„Wenn die Angst an unsere Türen klopft“ · PDF filemuslimischen Diktatoren,...

29
P. Jeremias Müller OSB Kath. Priester und Gestaltpsychotherapeut „Wenn die Angst an unsere Türen klopft…“ Ursprung und Umgang mit unseren Ängsten im Alltag Vortrag am 15. Juni 2016, 18.30 Uhr Josefinum Leoben Seite von 1 29

Transcript of „Wenn die Angst an unsere Türen klopft“ · PDF filemuslimischen Diktatoren,...

P. Jeremias Müller OSB Kath. Priester und Gestaltpsychotherapeut

„Wenn die Angst an unsere Türen klopft…“

Ursprung und Umgang mit unseren Ängsten im Alltag

Vortrag am 15. Juni 2016, 18.30 Uhr Josefinum Leoben

Seite ! von !1 29

Inhalt

1. Vorwort: Angst vor der Hölle - das Machtinstrument der Kirche

2. Begriffsklärungen 2.1. Woher kommt das Wort „Angst“ eigentlich?

2.2. Begriffsdifferenzierung: Furcht - Angst - Panik

2.3. Warum dürfen wir keine Angsthasen sein?

3. Formen der Ängste 3.1. Individuelle und kollektive Angst

3.2. Angst löst Blockaden aus und auf

3.3. Verschiedene Formen der Angst unserer Existenz

3.4. Furcht und Panik

3.5. Religiöse Ehrfurcht

4. Auswirkungen der Angst 4.1. Wie die Angst uns Menschen verändert

4.2. Die Funktionen der Angst

4.3. Vor was oder vor wem haben wir eigentlich Angst?

4.4. Wie reagieren wir in der Regel auf unsere Angst?

5. Die Bibel und die Angst 5.1. Männer und Angst - Die Angst Jesu

5.2. Die Ur-Angst des Adam vor der Wahrheit

5.3. Lebensängste in den Psalmen

5.4. Die pränatale Traumatisierung des Jona

5.5. Die Angst vor der Angst (Der Sturm auf See)

6. Modelle der Angstintegration bzw. -bewältigung 6.1. Die Angst als Teil meines „inneren Teams“ kultivieren

6.2. Die Relativierung meiner Ängste an der Wirklichkeit

6.3. Angstbewältigung durch „Paradoxe Intervention“ (Frankl)

6.4. Der spirituelle „Antirrheticus“ als Waffe gegen die Angst

6.5. Medizinisch-therapeutische Hilfe und Naturheilkunde

7. Abschluss - der Heilige Benedikt und die Panik, die terrorisiert

Seite ! von !2 29

1. Vorwort

Angst vor der Hölle - das Machtinstrument der Kirche

Wir befinden uns im Jahre 1510. Ein Augustinermönch ist unterwegs nach Rom. Er geht

einen Pilgerweg auf der Suche nach Antworten. Eine Frage quält ihn seit seinem

Theologiestudium: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie werde ich vor Gott

gerecht?“ – Diese Frage war für den jungen Mönch eine sehr persönliche und

existentielle Frage. Er stellte sie sich nicht aus rein philosophischem und theologischem

Interesse – sondern aus reiner Angst. Aus einer unglaublichen Angst vor einem strengen

Gott im Jüngsten Gericht nicht bestehen zu können. Der junge Mönch leidet innerlich,

sein Gebetsleben ist aufreibend. Er hat Angst, von Gott zur ewigen Verdammnis verurteilt

zu werden. Er glaubt, dass alle seine guten Werke, seine Selbstkasteiungen, ja selbst sein

Leben als Mönch nicht ausreichen werden, um Gott gnädig zu stimmen. Der junge Mönch

heißt Martin Luther.

Diese existenzielle Angst teilt Br. Martin mit vielen Menschen der damaligen Zeit. Die

kirchlichen Predigten schüren die Angst vor der ewigen Verdammnis. Höllenszenen und

die Qualen des Fegefeuers wurden sehr plastisch in kleinen Theaterstücken auf dem

Marktplatz dargestellt. Gellende Schreie, flammendes Inferno und Darstellungen des

Teufels, der mit Freude die armen Verstorbenen quält – das alles ließ den einfachen

Menschen - aber interessanterweise auch den hochgebildeten Luther in eine Krise

stürzen. Wer wollte da keine Angst bekommen?! Gleichzeitig blühte der Ablasshandel der

Kirche. Den Menschen wurde mit Papier und Siegel versprochen, dass durch den Kauf

eines Ablassbriefes den verstorbenen Angehörigen aus der Hölle geholfen, sowie das

eigene Leben vor der Hölle gerettet werden könne.

Gesunde Skepsis brachte Br. Martin Luther allerdings zur Überzeugung, dass Gott sich

nicht durch ein paar Münzen bestechen lässt und auf Bezahlung die Seele aus der Hölle

befreit. Aber wie konnte er Gott dennoch gnädig stimmen, wenn die eigenen guten

Werke nie reichen würden und auch ein Ablassbrief keine Rettung bringen kann?

Luthers Angst war die Angst vor dem (über)mächtigen Vater. Viele Biographen wissen

heute, dass die Erziehung Luthers durch einen strengen, richtenden Vater, der mit dessen

Entscheidung, Mönch zu werden, ganz und gar nicht einverstanden war, diese große

Angst schürte und Luther sie schließlich auf Gott übertrug.

Seite ! von !3 29

Mit der Angst lässt sich also nicht nur ein lukratives Geschäft machen, sondern mit der

Angst kann man Menschen instrumentalisieren. Das wusste auch ein Diktator im Nazi-

Reich, das wissen die Terroristen des IS, dass wissen auch die gegenwärtigen

muslimischen Diktatoren, selbst wenn sie äußerlich demokratisch gewählt wurden.

Angst ist allgegenwärtig: latent lauernd, subtil im Untergrund oder auch real um sich

greifend. In diesem Vortrag möchte ich deshalb verschiedenen Fragen nachgehen.

Zunächst möchte ich versuchen zu beschreiben, was eigentlich Angst als Phänomen

meint. In einem weiteren Schritt möchte ich zwischen Angst, Furcht und Panik

differenzieren. Danach gehe ich mit Ihnen der Frage nach, wo die Ursachen der Angst

liegen und welche Reaktionen - physisch wie psychisch - sie auslösen, um schließlich mit

Ihnen über den Umgang der Angst nachzudenken, auch aus einer christlich-biblisch-

therapeutischen Perspektive.

Viele Gedanken, die ich Ihnen vortrage, kommen aus dem seelsorglichen

Erfahrungsbereich und der psychotherapeutischen Arbeit, aus Studien über

Angstverhalten von Menschen, so wie aus der Forschungsliteratur der Neurologie, also

der Gehirnforschung.

Einer der bekannten Autoren zur Zeit, mit dem in diesem Jahr 2016 erschienen Werk

„Angst. Wie wir Furcht und Angst begreifen und therapieren können, wenn wir das

Gehirn verstehen“, ist der US-amerikanische Neurologe Joseph LeDoux an der New York

University. Er leitet dort das Institut für Neurowissenschaften. Auf ihn beziehe ich mich

immer wieder, wenn es um die Gehirnforschung zum Thema Angst geht.

2. Begriffsklärungen 2.1. Woher kommt das Wort „Angst“ eigentlich?

Der Begriff „Angst“ hat sich seit dem 8. Jahrhundert vom indogermanischen Wort

„anghu“, was so viel wie „beengend“ bedeutet, zum althochdeutschen Begriff „angust“

entwickelt. Die nahe Verwandtschaft zum Lateinischen „angustus“ bzw. „angustia“ für

Enge, Beengung, Bedrängnis ist schnell erkennbar.

Aus der Medizin kennen wir den Begriff der „Angina“, denken wir an die „angina

pectoris“, jener Schmerz im Brustraum, der mit einem beklemmenden Gefühl der

Verengung einhergeht.

Seite ! von !4 29

Begrifflich müssen wir dabei jene Angst, die ohne ein konkretes Objekt auskommt (im

Lateinischen „angor“) unterscheiden von einer Objekt- oder Personbezogenen Furcht

(lateinisch: „timor“). Doch schauen wir uns diese Differenzierung zwischen Angst, Furcht

und Panik einmal näher an.

2.2. Begriffsdifferenzierung: Furcht - Angst - Panik

Meist werfen wir ja alle Begriffe wie das Gemüse bei der Suppe in einen Topf: Furcht,

Angst und Panik. Doch die Wort-Reihenfolge, die ich gewählt habe, zeigt bereits: Es gibt

durchaus Steigerungspotentiale: sich zu fürchten ist eine andere Dimension als Angst zu

empfinden, Panik wiederum ist eine gesteigerte Variante der Angst. Das sagt uns

zunächst einmal der gesunde Hausverstand.

Angst ist ein menschliches Grundgefühl. Der Grafiker und Schriftsteller Alfred Kubin soll

am Sterbebett zu dem ihn tröstenden Arzt gesagt haben: „Nehmen Sie mir meine Angst

nicht, sie ist mein einziges Kapital!“ Angst ist tatsächlich mehr als nur eine Ausschüttung

von negativen Botenstoffen in unserem Gehirn oder Reaktionsmechanismen auf

Bedrohungen verschiedener Art.

Die Tiefenpsychologie unterscheidet vier Formen von Gefühlen: Freude, Angst, Wut und Trauer. Meines Erachtens gibt es aber noch mehr Gefühle: Stress, Scham, Ohnmacht,

Ekel, Einsamkeit, Vertrauen und Hoffnung. Wir können noch Bewunderung, Stolz und

Überraschung hinzufügen.

Unsere Wahrnehmungskompetenz und das damit einhergehende Emotionsspektrum ist

also groß und vielschichtig. So, wie wir mit unserem Geschmacksinn an einigen Stellen

der Zunge viele verschiedene Richtungen von „Geschmäckern“ differenziert benennen

können, ist auch unsere Gefühlswelt in der Leitzentrale des Gehirns oft diffus.

Denken wir nur an die Zeit der Pubertät, wo das Gehirn wie eine Festplatte neu formatiert

wird. Oder nehmen wir das Gefühl von Verliebtsein: Es wechselt von „Himmelhoch

jauchzend“ bis „zu Tode betrübt“. So erleben wir im Alltag eine große Zahl an

Gefühlsformen und deren Nuancen. Nicht immer entbrennt uns bei einem Ärgernis ein

Tobsuchtsanfall von Wut oder gar die Hochform von Zorn, manchmal sind wir einfach nur

missgestimmt oder erhitzt oder eben sauer.

Seite ! von !5 29

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Angst. Sie tritt in mehrfachen Formen auf: Bedenken

(Skepsis), Besorgnis, Bedrohung, Furcht, Angst und Panik. Und sie mischt sich häufig mit

Ohnmacht, mit Trauer und mit Wut.

2.3. Warum dürfen wir keine Angsthasen sein?

Angst wird von vielen Menschen als etwas Negatives empfunden. So wie der dumme

Spruch in der Kindheit einmal lautete: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“, so hat man

uns u.U. eingetrichtert, kein „Angsthase“ sein zu dürfen. Doch keines der oben

genannten Gefühle kann man einem Menschen einfach so „nehmen“. Wer Angst hat oder

von Angst besetzt ist, dem hilft es nicht, wenn wir sagen: „Du brauchst keine Angst zu

haben!“ - Er hat sie ja schon!

Das kleine Kind, das nicht einschlafen kann aus Angst vor dem dunklen Schatten an der

Wand, weil im Zeichentrickfilm am Nachmittag ein Monster oder ein Bösewicht die

Hauptrolle spielte, dem nützt es nichts, wenn wir sagen: Es gibt das Monster nicht, du

brauchst keine Angst zu haben! Hilfreicher wäre, wenn wir als Erwachsene darauf

reagieren indem wir sagen: „Ich hab als Kind auch immer wieder Angst gehabt und habe

es heute auch noch hin und wieder. Wenn du ganz viel Angst hast, dann darfst du immer

zu mir kommen, ich bin da!“

Ähnlich ist es mit der Trauer, der Scham, der Ohnmacht usw. - Wir können keinem

Menschen sein Gefühl (weg)nehmen! Es kann sich nur mit der Zeit verwandeln! Denken

wir dabei ruhig an das Wort der Bibel im Psalm 30,12: „Da hast du mein Klagen in Tanzen

verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.“ Die

Gewissheit über Gottes Gegenwart kann das jeweilige negative Gefühl in einem

religiösen Menschen in etwas Positives verwandeln.

Seite ! von !6 29

3. Formen der Ängste 3.1. Individuelle und kollektive Angst

Im literarischen Klassiker „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann (1990)

unterscheidet der Tiefenpsychologe zwischen der individuellen Angst des Menschen und

der kollektiven Angst der Menschheit.

Ein klassisches Beispiel für die kollektive Angst ist die in uns „abgespeicherte“ Angst als

jenes diffuse Gefühl, das wir empfinden, wenn wir bei Nacht durch einen Wald gehen,

zumal dann, wenn wir hinter oder neben uns im Geäst ein Knacken oder Rascheln hören.

Spontan denken wir an eine lauernde Gefahr, z.B. eine Schlange. Gesteigert wird so etwas

noch im Ur-Wald, im Dschungel, von dem wir wissen: Hier lauern die Gefahren in Ur-

Formen, also in der ursprünglichen Dimension. Hier wird das Gefühl ganz archaisch,

zugleich aber überdimensional vergrößert. Orte, Zeiten und Umstände bedingen einen

Verstärkung unserer Angst.

Anderes Beispiel: Viele Menschen empfinden vor allem an einem bestimmten Wochentag

eklatante Angstzustände. Es ist der Sonntagabend, also die Nacht vor dem Arbeitsbeginn

der neuen Woche. Bei Schülern bspw. ist es die Angst vor der Klausur, die geschrieben

oder zurückgegeben wird (oder einfach die Angst vor der Schule überhaupt), bei Lehrern

die Angst vor einer bestimmte Klasse; viele Menschen haben ein Grauen davor, montags

wieder in den tristen Arbeitsalltag einzutauchen. Sie empfinden schon bei dem Gedanken

Stress, Magenschmerzen oder Übelkeit. Diese individuelle Angst verbindet viele

Menschen, dennoch durchläuft jede und jeder von uns einen je eigenen Prozess im

Umgang mit dieser Angst. Von Alkoholkonsum als Kompensationsmittel über

Pharmazeutika bis hin zur Verdrängung und der Unlust, überhaupt zur Arbeit zu gehen -

all das sind Formen und Mittel, wie wir die Angst besiegen wollen.

3.2. Angst löst Blockaden aus und auf

Ich sage es noch einmal: Ängste sind grundsätzlich nichts Negatives. Im Gegenteil, sie

lassen uns Menschen über uns hinauswachsen. In meiner therapeutischen Arbeit und der

geistlichen Begleitung geht es immer wieder auch um Ängste, um Lebensängste.

Weniger um „Phobien“ (griech. „phobos“ - Furcht), z.B. vor Spinnen, großen Plätzen,

engen Räumen oder vor Fremden.

Seite ! von !7 29

Lebensängste können massiv blockieren! Sie lassen uns in eine Art muskuläre Starre

verfallen, so dass wir regungslos, wie angewurzelt, aber vor allem: handlungsunfähig da

stehen. Ängste blockieren also unser Biosystem.

Dabei haben Ängste auch enorm motivierenden Charakter! Denken wir nur an einen

Wohnungsbrand. Die Angst im Feuer ums Leben zu kommen, führt dazu, dass wir mutig

durch ein brennendes, verrauchtes Haus rennen und sogar fähig sind, um Hilfe schreiende

Menschen noch aus diesem Haus zu retten.

In Gesprächen nenne ich oft folgendes Beispiel, um den blockierenden und gleichzeitig

motivierenden Charakter von Angst zu verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor

einer morsch scheinenden Holzhängebrücke über einem Abgrund. Das flößt Ihnen

sicherlich Angst ein. Lebensangst. Doch diese Angst, die Sie - im Übrigen wie bei Kühen

und anderen Tieren auch - hindern könnte, diese Brücke zu überschreiten, wird

überwältigt von der Angst, die sie in dem Moment empfinden, wo hinter Ihnen eine

weitere (noch größere) Gefahr im Anmarsch ist, z.B. ein brüllender Löwe oder jemand, der

Sie verfolgt. Plötzlich überwinden wir die eine Angst durch die Motivationskraft

(Bedrohung / Bedrängnis) der anderen.

Die Angst, die zunächst in uns geweckt wird, ist die Angst vor dem Tod, vor der

Selbstaufgabe oder der Ohnmacht. Es folgt aber die Existenz-Angst, also genau durch

den Tod das Leben zu verlieren, was uns wiederum dazu antreibt, überleben zu wollen!

3.3. Verschiedene Formen der Angst unserer Existenz

Die Grundängste, die unser Leben zuweilen schwer machen, sind:

- die Angst vor der Selbsthingabe (Ich-Verlust und Abhängigkeit), z.B. mit der Frage

verbunden: Wer bin ich eigentlich, wenn ich dies oder jenes nicht mehr tun kann, nicht

mehr bin?

- die Angst vor der Selbstwerdung (als mangelnde Geborgenheit und Isolierung), also

der Abnabelung z.B. an das Elternhaus, verbunden mit der Frage: Was mache ich nur

ohne diese oder jene Person?

- die Angst vor der Veränderung bzw. Wandlung (Vergänglichkeit und Unsicherheit),

eine gewisse Instabilität mit der Frage: Wie soll das weiter gehen?

Seite ! von !8 29

- und die Angst vor der Notwendigkeit (als Endgültigkeit und Unfreiheit), verbunden

mit der Frage: Warum passiert mir das gerade? Was kommt da jetzt auf mich zu?

In meiner Wahrnehmung sind die Angst vor der Selbstwerdung (Individuation) und die

Angst vor Veränderung die stärksten Angstformen, die unser Leben bestimmen.

Das eigene Leben in die Hand nehmen, selbständig Entscheidungen treffen und auch

Verantwortung übernehmen - das sind wohl Elementarängste, die wir alle im

Erwachsenwerden überwinden müssen.

Ähnlich ist es mit der Angst vor Veränderungen. „Es war schon immer so!“ - „Wo

kommen wir hin, wenn es anders wird?“ - „Das hat’s noch nie gegeben!“ sind klassische

und entlarvende Schlüsselsätze (eher „Killerphrasen“), die dieser Angst ein konkretes

Gesicht geben. In der Kirche und in der Religion jedweder Art ist diese Angst die wohl am

meist verbreitete Form. Sie verhindert dynamische Entwicklung und damit das, was wir

allgemein als „Leben“ bezeichnen.

3.4. Furcht und Panik

Lassen Sie uns auch einen Blick auf die beiden Phänomene Furcht und Panik werfen. Sie

sind spezielle Ausdrucksformen der Angst.

Furcht, der wohl schwächere Begriff, ist gemeint, wenn wir eine Unsicherheit spüren

gegenüber uns eigenartig vorkommenden Lebewesen, Zuständen, Zeiten oder Orten.

Furcht hat mit Respekt zu tun und wird in der Psychologie als „Realangst“ bezeichnet.

Denn in der Tat haben wir es hier mit dem Gefühl einer recht konkret fassbaren

Bedrohung zu tun. Furcht löst also die Reaktion des Bewusstseins auf eine gegenwärtige

oder vorausgeahnte Gefahr aus.

Ein gutes Beispiel ist die sog. „Claustrophobie“, also die Angst, die wir in geschlossenen

Räumen (z.B. einem Aufzug, einem kleinen dunklen Zimmer, einem Sarg) empfinden, nicht

zu verwechseln mit der „Platzangst“ (Agoraphobie - Angst sich auf großen Plätzen

verloren zu fühlen). Eingesperrt zu sein auf engstem Raum löst durch die reale Enge, die

Atemnot, die u.U. entstehende Wärme und die Handlungsunfähigkeit eine Realangst aus,

die aber besser als „Furcht“ bezeichnet werden muss.

Seite ! von !9 29

3.5. Religiöse Ehrfurcht

Einer besonderen Form der „Furcht“, nämlich der religiösen Ehrfurcht, gilt es noch einen

Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Hier geht es um die Achtung und den Respekt

vor etwas Größerem, vor dem „Numinosen“, das wir Gott nennen. Was passiert im

Menschen, wenn er Ehrfurcht empfindet? Auch wenn es zunächst etwas seltsam klingt,

lassen Sie es mich zunächst im Vergleicht mit der Tierwelt beschreiben: Ein Hund hat aus

seinem Instinkt heraus eine gewisse Ehrfurcht vor anderen ihm unbekannten Tieren oder

Phänomenen, aber auch vor dem stärkeren Hund im Rudelverband oder eben anerzogen

vor dem Menschen. Er zieht den Schwanz ein, beugt die Hinterpfoten etwas nach unten

und beginnt aufgeregt zu schnuppern. Wenn wir uns Menschen betrachten, wie wir in

einer Situation der Ehrfurcht reagieren, dann sieht dies interessanterweise recht ähnlich

aus: Sprichwörtlich sagt man: „Wir buckeln vor einem Herrscher“ - d.h. aus Ehrfurcht

nehmen wir eine leicht gebückte Rückenhaltung ein, neigen den Kopf nach unten, unser

Gang wirkt stockend bis verunsichert, die Gesichtsmuskulatur ist angespannt, manche

haben einen trockenen Mund. Ehrfurcht bedeutet achtsamen Respekt vor dem Größeren

zu haben. In der Vergangenheit waren dies Kaiser, Könige und Päpste, der Fürst oder eine

wie auch immer höher gestellte Persönlichkeit.

In der Rel igion ist es die Ehrfurcht vor Gott oder der Götterwelt .

Religionsphilosophisch sprechen wir vom „mysterium tremendum et fascinosum“, dem

Geheimnis also, das Furcht, Zittern („tremendum“) und zugleich Faszination

(„fascinosum“) auslöst. Ehrfurcht ist die Anerkennung des Anderen in seiner Stellung bzw.

in seiner Bedeutung, z.B. durch die Machtkompetenz, die ihm zugeteilt wurde.

Letztlich sind aber alle Formen der Angst kognitive Phänomene, ausgelöst durch sog.

„Botenstoffe“, die in unserem Gehirn bestimmte neurologische Reaktionen auslösen (z.B.

Ausschüttung von Adrenalin) - kurz: Angst hat immer mit Stress zu tun.

Die gesteigerte Form von Stress-Attacken nennen wir Panik. Panik ist eine extreme

Angststörung, die auftritt, wenn der Körper gewissermaßen die Kontrolle über das

Biosystem und seine mentale Steuerung verliert. Es muss nicht einmal eine wirkliche

Bedrohung (z.B. echte Schüsse eines Maschinengewehrs in einer Diskothek) vorliegen,

wie wir das bei Massenpanik oft erleben.

Seite ! von !10 29

Es können viele Menschen auf engem Raum zusammen kommen und schon der Schrei

„Feuer“ oder die Phantasie eines Einzelnen, sich eingesperrt zu fühlen (Klaustrophobie)

mit entsprechend hektischen Verhaltensweisen, löst die Panik aus, die uns zum

Selbsterhalt zwingt, d.h. wir wollen uns schützen, unser Leben retten.

Insofern versagt hier das Kontrollsystem und eine erhöhte Ausschüttung von Adrenalin

führt zu Panikattacken, d.h. zu massiven Angststörungen, die sogar traumatisch enden

können, bspw. wenn noch Jahrzehnte später Böllerschüsse an Silvester einen Menschen

zusammenzucken lassen.

4. Auswirkungen der Angst 4.1. Wie die Angst uns Menschen verändert

Wann immer dem Menschen etwas widerfährt, löst dies in seinem Biosystem zunächst

eine Vielzahl von Reaktionen aus. Angst zeigt sich - denken wir nur einmal an eine

Prüfung oder eine Bühnenaufführung - in einer ersten Phase zunächst körperlich mit

Schweißausbrüchen, nassen Händen, unsicherem Blick, gekrümmter Körperhaltung,

verzerrter Mimik, Nervosität, Kreislaufproblemen, Kopfschmerzen, trockenem Mund.

Im Klartext: Der Mensch zeigt bei Angstzuständen deutliche psycho-somatische

Reaktionen. Dies sind keine krankhaften Reaktionen! Sondern es sind Reaktionen, die bei

einer tatsächlichen oder auch nur in der Phantasie vermuteten Gefahr im Ernstfall unser

Überleben sichern sollen. Diese körperlichen Reaktionen bereiten uns in einem ersten

Schritt auf eine Kampf- oder Flucht-Situation (fight or flight) vor. Damit ist zugleich auch

etwas gesagt über die möglichen Reaktionsweisen, die uns bei Angst nur bleiben: Wir

können kämpfen oder fliehen. Ein ganz altes menschliches Grundmuster bei Angst.

Ich sagte eben: in einer ersten Phase - denn unser Körper bereitet im Angstzustand etwas

anderes vor. Was genau?

- Erhöhte Aufmerksamkeit, d.h. die Pupillen weiten sich, die Seh- und Hörnerven werden

empfindlicher - Erhöhte Muskelanspannung, d.h. wir sind zu einer größeren Reaktionsgeschwindigkeit

in der Lage - Erhöhte Herzfrequenz durch erhöhten Blutdruck, das Leben will gewinnen - flachere und schnellere Atmung - in den Muskeln wird Energie bereit gestellt

Seite ! von !11 29

Durch die Absonderung von besonderen Molekülen im Schweiß, können andere

Menschen unsere Angst förmlich riechen und dies löst wiederum unterbewusst

Alarmbereitschaft aus. Es kommt der klassische Gesichtsausdruck des Menschen dazu:

verzerrte Mimik, weit aufgerissene Augen etc., plus die Sprache, die den Mitmenschen

deutlich macht: Ich brauche Hilfe!

Damit wird verständlich, dass Angst als Gefühl im Menschen eine klare Funktion hat. Wie

gesagt: Entweder fliehen oder kämpfen wir. Entweder bewahrt sie uns im Sinne einer

Blockade (z.B. vor einem Abgrund noch zu bremsen) oder sie motiviert uns, in dem wir

durch eine größere drohende Gefahr die kleinere Gefahr überwinden. Angst erfüllt also

eine wichtige Funktion für den menschlichen Organismus!

4.2. Die Funktionen der Angst

Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine wichtige Funktion: Sie löst in unseren Sinnen

einen verstärkenden Schutzmechanismus aus, der in tatsächlichen oder auch nur

vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten einleitet.

Bei Experimenten mit Tieren hat man herausgefunden, dass der Energieaufwand für eine

Flucht sehr gering ist (wenige hundert Kilokalorien), aber eine übersehene Bedrohung

folgenschwere Auswirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Alarmanlage „Angst“

von der Natur im Menschen wie bei Tieren sehr empfindlich eingestellt. Und wie das bei

Alarmanlagen manchmal so ist, es kann auch Fehlalarme geben!

Angst kann sowohl bewusst als auch unbewusst wirken. Entstehen bspw. durch Angst

andauernde Kontrollverluste oder Lähmungen, wird von einer Angststörung gesprochen.

Ist diese Angst an ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation gebunden,

spricht man von einer Phobie (z.B. Schlangen, Spinnen etc.)

4.3. Vor was oder vor wem haben wir eigentlich Angst?

In meiner Kindheit haben wir gerne im Sport das Laufspiel „Wer hat Angst vor’m

schwarzen Mann?“ gespielt. Die Antwort lautete: „Niemand! Und wenn er kommt, dann

laufen wir!“ Es ist ein recht altes Spiel. Hintergrund dieses Spieles ist möglicherweise der

Umstand der Pest, die mit dem Begriff „Schwarzen Tod“ - „Schwarzer Mann“ gemeint ist.

Das würde auch das Spielprinzip verstehbar machen: Jeder, der von der „Pest“ befallen

wird, also im Spiel vom „Schwarzen Mann“ angetippt wird, wird selber zum Träger des

„Schwarzen Todes“ und gehört damit zur Mannschaft des „Schwarzen Mannes“, welche Seite ! von !12 29

die Seuche ausbreitet. Angst kann in der Tat „anstecken“, das wissen wir vom Phänomen

der Massenpanik. Generell kann man sagen: Die Angst verbindet als Grundgefühl wohl

alle Menschen vom Embryo bis hin zu sterbenden Menschen. Doch wovor haben wir

Menschen Angst?

- archaische Ängste: Angst vor Wasser, Feuer, wilden Tieren, Dunkelheit / Nacht usw. - vor Situationen: Prüfungen, Vorträgen, Verhör usw. - vor Fremdem: fremde Menschen, Länder, Sitten, Verhalten etc. - vor Autoritäten: (Chef, Lehrer, Direktor, Papst, König, Bischof, Wärter etc.) - vor den Konsequenzen der Wahrheit: Diagnose einer Krankheit, Lebensbeichte,

Eingeständnis eines Fehlverhaltens (z.B. Betrug) - vor dem Tod: durch Krieg, Terror, Gewalt, Schmerz, Verlust

Was verbindet diese Ängste miteinander? Mit der Angst verbunden ist das Gefühl der Ohnmacht (Unsicherheit / Kontrollverlust / Abhängigkeitsverhältnis). Genau deshalb

kämpfen wir gegen Krankheiten an, damit wir Macht über die Erkrankung gewinnen.

Deshalb wollen wir ja selbst an der Spitze einer Firma stehen, damit niemand mehr

„über“ uns steht usw.

4.4. Wie reagieren wir in der Regel auf unsere Angst?

Jeder Mensch bringt eine für ihn typische Angstdisposition von Geburt an mit, die sich

aber schon ab dem Kleinkindalter und noch lebenslang durch entsprechende

Lernprozesse erheblich verändern lässt. Jede Art von Angst kann gelernt, aber auch

verlernt werden. Dies heißt aber auch: bevor wir lernen mit der Angst umzugehen oder

sie sogar wieder „verlieren“, erlernen wir sie zunächst einmal. Ängste können auf

unterschiedliche Weise gelernt werden, etwa durch eigene Erfahrung (Konditionierung),

durch Beobachtung fremden Verhaltens (Lernen am Modell) oder durch Instruktion (z.B.

durch Warnhinweise).

Im Umgang mit der Angst entwickeln wir Menschen entsprechend unserer angeborenen

Gefühlsstruktur und unseres erlernten Risikomanagements ein breites Spektrum an

Verhaltens-möglichkeiten. Diese „Muster“ sind nicht immer stabil, sondern verändern sich

entsprechend der jeweiligen Angst. Folgende „Muster“ kennen wir - Sie dürfen ja gerne

einmal überlegen, welche davon auch Ihre Muster sind:

Seite ! von !13 29

- Das Vermeidungsverhalten versucht, der Angst vor bestimmten Ereignissen, Räumen

oder Personen möglichst auszuweichen. - Das Bagatellisierungsverhalten hat zum Ziel, die als peinlich erlebten Angstgefühle

vor sich und anderen herunterzuspielen („So schlimm war es nicht!“) - Das Verdrängungsverhalten (Kompensation) versucht, der gestellten Aufgabe

hinderliche Angstgefühle zu unterdrücken oder wegzuschieben („Ich will da gar nicht

dran denken“, Ablenkung durch Shopping, Sport etc.) - Das Leugnungsverhalten blendet Anzeichen von Angst aus dem Bewusstsein aus oder

versteckt die als Schwäche empfundenen Angstgefühle vor anderen. Es wird also

künstlich überspielt: „Das mach ich doch mit link, überhaupt kein Problem…“ - Das Übertreibungsverhalten wiederholt und überzieht Sicherheitsvorkehrungen zur

Beruhigung der angespannten Gefühlslage. Dies kann sogar zu zwanghaftem

Kontrollverhalten führen, also 3-5mal ins Haus rennen und schauen, ob wirklich der

Herd ausgeschaltet und die Kerze ausgeblasen ist. - Das Generalisierungsverhalten folgt dem Denkschema von Ängsten als „normaler“

Erscheinung, um sich aus einer erlebten Sonderstellung zu befreien. („Jeder hat doch

Angst“) - Das Bewältigungsverhalten bemüht sich um ein realitätsgerechtes Maß an Angst und

um ein „funktionierendes Angstgewissen“. Welche Reaktion ist angemessen angesichts

einer Prüfung, wenn ich gelernt habe - ist die Angst vielleicht nur verstärkte

Aufregung? - Das Heroisierungsverhalten nimmt die emotionale Befindlichkeit der Angst an, sucht

sie sogar und empfindet dabei ein gewisses Heldentum. Man hat dann einen „Kick“,

wenn man dies oder jenes unter Gefahr für Leib und Leben macht. - Das Angriffsverhalten setzt Mittel verbaler und nonverbaler Gewalt ein, d.h. ich

beschimpfe z.B. Ausländer oder greife sie an, setze ein Flüchtlingsheim in Brand. - Beim Suchtverhalten greift die Person zu Mitteln wie Alkohol oder anderen Drogen,

um den Angstzustand durch Überlagerung eines anderen Bewusstseinszustandes

auszuschalten oder zu „dämpfen“.

Wir haben also eine Reihe von Registern, die wir ziehen können, wenn die Angst an

unsere Türen klopft. Und wir spielen alle - wenn auch unterschiedlich aufgrund unserer

Biographie, unserer Charaktere, den erlernten Verhaltensweisen - auf dieser Klaviatur der

Angstumgangsformen. Jede und jeder von uns hat die ein oder andere Form schon

einmal angewandt.

Allerdings besteht immer auch das Risiko, dass wir uns bestimmte Verhaltensweisen so

aneignen, dass sie u.U. auch krankhafte Züge annehmen. Seite ! von !14 29

In der Regel reagieren wir auf einen REIZ durch eine bestimmte REAKTION. Diese

Reaktion kann zu diesem Zeitpunkt, unter diesen ganz konkreten Bedingungen und

aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Situation die richtige Reaktion sein - oder auch

eine falsche. Ein einfaches Beispiel: Es kann sein, dass ich vor einem Vortrag tatsächlich

Angst habe, wir sagen umgangs-sprachlich „Lampenfieber“. Wenn mir dann jemand

einen Schnaps anbietet zur Beruhigung, kann dies für dieses eine Mal tatsächlich meinen

körperlichen Zustand der Anspannung lockern. Wenn ich aber jedesmal vor einem

Vortrag, einer Prüfung oder einer Präsentation immer einen Schnaps trinke, dann wird

diese REAKTION auf den REIZ zu einem MUSTER. Dieses Muster führt zu einer

klassischen Konditionierung. Will heißen: Immer, wenn ich einen solchen Angstzustand

spüre, versuche ich ihn durch ein Glas Schnaps zu bewältigen, d.h. ich habe den Schnaps

in einer kleinen Flasche schon an Bord, in der Jackentasche.

Wenn dieses MUSTER zur Regel wird und u.U. auf andere Situationen der Anspannung

angewandt wird, sprechen wir von einer STRATEGIE. Diese Strategie allerdings führt in

eine Form der Abhängigkeit, z.B. Alkoholsucht. Das wiederum wird zu einer krankhaften

Form der Angstbewältigung führen.

5. Die Bibel und die Angst

Bevor wir uns der Frage stellen, wie wir denn klug und angemessen, im Ausgleich von

Leib, Geist und Seele unseren Ängsten begegnen können, möchte ich mit Ihnen einen

Ausflug in die Heilige Schrift machen.

5.1. Männer und Angst - Die Angst Jesu Betrachtet man sich die biblischen Textstellen genau, könnte man den Eindruck

gewinnen, dass es vor all allem Männer sind, die sich fürchten und z.T. existentielle

Ängste ausstehen. Ich nenne Ihnen einfach mal eine ganze Reihe von Namen: Abraham

(Gen 15,12), Jakob (Gen 32,8), Mose (Ex 2,14), Joshua (Jos 8,1), das Volk (Ex 20,18), Saul

(1 Sam 18,15), David (2 Sam 24,14), Elija (1 Kön 19,3), Hiob (Hiob 7,14), Jünger Jesu (Mt

8,26 / Mt 17,6 / Lk 24,37), Petrus (Mt 14,30), Paulus (2 Kor 7,5) und Jesus (Lk 22,44) selbst.

Die Liste ist lang. Jetzt kann man sagen: Natürlich sind es überwiegend Männer, denn in

der Bibel spielen Frauen nicht die Hauptrollen. Das stimmt, gleichzeitig aber ist es doch

erstaunlich, dass das Angstverhalten gerade von Männern in einer von Männern

dominierten Welt nicht verschwiegen wird!

Seite ! von !15 29

Manche dieser Männer in der Bibel empfinden mehr als nur einmal in ihrem Leben

richtige Ängste oder sogar Todesängste. Die Psalmen sind geradezu überhäuft mit den

lauten und leisen Schreien der Angst. Wenn wir in der Exegese richtig liegen, dann

werden sie zu einem großen Teil König David zugeordnet. Das wiederum sagt uns etwas

über den mutigen, kämpferischen König David, der einerseits seine Angst in dieser

wunderbaren Erzählung mit dem Philister Goliath überwindet, dann aber in so vielen

Gedichten wie den Psalmen immer wieder seine Angst, seine eigenen verwundbaren

Stellen zeigt.

152mal spricht die Bibel im Alten wie Neuen Testament von der Angst, noch etwas

häufiger von der Furcht. Die allererste Angst, von der uns berichtet wird, ist die Angst des

Adam, des Menschen überhaupt. Nachdem er gegen die Weisung Gottes verstoßen und

doch von der Frucht des Baumes der Erkenntnis gekostet hat, flieht und versteckt er sich

im Paradies hinter den Sträuchern und Bäumen. Gott aber sucht ihn. Sein sorgender Ruf

„Adam, wo bist du?“ (Gen 3,9) eilt ihm voraus. Immerhin, Adam ist so mutig, dass er nicht

sprachlos wird. Er antwortete: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in

Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich!“ (Gen 3,10) Die Angst, von Gott entdeckt

zu werden, hemmt ihn. Es ist die Angst, die wir als kleine Kinder kennen, wenn wir etwas

angestellt haben. Hoffentlich, so bitten wir inständig, kommt es nicht raus… und ans

Licht. Es ist eine Angst, vermischt mit einem anderen starken Gefühl, nämlich der Scham.

Wir schämen uns wegen eines Fehlers, den wir nicht mehr rückgängig machen können.

5.2. Die Ur-Angst des Adam vor der Wahrheit

Die Urangst des Menschen - so beschreibt es die Bibel - ist also nicht jene vor

irgendeinem seltsamen Monster, vor einem Menschen, sondern vor der Wahrheit! Ist es

überhaupt Angst? Adam gerät in Furcht - vor Gottes Gegenwart. Adam hat Angst

entdeckt und bestraft zu werden. Dabei ist er bereits „entblösst“! Es ist ohnehin schon

alles ans Licht gekommen. Der Mensch ist nackt, mehr als nur äußerlich…

Hinter dieser Nacktheit steht das große Thema der Lebenswahrheit. Es geht darum, wer

wir wirklich sind. Insofern ist diese Furcht die Angst vor der Selbsterkenntnis. Es ist die

Angst vor dem Eingeständnis, nicht dieser oder jener zu sein, sondern ein ganz anderer.

Schauen Sie sich in Ihrem Alltag einmal um: Wie vielen Menschen vertrauen Sie

tatsächlich Ihr wahres ICH an? Wie oft setzen wir eine Maske auf, spielen Theater? Wo

können Sie wirklich der- oder diejenige sein, die Sie als Person sind? Und was ist, wenn

wir im Leben scheitern, wenn unser Leben in die Brüche gerät? Bei wem erleben wir, dass

wir ohne Angst sein dürfen wie wir sind?! Seite ! von !16 29

Wer also sagt, dass die Bibel nur nette Märchen erzählt, der liegt falsch. Sie macht alle

großen Lebensthemen zum Thema und die handelnden Personen setzen sich mit diesen

Themen auseinander.

5.3. Lebensängste in den Psalmen Deshalb sind auch die Ängste in der Bibel verschiedener Art. Wenn wir die Ängste etwas

katalogisieren wollen, dann findet sich

- die Angst vor dem Scheitern (vgl. Psalm 25 in Auszügen) Mein Gott, auf dich vertraue ich. Lass mich nicht scheitern, lass meine Feinde nicht

triumphieren! Führe mich in deiner Treue und lehre mich; denn du bist der Gott meines

Heiles. Auf dich hoffe ich allezeit. Denk nicht an meine Jugendsünden und meine Frevel!

In deiner Huld denk an mich, Herr, denn du bist gütig. Um deines Namens willen, Herr,

verzeih mir; denn meine Schuld ist groß. Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn

er befreit meine Füße aus dem Netz. Wende dich mir zu und sei mir gnädig; denn ich bin

einsam und gebeugt. Befrei mein Herz von der Angst, führe mich heraus aus der

Bedrängnis! Sieh meine Not und Plage an und vergib mir all meine Sünden! Sieh doch,

wie zahlreich meine Feinde sind, mit welch tödlichem Hass sie mich hassen! Erhalte mein

Leben und rette mich, lass mich nicht scheitern! Denn ich nehme zu dir meine Zuflucht.

- die Angst aufgrund eigener Schuld (Psalm 38 in Auszügen) Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm! Denn

deine Pfeile haben mich getroffen, deine Hand lastet schwer auf mir. Nichts blieb gesund

an meinem Leib, weil du mir grollst; weil ich gesündigt, blieb an meinen Gliedern nichts

heil. Denn meine Sünden schlagen mir über dem Kopf zusammen, sie erdrücken mich wie

eine schwere Last. Mir schwären, mir eitern die Wunden wegen meiner Torheit. Ich bin

gekrümmt und tief gebeugt, den ganzen Tag geh ich traurig einher. Denn meine Lenden

sind voller Brand, nichts blieb gesund an meinem Leib. Kraftlos bin ich und ganz

zerschlagen, ich schreie in der Qual meines Herzens. Ich bin dem Fallen nahe, mein Leid

steht mir immer vor Augen. Ja, ich bekenne meine Schuld, ich bin wegen meiner Sünde in

Angst. Die mich ohne Grund befehden, sind stark; viele hassen mich wegen nichts. Sie

vergelten mir Gutes mit Bösem, sie sind mir Feind; denn ich trachte nach dem Guten.

Herr, verlass mich nicht, bleib mir nicht fern, mein Gott! Eile mir zu Hilfe, Herr, du mein

Heil!

- die Angst vor feindlicher Gewalt (Psalm 55)

Seite ! von !17 29

- und die Angst vor dem Tod (Ester 4,17 - auch hier in Auszügen):

Und sie betete zum Herrn, dem Gott Israels: (l) Herr, unser König, du bist der Einzige. Hilf

mir! Denn ich bin allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht greifbar vor

mir. (m) (…) Denk an uns, Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not und gib mir Mut,

König der Götter und Herrscher über alle Mächte! (s) Leg mir in Gegenwart des Löwen

die passenden Worte in den Mund und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind hasst

und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet. (t) Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf

mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr! (u) Du kennst alles. (…)

Erhöre das Flehen der Verzweifelten und befrei uns aus der Hand der Bösen! Befrei mich

von meinen Ängsten!

5.4. Die pränatale Traumatisierung des Jona

Ich möchte noch gerne den Propheten Jona anführen. Wir kennen die Lehrerzählung von

jenem Mann, der eigentlich als Gottes Werkzeug der Stadt Ninive die Leviten lesen sollte.

Aber stattdessen flieht er. Auf dem Schiff wird er entdeckt, ein Sturm braust auf und weil

die Seeleute glauben, er sei Schuld am Sturm, werfen sie ihn über Bord. Und jetzt lesen

und hören wir das Angstbesetzte Gebet eines Menschen in großer Existenzangst:

Der Herr aber schickte einen großen Fisch, der Jona verschlang. Jona war drei Tage und

drei Nächte im Bauch des Fisches und er betete im Bauch des Fisches zum Herrn, seinem

Gott: In meiner Not rief ich zum Herrn und er erhörte mich. Aus der Tiefe der Unterwelt

schrie ich um Hilfe und du hörtest mein Rufen. Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das

Herz der Meere; mich umschlossen die Fluten, all deine Wellen und Wogen schlugen

über mir zusammen. Ich dachte: Ich bin aus deiner Nähe verstoßen. Wie kann ich deinen

heiligen Tempel wieder erblicken? Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut

umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf. Bis zu den Wurzeln der Berge, tief in

die Erde kam ich hinab; ihre Riegel schlossen mich ein für immer. Doch du holtest mich

lebendig aus dem Grab herauf, Herr, mein Gott. Als mir der Atem schwand, dachte ich an

den Herrn und mein Gebet drang zu dir, zu deinem heiligen Tempel. (… ) Vom Herrn

kommt die Rettung. Da befahl der Herr dem Fisch, Jona ans Land zu speien.

Wenn Sie für einen Moment einmal vergessen, dass es eine fiktive jüdische Lehrerzählung

über einen Menschen ist, der sogar in selbstverschuldeter Not und Angst noch Hilfe von

Gott erfahren kann, dann lassen Sie sich einmal darauf ein, dass es aus medizinischer

Betrachtung ein pränatales Trauma sein könnte.

Seite ! von !18 29

Warum? Nun zum Einen, weil es sich im Hebräischen nicht um einen Fisch („dag“),

sondern um eine Fischin („dagah“) (!) handelt, sehr bewusst hat der Autor hier die

weibliche Form des Wortes Fisches gewählt. Dazu kommt, dass das hebräische Wort für

Bauch oder Leib „mimme’je“ heißt und im Wortstamm eng mit „Gebärmutter“ verwandt

(racha-mim) ist.

Unser Freund Jona ist also nicht einfach nur im Bauch eines Walfisches, sondern vielmehr

in der Gebärmutter einer Walfischdame. Jetzt kommen wir zur pränatalen

Traumatisierung. Da heißt es im Text: „Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut

umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf.“ Das gleiche Phänomen haben wir

bei Embryos, die im Fruchtwasser liegen, das sie komplett umschließt. Es ist ja sozusagen

der erste Wellnesswhirlpool, den wir in unserem Leben kennenlernen.

Nun kann es vor der Geburt schon im Mutterleib passieren, dass sich die Nabelschnur um

den Kopf, um den Hals legt und zusammenzieht - „Schilfgras umschlang meinen Kopf.“ In

der Medizin ist dieser Vorgang als NSU bekannt, „Nabelschnurumschlingung“. Eine

solche Situation löst Panikattacken aus, beim Embryo vor allem Sauerstoffmangel, der zu

Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen führen kann. Eine solche Traumatisierung kann

ein Leben lang belasten, z.B. in Form von Klaustrophobie, also der Angst in beengten

Situationen.

Es kann also sein, dass Menschen nicht nur in beengten Räumen, sondern auch bei

Luftmangel in geschlossenen Räumen oder extremer Wärmeentwicklung richtige

Panikattaken bekommen, also Angstzustände.

Seite ! von !19 29

5.5. Die Angst vor der Angst (Der Sturm auf See)

Werfen wir noch einen Blick in das Neue Testament: In der Erzählung vom Sturm auf dem See (Mt 14,22-33) wird und aus der Perspektive des Apostels Petrus ein großer

Angstmoment berichtet. Ein Sturm tobt, das kleine Boot wankt und schwankt, die Wellen

schlagen in das Innere. Doch dann sehen die Jünger ihren Meister Jesus über das Wasser

kommen. Zunächst erschrecken sie, weil sie ihn für ein Gespenst halten. Schließlich wagt

Petrus den Ausstieg. Er will den „sicheren Boden“ verlassen und wagt das Risiko. Eine

Geschichte gegen die eigene Angst wird uns hier erzählt.

Die Geschichte zeigt uns, wie uns selbst so oft im Leben ergeht. Von der eigenen

Courage werden wir überrannt… Der Boden bricht unter den Füßen weg, alles stürzt

zusammen, wir verlieren den Halt: „Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er

Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die

Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt

14,30-31) Jesus rettet Petrus aus seiner Angst. Darauf fußt unser Glaube. Wir dürfen in

unseren Ängsten hoffen, dass Gott uns diesen entreißt.

Paulus nennt uns im Hebräerbrief auch den Grund für diese Hoffnung. Wir haben als

Christen in Jesus Christus einen „Mitleidenden“ und „Mitfühlenden“ Menschen und Gott

an unserer Seite: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen

Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört

und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den

Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber

des ewigen Heils geworden.“ (Hebr 5,7-9). Christus selbst hat seine Angst zugelassen -

und überwunden.

Seite ! von !20 29

6. Modelle der Angstintegration bzw. -bewältigung

Damit bin ich beim letzten Punkt des Vortrages und versuche nun, aus christlicher,

spiritueller Perspektive, zugleich aber mit psychotherapeutischem Hintergrund nach

möglichen Handlungs-formen zu suchen, wie wir unseren Ängsten begegnen können.

Vier Modelle möchte ich Ihnen nun anbieten:

6.1. Die Angst als Teil meines „Inneren Teams“ kultivieren

In der Psychotherapie gibt es ein Modell, dass uns helfen kann, mit der Angst als einem

Teil von mir umzugehen. Wann immer es darum geht, Persönlichkeitsanteile

wahrzunehmen und wertzuschätzen, sprechen wir in der Psychotherapie von Integration

und Kultivierung. Integration meint also: Ich nehme diesen Anteil an, akzeptiere ihn als zu

mir gehörend. Kultivierung bedeutet: Ich versuche, diesen Anteil in mein Leben

einzubauen, so dass er mir dienlich ist, es geht also um die Anwendung.

Das Modell, das ich Ihnen anbieten möchte heißt „Inneres Team“. Ein Team ist eine

Zusammenstellung von Personen, die an einem gestellten Auftrag gemeinsam

problemlösend arbeiten sollen. In einer Firma wäre das z.B. eine Abteilung mit dem

Abteilungsleiter und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Oder auf der Ebene der

Firmenleitung wäre es der Firmenchef mit den einzelnen Abteilungsleitern.

So dürfen Sie sich Ihr Leben vorstellen: Sie sind der Chef des „Unternehmens“, also Ihres

Lebens und die Persönlichkeitsanteile Ihres Wesens sind Ihre personifizierten

Abteilungsleiter und Abteilungsleiterinnen. Sie nehmen also zu Hause einmal ein weißes

DIN A4 Blatt, legen es quer vor sich hin und malen ein großes Oval (Ei) darauf. Jetzt

positionieren Sie sich an das eine Kopfende. Sie sind der Chef Ihres Lebens, vor Ihnen ist

der Leitungstisch und jetzt platzieren Sie eine Reihe von Abteilungsleitern um diesen

Tisch - d.h. alle Wesenszüge oder Gefühle, die Ihnen so in den Sinn kommen: Kreativität,

Freude, Mut, Enttäuschung, Hoffnung, Trauer, Angst, Neugierde, Sinnlichkeit,

Sachlichkeit, Frust, Glaube, usw. Diese sind quasi Ihre personifizierten Abteilungsleiter/

innen.

Jetzt legen Sie quasi eine Lebensfrage als „Produktionsprojekt“ auf den Tisch. Zum

Beispiel die Frage: Soll ich den Menschen, den ich da kennengelernt habe, heiraten?

Oder: Soll ich Betriebswirtschaft oder doch besser Literaturwissenschaft studieren?

Seite ! von !21 29

Es geht um die großen Fragen des Lebens! Sie können auch die Frage auflegen: Wie

gehe ich mit dem Tod meiner Mutter um?

Nun lassen Sie diese einzelnen Abteilungsleiter sprechen, d.h. Sie versetzen sich in die

Lage jedes einzelnen Persönlichkeitsanteils hinein. In therapeutischen Arbeiten lasse ich

die Leute tatsächlich schon mal auf den einzelnen Plätzen nachempfinden, was da

kommen kann, welche typisierenden Aussagen da fallen.

Zum Beispiel könnte die Enttäuschung sagen: „Ich hab das schon so oft probiert, aber es

kommt ja doch nichts dabei raus! Ich mag einfach nicht mehr!“ - Der Mut hingegen: „Ich

finde wir sollten es wagen, einfach mal ausprobieren, wenn es schief geht, dann

überlegen wir uns eine Alternative!“ - usw. Wir haben alle diese Aussagen in uns

abgespeichert.

Jetzt kommen wir zur Angst! Geben Sie der Angst einen guten Platz an diesem Tisch!

Niemals die Angst ausklammern! Sie gehört zu Ihrem Leben dazu! Sehen Sie den

positiven Nutzen der Angst: sie verhindert und sie motiviert! Aber stellen Sie der Angst

eine andere Position gegenüber: Der Mut oder die Hoffnung oder die Freude! Machen

Sie nicht den Fehler, die Angst genau gegenüber Platz nehmen zu lassen, dann schauen

Sie immer der Angst in die Augen. Auch nicht links und recht nehmen Ihnen als Ihre

treuesten Berater! Überlegen Sie sich gut, wer da sitzt. Die Angst sitzt irgendwo an der

Seite. Sie kommt zu Wort - wenn Sie sie darum bitten. Wo die Angst permanent das Wort

ergreift und die erste Geige spielen will, da müssen Sie als Moderator Ihres Lebens

Einhalt gebieten.

Auf den ersten Blick mag es wie ein verspieltes System aussehen, aber wir haben ja auch

als Kinder im Spiel gelernt, mit Alltagssituationen umzugehen. Warum also nicht auch die

Seele mit ihrem inneren Spiel kennenlernen? Als Chef/in Ihres Lebens haben Sie an

diesem imaginären Abteilungsleitertisch den Überblick auf das Ganze und gleichzeitig

rufen Sie sich immer in Erinnerung: ICH bin der Chef meines Lebens. Das bedeutet

einerseits, ICH treffe Entscheidungen, aber auch ICH trage die Verantwortung. Das ist

deshalb so wichtig, weil wir zwar in der Regel gerne Entscheidungsträger sind - dies hat ja

mit Macht zu tun -, gleichzeitig aber nicht gerne die Verantwortung tragen für das, was im

Leben geschieht. Wir suchen immer sehr schnell nach einem Schuldigen, einem

Sündenbock.

Noch ein Beispiel: Wie funktioniert nun das „innere Team“ bzgl. der Kultivierung meiner

Ängste? Nun, nehmen wir als ein Beispiel eine alltägliche Situation: Flugangst - welche ja

zumeist eine zweifache Angst oder besser Furcht ist: Höhenangst und Raumenge-Angst, Seite ! von !22 29

also Klaustrophobie. Die Entscheidung auf dem Tisch, ob ich in ein Flugzeug steige oder

nicht und über den Luftweg eine Reise antrete kann wirklich schlaflose Nächte bereiten.

Der innere Dialog, der nun vonstatten geht, lässt alle Anteile meines ICH’s zu Wort

kommen: Die Angst, die vielleicht sagt: „Das ist zu unsicher, da passieren zu viele Unfälle!

Und außerdem: Wenn Terroristen das Flugzeug in die Luft sprengen, dann ist dein Leben

zu Ende!“ Darauf könnte der Mut antworten: „Das mag ja sein, aber wenn du im Haushalt

die Leiter nutzt zum Fensterputzen ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass du von der

Leiter stürzt und an einem Knickbruch stirbst, wesentlich höher als der Absturz mit einem

Flugzeug!“ Die Hoffnung in mir könnte mit etwas rheinländischem Humor sagen: „Et äs

noch imma jut gejange - Es ist noch immer gut gegangen!“ usw. Wenn Sie allen Stimmen

Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben, wägen Sie diese im Herzen ab und entscheiden

dann. Wenn Sie aber entschieden haben, tragen Sie bitte auch die Verantwortung und

machen - etwa bei Windturbulenzen - nicht anderen den Vorwurf: „Ich wollte ja nie

fliegen!“

Das „innere Team“ hat auch eine Schwachstelle, nämlich die Zeit! Nicht immer habe ich

die Zeit, mich hinzusetzen und in Ruhe abzuwägen, was ich warum auf welche Weise tun

möchte. Wenn mein Haus brennt, kann ich mich nicht erst an den Schreibtisch setzen und

mit einem solchen inneren Teamgespräch anfangen. Dennoch kann meine Angst als

Grundthema zu bestimmten Situationen auf diese Weise betrachtet, aufgearbeitet und

kultiviert werden. Probieren Sie es einmal aus!

6.2. Die Relativierung meiner Ängste an der Wirklichkeit

Die zweite Form, meinen Ängsten zu begegnen, ist eine kognitive Form, die nur ein

einzigen Ansatzpunkt hat und deshalb rasch erklärt ist. Es ist ein „Modell“, das Sie nutzen

können, wenn Sie Ihre Ängste schon recht gut kennen… Wann immer Sie ein

Angstpotential oder Furcht spüren, setzen Sie diese in Relation zu bisherigen Erfahrungen

mit genau dieser Angst oder Furcht. Ein Beispiel: Sie sind schon öfter durch einen

längeren Tunnel gefahren, für dieses Jahr ist aber eine Fahrt nach Italien durch den

Gotthard-Tunnel geplant. Ihnen graut vor den rund 17 km. Sie haben von den Unfällen,

Staus etc. gehört, Sie spüren, wie die Brust sich verengt, der Atem sich verändert und das

Herz schneller pocht - allein bei dem Gedanken. Jetzt setzen Sie diese Angst in Relation

zu den bisherigen Erfahrungen: Du hast genügend Umluft im Auto und eine Klimaanlage!

Du kannst Musik zur Entspannung hören oder auch den Tunnel-Radiosender einschalten.

Du hast es bisher immer gut geschafft, es wird auch jetzt gut gehen! usw.

Seite ! von !23 29

Die Angst wird also in Relation zur Realität und meinen Möglichkeiten der Bewältigung

gesetzt und damit machen Sie etwas nicht: Sie nehmen keine Überbewertung der Angst

vor, Sie geben ihr also keinen zu großen Raum! Die Erfahrung im Umgang mit

Angstpotentialen ist ihr bestes Korrektiv bzw. ihr Vergleichs-punkt. Sie lassen der Angst

ihren Raum, aber sie geben ihr nicht zu viel Macht.

6.3. Angstbewältigung durch „Paradoxe Intervention“ (Frankl)

Eine dritte Form zur Angstbewältigung ist die sog. „Paradoxe Intervention“ des

Existenzanalytikers Viktor Frankl. Nach Sigmund Freud und Carl Gustav Jung ist Viktor

Frankl ein weiterer Vertreter der großen Wiener Schulen der Psychotherapie. Frankl hatte

sich als Psychiater und Therapeut zur Aufgabe gemacht, der Frage nach dem SINN

unseres Lebens Raum zu geben. Also: WOZU sind wir da? WOZU geschieht dieses oder

jenes?

Eines seiner klassischen Beispiele, um mit der Angst in einer gewissen Form auch

„spielerisch“ umzugehen ist die Paraxodie in den Reaktionsmustern. Paradox heisst ja:

etwas geschieht unerwartet und zugleich auf seltsame, vielleicht übertriebene Weise,

sogar widersprüchlich. Intervention meint hier: Ich selbst „gehe dazwischen“ (inter-venire)

mit einer Reaktionsweise, die atypisch ist.

Ein Beispiel: Der Student Christian hat Prüfungsangst. Obwohl er gut vorbereitet ist und

viel gelernt hat, hat er Angst. Die Angst manifestiert sich einerseits vor der Stofffülle, die

behandelt wurde, vor der Ungewissheit, welche Fragen gestellt werden und schließlich

vor dem Professor, dem man nachsagt, er sei in der Regel sehr streng.

In einem Brief schildert er Frankl seine Angst. Er schildert ihm auch die Begleitsymptome:

Schlottern der Beine, Schweißausbrüche, erhöhter Herzschlag, Kopfschmerzen etc. Frankl

rät ihm zu etwas Verrücktem: Er solle sich entweder vorstellen, dass er durch das

Schlottern der Beine so wild schlottert, dass er während der Prüfung über die Tische zu

springen beginnt oder aber er solle sich den Professor mit einer roten Clownsnase und in

Unterhosen vorstellen. Am besten gleich beides.

Der Student findet die Idee erst seltsam, hält sich aber dann doch während der Prüfung

daran. Als die Prüfung beginnt schlottern wie gewohnt seine Beine, er ist aufgeregt. Für

einen kurzen Moment schließt er die Augen und malt sich aus, wie er von Tisch zu Tisch

springt und hüpft. Verrückt! Er muss schmunzeln. Der Professor nimmt dies wahr und

fragt, woran er denke. In diesem Moment stellt er sich für einen Bruchteil von Sekunden Seite ! von !24 29

den Professor mit roter Clownsnase und in der Unterhose vor - beginnt zu grinsen und …

die Prüfung kann los gehen, sie verläuft reibungslos.

Die paradoxe Intervention hat die Angst überlistet und ad absurdum geführt. Die Angst

wird also mittels einer übersteigerten Angst überlistet. Sie können dies in vielen

Situationen anwenden, es ist ein kognitiv-imaginärer Vorgang - vor allem im Gespräch mit

Vorgesetzten oder mit Menschen, die Ihnen Angst einflössen ist das sehr hilfreich. Es

hebelt die Übermacht dieses Menschen aus.

6.4. Der spirituelle „Antirrheticus“ als Waffe gegen die Angst

Es klingt nach einer asiatischen Kampfsportart, ist es aber nicht. Die antirrhetische

„Methode“ zur Angstbewältigung ist eine frühchristliche Form, die aus der Praxis der

Wüstenväter stammt.

Worum geht es? Wer in der Wüste lebt, setzt sich zahlreichen äußeren wie inneren

Gefahren aus. Wilde Tiere, Kälte und Hitze, Durst und Hunger etc. - das sind die äußeren

Faktoren, also physische Faktoren. Aber es gibt noch innere, also psychische Faktoren,

die in unserem Gehirn ablaufen. Die Bibel nennt sie „Versuchungen“, in der Psychologie

reden wir von Halluzinationen oder Wahnvorstellungen. Hitze, Durst und Entbehrung

entzieht dem Körper Kräfte, die dann zu Bewusstseinsveränderungen führen. Bei

Drogenkonsum haben wir es mit der Umkehrfunktion zu tun: Wir führen dem Körper

bewusstseinsverändernde Substanzen zu, die als Toxine unseren Organismus angreifen.

Denken Sie nur an eine Sepsis, eine Blutvergiftung! Ohne Blutaustausch kann der Patient

Halluzinationen und Wahnvorstellungen haben. So ist es auch, wenn wir dem Körper

bestimmte Stoffe wie z.B. Wasser entziehen. Auf längere Frist ist neben Halluzinationen

ein kompletter Zusammenbruch und der Tod vorprogrammiert.

Die Wüstenväter (allen voran: Evagrius Ponticus) haben diese äußeren Kämpfe, die sie

auch tatsächlich physischen Kräfte gekostet haben, in erster Linie als geistig-geistliche

Kämpfe gesehen.

Konkret: Der Mensch spürt in sich das Bedürfnis nach Durst und eine innere Stimme

suggeriert ihm, aus der Höhle hinauszulaufen in die Wüste, weil sein Auge ihm vortäuscht,

eine Wasserquelle gesichtet zu haben, dieses Phänomen kennen wir als „Fata Morgana“,

nichts anderes als eine Luftspiegelung. Indem der Wüstenmönch dies nun wahrnimmt und

eigentlich keinen Durst physisch hat, sondern nur wegrennen will, weil er die Situation der

Einsamkeit nicht mehr erträgt, beginnt er einen inneren Dialog: „Geh hinaus, du wirst Seite ! von !25 29

sterben! Geh an die Wasserquelle, die du siehst!“ - seine Antwort: „Der Herr schenkt

lebendiges Wasser, wenn ich davon trinke, werde ich nicht dürsten!“ Die Antworten

waren also - wenn wir so wollen - innere Gegensprüche, sog. antirrhetische Sprüche.

Dabei war entscheidend, dass dem Dämon ein Gegenwort, ein „anti-logion“, entgegen

geschleudert wurde. Man könnte die antirrhetische Methode mit „Disput“ oder „Streit“

übersetzen.

Zwei solcher Momente kennen wir auch aus dem Leben Jesu. Es ist zum einen seine

Versuchungsgeschichte in der Wüste (vgl. Mt 4,1-11 / Mk 1,12f / Lk 4,1-13). Da

schleudert er dem Satanas, dem Durcheinanderwerfer, auf die dreimaligen

Versuchungsangebote jeweils eine geistliche Antwort entgegen: „Der Mensch lebt nicht

nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt!“ (Mt 4,3) - „Du

sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.“ (Mt 4,7) und „Vor dem Herrn,

deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Mt 4,10). Jesus

überwindet damit die angsteinflössende Gefahr, die vom Satanas ausgeht. Spannend ist

in diesem Zusammenhang die Version des Lukas, sie endet mit dem Vers 13: „Nach

diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab.“ (Lk 4,13). Lukas,

der ja bekanntlich Arzt ist, will uns damit sagen: Solche inneren Kämpfe und Dialoge -

auch gegen die eigene Angst - sind immer temporär, d.h. sie kommen auch wieder.

Eine zweite Situation im Leben Jesu ist jene im Garten Getsemane: „Er ging ein Stück

weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch

an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39) Wir können zwar

nur erahnen, welcher Gedanken-Geist Jesu Angst machte, aber es ist schnell erkannt: Da

will ihn jemand in seinem Innern abhalten, den Weg bis zum Ende zu gehen. Man kann

sich eine solche Stimme etwa so denken: „Jetzt ist noch die Zeit, kehr um, geh! Lass das

hinter dir, hau ab! Mach dir irgendwo ein schönes Leben!“ usw.

Am besten in Szene gesetzt wurde diese Angst und dieser innerer Kampf im Film „Die

letzte Versuchung Christi“ nach dem Roman von Nikos Kazantzakis, Regie führte Martin

Scorsese im Jahr 1988. Dort erlebt Jesus am Kreuz unter dem Einfluss des nahenden

Todes seine „Versuchungen“, medizinisch würde man dies allerdings auch wieder unter

Halluzinationen einordnen. Hier, wie in anderen Momenten der Infragestellung antwortet

Jesus mit antirrhetischen Aussagen: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ - also

er übergeht sogar diese Anfechtung. Oder er betet den Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott,

warum hast du mich verlassen?“ und in diesem Psalm entdecken dann sehr klare

antirrhetische Aussagen:

Seite ! von !26 29

V4: Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels!

V5: Dir haben unsre Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet!

V6: Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden!

V10: Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, mich barg an der Brust der

Mutter!

V20: Du aber, Herr, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe!

Lesen Sie diesen Psalm einmal zuhause als Meditation und Sie entdecken: Im Psalm spielt

sich die antirrhetische Methode beispielhaft ab. Immer wenn vom „Du hast… Du aber…

Du bist …“ usw. die Rede ist, wird der anderen inneren Stimme ein Gegenargument

vorgehalten. Wichtig noch dies: Der Psalm 22 mündet ein in den Vertrauenspsalm

schlechthin, den Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte…“

6.5. Medizinisch-therapeutische Hilfe und Naturheilkunde

Kommen wir zum letzten Punkt, in meiner Auflistung sind es weitere Formen möglicher

Angstbewältigung. Wenn die Angst tatsächlich den Menschen psychisch komplett aus der

Bahn wirft und sich z.B. durch Panikattacken manifestiert oder chronisch wird und das

ganze Verhalten bestimmt, dann braucht der Mensch medizinische und

psychotherapeutische Unterstützung. Medizinisch bedeutet vor allem auch eine

medikamentöse Einstellung, psychotherapeutisch bedeutet eine längere Therapie, diese

kann auch eine psychiatrisch-stationäre Einweisung zur Folge haben, etwa bei

Wahnvorstellungen oder Depressionen.

Schauen wir noch auf die „sanfte Medizin“ des Alltags: In der Naturheilkunde, wie sie

bereits Hildegard von Bingen kannte, nutzte man die Kräfte der Natur, um den Körper

wieder in ein inneres Gleichgewicht zu bringen.

Bei einer Angstattacke half man sich mit einem heißen Bad und nervenberuhigenden

Ölen (wie z.B. Lavendelöl). Ein solches Öl hat man auch auf die Schläfen aufgetragen und

sich einfach für ein paar Minuten zur Entspannung hingelegt. Ein klassischer Wirkstoff

gegen Stress und Angst ist auch die Baldrianwurzel (Inhaltsstoff: „Sesquiterpene“).

Auch die Atmung ist entscheidend: tief einatmen, Luft anhalten und tief ausatmen - das

sind so Alltagsrezepte gegen Beunruhigung, etwa vor Prüfungen. Eine Hyperventilation

(Atemnot) ist meist auch ein Ausdruck von Angst oder Stress. Yogaübgungen bzw.

Autogenes Training kann uns hier in eine gute körperliche Position bringen, um Angst

abzubauen. Seite ! von !27 29

Aus dem Bereich der Ernährung kann man auch etwas gegen die Angst beisteuern: Ein

wichtiger Botenstoff ist das sog. Serotonin, das in unserem Gehirn für ein Wohlgefühl

sorgt, man findet diesen Stoff in Bananen, exotischen Früchten wie der Ananas, in frischen

Feigen, Papaya und Avocados und … in Schokolade. Die in der Schokolade enthaltenen

Kohlenhydrate bewirken eine Insulinfreisetzung der Bauchspeicheldrüse. Das wiederum

löst eine Reihe anderer Reaktionen aus und im Ganzen führt Schokolade zur direkten

Steigerung des Serotoninspiegels im Gehirn. Wir haben das Gefühl, etwas glücklicher zu

sein.

Manche Menschen verhalten sich kontraintelligent und trinken Kaffee oder Cola, weil sie

glauben, dass das Koffein sie „fit“ macht, aber wir wissen dass Koffein manches verstärkt,

die Angst gehört dazu. Wir werden u.U. noch aufgeregter, aufgeputschter.

Auch Sport ist ein gutes Mittel bei diffuser Angst - es entspricht ja in etwa dem

„Weglaufen“ bei Gefahr, wenn wir also Sport betreiben. Denn: Durch die Bewegung

werden im Körper Endorphine freigesetzt, welche auch als Glückshormone bezeichnet

werden. Sie können mithelfen, die akute Angst zu verdrängen.

Dann wäre noch der Wirkstoff Tryptophan. Er gehört zur Gruppe der Aminosäuren, die für

die Herstellung von Serotonin im Körper benötigt wird. Diese Aminosäure ist vor allem in

Milch enthalten. Deswegen war früher das altbewährte Beruhigungsmittel von der Oma,

ein warmes Glas Milch, als ein Mittel bei Angst zu trinken.

Das sind Hausmittel - ob Sie wirklich so wirken, wie manche das denken, lasse ich mal

dahin gestellt. Ich bevorzuge die Gesprächstherapie oder die seelsorgliche Begleitung,

was Ängste angeht, so lange es sich nicht um Neurosen handelt.

Seite ! von !28 29

7. Abschluss Der Heilige Benedikt und die Panik, die terrorisiert

Zum Schluss möchte ich einen kleinen Abschnitt aus der Regel des Hl. Benedikt zitieren.

Es geht dabei um das klösterliche Leben und die alltäglichen Herausforderungen. Und

natürlich geht es um Angst. Was für den monastischen Alltag gilt, kann auch ein guter

Hinweis für unser aller Leben sein.

Benedikt sagt: „Sollte es jedoch aus wohl überlegtem Grund etwas strenger zugehen, um

Fehler zu bessern und die Liebe zu bewahren, dann lass dich nicht sofort von Angst

verwirren und fliehe nicht vom Weg des Heils; er kann am Anfang nicht anders sein als

eng.“ (RB Prol 48)

Dieser Satz „Lass dich nicht sofort von Angst verwirren und fliehe nicht vom Weg des

Heils“ ist gut verstehbar. Denn jede Herausforderung in unserem Leben kann Angst

machen. Es kann Zeiten geben, in denen der Mensch es als überfordernd und

verängstigend erlebt. Benedikt nimmt also wahr: Der Mönch hat Angst. Er beschönigt die

Angst nicht, nimmt sie nicht einfach weg, nach dem Motto: Der getaufte Christ braucht

keine Angst zu haben!

Benedikt lädt ein, damit umzugehen und nicht davonzulaufen, zu fliehen! Sondern: Sich

mit der Angst auseinanderzusetzen! Keine Verdrängung also! Wir haben bereits gesehen:

Das Thema „Angst“ ist ein großes Thema in der Heiligen Schrift. Benedikt nutzt in der

Regula für das Wort Angst den Begriff „pavor“, also „Entsetzen“ (unsere „Panik“ ist

davon abgeleitet) und verstärkt es noch mit „perterritus“ (per-territus) - „Terror“. Wir

würden also treffender übersetzen: „Lass dich nicht von diesem Entsetzen / von dieser

Panik terrorisieren!“

Das Vokabular ist von starken Wörtern besetzt. Und damit sind wir genau in unserer Zeit

angekommen. Einer Zeit des Terrors, der Kriege, der Gewalt.

Lassen wir uns nicht vom alten Feind, von der Panik und dem Entsetzen terrorisieren.

Vertrauen wir auf unseren Herrn Jesus Christus: „Aber ich bin nicht allein, denn der Vater

ist bei mir. Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid

ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt!“ (Joh 16,32f)

(c) P. Jeremias Müller / Leoben, 11. Juni 2016

Seite ! von !29 29