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Wer entwickelt die Städte? Akteure und Stakeholder, Beteiligte und Betroffene der Stadtentwick- lung – wie sie zusammenwirken und welche Rolle Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik dabei spielen Stadtentwicklung, kann auf zweierlei Weise verstanden werden: Städte entwickeln sich (-> Lehrbaustein) und Städte werden entwi- ckelt. Hier geht es um das aktive Entwickeln der Quartiere und Städte und um die Frage, wer da mit wem tätig ist. Wer entwickelt die Städte? (1) Auf die Frage, wer die Städte entwickelt, gibt es nur eine richtige Antwort: Alle. Alle wirken – in unterschiedlicher Weise – an der baulich-räumlichen, sozialen, ökologischen, ökonomischen oder kulturellen Entwicklung der Städte mit. Das lässt sich leicht illustrieren: (2) Beginnen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern. Diese tragen – zum Beispiel – zur Suburbanisierung bei, indem sie die Einfamili- enhäuser an den Peripherien bauen. Oder ent- scheiden sich – zum Beispiel – für Eigentums- wohnungen an integrierten Standorten und tragen so zur »Reurbanisierung« bei. Und wo sie nicht selbst bauen sind sie Nachfrager von Wohnraum und beeinflussen mit ihren Präfe- renzen die Angebote der Wohnungsproduzen- ten. Das gilt auch für jene Haushalte mit nied- rigem Einkommen: Auch ihre Standortwahl kann (unter Bedingungen von Nachfrager- märkten) über die Geschicke von Stadtquartie- ren entscheiden. Aber sie wohnen ja nicht nur; sie kaufen auch ein, gestalten ihre Freizeit, bewegen sich in Stadt und Region: Ihr Mobilitätsverhalten etwa prägt ganz wesentlich die Stadtstruktur und Umweltqualität und entscheidet auch da- rüber, ob die großen SB-Märkte jenseits der Stadtgrenze ihre Kunden finden oder ob die lieber im eigenen Stadtzentrum einkaufen ge- hen. Bürgerinnen und Bürger gestalten zudem auf unmittelbare Weise ihre Lebenswelt – nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern mit Wir- kung auf das soziale und kulturelle Leben in der Stadt. Ob die Elterngruppe nun eine KiTa gründet, ob ein Haus der offenen Tür, ein Tanzprojekt für arbeitslose Jugendliche initiiert, ein lokaler Rotary-Klub das Projekt »Hausauf- gabenhilfe« in Gang setzt, der Kunstverein Gelder für eine Ausstellung sammelt, der Na- turschutzverband die Patenschaft für einen »Kinderwald« übernimmt oder ob eine Bür- gerinitiative das örtliche Freibad in die eigene Bewirtschaftung übernimmt – es ist die Summe dieser vielen Einzelaktivitäten, die das »Stadt- leben« ausmacht. Und natürlich sind die Bürgerinnen und Bür- ger auch dort aktiv, wo sie die professionellen Stadtentwickler vor allem vermuten: Unter- schriften sammelnd gegen die Bebauung der Flussaue, auf der Bürgerversammlung protes- tierend gegen die Reduzierung von Parkplät- zen im eigenen Viertel oder vor Gericht gegen den geplanten Brückenbau klagend. Und nicht zu vergessen: Wir reden hier auch von Wählerinnen und Wählern, die zumindest in größeren Abständen auch Einfluss auf die lokale Politik nehmen, sofern sie nicht selbst unmittelbar politisch aktiv sind. Kurzum die Bürgerinnen und Bürger der Städte wirken auf vielfältige Weise – direkt oder indirekt, gezielt oder gleichsam nebenbei – auf Stadtentwicklung ein. Sie entwickeln Stadt…(vgl. hierzu auch den Lehrbaustein »Stadtentwicklung und Kommunikation«) (3)…aber selbstverständlich nicht allein. Noch fehlen die Akteure (ab Seite 5 wird auf die Rolle der Akteure ausführlicher eingegan- gen), die zumeist als erste unter den »Stadt- produzenten« genannt werden – die Bau-, Bo- den- und Immobilienunternehmen, die Grund- eigentümer, Bauinvestoren, die Entwickler und Vermarkter, die Wohnungsunternehmen und Industriebetriebe, die Einzelhändler, die Logis- tik- und Verkehrsbetriebe, Entsorgungs- und Energieunternehmen und so fort. Mit ihren Aktivitäten tragen diese Markt-Akteure auf vielfältige Weise zur Stadtentwicklung bei. Baustein Wer entwickelt die Städte? | Selle 1 |8 Lehrbausteine Stadt | Landschaft | Planung

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Wer entwickelt die Städte?Akteure und Stakeholder, Beteiligte und Betroffene der Stadtentwick-lung – wie sie zusammenwirken und welche Rolle Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik dabei spielen

Stadtentwicklung, kann auf zweierlei Weise verstanden werden: Städte entwickeln sich (-> Lehrbaustein) und Städte werden entwi-ckelt. Hier geht es um das aktive Entwickeln der Quartiere und Städte und um die Frage, wer da mit wem tätig ist.

Wer entwickelt die Städte?(1) Auf die Frage, wer die Städte entwickelt,

gibt es nur eine richtige Antwort: Alle. Alle wirken – in unterschiedlicher Weise – an der baulich-räumlichen, sozialen, ökologischen, ökonomischen oder kulturellen Entwicklung der Städte mit. Das lässt sich leicht illustrieren:

(2) Beginnen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern. Diese tragen – zum Beispiel – zur Suburbanisierung bei, indem sie die Einfamili-enhäuser an den Peripherien bauen. Oder ent-scheiden sich – zum Beispiel – für Eigentums-wohnungen an integrierten Standorten und tragen so zur »Reurbanisierung« bei. Und wo sie nicht selbst bauen sind sie Nachfrager von Wohnraum und beeinflussen mit ihren Präfe-renzen die Angebote der Wohnungsproduzen-ten. Das gilt auch für jene Haushalte mit nied-rigem Einkommen: Auch ihre Standortwahl kann (unter Bedingungen von Nachfrager-märkten) über die Geschicke von Stadtquartie-ren entscheiden.

Aber sie wohnen ja nicht nur; sie kaufen auch ein, gestalten ihre Freizeit, bewegen sich in Stadt und Region: Ihr Mobilitätsverhalten etwa prägt ganz wesentlich die Stadtstruktur und Umweltqualität und entscheidet auch da-rüber, ob die großen SB-Märkte jenseits der Stadtgrenze ihre Kunden finden oder ob die lieber im eigenen Stadtzentrum einkaufen ge-hen.

Bürgerinnen und Bürger gestalten zudem auf unmittelbare Weise ihre Lebenswelt – nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern mit Wir-kung auf das soziale und kulturelle Leben in der Stadt. Ob die Elterngruppe nun eine KiTa

gründet, ob ein Haus der offenen Tür, ein Tanzprojekt für arbeitslose Jugendliche initiiert, ein lokaler Rotary-Klub das Projekt »Hausauf-gabenhilfe« in Gang setzt, der Kunstverein Gelder für eine Ausstellung sammelt, der Na-turschutzverband die Patenschaft für einen »Kinderwald« übernimmt oder ob eine Bür-gerinitiative das örtliche Freibad in die eigene Bewirtschaftung übernimmt – es ist die Summe dieser vielen Einzelaktivitäten, die das »Stadt-leben« ausmacht.

Und natürlich sind die Bürgerinnen und Bür-ger auch dort aktiv, wo sie die professionellen Stadtentwickler vor allem vermuten: Unter-schriften sammelnd gegen die Bebauung der Flussaue, auf der Bürgerversammlung protes-tierend gegen die Reduzierung von Parkplät-zen im eigenen Viertel oder vor Gericht gegen den geplanten Brückenbau klagend.

Und nicht zu vergessen: Wir reden hier auch von Wählerinnen und Wählern, die zumindest in größeren Abständen auch Einfluss auf die lokale Politik nehmen, sofern sie nicht selbst unmittelbar politisch aktiv sind.

Kurzum die Bürgerinnen und Bürger der Städte wirken auf vielfältige Weise – direkt oder indirekt, gezielt oder gleichsam nebenbei – auf Stadtentwicklung ein. Sie entwickeln Stadt…(vgl. hierzu auch den Lehrbaustein »Stadtentwicklung und Kommunikation«)

(3)…aber selbstverständlich nicht allein. Noch fehlen die Akteure (ab Seite 5 wird auf die Rolle der Akteure ausführlicher eingegan-gen), die zumeist als erste unter den »Stadt-produzenten« genannt werden – die Bau-, Bo-den- und Immobilienunternehmen, die Grund-eigentümer, Bauinvestoren, die Entwickler und Vermarkter, die Wohnungsunternehmen und Industriebetriebe, die Einzelhändler, die Logis-tik- und Verkehrsbetriebe, Entsorgungs- und Energieunternehmen und so fort. Mit ihren Aktivitäten tragen diese Markt-Akteure auf vielfältige Weise zur Stadtentwicklung bei.

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Hier nur einige Schlaglichter: Die Immobili-entochter der Bahn verkauft nun doch nicht das Grundstück, das für die Innenstadtentwick-lung von Bedeutung ist. Währenddessen schließen sich die Geschäftsleute am anderen Ende der Innenstadt zu einer Standortgemein-schaft zusammen, um gegen den Kaufkraftab-fluss vorzugehen. Gemeinsam mit dem Einzel-handelsverband und der lokalen Werbege-meinschaft beschließen sie zudem, ein In-nenstadtkonzept in Auftrag zu geben und es der Stadt zu »schenken«.

Der Bauträger, der bislang auf einer in-nenstadtnahen Brache Geschosswohnungsbau realisieren wollte, zieht seine Absichten zurück und bringt eine Einfamilienhausbebauung ins Spiel.

Die Industrie- und Handelskammer mischt sich in den Streit um den Brückenbau ein und bezeichnet ihn als unerlässlich für die Umge-hungsstraße, die erst eine ausreichende »Re-dundanz« der Erschließung des Wirtschafts-standorts gewährleiste. Wenige Tage zuvor hatte ein lange ortsansässiges Unternehmen die »Verlagerung« von 200 Arbeitsplätzen in das osteuropäische Ausland angekündigt.

Im Rahmen einer Corporate-Citizenship-Ak-tion bieten verschiedene Unternehmen »Schnupperpraktika« für arbeitslose Jugendli-che in »sozialen Brennpunkten« an. Und so weiter und so fort…

(4) Last but not least sind die öffentlichen, insbesondere die kommunalen Akteure zu nennen: Sie fertigten zum Beispiel die Pläne für die Umgehungsstraße mitsamt umstrittenem Brückenbauwerk an und müssen sich nun den Klagen der Bürger und den Mahnungen der Industrieverbände erwehren. Auch waren be-reits die Bebauungspläne für die zwei Brachflä-chen praktisch beschlussreif – und »hängen nun in der Luft«, weil Grundeigentümer bzw. Investoren ihre Pläne geändert haben. Gleich nebenan ist ein weiteres Grundstück mit öf-fentlichen Investitionen bereits gekauft und hergerichtet worden: Ein Grünzug mit eingela-gerten Parks soll den neuen Standort für Inves-toren attraktiv werden lassen.

Zudem wurden von der Kommune, um im Spektrum der genannten Beispiele zu bleiben, die Mittel für das »Soziale-Stadt-Programm« beantragt, dessen Auslaufen nun moderierend begleitet werden soll. Allerdings ist mit dem Ende der Förderung auch die Schließung eini-ger sozialer Einrichtungen verbunden, wenn

keine neuen Finanzquellen erschlossen werden können.

Zugleich haben Stadtrat, Sozialverwaltung und Wirtschaftsförderung das Programm »Un-sere Stadt soll familienfreundlich werden« auf-gelegt. Neben verbesserter Ganztagsbetreuung etc. soll dem auch bei der Baulandbereitstel-lung und im Wohnungsbau Rechnung getra-gen werden. Von alledem erhofft sich der Kämmerer, dass einkommensstarke Bewohner

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Abb. 1 a–f (Fortsetzung S. 3): Beiträge zur Stadtentwick-lung – Illustrationen (von oben nach unten): • Unternehmen und ihre Verbände• Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger• kommunale Planung und Politik

(Fortsetzung auf der nächsten Seite)

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nicht in Umlandgemeinden abwandern, son-dern weiter im Stadtgebiet ihre Steuern zahlen.Genug der Beispiele. Es versteht sich, dass die-se Liste, die im Wesentlichen eine »Collage« realer Zeitungsmeldungen aus verschiedenen Städten darstellt, beliebig verlängerbar ist.

Aber sie dürfte ihren Zweck schon erfüllt und verdeutlicht haben, dass viele Akteure, wir al-

le, Stadt entwickeln – und dass sich diese Akti-vitäten im Raum überlagern:

(5) Für dieses Einwirken vieler Akteure auf die Stadtentwicklung wurden in den letzten Jahren viele Formulierungen und Bilder gefun-den – wie etwa das Beispiel in Abbildung 1a – d, deren Aufgabe es ebenfalls ist, den Prozess der Stadtentwicklung als Resultat des Handelns von Akteuren aus drei »Sphären« (Markt, Staat, Gesellschaft) darzustellen (s. Abb. 1e).

Das wird hier grafisch stark vereinfacht, denn es fehlen noch die vielen »Zwischenwel-ten« (intermediärer Bereich) und Doppelzu-ordnungen (etwa: Öffentliche Betriebe, die marktförmig agieren etc.). Aber um solche Feinheiten kann es hier nicht gehen.

Entscheidend an einem Schema wie diesem und der zuvor aufgelisteten (gänzlich un-vollständigen) Aktivitätenvielfalt vieler Akteure, die zur Stadtentwicklung beitragen, ist vor al-lem, die Tatsache, dass sie sich im Raum über-lagern und untereinander in Wechselbeziehung stehen.

Denn, um an den Beispielen anzuknüpfen: Der Protest gegen die Brücke hängt mit der Umgehungsstraße zusammen und die mit der Forderung der Industrieverbände nach optima-ler Erschließung städtischer Standorte.

Oder: Der Rückzug des Bauträgers von sei-nen ursprünglichen Absichten ist auf die Nach-fragesituation am Wohnungsmarkt und wo-möglich das Interesse der Stadt, bestimmte Einkommensgruppen im Stadtgebiet zu halten, zurückzuführen.

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• die Aktivitäten überlagern sich im Raum,• was sich auf verschiedene Weise grafisch darstellen lässt• und zur Konsequenz hat, dass wichtige Aufgaben der

Stadtentwicklung nur »in der Zusammenarbeit aller für einen Raum relevanten Akteure« bewältigt werden kön-nen (BMVBS/BBR 2007)

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Die KiTa-Gründung hängt mit Einsparungen der Stadt zusammen, die Aktivitäten für be-nachteiligte Gruppen mit den Arbeitsplatzver-lusten und dem Auslaufen der Förderung, das Innenstadtkonzept mit dem Kaufkraftverlust und den schwindenden Planungsressourcen der Kommune und so weiter und so fort.

Das heißt: Viele Akteure handeln im Raum. Und: Ihre Aktivitäten weisen oft Zusammen-hänge auf – auch wenn sie nicht ausdrücklich aufeinander bezogen sind.

»Stadtentwicklung« ist…(6) Aus diesen vielen Aktivitäten entsteht

und entwickelt sich Stadt. Sie ist also als Gan-zes nicht Produkt einer zentralen Planung, sondern… ein »wildes, chaotisch anmutendes, hybri-des Gemisch aus Akten jedweder Art« (Wolf Reuter 2004, 73)… »Niederschlag vieler unterschiedlicher Be-mühungen über lange Zeiträume« (Gerd Al-bers 1988, 2)

… »gelungen oder misslungen, kultiviert oder trübsinnig – Gruppenausdruck und Ausdruck der Geschichte von Gruppen, ihrer Machtent-faltung und Untergänge…« (Mitscherlich 1965, 32).

Und in den Worten John Friedmanns: »The human, and more specifically, the urban habi-tat, takes form as multiple forces interact with each other in ways that are not fully predictab-le… It is, therefore, obvious that planners need to have a good understanding of how these city-forming processes work …. This formula-tion posits the city-forming process first, before there can be any serious talk of strategic inter-vention« (2006, 275)

Diese Zitate aus der eher theoretisch ausge-richteteten Literatur seien ergänzt durch eine aktuelle Beschreibung der Praxis: »Stadtent-wicklung ist noch stärker als früher das Ergeb-nis einer Vielzahl von komplizierten Verhand-lungen und Interessenabgleichen, z. B. zwi-schen Investoren, Unternehmen, Verbänden, Bewohnern und der ‹öffentlichen Hand‹. Für

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Abb. 2: Die Akteure innerhalb einer Stadtverwaltung;

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die zielgerichtete Umsetzung städtebaulicher Entwicklungskonzepte fehlen im zunehmenden Maße öffentliche Fördermittel. Neue Formen der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Investoren sind gefordert. Angesichts leerer öffentlicher Kassen wird auch das bür-gerschaftliche Engagement für eine nachhalti-ge Stadtentwicklung eine zunehmend gewich-tigere Rolle spielen«(www.bbr.bund.de).

Alle diese Äußerungen unterstreichen, wie wichtig es ist, sich mit der Vielfalt dieser Aktivi-täten und Akteure auseinanderzusetzen, bevor man sinnvoll fachliche (planerische) Vorschläge zur Entwicklung eines Raumes einbringen kann.

Vom wem ist die Rede…?(7) Mit »Akteur« sind in Planungsprozessen

zumeist nicht Einzelpersonen, sondern Grup-pen oder Institutionen in bestimmten Rollen gemeint (aber es gibt auch Ausnahmen, be-sonders »gewichtige« Einzelpersonen, die gan-ze Prozesse prägen, z.B. Investoren). Ähnliches

gilt für die Verwendung der Bezeichnung »Sta-keholder«. Es ist also zumeist die Rede von: den Grundeigentümern, den Investoren, der Stadtplanung, der Bürgerinitiative und so fort.

Während »Akteur« ein sehr allgemeiner und in vielen Zusammenhängen (z.B. bei der Be-schreibung politischer Prozesse) verwendbarer Begriff ist, stellt die aus dem amerikanischen Sprachraum kommende Bezeichnung »Stake-holder« einen sehr bildhaften Bezug zwischen einem Akteur und einer Sache (einem Unter-nehmen, einem Raum) her: Da hat jemand ei-nen »stake« (wörtlich: Stock), ein Anliegen an etwas. Ursprünglich wurde der Begriff geprägt, um deutlich zu machen, dass sich Unterneh-men nicht nur an den Interessen der Anteils-eigner (»shareholder value«), sondern an vie-len Ansprüchen und Interessen zu orientieren haben (Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner, Konkurrenten, Regierung, Medien, Nachbar-schaft etc.).

Ganz gleich, ob man nun von »Akteuren« oder »Stakeholdern« spricht – wichtig ist, dass

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Abb. 3: Beteiligte Akteure im Prozess der Entwicklung des »Quartier Vauban« in Freiburg (aus: Selle 2000, Bd. 2)

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die so bezeichneten Menschen, Gruppen, Or-ganisationen etc. über sehr unterschiedliche Möglichkeiten verfügen, ihre Bedürfnisse und Interessen in den Prozess der Stadtentwicklung einzubringen. Louis Albrechts [zit. n. Selle 2005, 113] beschreibt das so: »Planning po-tentially impacts on and links to a very wide range of citizens with stakes in a place. These stakes are potentially very diverse. Some citi-zens have the knowledge, the skills, the power and the networks through which they are able to influence or even steer planning proposals and policy decision. Others lack the means and the cultural codes to participate in the system. Their voice has hardly any impact on decision. Class, gender, race and religion do matter in terms of whether citizens and resident non-ci-tizens are included or excluded in the process«.

Diese sehr unterschiedlichen Vorausetzungen zur Einwirkung auf Stadtentwicklung wurde früher auch noch durch das Begriffspaar »Be-teiligte« und »Betroffene« zum Ausdruck ge-bracht: Es gab und gibt Akteure, die sind an den wesentlichen Entscheidungsprozessen be-

teiligt – andere nicht. Und es gibt Akteure, die vermögen aktiv gestaltend einzuwirken – und andere, die diese Veränderungen hinnehmen müssen ohne dem viel entgegensetzen zu können.

(8) Für diejenigen, die ein Projekt entwickeln oder einen Plan erarbeiten, ist der Blick auf die anderen Akteure aus ganz verschiedenen Gründen wichtig: Zum einen hängt es vielfach von deren Mitwirkungsbereitschaft ab, ob ein Vorhaben mit Aussicht auf Erfolg verfolgt wer-den kann: Grundstückseigentümer müssen verkaufsbereit sein, Banken müssen Geld be-reitstellen und so fort. Sah man früher bei vie-len Vorhaben der Stadtentwicklung vor allem die ökonomisch gewichtigen Akteure als »rele-vant« an, so geraten inzwischen auch bürger-schaftliche Initiativen ins Blickfeld. Denn sie können zum Beispiel bei der Stabilisierung und Entwicklung benachteiligter Quartiere eine große Rolle spielen. Selbsthilfepotenziale kön-nen beim Neu- und Umbau genutzt werden.

Es ist also wichtig, die ganze Breite der Handlungspotenziale zu kennen und ggf. zu überlegen, unter welchen Bedingungen sie mobilisiert und in einen Planungs- und Ent-wicklungsprozess eingebunden werden kön-nen, um einzelne Ziele besser erreichen oder insgesamt ein »besseres« Gesamtergebnis er-zielen zu können.

Die Akteure im Umfeld eines Vorhabens ver-fügen jedoch auch über Einspruchspotenziale – und auch das will berücksichtigt sein. Wer könnte, aus welchen Gründen politisch Ein-wände gegen das Vorhaben erheben? Wer mit welcher Aussicht auf Erfolg klagen? Etc.

(9) Aus diesen Gründen sollte am Anfang jeder Auseinandersetzung mit Aufgaben der Stadtentwicklung eine Akteursanalyse stehen. Hier gilt es, die verschiedenen »Stakeholder« zu identifizieren, ihre Bezüge zum Raum bzw. zur konkreten Aufgabe zu analysieren und ihre Handlungsmöglichkeiten bzw. Interessen zu erkennen. Die notwendigen Differenzierungen ergeben sich aus dem jeweiligen Fall: So kann es zum Beispiel unzureichend sein, von »der« Stadtverwaltung zu sprechen, wenn eine große Zahl unterschiedlicher Ämter beteiligt ist.

»Akteure« oder »Stakeholder« können zum Beispiel unterschieden werden nach • ihren Bezügen zum und Interessen am Raum: Sind sie Nutzer, Nachbarn, Verfügungsberech-tigte, Kaufinteressierte etc.? Welche Bedeu-

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Abb.4: Anleitung zur Durchführung einer »Stakehol-deranalyse« (http://erc.msh.org/quality/ittools/itstkan.cfm)

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tung hat der Raum für sie? Wie nehmen sie ihn wahr? • ihrer Stellung im Prozess der Planung und Projektentwicklung: Könnten sie – fördernd oder hemmend – auf die Projektentwicklung einwirken? Sind sie beteiligt? In welcher Rolle? Sind sie betroffen? In welcher Weise? • der Gestaltungsmacht, über die sie verfügen: Eigentumsrechte, Planungshoheit, Investiti-onsmittel, politische Durchsetzungsfähigkeit und • den Zielen und Interessen, die sie im konkre-

ten Fall verfolgen… (s. Abb. 4)

Welche Rolle hat die kommunale Stadt-planung?

(10) Öffentliche Akteure in Kommunen und Regionen können nicht mit einem zentralen Plan vorgeben, wohin die Entwicklung der Städte und Räume geht. Aber sie vermögen wesentlich zur Entwicklung von Stadt und Land beizutragen. Sie planen, steuern, entwi-ckeln – als Akteure unter anderen, aber mit besonderen Aufgaben und einer Rolle, in der sich hoheitliche, koordinierende und kooperie-rende Funktionen mischen.

Ihre Rolle und die Instrumente, die ihnen zu deren Wahrnehmung zur Verfügung stehen wird an anderer Stelle (->Lehrbaustein »Stadt-planung-was ist das?« und »Instrumente«) ausführlicher dargestellt.

(11) Im Baugesetzbuch ist nicht von Akteu-ren etc. sondern von (öffentlichen und priva-ten) »Belangen« die Rede (vgl. § 1). Das eine hängt aber direkt mit dem anderen zusammen: Wer die in einem Planungsfall relevanten Ak-teure identifiziert, kann ermitteln, was für sie »von Belang« ist: bei privaten Akteuren etwa deren Ziele und Interessen, bei öffentlichen z.B. die in den jeweils verfahrensbestimmenden Gesetzen genannten wesentlichen Gesichts-punkte (im BauGB z.B. der Katalog in § 1 Abs. 5 und 6 – etwa »soziale und kulturelle Bedürf-nisse«, »Orts- und Landschaftsbild«, »Natur-schutz« etc.). Diese Aspekte sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie im konkreten Fall nicht durch eine der beteiligten Gruppen direkt vertreten werden.

Für den weiteren Planungsprozess ist die »gerechte Abwägung« dieser Belange »gegen- und untereinander« von Ausschlag gebender Bedeutung (§ 1 Abs. 7 BauGB). Das heißt: In der Regel kann nicht allen Belangen gleicher-maßen Rechnung getragen werden, da sie sich

widersprechen, unter den gegeben Umständen nur bedingt realisierbar sind und so fort... . Es muss daher nachvollziehbar begründet wer-den, warum im konkreten Fall die einen Vor-rang haben und andere zurück gestellt werden (müssen / können).

Fragen zur Vorlesung• Warum ist es für städtebauliche Planungs-prozesse unerlässlich, Interessen verschiedener Akteure und öffentliche Belange zu ermitteln?• Welche Interessen und Belange können bei einer typischen städtebaulichen Aufgabe von Bedeutung sein. Wählen Sie eine der beiden Planungsaufgaben aus und nennen Sie mehre-re Interessen/Belange• Wiedernutzung einer Bahnbrache• Umgestaltung eines öffentlichen Platzes• Welche Aspekte sind bei einer Akteurs-/Sta-keholderanalyse zu untersuchen?• Eine Bahnbrache zwischen Innenstadt und gründerzeitlichem Wohngebiet soll wiederbe-baut werden. Nennen Sie mindestens vier Akt-eursgruppen (»Stakeholder«), die hier zu be-rücksichtigen sind. Erklären Sie kurz deren Be-züge zur Planungsaufgabe.

Fingerübungen & VertiefungenDie folgenden kleinen Übungen dienen vor

allem dazu, sich mit dem Thema Stadtent-wicklung vertraut zu machen und einzelne Fragen & Aspekte zu vertiefen.

(1) Welche Projekte größerer Art wurden in den letzten Jahren in Ihrer Heimatstadt / einer Stadt Ihrer Wahl geplant und realisiert? Um was ging es da (Nutzungen, Bauformen und -strukturen)? Wer betrieb die Projekte? Was haben sie bewirkt oder verändert?

(2) Versuchen Sie, Stadtteile zu identifizieren, die „geplant“ erscheinen und solche, die eher „ungeplant“ gewachsen zu sein scheinen. Woran machen Sie diese Beobachtungen fest? Wenn Sie mehr Zeit in diesen Ansatz investie-ren können:

Recherchieren Sie die tatsächlichen planeri-schen Grundlagen für die jeweiligen Stadtaus-schnitte: was wurde wann von wem festgelegt und in welcher Weise orientiert sich die heuti-ge Bebauung an diesen Vorgaben?

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Literaturhinweise

LinksZur Stakeholderanalyse:

http://erc.msh.org/quality/ittools/itstkan.cfmStakeholder:http://www.olev.de/s/stakeholder.htm

PT_PublikationenEinen Überblick zur Diskussion über »Stadtent-wicklung als Gemeinschaftsaufgabe« bietetKlaus Selle (2010) Gemeinschaftswerk? Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der Stadtentwicklung. Begriffe, Entwicklungen, Wirklichkeiten, Folgerun-gen. Kurzgutachten für das Nationale Forum für Engagement und Partizipation. [Download unter www.pt.rwth-aachen.de -> Publikationen ->PT_Materialien]Falldarstellungen, bei denen Akteure dargestellt und deren Zusammenwirken beschrieben werden, finden sich in:_Klaus Selle (Hg.) (2000): Arbeits- und Organisati-onsformen für eine nachhaltige Entwicklung. Dort-mund• Bd. 2: Siedlungen bauen, Quartiere entwickeln.

Beispiele • Bd. 3: Freiräume entwickeln – in Stadt und Regi-

on. Beispiele_Selle, Klaus (2000): Was? Wer? Wie? Warum?. Dortmund_Klemme, Marion; Selle, Klaus (2008): Alltag der Stadtplanung. Der kommunale Beitrag zur Entwick-lung der Siedlungsflächen. Ein aufgaben- und ak-teursbezogener Forschungsansatz. Aachen

Eine planungstheoretische Auseinandersetzung mit Akteuren und ihrer Rolle bei Planung und Steue-rung finden Sie in Kapitel 3 des folgenden Buches:_Selle, Klaus (2005): Planen. Steuern. Entwickeln. Dortmund

Diese Bücher können zu (für Studierende) vergüns-tigten Preisen im Sekretariat des Lehrstuhls PT er-worben werden.

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