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Fachbereich: Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Jessica Antje Bräulich Wenn Behinderung (k)eine Rolle spielt Theaterpädagogik im Kontext der Inklusion Abschlussarbeit zur Erlangung des Hochschulgrades Bachelor of Arts im Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule Neubrandenburg University of Applied Sciences Erste Prüferin: Prof. Dr. phil. Ulrike Hanke Zweite Prüferin: M.A. Gabriele Taube-Riegas Eingereicht am: 30. Juni 2014

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Fachbereich: Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Jessica Antje Bräulich

Wenn Behinderung (k)eine Rolle spielt Theaterpädagogik im Kontext der Inklusion

Abschlussarbeit zur Erlangung des Hochschulgrades Bachelor of Arts

im Studiengang Soziale Arbeit an der

Hochschule Neubrandenburg

University of Applied Sciences

Erste Prüferin: Prof. Dr. phil. Ulrike Hanke

Zweite Prüferin: M.A. Gabriele Taube-Riegas

Eingereicht am: 30. Juni 2014

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 01

2. Theaterpädagogik 02

2.1 Theaterpädagogik als Teil kultureller Bildung 02

2.2 Wurzeln der Theaterpädagogik – zwischen Kunst und Pädagogik 03

2.3 Improvisation als Methode der Theaterpädagogik 06

2.4 Ästhetische und psychosoziale Erfahrungen in der Theaterarbeit 08

3. Der Umgang mit Andersartigkeit in unserer Gesellschaft 11

3.1 Der Umgang mit Behinderung – ein geschichtlicher Abriss 11

3.2 Das Normalitätsprinzip und die UN-Behindertenrechtskonvention 13

3.3 Was ist Inklusion? 14

3.4 Was ist Behinderung – Versuch einer Definition 14

3.5. Stigmatisierung und soziale Reaktionen auf Behinderung 16

3.5.1 Zur sekundären Devianz und Funktionsweise von Stigmata 17

3.5.2 Diskreditierte und diskreditierbare Persönlichkeiten 20

3.5.3 Die Ethik der Amicalität 23

3.6 Ein kritischer Blick auf Inklusion 24

4. Beispiele inklusiver Theaterpädagogik im Kontext Sozialer Arbeit 26

4.1 Sycorax 27

4.2 Das Blaumeier-Atelier 29

5 Fazit und Ausblick 31

6 Quellenverzeichnis 35

7 Eidesstattliche Erklärung 37

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1 Einleitung

Der Umgang mit Behinderung ist in der aktuellen Inklusionsdebatte ein viel diskutiertes Thema,

welches viele Lebensbereiche der Gesellschaft berührt und zu einem Umdenken auffordert.

Stigmatisierung und Diskriminierung soll es in einer inklusiven Gesellschaft nicht mehr geben.

In meiner Praktikumszeit beim inklusiven Theater „Blaumeier“ in Bremen sammelte ich viele

eindrückliche Erfahrungen, welche im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um Behinderung,

psychischer Erkrankung und Inklusion ein interessantes Spannungsfeld ergaben. Zuschauer-

reaktionen wie: „Dafür, dass die behindert sind, ist das eine großartige Leistung.“ oder „Wer von

denen da auf der Bühne ist denn nun eigentlich psychisch krank?“ ließen in mir die Fragen

aufkommen, welche Rolle Behinderung eigentlich spielt, wo Inklusion beginnt, wo sie ihre Grenzen

hat und welche Wirkung inklusives Theater auf Schauspielende und Zuschauer hat – sprich, was es

auslöst.

Mit dieser Bachelor-Thesis möchte ich dem Gefühl der Nicht-Begreifbarkeit dieses Phänomens auf

den Grund gehen und werde versuchen der Frage auf die Spur kommen, was für eine Rolle

Behinderung – auf der Theaterbühne wie im gesellschaftlichen Leben – spielt. Dabei werde ich

1.) der Frage nachgehen, was Behinderung und Stigmatisierung bedeuten, sowohl auf das

Individuum bezogen als auch in gesellschaftlicher Hinsicht und

2.) mich mit der Frage auseinandersetzen, was die inklusive Theaterpädagogik bzw. das

inklusive Theater im Besonderen (aus-)macht und ob Behinderung, im Sinne der

körperlichen, kognitiven, emotionalen, psychischen oder seelischen Beeinträchtigung,

auf der Bühne eine Rolle spielt und wenn ja, welche? In diesem Zusammenhang wird

erörtert, welche Rolle das inklusive Theater letztendlich im Prozess der Inklusion spielen

könnte.

Im ersten Teil meiner Bachelorarbeit wird es um die Theaterpädagogik, ihre Schwerpunkte, Ziele und

Methoden gehen. Hierbei werde ich die geschichtliche Entwicklung der Theaterpädagogik mit der

Grundsatzdiskussion über ihre Zielsetzungen zwischen Kunst und Pädagogik erläutern. Auf die

Improvisation als Beispiel einer theaterpädagogischen Methode und psychodynamische Aspekte im

Theaterspiel wird im Anschluss näher eingegangen.

Der zweite Teil meiner Bachelor-Thesis widmet sich ausführlich dem Umgang mit Andersartigkeit in

der Gesellschaft. Aus einer soziologischen Perspektive heraus versuche ich mich dem Begriff

„Behinderung“ zu nähern und gesellschaftliche Stigmatisierungsprozesse zu verstehen. Das Prinzip

der Amicalität ziehe ich ergänzend hinzu. Dieser Abschnitt wird von unterschiedlichen

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(soziologischen) Theorien und Ansichten durchzogen und endet mit einem anschließenden kritischen

Blick auf Inklusion.

Die beiden Themen Theaterpädagogik und Inklusion werden im dritten Abschnitt zusammengeführt.

Zwei inklusive Theater, zum einen das „Blaumeier-Atelier“, zum anderen die Theatergruppe

„Sycorax“, werden vorgestellt. Diese Beispiele aus der Praxis führen hin zu einem abschließenden

Fazit und einer Auswertung der Theaterpädagogik im Kontext der Inklusion.

2. Theaterpädagogik

2.1 Theaterpädagogik als Teil kultureller Bildung

„Kulturelle Bildung [selbst] war und ist ein Teil einer umfassenden Persönlichkeitsbildung. Sie ist

Grundlage für zeitgemäße Weltsicht und Erkenntnis. … Kulturelle Bildung befähigt den Einzelnen,

Kunst und Kultur kennen zu lernen, zu verstehen und zu gestalten und ermöglicht damit die Teilhabe

am kulturellen Leben.“ (Haun 1997, S. 35-36)

Dieses Zitat von Heinz-D. Haun beschreibt, was kulturelle Bildung ist. Sie ist eine Bildungsform, die

Raum zur Persönlichkeitsentfaltung eröffnet; Raum für das Individuelle und Subjektive des

Menschen. Kulturelle Bildung – und somit auch Theaterpädagogik – lässt schöpferische Entfaltung

und neue Ausdrucksformen zu, die nicht als richtig und nicht als falsch bewertet werden können, weil

sie Ausdruck von Emotionen, Haltungen, Wünschen und Träumen sind. Möglichkeiten des kulturellen

Ausdrucks, die Auseinandersetzung mit Kunst, mit sich selbst, den eigenen Sichtweisen und der Welt

werden hier gegeben. (vgl. Bidlo 2006, S. 31) Das emotionale, soziale und kognitive Lernen mit allen

Sinnen ist Merkmal der kulturellen Bildung. Nicht das Lernen bestimmter Fähigkeiten oder das

Erbringen gewisser Leistungen sind Gegenstand, vielmehr stehen die individuelle und soziale

Stärkung im Fokus. (vgl. Witte 2003, S. 171)

Theaterpädagogik als solche mit ihrer Vielseitigkeit, ihren Schwerpunkten und Kontexten ist ein

breites Arbeitsfeld. Viele Ansichten und Zielvorstellungen, was Theaterpädagogik sein könnte oder

sein sollte, fließen darin zusammen. Die Vorstellungen reichen von Schauspielunterricht für Laien bis

hin zur Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, in Schulklassen und in therapeutischer

Form. Festzuhalten ist jedoch, dass die Theaterpädagogik neben der Tanz-, Musik- und

Medienpädagogik zu der Kulturpädagogik bzw. kulturellen Bildung zählt.

Im Mittelpunkt der Theaterarbeit in einem sozialen Feld steht das Spielen mit und für die Gruppe.

Häufig handelt es sich dabei um Menschen aus Randgruppen oder Subkulturen, wie unter anderem

Arbeitssuchende, Menschen mit Behinderungen oder Delinquente, desweiteren Senioren und

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Kinder. (vgl. Bidlo 2006, S. 25f., S. 30f. / vgl. Vaßen 2012, S. 53) Theaterpädagogik kann mit

unterschiedlichsten Menschen an verschiedensten Orten stattfinden, zum Beispiel in Theatern,

Bildungseinrichtungen jeglicher Art, Jugendzentren, Seniorenunterkünften, innerhalb von

Kirchenverbänden und theaterpädagogischen Zentren, in Krankenhäusern, Therapiezentren oder in

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. (Finke / Bundesverband Theaterpädagogik e.V.

2014, Internetquelle)

In der Theaterpädagogik wird die ganzheitliche Wahrnehmung angesprochen, was die Bereiche

Körper, Bewegung, Stimme, Fantasie und Vorstellungskraft, Haltungen, Denken und Handeln meint.

(vgl. Jentzen 2005, S. 21) Erfahrungsräume der Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung werden

geöffnet. (vgl. Bidlo 2006, S. 26) „Ziel des gemeinsamen [Theater-]Spielens ist die Aufhebung der

Behinderungen und Schranken, die sie als einzelne und als Gruppe erfahren und das Hinführen zur

Gemeinschaft aller. Das Spielen soll im Lebensumfeld einen gesellschaftlichen Integrationsprozess in

Gang setzen.“ (Rellstab 2000, S. 31) Die Theaterpädagogik eröffnet somit viele Möglichkeiten an

Ausdrucksformen und Wirkungsweisen des Theaters für soziale und künstlerische Bildungsprozesse.

Wesentlich ist, dass der Mensch dabei immer im Mittelpunkt steht. (vgl. Taube 2012, S. 619)

2.2 Wurzeln der Theaterpädagogik – zwischen Kunst und Pädagogik

Als fachliche Disziplin begann sich die Theaterpädagogik in den 1970ern zu etablieren. Seither hat sie

sich immer mehr Arbeitsfelder erschlossen. (vgl. Bidlo 2006, S. 35 / vgl. Jahnke 2012, S. 36 / vgl.

Klosterkötter-Prisor 2005, S. 5) Sie bezieht sich zum einen auf das Theaterspiel; das künstlerische

Schaffen und die künstlerisch-kreative Bildungsarbeit, und zum anderen auf die Pädagogik als

wissenschaftliche Disziplin mit besonderem Blick auf die Persönlichkeitsbildung. (vgl. Bidlo 2006, S.

32) In einem immer noch währenden Prozess wurde seit den 70er Jahren über die Ziele von

Theaterpädagogik diskutiert: Was will Theaterpädagogik sein? Wo sollte der Schwerpunkt liegen, in

der Kunst oder der Pädagogik? (vgl. Bidlo 2006, S. 38-40)

Den Grundgedanken der Pädagogik zu erfassen und ihre Geschichte an dieser Stelle differenziert zu

erläutern – ist sie doch nicht nur Wortbestandteil der Theaterpädagogik – gestaltet sich durch ihre

Abstraktheit schwierig, da es zahlreiche Arten der Pädagogik gibt, die sich in ihren Zielen, Motiven,

Schwerpunkten und Lebensbereichen (Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Moralpädagogik, Freizeit-

pädagogik, etc.) stark voneinander unterscheiden. Eine einheitliche, generalisierte, zum Zwecke der

Beschreibung der Theaterpädagogik hinreichende Definition ist daher kompliziert. (vgl. Bidlo 2006, S.

27, 39) Der Umfang meiner Bachelor-Thesis würde überschritten werden. Stellt die Pädagogik das

Individuum in den Mittelpunkt und hat sie zum Ziel, die Entfaltung der freien Persönlichkeit zu

unterstützen und die Menschenwürde zu achten, so passt sie in die Definition der Theaterpädagogik.

(vgl. Bidlo 2006, S. 32)

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In der Anfangszeit der 1970er Jahre stand die pädagogische Intention im Mittelpunkt der

Theaterpädagogik. In der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der Studentenbewegung und der

Auflehnung gegen traditionelle Normen und Werte wurden die Rufe nach einem politisch und

emanzipatorisch orientierten Theater laut. Die Themen waren ein humaner gesellschaftlicher

Wandel, Chancengleichheit und die kreative Auseinandersetzung sowie Veränderung der eigenen

Rolle in der Gesellschaft. Zu den Zielen gehörte zum einen politisches Bewusstsein zu vermitteln.

Zum anderen gehörte zu diesen die individuelle Weiterentwicklung mithilfe von theater-

pädagogischen Übungen zur sozialen und kommunikativen Entwicklung sowie zur Ideenfindung,

Empathie, Toleranz und Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle anzuregen. (vgl. Bidlo 2006, s. 35

/ vgl. Klosterkötter-Prisor 2005, S. 5f. / vgl. Vaßen 2012, S. 53f. / vgl. Witte 2003, S. 171) Die

ästhetische Erfahrung und die Kunst des Theaterspiels wurden in dieser Zeit überlagert von dem Ziel

des sozialen Lernens. (vgl. Bidlo 2006, S. 35)

Der Fokus der Theaterpädagogik veränderte sich in den 1980ern. Die spezifischen Bedürfnisse des

Individuums, seiner subjektiven Innensicht und seiner Biografie traten verstärkt ins Zentrum der

Betrachtung, während das aus der Außensicht sozial und politisch agierende Individuum der 70er

Jahre mehr in den Hintergrund trat. Die Theaterpädagogik als Therapieform, wie das Psychodrama

und Soziodrama, entwickelt von dem Mediziner, Literat und Theatermacher Jacob L. Moreno, erfuhr

in dieser Zeit einen Aufschwung. Auch in dieser Entwicklungsphase der Theaterpädagogik blieb die

ästhetische und künstlerische Dimension tendenziell unbeachtet. (vgl. Bidlo 2006, S. 36 / vgl. Lösel

2013, S. 59 / vgl. Wildt 2003, S. 233)

Die pädagogische und therapeutische Instrumentalisierung der Theaterpädagogik veränderte sich

allmählich in den 90er Jahren zu einer Kunstform mit überwiegendem ästhetischem Anspruch. (vgl.

Bidlo 2006, S. 37) Anstoß war die Erkenntnis, dass sich Kommunikation, Gemeinschaft und die

Entfaltung der Persönlichkeit in einem ästhetischen Feld entwickeln, in dem sinnliche Erfahrungen

gemacht werden können. (vgl. Klosterkötter-Prisor 2005, S. 6) Ästhetisch bildenden Vorgängen in der

Theaterpädagogik werden seit den 1990ern auf den Grund gegangen. (vgl. Sachser 2012, S. 84)

Dennoch spielen pädagogische Aspekte eine Rolle. Oftmals werden sie jedoch nicht angesprochen;

sind also nicht bewusst intendiert. Der Diskurs um die Bedeutung der Rolle von Kunst und Pädagogik

innerhalb der Theaterpädagogik kann wie folgt zusammengefasst werden:

Zum einen wird die pädagogische Einmischung in die Theaterarbeit als eine Instrumentalisierung des

Theaters als Kunstform interpretiert und daher abgelehnt. Auf der anderen Seite werden die

bewussten durch Pädagogik gelenkten, ästhetischen Erfahrungen für das Individuum und seine

Persönlichkeitsentwicklung als sehr positiv gewertet. Streitfrage ist, ob die Theaterpädagogik mit

gesellschaftlichen sowie bildungsorientierten Zielsetzungen (zweckgerichteter Pädagogik) die Kunst

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herabstuft und freie ästhetische Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Kunst behindert

oder nicht.

Gegenwärtig steht in dieser Debatte und in der Praxis der Theaterpädagogik die künstlerische

Theaterarbeit im Vordergrund. Pädagogische Gesichtspunkte bleiben als Nebenprodukt tendenziell

unreflektiert. Erwähnt sei an dieser Stelle jedoch, dass eine (pädagogische) Wirkung des

Theaterspielens grundsätzlich immer vorhanden ist, wenngleich dies nicht das bewusste Ziel des

Spielens ist. Die ästhetischen Erfahrungen mit sich selbst und der Welt stellen einen verwurzelten

Charakterzug des Theaterspielens dar, in der die Wahrnehmung eine existenzielle Rolle spielt. Die

Bedeutung dieser ästhetischen Erfahrungen, der Wahrnehmung, der Irritation und Impression von

den Schauspielern würde jedoch ohne Reflexion in den Hintergrund rücken. Eine Veränderung und

Entwicklung des Menschen würde ausgeblendet und damit ein wichtiger Charakterzug der

Theaterpädagogik verschwinden. (vgl. Bidlo 2006, S. 33-39) Denn: „Erst der Mensch macht die Kunst

zur Kunst“ (Bidlo 2006, S. 38)

Die Theaterpädagogik und die Pädagogik, ferner die Theaterpädagogik und die Theaterkunst, stehen

(aktuell) in einem neuen Verhältnis zueinander; die Disziplinen stehen sozusagen auf einer neuen

Basis der Korrespondenz. Es handelt sich um ein neues Verständnis von Kunst und Pädagogik,

welches keine „Entästhetisierung“ oder „Entpädagogisierung“ (Vaßen 2012, S. 54) des Theaters

meint. In diesem Verständnis der Theaterpädagogik als Erfahrungskunst sind Erkenntnis, Erinnerung,

Erfahrungen und Gefühle Wissenszugänge. (vgl. Vaßen 2012, S. 54) Die Theaterpädagogik ist folglich

eine interdisziplinäre Fachrichtung, welche sich im Laufe der Zeit für unterschiedliche Schwerpunkte

geöffnet hat. (vgl. Bidlo 2006, S. 38f.)

Neue Handlungsfelder und Herausforderungen entwickelten sich und verbinden das Theater

zunehmend mit der Sozialen Arbeit. Die Theaterarbeit mit ausgeschlossenen und benachteiligten

Gruppen der Gesellschaft, wie zum Beispiel obdachlosen Menschen, Psychiatrieerfahrenen oder

Jugendlichen, erfordert sowohl psychosoziale als auch sozialpädagogische und therapeutische

Aufgaben und Herangehensweisen. Alltagsorientierung und Lebensweltbezug stehen mehr und mehr

im Fokus. Die Kooperation und daraus entstehende Interdisziplinarität des Fachwissens der einzelnen

Disziplinen wie der Ästhetik, Kunst und Pädagogik formen die theaterpädagogische Arbeit. Beispiele

hierfür sind (inklusive) Theater mit psychisch erkrankten und beeinträchtigten Menschen. (vgl.

Klosterkötter-Prisor 2005, S. 6f.)

Die eigene Motivation, die hinter der Arbeit als Theaterpädagoge steht, sowie der Arbeitskontext

sind für die Ausrichtung der Schwerpunkte (Kunst, Therapie, Pädagogik) von Bedeutung und sollten

daher reflektiert werden. Die Interdisziplinarität der Theaterpädagogik bietet die Möglichkeit, flexibel

zu agieren und beispielsweise beim Arbeiten mit Kindern, Jugendlichen oder Menschen mit

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Behinderungen die Pädagogik oder aber die Kunst in den Vordergrund zu rücken und

Überschneidungen unterschiedlicher Disziplinen bewusst einzusetzen. (vgl. Bidlo 2006, S. 38f.) Zu

den aktuellen Zielen der Theaterpädagogik fasst der Bundesverband Theaterpädagogik e.V.

zusammen:

„Theaterpädagogik ist eine künstlerisch-ästhetische Praxis, in deren Fokus das Individuum, seine

Ideen und seine Ausdrucksmöglichkeiten stehen. Im Kontext der Gruppe entsteht daraus Theater.

Dieser Prozess kultureller Bildung fördert künstlerische, personale und soziale Kompetenzen.“ (Finke /

Bundesverband Theaterpädagogik e.V. 2014, Internetquelle)

2.3 Improvisation als Methode der Theaterpädagogik

Die Theaterpädagogik macht sich Methoden des Improvisationstheaters und der Spielpädagogik zu

eigen. In diesem Punkt der Bachelorarbeit wird das häufig eingesetzte methodische Element

Improvisation näher erläutert. Eine vollständige Ausführung theaterpädagogischer Methoden

insgesamt würde den Rahmen der Bachelorthesis sprengen, aus diesem Grund widme ich mich der

Improvisation, welche als roter Faden ebenfalls durch das anschließende Kapitel 2.4 (ästhetische und

psychosoziale Erfahrungen) führt.

Das Wort Improvisation stammt aus dem Italienischen (improvviso) und ist mit „unvorhergesehen,

unmittelbar“ zu übersetzen. (vgl. Lösel 2013, S. 38, S. 43) Die Übersetzung deutet an, dass es bei

Improvisation um die Entstehung einer Szene im Augenblick ohne vorherige Planung geht.

Handlungen auf der Bühne entstehen aus intuitiven Impulsen heraus. (vgl. Bidlo 2006, S. 137) Die

Improvisation kann sowohl als Methode für Schauspielübungen im Rahmen des Warming-Up´s

(Aufwärmen), als auch im Probenprozess während der Szenenerarbeitung eingesetzt werden.

Letzteres bedeutet, dass am Ende der Improvisation entstandene Ideen für die Inszenierung fixiert

werden. Darüber hinaus existiert die Improvisation zugleich als eigene Theaterform. (vgl. Lösel 2013,

S. 23)

Als eigenständige Theaterform entstand das freie Improvisationstheater im 20. Jahrhundert aus dem

Tanz heraus; im Zeitgeist der Überwindung von Machtverhältnissen, dem Glauben an ein kreatives

Ich und der Freiheit anstelle von Fremdbestimmung und (traditionellen) Regeln. Von Improvisation

als Theaterform wird gesprochen, wenn die Zuschauer wissen, dass es sich um Improvisation handelt

und diese im Mittelpunkt der Aufführung steht. (vgl. Lösel 2013, S. 36-42) Es wird kein expliziter

Ablauf der Szene festgelegt; daher bildet es das Gegenstück zur Inszenierung. (vgl. Lösel 2013, S. 24f.)

Eines von zwei wesentlichen Erkennungsmerkmalen der Improvisation ist die „Prozesshaftigkeit“.

(Lösel 2013, S. 45) Sie beschreibt, dass Produktion und Aufführung zum gleichen Zeitpunkt

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stattfinden. (vgl. Lösel 2013, S. 45) Der Spielleiter1 oder das Publikum geben in der Improvisation

entweder gar keine oder ein paar bestimmte Rahmungen für die Szenerie vor. (vgl. Bidlo2006, S. 137)

Dies betrifft fünf Dimensionen des Theaters: Dialog, Bewegung, Figur, Szenenabfolge und Inhalt,

welche sich variabel als Mischformen improvisieren oder festschreiben bzw. inszenieren lassen. So

kann beispielsweise in einer Improvisation der Inhalt (Wo spielt die Szene und worum geht es?)

vorgegeben werden, während die Schauspieler Charaktere, Abfolge und Dialoge improvisieren.

Vorstellbar wäre auch das Inszenieren der Figuren (ein alter Mann) sowie deren Bewegung

(gebrechlich und schwerfällig) bei gleichzeitiger Improvisation von Ort und Inhalt (Was passiert wo?).

(vgl. Lösel 2013, S. 28) Zweites wesentliches Merkmal beim Improvisationstheater ist die mögliche

Partizipation des Publikums, welches die Dialoge oder Handlungen zum Teil mitbestimmen kann.

Hierbei leitet häufig ein Regisseur an, welcher die Szenen rahmt und die Verbindung zwischen den

Schauspielern und den Zuschauern schafft. (vgl. Lösel 2013, S. 68, S. 72f.)

Neben der Prozesshaftigkeit und der Partizipation als wesentliche Erkennungsmerkmale stellen die

vom amerikanischen Regisseur Del Close konzipierten Improvisationsregeln weitere charakteristische

Merkmale der Improvisation dar. Diese beinhalten zum Beispiel, dass die Schauspieler nicht die

hergestellte Realität des Spielpartners leugnen dürfen. (vgl. Lösel 2013, S. 97f.) Das „Ja-sagen“ ist in

diesem Zusammenhang für eine flüssige Improvisation von Bedeutung. Gemeint ist damit die

Einverständnis mit den Vorschlägen des Spielpartners, seiner Geschichte zu folgen, anstatt eigene

Ideen für Spielhandlungen permanent durchsetzen zu wollen. Ein „Nein“ hemmt den

Improvisationsfluss. Die Teilnehmer müssen folglich miteinander kooperieren und sich aufeinander

einlassen können. (vgl. Lösel 2013, S. 105f.) Sie sollten die Geschehnisse auf der Bühne begründen

können, anstatt einen Umstand oder einen Charakter zu erfinden, welcher diese Umstände leugnen

könnte. Ferner ist der Versuch, witzig zu sein, für die Improvisation kontraproduktiv und nach Del

Close als eine Handlung zu bewerten, welche Bühneninteraktionen und Zuschauer zu kontrollieren

versucht; gar manipulieren will. Es geht während der Improvisation darum, dass eine Verbindung

zwischen Publikum und den Schauspielern entsteht, jedoch nicht, die Zuschauer zum Lachen zu

bringen. Die Schauspieler sollten sich als Gruppe wahrnehmen und als solche auftreten. Dies

bedeutet, sich nicht nur auf sich und sein eigenes Wirken zu konzentrieren, sondern sich im Spiel auf

eine Weise auf die anderen einzulassen, welche die Spielpartner in einem positiven Licht dastehen

lässt. (vgl. Lösel 2013, S. 98f.)

Im improvisierten Theaterspiel ist folglich viel Spontanität gefragt. Während der Improvisation

reagieren die Schauspieler auf augenblickliche Umgebungsreize; sie spielen im Moment. Spontanität

kann entstehen, wenn das Kontrollieren der eigenen Impulse und die eigene Zensur in den

1 Begriffe zu Personen sind in der gesamten Bachelorarbeit auf alle Geschlechter bezogen.

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Hintergrund treten. Wenn spontane Einfälle nicht selbstkritisch beurteilt werden und Mut entwickelt

wird, Fehler zu machen, ist dies die Basis für Kreativität. Voraussetzung ist ein vertrauensvolles

Gruppenklima, in welchem sich die Einzelnen von dem Gedanken lösen können, erfolgreich sein zu

müssen und das Risiko des „Sich-lächerlich-machens“ eingehen können. (vgl. Lösel 2013, S. 44)

2.4 Ästhetische und psychosoziale Erfahrungen in der Theaterarbeit

Anhand der theaterpädagogischen Methode Improvisation werden nachfolgend Prozesse der

Wahrnehmung und psychosozialen Erfahrungen während des Theaterspielens beschrieben. Dabei

werde ich mich überwiegend auf Viola Spolin (1906-1994) beziehen, eine bedeutende Persönlichkeit

in Hinblick auf die Entwicklung des Improvisationstheaters. Sie verband erziehungswissenschaftliche

Ideen der erfahrungsorientierten Pädagogik (nach John Dewey und Maria Montessori) mit dem

Improvisationstheater. (vgl. Lösel 2013, S. 76)

Viola Spolins Meinung nach leben wir in einer Kultur, in der es fortwährend um Bewertungen geht; in

der wir für unsere Leistungen entweder Ablehnung oder Anerkennung erfahren. Dies behindert das

erfahrungsorientierte Lernen und dezimiert die persönlichen Freiheiten. Die Fähigkeit, Probleme zu

lösen, geht verloren, weil nicht mehr die Gesamtheit der Persönlichkeit eingesetzt werden kann,

sondern nur isolierte, akzeptierte Anteile des Selbst. Angst vor äußeren Bewertungen unserer

Handlungen ist ein Problem unserer Gesellschaft, welches sich auch im Improvisationstheater

wiederspiegelt – wenn sich der Fokus der Spielenden merklich auf mögliche Bewertungen der

Zuschauer richtet und das freie Improvisieren folglich gehemmt verläuft.

Die persönliche, kritisch-reflexive Bewertung gegenüber sich selbst verhindert intuitives Reagieren

und spontane Problemlösungswege während des Improvisationsspiels auf der Bühne. (vgl. Lösel

2013, S. 78f.) Viola Spolin spricht in diesem Zusammenhang von einer „Spaltung des Bewusstseins in

ein agierendes Ich und ein beobachtendes Ich.“ (Lösel 2013, S. 79) Der Angst vor Bewertungen setzt

Spolin den Point of Concentration entgegen. Der Point of Concentration symbolisiert eine Sache oder

ein Problem, welche/s beim Improvisieren zum Konzentrationsgegenstand der spielenden Akteure

wird. Dies kann beispielsweise eine Vorgabe für eine bestimmte Handlung sein (Person X hat etwas

verloren) oder auch die Beschäftigung mit einem Gegenstand (Wie ist dieser Hut beschaffen und für

was kann man ihn alles nutzen?). (vgl. Lösel 2013, S. 78-82)

Der Point of Concentration splittet die Aufmerksamkeit und soll in einen Bewusstseinszustand

führen, in dem Spontanität und Flow Erlebnisse stattfinden können. Zum einen richtet sich dabei die

Aufmerksamkeit nach innen auf das Problem und zum anderen nach außen auf die Gesamtheit der

Situation. (vgl. Lösel 2013, S. 130f.) Er intendiert eine Konzentration auf Details, soll die Angst vor

Kontrollverlust vermindern, die Komplexität der Bühnensituation reduzieren und vor allem

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Abhängigkeiten zwischen Anleiter, Schauspielern und dem Publikum minimieren, welche durch

persönliche Bewertungen entstehen. Die Schauspieler sollen nicht den Erwartungen der Zuschauer

oder des Anleiters folgen, sondern sich voll und ganz der Lösung eines Problems widmen. Das

Problem stellt den Bezugsrahmen zwischen den Zuschauern und den Schauspielern her. Die

Persönlichkeit und die Gefühle der Improvisatoren stehen nicht im Mittelpunkt und sind somit auch

nicht Objekt der Beziehung zum Publikum. Die Improvisation dient Spolins Auslegung nach somit

nicht der Selbsterfahrung. Damit hebt sich ihr Improvisationskonzept deutlich vom Psychodrama ab.

In Kombination mit dem Point of Concentration entwarf Spolin ebenfalls die sogenannten Theater

Games. Sie stellen den Point of Concentration in Bewegung dar. Es handelt sich um Übungen bzw.

Improvisationsspiele, in denen im Kontakt mit den anderen eine ganzheitliche Wahrnehmung

erfahren werden soll – sowohl der Körper, als auch die Bewusstheit der Sinne werden angesprochen.

Ein Problem wird gegeben, um welches sich Aktion und Reaktion der Spielenden im Wechsel

bewegen. Die Spontanität soll dabei immer erhalten bleiben. Bei Theater Games wird der Rahmen

abgesprochen, an dem sich die Schauspieler orientieren, während der Inhalt der Szene improvisiert

wird. Das Wo (Wo spielt die Szene?), das Wer (Welche Charaktere werden dargestellt?) und das Was

(Was ist die Situation?) werden festgelegt.

Spolin beschreibt ein triadisches Verhältnis zwischen den Improvisatoren, den Zuschauern und dem

Point of Concentration. Die Kommunikation in der gemeinsam hergestellten Theaterwelt durch den

Point of Concentration steht im Zentrum und nicht etwa die Identifikation der Zuschauer mit den

Bühnenfiguren. Genauso wenig geht es um die bewusste Nachahmung der wirklichen Welt. Darüber

hinaus soll es keine gegenseitige Kontrolle oder Manipulation geben. (vgl. Lösel 2013, S. 80-86)

Ziel Spolins Improvisationtechniken ist es, dass die Schauspieler sich selbst und das Publikum neu

wahrnehmen können und es zu keiner Spaltung in ein agierendes und beobachtendes Selbst mehr

kommt. Sie sollen sich selbst nicht mehr als von der Masse bewertete Personen sehen, sondern die

zuschauenden Menschen als ein Publikum wahrnehmen, mit denen gemeinsame Erfahrungen geteilt

werden können. (vgl. Lösel 2013, S. 78f.)

In die Theaterpädagogik fließen Elemente verschiedener Theaterformen- und Konzepte ein (wie zum

Beispiel das von Viola Spolin), welche ihrerseits unterschiedliche Vorstellungen mit sich bringen, wie

die Schauspielenden ihren Rollen begegnen und diese ausdrücken sollten. Wie bewusst sie sich zum

Beispiel mit einem Charakter, den sie auf der Bühne darstellen, identifizieren und hineinversetzen

sollten.

Bertolt Brecht plädierte seinerzeit für eine gewisse Distanz zwischen den Schauspielern und der

Rolle. (vgl. Bidlo 2006, S. 143f.) Dem entgegengesetzt folgte der Regisseur, Schauspieler und

Theaterpädagoge Konstantin S. Stanislavskij der Prämisse, die Schauspieler müssen in erster Linie

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den Weg von innen nach außen gehen, indem ihre persönlichen Erfahrungen und Emotionen mit

dem Charakter auf der Bühne verschmelzen und dadurch Authentizität geschaffen werden kann. Die

Akteure sollen sich demgemäß mit der Rolle identifizieren und sich in sie hinein fühlen. Im Gegensatz

zu Spolin, welche mit nicht-professionellen Schauspielern sowie Kindern und Jugendlichen arbeitete,

richtet sich das theaterpädagogische Konzept von Stanislavskij nur an professionelle Schauspieler, die

für das Publikum eine ästhetische und naturalistische Bühnenaufführung darbieten sollen. (vgl. Bidlo

2006, S. 43-45) Einige Aspekte der Auseinandersetzung mit der Theaterrolle werden nun

thematisiert.

Der theaterpädagogische Erkenntniszugang entsteht im Wesentlichen über die Sinne, über

Körperwahrnehmung und über die Gefühlswelt – eine ästhetische Erfahrung. Erst an zweiter Stelle

tritt die kognitive bzw. rationale Erfahrung. Die empfundene Wirklichkeit des realen Lebens wird im

Theaterspiel auf individuelle Art und Weise verkörpert.

Im Rahmen der theaterpädagogischen Arbeit findet ein ästhetischer Lernprozess statt. Die Akteure

müssen sich mit der gespielten Rolle auseinandersetzen, deren Gefühle und Verhalten äußerlich wie

innerlich einnehmen und sehen sich dabei zwangsläufig mit sich selbst und emotionalen Erfahrungen

konfrontiert. Die Frage, welche sich die Schauspielenden stellen müssen, ist: Welchen Einfluss hat die

Geschichte des Charakters auf seine Gestik, Mimik, Haltung, Sprache, Bewegung, Kleidung, Ausdruck

usw.? Die Schauspieler identifizieren sich mit der Rolle. Es entsteht Authentizität. Anteile des Selbst

werden hinter der Bühne abgelegt, während wiederum andere Anteile die Rolle des Selbst auf der

Bühne formen und neu entdeckt und ausgelebt werden können. Die eigenen Emotionen und

Erfahrungen werden also in eine Rolle mit eingebracht und im Rahmen des Theaterspielens lebendig.

Ein erweiterter Blick auf Verhaltensweisen und die eigene emotionale Welt – das bessere

Kennenlernen des eigenen Selbst – werden möglich; Gefühle der Angst, Trauer oder Freude können

(noch einmal) neu erfahren werden. Das Theaterspiel berührt somit nicht nur wirkliche innere

Gefühle und Konflikte der Zuschauer, sondern führt auch bei den Schauspielern auf der Bühne zu

einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst. (vgl. Bidlo 2006, S. 20-22, S.143-145)

Einfühlungsvermögen, Beobachtung und Mitgefühl sind im Theaterspiel emotionale Zugänge, die auf

der Grundlage der eigenen Lebenserfahrungen zur emotionalen Auseinandersetzung der Figur

anregen. Deshalb ist Mitgefühl und Interesse am Verstehen des anderen Menschen und daraus

entstehendes Einfühlungsvermögen ein wichtiges Element und mitunter Thema von Übungen zur

Sensibilisierung sowie Perspektivenerweiterung. (vgl. Bidlo 2006, S. 127)

Internalisierte soziokulturelle Erwartungen an Rollen in der Gesellschaft sind ein Teil des

Sozialisationsprozesses, der schon in der Kindheit mit der Übernahme von Verhaltensweisen beginnt.

Die Theaterrolle hat daher immer einen Bezug zur Realität, der direkt, aber auch indirekt mittels

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Symbolen oder Verfremdung der Figur dargestellt werden kann. Konflikte, Zwänge, konformes oder

nicht-konformes Verhalten sowie soziale Kontexte der Realität, in denen Einklang oder Dissonanz

zwischen dem eigenen Selbst und der Rolle spürbar werden, werden auf der Bühne zu einem Thema.

(vgl. Bidlo 2006, S. 140-142)

In diesem Verständnis der psychosozialen Auseinandersetzung mit der Theaterrolle und dem Selbst

kann in Hinblick auf die Theaterpädagogik und ihre Ziele folgendes resümiert werden:

Der Mensch steht immer im Mittelpunkt, ganz gleich, welche Ziele und Motive der Theaterpädagogik

zugrunde liegen. In der theaterpädagogischen Arbeit geht es um Spielen, Ausprobieren und

Vergleichen. Neue Ausdrucksmöglichkeiten, Wünsche, Probleme, Sehnsüchte, Neugierde, die

Entfaltung der Persönlichkeit und unterdrückte Anteile des Selbst können bewusst oder unbewusst

zu einem Thema werden. Sie können spürbar und neu wahrgenommen werden. Somit zeichnet die

Theaterpädagogik persönlichkeitsentfaltende- und bildende Anteile aus. (vgl. Bidlo 2006, S. 113)

Diese dargestellte Perspektive auf psychodynamische Aspekte der Theaterarbeit stellt insofern ein

Gegenkonzept zu Spolin dar, als das ihr Konzept die Persönlichkeit der Darsteller bewusst nicht zu

einem Thema macht, sondern ein Problem (der Point of Concentration) im Mittelpunkt steht.

3. Der Umgang mit Andersartigkeit in unserer Gesellschaft

3.1 Der Umgang mit Behinderung – ein geschichtlicher Abriss

An dem Zeitgeist der Inklusionsdebatte ist nicht vorbeizukommen. Im Kontext der Theaterarbeit in

Sozialen Feldern sind die Themen der Behinderung, psychischen Erkrankung und Inklusion

unumgänglich. Im Folgenden werde ich zunächst einen geschichtlichen Abriss über den Umgang mit

Behinderung beschreiben, deren Verlauf nachzuvollziehen wichtig ist, um die Inklusion, ihre

Bedeutung und die Debatte um dieses Thema zu verstehen.

In der Geschichte ist der extreme Gegenpol zur Inklusion die Tötung oder völlige Exklusion von

Menschen mit Beeinträchtigungen, abweichenden Verhalten oder Andersartigkeiten jeglicher Art. In

vielen Kulturen der Welt gehört Infantizid an Neugeborenen mit einer Behinderung zur Normalität.

Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden hierzulande „Hexen“ (häufig waren dies psychisch erkrankte

Menschen) verbrannt und auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es in ländlichen

Regionen Deutschlands durchaus üblich, beeinträchtigt geborene Kinder zu töten. Nicht unerwähnt

bleiben soll an dieser Stelle die Zeit des Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert: Ethisch legitimiert

unter dem Begriff „der Vernichtung unwerten Lebens“, fanden Massenmorde an 200 000 Menschen

mit Beeinträchtigungen statt. (vgl. Kastl 2010, S. 24-26) Als Gegenpol dazu lassen sich die

sogenannten „Freakshows“ nennen, welche von 1840 bis ca. 1940 vor allem in den USA geläufig

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waren. Hier wurden auf Jahrmärkten und öffentlichen Plätzen Menschen mit Beeinträchtigungen zur

Befriedigung der Sensationslust zu Show-Helden stilisiert. (vgl. Kastl 2010, S. 214)

Fortführen werde ich nun mit der schulischen Inklusion und pädagogischen Förderung von Menschen

mit Beeinträchtigung als Beispiel für den geschichtlichen Verlauf des Umgangs mit Behinderung bis

heute.

Beginnend mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert wird sich um eine pädagogische Förderung von

Menschen mit Behinderungen bemüht; eine Ausnahme davon stellt die Zeit des Nationalsozialismus

dar. Für blinde und taubstumme Kinder wurden ab dem 18. Jahrhundert spezielle Schulen

eingerichtet, hingegen Schulen für körperlich beeinträchtigte Kinder sowie für Kinder mit

Lernbehinderungen erst Ende des 19. Jahrhunderts. Die Differenzierung von unterschiedlichen

Erscheinungsformen sowie Ausprägungen von Behinderung, wie zum Beispiel geistige

Beeinträchtigungen, körperliche Einschränkungen, Blindheit oder auch Verhaltensauffälligkeiten,

führten zur Entstehung spezifischer Schulen für jeweilige Gruppen, was einem wachsenden

wissenschaftlichen Interesse und daraus resultierenden differenzierten Wissensgebieten zu

kategorisierten Formen der Behinderung geschuldet ist. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 13f.) Bereits Ende

des 19. Jahrhunderts wurde das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland etabliert und mit ihm auch

die sogenannte Hilfsschule (später: Sonderschule) als eigenständige Institution. Die Hilfsschule als

solche war zur damaligen Zeit für nicht vollsinnige und erbkranke Kinder gedacht, welche später in –

wie wir sie heute kennen – Förderschule für Kinder mit Behinderung und Förderbedarf umbenannt

und weiterentwickelt wurde. (Hänsel 2006, Internetquelle) Diese Entwicklung führte in Deutschland

zu einer spezialisierten und professionalisierten Sonderpädagogik. Eine flächendeckende

Schulbildung, auch für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, gab es erst ab 1970 zur Zeit der

Psychiatriebewegung. Jahre später wurden auch pädagogische Förderungen für Kinder mit schweren

Beeinträchtigungen bzw. Mehrfachbehinderungen eingegliedert. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 13f.)

Deutschland ist innerhalb Europas das Land mit dem umfangreichsten Förderschulsystem. In einer

breiten Differenzierung unterschiedlichster Förderschwerpunkte besuchen insgesamt 81,6% aller

Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen (emotionaler, sozialer, körperlicher, geistiger Art

bzw. hinsichtlich Sehen und Sprache usw.) Förderschulen. (Jahr 2010, vgl. s. 17 DUmB) In anderen

europäischen Ländern werden hingegen mehrheitlich oder sogar nahezu alle Kinder mit

Beeinträchtigung integriert beschult. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 17-19)

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3.2 Das Normalitätsprinzip und die UN-Behindertenrechtskonvention

Zwei Eckpunkte, welche auf rechtlicher und politischer Ebene eine Veränderung hinsichtlich des

Umgangs mit Menschen mit Beeinträchtigungen in jüngerer Geschichte markieren, sind das

Normalitätsprinzip und die UN-Behindertenrechtskonvention.

Das Normalitätsprinzip, welches gesetzlich erstmals 1959 in Dänemark umgesetzt wurde, verfolgt das

Ziel, die Voraussetzungen für ein möglichst normales Leben für Menschen mit geistigen

Beeinträchtigungen zu schaffen. Der Grundgedanke stützt sich dabei auf die Menschenwürde. Es ist

als ein Leitbild für eine reformierte Form des Umgangs mit Menschen mit Beeinträchtigungen zu

verstehen. Das Normalisierungsprinzip intendiert die Möglichkeit einer barrierefreien Partizipation in

unterschiedliche Lebensbereiche und betrifft die Reformation von Lebensumständen, Strukturen

sowie Einrichtungen. Gemeint ist damit zum Beispiel die Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit.

Wolf Wolfensberger und Walter Thimm erweiterten das Normalisierungsprinzip, welches mit Beginn

der 1980er Jahre auch in Deutschland zu einer lebensweltlich orientierten Unterstützung für

Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen wurde. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 55f. / vgl.

Mürner/Sierck 2012, S. 69-71) Das Normalitätsprinzip findet sich in Deutschland im „Gesetz zur

Gleichstellung behinderter Menschen“ wieder, dem „Behindertengleichstellungsgesetz“ (BGG) von

2002. (vgl. BGG §1-§15, Nomos 2011/12) Im Jahre 1994 wurden zudem die allgemeinen Rechte von

Menschen mit Behinderungen im Grundgesetz erweitert: „Niemand darf wegen seiner Behinderung

benachteiligt werden“. (Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3 / vgl. Mürner/Sierck 2012, S. 122)

Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, welcher sich bereits über 150

Staaten angeschlossen haben, wurde 2006 von der UN-Generalversammlung in Kraft gesetzt und

2009 auch von Deutschland ratifiziert. Das Übereinkommen nimmt Menschen mit Behinderungen in

den Menschenrechtssatz auf und hat zum Ziel, dass die Rechte aller Menschen gleichberechtigt

ausgeübt werden können. Ein Paradigmenwechsel hin zu einer emanzipatorischen

Behindertenpolitik, die Menschen mit Beeinträchtigungen das Recht auf Autonomie, Barrierefreiheit

und Inklusion zusichert, wird angestrebt. Konkret bezieht sich das Abkommen auf alle

Lebensbereiche, zu denen neben Familie, Ehe, Privatsphäre, Meinungsfreiheit, Arbeit und Wirtschaft

auch Bildung und Kultur zählen. (vgl. Aichele 2011, S. 11-14 / vgl. Bielefeldt 2012, S. 149 / vgl.

Mürner/Sierck 2012, S. 132-135) Menschen mit Behinderungen sollen aus ihrer gesellschaftlichen

Position der unsichtbaren Minderheit herausgeholt werden. (vgl. Bielefeldt 2012, S. 153) Rechtlicher

Entmündigung, Stigmatisierung, struktureller Benachteiligung und Alltagsdiskriminierung von

Menschen mit Behinderungen sollen durch dieses menschenrechtliche Übereinkommen

entgegengewirkt werden. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

legte den Grundstein für die gesetzliche Umsetzung der Inklusion.

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3.3 Was ist Inklusion?

Inklusion beschreibt einen neuen Ansatz im Umgang mit Vielfalt und Heterogenität in der

Gesellschaft. (vgl. Aichele 2011, S. 11) Sie erfüllt in diesem Sinne die Funktion einer idealen Teilhabe

von (unter anderem) Menschen mit Beeinträchtigungen. (vgl. Kastl 2010, S. 177) Ziel ist es, keine

institutionellen Differenzierungen zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung vorzunehmen.

Im Bildungskontext wird die Inklusion besonders kontrovers diskutiert und nimmt seither einen

hohen Stellenwert ein. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 8 / vgl. Mürner/Sierck 2012, S. 132-135)

Der Unterschied zwischen Inklusion und Integration besteht darin, dass bei der Integration das Kind

mit Beeinträchtigung im Mittelpunkt der Betrachtung steht, während bei der Inklusion die

Behinderung als eine Form von Besonderheit angesehen wird; in seinem ganzen Sein zur allgemeinen

Vielfalt aller beiträgt. Unterschiedlichkeiten wie Herkunft, Religion, Behinderung, Reichtum oder

Wohlstand spielen hinsichtlich des Menschseins keine Rolle. Der inklusive Gedanke folgt also dem

Paradigma, dass es normal ist, anders zu sein. Hieraus abzuleiten ist auch die ressourcenorientierte

Definition von Behinderung, die von einer ungenügenden Integration ausgeht und die Behinderung in

behindernden äußeren Umständen begründet sieht. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 9, 56f.)

3.4 Was ist Behinderung – Versuch einer Definition

Auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, was Behinderung eigentlich ist, widmet sich meine

Bachelorarbeit im Folgenden ausführlich dem Phänomen der Behinderung aus einer soziologischen

Perspektive. Theorien zur Behinderung aus naturalistischer Sicht sowie soziale Ursachen und

Wechselwirkungen (sozialkonstruktivistische Sichtweise) werden dabei betrachtet.

Behinderung ist zunächst eine physische Problematik, die in unserer Gesellschaft primär den

Fachwissenschaften der Medizin und Biologie zugeordnet wird. (vgl. Kastl 2010, S. 43-45) Im § 1 des

neunten Sozialgesetzbuches steht geschrieben, dass ein Mensch als behindert gilt, wenn „körperliche

Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs

Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben

in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ (SGB 9 § 2(1), Nomos 2011/12) Die Behinderung eines

Menschen begründet sich hier in einem naturwissenschaftlich erklärbaren Phänomen, welches wir

sehen und beobachten können, ohne dass dieses zunächst einer Bewertung unterliegt. Das

Individuum wird dabei als alleiniger Träger der Behinderung behandelt. Das Definitionsmodell aus §1

SGB IX impliziert somit eine beschreibbare Bestimmung der Kategorie Behinderung anhand von

Diagnosekriterien, bei jedoch gleichzeitigem Ausschluss sozialer Barrieren, gesellschaftlicher

Bewertungen und Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt.

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Aus sozialkonstruktivistsicher Perspektive wird hingegen die These vertreten, dass eine Behinderung

keine naturwissenschaftliche Erscheinung ist, sondern ausschließlich einen kulturell und sozial

konstruierten Begriff darstellt, welcher den Menschen differenziert, kategorisiert und stigmatisiert.

Es sind demnach gesellschaftliche Barrieren, die zu einer Ausgrenzung und folglich zu Behinderungen

im Leben führen. Behinderung als ein konstruierter, stigmatisierender Begriff in der Gesellschaft –

kann dies einer allgemeingültigen Begriffsdefinition für Behinderung gerecht werden? (vgl. Kastl

2010, S. 46-50) Der Soziologe Jörg Michael Kastl definiert in seinem Buch „Einführung in die

Soziologie der Behinderung“ Behinderung wie folgt:

„Mit Behinderung wird … eine nicht terminierbare, negativ bewertete, körpergebundene Abweichung

von situativ, sachlich [und] sozial generalisierten Wahrnehmungs- und Verhaltensanforderungen

[bezeichnet], die das Ergebnis eines schädigenden (pathologischen) Prozesses bzw. schädigender

Einwirkungen auf das Individuum und dessen/deren Interaktion mit sozialen und außersozialen

Lebensbedingungen ist.“ (Kastl 2010, S. 108)

In dieser Begriffsbeschreibung werden sowohl naturwissenschaftliche, als auch soziokulturelle

Sichtweisen einbezogen. Behinderung wird als ein Teil des Sein-Zustandes beschrieben, als eine

pathologische Entwicklung zum einen und eine Konstellation der Umwelt, welche die biographische

Entwicklung beeinflusst, zum anderen. (vgl. Kastl 2010, S. 116-118) Ob eine Behinderung als solche

definiert wird, hängt von zwei Faktoren ab. Ein bestimmtes Merkmal muss a) als erwähnenswert

abweichend wahrgenommen und b) als negativ bewertet werden. Ob etwas als Behinderung

gesehen und wahrgenommen wird, wird von den Erwartungen hinsichtlich der Beschaffenheit des

normalen Körpers und den erwarteten Kompetenzen bzw. deren auftretenden Häufigkeiten bedingt.

Das physisches Problem wird damit auch zu einem soziokulturellen. (vgl. Kastl 2010, S. 128, 166, 169-

171)

Sozial- und Gesellschaftstheorien zufolge ist Behinderung also eine relative Beschreibung, abhängig

davon, in welchen Kontext eine Person bei oder durch etwas behindert wird. (vgl. Kastl 2010, S. 43-

45) Gemeint ist, dass bestimmte gegebene Umstände für bestimmte Menschen Barrieren darstellen.

Barrieren können sowohl struktureller, als auch gesellschaftlich-sozialer Natur sein. Beispiele sind

Treppen für Rollstuhlfahrer, institutionelle Zugangsvoraussetzungen oder gesellschaftliche

Anforderungen an Fähigkeiten und Verhaltensweisen. (vgl. Kastl 2010, S. 126-128) Des Weiteren

erfahren Eigenschaften, Merkmale und Fähigkeiten in Kulturen unterschiedliche Wertschätzungen.

Innerhalb einer Gesellschaft sind daher die Erwartungen an Fähigkeiten und Verhaltensweisen, wie

ein Mensch sein sollte, vielfach sozial differenziert. (vgl. Kastl 2010, S. 43-45) Während bestimmte

strukturelle Voraussetzungen für manche Menschen Barrieren darstellen, kann wiederum ihr

Wegbleiben für andere Menschen zu einer Barriere werden. Einige gesellschaftlich-soziale

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Anforderungen können für zum Beispiel Menschen mit Autismus den Charakter einer Barriere haben,

während wiederum das Wegbleiben dieser Anforderungen für nicht-beeinträchtigte Menschen zu

einer Barriere werden könnte. Barrieren sind folglich dynamisch und komplex im gesellschaftlichen

System vorhanden. Aus diesem Grund ist ein genaues Hinschauen und Verstehen der objektiven und

subjektiven Wahrnehmung von Barrieren und ihren Wechselwirkungen im sozialen System wichtig.

(vgl. Kastl 2010, S. 126-128) Hier wird die politische Auftrag deutlich: Für Minoritäten möglichst

gerechte Lebensverhältnisse schaffen, um eine Teilhabe für möglichst alle Menschen zu

gewährleisten.

Es stellt sich die Frage, ob eine völlig barrierefreie Welt umsetzbar ist oder Wunschvorstellung und

Ideologie der radikalen Befürworter des konstruktivistischen Modells bzw. der Inklusion sind. Könnte

eine Stadt sowohl freundlich ausgebaut gegenüber Rollstuhlfahrern und blinden Menschen als auch

gegenüber autistischen und gehörlosen Menschen sein? Was ist mit den Menschen ohne

Beeinträchtigung und ihren persönlichen Barrieren? (vgl. Kastl 2010, S. 49-55)

3.5. Stigmatisierung und soziale Reaktionen auf Behinderung

Um vertiefend auf den Begriff der Behinderung einzugehen, werde ich mich folgend der genaueren

Betrachtung von Stigmata zuwenden. Dazu beziehe ich mich auf das Buch „Stigma“ von Erving

Goffman sowie auf die „Einführung in die Soziologie der Behinderung“ von Jörg M. Kastl.

„Stigma“ lässt sich aus der lateinischen und griechischen Sprache mit „Zeichen“ oder „Brandmal“

übersetzen. Mit einem Stigma ist ein Merkmal gemeint, durch welches Etwas oder Jemand in einer

bestimmten, meist negativen Weise, gekennzeichnet ist und sich dadurch von anderen

unterscheidet. Erving Goffman definiert eine Situation, in der ein Individuum von einer vollständigen

sozialen Akzeptierung ausgeschlossen ist, als kennzeichnend für Stigmatisierung(vgl. Goffman 1967,

S. 7):

„Die Gesellschaft schafft die Mittel zur Kategorisierung von Personen und den kompletten Satz von

Attributen, die man für die Mitglieder jeder dieser Kategorien als gewöhnlich und natürlich

empfindet.“ (Goffman 1967, S. 9f.)

Goffman verdeutlicht, dass Menschen in der Gesellschaft Personen kategorisieren und sie mit

bestimmten Eigenschaften verbinden. Sie antizipieren eine soziale Identität; sie haben also

bestimmte Vorstellungen von der Identität einer Person, bevor sie diese richtig kennen gelernt

haben. Diese Vorstellungen und Annahmen werden in normative Erwartungen an die im Zitat

erwähnten Kategorien umgewandelt. Die Forderungen an die Identität der Person sind uns nicht

bewusst, bis sich plötzlich durch einen Umstand die Frage stellt, ob die normativen Erwartungen

erfüllt werden können oder nicht, wie zum Beispiel im Falle einer Behinderung. Annahmen über eine

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Identität und ihre Eigenschaften bzw. normative Zuschreibungen nennt Goffman virtuale soziale

Identität. Bestätigen sich die normativen Erwartungen an diese Identität, bezeichnet er das als

aktuale soziale Identität. Ein Stigma entsteht dort, wo es eine Diskrepanz zwischen der virtualen und

aktualen sozialen Identität gibt. (vgl. Goffman 1967, S. 10f.) An einem Beispiel lässt sich dies

verdeutlichen: Die gesellschaftliche aktuale soziale Identität, welche einem erwachsenen Menschen

zugeschrieben wird, kann die Erwartung sein, dass er das Rechnen, Lesen und Schreiben beherrscht.

Zeigt sich, dass ein Mensch diese Kompetenzen selbst im erwachsenen Alter nicht besitzt, stimmt die

Erwartung der virtualen sozialen Identität (ein erwachsener Mensch kann lesen) nicht mit seiner

aktualen sozialen Identität überein. Weiterhin spricht Goffman von einer Schädigung der sozialen

Identität, wenn diese Diskrepanz offensichtlich und bekannt ist und von der Umwelt aufgrund dessen

diskreditiert wird. Es handelt sich dann um eine von der Umwelt nicht akzeptierte Persönlichkeit.

(vgl. Goffman 1967, S. 30) Der Begriff Stigma bezieht sich dabei auf eine zutiefst diskreditierte

Eigenschaft des Individuums. Diese ist jedoch relativ: Was für eine Person einer bestimmten

gesellschaftlich klassifizierten Gruppe stigmatisierend ist, ist für eine andere Person wiederum

Normalität und bedeutet daher kein Stigma für seine Identität.

Ausdrücke wie: Krüppel, Behinderter, Bastard, Schwachsinniger, Verrückter sind Termini von

Stigmata, welche Grundlage von Vereinheitlichung, Metaphern und Bildersprache werden.

Erwünschte oder unerwünschte Eigenschaften sowie Unvollkommenheiten werden dem Charakter

durch ein Stigma hinzugefügt. Sie führen zu bestimmten, konstruierten Überzeugungen betreffend

des Individuums. Bestimmte Reaktionen, Verhaltensweisen oder Ausdrücke werden in ein

normatives Rasta des Stigmas eingeordnet und durch dieses begründet. Menschen in einer

Gesellschaft suchen nach Rechtfertigungen, warum sie stigmatisierte Personen auf bestimmte Art

und Weise behandeln und finden diese in seiner Andersartigkeit. (vgl. Goffman 1967, S. 12-15)

3.5.1 Zur sekundären Devianz und Funktionsweise von Stigmata

Menschen mit Beeinträchtigungen machen alltäglich Erfahrungen von Fremdwahrnehmung, die sich

in sozialen Reaktionen äußern. Am Beispiel von Menschen mit sichtbaren Beeinträchtigungen ließen

sich diese häufig als unwillkürliche, ambivalente Reaktionen beschreiben, welche sich in Anstarren

und Wegsehen zugleich, in Gefühlen der Unsicherheit, manchmal auch Erschrecken oder Ekel äußern

und Fragen nach der Geschichte der Person aufwerfen. Äußerungen wie: „Da schaut man nicht hin.“,

„So etwas sagt man nicht!“ oder „Der kann da nichts für.“ sind Sätze, mit denen viele Menschen

unseres Kulturkreises aufgewachsen sind und die sie von ihren Eltern gehört haben, wenn eine

Konfrontation mit der Thematik oder Begegnungen mit Menschen mit Behinderungen in der

Öffentlichkeit stattfanden. (vgl. Kastl 2010, S. 15, 19) In der direkten Interaktion zwischen Menschen

mit und ohne Behinderungen kommt es so oft zu einem unbehaglichen Gefühl. Beide

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Interaktionsparteien können zum Beispiel Gefühle der Peinlichkeit und des Schams verspüren. Vor

allem, wenn vermeintliche Tabu-Themen angesprochen werden oder der Gesprächspartner bewusst,

aber für den beeinträchtigten Menschen merklich, woanders hingestarrt. (vgl. Goffman 1967, S. 29f.)

In unserer Gesellschaft haben sich Wahrnehmungsnormen und Normen der Artikulation

herauskristallisiert, wie Reaktionen und Beurteilungen auf Behinderung bzw. Abweichungen dieser

Norm ausfallen dürfen und wie nicht. Dies prägt den Umgang mit Abweichungen von Normen und

Menschen mit Beeinträchtigungen. (vgl. Kastl 2010, S. 19)

Solche Wechselwirkungen zwischen Individuen mit einer Abweichung und der sozialen Umwelt

lassen sich mit der Theorie der sekundären Devianz von Edwin M. Lemert näher beschreiben und

verstehen. Dabei geht es zum einen um die Betrachtung von gesellschaftlichen Reaktionen auf

abweichendes Verhalten bzw. auf das Anderssein einzelner Individuen oder Gruppen. Zum anderen

geht es um die Reaktionen der gesellschaftlich abweichenden Menschen auf diese Reaktionen der

Umwelt. Die sogenannte sekundäre Devianz als Modell kann auf den Umgang mit Behinderung (als

eine gesellschaftlich wahrgenommene Abweichung) übertragen werden.

Als Ausgangspunkt des Modells steht die Ursache einer Devianz. Diese kann sowohl physischer oder

psychischer als auch sozialer oder kultureller Natur sein. Ich führe das Beispiel eines Jungen mit einer

Sprachbehinderung an. Aufgrund der Tatsache, dass dieser Junge stark stottert, erfährt er eine

soziale Reaktion von seiner Umwelt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die anderen Kinder ihn

auslachen und nicht die Geduld haben, ihm zuzuhören. Ein Arzt diagnostiziert eine

Sprachbehinderung bei dem Jungen. Diese sozialen Reaktionen führen zu einer

Abweichungsverstärkung, welche sich darin zeigt, dass sich der Junge zurückzieht und fast völlig

verstummt. Er hat Angst, laut Sprechen zu müssen, verliert an Selbstbewusstsein und ist bei vielen

Handlungen so nervös, dass er noch stärker stottert als zuvor. Von manchen Menschen in seinem

Umfeld wird er als unselbstständig und extrem schüchtern wahrgenommen. Das gesellschaftliche

Stigma des Stotterers und des Sprachbehinderten integriert er in sein Selbstbild und identifiziert sich

mit diesem Label. Er übernimmt somit die deviante Rolle des Stotterers als eine Reaktion auf die

soziale Reaktion, welche er seiner Umwelt erfahren hat. In der Schule ist der Junge in einigen

Fächern unterfordert und könnte mehr leisten, als er zeigen kann. Die Sprachbehinderung, sein

sozialer Rückzug und die Nervosität lassen die Lehrkräfte hingegen vermuten, dass ihn der

Unterrichtsstoff überfordert. Diese Zuschreibungs- und Definitionsprozesse wirken sich abermals auf

das Selbstbild des Jungen aus. Er glaubt, er sei dümmer als die anderen Kinder und bestätigt in

seinem abweichenden Verhalten wiederum diese Wahrnehmung. (vgl. Kastl 2010, S. 186-190)

Durch Sinnzuschreibungen und soziokulturelle Zuschreibungs- und Deutungsmuster wird aus einer

primären Devianz eine sekundäre Devianz. Die Abweichung wird signifikant herausgestellt und zum

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primären Charakteristika des Menschen – die Beeinträchtigung wird (über-)bedeutsam. (vgl. Kastl

2010, S. 214)

Auch Erving Goffman beschreibt in seinem Buch „Stigma“ einen ganz ähnlichen Reaktionsverlauf. Die

Reaktion des sozialen Umfeldes führt dazu, dass das Individuum den Makel zu einem Teil seines

Selbst macht; sich mit diesem identifiziert. Häufig führt dies zu einer Diskrepanz zwischen dem Ich

und dem Ich-Ideal. Das eigene ganzheitliche Selbst kann nicht angenommen werden. Eine

stigmatisierte Persönlichkeit kann daher sich selbst nicht als Ganzes wahrnehmen. Die eigene

Identität wird in Frage gestellt. Selbsterniedrigung und einer Abneigung gegen sich selbst können die

Folgen sein. (vgl. Goffman 1967, S. 16f.) Goffman beschreibt in diesem Zusammenhang fünf mögliche

Reaktionen einer stigmatisierten Person, mit seinem Stigma umzugehen:

1. Der Versuch, das Stigma loszuwerden oder zu verbergen

bzw. die Wiederherstellung des Selbst ohne Stigma.

2. Das Korrigieren oder Ausgleichen des Stigmas durch Anstrengungen,

Aktivitäten zu bewältigen, von denen das Umfeld glaubt, dass dies nicht möglich sei.

3. Das Stigma wird zur Entschuldigung für alle Unzulänglichkeiten, Schwächen

oder Fehler genutzt. Dieses Verhalten dient dem emotionalen Schutz, welcher

jedoch zusammenbricht, sobald das Stigma keine Rolle mehr spielt.

4. Die Welt und das Selbst wird durch das Stigma neu wahrgenommen.

Das Stigma wird als Glück und Unglück zugleich interpretiert und als

eine wertvolle Lernerfahrung für das Leben aufgefasst.

5. Der Rückzug aus dem sozialen Leben.

(vgl. Goffman 1967, S. 18-21, 27f.)

Durch das Stigma wird das Individuum verunsichert und hat häufig in der Begegnung mit normalen

Menschen mit der Angst zu kämpfen, missachtet, abgelehnt oder zurückgewiesen zu werden. Der

stigmatisierte Zustand in der Gesellschaft führt zu einer Statusverunsicherung, welche sich auf soziale

Interaktionen auswirkt. Die stigmatisierte Person hat die Erfahrung gemacht bzw. befürchtet, dass

seine Ganzheit, seine Persönlichkeit, ausgehend vom Stigma definiert wird. Es ist eine Furcht vor

bestimmten gesellschaftlichen Interpretationsschemata. Die Person sieht sich mit der Problematik

konfrontiert nicht einschätzen zu können, was das Gegenüber gerade wirklich über seinen Charakter

denkt. Gleichzeitig können diese Zuschreibungsinterpretationen dazu führen, dass das soziale Umfeld

auf bestimmte Aktivitäten überrascht reagiert oder gar normale Tätigkeiten zu unglaublichen

stilisiert. Ein Goethe lesender Krimineller oder ein Theater spielender Behinderter sind Beispiele

hierfür. Auf der anderen Seite werden Fehler sehr schnell der Andersartigkeit zugeschrieben. Die

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Reaktionen der Gesellschaft können sich ebenso in unnatürlicher, extremer Neugierde für den

Zustand des Stigmatisierten äußern oder von Mitleid geprägt sein und zum Beispiel in einem

ständigen Anbieten von Hilfe münden. (vgl. Goffman 1967, S. 23-29)

Die Verhaltensunsicherheiten und Spannungen des Umfeldes in den Interaktionen resultieren aus

einem Gefühl der Ambivalenz in Bezug auf den Menschen mit Beeinträchtigung. Behinderung ist ein

unklarer, schwer zu klassifizierender Status. Die Person ist nicht krank. Behinderung ist daher kein

temporärer Zustand, kann aber auch nicht als gesund betitelt werden, weil sie als irreversibel

angesehen wird. Auf der einen Seite gibt es die von gesellschaftlichen Normen und Werten

erwünschte Reaktionen auf Behinderung (nicht anstarren) und auf der anderen Seite die

ursprüngliche, soziokulturell geprägte Reaktion, die aus Angst, Abwehr, aber auch Neugierde

bestehen kann. Die Stigmatisierung eines Menschen mit Behinderung ist der Versuch, diese

Ambivalenzen aufzulösen. Indem ein Mensch mit Behinderung (neu) klassifiziert und definiert wird,

kann er ein zuordnungsbarer Teil der Gesellschaft sein. (vgl. Kastl 2010, S. 298-204)

3.5.2 Diskreditierte und diskreditierbare Persönlichkeiten

Goffman unterscheidet zwischen diskreditierten und diskreditierbaren Persönlichkeiten. Diese

Unterscheidung ist von Relevanz, da diese beiden Personengruppen unterschiedliche

Voraussetzungen haben, mit Stigmata umzugehen. Diskreditierte Persönlichkeiten beschreiben jene

Menschen, welche durch eine wahrnehmbare bzw. sichtbare Andersartigkeit stigmatisiert werden

bzw. deren soziales Umfeld um das Stigma weiß. Die Herausforderung diskreditierter Menschen

besteht darin, den sozialen Umgang mit dem Stigma zu managen. (vgl. Goffman 1967, S. 56f.) Ziele

sind dabei, die Auffälligkeit ihres Stigmas und soziale Spannungen in der Interaktion zu vermindern.

Dies lässt sich an dem Beispiel einer blinden Person verdeutlichen, die bewusst keine Sonnenbrille

trägt – ein typisches Stigma-Symbol. Die Person unternimmt große Anstrengungen, in Interaktionen

den Eindruck zu erwecken, dem Gegenüber in die Augen zu schauen. Es ist ein Versuch, der Kontrolle

über mögliche Assoziationen des Gegenübers zur Andersartigkeit. Dies ist besonders schwer, wenn

sich das Stigma direkt auf Kommunikationsregeln, gesellschaftliche Umgangsformen, Formalitäten

oder kulturelle Rituale auswirkt, wie zum Beispiel bei einem Menschen, der stark stottert. (vgl.

Goffman 1967, S. 129f.)

Eine diskreditierbare Persönlichkeit ist hingegen jemand, der in der Gefahr steht, diskreditiert zu

werden, wenn sein Umfeld von seiner (gesellschaftlich definierten) Andersartigkeit wüsste. Ein

diskreditierbarer Mensch muss daher Informationen über das Stigma und seine Biographie managen,

um eine mögliche Beeinträchtigung sozialer Beziehungen zu vermeiden. Er sieht sich permanent mit

der Frage konfrontiert, ob er seinen „Fehler“ preisgeben oder zum Zwecke des Eigenschutzes lügen

oder täuschen sollte bzw. stigmatisierende Informationen bewusst zurückhalten sollte, um

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schambesetzten und nicht voraussehbaren Situationen aus dem Weg zu gehen. Ziel ist es, den

(zukünftigen) Eindruck zu kontrollieren und den Ruf unbeschädigt zu erhalten. Das Verbergen und

Geheimhalten wird dann zu einem Teil seines Selbst, denn das Stigma bedeutet eine Bedrohung

seiner virtualen Identität. (vgl. Goffman 1967, S. 56f., 84f., 112f.) Persönliche soziale Kontakte

können von einer stigmatisierten Person vermieden werden, um der gesellschaftlichen Verpflichtung

zu entgehen, Informationen preisgeben zu müssen. In sozialen Situationen steht das Individuum

womöglich unter dem Druck von Fragen, die in irgendeiner Weise sein Stigma betreffen. Die Person

gegenüber wird dann veranlasst zu stereotypisieren und sie mit anderen Stigmatisierten der gleichen

Gruppe zu identifizieren. (vgl. Goffman 1967, S. 125) Resümierend lässt sich feststellen, dass

diskreditierte und diskreditierbare Personen mit Situationen möglicher sozialer Akzeptierung bzw.

Ablehnung und Informationskontrolle konfrontiert sind.

Stigmatisierte Personen benutzen Strategien, um diese Informationskontrolle über ihr Stigma zu

bewahren. Dazu gehört zum Beispiel das Verstecken oder Vermeiden von Stigma-Symbolen. Eine

weitere Strategie kann darin bestehen, Zeichen eines Stigmas als Zeichen eines anderen Attributes

mit geringerem Übel darzustellen: Ein Mann, welcher unter Schwerhörigkeit leidet und sich als

unaufmerksamer Tagträumer ausgibt.

Die bewusste Enthüllung des Stigmas gegenüber allen Personen des sozialen Umfeldes kann

ebenfalls eine Strategie sein. Die Person muss die Informationen folglich nicht mehr managen und ist

nicht länger diskreditierbar. Sie wird zu einer diskreditierten Person, welche soziale Situationen

managen muss. Das freiwillige Zeigen eines Stigma-Symbols in der Öffentlichkeit kann zu einer

Chance werden, die Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf eine neue, andere Art zu kontrollieren oder

zu provozieren. Diese Handlung könnte auch als eine Art Spielen mit der Fremd- und

Selbstwahrnehmung ausgelegt werden.

Oft kommt es vor, dass stigmatisierte Menschen ihre soziale Umwelt in zwei Welten teilen.

Ausgewählte vertraute Personen (z.B. dem Familienkreis) wissen über das Krankheitsbild Bescheid,

während anderen Personen bewusst aus diesen Informationskreisen ausgeschlossen werden. (vgl.

Goffman 1967, S. 116-128)

Eine Stigmatisierung kann zur Folge haben, dass ein Individuum in eine spezielle Institution für

Menschen seinesgleichen untergebracht wird, wie zum Beispiel Wohn- und Werkstätten für

Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Zudem gibt es

Gruppenzusammenschlüsse von Menschen mit ähnlichen Problemlagen, die gleichartig stigmatisiert

sind, wie beispielsweise Selbsthilfegruppen. (vgl. Goffman 1967, S. 50f.) Durch diese

Zusammenschlüsse können Plattformen des Austausches und der Identifikation sowie eine Politik

entstehen, in der die Mitglieder für ihre Rechte und gesellschaftliche Positionen eintreten.

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Gleichzeitig geht dieser Zusammenschluss mit einer gewissen Anpassung einher. Gemeint ist ein

bestimmter, implizit erwarteter Verhaltenskodex gegenüber der Öffentlichkeit und einer bestimmten

Haltung zu sich selbst. (vgl. Goffman 1967, S. 138) Es wird erwartet, dass das Individuum seinen

Lebensentwurf und sein Selbstbild denen der Community bzw. Kategorie anpasst. Das Individuum

kann sich mit der Stigmatisierungskategorie identifizieren und wird gleichzeitig mit deren

stereotypen und negativen Attributen konfrontiert. Daraus kann auch der Wunsch nach Abgrenzung

zu dieser Gruppe entstehen. Auf der einen Seite steht der Wunsch, normal zu sein und auf der

anderen Seite die gleichzeitige Identifikation mit der Gruppe. Dies kann zu einer Identitätsambivalenz

und Selbstentfremdung führen. (vgl. Goffman 1967, S. 50f., 134f.) Zugleich können sich positive

Effekte einstellen. Innerhalb einer Gruppe, welche sich aus Menschen zusammensetzt, die eine

gemeinsame (gesellschaftlich definierte) Andersartigkeit tragen und ähnliche Erfahrungen der

Stigmatisierung gemacht haben, kann sich das Gefühl des Akzeptiert-Seins einstellen. Der Makel ist

normal und stellt innerhalb der Gruppe keine Auffälligkeit dar. Zusammenfassend lässt sich zu

Goffman´s Stigma-Theorie folgendes formulieren:

Die gesellschaftliche Perspektive drückt also gegenüber der stigmatisierten Person aus: Du bist

Mitglied einer Gruppe, der Gesellschaft, aber gleichzeitig auch anders und deshalb zugehörig zu einer

anderen, externen Gruppe. Du bist wie jeder andere, aber zugleich bist du das auch nicht. Eine

stigmatisierte Person wird in verschiedene Richtungen gedrängt. Es werden Aussagen zu ihrer Ich-

Identität von Seiten der Wissenschaft und Gesellschaft gemacht, wie sie denken, nicht denken oder

empfinden sollte. Dies geschieht vordergründig im Interesse des stigmatisierten Individuums. Es wird

ein fest stigmatisiertes Ich, eine Rolle, zugewiesen.

Der Identitätsglaube der Normalen bleibt durch diese Abgrenzung unberührt. Damit ist gemeint, dass

die Tatsache, wie in der Gesellschaft Andersartigkeit und Stigma definiert werden, überhaupt erst die

Möglichkeit der Abgrenzung bietet. Wir müssen uns Fehlern und Unfähigkeiten, welche wir beim

anderen sehen, nicht stellen. Die Identität bleibt unberührt vom Stigma des anderen. Gleichzeitig

schützt eine scheinbare Toleranz davor, eigentlich bedingte und begrenzte Toleranz zugeben zu

müssen. Bestimmte erwartete Reaktionen und gesellschaftliche Rollenbilder sollen bestätigt werden.

Diese Schein-Akzeptierung ist die Grundlage der Schein-Normalität in der Gesellschaft. (vgl. Goffman

1967, S. 143-155)

Goffman beschreibt einen fließenden Übergang, keine feste Grenze, zwischen stigmatisierten

Personen und Menschen, die die nicht zu einer stigmatisierten Gruppe zählen, aber in ihrem Leben

Situationen der (befürchteten) Stigmatisierung erlebt haben. Die Menschen, die als normal

bezeichnet werden, sind nicht weit von der Situation eines Stigmatisierten entfernt. Die Situation der

Stigmatisierten unterscheidet sich insofern von den Normalen, als dass sie ihr Stigma-Symbol quasi

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auf der Stirn tragen: Die Stigmatisierten können sich nicht anpassen und sind den gesellschaftlichen

Erwartungen gegenüber aufdringlich. Es ist daher nicht der reine Wille, der ausreicht, den Normen

und Erwartungen der Gesellschaft zu folgen, sondern es sind die Voraussetzungen und

Anpassungsfähigkeiten, die zählen. Alle Menschen sind Teil der Gesellschaft, die auch die Normalen

stigmatisiert. Allgemeine Identitätswerte der Gesellschaft betreffen jeden (z.B. Schönheitsideale etc.)

und hinterlassen ein Gefühl der Scham, der Unvollkommenheit und des Nicht-Akzeptiert-Seins; aus

diesem Blickwinkel des Idealen betrachtet, vergleichen wir unser Ich und bewerten unser Leben. Es

lässt sich resümieren, dass gesellschaftliche Normen und Erwartungen die Ich-Identität eines

Individuums beeinflussen und weil es Identitätsnormen gibt, ist Stigma-Management ein Teil unserer

Gesellschaft. (vgl. Goffman 1967, S. 156-162)

3.5.3 Die Ethik der Amicalität

Nachfolgend werde ich die Brücke von der Theorie über Behinderung und Stigmatisierung zur

aktuellen Inklusionsdebatte schlagen. Dabei beziehe ich mich auf Peter Fuchs (Professor der

Soziologie) und seine Überlegungen zur „Ethik der Amicalität“ im Kontext der Inklusion. Etwaige

Fachtermini bezüglich der (System-)Theorie werden nicht näher erläutert, da dies den Rahmen

meiner Bachelor-Thesis überschreiten würde.

Eine von Peter Fuchs Thesen besagt, dass die gesellschaftliche Teilhabe an Kommunikation gebunden

ist und demnach Inklusion und Exklusion durch Kommunikation reguliert werden. Die Art und Weise,

wie und ob Menschen miteinander kommunizieren, sagt etwas darüber aus, wie viel Relevanz einer

Person in sozialen Interaktionen zugestanden wird. Peter Fuchs formuliert, dass Inklusion sich durch

„Markieren von Menschen als relevant für Kommunikation durch Kommunikation,…“ (Fuchs 2010, S.

2) auszeichnet. Er definiert an dieser Stelle Inklusion als eine sogenannte kommunikative

Relevanzmarkierung.

Exklusion bedeutet in diesem Fall Relevanz-Entzug durch Kommunikation. Hinter dieser

kommunikativen Relevanzgebung steht eine moralische und ethische Motivation. Exklusionen

werden zum Motor moralischer und ethischer Skandalisierung und Inklusion zu einer Notwendigkeit

und zu einem Menschenrecht unserer Gesellschaft. (vgl. Fuchs 2010, S. 2-5) Aus diesem Grund wird

in einer Betreuungssituation (im Kontext der Sozialen Arbeit) von den Betreuenden dauerhafte,

höchst sensible Aufmerksamkeit auf Mitteilungen und Bedürfnisse der Klienten erwartet sowie eine

möglichst genaue Interpretation ihres Verhaltens. Der Klient muss hochrelevant behandelt und in

seiner Person bestätigt werden, damit das Ziel der kommunikativen Inklusion erreicht werden kann.

Die Anforderung dieser Zuneigung ist jedoch kaum zu leisten; ein Phänomen, welches Fuchs mit dem

Begriff Amicalität (übers.: freundschaftlich, vertraulich) beschreibt.

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Amicalität meint den Widerspruch in Betreuungsbeziehungen im Kontext der Inklusion. Ethisch und

moralisch gesehen entsteht Wertschätzung und Zuneigung aus einem natürlichen Gefühl heraus,

welches nicht von außen zu etwas Verlangbarem gemacht werden kann. Doch die

Professionalitätsethik von Inklusionssystemen basiert genau darauf. Die neue Inklusionsethik und das

Leitbild vieler Institutionen beinhalten, dass Emotionen sozusagen zielgerichtet bereitgestellt werden

müssen. (vgl. Fuchs 2010, S. 10, 12) Inklusion verlangt, dass zu inkludierende Gruppen als Personen

mit ihren individuellen Charakterzügen und Verhaltensweisen, in ihrem eigenen Sein erkannt und

behandelt und nicht stigmatisiert werden. (vgl. Fuchs 2010, S. 3f.)

Sozial- und Betreuungsberufe arbeiten häufig in einem paradoxen Rahmen. Einerseits arbeiten sie in

einem klar vorgegebenen Rollenverhältnis (Betreuer – Klient), in welchem die Kommunikation

einseitig ist. Andererseits sollen sie dennoch nicht rollengebunden kommunizieren, weil es sonst

nicht als Inklusion bezeichnet werden könnte. Einerseits soll Verschiedenheit akzeptiert und

wertgeschätzt werden, indem Menschen in der Kommunikation eine Relevanz für soziale Systeme

zugesprochen wird. Doch andererseits beruht diese Akzeptanz im Rahmen eines bezahlten

Arbeitsverhältnisses nicht auf wirklicher Gleichheit oder Freundschaft. Denn Liebe/ Zuneigung ist

nicht verlangbar. (vgl. Fuchs 2010, S. 12) In diesem Widerspruch lässt sich eine weitere Facette des

Doppelten Mandats der Sozialen Arbeit finden.

Die Kritik der Ethik der Amicalität liegt in einer unnatürlich hergestellten Kommunikation, in welcher

keine echte Relevanz der Person entstehen kann. Inklusion ist somit quasi künstlich hergestellt. Die

Frage ist, was Inklusion dann mit echter Anerkennung und Gerechtigkeit zu tun hat? Auch Goffman

beschrieb dies in dem Begriff der Schein-Normalität der Gesellschaft.

3.6 Ein kritischer Blick auf Inklusion

Das Paradigma der Inklusion ist, dass es normal ist, anders zu sein. Dieser Satz beinhaltet gleichzeitig,

dass es für einen Menschen mit einer Beeinträchtigung normal ist, diese Behinderung zu haben. Prof.

Dr. Bernd Ahrbeck (Rehabilitationswissenschaftler mit dem Schwerpunkt

Verhaltensgestörtenpädagogik an der Humboldt-Universität in Berlin) äußert sich von diesem

Standpunkt aus kritisch gegenüber der Umsetzung der Inklusion. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 58) Bereits

in den vorangegangenen Punkten der Bachelorarbeit wurde dargestellt, wie Behinderung in

Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt zur Grundlage für Stigmatisierung und gar

Ausgrenzung werden. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 168-169)

Ein weiterer Aspekt betrifft die Auswirkungen auf das Familienleben mit einem beeinträchtigten

Kind. Ahrbeck argumentiert, dass die Besonderheiten dieses Kindes von der Familie und seinem

sozialen Umfeld als normal erlebt und anerkannt werden müssen, damit das Kind einen normalen

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Umgang mit sich selbst entwickeln und erleben kann. Nur so kann es anderen Menschen ohne eine

durch Vorerfahrungen beeinträchtigte Haltung, im Sinne der Negativerfahrung durch

Stigmatisierung, begegnen. Diese angestrebte Lebensnormalität ist jedoch oft weit von der

Lebensrealität entfernt, in der Lebenswünsche in Frage gestellt werden, Hoffnungen sich nicht

erfüllen und Ängste auftauchen, wenn Eltern ein Kind mit Behinderung erwarten und großziehen.

Diese Herausforderungen der Auseinandersetzung und Verarbeitung von Trauer kostet viel Energie

und Kraft. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 58f.) Ambivalente Gefühle können hier auch bei den Eltern

entstehen, wenn die virtuale Identität im Widerspruch zur sozialen Identität steht. Die von der

sozialen Umwelt beeinflussten Erwartungshaltungen prägen die Reaktionen von Eltern auf ihr

beeinträchtigtes Kind, was wiederum die unbelastete Normalität des Kindes zu sich selbst gefährdet

und dessen Selbstwahrnehmung beeinflusst. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 60 / vgl. Kastl 2010, S. 168f.)

Etwas nicht mehr zu können, was zuvor noch möglich war, beispielhaft bezogen auf einen Menschen,

der durch einen Unfall querschnittsgelähmt ist und bezogen auf seine Familie, die nun jegliche

Alltagssituationen umgestalten muss, ist eine sehr schmerzliche Erfahrung. Genauso verhält es sich

zum Beispiel mit einem Kind, welches bemerkt, dass ihm in der Schule vieles im Vergleich zu anderen

Schülern, trotz größter Anstrengung, schwerer fällt. Was zuvor normal war, ist es nun nicht länger.

Diese psychisch schwer zu integrierenden Lebenserfahrungen beeinflussen das Selbstwertgefühl und

das Lebens- und Selbstkonzept. Die innere Realität – gemeint ist die intrapsychische

Auseinandersetzung mit sich selbst – wird beim Inklusionsgedanken vernachlässigt, welcher

beinhaltet, dass allein die äußere Realität und ein ressourcenorientierter Blick die vorhandene

Behinderung relativieren oder gar verschwinden lassen könne. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 60f.)

Nach Prof. Dr. Bernd Ahrbeck verlieren Menschen mit Beeinträchtigung im Prozess der Inklusion

bewusst und gewollt an zielgerichteter Aufmerksamkeit. Er äußert sich kritisch: „Die Person selbst

mit ihren inneren Schwierigkeiten und Konflikten wird dadurch zu einem Randthema.“ (Ahrbeck

2011/12, S. 9) Systemische bzw. institutionelle Fragen der Behinderung werden in der Inklusion in

den Vordergrund gestellt und nicht mehr die Problemlage, die sich vorrangig am Individuum

festmachen ließe. Die Umsetzung der Inklusion zum Beispiel im Kontext von unserem Schulsystem, in

denen die pädagogischen Anforderungen an Lehrer und Fachkräfte mit dem Hinweis auf die

Normalität der Andersheit und den Blick auf Ressourcen simplifiziert werden, führt zu einer

Überforderung.

Nach Ahrbeck sind jedoch eine Hinwendung zur Person und ein professioneller bzw. geschulter Blick

auf den Menschen und seine individuelle Lebenssituation wichtig. Probleme und Schwierigkeiten

können seiner Ansicht nach nur dann angenommen werden, wenn sie auch gesehen werden. Eine

Achtung vor den Einschränkungen, dem Leid und den Lasten durch eine Beeinträchtigung sowie vor

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der lebensgeschichtlichen Einmaligkeit mit ihren vielschichtigen Problembereichen gehören ebenso

dazu. Ohne Einbezug von Kategorien wie der Pathologie und ohne die Bezugnahme auf Theorien zu

Beeinträchtigungen, Verhaltensweisen, Abweichungen und Defiziten kann der Komplexität der

Person nicht gerecht werden. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 8-11)

Ahrbeck stellt heraus, dass institutionelle Veränderungen der Inklusion und das Umdenken, dass

„anders sein normal ist“, nur eine Seite der Medaille zeigt. Auf der anderen Seite sollte die

Auseinandersetzung mit der biographischen Lebensgeschichte, intrapsychischen Vorgängen und der

Beeinträchtigung stehen. Er weist darauf hin, dass heterogene Vielfalt und die Inklusion ihre Grenzen

haben. (vgl. Ahrbeck 2011/12, S. 64f.)

„Sie [die Defizite] gelte es nunmehr endgültig zu überwinden – gestützt auf die feste Überzeugung,

Kinder mit Behinderungen könnten dadurch vor Vorurteilen und negativen fachlichen Bewertungen

geschützt werden. Der Blick auf die Ressourcen genießt eine so hohe Priorität, dass er häufig zur

einzig legitimen Wahrnehmungshaltung erklärt wird. Von individuellen Schwächen, unzureichenden

Potenzialen und vorhandenen Defiziten darf deshalb kaum gesprochen werden, fast so, als

existierten sie nicht mehr.“ (Ahrbeck 2011/12, S. 11)

Dieses Zitat ist meiner Meinung nach sehr aussagekräftig und beinhaltet mehr, als es auf den ersten

Blick scheint. Empirisch im Kontext meiner Bachelorarbeit, aufgrund des Umfangs schwer

einzubringen, wäre die Beantwortung der Frage, zu welcher Gruppe die Revolutionäre und starken

Befürworter der Inklusion gehören. Sind es möglicherweise überwiegend Personen und Familien mit

persönlichen Erfahrungen mit Behinderung und Ausgrenzung? Welche Wahrnehmung von

Normalität gehört zu ihrem Alltag, mit welchen Wahrnehmungen sind sie in Institutionen und in der

Gesellschaft konfrontiert worden im Gegensatz zu jenen, die diese biografischen Erfahrungen nie

kennen gelernt haben? Was ist für sie Normalität und wie viel Wunsch nach Normalität steht hinter

dem Begriff der Inklusion? Es geht, vielmehr noch als um den Ressourcenansatz und die

Dekategorisierung, um die persönliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Normalität. Es

geht um die Frage der individuellen Wahrnehmung von Normalität und damit verbundener

konfrontative Erfahrung, Normalitätsvorstellungen, Normalitätsrealitäten und Normalitätswünschen.

4. Beispiele inklusiver Theaterpädagogik im Kontext Sozialer Arbeit

Zwei inklusive Theaterprojekte, „Sycorax“ und das „Blaumeier-Atelier“ werden im weiteren Verlauf

beschrieben. Die kritische Diskussion in vorangegangenen Punkten der Bachelor-Thesis werden an

dieser Stelle ergänzt: Die Theaterprojekte dienen als Beispiele für eine gelungene Umsetzung der

Inklusion im Kontext von Theaterpädagogik.

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4.1 Sycorax

Das 1995 gegründete integrative Theater „Sycorax“ in Münster ist Beispiel einer projektbezogenen

Theatergruppe mit Menschen mit und ohne Psychiatrieerfahrung. Die Theaterarbeit ist künstlerisch

und nicht therapeutisch ausgerichtet und die freiwillige Mitarbeit an keine Voraussetzungen

gebunden. In einer gemeinsamen künstlerischen Arbeit entstehen im kreativen Prozess

Theaterstücke. Geleitet wird die Gruppe des gemeinnützigen Vereins von Manfred Kerklau (Diplom-

Psychologe, Dramatherapeut und Regisseur) und Paula Artkamp (Schauspielerin und Regisseurin).

Sycorax erarbeitet Stücke aus der Weltliteratur, welche bereits sowohl auf nationalen wie auch auf

internationalen Bühnen aufgeführt wurden, wie zum Beispiel „Sturm“ von Shakespeare.

Das Theater ist ein Raum künstlerischer Auslebung außerhalb eines therapeutischen Settings; es

handelt sich also nicht um eine Therapiegruppe, obgleich sich in der Arbeit ein therapeutisches

Wissen zunutze gemacht und eine therapeutisch positive Rahmung geschaffen wird. Hiermit sind ein

nach den individuellen Bedürfnislagen reflektierter Umgang untereinander bzw. räumliche und

zeitliche Aspekte gemeint. Die integrative Therapie bzw. die integrative Dramatherapie nach H.

Petzold, der Umgang mit schizophrenen Menschen nach Ciompi und das Vulnerabilitäts-Stress-

Modell nach Zubin und Spring bilden zu der künstlerisch ausgerichteten Arbeit keinen Widerspruch

und sind theoretische und methodische Grundlagen.

Mit ihrer Theaterarbeit setzt Sycorax ein Zeichen gegen die Stigmatisierung psychisch erkrankter

Menschen und beschäftigt sich künstlerisch mit dem Thema der psychischen Gesundheit und

Krankheit auf direkte und indirekte Weise. Die Gruppe versucht durch die Kooperation mit anderen

kulturellen bzw. sozialen Projekten und ihren Aufführungen aufzuklären und ebenso politisch Einfluss

zu nehmen.

Im Interesse des Projektes liegen auch der Abbau von Diskriminierung gegenüber

Psychiatrieerfahrenen sowie die Förderung von kreativen Potenzial und sozialen Kompetenzen.

Manfred Kerklau berichtet von positiven Erfahrungen: Es konnte beobachtet werden, dass die

Theaterarbeit zu mehr Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit bei den Teilnehmern geführt hat und

auch positiven Einfluss auf persönliche Kompetenzen und die Eigenständigkeit genommen hat. Die

Arbeit geht mit einer großen Solidaritätserfahrung einher.

Die Besonderheit und Herausforderung zugleich sind die Empfindsamkeit und das Erregungsniveau

der Psychiatrieerfahrenen. Zu wenig sozialer Anreiz kann zu einem sozialen Rückzug führen, während

zu viel sozialer Anreiz oftmals eine Überforderung darstellt, welche unter Umständen psychotische

Symptome (wieder) auslösen können. Überdies kann ein kognitives, somatisches, soziales oder

emotionales Ungleichgewicht auftreten, das sich zum Beispiel in mangelnder Aufmerksamkeit,

Störungen der Gedächtnisleistung und kognitiver Differenzierung, Passivität, Rückzug,

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Konfliktunfähigkeit, niedriges Selbstwertgefühl oder mangelnde Abgrenzung äußert. Die Ätiologie ist

nicht eindeutig; so können diese unterschiedlichen Symptome und Verhaltensweisen

krankheitsbedingt auftreten, allerdings genauso Folge von Medikamenten oder Stigmatisierung sein.

Dies erfordert eine genaue Beobachtung und viel Empathie im Umgang miteinander und muss

selbstverständlich in der Arbeit als Stärken und Schwächen berücksichtigt werden. Ein Schutzraum

entstehen zu lassen, in dem angstfrei neue oder auch ungewöhnliche Dinge ausprobiert werden

können, sind Aufgaben der Leitung. Hierdurch können neue Ausdrucksformen, Wege des Umgangs

und der Interaktion mit sich und den anderen gefunden werden. Weitere wichtige Aspekte der Arbeit

und des Umgangs sind zum Beispiel:

- die personelle und konzeptionelle Kontinuität,

- eine strukturierte Leitung,

- eine eindeutige verbale- und nonverbale Kommunikation,

- eine klare Aufteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten sowie

- überschaubare Informationen und die Vermeidung von Über- oder Unterforderung.

Die persönliche Haltung, die Menschen als Experten ihres eigenen Lebens zu achten, sie autonom zu

behandeln und eine Beziehung der Wertschätzung und Akzeptanz aufzubauen, ist das Wesentlichste.

Dazu gehören die positive Wertschätzung der konkreten schauspielerischen Arbeit, das Vertrauen in

die Fähigkeiten und Stärken der Schauspieler, Partizipation, Einbezug und Unterstützung von

Eigensinn. Sowohl der/ die Einzelne wie auch die Gruppe als Ganzes müssen in ihren Bedürfnissen

und Befindlichkeiten Beachtung finden. Der Schwerpunkt sollte auf Kontakt und Zusammenspiel

liegen. Gesprächsräume in gemeinsamen Kaffeepausen, in denen sowohl Themen der Produktion

(und zum Beispiel auch Videoaufnahmen analysiert werden), wie auch Themen über das Theater

hinaus besprochen werden können, sind genauso wichtig. Die Stimmungen und Befindlichkeiten der

Beteiligten wirken sich stark aus auf das Ergebnis der Arbeit und die Atmosphäre aus.

Dabei ist der Spaß am Theaterspielen Grundvoraussetzung für alles andere ist. Die Anleitung der

Übungen und die Erarbeitung eines Theaterstückes finden möglichst in einer von Leichtigkeit und

Humor geprägten Atmosphäre statt. Es werden theaterpädagogische Methoden angewandt, die

kognitive, körperliche, emotionale und soziale Fähigkeiten trainieren. Grundlagen hierfür sind

Wahrnehmungsübungen sowie Übungen zur Gestik, zum körperlichen und stimmlichen Ausdruck

und Textarbeit. Die Zusammenarbeit des Ensembles spielt zudem eine wichtige Rolle. Szenen werden

immer wieder wiederholt und Choreographien einstudiert, welche in strukturierten Improvisationen

entstehen. Ein umfassendes Aufwärmen („Warm-Up“) ist wichtige Basis. Hier werden beispielsweise

Aktion- Reaktions- oder Konzentrationsübungen gemacht. Die Improvisationsaufgaben werden klar

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vorgegeben. Es muss niemand etwas spielen, was er oder sie nicht möchte. Vorschläge der Gruppe

und Stärken der einzelnen Personen werden ernst genommen und aufgegriffen.

Es treffen Menschen aufeinander und spielen Theater, die sonst nicht in Kontakt miteinander kämen.

Dies können eine Bereicherung für jeden Einzelnen und ein persönlicher Gewinn sein.

Aufmerksamkeit, Neugier, Konzentration und Toleranz sind hierbei wichtige Voraussetzungen. Die

Theaterarbeit verhilft zur kreativen (Um-) Gestaltung der eigenen Lebensbereiche, in denen die

neuen Erfahrungen und neu entdeckte Handlungsoptionen übertragen werden können. Kreative

Potenziale werden freigesetzt und Erfolgserlebnisse gemacht, welche Eigenständigkeit und das

Selbstwertgefühl stärken. Die Theaterarbeit trägt zudem das Potenzial in sich, die Verarbeitung des

Lebensumstandes mit einer psychischen Erkrankung zu stärken und Ängste abzubauen.

Die Arbeit in einem solchen theaterpädagogischen Feld hat eine hohe Notwendigkeit. Es ist sehr

wichtig, gerade für Menschen mit Psychiatrieerfahrung, Räume zu haben, in denen sie sich

authentisch ausdrücken dürfen und dabei nicht als krank und verrückt angesehen werden. Zugleich

muss ein Rahmen gegeben sein, der sich ihren Bedürfnissen anpasst. Die sozialen Kontakte außerhalb

des psychiatrischen Milieus, der Gruppenzusammenhalt und die Anerkennung sind stabilisierende

Faktoren. Das Theater nimmt nach Manfred Kerklau für die Schauspieler/ innen eine große und

wichtige Rolle in ihrem Leben ein. Die „psychisch Kranken“ zeigen sich in einem öffentlichen Raum,

füllen diesen und befreien sich ein Stück aus der stigmatisierten Außenseiterrolle. (vgl. Kerklau 2005,

S. 25-28 / Theater Sycorax, Internetquelle)

4.2 Das Blaumeier-Atelier

1986 gründete sich das Blaumeier-Atelier als selbstständiger, paritätischer Wohlfahrtsverein.

Seitdem bietet das Atelier interessierten Menschen durch ein sehr breites Angebot an Projekten und

Gruppen die Möglichkeit, sich in zahlreichen künstlerischen Bereichen auszuleben. Mehrere

Theatergruppen gehören zum Blaumeier-Atelier, darunter das feste Ensemble, die Clown- Gruppe,

das Maskentheater, die offene Improvisationstheatergruppe „Atelier in Aktion“ und andere.

Daneben sind Malerei, Fotographie, Literarische Kunst, Maskenbau und die Musik („Chor Don Bleu“)

weitere Kunstausrichtungen, die offen für jeden Menschen sind, unabhängig von Behinderungen,

psychischen Zuständen und Diagnosen. Das Ensemble und der „Chor Don Bleu“ sind überregional

bekannt und haben teilweise auch schon im internationalen Raum Theater gespielt.

Die Geschichte des Blaumeier-Ateliers ist ein bedeutendes Stück Psychiatriegeschichte und dessen

Entstehung ist eng mit der Schließung der Langzeitpsychiatrie Kloster Blankenburg bei Bremen

verbunden. (Bleyl 2007, S. 4f. / Römer 2014, Internetquelle)

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Wenn Behinderung (k)eine Rolle spielt

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Als erste Psychiatrie in Deutschland wurde das Kloster in Folge der Psychiatriebewegung, welche in

verschiedenen Ländern in den 70er Jahren ihren Anfang nahm, 1988 geschlossen.

Eine Irrenanstalt für jene, die man in der Gesellschaft nicht sah: Menschen mit Behinderungen,

psychisch Kranke und Süchtige, abgestempelt als „unheilbar krank“ und nicht fähig, in der

Gesellschaft zu leben.

Die erste sogenannte „Blaue Karawane“ war ein Zusammenschluss von Patienten der Psychiatrie,

Klinikummitarbeitern, Interessierten und Künstlern. Diese Bewegung machte auf die Zustände in den

Psychiatrien aufmerksam. Die „Blaue Karawane“ setzte sich für die Schließung von

Langzeitpsychiatrien ein und wandte sich gegen das entmündigende Psychiatrieparadigma.

Erstmals war die „Blaue Karawane“ 1985 mit dem blauen Pferd „Marco Cavallo“, das Symbol der

Anstaltsauflösungen der norditalienischen Stadt Triest, durch ganz Deutschland an neun Psychiatrien

vorbeigezogen und hatte mit unterschiedlichen bunten Aktionen und Theater auf die Ausgrenzung

und die lebenslange Verwahrung in Psychiatrien aufmerksam gemacht. Mit den aus Pappmaché

gebauten Bremer Stadtmusikanten war die „blau-verrückte-Truppe“ bis nach Bremen gezogen. In

diesem Zuge der Blauen Karawane und der Auflösung der Psychiatrie Blankenburg entstand 1986

auch das Blaumeier-Atelier, welches von ehemaligen Langzeitpatienten und Studenten aus

Oldenburg gegründet wurde. Diese unterstützten die bereits seit 1981 geplante Schließung des

Klosters und halfen den Patienten, indem sie mit ihnen malten und Theater spielten. Viele der

ehemaligen Langzeitpatienten fanden bei Blaumeier einen Platz zum Ausdruck ihres Selbst und eine

Möglichkeit, Protest gegen die veralteten Denkweisen der Langzeitpsychiatrie zu üben. Eine zweite

und dritte Blaue Karawane zogen 1994 und 2000 mit dem Blauen Kamel „WÜNA“ durch ganz

Deutschland und setzten ein Zeichen für „das Verrückte“. Mit dem Ziel, „eine zukunftsträchtige

Perspektive [zu] schaffen, in dem wir Menschen aus der Mitte interessieren, Menschen vom Rande

unserer Gesellschaft zu integrieren, und … bei sich selbst das außergewöhnliche und unnormale

zuzulassen.“ (Claes 2014, Internetquelle / Laube 2014, Internetquelle)

Das Leben von Vielfältigkeit ist ein Grundsatz, der von Anfang an bestand, lange bevor der Begriff

„Inklusion“ in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. Das Blaumeier-Atelier lebt damit eine

besondere Haltung gegenüber Individualität und Originalität und trägt diese Lebenseinstellung nach

außen und in die öffentliche Wahrnehmung.

Das wichtigste Ziel ist es, die Teilhabe an der Gesellschaft und Kultur für jeden Menschen – sei es mit

oder ohne Behinderungen oder psychischen Erkrankungen – zu ermöglichen. Die Selbstbestimmung

und gleichberechtigte Mitbestimmung aller sowie künstlerische Freiheit und individuelle Auslebung

ist sowohl ein Ziel als auch ein Leitgedanke. (Bleyl 2007, S. 4f. / Römer 2014, Internetquelle) Die

Professionalität zeichnet sich gerade durch Nähe und Authentizität aus. Meine persönliche Erfahrung

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beim Blaumeier-Atelier war die einer Atmosphäre, in welcher jeder so sein dufte, wie er ist. Es gab

keine hierarchischen oder amicalen Verhältnisse untereinander, wie Peter Fuchs diese beschreibt.

Keinem wurde eine Rolle aufgedrückt, sondern es entwickelte sich, oft in der Improvisation, eine

Annäherung zwischen den Schauspielern und ihren Rollen.

5 Fazit und Ausblick

Das Medium Theater hat das Potenzial den Grundgedanken echter Inklusion aufzuzeigen. Eine

Inklusion, die nicht durch Amicalität gekennzeichnet ist, sondern aus sich heraus in einem Umfeld

entsteht, in welchem jeder aufgefordert ist, seine eigene Rolle zu finden. Theaterprojekte wie

Sycorax oder das Blaumeier-Atelier können Vorbild für die Umsetzung von Inklusion sein und das

Verständnis darum vertiefen. In diesem Sinne spielt inklusive Theaterpädagogik eine wichtige Rolle

innerhalb des aktuellen Inklusionsprozesses, da sie diesen mit Authentizität bereichern.

Noch immer leben und arbeiten sehr viele Menschen mit Beeinträchtigungen zusammen und

segregiert in Wohn- und Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderungen. Freundschaften zwischen

ihnen und „den anderen“ gibt es wenige und wenn, dann handelt es sich meist um Familie und

Betreuer in einem amicalen Verhältnis. Persönliche Erfahrungen miteinander und Vertrautheit

zwischen Menschen untereinander sind hingegen Grundlagen, auf welche Stigmata bzw. die

Andersartigkeiten an Relevanz verlieren. Soziale Reaktionen der Kategorisierung und Stigmatisierung

nehmen ab. Die Toleranz für Menschen mit Beeinträchtigungen wächst, je mehr diese im

gesellschaftlichen Leben eine Rolle spielen. Damit ist gemeint, dass die Behinderung weniger zu dem

Merkmal stilisiert wird, von welchem ausschließlich der Mensch beschrieben wird. Die Behinderung

ist dann ein Teil seines Selbst. Erst wenn Menschen ohne Behinderung und Menschen mit

Behinderung sich gegenseitig auf der gleichen Kommunikationsebene erfahren, kann Inklusion

überhaupt verstanden werden.

In einer inklusiven Theatergruppe wird das ambivalente Entweder-normal-oder-behindert-System

der gesellschaftlichen Zuschreibungsdynamik aufgebrochen. Aus Begegnungen können

Freundschaften zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung entstehen. Je mehr normale

Kontakte eine stigmatisierte Person hat, desto größer ist die Chance, dass sie sich selbst auch als

nicht-stigmatisiert erlebt und als solche begreifen kann. Je mehr stigmatisierte Kontakte eine

normale Person hat, desto größer ist die Chance, dass sie sich selbst neu erlebt, auch hinsichtlich

ihrer unterdrückten ambivalenten Gefühlen. In der inklusiven Theaterarbeit übernehmen die

Menschen ohne Beeinträchtigungen nicht die sonst gesellschaftlich typische Rolle der Pfleger und

Betreuer. In diesem Rahmen sind alle Menschen gleichgestellt.

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In unserer Gesellschaft geht es, und so hat es auch Viola Spolin beschrieben, fortwährend um

Bewertungen der eigenen Leistung und Persönlichkeit, durch die wir Ablehnung oder Anerkennung

erfahren. Spolin spricht davon, dass wir aufgrund der Angst vor negativen Bewertungen, hinter der

auch eine Angst vor Stigmatisierung steckt, nicht die Gesamtheit unseres Selbst annehmen können,

sondern nur einen akzeptierten Teil unseres Ich´s anerkennen. In der Theaterpädagogik steht das

Subjektive und Individuelle jedes Menschen im Mittelpunkt. Es geht nicht um die Bewertung und

auch nicht um einen Konkurrenzkampf der besten Fähigkeiten und kognitiven Leistungen – sondern

um die Persönlichkeit. Zugleich bietet die Improvisation in der Theaterpädagogik die Möglichkeit, im

gesellschaftlichen Leben Spontanität und das Agieren aus dem Gefühl heraus zu üben und damit

nicht mehr unter dem Druck eines agierenden und beobachtenden Ich´s zu stehen.

Die inklusive Theaterpädagogik erfüllt im Kontext der Inklusion zwei Zwecke zugleich: Erstens kann

sie der Rahmen eines Kommunikations- und Erfahrungsortes sein, in welchem sich Menschen mit

und ohne Beeinträchtigungen ästhetische Erfahrungen miteinander teilen. Gemeinsamkeiten können

entdeckt und Emotionen, Wünsche, Träume und Haltungen ausgedrückt werden. Dabei kann ein

psychodynamischer Aspekt der Theaterpädagogik beim Spielen einer Rolle die Auseinandersetzung

mit sich selbst sein, aus welcher Selbsterfahrung, Selbstreflexion und Selbsterkenntnis resultieren

können. Im gemeinsamen Theaterspiel kann gelernt werden, die eigene Persönlichkeit und die der

anderen als Ganzes wahrzunehmen. Theaterpädagogik kann dazu beitragen, auch seine eigene Rolle

in der Gesellschaft zu hinterfragen, denn der Rahmen des Theaters erlaubt es, außerhalb der

definierten Normalität zu spielen.

Der zweite Zweck inklusiver Theaterarbeit ist es, durch Theateraufführungen eine gesellschaftlich

größere Öffentlichkeit zu erreichen. In diesen spielen gesellschaftlich stigmatisierte Menschen keine

gesellschaftlich zugeschriebene Rolle, sondern eine Theaterrolle. Dieser Begegnungsort im größeren

Rahmen zwischen Schauspielern und Publikum stellt Dynamiken der Stigmatisierung und

Stereotypisierung infrage; macht sie bewusst. In diesem Sinne wäre dies ein Rückbezug auf die

emanzipatorischen und rollenkritischen Intentionen der Theaterpädagogik der 70er Jahre. Theater

regt zum gesellschaftlichen Umfühlen, Umdenken und neuen Umgang mit Stigmatisierung an.

Theaterpädagogik als Erfahrungskunst, in der ästhetische Erfahrungen und Gefühle Wissenszugänge

sind, hat aus diesen Gründen innerhalb des gesellschaftlichen Lebens eine hohe Notwendigkeit,

gerade im Kontext der Inklusion. Diese wird gegenwärtig auf kognitiver Weise durch Neudefinitionen

von Integration und Behinderung umgesetzt, jedoch weniger auf einer Erfahrungs- und

Gefühlsebene. Neben den strukturellen Rahmenbedingungen sind es vor allem gesellschaftliche

Stigmatisierungsprozesse, welche reflektiert werden müssten. Wie wir die Welt, andere Menschen

und uns selbst wahrnehmen, wird von gesellschaftlichen Wechselwirkungen geprägt. Die Umsetzung

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der Inklusion in diesem Gesellschaftssystem verlangt, dass wir zwei sich völlig widerstrebende

Gedankenansätze in die Praxis umsetzen: den Leistungsgedanken und Individualismus auf der einen

Seite und die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Stärken und Schwächen, auf der anderen

Seite. Dies erzeugt ambivalente Gefühle in Bezug auf Behinderung und Inklusion. Die ganze

Gesellschaft wird mit einem neuen Werteverständnis und Umgang mit Heterogenität konfrontiert.

Dieses Werteverständnis fordert, auf die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen

einzugehen, ganz unabhängig davon, ob diese Beeinträchtigungen haben oder nicht. Erving

Goffman´s Buch „Stigma“ aus den 1960gern ist in der heutigen Inklusionsdebatte aktueller denn je.

Es ist zu beobachten, dass Inklusion für ein Anders-sein-ist-normal eintritt und eine Neudefinition von

Behinderung umzusetzen versucht. Dieser Wunsch nach Normalität und Gleichberechtigung für

Menschen mit Behinderungen ist nicht aus einem natürlichen, selbstverständlichen

gesellschaftlichen Prozess entstanden, sondern wurde mühselig politisch umgesetzt. Durch diesen

Prozessverlauf rückt die Andersartigkeit – welche aber keine mehr sein soll – hingegen wieder

verstärkt in den Vordergrund. Die Inklusion widerstrebt in ihrer Umsetzung damit ihrem

ursprünglichen Ziel.

Behinderung spielt zweifellos sowohl im gesellschaftlichen Leben als auch auf einer Theaterbühne

eine Rolle. Die Frage ist, wer die Rolle bestimmt und durch welche Faktoren sie geprägt wird. Wie in

der Theorie der Devianzen von Edwin Lemert beschrieben, hat eine Behinderung eine Ursache, auf

welche soziale Reaktionen der Umwelt folgen. In der Definition von Inklusion wird das Ziel deutlich,

verhindern zu wollen, dass ein Mensch aufgrund von Behinderung gesellschaftlich stigmatisiert und

benachteiligt wird. Dies geschieht im Zuge von Wechselwirkungen zwischen dem beeinträchtigten

Menschen und seinem soziokulturellen Umfeld, was schließlich zur Übernahme einer devianten Rolle

führen kann. Die Inklusion antwortet auf diese Prozesse, indem sie die Andersartigkeit normalisiert

und sogar Ursachen von Devianzen zu revidieren versucht. Wie Goffman herausstellt, hat

Stigmatisierung die Funktion der Abgrenzung. Menschen erhalten ihren Status des Nicht-

stigmatisiert-seins aufrecht, indem sie andere stigmatisieren; sich so von ihnen abgrenzen. Die

Gefahr, die geheime Maske, welche vor Diskreditierung schützt, zu verlieren, wäre zu groß und die

dahinterstehende Auseinandersetzung mit sich selbst eine Herausforderung, daher das Stigma

„behindert“. Eine Auseinandersetzung würde das eigene Weltbild hinterfragen und könnte einen

inneren Konflikt mit sich selbst hervorrufen. Die Maske gibt Sichtschutz vor der Tatsache, dass sich

normale Menschen hinsichtlich Stigmatisierung gar nicht so sehr von den Behinderten

unterscheiden. An dieser Stelle wäre es wichtig, die Stigmatisierungsprozesse, wie Goffman sie

beschreibt, – vor allem ihre Funktion in der Gesellschaft – zu verstehen. Aus diesem Verständnis

heraus könnten neue Ideen für den allgemeinen Umgang miteinander entstehen, der sich nicht nur

auf den Umgang mit Menschen mit Behinderungen bezieht.

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Beim Blaumeier-Atelier erlebte ich eine Situation, in der ich mich behindert fühlte. Behindert, weil

ich bei Improvisationsübungen, welche Gefühlsausdrücke betrafen, extrem gehemmt war, während

ausnahmslos alle anderen Schauspieler mit viel Leidenschaft, sowohl Wut und Freude als auch Trauer

und Verliebtsein, auf der Bühne darstellten. Im Laufe der Zeit lernte ich, mich von ihrer Verrücktheit

anstecken zu lassen und mitzuspielen. Bei Blaumeier trifft man zweifelsohne nicht nur auf Verrückte,

sondern man wird es auch selbst – und beides in einem positiven Sinne. Hier wird sichtbar, wie

paradox die Definitionen von behindert und verrückt sind, denn wie verrückt muss es sein, wenn sich

Menschen vor ihren eigenen Gefühlen fürchten und diese häufig nicht ausdrücken können. Wer ist in

diesem Fall behindert: Der Schauspieler mit dem Down-Syndrom oder ich? Und wodurch? Die

Menschen, die ich bei Blaumeier kennen gelernt habe, konnten ihre Gefühle ausgesprochen gut

ausdrücken. Diese Erfahrung, so glaube ich, ist eine große Ressource, welche das inklusive Theater

auszeichnet. In meiner Zeit beim Blaumeier-Atelier lernte ich eine Gruppe von Schauspielern kennen,

die es mir ermöglichte, mich selbst besser kennen zu lernen. Ich habe von ihnen viel gelernt. Sie

können der Gesellschaft ein unendlich großes Geschenk machen, wenn wir sie nur an uns

heranlassen.

Wir müssen meiner Ansicht nach den Ressourcenansatz der Inklusion aus einer neuen Perspektive

heraus sehen. Der Ressourcenansatz der Inklusion schaut ausschließlich auf die individuellen

Ressourcen einzelner Individuen. Stigmatisierte Individuen, die zu inkludieren sind und denen wir als

Profession der Sozialen Arbeit helfen, gesellschaftsfähig zu werden. Dabei wird übersehen, dass

Menschen mit Behinderungen mit ihrer Behinderung als Ganzes eine Ressourcen bezüglich unseres

ganzen gesellschaftlichen Systems sein können. Wenn wir uns alle gegenseitig ernst nehmen, ist das

eine Chance, gegenseitig voneinander zu lernen und Gesellschaft neu zu denken.

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7 Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig verfasst und keine anderen

als die angegebenen Hilfsmittel genutzt habe. Die Stellen der Bachelorarbeit, die anderen Quellen im

Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen wurden, sind durch Angaben ihrer Herkunft kenntlich

gemacht.

____________________________________ Jessica Bräulich, Neubrandenburg, 30.06.2014

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