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110 FOCUS 13/2013 FORSCHUNG & TECHNIK Fotos: Patrick Lux/FOCUS-Magazin, Chris Jordan/Courtesy of Christophe Guye Galerie  M it dem Mageninhalt des Pott- wals hätte man ein Gewächs- haus bestücken können. 30 Quadratmeter Plastikplane, 4,5 Meter Schlauch, neun Meter Kunststoff- leine, Mulchfolie und zwei Blumentöpfe fanden Meeresforscher bei der Obduk- tion des Tieres. Der Kadaver des zehn Meter langen Meeressäugers wurde vor einem Jahr an der südspanischen Küste angespült. Der Wal starb – so das vor wenigen Tagen veröffentlichte Ergebnis der Obduktion –, weil er 18 Kilo Kunst- stoffteile verschlungen hatte, die die ers- te seiner zwei Magenkammern verstopf- ten. Das Verdauungsorgan platzte. Drei Viertel des Treibguts in Europa bestehen heute aus Plastik. Verschiede- nen Schätzungen zufolge gelangen zwi- schen sechs und 26 Millionen Tonnen Kunststoffteile pro Jahr in die Weltmeere. Sie stellen eine tödliche Gefahr für Mee- restiere dar. Vögel, Fische, Schildkröten, Robben und Wale fressen Plastikteile oder strangulieren sich mit abgerissenen Leinen, Netzteilen oder Verpackungen. Bislang befassten sich Wissenschaftler und Umweltschützer vor allem mit den riesigen Müllteppichen in Nordpazifik und Nordatlantik. Neue Forschungs- Wenn Plastik tötet Erst bringt unser   Wohlstandsmüll die  Tiere um – jetzt  gefährdet er auch   die Menschen ergebnisse legen jedoch nahe, dass durch Sonne, Wind und Wellen zerrie- benes, mikroskopisch kleines Plastik in die Nahrungskette gelangt. Einst achtlos weggeworfen, könnte der tücki- sche Abfall so seinen Weg zurück zum Menschen finden. Winzige Bruchstücke, sogenanntes Mik- roplastik, interessieren Forscher derzeit besonders. Als Mikroplastik zählen Teil- chen mit weniger als fünf Millimeter Durchmesser. Die meisten sind mit blo- ßem Auge nicht zu erkennen. Um den Weg des Kunststoffs in die Nahrungskette zu untersuchen, fütter- te Richard Thompson von der Univer- sität im südenglischen Plymouth Watt- würmer und Krebse mit Plastikteilchen: „Alle Arten fraßen es innerhalb weni- ger Tage“, lautet das Fazit des Meeres- biologen. Thompson gilt als einer der versiertesten Kenner des Problems. Sind die Partikel fein genug, werden sie auch von Zooplankton gefressen, jenen Klein- tieren, die Fischen und Walen als Nah- rung dienen. „Auch die Speiballen von Möwen enthalten in großen Mengen Mikro- plastik“, erklärt Gerd Liebezeit vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Selbst im Kot von Seehunden, Kegel- robben und Schweinswalen wurden die Teilchen bereits nachgewiesen. Die Forschungsgruppe von Richard Thompson fand in jedem dritten Fisch, den sie im Ärmelkanal gefangen hatten, die winzigen Kunststoffpartikel – auch in Speisefischen wie Dorschen, Makrelen und Petersfischen. „Hier besteht aller- dings keine Gefahr für die menschliche Gesundheit“, sagt Biologe Thompson, „weil das Plastik im Darm der Fische gefunden wurde, den wir nicht essen.“ Manche Partikel sind jedoch so klein, dass sie durch Zellwände dringen und sich im Gewebe anreichern können. In Unrat im Wattenmeer Zoologe David Fleet   sammelt Plastik an   der Nordseeküste,  um es wissenschaftlich  auszuwerten

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Forschung & Technik

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M it dem Mageninhalt des Pott-wals hätte man ein Gewächs-haus bestücken können. 30

Quadratmeter Plastikplane, 4,5 Meter Schlauch, neun Meter Kunststoff- leine, Mulchfolie und zwei Blumentöpfe fanden Meeresforscher bei der Obduk-tion des Tieres. Der Kadaver des zehn Meter langen Meeressäugers wurde vor einem Jahr an der südspanischen Küste angespült. Der Wal starb – so das vor wenigen Tagen veröffentlichte Ergebnis der Obduktion –, weil er 18 Kilo Kunst-stoffteile verschlungen hatte, die die ers-te seiner zwei Magenkammern verstopf-ten. Das Verdauungsorgan platzte.

Drei Viertel des Treibguts in Europa bestehen heute aus Plastik. Verschiede-nen Schätzungen zufolge gelangen zwi-schen sechs und 26 Millionen Tonnen Kunststoffteile pro Jahr in die Weltmeere. Sie stellen eine tödliche Gefahr für Mee-restiere dar. Vögel, Fische, Schildkröten, Robben und Wale fressen Plastikteile oder strangulieren sich mit abgerissenen Leinen, Netzteilen oder Verpackungen.

Bislang befassten sich Wissenschaftler und Umweltschützer vor allem mit den riesigen Müllteppichen in Nordpazifik und Nordatlantik. Neue Forschungs-

Wenn Plastik tötetErst bringt unser  Wohlstandsmüll die Tiere um – jetzt gefährdet er auch  die Menschen

ergebnisse legen jedoch nahe, dass durch Sonne, Wind und Wellen zerrie-benes, mikroskopisch kleines Plastik in die Nahrungskette gelangt. Einst achtlos weggeworfen, könnte der tücki-sche Abfall so seinen Weg zurück zum Menschen finden.

Winzige Bruchstücke, sogenanntes Mik-roplastik, interessieren Forscher derzeit besonders. Als Mikroplastik zählen Teil-chen mit weniger als fünf Millimeter Durchmesser. Die meisten sind mit blo-ßem Auge nicht zu erkennen.

Um den Weg des Kunststoffs in die Nahrungskette zu untersuchen, fütter-te Richard Thompson von der Univer-sität im südenglischen Plymouth Watt-

würmer und Krebse mit Plastikteilchen: „Alle Arten fraßen es innerhalb weni-ger Tage“, lautet das Fazit des Meeres- biologen. Thompson gilt als einer der versiertesten Kenner des Problems. Sind die Partikel fein genug, werden sie auch von Zooplankton gefressen, jenen Klein-tieren, die Fischen und Walen als Nah-rung dienen.

„Auch die Speiballen von Möwen enthalten in großen Mengen Mikro-plastik“, erklärt Gerd Liebezeit vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Selbst im Kot von Seehunden, Kegel-robben und Schweinswalen wurden die Teilchen bereits nachgewiesen.

Die Forschungsgruppe von Richard Thompson fand in jedem dritten Fisch, den sie im Ärmelkanal gefangen hatten, die winzigen Kunststoffpartikel – auch in Speisefischen wie Dorschen, Makrelen und Petersfischen. „Hier besteht aller-dings keine Gefahr für die menschliche Gesundheit“, sagt Biologe Thompson, „weil das Plastik im Darm der Fische gefunden wurde, den wir nicht essen.“

Manche Partikel sind jedoch so klein, dass sie durch Zellwände dringen und sich im Gewebe anreichern können. In

Unrat im Wattenmeer Zoologe David Fleet  sammelt Plastik an  der Nordseeküste, um es wissenschaftlich auszuwerten

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230größere Kunststoffteile finden sich auf 100 Metern deutscher Nordseeküste

95 %toter Seevögel hatten einer internationalen Studie zufolge Plastik gefressen

Verhungert mit vollem Magen Dieser Seevogel starb auf dem Midway-Atoll, nordwestlich von Hawaii. Die Inselgruppe im Pazifik gilt als eine der Sammelstellen der Plastikströme

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Aquariumsversuchen mit Miesmuscheln konnten Körnchen von Polyethylen, einem der am häufigsten verwendeten Kunststof-fe, bereits in den Zellen des Verdauungs-trakts nachgewiesen werden. Hohe Dosen des Materials führten bei den Muscheln zu heftigen Entzündungsreaktionen.

Zudem dienen treibende Teilchen als Schadstoffsammler. „Im Labor wurde bereits gezeigt, dass sich polyzyklische Aromaten oder Insektenschutzmittel wie DDT in Plastik anreichern“, erläutert Meereschemiker Liebezeit.

Viele Kunststoffprodukte, entwickelt für Industrieanwendungen, enthalten giftige Zusatzstoffe – etwa Flammschutz-mittel oder Weichmacher. Zu Letzteren gehören auch die sogenannten Phtalate, die im Körper wie Hormone wirken.

Ob sich die Schadstoffe im Magen von Meerestieren wieder von ihrem Trägermaterial lösen und ihre Giftwir-kung in den Körpern entfalten, müssen Forscher noch erkunden. „Wir wissen nicht, ob die Organismen leiden“, wen-det Liebezeit ein.

Dabei galten Kunststoffe einst als Heilsbringer. Für fast jede Anwendung gibt es inzwischen ein passendes Mate-rial. Plastik ist leichter als Stahl, durch verschiedene Zusätze wird es weich wie Polyesterstoff oder hart wie die Schale eines Motorradhelms. Außerdem sind die meisten Sorten unempfindlich gegen Chemikalien.

Seit den 1950er-Jahren stieg die Mas-senproduktion rasant an. 2011 wurden weltweit 280 Millionen Tonnen Plastik

erzeugt. 40 Prozent der in Europa ver-kauften Kunststoffe dienen der Herstel-lung von Verpackungen. Hinzu kommen Wegwerfartikel wie Trinkbecher, Win-deln oder 3-D-Brillen.

Landen diese Gegenstände nicht im Müll, sondern gelangen in die Umwelt, transportieren Flüsse sie ins Meer. Dort verrotten sie nicht, sondern zerfallen langsam in immer kleinere Teile. Sind die Weichmacher ausgespült, wird das Material spröde. UV-Strahlung schlägt Löcher in die chemische Struktur. Wind und Wellen zerreiben das Plastik immer feiner. Schätzungen gehen davon aus, dass eine Einkaufstüte innerhalb von 20 Jahren zerkleinert ist. Der Zerfall einer Plastikflasche wird gar auf über 400 Jah-re geschätzt.

An den Küsten aller Kontinente, selbst in der Antarktis haben Forscher inzwi-schen große und kleinste Bruchstücke gefunden. Sogar auf dem Meeresbo-den zwischen Grönland und Spitzber-gen stießen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven auf Plastiktüten.

In der Nordsee hat das Müllaufkom-men bereits ein bedenkliches Maß erreicht, warnt der Zoologe David Fleet. Der Mitarbeiter der Nationalparkverwal-tung Schleswig-Holsteinisches Watten-meer hat seit zehn Jahren untersucht, was das Meer an die Nordseeküste schwemmt. Im Durchschnitt findet Fleet auf 100 Meter Strand 230 Plastikteile, die größer als 2,5 Zentimeter sind. „Die klei-neren Partikel machen wahrscheinlich den weitaus größeren Anteil aus, sind jedoch schwer messbar“, erklärt er.

in einem toten Pottwal  fanden spanische Forscher Teile, die vermutlich aus gewächshäusern stammen 

●● 30 m² Abdeckplane

●● 4,5 Meter Schlauch

●● 9 Meter Kunststoffseil

●● 2 Blumentöpfe

●● 2,5 Kilo Kleinstplastik

Zerrieben durch Sonne, Wind und Wellen Bruchstücke werden von Tieren irrtümlich als nahrung betrachtet. Mikroplastik (rechts) ist oft mit bloßem Auge nicht zu erkennen

Plastikmüll im Walmagen

Gefährlicher Kontakt Ein Pottwal spielt im

Meer vor den Azoren mit einem Stück Folie

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Im Treibgut fand Fleet schon Compu-ter, Flipflops und Zahnbürsten. Vieles kommt von weit her: „Wir haben schon Hummerkörbe aus England entdeckt und Plastikfolien von französischen Muschelfarmen.“

Einmal im Monat besucht der Meeres- chemiker Gerd Liebezeit mit seinen Kollegen die Kachelotplate, eine wach-sende, streng geschützte Sandinsel südwestlich von Juist. In Strandproben fanden sie dort fast 500 winzige Plas-tikpartikel in zehn Gramm Sediment – mehr als an allen anderen Messstellen. „Mikroplastik ist auf allen Stränden der Ostfriesischen Inseln nachzuweisen“, so Liebezeit.

Da die kleinen Teile mit bloßem Auge nicht von Sand zu unterscheiden sind, untersuchten Liebezeits Mitarbei-ter sie unter dem Mikroskop. Neben Plastikkügelchen fanden sie auch ver-schiedene Kunststofffasern. „Wir ver-muten, dass Klärwerke eine wesentli-che Quelle sind.“ Kunstfasern, die beim Waschen aus der Kleidung ausgespült werden, oder winzige Schmirgelparti-kel aus Peelings rutschen ungehindert durch die Filter und gelangen so in die Nordsee.

Der größte Anteil des Mülls stammt jedoch von Schifffahrt und Fischerei. Eigentlich dürfen Kunststoffproduk-te nicht über Bord geworfen werden. Allerdings ist die Verklappung einfacher und billiger als die korrekte Entsorgung im Hafen.

Albatrosse und Eissturmvögel verwech-seln an der Oberfläche schwimmende Müllteilchen mit Futter und schlagen

sich den Bauch damit voll. „Besonders Eissturmvögel sind gefährdet, denn sie würgen keine Speiballen hervor wie andere Vogelarten, um Unverdautes aus dem Körper zu entfernen“, sagt David Fleet. Der Abfall verbleibe einfach im Körper und könne zu einem Darmver-schluss führen. Forscher der Universi-tät Kiel haben Seevögel untersucht. „Im Magen mancher Tiere fanden sie eine

Müllmenge, die entspräche bei einem Menschen einer ein- bis eineinhalb Liter großen Tüte, gefüllt mit Plastik“, so Zoologe Fleet

Besonders tückisch: Das driftende Plas-tik trägt Krankheitserreger durch die Meere. „Wir finden sehr viele Vibrio-nen auf Plastik“, erklärt Gunnar Gerdts vom AWI. Zu dieser Bakteriengruppe gehört beispielsweise der Erreger der Cholera. „Die Bakterien nutzen Plas-tikteile als Taxi, um von A nach B zu kommen.“ Einige Bakterien können sogar die Weichmacher aufnehmen und verwerten.

Bis 2020 soll das Plastikproblem so weit entschärft werden, dass es keine Schäden mehr in der Küsten- und Meeresumwelt anrichtet. Das ist zumindest das hehre Ziel der Europäi-schen Union. „Dass das gelingt, glau-be ich nicht“, wendet Wattenmeer- Experte Fleet ein, der selbst in einer der Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Rah-menrichtlinie sitzt. „Aber ich bin über-zeugt, dass die Müllmengen deutlich reduziert werden können.“

Einen konkreten Maßnahmenkata-log soll eine internationale Konferenz im April in Berlin erarbeiten. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist nach Fleets Meinung die Sensibilisierung der Reedereien und der Kapitäne: „Die Schiffsbesatzungen kommen aber oft von weither und müssen darauf auf-merksam gemacht werden, wie sehr sie die hiesige Umwelt mit ihren Abfällen zerstören.“

PAUL KLAMMER / JUDITH BLAGE

Weltweite Müllkreisläufeim Nordatlantik und im Nord-pazifik wurden Abfallteppiche nachgewiesen (rot). Aktuelle  studien weisen jedoch darauf hin, dass sich Plastik auch in anderen Teilen der ozeane sammelt.

Stranguliert Dieser seelöwe  verfing sich in einem Treibnetz, das ein Fischerboot verloren hatte