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Werkzeugmaschinen, Antriebstechnik, Mechatronik Neuartige Vorschubantriebe für kleine Werkzeugmaschinen * Modulare einphasige elektrodynamische Linearantriebe mit integrierter Regelung für kurze Verfahrwege T. Bödrich, M. Süßenbecker, J. Lienig Ein- und mehrachsige Vorschubeinheiten für kleine Werkzeug- maschinen mit Verfahrwegen von bis zu 30 mm je Achse lassen sich vorteilhaft mit einfachen einphasigen elektrodynamischen Linear- direktantrieben realisieren. Aufbau und Eigenschaften eines solchen einachsigen Vorschubmoduls mit integrierter Ansteuerung werden nachfolgend vorgestellt. Der aufgebaute Demonstrator weist eine hohe Kompaktheit, eine gute Dynamik und ein günstiges Verhältnis von Modulkosten zu erreichter Genauigkeit auf. Der abschließende Ausblick nennt geplante weiterführende Arbeiten. 1 Einleitung In vielen Branchen ist der Trend zur Miniaturisierung von Bauteilen und Funktionseinheiten ungebrochen, wie zum Beispiel die mobile Kommunikations- und Datentechnik ein- drucksvoll zeigt. Heutige zur Fertigung miniaturisierter Kom- ponenten eingesetzte Werkzeugmaschinen weisen zumeist ungünstig große Verhältnisse des Maschinen- beziehungs- weise Arbeitsraumvolumens zum Werkstückvolumen auf. Die Entwicklung größenangepasster, das heißt kleiner Werkzeug- Dr.-Ing. Thomas Bödrich Dipl.-Ing. Michael Süßenbecker Prof. Dr.-Ing. habil. Jens Lienig Institut für Feinwerktechnik und Elektronik-Design (IFTE) Technische Universität Dresden Helmholtzstr. 10, D-01062 Dresden Tel. +49 (0)351 / 463-36296, Fax +49 (0)351 / 463-37183 E-Mail: [email protected] Internet: www.ifte.de Dank Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung der hier beschriebenen Arbeiten im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1476 „Kleine Werkzeug- maschinen für kleine Werkstücke“. Info * Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen wissenschaftlich begutachteten und freigegebenen Fachaufsatz („Peer-Review“). maschinen ist deshalb Gegenstand aktueller Forschung. Seit 2010 werden im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogramm 1476 „Kleine Werk- zeugmaschinen für kleine Werkstücke“ Komponenten und Konzepte für miniaturisierte Werkzeugmaschinen entwickelt, die sich unter anderem durch Flexibilität, Kosteneffektivität und Kompaktheit auszeichnen [1]. Großer Wert wird dabei auf die Modularität der in der Entwicklung befindlichen Kompo- nenten gelegt, um eine einfache Rekonfigurierbarkeit von Werkzeugmaschinen gewährleisten zu können. Die zu ent- wickelnden Komponenten sollen weiterhin nicht durch eine reine Skalierung von größeren Werkzeugmaschinen abgeleitet werden, sondern durch Unterschreiten einer kritischen Ma- schinengröße neuartige technische und konstruktive Lösun- gen ermöglichen [1, 2]. An der Technischen Universität Dresden werden derzeit im Rahmen des oben genannten Schwerpunktprogramms elek- trodynamische Vorschubmodule für Verfahrwege bis etwa 30 mm entwickelt. Der begrenzte Verfahrweg ermöglicht gegenüber mehrphasigen Lineardirektantrieben für größere Wege einphasige Magnetkreise und Ansteuerungen und damit besonders einfache Antriebslösungen. Daher – sowie auf- grund der hier genutzten verlustleistungsarmen Motor- ansteuerung mittels Pulsweitenmodulation (PWM) – kann die Ansteuerelektronik in den Antrieb integriert werden, sodass sich ausgesprochen kompakte Vorschubmodule ergeben. Bild 1 zeigt ein erstes derart aufgebautes einachsiges Vorschubmodul, das im Anschluss an den folgenden kurzen Überblick über prinzipiell mögliche Linearantriebe für kleine Verfahrwege vorgestellt wird. 2 Prinzipiell mögliche Vorschubantriebe für kleine Verfahrwege Vorschubachsen heutiger für die Mikrofertigung verfüg- barer Werkzeugmaschinen weisen in aller Regel Verfahrwege von mehreren 100 mm auf. Dominierend sind dabei rota- torisch angetriebene Kugelgewindespindel-Mutter-Einheiten mit oder ohne zwischengeschaltetes Übersetzungsgetriebe sowie seltener dreiphasige Lineardirektantriebe [3]. Be- schränkt man sich wie im Schwerpunktprogramm bei der Entwicklung kleiner Werkzeugmaschinen auf maximale Ver- fahrwege von einigen Zentimetern sowie maximale Lastkräfte von einigen 10 N je Achse, findet man in der Automa- tisierungs-, Handhabungs- und Labortechnik vielfältige Antriebslösungen, die prinzipiell auch für Vorschubachsen der Mikrofertigung nutzbar gemacht werden können. Weit verbreitet sind zum Beispiel miniaturisierte Spindel- Mutter-Lineartische mit DC- oder Schrittmotor und zwischen- geschaltetem Übersetzungsgetriebe. Steigungen liegen zu- meist im Bereich 0,4…1 mm, ein Umkehrspiel von einigen μm ist typisch. Die Drehzahluntersetzung und die kleine Novel feed units for small machine tools Uni- and multiaxial feed units for small machine tools with travel ranges up to 30 mm can advantageously be realised with simple single-phase electrodynamic direct drives. Design and achieved performance of such a uniaxial feed unit with embedded control will be presented. The built demonstrator features compactness, good dynamic behaviour and a favourable ratio between module cost and achieved accuracy. A short outlook on planned further work will be given at the end. Titelthema – Aufsatz Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 102 (2012) H. 7/8 441

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Werkzeugmaschinen, Antriebstechnik, Mechatronik

Neuartige Vorschubantriebe für kleine Werkzeugmaschinen * Modulare einphasige elektrodynamische Linearantriebe mit integrierter Regelung für kurze Verfahrwege

T. Bödrich, M. Süßenbecker, J. Lienig

Ein- und mehrachsige Vorschubeinheiten für kleine Werkzeug -maschinen mit Verfahrwegen von bis zu 30 mm je Achse lassen sich vorteilhaft mit einfachen einphasigen elektrodynamischen Linear -direktantrieben realisieren. Aufbau und Eigenschaften eines solchen einachsigen Vorschubmoduls mit integrierter Ansteuerung werden nachfolgend vorgestellt. Der aufgebaute Demonstrator weist eine hohe Kompaktheit, eine gute Dynamik und ein günstiges Verhältnis von Modulkosten zu erreichter Genauigkeit auf. Der abschließende Ausblick nennt geplante weiterführende Arbeiten.

1 Einleitung

In vielen Branchen ist der Trend zur Miniaturisierung von Bauteilen und Funktionseinheiten ungebrochen, wie zum Beispiel die mobile Kommunikations- und Datentechnik ein-drucksvoll zeigt. Heutige zur Fertigung miniaturisierter Kom-ponenten eingesetzte Werkzeugmaschinen weisen zumeist ungünstig große Verhältnisse des Maschinen- beziehungs-weise Arbeitsraumvolumens zum Werkstückvolumen auf. Die Entwicklung größenangepasster, das heißt kleiner Werkzeug-

Dr.-Ing. Thomas Bödrich Dipl.-Ing. Michael Süßenbecker Prof. Dr.-Ing. habil. Jens Lienig Institut für Feinwerktechnik und Elektronik-Design (IFTE) Technische Universität Dresden Helmholtzstr. 10, D-01062 Dresden Tel. +49 (0)351 / 463-36296, Fax +49 (0)351 / 463-37183 E-Mail: [email protected] Internet: www.ifte.de

Dank Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung der hier beschriebenen Arbeiten im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1476 „Kleine Werkzeug-maschinen für kleine Werkstücke“.

Info * Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen wissenschaftlich begutachteten und freigegebenen Fachaufsatz („Peer-Review“).

maschinen ist deshalb Gegenstand aktueller Forschung. Seit 2010 werden im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogramm 1476 „Kleine Werk-zeugmaschinen für kleine Werkstücke“ Komponenten und Konzepte für miniaturisierte Werkzeugmaschinen entwickelt, die sich unter anderem durch Flexibilität, Kosteneffektivität und Kompaktheit auszeichnen [1]. Großer Wert wird dabei auf die Modularität der in der Entwicklung befindlichen Kompo -nenten gelegt, um eine einfache Rekonfigurierbarkeit von Werkzeugmaschinen gewährleisten zu können. Die zu ent-wickelnden Komponenten sollen weiterhin nicht durch eine reine Skalierung von größeren Werkzeugmaschinen abgeleitet werden, sondern durch Unterschreiten einer kritischen Ma-schinengröße neuartige technische und konstruktive Lösun-gen ermöglichen [1, 2].

An der Technischen Universität Dresden werden derzeit im Rahmen des oben genannten Schwerpunktprogramms elek-trodynamische Vorschubmodule für Verfahrwege bis etwa 30 mm entwickelt. Der begrenzte Verfahrweg ermöglicht gegen über mehrphasigen Lineardirektantrieben für größere Wege einphasige Magnetkreise und Ansteuerungen und damit besonders einfache Antriebslösungen. Daher – sowie auf-grund der hier genutzten verlustleistungsarmen Motor -ansteuerung mittels Pulsweitenmodulation (PWM) – kann die Ansteuerelektronik in den Antrieb integriert werden, sodass sich ausgesprochen kompakte Vorschubmodule ergeben. Bild 1 zeigt ein erstes derart aufgebautes einachsiges Vorschubmodul, das im Anschluss an den folgenden kurzen Überblick über prinzipiell mögliche Linearantriebe für kleine Verfahrwege vorgestellt wird.

2 Prinzipiell mögliche Vorschubantriebe für kleine Verfahrwege

Vorschubachsen heutiger für die Mikrofertigung verfüg -barer Werkzeugmaschinen weisen in aller Regel Verfahrwege von mehreren 100 mm auf. Dominierend sind dabei rota -torisch angetriebene Kugelgewindespindel-Mutter-Einheiten mit oder ohne zwischengeschaltetes Übersetzungsgetriebe sowie seltener dreiphasige Lineardirektantriebe [3]. Be-schränkt man sich wie im Schwerpunktprogramm bei der Entwicklung kleiner Werkzeugmaschinen auf maximale Ver -fahrwege von einigen Zentimetern sowie maximale Lastkräfte von einigen 10 N je Achse, findet man in der Automa -tisierungs-, Handhabungs- und Labortechnik vielfältige Antriebslösungen, die prinzipiell auch für Vorschubachsen der Mikrofertigung nutzbar gemacht werden können.

Weit verbreitet sind zum Beispiel miniaturisierte Spindel-Mutter-Lineartische mit DC- oder Schrittmotor und zwischen-geschaltetem Übersetzungsgetriebe. Steigungen liegen zu-meist im Bereich 0,4…1 mm, ein Umkehrspiel von einigen µm ist typisch. Die Drehzahluntersetzung und die kleine

Novel feed units for small machine tools

Uni- and multiaxial feed units for small machine tools with travel ranges up to 30 mm can advantageously be realised with simple single-phase electrodynamic direct drives. Design and achieved performance of such a uniaxial feed unit with embedded control will be presented. The built demonstrator features compactness, good dynamic behaviour and a favourable ratio between module cost and achieved accuracy. A short outlook on planned further work will be given at the end.

Titelthema – Aufsatz

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Spindelsteigung lassen oft nur maximale Verfahrgeschwindig-keiten von wenigen mm/s zu. Selbsthemmung im stromlosen Zustand und eine vergleichsweise hohe Steifigkeit sind jedoch für die meisten Anwendungen vorteilhaft.

Verfügbar sind weiterhin piezobasierte Lineartische, die aufgrund ihrer inkrementellen Arbeitsweise und abhängig vom Messsystem sehr hohe Positioniergenauigkeiten im nm-Bereich zulassen, jedoch nur relativ geringe Kräfte, eine geringe Dynamik und einen vergleichsweise hohen Preis aufweisen.

Elektrodynamische Lineardirektantriebe für Hübe ab eini-gen Zentimetern sind wie auch bei größeren Ausführungen mehrphasig. Unter der Bezeichnung LinMot sind beispiels-weise für die Automatisierungstechnik zweiphasige zylin-drische Solenoidmotoren mit gleitgeführtem Permanentmag-netläufer verfügbar [4]. In den mehrphasigen Lineardirekt-antrieben der Firma Aerotech für Verfahrwege ab 25 mm ist der Läufer zumeist wälzgeführt [5]. An der TU Ilmenau und in deren industriellem Umfeld wurden elektrodynamische Mehr-koordinatenantriebe (zumeist xyDj) mit zwei Phasen je Achse und aerostatischer Führung des Permanentmagnet -läufers entwickelt. Abhängig vom Positionsmesssystem sind Auflösungen derartiger Systeme im Sub-µm-Bereich möglich [6].

Besonders einfache elektrodynamische Direktantriebs-lösungen ergeben sich, wenn die begrenzten Verfahrwege den Verzicht auf eine Kommutierung des Stroms und damit den Aufbau einphasiger Antriebe zulassen. Tauchspulantriebe (moving coil) mit statorfest angeordneter permanent-magnetischer Erregung und einer in einem Luftspalt angeord-neten Läuferwicklung ähnlich wie in Lautsprechern sind ein bekanntes Beispiel solcher einphasigen elektrodynamischen Antriebe [7]. Höhere Kraftdichten lassen sich demgegenüber in der Regel erzielen, wenn die Wicklung statorfest angeord-net ist und einer oder mehrere Permanentmagnete Bestand-teil des Läufers sind und mit diesem bewegt werden (moving magnet). Ursachen für die höhere Kraftdichte sind vor allem kleinere Luftspaltbreiten durch Wegfall einer bewegten Spule sowie größere mit statorfesten Wicklungen einprägbare Durchflutungen aufgrund größerer im Stator möglicher Wickelfensterquerschnitte [8, 9]. Einphasige elektrodyna-

mische Linearantriebe mit bewegten Magneten werden be-reits seit Jahrzehnten als Direktantrieb für translatorisch os-zillierende Wirkelemente genutzt, beispielsweise als Antrieb für den Hubkolben sogenannter Schwingankerverdichter der Kälte- und Kryotechnik [9, 10]. Zum stetigen Positionieren wie in dem nachfolgend beschriebenen Vorschubmodul kommen einphasige Moving-Magnet-Antriebe hingegen bis-her kaum zum Einsatz. Sie bieten sich hierfür aufgrund ihres einfachen Aufbaus und ihrer im Vergleich zu Moving-Coil- Antrieben größeren Kraftdichte und Robustheit jedoch an.

3 Demonstrator eines einphasigen elektrodynamischen Vorschubmoduls

3.1 Aufbau

Bild 1, 2 und 3 zeigen den Aufbau des Demonstrators eines einphasigen elektrodynamischen Vorschubmoduls mit bewegten Magneten. Entwicklungsziele waren unter anderem eine hohe Kompaktheit sowie die Integration eines Positions-sensors und der Regelungshard- und -software in das Modul. Dabei sollte eine möglichst hohe Positioniergenauigkeit bei gleichzeitig kostengünstigem Aufbau, das heißt bei Integra-tion eines Low-Cost-Wegsensors erreicht werden.

Der Ständer des Demonstrators enthält ein U-förmiges Statorblechpaket, dessen Schenkel mit zwei in Reihe geschal-teten Teilwicklungen versehen sind. Weiterhin ist eine applikationsspezifisch entwickelte mikrokontrollerbasierte Ansteuerelektronik in Form einer miniaturisierten vierlagigen Leiterplatte in den Ständer integriert (Bild 3). Auf dieser Leiterplatte ist ein magnetischer Low-Cost-Positionssensor (Einzelpreis etwa 11,50 US-Dollar) mit einer Auflösung von 0,488 µm angeordnet, dem ein in den Läufer integrierter magnetischer Maßstab mit abwechselnder Nord-Süd-Polfolge gegenüber steht. Der schlittenförmige Läufer dient in späte-ren Anwendungen als Werkzeug- beziehungsweise Werkstück-träger. Er enthält auf einem ferromagnetischen Läuferrück-schluss drei alternierend polarisierte Permanentmagnete, die sich mit dem Läufer relativ zu den Statorpolen translatorisch bewegen.

Die meisten kleinen Lineartische weisen eine geschlos -sene vorgespannte Wälzkörperführung auf, deren Fertigung beziehungsweise Montage aufgrund der grundsätzlichen Überbestimmtheit solcher Führungen relativ aufwendig ist [11]. Abweichend von diesem üblichen Aufbau hat der vor -

Bild 1. Demonstrator eines einphasigen elektrodynamischen

Vorschubmoduls mit integrierter Ansteuerung für kleine

Verfahrwege

Bild 2. Schematische Schnittdarstellung der

Vorschubeinheit

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liegende Demonstrator eine offene (aufliegende) Wälzkörper-führung (Bild 3). Vorteile offener gegenüber geschlossenen Führungen sind doppelt so große Tragzahlen aufgrund der Kraftaufteilung auf die einzelnen Führungsbahnen (kleinere Führungen sind möglich) sowie die einfachere Montage. Möglich ist diese einfache Führungslösung hier, weil auch im stromlosen Zustand große permanentmagnetische An-ziehungskräfte von etwa 170 N zwischen Läufer und Ständer auftreten (mit FEM ermittelt). Solche Querkräfte sind in mehrphasigen Lineardirektantrieben zumeist unerwünscht, gestatten aber hier unter Beachtung zulässiger Gewichts- und Lastkräfte den Betrieb des Vorschubmoduls mit offener Füh-rung in jeder beliebigen Raumlage.

3.2 Magnetkreis

Vielfältige Magnetkreisausführungen einphasiger elektro -dynamischer Lineardirektantriebe mit bewegten Magneten sind möglich [8, 9]. Im vorliegenden Fall wurden ein kon-struktiv und fertigungstechnisch einfacher planar geblechter Statoraufbau sowie drei Permanentmagnete im Läufer ge-wählt (Bild 2, Bild 4).

Die Grobauslegung solcher Magnetkreise erfolgt vorteil -haft mittels eines einfachen magnetischen Netzwerkmodells [8, 9, 12]. Unter Vernachlässigung magnetischer Streufelder, der vereinfachenden Annahme einer unendlich großen rela -tiven Permeabilität ferromagnetischer Komponenten und unter Annahme einer relativen Permeabilität des Permanent-magnetwerkstoffs gleich der des umgebenden Luftraums (µr = 1) kann aus dem oben erwähnten Netzwerkmodell folgende Auslegungsgleichung für die Motorkraft F bezie-hungsweise die Wandlerkonstante k = F/i hergeleitet werden (Wicklungsstrom i) [9]: .

Darin ist n die Gesamtwindungszahl der Motorwicklung, HcB' die scheinbare Koerzitivfeldstärke des Permanentmagnet -werkstoffs, µ0 die magnetische Feldkonstante, t die Tiefe des Magnetkreises orthogonal zur Zeichnungsebene in Bild 4, lPM die Dicke der Permanentmagnete in Magnetisierungsrichtung und lL die Luftspaltbreite zwischen den Läufermagneten und den Statorpolen.

Der Faktor 2 resultiert aus der Anwesenheit zweier Per-manentmagnete über jedem Statorpol [9]. Mit der Gleichung erhält man für den Motor des vorliegenden Demonstrators eine Wandlerkonstante von k = 12,5 N/A. Da Streufelder zwischen den beiden äußeren Permanentmagneten und dem Stator und daraus resultierende Reluktanzkräfte bei der Glei-chungsherleitung vernachlässigt wurden, ist die mit dieser Gleichung ermittelte Wandlerkonstante nicht von der Läufer-position x abhängig. Der Einfluss der aus der Streuung resultierenden Reluktanzkräfte auf die Kraft-Positions-Charakteristik F(x)|i = const lässt sich im Anschluss an die obige Grobauslegung mit der Methode der finiten Elemente (FEM) ermitteln (Bild 4 und Bild 5). Aus dem negativen Anstieg der Kraft-Positions-Kurven in Bild 5 ist erkennbar, dass die oben genannten Reluktanzkräfte wie eine mechanische Feder wirken (Federsteife etwa 1 N/mm). Bei Bedarf kann durch andere Anordnungen der Permanentmagnete diese im strom-losen Zustand zentrierend auf die Läuferlage wirkende Kraft reduziert oder vermieden werden [9].

Bild 3. Ständerkomponenten des aufgebauten Demonstrators

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Bild 4. Mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) simulierte

Flusslinien des Permanentmagnetfelds in Läufermittelstellung

(stromlos)

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Der starke Kraftabfall bei gleichzeitig großen negativen oder positiven Werten von Position und Strom in Bild 5 ist auf ausgeprägte Sättigungserscheinungen vor allem im Stator blechpaket zurückzuführen. Es ist zu erwarten, dass dieser unerwünschte Kraftabfall durch eine Optimierung des Magnetkreises und dabei vor allem der Polgeometrie reduziert werden kann. Unterschiede zwischen simulierten und ge -messenen Kräften in den oben genannten Kraft- und Strom -bereichen in Bild 5 beruhen auf Abweichungen zwischen der simulierten und der tatsächlichen Magnetisierungskennlinie von Statorblechpaket und Läuferrückschluss.

3.3 Integrierte Positionsregelung

Die in Bild 3 gezeigte integrierte Ansteuerelektronik setzt die digitale Regelung der Läuferposition x im Zustandsraum um. Sowohl die Spannungsspeisung als auch die Strom-speisung der Motorwicklung mit dem Zustandsregler und de-ren spezifische Vor- und Nachteile (beispielsweise Hardware-

aufwand, Führungs- und Störverhalten) wurden untersucht. Weiterhin wurden verschiedene Varianten vollständiger und reduzierter Zustandsbeobachter getestet. Dabei wurde das je-weils zu erwartende Führungs-, Stör- und Frequenzverhalten vorab mit MATLAB/Simulink simuliert (Bild 6). Großer Wert wurde dabei auf die realitätsnahe Modellierung von Rechen-totzeiten, Messsignalverzögerungen und Nichtlinearitäten des Motors gelegt. Neben der Abhängigkeit der Motorkraft F(x, i) gemäß Bild 5 beziehungsweise der Wandlerkonstante k(x, i) von der Läuferposition x und dem Wicklungsstrom i wird auch die Rollreibkraft Freib der Kugelwälzführung gemäß [11] simuliert. Die in Normalenrichtung auf die Führung wirkende magnetische Querkraft FN(x, i) variiert mit dem Strom und der Läuferposition im Bereich 60…230 N (mit FEM ermittelt, siehe auch Abschnitt 3.1).

Bild 7 und Bild 8 bestätigen die gute Übereinstimmung von simuliertem und gemessenem Führungs- und Frequenz-verhalten. Das gezeigte Verhalten wurde mit Spannungsspei-sung der Motorwicklung und einem reduzierten Beobachter

Bild 6. Struktur und Simulationsmodell der eingebetteten zustandsraumbasierten Positionsregelung

Bild 5. Kraft-Positions-Strom-Charakteristik F (x, i) des Antriebs

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für die Läufergeschwindigkeit und den Wicklungsstrom ermit-telt. In der derzeitigen Konfiguration arbeitet die Positions-regelung mit einer Abtastfreqzenz von 5 kHz. Die gemessene Bandbreite (-3 dB) beträgt 38 Hz (Bild 8).

Die Regelung der Motorkraft ist ebenfalls möglich. Nach bereits erfolgter Simulation einer solchen Kraftregelung soll diese durch zukünftige Arbeiten am vorliegenden sowie an weiteren Demonstratoren erprobt werden.

Sollpositionen und einfache Bahnsteuerbefehle (zum Bei-spiel harmonische Bewegung, Verfahren mit konstanter Ge-schwindigkeit) für die Positionsregelung werden beim derzei-tigen Demonstrator mittels USB an die Elektronik übertragen (Bild 1). Dazu kann zum Beispiel ein beliebiges Terminal -programm auf einem Computer genutzt werden. Durch spätere weiterführende Arbeiten kann das Vorschubmodul auch an Feldbusse angebunden werden.

3.4 Vorläufige technische Daten

Der aufgebaute Demonstrator weist gegenwärtig folgende Eigenschaften und technische Daten auf: – Verfahrweg 11 mm, – dauerhaft zulässige Kraft gemäß Kraftkurven für ±1 A in

Bild 5 (12,3 N in Läufermittelstellung x = 0), – Spitzenkraft bis 39 N (verringerter Kraftabfall in Richtung

der Läuferendlagen durch Magnetkreisoptimierung zu er-warten),

– Sensorauflösung 0,488 µm, – gemessene zweiseitige Wiederholpräzision gemäß DIN ISO

230: 3,0 µm (Vertrauensintervall 4 s), – gemessene Positioniergenauigkeit 5 µm (mit Kalibrierung

der magnetischen Maßverkörperung), – einfache Vorgabe von Sollpositionen und ausgewählten

Bahnsteuerbefehlen mittels USB, zum Beispiel mit beliebi-gem Terminalprogramm von einem Computer.

4 Zusammenfassung und Ausblick auf weiterführende Arbeiten

Mit einphasigen elektrodynamischen Lineardirektantrie -ben lassen sich einfache Antriebslösungen für Vorschub-antriebe zukünftiger kleiner Werkzeugmaschinen verwirk-lichen. Verfahrwege bis etwa 30 mm erscheinen sinnvoll. Dabei weisen Motorbauformen mit bewegten Permanent -magneten gegenüber Tauchspulantrieben höhere Kraft-dichten und eine größere Robustheit auf. Ein erster Demons-trator eines solchen Vorschubmoduls wurde aufgebaut und wird gegenwärtig getestet. Er zeichnet sich aufgrund seiner eingebetteten Positionsregelung, der einfachen Vorgabe von Sollpositionen mittels USB und seines ebenfalls integrierten Low-Cost-Wegsensors durch einen ausgesprochen kompakten Aufbau und ein günstiges Verhältnis von Modulkosten zu erreichter Positioniergenauigkeit aus. Um jedoch Positionier-genauigkeiten im µm-Bereich mit derartigen Vorschub -antrieben erreichen zu können, sollen auch höher auflösende, dadurch voraussichtlich aber auch größere und teurere Sen-sorlösungen bei der Entwicklung zukünftiger Vorschubmodule berücksichtigt werden.

Neben der Optimierung des vorgestellten Demonstrators werden derzeit weitere Bauformen einachsiger Vorschub -module auf der Grundlage einphasiger elektrodynamischer Direktantriebe entwickelt. Angestrebt werden dabei Verfahr-wege von bis zu 30 mm, eine zylindrische Gestalt sowie die Nutzung von Federführungen (Bild 9). Geplant ist weiterhin die Integration einer im Schwerpunktprogramm in der Ent-wicklung befindlichen mechanischen Schnittstelle in diese Vorschubmodule, um die gewünschte Modularität und ein-fache Rekonfigurierbarkeit zukünftiger kleiner Werkzeug-maschinen gewährleisten zu können [13].

Weiterhin ist die Entwicklung mehrachsiger Vorschub -module mit jeweils einer Phase pro Achse vorgesehen

Bild 7. Führungsverhalten der eingebetteten Positionsregelung

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Bild 8. Amplitudenfrequenzgang des geschlossenen Lageregelkreises

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(Bild 10). Große Herausforderungen sind dabei unter ande-rem die platzsparende planare Führung des tischförmigen Läufers, die Ausregelung von Störmomenten sowie die Kom-plexität des Gesamtsystems.

Obwohl der vorliegende Demonstrator ein erstes Erpro-bungsmuster dieser neuartigen Vorschubmodule für kleine Verfahrwege ist, sind die bisher erreichten Eigenschaften und Parameter vielversprechend. Es ist zu erwarten, dass derartige Module eine sinnvolle Ergänzung zu bereits existierenden Lineareinheiten für kleine Verfahrwege werden können, zum Beispiel zu miniaturisierten Spindel-Mutter-Lineartischen oder piezobasierten Lineareinheiten.

Im Anschluss an die derzeitige Entwicklung und den Labor test des vorliegenden und weiterer Vorschubmodule

Bild 10. Mögliche Gestalt geplanter elektrodynamischer

xy-Planarantriebe mit einer Phase pro Achse

Bild 9. Möglicher einphasiger translatorischer Vorschubmodul

zylindrischer Gestalt mit Federführung

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[8] Bödrich, T.: Modellbasierter Vergleich einphasiger permanent-magneterregter translatorischer Wandler. ETG-Fachbericht 118+119. Offenbach: VDE-Verlag 2009, S. 85–90

[9] Bödrich, T.: Modellbasierter Entwurf von Schwingankerantrieben für Hubkolbenverdichter. VDI-Fortschritt-Berichte, Reihe 21, Nr. 394. Düsseldorf: VDI-Verlag 2010

[10] Redlich, R. W.: A Summary of Twenty Years Experience with Linear Motors and Alternators. Internet: www.sunpower.com/library/pdf/publications/Doc0064.pdf. Sunpower, Inc., USA. Stand: 1995. Zuletzt aufgerufen am 24.05.2012

[11] Krause, W.: (Hrsg.): Konstruktionselemente der Feinmechanik. 3. Auflage. München: Carl-Hanser-Verlag 2004

[12] Bödrich, T.; Süßenbecker, M.; Lienig, J.: Compact Electrodynamic Feed Modules for Small Machine Tools and Automation. Tagungsband ACTUATOR 2012, 13th International Conference on New Actuators, Bremen, 18.06.–20.06.2012

[13] Grimske, S.; Kong, N; Röhlig, B.; Wulfsberg, J. P.: Square Foot Manufacturing - Advanced Design and Implementation of Mechanical Interfaces. Tagungsband 11th euspen International Conference, Como, Italien, 23.05.–27.05.2011, pp. 368-371

[14] Brinksmeier, E.; Brandao, C.; Gläbe, R.; Schönemann, L.: Micro Grinding Technologies. Tagungsband 11th euspen International Conference, Como, Italien, 23.05.–27.05.2011, pp. 195-198

Literatur

[1] Wulfsberg, J. P.; Grimske, S.; Kong, N.: Kleine Werkzeug-maschinen für kleine Werkstücke – Zielstellungen und Vorgehens-weise des DFG-Schwerpunktprogramms 1476. wt Werkstattstechnik online 100 (2010) Nr. 11/12, S. 886–891. Internet: www.werkstattstechnik.de, Düsseldorf: Springer-VDI-Verlag

[2] Smith, S. T.; Seugling, R. M.: Sensor and actuator considerations for precision, small machines. Precision Engineering 30 (2006) No. 3, pp. 245-264

[3] Weck, M.; Brecher, C.: Werkzeugmaschinen – Fertigungs-systeme 3: Mechatronische Systeme, Vorschubantriebe, Prozessdiagnose. 6. Auflage. Heidelberg: Springer-Verlag 2006

[4] N. N.: Produktübersicht / Homepage LinMot Linearmotor-systeme. Internet: www.linmot.com. NTI AG, Spreitenbach, Schweiz. Stand: 2012. Zuletzt aufgerufen am 24.05.2012

[5] N. N.: Produktübersicht Aerotech Nanopositionierung. Internet: www.aerotech.com/applications/nanopositioning.aspx?application=Nanopositioning. Aerotech, Inc., USA. Stand: 2012. Zuletzt aufgerufen am 24.05.2012

[6] Zeike, N.; Schäffel, C.; Spiller, F.: Planare hochdynamische Direktantriebe für den Sub-µm-Bereich mit großen Verfahrwegen. ETG-Fachbericht 118+119. Offenbach: VDE-Verlag 2009, S. 79–84

[7] N. N.: Produktübersicht BEI Kimco Tauchspulantriebe. Internet: www.beikimco.com/actuators_linear.php. BEI Kimco Magnetics, USA. Stand: 2012. Zuletzt aufgerufen am 24.05.2012

sind diese Module im Einsatz in Werkzeugmaschinen zu tes-ten. Dazu ist beispielsweise geplant, gemeinsam mit einem Partner im Schwerpunktprogramm den in Bild 9 schematisch gezeigten Vorschubmodul als kraftgeregelte z-Achse für ein neuartiges Mikroschleifwerkzeug zu verwenden [14]. Neben solchen Anwendungen als kraftgeregelter Antrieb für spa-nende Ferti gungsverfahren können die in der Entwicklung befindlichen Module auch als dynamische positionsgeregelte Vorschub antriebe für abtragende Verfahren genutzt werden.

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