Umweltbundesamtes gibt es kostenlos unter:

www.umweltbundesamt.de/klimaschutz/publikationen

Page 17: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

schlaglichter —17 weltzeit 03_2010

Suchmaschine rettet Regenwald

Eine herausragende Position in der

Grünen IT besetzt die Suchmaschine

ecosia.org: die Betreiber spenden

80 Prozent ihrer Einnahmen an ein

Regenwaldprojekt des WWF. Durch

einen Klick auf sogenannte gespon-

serte Links, wie sie auch Google

bei jeder Anfrage anzeigt, erzeugt

ein Nutzer genug Werbeeinnahmen,

um zwei Quadratmeter Wald am

Amazonas zu schützen. Die Server der

Suchmaschine, die mit Microsofts Bing

und mit Yahoo kooperiert, werden mit

Ökostrom betrieben.

Greenpeace lobt Klima bei CiscoZum dritten Mal hat Greenpeace seine

„Cool IT“-Rangliste der IT-Unterneh-

men vorgelegt. Am erfolgreichsten

hat sich demnach Cisco um den

Klimaschutz und die Verwendung

erneuerbarer Energien bemüht. Mit 62

von 100 erreichbaren Punkten konnte

das Unternehmen sein Vorjahreser-

gebnis verdoppeln und am bisherigen

Spitzenreiter IBM vorbeiziehen.

Greenpeace würdigte vor allem die

Bemühungen Ciscos, durch seine

IT-Lösungen den Stromverbrauch zu

reduzieren. Schlusslichter der „Cool

IT“-Liste sind Panasonic mit 14 und

Sony mit 16 Punkten.

Community finanziert Recherchereise Ted Rall ist ein angesehener

US-amerikanischer Cartoonist und

Autor. Er war bereits in Afghanistan

und möchte noch einmal dorthin, um

zu berichten. Journalistische Reisen

in Krisengebiete sind nicht billig. Es

sei denn, man reist als „Embedded

Journalist“ mit der US-Armee. Das

will Rall aber gerade nicht. Er will sich

ein uneingeschränktes Bild machen

und unabhängig sein. Mit Hilfe der

Website Kickstarter hat der Autor

25.000 US-Dollar von Privatleuten

gesammelt, um seine Reise zu

finanzieren. Ein erfolgreiches Beispiel

für Gemeinschaftsfinanzierung über

das Internet.

BBC filmt mit SpiegelreflexkamerasTraditionelle Medienhäuser haben jah-

relang auf die Qualität von professio-

nellem Equipment verwiesen, um sich

gegen sogenannte Bürgerjournalisten

abzugrenzen. Die BBC wirft diese

Vorbehalte nun über Bord und sendet

Beiträge, die mit einer handelsüb-

lichen Spiegelreflexkamera gedreht

wurden. Dank verbesserter Technik

kann eine Fotokamera zeitweise ein

würdiger Kameraersatz sein. Dank

RoG beklagt wachsendeInternet-Zensur Noch nie zuvor hat die Organisation

Reporter ohne Grenzen eine so hohe

Zahl von inhaftierten Bloggern, In-

ternetnutzern und Cyberdissidenten

dokumentiert. 120 Blogger weltweit

seien derzeit in Haft, davon allein 72

in China. 60 Staaten übten Internet-

zensur aus, so RoG. 40 Staaten sind

es laut Open Net Initiative (ONI), die

von den renommierten Universitäten

in Harvard, Oxford, Cambridge

und Toronto getragen wird. Zum

Vergleich: 2002 beschränkten erst

zwei Länder die Freiheit im Netz.

Jeff Jarvis will eine Bill of Rights fürs NetzDie Bill of Rights sind die ersten zehn

Zusatzartikel der Verfassung der

Vereinigten Staaten von Amerika.

Sie gewähren den Einwohnern

unveräußerliche Grundrechte. Sie

wurden 1789 beschlossen und gelten

noch heute. Der US-amerikanische

Internet-Guru Jeff Jarvis hat auf sei-

nem Blog Buzzmachine jetzt „A Bill of

Rights in Cyberspace“ formuliert. Mit

dabei: das Recht auf Verbindung und

das Recht auf Datenkontrolle. Fragt

sich nur, wer den neuen Grundrechte-

Katalog ratifiziert.

wegen ihrer geringen Größe eignen

sich Fotokameras vor allem zur

Berichterstattung in Krisengebieten.

Lady Gaga führtim 100-Millionen-Club Früher guckte man Musikfernsehen.

Heute guckt man Videos im Internet.

Der Web-Dienstleister „Visible

Measures“ listet auf einer Seite im

Netz die meistgesehenen Web-Videos

auf. Spitzenreiter im sogenannten

„100 Million Views Club“ ist

Lady Gaga. Drei ihrer Videos haben

zusammen erstmals die Grenze von

einer Milliarde Views geknackt. Die

Zeiten verwackelter Heimvideos im

Netz sind vorbei. Mit der gewaltigen

Reichweite lässt sich gutes Geld

verdienen – egal ob mit eingeblende-

ter Werbung oder mit einem Video als

Teil einer Marketingstrategie.

Page 18: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

Blagorodna Grigorova stammt� aus� Plovdiv,� Bulgarien,� wo�

sie� am� deutschsprachigen� Gymna-

sium�ihr�Abitur�machte.�Von�1999�bis�

2006�studierte�sie�an�der�Universi-

tät�Bonn�Politikwissenschaften,�Ost-

europäische� Geschichte� und� Wirt-

schaftspolitik.� 2004� kam� sie� erst-

mals� in� die� Bulgarische� Redaktion�

der� DW� –� zum� Praktikum.� Ab� 2007�

machte� sie� beim� deutschen� Aus-

landssender� ein� Volontariat,� zwei-

sprachig�und�für�den�Einsatz�in�Hör-

funk,� Fernsehen�und� Internet.� Seit-

dem�ist�sie�als�Freie�Mitarbeiterin�im�

Bulgarischen� Programm� und� in� der�

Zentralen� Programmredaktion,� ge-

legentlich� auch� als� Videojournalis-

tin� (VJ)� im� Einsatz.� Die� 30-Jährige�

spricht�auch�Englisch�und�Russisch.

DEUTSCHLANDBILD

Ich wollte das „wahre“ Deutschland erleben. Eine konkrete Vorstellung davon, was mich hier erwarten würde, hatte ich allerdings nicht. Auf die Begegnung mit den Deutschen wollte ich mich einfach einlassen.

So landete ich im September 1999 in Bonn, wo ich innerhalb von zwei Wochen eine schrift-liche und eine mündliche Aufnahmeprüfung für die Uni bestehen sollte. Am Abend vor der mündlichen Prüfung wollte ich meine etwas eingerosteten Deutschkenntnisse noch ein wenig auffrischen. „Nichts leichter als das“, sagte ich mir. Schließlich lebte ich in einem Studenten-wohnheim. Also beschloss ich, in den Gemein-schaftsraum zu gehen, wo sich bestimmt viele deutsche Studenten aufhielten, mit denen ich früher oder später ins Gespräch kommen würde.

Doch ich fand lediglich einen alten Professor aus China, der hier zum Austausch war. Wir kamen sofort ins Gespräch. Auf gebrochenem Deutsch fragte er mich höflich, woher ich

komme. „Bulgarien“, sagte ich. Da leuchtete sein Gesicht auf: „Sie Russisch können?“ „Ja, ein bisschen“, antwortete ich. Und von dem Moment an verlief unsere Konversation auf Rus-sisch. Mein Plan, Deutsch mit den deutschen Studenten zu üben, war dahin.

Auch in den nächsten Tagen war es nicht ein-fach, in der Bundesstadt am Rhein „die Deut-schen“ zu finden. Im Bus hörte ich Menschen, die auf Spanisch, Arabisch, Türkisch oder Rus-sisch sprachen. So eine Mischung aus verschie-denen Kulturen kannte ich bis dahin nicht, denn in Bulgarien trifft man kaum Menschen aus anderen Ländern, es sei denn man lebt in einem touristischen Ort.

das multikulti-landDie Deutsch-Prüfungen habe ich dennoch be-standen – und so kam ich an die Uni Bonn. Dort habe ich eine noch viel größere Nationalitäten-vielfalt vorgefunden: Bereits in meiner ersten

Vom Puzzle zum KunstwerkBonn – Fünf Jahre lang hat sie an einem deutschsprachigen Gymnasium in Bulgarien Grammatik gepaukt. Endlich rein in die Praxis der deutschen Sprache – das war ihr Wunsch, als sie zum Studium nach Bonn kam. Inzwischen kennt Blagorodna Grigorova auch die berufliche Praxis: als Nachwuchsjournalistin bei der DW.

18— profil

Page 19: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

profil —19 weltzeit 03_2010

Veranstaltung habe ich Menschen aus Albanien, Lettland, Frankreich, Ruanda, Nigeria und Kuba kennengelernt. Das Bonner Straßenbild war ähnlich bunt. Das fiel schon beim Essensangebot auf: Wenn man mittags Hunger hatte, konnte man sich nicht nur Currywurst am Imbiss kaufen, sondern auch Döner beim Türken, Gyros beim Griechen, Pizza beim Italiener, Pleskavica beim Bosnier oder Chop-Suey beim Chinesen.

Als ich irgendwann mit einer guten ostfriesischen Freundin darüber plauderte, sagte sie: „Natürlich, Bonn ist eine Multikulti-Stadt!“ Multikulti? Dieses Wort hatte ich in keinem Deutschun-terricht in Bulgarien gehört.

Inzwischen erscheint mir ganz Deutschland multikulti. Immer-hin leben hier etwa sieben Millionen Ausländer. Wenn man die-jenigen mitzählt, deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land kommen, dann hat fast jeder fünfte hier lebende Bürger Wurzeln in einem anderen Kulturkreis. Auch „die Deutschen“ gibt es nicht, habe ich mir von meiner ostfriesischen Freun-din erklären lassen. „Wir sind ja auch alle unterschiedlich – die Rheinländer, die Ostfriesen, die Franken, die Bayern, die Sach-sen...“ Das kann ich mittlerweile aus eigener – was die regionalen Sprachfärbungen betrifft, leidvoller – Erfahrung bestätigen.

der verbindende stoff Wenn ich heute an Deutschland denke, sehe ich vor meinem inne-ren Auge ein buntes Puzzle. Jedes Teilchen hat sein eigenes Muster und erzählt eine andere Geschichte. Die vielen verschiedenen Far-ben stehen für die unterschiedlichen Kulturen, die in Deutschland vertreten sind. Das Bild ist nicht vollständig. Hier und da passen die Puzzle-Stücke noch nicht zueinander. Es braucht eben Zeit, bis man das Bild vollständig zusammengesetzt hat.

Doch für mich zeichnet sich bereits ab: Am Ende entsteht ein stimmiges Kunstwerk.

In diesem bunten Deutschlandbild habe auch ich schon meinen Platz gefunden. Alle Teile in meiner Umgebung haben verschie-dene Farben, denn meine Freunde kommen aus vielen Ländern – oder Bundesländern – und bringen jeweils eine andere kulturelle Erfahrung mit. Der Stoff, der uns verbindet, ist die Toleranz und das Verständnis füreinander.

Auch ich habe meinen Beitrag zu Multikulti-Deutschland geleistet: Mein Mann, den ich vor zehn Jahren in Bonn kennen-gelernt habe, hat französische und iranische Wurzeln. Wir erwar-ten inzwischen Nachwuchs. Wenn uns Freunde fragen, welche Nationalität das Kind haben wird, antworten wir scherzhaft: „Es kommt natürlich mit einem UN-Blauhelm auf die Welt!“ ——

Junge� Angolanerin� trifft� Almbauern,� pakistanischer� Journalist� besucht� Bau-

arbeiter,� chinesische� Reporterin� porträtiert� Finanzbeamtin� –� drei� Beispiele�

einer� interkulturellen� Begegnung.� Mit� dem� Blick� von� außen,� immer� neugierig�

und� manchmal� staunend,� dokumentieren� DW-Reporter,� wie� die� Menschen� in�

Deutschland�leben,�wie�sie�arbeiten,�wovon�sie�träumen.�

Die� Auswahl� der� 40� Protagonisten� für� das� Projekt� „Gesichter� Deutschlands“�

folgt� statistischen� Kriterien.� Denn� die� Porträts� sollen� in� ihrer� Summe� einen�

Querschnitt�von�der�deutschen�Gesellschaft�vermitteln.�In�24�Sprachen�werden�

die�Einblicke�in�deutsche�Lebens-�und�Arbeitswelten�in�Radio�und�Internet�ver-

öffentlicht,�von�Arabisch�über�Chinesisch�bis�Russisch.�

Die�Menschen�erzählen�nicht�nur�viel�über� ihren�Job,�sondern�auch�über� ihre�

Person,� ihre� Freizeit,� ihre� Vorlieben.� Zum� Beispiel� die� Busfahrerin� Marion�

Thoma:� Täglich� steuert� sie� ihren� 18� Meter� langen,� gasbetriebenen� Gelenkbus�

durch� die� Augsburger� Innenstadt,� drei� Stunden� ohne� Pause,� stets� dieselben�

Strecke.�Zum�Ausgleich�geht�sie�joggen�und�macht�nie�zweimal�am�selben�Ort�

Urlaub.�Oder�Binnenschiffer�Fritz�Stuntz:�Seit�54�Jahren�ist�der�68-Jährige�mit�

seinem�Schiff�unterwegs,�heute�mit�Radar,�Sprechfunk�und�Computer�an�Bord.�

Daheim�warten�Hund,�Goldfische�und�Karpfen.�

Oder�die�Notfallärztin�Dagmar�Zillig,�die�auch�in�ihrer�Freizeit�mit�dem�Arztkof-

fer�unterwegs�ist,�als�ehrenamtliche�Seenotretterin,�gelegentlich�auch�Tauch-

ärztin�–�oder�Igel-Freundin.�Und�der�Straßenbauarbeiter�Jochen�Wörz,�dessen�

Werk� täglich� mit� Füßen� getreten� und� überfahren� wird.� Nach� der� harten� kör-

perlichen�Arbeit�kümmert�er�sich�daheim�als�alleinstehender�Vater�um�seinen�

Sohn�Julian…

Die�Deutsche�Welle�eröffnet�den�Hörern�und�Internetnutzern�in�aller�Welt�mit�

diesem�Projekt�einen�lebensnahen�Zugang�zu�den�Menschen�in�Deutschland�–�in�

der�ganzen�Breite�der�Gesellschaft.

www.dw-world.de/gesichter-deutschlands

Menschen treffen Menschen

bonn – dw-reporter aus aller welt auf expedition in den deutschen alltag,

zwischen Kiel und chiemsee. in der reihe „gesichter deutschlands“ stel-

len sie menschen aus der mitte der gesellschaft vor.

Page 20: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

20— studiogespräch

„Medien sind frei – Journalisten nicht“ Bonn – Vor 20 Jahren, im Juni 1990, gab es im damaligen Jugoslawien die ersten freien und demokratischen Wahlen. Das Land befand sich im Umbruch, von der jahrzehntelang herrschenden Einheitspartei hin zum Mehrparteiensystem. Freie Medien entstanden. Im Studiogespräch zieht eine Expertenrunde der DW Zwischenbilanz: Sanja Blagojevic, Lei-terin des Serbischen Programms, Benjamin Pargan, Leiter des Bosnischen Programms, und Srecko Matic vom Kroatischen Programm. Moderation: Zoran Arbutina.

? Frau Blagojevic, wenn Sie die heu-tige Gesellschaft in Serbien vor Augen

haben, würden Sie sagen, dass die Hoff-nungen von damals wahr geworden sind? Blagojevic: Von einer rosigen Zukunft kann nicht die Rede sein, denn Serbien befindet sich in einer Dauerkrise. Seit 20 Jahren steht es wirt-schaftlich schlecht um das Land. Man redet jetzt von einer demokratischen Regierung, aber ob die Regierung demokratisch ist und ob sie allen Aufgaben gewachsen ist, etwa der Auseinan-dersetzung mit der Vergangenheit, da muss ich meine Zweifel äußern.

? Herr Matic, Kroatien will in die EU. Ist es heute ein demokratisches Land nach

europäischen Maßstäben? Matic: Ja. Es gibt demokratische Wahlen. Es gibt ein Mehrparteiensystem. Aber es geht um die Qualität der Demokratie, auch um die Qualität der Medienfreiheit. Über Probleme im Land machen die Kroaten gern Witze. So sagt man über die Pressefreiheit: Die Medien sind frei, Journalisten aber nicht. Das heißt, man kann in kroatischen Medien frei über alles Mögliche berichten. Die Frage ist allerdings, ob die Jour-nalisten die Themen tatsächlich kritisch aufbe-reiten. Da sehe ich große Mängel.

? Herr Pargan, Bosnien-Herzegowina hat im Krieg besonders gelitten. Der Zer-

fall Jugoslawiens hat sich hier besonders schlimm ausgewirkt. Schon früher sagte

01

Page 21: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

studiogespräch —21 weltzeit 03_2010

man, Bosnien sei Jugoslawien im Kleinen. Kann Bosnien-Herzegowina als demokra-tisches Land existieren? Pargan: Ich glaube schon. Allerdings kann man auch nicht verschweigen, dass es Schwierigkeiten gibt. Das Land ist nach wie vor ethnisch auf-geteilt, hat wirtschaftliche und politische Pro-bleme. Das betrifft auch den Medienmarkt von Bosnien-Herzegowina. Aber der Staat kann, ja er muss überleben.

? Die Demokratisierung hat mit den Wünschen der Menschen im Land zu

tun, natürlich auch mit Einf luss von außen. Welche Rolle hat Deutschland gespielt? Matic: Praktisch seit ihrer Unabhängigkeit be-trachten die Kroaten Deutschland als großen Bruder im Westen. Deutschland war das erste Land, das Kroatien damals anerkannt hat, trotz mancher Bedenken in der Europäischen Union und in der westlichen Welt insgesamt. Gleich-wohl gibt es auch von deutscher Seite Kritik, allerdings wird sie hinter den Kulissen geäußert.

? Anders das Deutschlandbild in Serbien…Blagojevic: Deutschland wird in Serbien als

Feind gesehen. Serben denken sofort an die deutsche Hilfe für Kroatien in den Balkan-Krie-gen, auch an den Zweiten Weltkrieg. Da gibt es nichts Gutes und Schönes am Image Deutsch-lands und der Deutschen.

? Und wie halten es die Bosnier mit den Deutschen?

Pargan: In Bosnien muss man unterscheiden: Bei den Muslimen und den bosnischen Kroaten hat Deutschland einen sehr guten, sagenhaften Ruf. Bei den bosnischen Serben ist das Bild sicher we-niger positiv. Aber alle wissen, dass Deutschland als großes EU-Land wirtschaftlich und politisch für Bosnien-Herzegowina sehr wichtig ist.

? Die Mehrheit der Bevölkerung in Kro-atien ist – trotz gewisser Skepsis – für

einen EU-Beitritt. Wie wirkt sich diese Perspektive auf die Entwicklung des Landes aus? Matic: Nur sehr langsam. Am Anfang war die Akzeptanz in der kroatischen Bevölkerung groß. Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass sich vor allem in den Köpfen der Menschen noch einiges entwickeln muss, damit die Idee der EU im täglichen Leben gelebt wird. Gesetze müssen nicht nur vom Parlament beschlossen, sondern im Alltag angewendet werden.

? Vor etwas mehr als zehn Jahren haben Länder der EU, die in der NATO sind,

Serbien militärisch angegriffen. Wie stehen die Serben heute zu Europa? Blagejovic: Die Serben wollen sich auf jeden Fall in Richtung EU bewegen. Laut Umfragen ist die Mehrheit der Menschen für die Union. Nur mögen sie es nicht, wenn Europa Wünsche und Forderungen hat – etwa, dass Serbien das

01 Gegengewicht�zur�Boulevar-

disierung:�internationale�Presse�an�

einem�Kiosk�in�Split,�Kroatien

02 TV-Duell:�Serbiens�Präsident�

Boris�Tadic�(l.)�mit�Tomislav�Nikolic�von�

der�Radikalen�Partei�(SRS)�im�Januar�

2008�in�Belgrad

Stationen eines Umbruchs

1990� In�allen�Teilrepubliken�Jugo-

slawiens�werden�freie�Wahlen�durch-

geführt.

1991� Am�28.�Februar�wird�in�Kroa-

tien�die�„Serbische�Autonome�Pro-

vinz�Krajina“�ausgerufen.�Kroatische�

Familien�werden�vertrieben�und�ser-

bische�Flüchtlinge�aus�anderen�Lan-

desteilen�aufgenommen.�

Im�Juni�proklamieren�Slowenien�und�

Kroatien�ihre�Unabhängigkeit.�Im�

Juli�eskalieren�die�Kämpfe�in�Kroa-

tien�zum�Krieg.

1992� Nach�Referendum�am�3.�März�

verkündet�auch�Bosnien-Herzegowina�

seine�Unabhängigkeit.�Die�Folge:�der�

Beginn�des�Bosnien-Kriegs.�

02

Page 22: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

22— studiogespräch

Kosovo anerkennen und sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen soll. Das passt nicht zusammen und zeigt ein gespaltenes Ver-hältnis zur EU.

? Der Umbruch vor 20 Jahren hatte auch eine Liberalisierung der Medien zur

Folge. Plötzlich konnte man sagen und schreiben, was zuvor undenkbar war. Wie sieht das heute aus, sind die Medien frei? Blagojevic: Theoretisch ja, praktisch nein. Zurzeit sind die Medien in Serbien unter wirtschaft-licher Kontrolle. Präsident Tadic und seine Demokratische Partei etwa nehmen über Wer-beagenturen, die sie finanzieren, Einfluss auf die Berichterstattung. Man sagt zwar nicht offen: Ihr dürft dieses oder jenes nicht berichten. Aber man stellt fest, dass die Nachrichten in serbischen Sendern gleichlautend sind – alle im Sinne der Regierung. Pargan: Bosnien-Herzegowina hat einen sehr komplizierten Medienmarkt. Das ist vor allem dadurch zu erklären, dass er ethnisch aufgeteilt ist. Ich erinnere mich, wie sich ein westlicher Diplomat nach zehn Monaten im Land entsetzt zeigte, mit welcher Überzeugung Medien Hetze betrieben und über andere Volksgruppen herzö-gen. Da fehlt auch die Qualität. Jetzt, kurz vor

der Wahl, zeigt sich die Medienlandschaft in Bosnien-Herzegowina von der hässlichsten Seite mit Kampagnen und Sachen, die oft unter die Gürtellinie gehen. Ich befürchte, das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht verbessern. Matic: In Kroatien sieht man, dass Selbstzensur noch schlimmer sein kann als Zensur. Journa-listen werden zum Teil sehr subtil eingeschüch-tert, manchmal auch brutal. Es gibt Kollegen, die ihren Beruf aufgeben mussten. Freie Kollegen, die über kriminelle Strukturen berichtet haben, können mittlerweile kaum mehr einen Text ver-kaufen. Die Medien wissen inzwischen: Wenn sie etwas von kritischen Kollegen publizieren, haben sie umgehend den Geheimdienst im Haus und werden beobachtet. Und sie wissen, dass sie kaum eine Anzeige ins Blatt bekommen, da das von den Parteien kontrolliert wird.

? In Ihren Ländern hat sich die Medien-landschaft in Richtung Boulevardisie-

rung entwickelt. Ist das eine Tendenz, zum Beispiel in Kroatien? Matic: Auf jeden Fall. Wenn die kritischen Seiten des politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Lebens in Medien thematisiert werden, kann man als Journalist, auch als Medienhaus, mit Problemen rechnen. Natürlich ist es dann am einfachsten, diese Probleme auszublenden und ins Seichte überzugehen. Es gibt große Probleme in Kroatien, etwa was die Verhandlungen mit der EU oder ganz aktuell den Streit mit Slowe-nien angeht. Aber in diesen Tagen, in denen ein solch wichtiges Thema für Kroatien entschieden wird, ist auf einem der drei größten Portale dort die meistgelesene Nachricht, dass ein Fotomodel in einer Fußgängerzone von Zagreb mit ihrem Handy gespielt hat.

? Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um Vergangenheitsbewältigung geht?

01 Gedenken�an�die�Opfer�des�

Massakers�von�Srebenica�vom�Juli�

1995:�bosnische�Muslime�am�Memorial

02 Auf�dem�Weg�nach�Europa:�die�

kroatische�Premierministerin�Jadranka�

Kosor�im�Februar�2010�in�Berlin�

01

Im�April�schließt�sich�Serbien�mit�

Montenegro�zur�Bundesrepublik�

�Jugoslawien�zusammen.�

1994� Es�mehren�sich�Berichte�über�

Massaker�und�Internierungslager�im�

Bosnien-Krieg.�

1995� Am�11.�Juli�fallen�serbische�Ein-

heiten�von�General�Ratko�Mladic�in�die�

Kleinstadt�Srebrenica�ein�und�töten�

etwa�8.000�Bosniaken�(Muslime).�

Im�August�beendet�die�Kroatische�

Armee�den�Krieg�in�Kroatien.��

Am�21.�November�wird�der�Friedens-

vertrag�von�Dayton�geschlossen.�Bos-

nien-Herzegowina�wird�zu�einem�fö-

derativen�Staat.�

1999� Von�März�bis�Juni�führt�die�

Nato�einen�Luftkrieg�gegen�die�Bun-

desrepublik�Jugoslawien,�um�im�Ko-

sovo�die�Massenvertreibung�der�Al-

baner�zu�verhindern.�

2000� Am�5.�Oktober�wird�Präsi-

dent�Slobodan�Milosevic�gestürzt.

2001� Am�13.�August�werden�die�

Kämpfe�zwischen�Rebellen�der�alba-

nischen�UCK�und�der�mazedonischen�

Armee�durch�das�Ohrider�Rahmen-

abkommen�beigelegt.

02

Page 23: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

Blagojevic: Die Medien in Serbien sprechen nur dann über die Vergangenheit, wenn sie müs-sen. Das galt zum Beispiel für die Deklaration über Srebenica, die das Serbische Parlament vor kurzem verabschiedet hat. Die Medien haben da-rüber berichtet, aber es gab keine großen Doku-mentarfilme oder Hintergrundbeiträge, wo man noch einmal gezeigt hätte, was in Srebenica pas-siert ist. Nein, bei der Vergangenheitsbewältigung spielen die serbischen Medien keine große Rolle.

? Welche Aufgabe hat die Deutsche Welle in dieser Medienlandschaft?

Pargan: Wir können mit der nötigen Distanz be-richten, wir können mit einer neutralen Sprache und mit einer qualitativ guten, ausgewogenen Berichterstattung auf dem Markt eine Nische finden. Die Medien und Redakteure im ehe-maligen Jugoslawien arbeiten sehr egozentrisch und denken, was in Serbien, Kroatien oder in Bosnien-Herzegowina passiert, sei am wich-tigsten für ganz Europa. Sie sind immer wieder

aufs Neue überrascht, wenn sie nach den deut-schen Reaktionen auf serbische, kroatische oder bosnische Ereignisse fragen und wir sagen: Es gibt keine. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, die deutsche und die europäische Perspektive einzu-bringen, die sich oft wesentlich von dem unter-scheidet, was in der Region selbst berichtet wird.

? Kann die DW überhaupt eine Rolle spielen in einer Medienlandschaft, die

durch Selbstzensur und Boulevardisierung bestimmt wird?Matic: Auf jeden Fall. Auf dem Medienmarkt ist das Wichtigste, dass eine Marke als einzigartig angesehen wird. Die Deutsche Welle wird bei vielen Menschen in unserer Senderegion als un-abhängige, kritische Stimme angesehen. Die DW muss weiterhin das Relevante vom Irrelevanten trennen und die Dinge kritisch hinterfragen, also alles das tun, was das Gros der kroatischen, ser-bischen und bosnischen Medien nicht leistet. ——

studiogespräch —23 weltzeit 03_2010

Srecko Maticist�Redakteur�in�der�Kroatischen�Ab-

teilung.� Der� studierte� Betriebswirt�

und�Politologe�stammt�aus�Bosnien-

Herzegowina.� Nach� dem� Abschluss�

an�der�Universität�Zagreb,�Kroatien,�

hospitierte�er�bei�einigen�deutschen�

Medien,� unter� anderem� bei� der� FAZ�

und�beim�ZDF,�bevor�er�zur�Deutschen�

Welle�kam.�Derzeit� ist�Matic� (33)�an�

der� Gestaltung� eines� multimedialen�

Projekts� zum� Thema� „Der� Zerfall�

Jugoslawiens“�beteiligt.

Sanja Blagojevic Jahrgang� 1968,� ist� seit� 2007� Leite-

rin� der� Serbischen� Redaktion.� Sie�

stammt�aus�Belgrad.�Bis�2001�arbei-

tete�sie�für�das�serbische�Fernsehen�

und�als�Korrespondentin,�unter�ande-

rem� für� die� DW.� In� Deutschland� mo-

derierte� sie� ab� 2002� die� serbische�

Ausgabe�des�DW-TV-Magazins�Europa

Aktuell.�2004�bis�2006�war�sie�Kor-

respondentin�für�den�TV-Sender�B92�

in�Belgrad,�anschließend�Chefin�vom�

Dienst�beim�dortigen�TV-Sender�FOX.�

Benjamin Pargan leitet� die� Bosnische� und� die� Kroa-

tische� Redaktion� und� ist� Chef� vom�

Dienst�der�Mittel-�und�Südosteuropa-

Programme.�Pargan�(36)�stammt�aus�

Bosnien-Herzegowina� und� studierte�

Journalismus.�Ab�1998�absolvierte�er�

ein�Volontariat�bei�der�DW,�moderier-

te� 2000� die� bosnischsprachige� Aus-

gabe� des� Fernsehmagazins� Europa

aktuell.� Nach� einer� Station� im� DW-

Hauptstadtstudio�in�Berlin�kehrte�er�

2005�nach�Bonn�zurück.

Zoran ArbutinaJahrgang�1961,�arbeitet�für�die�Bosni-

sche�und�Kroatische�Redaktion�sowie�

für� die� Zentrale� Programmredakti-

on.� Er� studierte� Philosophie� und� Li-

teraturwissenschaft�in�Zagreb,�Kroa-

tien,�wo�er�auch�seine�journalistische�

Tätigkeit�als�Print-�und�Radiojourna-

list� begann.� Nach� Deutschland� kam�

er�1990,�arbeitete�für�den�Hessischen�

Rundfunk�und�ab�1995�für�die�DW.

2003� Der�serbische�Premierminis-

ter�Zoran�Djindjic�wird�erschossen.

2004� Am�1.�Mai�wird�Slowenien�EU-

Mitglied.

2006� Am�3.�Juni�erklärt�Montene-

gro�nach�Referendum�seine�Unab-

hängigkeit.

2008� Am�17.�Februar�erklärt�Koso-

vo�die�Unabhängigkeit.�

Am�21.�Juli�wird�Radovan�Karadzic�

festgenommen�und�nach�Den�Haag�

ausgeliefert.�

2009� Seit�Ende�des�Jahres�dürfen�

Bürger�Mazedoniens,�Serbiens�und�

Montenegros�ohne�Visum�in�die�EU�

einreisen.�

2010� Kroatien�will�Beitrittsver-

handlungen�mit�der�EU�abschließen.�

Das�Studiogespräch�in�voller�Länge�zum�Anhören�

und�Herunterladen�finden�Sie�unter:

www.dw-world.de/presse

Page 24: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

Von Berlin nach Wladiwostok Berlin – DW-TV ist Partner der ARD-Koproduktion „Immer ostwärts“. Die Reportagereihe führt ein Kamerateam von Berlin nach Wladiwostok. Beteiligt sind der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), der die Federführung hat, und der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Erinnert werden soll an den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. Die Reportagen, die im Frühjahr 2011 ausgestrahlt werden, zeigen den Alltag von Menschen zwischen Tradition und Moderne. Die erste Etappe führt von Berlin über Warschau, Kiew und Kursk nach Saratow. Das Team berichtet über die Dreharbeiten immer frei-tags im Inforadio des rbb. www.rbbonline.de/immerostwaerts

Störung der DW-Programme für Äthiopien Addis Abeba – Zu den Parlamentswahlen in Äthiopien am Pfingstsonntag, 23. Mai, wurden die Kurz-wellenfrequenzen des Amharischen Programms der DW mehrfach gestört. Ein „eklatanter Verstoß gegen geltendes internationales Recht und das Grundrecht auf Informationsfreiheit“, der nicht hin-nehmbar sei, so Intendant Erik Bettermann. „Wenn die Auslandsmedien nicht mehr zu hören sind, bleiben Äthiopiern nur die zensierten Inlandsmedien“, protestierte er. In den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Störungen gegen Sendungen der DW und der Voice of America gegeben, was die Regierung in Addis Abeba unlängst auch offiziell eingestanden hat.

Dem freien Fluss unzensierter Information verpflichtet Den Haag – Die führenden westlichen Auslandssender sind fest entschlossen, „dem freien Fluss un-zensierter Information auch künftig weltweit Geltung zu verschaffen“. Das sagte Jan Hoek, Chef von Radio Nederland Wereldomroep, zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai. In einer gemeinsamen Erklä-rung mit Deutsche Welle, BBC, Radio France Internationale und Voice of America heißt es weiter: „Jeder Fall vorsätzlicher Behinderung, jedes Sperren von Webseiten und jede Drohung und Gewalt gegen Journalisten macht uns nur umso entschlossener, diese Hürden zu überwinden und die Menschen dennoch zu erreichen.“ Dazu hätten die Sender „eine besondere Verpflichtung“, sagte der Holländer.

Drei Milliarden Konsumenten fest im Blick Singapur – Sie hatten die Kaufkraft von drei Milliarden potenziellen Konsumenten deutscher Export-güter fest im Blick: die rund 700 Teilnehmer der 12. Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft Mitte Mai in Singapur. Unter den Gästen der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle – hier im Interview mit Manuela Kasper-Claridge, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von DW-TV. Sie interviewte für das Aus-landsfernsehen auch Singapurs Premier Lee Hsien Loong. Anschließend moderierte Kasper-Claridge zusammen mit Lee den Gala-Abend der Konferenz.

Erfolg deutscher Popmusik dokumentiertBerlin – In der Sendung „Deutsche Beats“ präsentiert DW-TV in 14 Folgen die international erfolg-reichsten Popmusiker aus Deutschland. Gemeinsam mit Musikwissenschaftler Volkmar Kramarz von der Universität Bonn und prominenten Gästen stellt Moderator Max Hofmann wöchentlich die Hits und Interpreten vor. Grundlage ist eine Auswertung der internationalen Hitparaden seit 1970. Die Redaktion hat die Chart-Erfolge von mehr als 1.200 in Deutschland produzierten Singles und Alben untersucht. Unterstützt wird das Projekt von der „Initiative Musik“, seit 2009 Partner der Deutschen Welle. Die einzelnen Folgen sind auch im Netz zu sehen. www.dw-world.de/deutschebeats

ZENSIERT

24— spot

Page 25: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

partner —25

Was hört man hierzulande über die russische Medienlandschaft? In der Rangliste der Presse-freiheit von Reporter ohne Grenzen belegt das Land Platz 153. Journalistenmorde bleiben häu-fig unaufgeklärt, Machthaber bestellen Medi-eninhalte. Der Moskauer Focus-Korrespondent Boris Reitschuster berichtete sehr anschaulich. Systematisches Abhören, Einmischung seitens der Polizei, direkte und indirekte Drohungen – all das sei Journalisten-Alltag in Russland.

Dennoch: Das Land und auch die Bedin-gungen für Journalisten hätten sich in den vergangenen 20 Jahren tiefgreifend verändert und zum Positiven entwickelt. Darauf wies der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen hin, der in den Siebzigerjahren als ARD-Korrespondent in Moskau tätig war. Pleitgen, heute Vorsitzen-der der Geschäftsführung RUHR.2010, betonte, zu Zeiten der Sowjetunion sei es undenkbar gewesen, sich als Auslandskorrespondent ohne Begleitung durch das Land zu bewegen. Und heute? „Die gefährdete Pressefreiheit Russlands muss international zur Sprache gebracht werden, insbesondere weil Russland als Partner auf Au-genhöhe anerkannt werden will. Andererseits sollten wir uns hüten, vom hohen Ross Urteile zu fällen“, so Pleitgen.

Im Laufe der Diskussionsrunde zum Thema „Medienarbeit: Freiheit in Abhängigkeit?“ wurde klar, dass es die Meinungsfreiheit in

Russland nicht gibt, diese vielmehr jeweils stark vom Medium abhängt. Während das Fernsehen – das populärste Medium – praktisch vollständig der Staatskontrolle unterliegt, darf im Internet offenbar alles gesagt und geschrieben werden. Galina Timtschenko, Chefredakteurin des rus-sischen Nachrichtenportals Lenta.ru, sieht dafür zwei Gründe: Erstens sei das Internet lange Zeit vom Staat nicht beachtet worden, zweitens sei der Kreml jetzt gegenüber der Entwicklung des Internets im Zuge der angekündigten Mo-dernisierung aufgeschlossen. Die Probleme der russischen Netz-Medien seien anderer Natur: die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen und das Desinteresse junger Menschen, der aktivsten User, an seriösen Themen.

Wollen die Russen tatsächlich von einer starken Hand geführt werden, wie es klischee-haft heißt? Auch diese Diskussion blieb auf dem Mediendialog der DW nicht aus. Das gehöre keineswegs zwingend zur russischen Kultur und Mentalität, meinte Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen DW-Redaktion. Vielmehr sei dies „eine Frage der historischen Entwicklung“, die in jüngster Zeit wieder ungünstiger verlaufe. „Aber da muss man eher in Jahrzehnten als in Jahren denken“, so Mannteufel. ——

Spagat zwischen Macht und Kommerz Bonn – Russland stand im Blickpunkt des ersten Mediendialogs der Deutschen Welle am 21. April in Bonn. Thema: Medien zwischen Staatslenkung und Kommerzialisierung. Olga Sosnytska war dabei.

01 „Junge�Menschen�interessie-

ren�sich�nicht�für�seriöse�Themen“:�

Galina�Timtschenko,�Lenta.ru

02 „Nicht�vom�hohen�Ross�

urteilen“:�Fritz�Pleitgen

Der Mediendialog ist�eine�neue�Reihe�der�Deutschen�

Welle� in� Zusammenarbeit� mit� der�

Forschungsstelle� für� Medienrecht�

an� der� Fachhochschule� Köln.� Part-

ner� sind� zudem� die� Hochschule�

Bonn-Rhein-Sieg� und� die� Universi-

tät� Bonn,� die� gemeinsam� mit� der�

DW� seit� Herbst� 2009� den� Master-

studiengang� „International� Media�

Studies“� anbieten.� Die� ersten� 22�

Studenten�aus�13�Ländern�besuchen�

seither� die� Kurse� in� der� Akademie�

der�Deutschen�Welle.

01 02

weltzeit 03_2010

Page 26: weltzeit 03_2010  Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

26— ansichten

? Auf der Weltausstellung stehen die Men-schen stundenlang Schlange, um in den

deutschen Pavillon zu kommen. Wollen sie neue Umwelttechnologien bestaunen oder vor allem Sauerkraut essen? Na ja, zu Warteschlangen kommt es in China schnell, aber Sie haben Recht. Deutschland, vor allem das, was wir Deutschen zu bieten haben, wird von Chinesen noch immer besonders ge-schätzt. Dabei assoziiert man uns vor allem mit cleverer Technologie und solidem Fachwissen. Und sogar gerne mit Sauerkraut! In Chinas Großstädten sind Eisbein und Kassler bekannte Delikatessen. Zum Beispiel in Peking und Shang-hai gibt es deutsche Restaurants und Brauhäuser, die immer sehr gut besucht sind. Deutschland und seine – durchaus nicht preisgünstigen – Pro-dukte, wie Luxusautos und Infrastruktur-Equip-ment, erleben in China gerade einen Boom.

? Zur Außendarstellung unseres Landes in China trägt auch die DW bei. Aller-

dings lässt Peking Stimmen von außen nur ungern zu – Blockaden und Zensur bestim-men das Bild. Erreichen Sie die Menschen in China überhaupt? Nicht so, dass die chinesischen Nutzer einfach online gehen und uns googeln. Beides ist auf-grund hochentwickelter Zensurmaßnahmen seit einiger Zeit unmöglich. Kritische Inhalte

aus dem Ausland sind von der kommunistischen Führung nicht erwünscht. Niemand hätte es noch vor einem Jahr für möglich gehalten, dass es den chinesischen Zensoren gelingen würde, hun-derttausende Homepages, Blogs, SMS und Mails zu blockieren. Obwohl Pekings Autokraten sich gelegentlich auch die kostspielige Störung der Kurzwellenfrequenzen leisten, ist ausgerechnet die gute alte Kurzwelle noch immer ein Weg, unsere Berichterstattung ins abgeriegelte Land zu senden. Unsere Angebote im Internet müssen sich Interessierte in China auf Umwegen holen. Für die Strategie der Deutschen Welle heißt das: Wir setzen auf alle verfügbaren Übertra-gungswege, damit wir potenziell erreichbar sind. Deshalb bleibt auch eine TV-Lizenz für China ein Ziel, das bisher leider von den chinesischen Behörden verwehrt wird.

? Kann man einer Milliarde Menschen den freien Zugang zu Informationen

wirkungsvoll und nachhaltig verwehren? Wirkungsvoll schon. Ob das auch nachhaltig so sein wird, vermag niemand zu sagen. Gegen-wärtig finden selbst Optimisten keinen Grund zur Annahme, die digitale Mauer werde bald eingerissen. Fakt ist: Medien wie die Deutsche Welle und andere vom Regime unerwünschte Quellen werden erfolgreich blockiert. Wer jung und hoch motiviert ist, diesen Schutzwall zu

„Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel“ Im Gefolge von Bundespräsident Horst Köhler hat sie soeben die Expo in Shanghai be-sucht. Adrienne Woltersdorf, Leiterin der China-Redaktion der DW, äußert sich zum Deutschlandbild in der VR China, zu Internet-Blockaden und Zensur – und den eher trü-ben Aussichten auf Besserung. Berthold Stevens sprach mit ihr.

DW auf der ExpoDW-TV� ist� auf� der� Expo� 2010� in�

Shanghai� zu�empfangen.�Das�deut-

sche� Auslandsfernsehen� wird� über�

ein� Kabelnetz� verbreitet,� das� für�

die� Weltausstellung� eingerichtet�

wurde.� Das� Programm� ist� im� deut-

schen�Pavillon�und�in�ausgewählten�

Hotels�zu�sehen.�Ebenso�das�Inter-

netangebot�der�DW.�

DW auf Chinesisch DW-Chinesisch� verzeichnet� jeden�

Monat�mehrere�Millionen�Seitenauf-

rufe�im�Netz�–�trotz�umfangreicher�

Sperrmaßnahmen� durch� die� chine-

sischen� Behörden.� Rund� 30� Mitar-

beiterinnen�und�Mitarbeiter�berich-

ten�für�die�Deutsche�Welle�auf�Chi-

nesisch.�Entsprechend�dem�gesetz-

lichen� Auftrag� gehören� Informati-

onen�über�Deutschland�und�Europa�

ebenso� zur� Berichterstattung� wie�

über�das�Geschehen�in�China.

01 02

01-02 Sauerkraut�und�Warte-

schlagen:�der�deutsche�Pavillon�auf�

der�Expo�in�Shanghai

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weltzeit 03_2010 ansichten —27

unterlaufen, der kann es mit Hilfe von Proxys, also über Umgehungssoftware, schaffen. Das In-ternet gewinnt in China rasant an Attraktivität, eben weil dort trotz strenger Patrouille Infor-mationen und Debatten zu finden sind, die die staatlichen Medien ausblenden müssen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.

? Was macht gerade die Informationsan-gebote der DW und anderer Auslands-

sender bis heute zu einem so harten Stachel für die Pekinger Führung? Wir sind in der Lage, obwohl wir außerhalb der großen Internet-Mauer agieren, die Informations-lücke zu füllen, die die KP zwischen der oft bitteren Realität und ihrer Medienmanipulation klaffen lässt. Unser Publikum schätzt zudem die Horizonterweiterung, die wir schaffen, indem wir deutsche, europäische und globale Perspek-tiven anbieten. Das ist in den Augen der Macht-haber deshalb so gefährlich, weil wir zeigen, dass Meinungsvielfalt in unseren Gesellschaften etwas Produktives ist. Und jeder Bürger selbstverständ-lich das Recht hat, an denen zu zweifeln, die ihn regieren.

? Neue Medien verschaffen den Menschen in autoritären Staaten neue Möglich-

keiten – die Protestbewegung in Iran ist ein

Beispiel. Ein Ventil auch für eine größere Informationsfreiheit in China? Das Internet wird von den rund 384 Millionen Chinesen, die schon online sind, auf vielfältige Weise genutzt. Sie suchen täglich nach neuen Wegen, sich auszutauschen und sich gegen Staatswillkür zu wehren. Wir beobachten leider, dass sich Regime wie Peking oder Teheran ge-genseitig mit Zensur-Know-how unterstützen. Zensur ist längst ein florierendes chinesisches Exportgut geworden. Eine Twitter-Revolution wie in Iran werden die chinesischen Aufpasser zu verhindern wissen. Aber wenn es ein Medium gibt, das hilft, dass sich Opposition überhaupt artikuliert, dann ist es das Internet.

? Zu den Olympischen Spielen gab es die Hoffnung, dass sich Peking der Welt

weiter öffnet. Ein Trugschluss. Gibt es eine Chance, dass diese Öffnung bald kommt? Nein. Denn wir im Westen dürfen eines nicht unterschätzen: Das Regime in Peking ist in den Augen sehr vieler Chinesen erfolgreich. Seit einer Generation gibt es nur zweistellige Wachs-tumsraten. Die Partei hat es in den Augen der meisten Chinesen geschafft, das Land in Rekord-geschwindigkeit wieder in Großmacht-Form zu trimmen. Eine ihm gebührende Größe, die es im allgemeinen Verständnis der Bevölkerung über zweitausend Jahre lang innehatte – bis es durch den technologisch überlegenen Westen koloni-alisiert wurde. Selbst viele Kritiker wünschen sich ein starkes China. Sie fordern daher nur Reformen statt Revolution. So lange das Verspre-chen des Aufschwungs Chinas Massen überzeugt, kann sich die Partei ihren eisernen Griff wohl erlauben. ——

Zur PersonAdrienne� Woltersdorf� ist� seit� De-

zember� 2009� Leiterin� der� China-

Redaktion� der� Deutschen� Welle� in�

Bonn.� Sie� verantwortet� die� chine-

sischsprachigen�Angebote�des�deut-

schen�Auslandssenders� im� Internet�

und� im� Radio.� Woltersdorf,� Jahr-

gang�1966,�studierte�Sinologie,�Po-

litik� und� Geschichte.� Nach� meh-

reren� Jahren� Aufenthalt� in� China�

war� sie� als� Berlin-Reporterin� des�

Nachrichtenmagazins� „Der� Spie-

gel“� und� Hauptstadtkorresponden-

tin� der� „Frankfurter� Rundschau“�

tätig.� 2001� übernahm� sie� die� Res-

sortleitung� des� Berlin-Teils� der� �

„tageszeitung“,� für� die� sie� 2005�

bis� 2009� als� Korrespondentin� aus�

Washington�berichtete.�

»Eine Twitter-Revolution

werden die chinesischen

Aufpasser verhindern.«

03 Sieht�nur�minimale�Chancen�für�

eine�baldige�Öffnung�Chinas:�Adrienne�

Woltersdorf

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Producer Lars Scholtyssyk und ich haben uns für 4.30 Uhr in der Lobby eines Hotels in Phoe-nix verabredet. Wir wollen den Film mit einem Sonnenaufgang in der Wüste von Arizona im Südwesten der USA beginnen. Das Ende der Reportage – richtig geraten! – sollte eine atem-beraubende Aufnahme vom Sonnenuntergang werden.

Müde und ohne einen Schluck Kaffee im Bauch fahren Lars und ich los – immer gerade-aus. Irgendwo muss die Stadt ja aufhören und die Wüste beginnen. Glauben wir. Doch so eine Millionenstadt kann ganz schön lang sein, wenn es zu Dämmern beginnt. Um es kurz zu ma-chen: Die Sonne war schneller als wir. Vergeb-lich waren wir so früh aus dem Bett gestiegen.

Enttäuscht und hungrig machen wir uns auf den Weg nach Sun City. Der Name ist Pro-gramm: In dem Ort mit 44.000 Einwohnern scheint das ganze Jahr hindurch die Sonne, die Menschen tragen kurze Hosen und T-Shirts. Sun City liegt am Rande von Phoenix, ver-borgen hinter meterhohen Mauern. Schon am frühen Morgen gleiten die Menschen in Elektro-Golfwagen lautlos durch die gepflegten Straßen, vorbei an schlanken Palmen und bau-chigen Kakteen. Sie sind auf dem Weg zum nächsten Golf- oder Tennisplatz. Oder sie fah-ren ins Schwimmbad, ins Fitnessstudio oder zu einem der vielen Hobbywerkstätten für Holz- oder Metallarbeiten. Die Rentner wollen kör-perlich und geistig fit bleiben.

Gleichzeitig genießen sie das Leben in einer „seniorengerechten“ Umgebung: Die Häuser –

Durchschnittspreis etwa 150.000 Dollar – haben nur eine Wohnebene, die Bäder sind versehen mit vielen Griffen, sodass man sich beim Ein-stieg in die Wanne festhalten kann. Vor der Haustür verlaufen Bürgersteige, die alle flach sind. Gehwagen stoßen auf keinerlei Hin-dernisse. In Sun City zahlen die Einwohner deutlich weniger Steuern als in anderen Städ-ten: Es muss kein Geld ausgegeben werden für Schulen oder Kinderspielplätze. Menschen, die jünger als 55 Jahre sind, dürfen hier nicht leben. Das Durchschnittsalter der Einwohner beträgt 74 Jahre. In Sun City wird nur gestorben, nicht geboren. Dennoch wächst und gedeiht die erste Rentnerstadt der USA seit nunmehr 50 Jahren.

barrierefreies Paradies Wir sind verabredet mit Lori und Bill, einem Ehepaar, das schon viele Jahre in Sun City lebt. Beide frühstücken im Garten unter dem Son-nenschirm, eingerahmt von zwei riesigen, streng riechenden Hunden, die sie die „Girls“ nennen. Früher arbeitete Lori für die Post, Bill leitete eine lokale Gewerkschaft. Beide stammen aus Minnesota, einem der nördlicheren US-Bun-desstaaten, wo die Winter lang und kalt sind. Jetzt genießen sie den nicht enden wollenden Sommer in ihrem neuen und – wie sie sagen – letzten Domizil: „Wir wissen, dass wir hier sterben werden“, erklärt Bill. „Doch so lange wir hier sind, haben wir Spaß.“ Wir begleiten beide zuerst in den Tennisclub, dann zum Boccia-Turnier. Bill zeigt uns das örtliche Krankenhaus, das zu den

Letzte Ausfahrt: Sun City Sun City – Die Lebenserwartung der Menschen in vielen Teilen der Erde steigt. Hierzulande kommt eine geringe Geburtenrate hinzu: 2050 werden in Deutschland 40 Pro-zent der Bevölkerung über 60 sein, so die Prognose. In den USA beschließen immer mehr ältere Menschen, ihren Lebensabend in einer sogenannten Rentnerstadt zu ver-bringen. Ein Modell? Vom Alltag in Sun City berichtet unser Washington-Korrespondent Miodrag Soric.

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besten des Landes gehört. „Die haben hier bei den Herzoperationen viel Übung“, sagt er uns in die Kamera. Und grinst.

freiwillige sheriffs Am Empfang im Krankenhaus sitzen zwei rüs-tige Damen, die in den 60ern sind. Jede Woche verbringen sie hier freiwillig einen Teil ihrer Zeit, helfen aus. Ehrenamtliches Engagement spielt in der Seniorenstadt eine große Rolle. So werden auch die Verwaltungskosten niedrig gehalten: Nicht Angestellte, die bezahlt werden müssen, erledigen den Papierkram. Freiwillige machen das quasi als Hobby.

Gleichzeitig erfüllt sich so mancher einen Wunsch aus Kindheitstagen. Zum Beispiel Larry Syrell aus New York. Einst arbeitete er als Mechaniker. Seitdem er in Sun City Streife fährt, trägt er mehrmals im Monat freiwillig eine schmucke Sheriff-Uniform. Wir begleiten

ihn mit der Kamera im Polizeiwagen, wo er uns Auskunft gibt über die Sicherheitslage in der Rentnerstadt. Als ob wir es bestellt hätten, erreicht ihn ein Notruf. Der Einsatz führt uns in eine Garage, wo ein verwirrtes Ehepaar sich im Auto eingeschlossen hat und per Handy um Hilfe bittet. Als wir ankommen, ist die Feuer-wehr schon da. Gemeinsam befreien sie die Ein-geschlossenen.

Die Idee, einen Ort nur für ältere Menschen zu errichten, stammt von Del Webb, einem er-folgreichen Unternehmer in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Inzwischen gibt es allein in den USA Dutzende Rentnerstädte. Wir fragen uns, ob wir eines Tages auch in einer Seniorenstadt unseren Lebensabend verbringen möchten. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ein Leben ohne junge Menschen um mich herum kann ich mir nicht vorstellen. Producer Lars auch nicht. Übrigens haben wir im zweiten Versuch einen wunderbaren Sonnenaufgang in der Wüste auf-genommen. Und auch der Sonnenuntergang, der für das Ende des Lebens steht, kann sich sehen lassen. ——

01-02 Im�Elektro-Golfwagen�

lautlos�durch�gepflegte�Straßen:�

Sun-City-Bewohner�auf�dem�Weg�zum�

nächsten�Golf-,�Boule-�oder�Tennis-

platz,�ins�Schwimmbad�oder�Fitness-

studio�

03 In�Sun�City�wird�nur�gestorben,�

nicht�geboren.�„Doch�so�lange�wir�hier�

sind,�haben�wir�Spaß“:�Bill�und�Lori

Global 3000 zum� Schwerpunkt� „Demographische� Entwicklung“� wird�

am�26.�Juli�2010�ausgestrahlt.�Darin�der�Beitrag�aus�der�

Rentnerstadt�Sun�City�sowie�Reportagen�über�ein�Mehr-

generationenhaus�in�Deutschland�und�die�Bevölkerungs-

entwicklung�in�Indien.

www.dw-world.de/global3000

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Als Meggin Leigh in die Welt aufbrechen wollte, war ihre Familie nicht gerade begeistert. Ein Auslandsjahr in Frank-reich, das war der Traum der Studentin von der Ohio State University in den USA. Weil ihre Eltern das aber zunächst für einen teuren Urlaubswunsch hielten, fiel ein folgenschwerer Satz: „Nach dem Studium suche ich mir einen Job im Aus-land“, verkündete die Englisch-, Französisch- und Journalis-mus-Studentin stolz. Und sie blieb diesem Satz treu.

1994 machte sie sich mit dem amerikanischen Auslands-freiwilligendienst „Peace Corps“ auf, die Welt zu entdecken. Die Journalismus-Karriere musste noch warten. Das bescherte ihr drei glückliche, aber auch anstrengende Jahre als Entwick-lungshelferin im westafrikanischen Mali. Dort arbeitete sie in einer Krankenstation und gewöhnte sich schnell an das ländli-che Leben, das sich meist unter freiem Himmel abspielte. Und dabei konnte sie sich noch einen Wunsch erfüllen: Jeden Tag sprach sie Französisch – wenn auch nicht im Mutterland der Sprache. Mit 25 galt es, entweder wieder in den USA beruflich Fuß zu fassen oder weiterzureisen. Wankelmütig räsonierte sie, ob jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei, es mit dem Journalismus zu probieren. „Ein wenig hatte ich Angst vor der Hektik und dem Stress des Berufsalltags.“

Von cleveland über bamako nach essen Die kurz zuvor nach Deutschland ausgewanderten Eltern schlugen der grübelnden Meggin vor, es beruflich in Europa zu versuchen. Und tatsächlich: Schon wenige Wochen später fand sie sich in der Ruhrgebietsmetropole Essen wieder, lehrte Englisch und lernte Deutsch. „Das einzige Problem mit den Deutschen war, dass alle mit mir Englisch trainieren wollten.“ Dennoch lernte sie schnell Deutsch, unter anderem, weil Meggin von der „offenen, freundlichen Art der Menschen“ angetan war, wie sie sagt.

Eher zufällig denn geplant kam sie in Kontakt mit Verant-wortlichen des englischen Radioprogramms der Deutschen Welle, wobei sie heute weiß: „Ich traf die richtigen Leute zur richtigen Zeit – wie so oft in meinem Leben.“ Als freie Jour-nalistin arbeitete sie ab 2000 als Moderatorin in der Redaktion der Sendung Newslink. An ihre ersten Schritte als Reporterin erinnert sie sich noch gut. „In einer Theatervorstellung war ich so nervös, dass unter lautem Krachen mein Aufnahme-gerät auf den Boden fiel und in alle Einzelteile zersprang.“ Fünf Jahre später konnte sie als erfahrene Radio-Journalistin

darüber schon schmunzeln. Das Unbeholfenensein war längst professioneller Abgeklärtheit gewichen. Hatte sie zuvor noch den ein oder anderen Zweifel an ihrem Beruf, waren die jetzt verflogen. Am Ende einer langen Kette von Zufällen hatte sie ihren Traumberuf entdeckt – in einem Land, das sie vor allem für seine kulturelle Vielfalt schätzt.

mit der Kultur im bunde 2005 wechselte Meggin Leigh das Medium und die Stadt. Seitdem arbeitet sie als Moderatorin für das englischsprachige Journal bei DW-TV und produziert das Wirtschaftsmagazin Made in Germany und weitere Magazine. Sie ist auch gelegent-lich Gastgeberin der Wissenschaftssendung Tomorrow Today. „Als Moderatorin hast du einen enormen Druck, in jeder Hinsicht perfekt zu sein: Die Inhalte sollen stimmen, die Aus-sprache richtig sein und dann muss auch noch das Aussehen passen“, sagt sie – inzwischen ohne Nervosität oder Panik. „Und obwohl das ganz schön viel Druck ist, ist es für mich der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann.“ Vielleicht auch, weil sie in Berlin durch viele Sportmöglichkeiten und „das beste Kulturangebot der Welt“ den Ausgleich findet, den sie braucht.

Auch wenn der Auftrag der DW der Amerikanerin nicht in die Wiege gelegt wurde, kann sie sich damit voll identifi-zieren. Sie genießt die oft gegen den Strich gebürstete The-mensetzung der Nachrichtensendung. So könne es passieren, dass CNN und BBC an einem Tag mit der Auto-Misere der großen Weltkonzerne in Detroit aufmachten, das Journal von DW-TV dagegen mit der Regierungskrise in Thailand beginne. Diese eigenständige, manchmal auch eigensinnige Schwerpunktsetzung mache die Deutsche Welle wertvoll und an vielen Plätzen der Welt unverzichtbar.

Wenn Meggin heute in Berlin unterwegs ist, fühlt sie sich zu Hause. Auch wenn ihre innere Stimme und der ein oder andere Verwandte sie ab und zu wieder in die USA zurück-rufen wollen: Deutschland ist ein Teil ihrer Identität geworden – was nur zum Teil dem Zufall geschuldet ist. ——

www.dw-world.de/journal

Ein schönes Zufallsprodukt Berlin – Meggin Leigh studierte an der Ohio State University. Ihr Herz schlug zunächst eher für die franzö-sische Sprache, weniger für den Journalismus. Wie sie dann doch ihren Weg zur Deutschen Welle fand, erfuhr Richard Fuchs im Gespräch mit der Moderatorin.

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»Als Moderatorin

hast du einen

enormen Druck,

in jeder Hinsicht

perfekt zu sein.«

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B e e t h o v e n f e s t B o n n 1 0 . 9. – 9. 1 0 . 2 0 1 0

I n s o f f e n e

Martin Grubinger

Paavo Järvi

Sächsische Staats-

kapelle Dresden

Hélène Grimaud

Sol Gabetta

Orchestre National

de France

Peter Ruzicka

Daniel Hope

Kent Nagano

u. a.

t I c k e t s 0 1 8 0 - 5 0 0 1 8 1 2( 0,14 e / Min., max. 0,42 e / Min. aus Mobilfunknetzen )

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w w w . B e e t h o v e n f e s t . d e

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