Werner, J.- Beitrage zur Archaologie des Attila-Reiches

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    BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

    PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

    ABHANDLUNGEN NE UE F OLGE HEF T 38 A

    JOACHIM WERNER

    Beitrge zur Archologie

    des Attila-Reiches

    A. Textteil

    MNCHEN 1956

    VERLAG DER BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTENIN KOMMISSION BEI DER C. H. BECK'SCHEN VERLAGSBUCHHANDLUNG

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    BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

    PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

    ABHANDLUNGEN NEUE FOLGE HEFT 38 A

    JOACHIM WERNER

    Beitrge zur Archologie

    des Attila-Reiches

    Vorgetragen am 4. Mrz 1955

    Mit 75 Tafeln und 2 Abbildungen im Text

    MNCHEN 1956

    VERLAG DER BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTENIN KOMMISSION BEI DER C. H. BECK'SCHEN VERLAGSBUCHHANDLUNG

    A. Textteil

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    IN MEMORIAM

    MAX EBERT

    AARNE MICHAEL TALLGREN

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    V O R W O R T

    Diese Abhandlung, von der Auszge in der Sitzung der Philosophisch-HistorischenKlasse der Akademie am 4. Mrz 1955 vorgetragen wurden, fut auf langjhrigen Studienber das archologische Material des 5. Jahrhunderts n. Chr., die der Verfasser in Angriff

    nahm, um von einer breiten Basis aus die bedeutende Sammlung vlkerwanderungszeitlichen Schmucks aus dem Besitz des Barons v. Diergardt (jetzt im Rmisch-GermanischenMuseum der Stadt Kln) verffentlichen zu knnen. Neben eigenen Vorarbeiten dientenzwei ungarische Untersuchungen als Grundlage: Das Werk A. Alfldis Funde aus derHunnenzeit und ihre ethnische Sonderung" (Archaeologia Hungarica 9, 1932) und dieMonographie N. Fettichs ,,La trouvaille de tombe princire hunnique Szeged-Nagyszkss" (Archaeologia Hungarica 32, 1953). Den Forschungen der beiden Gelehrten verdankt der Verfasser wesentliche Erkenntnisse und manche weiterfhrende Einsicht. Ebensohaben die Verffentlichungen einiger sowjetrussischer Archologen die hier vorgetragenen

    Gedankengnge vielfach gefrdert. Bei der Bercksichtigung von Einzelergebnissen derGeschichtswissenschaft wurde fast immer das zuverlssige Werk von E. A. ThompsonA History of Attila and the Huns" (Oxford 1948) als Quelle benutzt.

    Der Tafelteil der Abhandlung bringt fast ausnahmslos bereits verffentlichtes Material,das aber in zahlreichen, oft nur mit groer Mhe erreichbaren Publikationen verstreut ist.

    Um die Benutzbarkeit des Buches zu erhhen, wurde die Wiedergabe aller wesentlichen inder Untersuchung behandelten Funde angestrebt, entweder nach photgraphischen Vorlagen oder in einfachen Umrizeichnungen. Fr zahlreiche wertvolle Abbildungsvorlagenaus dem Nachla A. M. Tallgrens (Archiv der ESA) habe ich Frau Prof. E. Kivikoski

    (Helsinki) vielmals zu danken. Weitere Photographien fr den Bilderteil bermittelten inliebenswrdiger Hilfsbereitschaft: K. B hn er (Bonn), H. - J . Hund t (Mainz), K . Ke rs te n(Schleswig), H. Mitscha-Mrheim (Wien), K. Tihelka (Brnn) und A. Toik(Neutra). Beim Beschaffen seltener Publikationen gewhrten die folgenden Stellen bereit

    willig ihre Untersttzung: Osteuropa-Sammlung, Orientalische Sammlung und Katalogabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in Mnchen (Bibliptheksrte O. Mach, J.

    Meier und H. Rsenfeld), Naturhistorisches Museum in Wien (K. Kromer), Rmisch-

    Germanische Kommission in Frankfurt am Main (W. Wagner), Museum fr ostasiatische

    Kunst in Kln (W. Speiser) und K. Jettmar in Wien-Perchtoldsdorf. Ihnen allen danke

    ich fr die Erfllung meiner oft nicht einfachen Desiderate. Meinen Mitarbeitern am

    Institut fr Vor- und Frhgeschichte der Universitt Mnchen, G. Kossack und Frau

    H. Tietbhl, bin ich fr das Anfertigen der Zeichnungen und Karten und fr manchen

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    VI Vorwort

    Rat und stetige Hilfe zu Dank verpflichtet. G. Kossack und K. Hauck (Erlangen)lasen die Korrekturen mit , Frau E. Nonn enm ach er (Mnchen) berprfte die Schreibweise der slawischen Titel. Beim Abfassen der Niederschrift und bei der Korrektur halfmir auerdem meine Frau.

    Die Abhandlung ist dem Andenken zweier Mnner gewidmet, denen der Autor beiseinen Studien ber osteuropische Archologie entscheidende Anregungen verdankt:Max E b e r t , der als akademischer Lehrer den jungen Studenten fr die Probleme derVor- und Frhgeschichte Sdrulands begeisterte, und A. M. Tallgren, der die erstenliterarischen Versuche des Verfassers zu dem hier behandelten Fragenkomplex als liebenswrdiger Mentor in seiner Eurasia Septentrionalis Antiqua" zum Abdruck brachte undihn immer wieder zur Weiterarbeit ermunterte.

    Mnchen, im Frhjahr 1956 Joachim Werner

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    INHALT

    VorwortAbkrzungenEinleitungDie artifizielle Schdeldeformation (mit Fundliste I S. 96 ff. )Ostliche Metallspiegel und rundstabige Ohrringe

    A. Die stlichen Metallspiegel (mit Fundliste II S. 114 ff. )B. Rundstabige Gold- und Silberohrringe (mit Fundliste III S. 119 f. )

    Die magischen Schwertanhnger (mit Fundliste IV S. 120 ff. )Schwert, Bogen, Sattel, Nagaika und Zaumzeug

    A. Das zweischneidige LangschwertB. Das einschneidige Hiebschwert (gerader Sbel")C. Der Reflexbogen mit beinernen EndversteifungenD. Der hlzerne NomadensattelE. Die Reitpeitsche (Nagaika)F. Das ZaumzeugG. Zusammenfassung

    Bronzekessel und DiademeA. Die gegossenen BronzekesselB. Die Diademe

    Adlersymbolik und Totenkult

    Zu den Frstengrbern der Attilazeit. Die reiternomadische Tracht

    B. Goldreichtum und politisch-soziale Stellung

    C. Verbreitung im hunnischen Machtbereich und Fernbeziehungen

    Bewertung des reiternomadischen Elements im 5. J h . (Herkunft - Verbreitung - Wirkung)

    Fundlisten I-IV

    I. Verzeichnis der Vorkommen von knstlicher Schdeldeformation

    I I . Verzeichnis der stlichen MetallspiegelIII. Verzeichnis der rundstabigen Gold- und SilberohrringeIV. Verzeichnis der magischen Schwertanhnger

    NachtragSach- und PersonenregisterOrtsregister

    VVI I I

    15

    19

    19

    243638

    38

    43

    46

    5053

    54

    56

    57

    57

    61

    69

    828 3

    85

    87

    9096

    96

    11 4

    119120

    12913113 4

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    ABKRZUNGEN

    Alfldi 1932

    ESA

    Fettich 1953

    I

    KS

    MAK

    MAR

    Minaeva 1927

    Rau 1926

    Rau 1927

    SA

    AndreasAlfldi, Funde aus der Hunnenzeit und ihre ethnische Sonderung. ArchaeologiaHungarica 9 (Budapest 1932)

    Eurasia Septentrionalis Antiqua 1, 1927 ff., Helsinki

    Nndor Fettich, La Trouvaille de tombe princire hunnique Szeged-Nagyszkss.Archaeologia Hungarica 32 (Budapest 1953)

    Izvestija Imperatorskoj Archeologieskoj Kommissii 1, 1901 ff., St. Petersburg

    Kratkie Soobenija Instituta Istorii Materialnoj Kut'tury 1, 1939, Moskau. Leningrad

    Materialy po Archeologii Kavkaza 1, 1888 ff., Moskau

    Materialy po Archeologii Rossii 1, 1866 ff., St Petersburg

    Materialy i Issledovanija po Archeologii SSSR 1, 1940 ff., Moskau

    T. M. Minaeva, Pogrebenija s soeniem gor. Pokrovska. Uenye Zapiski Univ. Sa

    ratov 6, 1927, 91-127 mit Taf. 1-6

    Otet Imperatorskoj Archeologieskoj Kommissii 1, 1889 ff., St. Petersburg

    P. Rau, Die Hgelgrber rmischer Zeit an der unteren Wolga. Mitteilungen des Zentral-

    museums d. Aut. Soz. Rte-Republik der Wolgadeutschen 1, 1926 (Pokrovsk 1927)

    P. Rau, Prhistorische Ausgrabungen auf der Steppenseite des deutschen Wolgagebietes

    im Jahre 1926. Mittelungen des Zentralmuseums d. Aut. Soz. Rte-Republik der Wolga

    deutschen 2, 1927 (Pokrovsk 1928)

    Sovetskaja Archeologija 1, 1936 ff., Moskau. Leningrad

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    E I N L E I T U N G

    Seit es vor zwanzig Jahren erstmals gelang, in den Bodenfunden des 5. Jahrhunderts inUngarn und Sdruland eine reiternomadische Komponente auszusondern,1 haben Neufunde und vor allem neuere Untersuchungen ungarischer und sowjetrussischer Archologen die Kenntnis von der archologischen Hinterlassenschaft des Attila-Reiches wesent

    lich vermehrt. Es drfte nun der Zeitpunkt fr eine Synthese und Ausweitung dieser archologischen Forschungsergebnisse gekommen sein, zumal das starke Interesse, welchesdie Historiker seit dem zweiten Weltkrieg der Geschichte der Hunnen und ihres Staatsgebildes unter Attila entgegenbringen, immer mehr danach verlangt, die archologischenQuellen in die historische Interpretation miteinzubeziehen. E. A. Thompson 2 schienendie bisherigen Feststellungen der Archologie so wenig gesichert und so widerspruchsvoll,da er sie nicht bercksichtigen zu knnen glaubte . J. H a r m a t t a , dem die neueste, sehraufschlureiche Untersuchung ber die Struktur des Attila-Reiches verdankt wird,3 hltdagegen ganz mit Recht eine wechselseitige Ergnzung der historischen und archologischen Erkenntnisse fr den einzigen Weg, die Geschichte der hunnischen Herrschaft inEuropa weiter aufzuhellen.

    Das Bild, das die schriftlichen Zeugnisse von der Geschichte der Hunnen und ihrerReichsbildung vermitteln, bindet die Interpretation der Bodenfunde an die historischenTatbestnde und zeichnet scharf die Grenzen des geschichtlich Mglichen vor, innerhalbderer die archologischen Befunde mit eigenen Methoden gedeutet werden mssen. Wasin diesem Rahmen an neuen Erkenntnissen der Archologie fr das allgemeine Geschichtsbild erwartet werden kann, liegt infolge des im Vergleich zur schriftlichen berlieferunganonymen Quellenstoffs nicht auf dem Gebiet der ueren, politischen Geschichte. Eshiee die Archologie in ihren Mglichkeiten berfordern, wenn man von ihr dennochneuartige politisch-historische Ergebnisse ber das Attila-Reich erhoffen wollte.

    Bei einem so komplexen und weitrumigen Gebilde wie dem Herrschaftsgebiet dereuropischen Hunnen kann es sich nicht darum handeln, in seinem Bereich diesen oder

    jenen Bodenfuhd fr die Hunnen im engeren Sinne in Anspruch zu nehmen. Versucheethnischer Zuweisung erscheinen wenig aussichtsreich, wenn man bedenkt, da die inEuropa auftretenden Hunnen in sich keine ethnische oder gar rassische Einheit bildeten.

    So hlt K. Jettmar4 mit guten Grnden auch die Fragestellung fr unberechtigt, ob die1 A. Alfldi, Funde aus der Hunnenzeit und ihre ethnische Sonderung (Archaeologia Hungarica 9, 1932). - J.Werner, Bogenfragmente aus Carnuntum und von der unteren Wolga (Eurasia Septentrionalis Antiqua [Helsinki]7, 1932, 33-58).2 E. A. Thompson, A History of Attila and the Huns (Oxford 1948). Vgl. auch F. Altheim, Attila und

    die Hunnen (Baden-Baden 1951) mit der Rezension von O. Maenchen-Helfen in Gnomon 24, 1952,500-504. Ferner O. Maenchen-Helfen, Huns and Hsiung-nu (Byzantion 17, 1944/45, 222-243).3 J. H a r m a t t a , The Dissolution of the Hun Empire (Acta Archaeologica Acad. Sc ient. H ung. Budapest

    2, 1952, 277-304) . Ferner J. H a r m a t t a , Prface in Archaeologia Hungarica 3 2 , 1953 , 103-112.4 K. Jettmar, Hunnen und Hsiung-nu - ein archologisches Problem (Archiv f. Vlkerkunde 6/7, 1953, 166-180).

    Mnchen Ak. Abh. 1956 (Werner) 1

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    2 Einleitung

    europischen Hunnen mit den Hiung-nu der chinesischen Quellen identisch seien, einProblem, ber das seit dem grundlegenden Aufsatz von F. Hirth ber Wolga-Hunnen

    und Hiung-nu" in den Sitzungsberichten unserer Akademie von 1899 immer wiederdiskutiert worden ist Nach Jettmar kann von einer ethnischen Identitt nicht gesprochenwerden, hchstens von der Wahrscheinlichkeit, da die ausschlaggebende Komponente derHunnen sich in den Verband des Hiung-nu-Reiches der Han-Zeit zurckverfolgen lasse.Denn in der Nomadenwelt der eurasischen Steppen kristallisierten sich immer wieder Neustamme um einen neu entstandenen Machtpol. - Fr die Zeit Attilas besitzen wir das kostbare Zeugnis des Priskos von Panion, der 449 als Mitglied einer ostrmischen Gesandtschaft am Hofe des Hunnenfrsten weilte. Die barbarischen Wrdentrger, mit denen erin Berhrung kam, waren nicht nur hunnischer, sondern vorwiegend germanischer undwohl auch iranischer Herkunft. Ihre mit Gold und Edelsteinen geschmckten Schwerter,Wehrgehnge, Schuhriemen und Zaumzeuge, von denen Priskos berichtet, charakteri

    sierten diese Mnner nicht als Huptlinge verschiedenartiger Stmme und Stammesverbnde, sondern hoben sie als Angehrige einer internationalen, in sich geschlossenen Fhrungsschicht von der Masse der Bevlkerung ab. J. Harmatta1 verglich diese kleineGruppe hoher Wrdentrger, die der Byzantiner nennt, mit den Notabein desSassanidenreiches, den vazurgn ud sdn, deren Zahl einige hundert betragen habenmu. Man wird demnach die vereinzelten frstlichen Bestattungen der Attilazeit zwischenTienan und Wiener Becken, deren Beigaben so auffallend den Schilderungen des Priskosentsprechen, mit der von diesem Autor genannten sozial fhrenden Schicht verbindenmssen, ohne Mglichkeit feinerer ethnischer Differenzierung. Das hie und da anthropologisch festgestellte Indiz mongolischer Rassenzugehrigkeit bringt hchstens fr einigewenige Frstengrber" und einige einfach ausgestattete Grabfunde gewisse Anhaltspunkte.

    Die vor allem von J. Harmatta gegebene Strukturanalyse des Attila-Reiches zeigt einengrundlegenden Wandel in der sozialen Organisation des hunnisch-reiternomadischen Bevlkerungselementes dieser Periode gegenber jenen Verhltnissen, welche noch Ammianus Marcellinus fr das 4. Jh. schilderte. Die alte Gliederung nach Stmmen und Clansunter Fhrung von Huptlingen, am Beginn des 5. Jh. zur Stammeskonfderation weiterentwickelt, wurde durch eine Staatsbildung mit unbeschrnkter Zentralgewalt ersetzt,deren Herrschaftsform auf territorialer Basis den spteren asiatischen Nomadenreichennicht unhnlich war. Trger dieser Zentralgewalt war neben dem Herrscher der kleine,von Priskos als bezeichnete Personenkreis, welcher mit den Huptlingen derFrhzeit kaum noch etwas gemein hatte. Zu der Masse der stlichen Reiterkrieger tratendie unterworfenen, zur Heerfolge verpflichteten Vlkerschaften meist germanischer oderiranischer Nationalitt unter ihren angestammten Knigen oder unter Statthaltern, denengrere Gebiete unterstanden. Trotz aller grundlegenden Vernderungen blieben nachAussage der schriftlichen Quellen bei der politisch und militrisch fhrenden Schicht undden stlichen Reiterkriegern die spezifisch nomadischen Lebensformen erhalten, die demganzen Machtgebilde bis zu seinem Untergang ein reiternomadisches, asiatisches Geprgegaben. ber den stlichen Ursprung dieses Nomadismus herrscht kein Zweifel. Das Viehzchternomadentum der eurasischen Steppen mit seiner fluktuierenden politischen Organisation, der besonderen Kampfesweise seiner Reiterkrieger, seinen auf hochentwickelterPferdezucht beruhenden Wirtschaftsformen und seiner im Tierstil konkretisierten theriomorphen Weltbetrachtung"2 ist zu bekannt, als da es hier erneut charakterisiert werdenmte.

    1

    Acta Arch, 2, 1952, 299 f.2 Arch. Anzeiger 1931, 393 ff. (. Alfldi).

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    Einleitung 3

    Da es sich beim Attila-Reich also um ein nomadisch bestimmtes Machtgebilde handelt -wobei der weitergefate Terminus Attilazeit" fr den Archologen chronologisch die

    erste Hlfte des 5. Jh. bezeichnet - wird man fragen, was die Archologie zur Kenntnis derKulturverhltnisse dieses Gebildes beizutragen vermag. Die gleichzeitigen Bodenfunde alsQuellenstoff stellen Realien dar, die diese Kulturverhltnisse nur indirekt beleuchtenknnen. Denn archologische Sachtypen, Trachteigentmlichkeiten oder Grabsitten undselbst Symbolgut sind zunchst nichts anderes als stumme Zeugnisse einer versunkenenWelt. Erst die Mglichkeit, innerhalb der von der Geschichte vorgezeichneten Grenzen durchAnalyse von Herkunft und Verbreitung auch ihren nomadischen Aspekt zu erfassen, gibtihnen ein anderes, bedeutenderes Gewicht, als es gemeinhin die archologischen Zeugnisse

    buerlicher, auf engem Raum siedelnder Gemeinschaften besitzen. Man darf im vorliegenden Fall also von der Archologie eine Antwort auf die Frage erwarten, wie sich in ihremQuellenstoff die reiternomadische Komponente des Attila-Reiches widerspiegelt, und wassie ber den Strukturwandel aussagen kann, den die historische Forschung fr die Zeit derhunnischen Expansion und Reichsbildung im 5. Jh. erschlossen hat. Das untrglicheZeugnis der Bodenfunde sollte altes nomadisch-asiatisches Erbe von anderen, jngerenAusdrucksformen in einer neuen, dem rmischen Reich benachbarten Umwelt zu scheidenerlauben. Die einzelnen Analysen mten schlielich zu einer gegenseitigen Erhellung derarchologisch fabaren kulturellen uerungen fhren und damit zum Gesamtbild einesreiternomadischen Kulturkomplexes" der Attilazeit. Verwandte Problemstellungen wrden sich bei vergleichender Betrachtung fr ltere Perioden ergeben, in denen der hier vonder schriftlichen berlieferung gesetzte Rahmen fehlt.1 Denn nicht nur in der ersten Hlftedes 5. Jh. n. Chr. traten in der ungarischen Ebene als Folgeerscheinung politischer Umwlzungen neue Grabsitten, Trachteigentmlichkeiten und archologische Formen auf,die vorher dort unbekannt waren und die wesenhaft mit dem Nomadentum der eurasischen

    Steppen verbunden sind. Im Gesamtablauf der Geschichte Ungarns stellt sich ihr jeweiliges pltzliches Erscheinen als Wiederholung hnlicher Vorgnge in gleichen geographischen Rumen dar. Die Ebenen an Thei und Donau waren seit dem skythischen Vorsto im 5. Jh. v. Chr. stets das Ziel stlicher Reiternomaden, ob es sich nun um iranischeJazygen der lteren Kaiserzeit2 oder um die Hunnen, Awaren3 und Altmagyaren4 desfrhen Mittelalters handelt. Die Fremdartigkeit der Hinterlassenschaft dieser Nomadenvon spezifischer Lebensart und Wirtschaftsweise in einer buerlich-europischen Umweltist vor allem von der ungarischen Forschung immer wieder hervorgehoben worden.

    Die entsprechenden Erscheinungen und Sachtypen sollen hier fr die erste Hlfte des5. Jh. n. Chr. zusammengestellt und besprochen werden. In ihrer westlichen Verbreitungknnen sie Hinweise fr den Ausstrahlungsbereich, in gnstigen Fllen sogar fr die fak

    tische Ausdehnung der hunnischen Herrschaft geben. Vor allem aber vermitteln die Zeugnisse nomadischer Lebensform im archologischen Fundstoff der Attilazeit eine Vorstel-

    1 Kimmerier des 8.-7. Jh. und Skythen des 6.-4. Jh. Zur Kimmerierfrage vgl.: S. Gallus u. T. Horvth,Un peuple cavalier prscythique en Hongrie (Diss. Pannonicae 2, 9 [1939]). Jahrb. d. RGZM Mainz1, 1954, 111 ff. (G. K ossa ck ). Voprosy skifosarmatskoj archeologii (Moskau-Leningrad 1952) 112 ff. (. .Je ss en ). - Skythen in Mitteleuropa: M. R os to wz ew , Skythien und der Bosporus (1931) 494 ff. (N. F et

    tich). M. von Roska, Der Bestand der skythischen Altertmer Siebenbrgens (ESA 11, 1937, 167 ff.).. Benadik, Skythsk problm v svtle novch archeologickch nlezu na Slovensku (Arch. Rozhledy 5,1953, 672 ff.).

    2 M. Prducz, Denkmler der Sarmatenzeit Ungarns 1-3 (Arch. Hungarica 25, 1941; 28, 1944 u. 30,1950).

    3

    A. Kollautz, Die Awaren (Saeculum 5, 1954, 129 ff.).4 N. Fettich, Die Metallkunst der landnehmenden Ungarn (Arch. Hungarica 21, 1937)

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    4 Einleitung

    lung, inwieweit nichtnomadische Bevlkerungsgruppen innerhalb des Reiches, wie dieverschiedenen germanischen Stmme, stlich-nomadische Impulse ablehnten, rezipiertenoder verwandelt nach dem Zusammenbruch der hunnischen Macht weiterfhrten. Denn esist sicher, wie dies ja auch aus einer ganz anderen Quellengattung, der germanischen

    Heldensage, hervorgeht, da die Symbiose einer Vielzahl von Vlkern unter hunnischerHerrschaft in ihren Folgen nicht spurlos an diesen Gemeinschaften vorbergegangen ist.Die kulturellen uerungen, die in dieser Studie zur Besprechung gelangen, beziehen

    sich auf nomadische Kampfes- und Lebensweise und auf nomadische Kult- und Glaubensvorstellungen, die mangels schriftlicher Quellen allerdings nicht gedeutet, sondern nur aufGrund von Realien festgestellt und bestimmten Vorstellungskategorien zugeordnet werdenknnen.

    Zur Bewaffnimg der Reiternomaden gehren die stlichen Reflexbgen mit Dreikant pfeilen, die einschneidigen Hiebschwerter und die zweischneidigen Langschwerter mitParierstange, zur Ausstattung des Kriegers ferner der hlzerne Nomadensattel mit inreichen Grabern erhaltenen Goldblechbeschlgen, kostbares Pferdegeschirr und die Na-gaika (Reitpeitsche), die in Ermangelung des Sporns dem Reiter zum Antreiben seinesPferdes diente. Alle diese fr die Ausstattung eines Reiterkriegers charakteristischen Dingefinden sich hauptschlich in den Mnnergrbern der nomadisch bestimmten, sozial fhrenden Schicht des hunnischen Reiches. In den entsprechenden Frauengrbern, die sich

    von den gleichzeitigen germanischen Bestattungen durch fibellose Tracht unterscheiden,sind mit Edelsteinen geschmckte Diademe als Stirnreife von Haube oder Schleier die auffallendsten Beigaben. Groe, aus Bronze gegossene Kessel sind Zeugnisse nomadischerLebensfhrung und wurden nach stlichem Brauch zu sakralen und profanen Zweckenverwendet. Mit Magie, Schamanismus und Glaubensvorstellungen im weitesten Sinnehngen zusammen: an das Schwert gehngte Kugeln oder Scheiben aus Bernstein. Chalcedon, Glas und Bergkristall sicherlich magischer Bedeutung, die Beigabe von meistrituell zerbrochenen Spiegeln ostasiatischen Typs in Frauengrbern, die knstliche Schdel

    deformation und die dekorative Verwendung des Adlermotivs, dem ein bestimmter Symbolgehalt innewohnte. Alle diese Erscheinungen lassen sich ab 400 n. Chr. weitrumigzwischen dem Tienan und Mitteleuropa feststellen und auf ihren Ursprung in den stlichen Steppen zurckverfolgen. Ihr kulturgeschichtlicher Aussagewert liegt begrndeteinmal in der gleichen zeitlich und rumlich fortschreitenden Verbreitung von Ost nachWest und im gemeinsamen Vorkommen innerhalb geschlossener Fundverbnde, zum anderen in ihrer verwandelten, spezifisch attilazeitlichen Ausprgung und in der Verschiedenartigkeit ihres Wirkens auf die nichtnomadische Umwelt.

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    D IE ART IFI ZIE L L E SCHD EL D EFO RMATIO N

    (Mit Fundliste I S. 96-114 und Verbreitungskarten 1 u. 9 auf TAF. 69 u. 73)

    Die Schdeldeformation hat vor allem in der zweiten Hlfte des vorigen Jahrhundertsdie Anthropologen oft beschftigt, wobei anatomische Fragen im Vordergrund standen.Die in der weiten Zone zwischen Sdruland und Burgund in Skelettgrbern angetroffenendeformierten Schdel erregten immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung, zumaldie Vlkerkunde aus Mittel- und Sdamerika mit bemerkenswertem Vergleichsmaterialaufwarten konnte. Man versuchte, die bewut bzw. unbewut erzielte Verbildung desSchdels von den pathologischen Fllen zu trennen, und 1931 fate Eric Jo hn Dingwa llin seiner in London erschienenen groen Untersuchung Artificial Cranial Deformation"zusammen, was die Forschung im Pionierzeitalter der Wissenschaft zu dieser merkwrdigen Sitte in der ganzen Welt zusammengetragen hatte.

    Die planmig erzielte Deformation des Schdels (TAF. 5; 33-34) zu einem nach hintenoben herausgewlbten Turmschdel wurde im Suglingsalter vorgenommen, indem der Kopfdes Suglings ber Stirn, Schlfen und Hinterhaupt mittels einer Binde fest umschnrt wurde (zirkulare Deformation). Die Abplattung des Schdels mit Hilfe eines Brettes bzw.die bei manchen Nomaden beobachtete leichte Schdelverbildung durch Aufschnren desSuglings auf eine hlzerne Tragwiege konnte Dingwall bei den Schdelfunden deseurasischen Kontinents nicht klar von schwacher zirkularer Deformation trennen. Nur dieextremen Flle konischer bzw. zylindrischer Schdel lieen sich eindeutig auf Bindenwickelung im Suglingsalter zurckfhren. Die ltesten Zeugnisse des Brauches aus der zweitenHlfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends auf Kreta, Zypern und in gypten (18. Dynastie)1

    sowie vereinzelte, wohl gleichzeitige Vorkommen in der Kalmckensteppe2 bleiben hierauerhalb der Betrachtung, da vermittelnde Funde des 1. Jahrtausends bis zum Auftretendes Brauches in der Zeit um Christi Geburt bisher nicht bekannt geworden sind. Hippokrates beschrieb die zirkulare Schdeldeformation bei den Bewohnern des sdstlichen Pontusgebietes, wo aber gleichzeitige Skelettfunde des 4. Jh. v. Chr. noch ausstehen. Im Anschlu

    an ihn sieht die Forschung in der Schdeldeformation ein Zeichen von Vornehmheit und Adel, und die vlkerkundlichen Feststellungen an heutigen Primitiwlkern weisen in dieselbe Richtung: Schdeldeformation als Mittel sozialer Rangbezeichnung.3 Ausreichenderscheint diese Erklrung nicht; es gibt sichere Beispiele, bei denen sie nicht zutrifft.

    Die moderne Ausgrabungsttigkeit in der Zeit seit dem ersten Weltkrieg hat gegenberden lteren Funden, auf die sich Dingwall in der Hauptsache sttzte, das Material

    1 E. J. Dingwall, Artificial Cranial Deformation (1931) 32f. u. 102 f. - Zirkulare Deformation wurdeneuerdings an Schdeln aus prkeramischen Schichten (5.-4. Jahrtausend) in Jericho beobachtet: Kosmos51, 1955, 563 (C. Kur th).

    2 Mittelbronzezeitliche Katakombengrber im Manytal und bei Elista: Tallgren-Festschr. (SMYA 45,1945) 75 ff. (F. Hanar) nach SA 4, 1937, 102 ff. (M. I. Artamanov).

    3 E. J. Dingwall 239: The custom is particulary associated with ideas of nobility and aristocracy."

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    6 Die artifizielle Schdeldeformation

    bezglich der Vorkommen von Schdeldeformation im Raum zwischen dem Tienan unddem Genfer See auerordentlich vermehrt. Auerdem erlauben die Fortschritte der Ar

    chologie eine sehr viel bessere historische Auswertung der nun vorliegenden gut beobachteten Funde, als sie noch vor fnfundzwanzig Jahren mglich gewesen wre. Fr die mitteleuropischen Verhltnisse hat die Untersuchung zahlreicher awarischer Grberfelder inder ungarischen Tiefebene endgltige Klarheit darber gebracht, da bei dieser 568 n. Chr.nach Ungarn eingedrungenen mongolischen Bevlkerungsgruppe die knstliche Verbildung des Schdels unbekannt war. Damit scheiden in unserem Zusammenhang die Awarenaus, in denen die Forschung des 19. Jahrhunderts in erster Linie die Trger der Schdeldeformation im europischen Bereich gesehen hatte. Die entscheidende Erweiterung unserer Erkenntnisse wird neuerdings der intensiven archologischen Forschung in derSowjetunion verdankt. Wenn man ihre Ergebnisse bercksichtigt und von einer - nichtimmer ganz einfachen - Sammlung des gesamten publizierten Materials zwischen Tienan

    und Mitteleuropa ausgeht (Fundliste I mit 177 Fundorten), dann ergibt sich, da in diesenweiten Gebieten die Sitte der artifiziellen Schdeldeformation als einheitlicher, zusammen-hngender Komplex anzusehen ist. Der Brauch tritt hier erst in nachchristlicher Zeit aufund verbreitet sich dann whrend eines halben Jahrtausends mit einem chronologischenGefalle von Ost nach West. Diese gegenber Dingwall neue, eine historische Deutungdes Phnomens berhaupt erst ermglichende Feststellung traf im Jahre 1940 der Anthropologe E. V. irov in einem kurzen Aufsatz, der die Beweisfhrung im einzelnen allerdings schuldig blieb.1 Die These von irov, die 1950 von dem sowjetrussischen Archologen K. F. Smirnov wieder aufgegriffen wurde2 und die es am Material zu berprfen,zu beweisen und zu differenzieren gilt, rechnet mit einer Ausbreitung der Sitte von Ostnach West in der Form, da die ltesten Vorkommen in Friedhfen am Flusse Talas imTienan vorliegen, dann sarmatische Grber an der unteren Wolga, in der Ukraine und imNordkaukasus folgen und die gotischen Nekropolen auf der Krim, die frhmittelalterlichenGrberfelder im Nordkaukasus, in Transkaukasien und in Mitteleuropa die jngste Phase

    vertreten. irov nahm an, da diese Aufeinanderfolge sich durch die Bewegung derHunnen erklrt".3

    Von grundstzlicher Bedeutung fr den tatschlichen Nachweis eines Ausbreitungsvorganges in der angenommenen Richtung ist der Befund in der sarmatischen Kulturgruppean der unteren Wolga. Die grzgigen und ausgrabungstechnisch mustergltigen Untersuchungen einer groen Zahl von Kurganen (Grabhgeln) im Gebiet von Saratov, Engels-Pokrovsk und in der Kalmckensteppe durch P. S. Rykov von der Universitt Saratovund durch P. Rau vom Zentralmuseum der ehem. Wolgadeutschen Republik in Engels-Pokrovsk zwischen 1920 und 1935 haben einen so umfangreichen Fundstoff erschlossen,

    wie ihn fr die fragliche Periode kein anderes Gebiet der sdrussischen Steppenzone aufzuweisen hat. Beide Ausgrber haben ihre Ergebnisse hinreichend verffentlicht, so dasie statistisch ausgewertet werden knnen.4 Vor allem die beiden Arbeiten P. Raus aus

    1 E. V. irov, Ob iskusstvennoj deformacii golovy (KS 8, 1940, 81-88).2 KS 34,1950, 97-114.3 A. a. O. 88.4 P. S. Rykov, Suslovskij kurgannyj mogil'nik. Uenye Zapiski Sarat. gos. Univ. (Saratov) 4, 1925, 28

    bis 102. - Ders., Archol. Ausgrabungen u. Arbeiten an der unteren Wolga im Jahre 1928. urnal Nine-Volskogo Inst. kraev. im. M. Gor'kogo (Saratov 1928). - Ders., Otet ob archol. rabotach proizv. v NinemPovoiz'e letom 1929 g. urnal Nine-Volskogo Inst, kraev. im. M. Gor'kogo (Saratov 1929, 41-79). - P. R au,Die Hgelgrber rm. Zeit an der unteren Wolga. Mitt. d. Zentralmus. Pokrovsk i, 1926 (Pokrovsk 1927). -

    Ders., Prhist. Ausgrabungen auf der Steppenseite d. deutschen Wolgagebietes i. J. 1926. Mitt. d. Zentral-mus. Pokrovsk 2, 1927 (Pokrovsk 1928). - Grabungen Raus aus den Jahren 1929-1930 verffentlichte

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    Die artifizielle Schdeldeformation 7

    den Jahren 1926 und 1927 und der leider nur sprlich illustrierte Bericht P. S. Rykovsber die 59 Kurgane des Grberfeldes von Susly-Herzog an der Wolga vermitteln eine klare

    Vorstellung ungebrochener Kulturentwicklung von spthellenistischer Zeit bis ins 4. Jh.n. Chr.1 Da die in diesen Grbern bestattete Bevlkerung zur Gruppe der iranischenSarmaten und in engerem Sinne zu deren stlichstem Zweig, den Alanen, zu rechnen ist,gilt heute als sicher und wird fr die Sptzeit sowohl durch das Zeugnis des AmmianusMarcellinus wie durch chinesische Quellen erwiesen.2 Whrend in der spthellenistischenund in der frhrmischen Zeit die Schdeldeformation an der unteren Wolga vollkommenunbekannt war, wird sie in Mnner- und Frauengrbern der sptrmischen Zeit (3.-4. Jh.)so hufig angetroffen, da Rau von etwa 70% knstlich verbildeter Schdel in typischenGrbern dieser Stufe,3 K. F. Smirnov sogar von 80% spricht.4 Es kann hier also keineRede davon sein, da die Schdeldeformation zur sozialen Rangbezeichnung gedient hat.Unsere Statistik der erweiterten sptsarmatischen Gruppe zwischen adrinsk, Astrachan

    und Tiraspol gibt ber 66 sichere Flle von 36 Fundorten (Liste , 13-55), von denennach den Beifunden keinerlter als das 3. Jh. ist.5 Mit der Nord-Sd-Richtung der Grabschchte ist die Schdeldeformation eines der Hauptmerkmale der sptsarmatischen Stufe(3.-4. Jh.) in den Steppengebieten stlich der Dnjepr-Mndung bis zum Kaspischen Meerund zum Mias. Soweit die Berichte dies beurteilen lassen, handelt es sich dabei nie um extreme, sondern um schwache, aber offensichtlich zirkulare Deformation (vgl. TAF. 34:Blumenfeld u. Bangert). Da die Sitte erst mit der sptrmischen Zeit schlagartig wie eineMode aufkommt, kann man die nach dem anatomischen Befund denkbare unbeabsichtigteDeformation durch Festbinden des Suglings an eine hlzerne Tragwiege mit Sicherheitausschlieen, obwohl sie nach der Lebenshaltung dieser Viehzchternomaden durchausmglich wre. Es kommt also nur Einwirkung von auen in Frage, wobei nach der Entwicklung des archologischen Formengutes die Zeit um 200 n. Chr. als ungefhrer Terminder Rezeption angesehen werden kann. Da, wie sich zeigen wird, smtliche datierbarenVorkommen von Schdeldeformation westlich, nrdlich und sdlich des sarmato-alanischen Siedlungsgebietes jnger als 400 n. Chr. anzusetzen sind, mu man mit irov denAusgangsherd der Schdeldeformation weiter im Osten suchen (vgl. TAF. 69, 1 u. 73).

    Leider lassen sich die sprlichen Vorkommen von Schdeldeformation in Westsibirien(A 9 - A 12) nicht datieren. Der mongolische Schdel von Ust-Tartas in der Barabinsker

    I. V. Sinicyn, materialam po sarmatskoj kul'ture na territorii Ninego Povol'ja. SA 8, 1946, 73-95.-Grabungen B. N. Grakovs in der Ckalover (Orenburger) Gegend vom Jahre 1929 verffentlichte K. F.Smirnov, Sarmatskie pogrebenija junogo Priural'ja. KS 22, 1948, 80 ff.

    1 Daran ist mit Rau, Rykov und Sinicyn gegen K. F. Smirnov (KS 34, 1950, 97 ff.) festzuhalten. Die

    kontinuierliche Belegung des Friedhofs von Susly-Herzog spricht ebenso gegen ins Gewicht fallende Be-vlkerungsverschiebungen wie die allgemeine Entwicklung des archologischen Formengutes. Soweit beiViehzchternomaden berhaupt von Siedlungskontinuitt gesprochen werden kann - Beibehalten derselbenWeidegrnde und Begrbnispltze - scheint sie an der unteren Wolga gegeben zu sein.

    2 Rau 1926, 108 f. - Eberts Reallex. 13 (1929) 105 ff. (M. Ebert). - ESA 7, 1932, 49 f. (J. Werner). -KS 34,1950,108 ff. (K. F. Smirnov) .

    3 Rau 1926, 105 Anm. 1.4 KS 34, 1950, 112.5 K. F. Smirnov (KS 34, 1950, 112) meint mit Hinblick auf Kurgan 3 von Abganer (hier Liste 24 b),

    da die Deformation vereinzelt schon im 1. Jh. n. Chr. auftrat. Die mitgefundene bronzene Annbrustfibelist aber ebenso sptkaiserzeitlich wie die entsprechenden Fibeln von Perino ( 16), Agapovsk ( 18),Bijs-Oba ( 20 a; TAF . 37, 9), Boaro ( 22b; TA F. 37, 14) und Susly-Herzog Gr. 6 u. 42 ( 29). Der

    Fibeltyp, der auch fr die 4. Stufe des Grberfeldes von Ust-Labinskaja (Kuban) charakteristisch ist (

    23, 1951, 199 Abb. 18, 10-11), wurde offensichtlich in den bosporanischen Stdten (Ker: ManadsbladStockholm 1894 Bihang 11 Abb. 17-20) aus westlichen, krftig profilierten Fibeln entwickelt.

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    8 Die artifizielle Schdeldeformation

    Steppe (A 12, vgl. Karte 1 TAF. 69) scheint nach Debec in die sarmatische", d. h. wohlnachchristliche Zeit zu gehren. Es ist auch nicht bekannt, ob und in welchem Ausma am

    Oberlauf des Ob zwischen Barnaul und Bijsk in den Jahrhunderten nach Christi Geburtdie Sitte der Schdelverbildung gebt wurde.1 In Sdsibirien (Minussinsker Becken) wardie Schdeldeformation jedenfalls unbekannt, wie aus dem neuen groen Werk vonC. V. Kiselev ber die Vorgeschichte Sdsibiriens eindeutig hervorgeht.2 Dagegen weisteine vorwiegend mongolische Gruppe im westlichen Tienan (Tal des Talas), am Issyk-Kul-See, im zentralen Tienan (Tal des Naryn) und im Pamir (Alai-Tal) in noch strkeremMae Schdeldeformation auf als die sptkaiserzeitliche alanische Gruppe an der unteren

    Wolga. Aus den Grabungen des finnischen Gelehrten H. J. Heike1 vom Jahre 1898 inTsjung-Tip (Talastal) stammen 5 deformierte Schdel, die in ausgeraubten Kurganen mitsteinverkleideten Katakombengrbern zum Vorschein kamen (Liste I A 8 ) . Der Schdelaus Grab 20 (TAF. 33, 3) gehrt nach dem mitgefundenen cloisonnierten Goldknopf (TAF.

    50, 3), der Bestandteil einer unten zu besprechenden Schwertperle ist (Liste IV C 14), bereits in das 5. J h . Die vier anderen Vorkommen lassen sich nicht datieren. Nicht weit vonTsjung-Tip liegt fluaufwrts das Grberfeld von Kenkol (A 7), in dem A. N. Berntam1938 vier und 1939 acht Kurgane mit Katakombengrbern ausgrub. Die Kurgane von 1938sind bisher noch nicht verffentlicht, ber die Grabungen von 1939 erschien ein kurzerVorbericht,3 als ausreichend publiziert knnen zunchst nur die anthropologischen Materialien gelten.4 Bei den Beigaben fallt die Armut an Metallgegenstnden auf. Die Bronzeschnallen und Silberbeschlge mit Karneol( ?)-Einlagen aus der Grabung 1938 sind unverffentlicht. Die Keramik und die zahlreichen Holzgefe aus den Grbern des Jahres1939 sind ebensowenig scharf zu datieren wie die beinernen Bogenbeschlge (TAF. 36, 3),der hlzerne Sattelaufsatz (TA F. 35 , 1) , die Knochenpfeilspitzen ( T A F . 3 5 , 2-3), der Holz

    tisch (TA F . 3 5 , 5 ) , die wenigen Glasperlen oder die in Kurgan 2 beobachteten eisernenDreikantpfeile. Einzig und allein die in den Kurganen 5, 9 und 10 gefundenen Kleidungsstcke aus blauer und rter chinesischer Seide (TAF. 36, 1-2) geben einen Hinweis auf Beziehungen zum Han-zeitlichen China und damit auf eine Datierung in die Zeit nach ChristiGeburt, da die Seide von Kenkol, wie A. N. Berntam angibt, der Seide aus den durchchinesische Lackschalen um Chr. Geb. datierten Frstengrbern von Noin-Ula bei Urgaentspricht. Wie man nun aber die Funde von Kenkol und Tsjung-Tip ber ein halbesJahrtausend verteilen soll, bleibt ungewi. Die nach Berntam zur Kenkol-Grppe gehrigen Grber von Kyrin usw. (A 1-6) bieten die gleichen Datieruhgsschwierigkeiten(Kyzart A 2 und Burmaap A 4 bargen allerdings ebenfalls chinesische Stoffe) und sindauch nur teilweise ausreichend publiziert. Andererseits ist es aber sicher, da die Knkol-

    Gruppe im Tienan eine neue, fremdartige Erscheinung darstellt, welche dort die vonEuropiden (Pamir-Fergana-Typus) getragene Kultur der vorchristlichen Zeit ( sog. Usuns-ker Stufe) ablste.5 Das zeigen sowohl die Bestattungssitten und Beigaben wie der anthro

    pologische Befund. Neu sind die Katakomben", d. h. Grber mit Dromos und mit durch

    1 M. P. Grjaznov macht in seinem Bericht ber die Untersuchungen bei Reka keine diesbezglichenAngaben (KS 26, 1949, 115 f. ).

    2 S. V. Kiselev, Drevnjaja istorija Junoj Sibiri (Moskau 1951).3 A. N. Berntam, Kenkol'skij mogil'nik. Arch. Ekspedicii Ermitaa (Leningrad 1940) 32 S., 36 Taf.

    Ich habe der Prhist. Abteilung des Naturhist. Museums Wien fr die leihweise berlassung des dortigenExemplares zu danken. - Vgl. auch Antiquity 14, 1940, 416 f. (H. Field u. E. Prostov).

    4 V. V. Ginzburg u. E. V. irov, Antropologieskie materialy iz Kenkol'skogo katakombnogo mogilnikav doline r. Talas, Kirgizskoj SSR. Sbornk Muzeja Antropologii i Etnografii (Moskau. Leningrad) 10, 1949,

    213 ff.5 B er n tam , Kenkol 29 u. ders. , MIA 26, 1952, 60 ff.

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    Die artifizielle Schdeldeformation 9

    Steine verschlossener Grabnische (T A F . 35, 4) , und die in Kenkol so auffllige gemeinsameBestattung von Mann und Frau in einem Grabe, die wohl mit Nachbestattung des zuletzt

    Grabung 1938

    Wenn man die Bestimmung der Rassenzugehrigkeit durch die beiden sowjetischenForscher als gegeben annimmt - woran zu zweifeln der Archologe von sich aus keinenAnla hat -, dann ergeben sich daraus einige sehr interessante Folgerungen. Einmal zeigtsich bei berwiegen des mongolischen Einschlags ein Verschmelzungsvorgang mit euro- piden Bevlkerungselementen (Pamir-Fergana-Typus) und ein schwacher sdsibirischerEinschlag. Zum anderen ist die Schdeldeformation bei beiden Geschlechtern hundert

    prozentig gebt worden, und zwar in der Form der zirkularen Deformation vom leichtenStadium bis zur konischen Verbildung. Die konisch deformierten Schdel zweier Kinder

    1 A. a . O . 224-244.Mnchen Ak. Abh. 1956 (Werner) 2

    Kurgan 54

    Kurgan 55

    Kurgan 56Krgan 57

    Grabung

    Kurgan 2

    Kurgan 5Kurgan 6

    Kurgan 7

    Kurgan 8Kurgan 9

    Kurgan 10

    MF

    MM

    MFF

    deformiertdeformiertdeformiertdeformiert

    schwach deformiertschwach deformiertkonisch deformiert

    1939

    MF

    MMF

    M

    F

    M

    M

    F

    M

    F

    konisch deformiert

    konisch deformiert

    konisch deformiert

    leicht deformiert

    leicht deformiert

    (20 Monate) konisch deformiert

    (12 Monate) konisch deformiert

    leicht deformiert

    leicht deformiert

    unbestimmbar

    leicht deformiert

    konisch deformiert

    leicht deformiert

    leicht deformiert

    Im Dromos dieses Kurgans (10) :

    M (2 Individuen)

    mongolisch-europide Mischung

    mongolisch

    mongolisch

    mongolisch

    europidmongolisch

    mongolisch

    mongolisch-europide Mischung

    mongolisch-europide Mischung

    mongolisch

    europid

    mongolisch-europide Mischung

    mongolisch-sdsibirische Mischungmongolisch

    mongolisch-sdsibirische Mischungeuropidmongolisch-europide Mischungmongolisch

    mongolisch-europide Mischung ohneSpuren von Deformation.

    Verstorbenen zu erklren is t. Neu sind aber vorallem das Dominieren des im Tienan vorherunbekannten mongolischen Bevlkerungselementes und die damit verbundene Schdel-deformation. V. V. Ginzburg und E. V. i rov haben das anthropologische Material vonKenkol (Grabungen 1938 und 1939) analysiert und an 13 Mnnern, 9 Frauen und 2 Kindern folgendes festgestellt (M = Mann, F = Frau, = Kind) :1

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    10 Die artifizielle Schdeldeformation

    von 12 bzw. 20 Monaten im Kurgan 6 zeigen die Verbildung im Suglingsalter an (vgl.auch Burmaap A 4 ) . Besonders merkwrdig ist die Mitbestattung zweier beigabenloserMnner mit normalen Schdeln im Dromos des Kurgans 10. Ginzburg-irov meinen,da die Mongolen von Kenkol nicht mit zentralasiatischen, sdsibirischen, tunguso-mandschurischen, nordchinesischen oder tibetanischen Mongolen zusammenhngen, sondernmit den trkischen Uiguren Ostturkestans verwandt wren, woraus sie eine stliche Herkunft der Leute der Kenkol-Gruppe folgern.1 A. N. Berntam hlt die Kenkol-Gruppeaus historischen Erwgungen heraus fr hunnisch,2 eine Meinung, die auch C. V. Kiselevund N. J. Merpert in ihrem Verdikt ber das in Deutschland unzugngliche Buch von

    A. N. Berntam, Oerki po istorii Gunnov (Moskau. Leningrad 1950) nicht in Zweifelzogen.3 Die These Berntams hat viel fr sich, man sollte sie aber zunchst nur als Ar-

    beitshypothese verwenden, bis ber die Datierung, Entwicklung und Verbreitung derKenkol-Gruppe grere Klarheit herrscht. Der anthropologische Befund und die rm

    lichen Beigaben der bisher verffentlichten Grber gengen vorlufig noch nicht fr eineeindeutige historische Interpretation. Es steht nur fest, da im Tienan die Gruppe alslteste mongolische Schicht im 1. J h. n. Chr. neu auftaucht und da sie, wie die chinesischeSeide zeigt, ber stliche Beziehungen verfgt. Aber gerade die Schdeldeformation ist einHindernis, Kenkol so direkt mit stlichen mongolischen Gruppen der Zeit um Chr. Geb.zu verbinden, wie Berntam dies gern mchte. Es ist K. Je ttmar in der Feststellung beizupflichten, da im Altai die Kenkolgruppe gefehlt haben msse.4 Weder die Mongolen inden frstlichen Kurganen von Pazyryk (Altai)5 und ibe (Altai),6 noch diejenigen Transbaikaliens (Ilmovaja Pad) und der Nordmongolei (Noin-Ula),7 die mit den Hiung-nu derZeit um Chr. Geb. zusammengebracht werden, kennen die Schdeldeformation.8 Beimheutigen Stande der Forschung sind Flle von Schdeldeformation aus archologischen

    Fundkomplexen stlich der Kenkol-Gruppe jedenfalls unbekannt. Die deutschen Grabungen in der Oase Turfan haben ebensowenig entsprechende Funde erbracht wie die Forschungen Sir Aurel Steins in Ostturkestan.9 Nach chinesischen Quellen war Kopfabplattung im 7. Jh. n. Chr. in den ostturkestanischen Oasen Kua und Kagar verbreitet. 10

    Schdelfunde dieser Zeit sind aber nicht bekannt. Dasselbe gilt fr Korea und die Mandschurei in der Han-Zeit.11 Da die archologischen Zeugnisse stlich des Tienan und Pamir

    1 A. a. O . 264 f.2 Ber n tam, Kenkol (1940) u. der s. , MIA 26, 1952.3 SA 17, 1953, 320-326. Zustimmend auch K. F. Smirnov in KS 34 , 1950, 103 . - Dank der Hilfsbereit-

    schaft A. J. Brjusovs (Moskau) wurde mir whrend des Druckes die Arbeit Berntams zugnglich, dieim wesentlichen eine historische Untersuchung ohne Bekanntgabe neuen archologischen Materials darstellt.

    4 Bull . Mus. Far Eastern Antiquities Stockholm 23, 1951, 207.5 Vgl. K. Je tt mar in Bull. Mus. Far Eastern Antiquities 2 3 , 1951, 172 ff. - S. I. Ru denko, Der zweite

    Kurgan von Pasyryk (Berlin 1951). - Fur eine Datierung in die Zeit um Chr. Ceb. sprechen sich neuerdingsaus S. V. Kiselev u. K. F. Smirnov in SA 19, 1954, 333.

    6 Wiener Prhist. Zeit sehr. 15, 1928, 120 ff. (M. P. Grjaznov). Dolichokephaler mnnlicher Schdel,mongolisch-tungusisch: G. F. Debec, Paleantropologija SSSR (1948) 139-141.7 SA 8, 1946, 62 ff. ( G . P. Sosnovskij).8 G. F. Debec a. a. 0. 119 ff.: mongolisch-palosibirisch", meist brachykran.9 H. Kl aatsch, Morphol. Studien zur Rassendiagnostik der Turfanschdel. Ab h. Pre u. Akad . phys. -

    mathem. Kl. 1912, 3 (18 europide u. mongolische Schdel). - A. Keith, Human Skulls from Ancient Ce-meteries in the Tarim Basin. Journ. Anthr. I ns t. of Great Britain 59 , 1929, 149-180 (5 Schdel der erstenJahrhunderte n. Chr. ).

    10 Vgl. W. Eberhard, Die Kultur der alten zentral- und westasiatischen Vlker nach chinesischen Quellen.Zeitschr. f. Ethn. 7 3 , 1941 (1943) 233 Nr . 21 (Kua) und 228 Nr . 33 (Kagar) sowie S. 254. Quelle: Hsin-T'ang-shu.

    11 W. E b er har d, Kultur u. Siedlung der Randvlker Chinas (1942) 16, 21 u. 27. Quelle: Hou. Han.

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    Die artifizielle Schdeldeformation 11

    ausblieben, versuchte K. F. S mirnov , die Sitte der Schdeldeformation auf die iranischenKuan, die Eroberer Baktriens und Nordindiens in der Zeit um Christi Geburt, zurckzu

    fhren.1

    Er sttzte sich dabei auf S. P. Tolstovs Beschreibung der Tetradrachmen desHeraos, auf deren einer Seite das Brustbild des Herrschers mit ausdrucksvollen starkenscharfgeschnittenen Gesichtszgen und knstlich deformiertem Schdel (ein in sarmati-scher Zeit in den Steppen weit verbreiteter Brauch) dargestellt ist".2 Heraos war der Vorgnger und wohl auch der Vater des Kugula Kadphises, des eigentlichen Begrnders derKuan-Dynastie, und lebte im letzten Viertel des 1. Jh. v. Chr. 3 Aber weder seine Tetradrachmen4 noch die Prgungen seiner Nachfolger5 geben die Kuan-Herrscher mit deformiertem Schdel wieder. Wie fr die Kuan, so entfallen die numismatischen Zeugnisseauch fr ihre Nachfolger in der Beherrschung Nordindiens, die Chioniten (Hephtaliten)oder so g . weien Hun ne n. Bereits 1898 hatte der Ungar Ch r . v. Ujfalvy auf Silbermnzen nordindischer Hephtalitenknige des 5. J h . Schdeldeformation zu erkennen ge

    glaubt und diese mit der entsprechenden Sitte bei den vermeintlich verwandten Attila-Hunnen in Verbindung gebracht.6 Auch hier haben die Forschungen R. Ghirshmans jetztKlarheit geschaffen. So haben die Chioniten, die von Prokop ( I , 3) sehr prononciert alsweie Hunnen" bezeichnet werden, nichts mit den europischen Hunnen zu tun und dieMnzportrts ihrer Knige zeigen zwar eine hohe Haube, aber keine Schdeldeformation.7

    Es bleibt also zunchst dabe i, da die Schdeldeformation in Mittelasien auf die mongolische Kenkol-Gruppe im Tienan und Pamir beschrnkt ist und da es eine Zukunftsaufgabeder Forschung sein wird, mit der Herkunft der Kenkol-Gruppe auch die Herkunft der mit ihrso eng verknpften Schdelverbildung zu klren. So unsicher die Anhaltspunkte fr eineschrfere Datierung auch sind, soviel kann doch als sicher gelten, da die Kenkol-Gruppeund damit die Schdeldeformation im Tienan und Pamir auftrat, lange bevor sich derBrauch bei den Sarmaten-Alanen nrdlich des Kaspischen Meeres und an der unteren

    Wolga ausbreitete. In den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten, als bei den Sarmaten die Verbildung des Schdels noch nicht gebt wurde, haben die Mongolen derKenkol-Gruppe die Deformation offensichtlich bereits mit einer Ausschlielichkeit vorgenommen, welche die Sarmaten auch in der jngeren Kaiserzeit nicht erreichten. Wenndamit auch vorderhand das Dunkel ber den Ursprung der Deformationssitte in Zentral-asien noch nicht gelichtet werden kann, so bleiben doch zwei sehr wesentliche Ergebnisse:

    1. Die Schdeldeformation war in der Periode, in der sie in unserem Zusammenhangarchologisch zuerst fabar wird, an eine mongolische Bevlkerungsgruppe gebunden.

    2. Das pltzliche Auftreten des bis dahin unbekannten Brauchs um 200 n. Chr. bei deniranischen Sarmaten-Alanen der Steppengebiete zwischen Mias, Kaspischem Meer

    1 KS 34 , 1950, 113.2 S. P. Tolstov, Auf den Spuren der altchoresmischen Kultur (Po sledam drevnechorezmijskoj civili-

    zacii) Berlin 1953, 162.3 ber ihn zuletzt R. Ghirshman, Bgram. Recherches archol. et hist. sur les Kouchanes. Mm. Dlg. archol.franaise en Afghanistan 12 (Kairo 1946) 109 ff.4 Eine Groaufnahme gibt R. Ghi rs hm an a. a. O . Taf . 23 , 5.5 So etwa Kema-Kadphises, mit hohem Helm: Num. Chronicle Ser. 3, 12 (1892) Taf. 5 oder R. B. Wi-

    thehead, Cat. of Coins in the Panjab Museum, Lahore Bd. 1 Indo-Greek Coins (Oxford 1914) Taf. 16.6 C h . de Uj f a lv y , Mmoire sur les Huns blancs (Hephtalites de l'Asie centrale, Hunas de l'Inde) et

    sur la dformation de leurs crnes. Anthropologie (Paris) 9, 1898, 395 ff.7 R. Ghirshman, Les Chionites-Hephtalites. Mm. Dlg. franaise en Afghanistan 13 (Kairo 1948)

    115 ff. Die Silbermnzen auf Taf. 2, 10-13. - Auch zwei Schdel aus chionitischen Skelettgrbern der Zeitum 500 n. Chr. von Setq-Abad bei Begram nrdlich Kabtil mit drei mitgefundenen chionitischen Mnzensind nicht deformiert (S . 1 ff. ).2*

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    12 Die artifizielle Schdeldeformation

    und Dnjeprmndung kann mit irov nur auf einen Einflu der stlich benachbartenmongolischen Kenkol-Gruppe zurckgefhrt werden. Die Sitte der Schdeldeformationkam aus dem Osten zu den Sarmaten. Das lt auch andere stliche Einwirkungenauf die sptsarmatische Kultur erwarten, denen an anderer Stelle nachgegangen

    werden soll.Im 3. u. 4. Jh. blieb nach dem heutigen Stande der Forschung die Schdeldeformation

    in ihrer Verbreitung auf die Kenkol-Gruppe und auf das sarmatisch-alanische Gebiet dersdrussisch-nordkaspischen Steppen beschrnkt. Sie erreichte im Westen den Unterlaufdes Dnjepr, findet sich gelegentlich bei den in die Krim eingesickerten Sarmaten (Bel'bekB 55), griff aber weder auf das von Sarmaten bewohnte Kubangebiet und Kaukasusvorland noch auf die Kulturgruppe der Grabstttenfelder" (Polja pogrebenij) in der Ukraineber. Diese jngere ernjachov-Romaki-Gruppe der sptrmischen Kaiserzeit1 mit ihrenaus Brand- und Skelettgrbern gemischten groen Nekropolen, die man einer Ackerbau

    treibenden Bevlkerung zuschreiben mu,3 ist krzlich von J. V. Kucharenko rumlich gegen die in Kurganen bestattenden nomadischen Sarmaten des Sdens abgegrenzt

    worden.3 Schdeldeformation fehlt in diesen Grbern absolut,4 die eine Ausnahme in demnamengebenden Grberfeld von ernjachov bei Kiev (B 53) besttigt nur die Regel.

    Sehr auffallig ist das Fehlen der Schdelverbildung in der reichen sptkaiserlichen sarmatischen Kulturgruppe des Kubangebietes,6 vor allem auch in dem groen, bis ins 4. Jh.hinein belegten sarmatischen Grberfeld von Ust-Labinskaja, 65 km stlich Krasnodar.6

    Erst die umwlzenden Ereignisse, die im spten 4. und im 5. Jh. die seit spthellenistischer Zeit kontinuierliche Entwicklung der sarmatisch-alanischen Kultur unterbrachen,gaben den Ansto zu einer schlagartigen Ausbreitung der Schdeldeformation nach Westund Sd. Die Kurgane mit Brandbestattungen, die einzelnen reich ausgestatteten Schacht

    grber in der Nhe von Flulufen, das Auftreten zahlreicher neuer archologischer Formen und vor allem das Verschwinden der herkmmlich ausgestatteten sarmatisch-alanischen Kurgane aus den Steppengebieten sind die archologischen Indizien eines tiefgreifenden Wandels, der von der Forschung einhellig auf den von Ammian bezeugten Vorsto derHunnen zur Wolga und zum Don zurckgefhrt wird.7 Die Sitte der Schdeldeformationist auch im 5. Jh. in den Wolgasteppen belegt, wie die Kurgane von ipovo (C 56; TAF. 6,B-TAF. 8) und Engels-Pokrovsk 36 (C 60; TAF. 46, 1-4) zeigen.8 Neben diese Funde, die sichnoch aus der sptalanischen Entwicklung ableiten lassen, tritt das Kriegergrab von Pokrovsk-Voschod (C 59; TAF. 40), auf dessen Bedeutung unten in anderem Zusammenhang eingegangen wird, und der leider noch unverffentlichte Grabfund von Ilovatki imKr. Stalingrad mit einem deformierten Schdel mongolischer Rassenzugehrigkeit (C 61),

    1

    Vgl. Mainzer Zeitschr. 1, 1906, 42 ff. (P. Reinecke) u. E. Sturms, Das Problem der ethnischen Deutung der kaiserzeitl. Grberfelder in der Ukraine. Zeitschr. f. Ostforschung 2, 1953, 425 ff.

    2 Die ethnische Zugehrigkeit dieser Gruppe (slawisch oder gotisch ?) wird erst beurteilt werden knnen,wenn die sowjetische Archologie die Materialedition und die regionale, chronologische und trachtgeschichtliche Analyse dieser Grberfelder vorgelegt hat.

    3 J. V. Kucharenko, K voprosu o slavjano-skifskich i slavjano-sarmatskich otnoenijach. SA 19, 1954,111 ff.

    4 J. V. Kucharenko a. a. O. 119.5 Vgl. N. I. Veselovskij, Kurgan y Kubanskoj oblasti v period rimsk. vladyestva na Severnom Kavkaze.

    Trudy 12. Arch. S'ezda Charkov 1902 (Moskau 1905) 341 ff.6 N. V. Anfimov, Meoto-sarmatskij mogil'nik u Stanicy Ust-Labinskoj. MIA 23, 1951, 155 ff.7 J. Werner in ESA 7, 1932, 43 ff., Alfldi 1932, 58 ff. und K. F. Smirnov in KS 34, 1950, 114 u.

    SA 17, 1953, 138.8

    Die Arbeit von I. V. Sinicyn, Arch. Raskopki na territorii Ninego Povol'ja, Saratov 1947, die nachSmirnov SA 17, 1953, 138 weiteres hierhergehriges Material enthalten mu, war mir nicht zugnglich.

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    Die artifizielle Schdeldeformation

    1 SA 17, 1953 , 138.2 MIA 2 1 , 1951, 298 f. Zustimmend K. F. Smir nov SA 17 , 1953, 141.3 Rau 1926, 109 und K. F. Smi rnov in KS 34 , 1950, 114.4 L. Bartucz in Diss. Pann. 2, 10 (Laureae Aquincenses 1, 1938) 8 ff. u. J. Nemeskri in Acta Archaeol.

    Acad. Hung. 2, 1952, 223 ff.5 M. P r d uc z , Denkmler d. Sarmatenzeit Ungarns 1-3 (1941-1950).

    13

    den K. F. Smirnov1 direkt als hunnisches Grab bezeichnet hat. Da nun nicht mehr nursarmatisch-alanische Bevlkerungselemente als Trger der Deformationssitte anzusehensind, zeigt auch das interessante Mnnergrab von Ufa 1946 (C 58; TAF. 39, 11-15).

    Eine Folge der Vernderungen in den Steppengebieten ist unzweifelhaft das ab 400n. Chr. massiert feststellbare Vorkommen der Schdeldeformation in den Tlern desNordkaukasus und in Dagestan (C 70-87; vgl. TAF. 47). Hier liegt nicht die bernahmeeiner in den Steppen beheimateten Sitte durch die dortige Bevlkerung vor, sondern, wieT. M. Minaeva klar erkannte,2 die Zuwanderung alanischer Gruppen aus der Steppe insGebirge als Folge des hunnischen Vorstoes. In den unwegsamen Kaukasustlern lebtedie alanische Kultur weiter.3 In den seit jeher von Sarmaten bewohnten Landstrichen amunteren Kuban und an der Pontuskste gibt es im 5. Jh. dagegen nur vereinzelte Flle

    von Schdeldeformation (C 68 Borisovo und C 69 Pakova Stanica). Die Vorkommen vonSchdelverbildung aus den Grberfeldern von Panticapaeum-Ker (C 66; TAF. 34), Pha

    nagoria (C 67) und Chersonesos (C 65) auf der Krim und der Halbinsel Taman sind, soweit sie sich datieren lassen, nicht lter als das spte 4. Jh., d. h. als die Zeit, in der dieseStdte unter hunnische Herrschaft gerieten. Wren die vor dem ersten Weltkrieg vonV. korpil ausgegrabenen Kerer Katakomben ausreichend verffentlicht, so wrde mandas erste Erscheinen der barbarischen Schdeldeformation in der Hauptstadt des bosporanischen Reiches zeitlich wohl etwas genauer fassen knnen.

    Whrend dem Verfasser aus den sdrussischen Steppengebieten Flle von Schdeldeformation, die jnger als das 5. Jh. anzusetzen wren, bisher nicht bekannt gewordensind, ist es sicher, da die Sitte im Nordkaukasus (C 70-87) und - davon abhngig - inder Gegend von Tiflis (D 88-91) noch lnger bei den Alanen-Osseten weiterlebte. Ebensosteht es auf der Krim, wo man es nun allerdings nicht mit einer iranisch-sarmatischen oder

    mongolischen, sondern mit gotischer Bevlkerung zu tun hat. Die nicht vor der zweitenHlfte des 5. Jh. einsetzenden krimgotischen Grberfelder bei Jalta (E 92 Suuk-Su zuTAF. 41, 4-6, E 93 Aluta, E 94 Gurzuf) und bei der gotischen Hauptstadt Doros-EskiKermen (E 95) erbrachten fr das 6. und frhe 7. Jh. eine Reihe von Schdelverbildungen,die aber kaum ber 10% der insgesamt Bestatteten hinausgehen. Wie im Nordkaukasus

    verteilen sich die Flle gleichmig auf Mnner und Frauen.Ohne es statistisch verdeutlichen zu knnen, ergab sich bei der Sammlung des russi

    schen Materials der Eindruck, da die extreme konische Deformation, die in der Frhzeitnur in der Kenkolgruppe belegt ist, erst nach 400 n. Chr westlich des Ural blich wurde.Die Schdel von ipovo (C 56), die Masse der nordkaukasischen Schdel und die Schdel

    von Chersonesos, Ker (TAF. 34, C 66c) und der krimgotischen Grberfelder sind extrem,

    die sptsarmatischen dagegen nur leicht deformiert.In Mitteleuropa gehren die ltesten Flle von Schdeldeformation in dieselbe Zeitwie im Nordkaukasus und den Krimstdten, d. h. in die erste Hlfte des 5. Jh. Die ungarische Forschung4 hat dieser Sitte besondere Aufmerksamkeit zugewandt, so da auerhalb der Sowjetunion nur in diesem Lande verlliche moderne anthropologische Bestimmungen vorliegen. Zunchst ist zu bemerken, da in den sarmatischen Grberfelderndes 4. Jh. zwischen Thei und Donau die Schdeldeformation vllig unbekannt ist. 5 Sie

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    14 Die artifizielle Schdeldeformation

    tritt erst in einem archologischen Milieu auf, das dem der sdrussischen Funde von ipovo,Ufa und Pokrovsk-Voschod (C 56-59) entspricht und das dementsprechend mit der Periodeder hunnischen Herrschaft auf ungarischem Boden verbunden wird. In reiternomadischeZusammenhnge der ersten Hlfte des 5. J h . gehren die Mnnergrber von Szekszrd(K 110; TAF. 5, 1 u. 6 4 , 13), Gyngsapti (K 119; TAF. 4 1 , 7-10) und Szirmateseny-Szir-mabeseny(K 120; TAF. 4 2 , 1-8), die nach der anthropologischen Bestimmung (mongolisch bzw. mongolischer Einschlag) als hunnisch zu bezeichnen sind. Ihre Beigabensttzen, wie unten gezeigt werden soll, eine solche Zuweisung. Die drei ungarischen Grberbeweisen jedenfalls, da die europischen Hunnen der Attilazeit die Sitte der Schdeldeformation bten. Aber diese Sitte herrschte bei den in den Donauraum eingedrungenenmongolischen Bevlkerungselementen nicht mit solcher Ausschlielichkeit wie in derKenkol-Gruppe des Tienan und Pamir. Denn die gleichzeitigen Schdelfunde mit mongolischen Rassenmerkmalen von Wien-Simmering,1 Stre bei Pietany,2 Gyr-Raab (zu

    K 122) und Adony (zu K 123) zeigen keine Spuren von Verbildung. Auffllig ist das Vorkommen von deformierten Schdeln in Grberfeldern, welche innerhalb der Ruinen spt-rmischer Kastelle an der pannonischen Grenze angetroffen wurden. Es sind dies donauaufwrts die Funde von Adony (K 123), Gyr-Raab (K 122), O-Szny-Brigetio (K 118;TAF. 34) und Deutsch Altenburg-Carnuntum (L 134). Auch das Kindergrab von Keszthely-Fenkpuszta (K 124) gehrt in diese Zusammenhnge, denn es stammt aus einer Nekro

    pole bei der befestigten sptrmischen Siedlung Mogentianae am Plattensee.3 Das Aufsuchen sptrmischer Befestigungsanlagen in der Attilazeit durch nichtrmische Bevlkerungsgruppen lt sich noch durch weitere archologische Indizien belegen und wirdunten S. 92 f. zusammenfassend besprochen.

    Flle von Schdeldeformation aus der ersten Hlfte und der Mitte des 5. Jh. liegen auch

    aus dem angrenzenden Niedersterreich (L 130-133) und Sdmhren (M 139-144) vor.Da moderne anthropologische Bestimmungen fehlen, bleibt unbekannt, inwieweit mandabei mit einer mongolischen Komponente und mit echtem hunnischen Einschlag rechnenkann. Das Mnnergrab von Hobersdorf (L 133a; TAF. 11) ist in dieser Hinsicht besondersverdchtig. Die nicht verbildeten Mongolenschdel von Wien-Simmering und Stre beiPietany (s. oben) zeigen jedenfalls, da die Hunnen in diesen Gebieten ihre Spuren hinterlassen haben. Im Vergleich zu Ungarn ist die betrchtliche Zahl von Frauengrbern mitdeformierten Schdeln bemerkenswert, unter denen diejenigen von Atzgersdorf (L 130;TAF. 6, A ) , Grafenwrth (L131) , Laa an der Thaya (L 132; TAF. 9-10) und die mhrischenvon Velatice (M 144) germanisch sein drften. Laa an der Thaya (TAF. 9-10) ist austrachtgeschichtlichen Grnden - Bgelfibelpaar und groe Grtelschnalle - sicher germanisch und nicht spter als die Mitte des 5. Jh . Bei den donaulndischen Frauengrbernmit Deformation mu man das Fehlen anthropologischer Begutachtung besonders bedauern. Denn da die Sitte der Schdeldeformation whrend. des 5. J h . auch auf germanische Volksgruppen im Donauraum bergegriffen hat, beweisen alle jene Grabfunde,die mit eindeutig germanischen Beigaben der Zeit um und nach 500 ausgestattet sind. Essind dies einmal die vier langobardischen Frauengrber von Wien-Mariahilferstrae (L 137;TAF. 3 4 ) , Wien-Salvatorgasse (L 13 6), Nikitsch im Burgenland (L 138) und Polkovice in Mhren (M 145; TAF. 4 3 , 5-9), ferner die 5 Schdel (davon zwei sicher weiblich) ausdem langobardischen Grberfeld von Velatice bei Brnn (M 144). Diese Funde gehren zurlangobardischen Hinterlassenschaft vor der Abwanderung des Stammes nach Italien

    1 Siehe unten S. 44. Der anthropologische Befund: E. Geyer in Wiener Prhist. Zeit sehr. 19, 1932, 259 ff.2

    Siehe unten S. 21. Der anthropologische Befund: J. Mal in Obzor Praehist. 9, 1930/35 (1936) 27 ff.3 Vgl. A. Alfldi, Der Untergang d. Rmerherrschaft in Pannonien 2 (1926) 31 ff.

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    (568 n. Chr.). Dann gibt es aber auch eine groe Zahl von Deformationen in den gepidischenGrberfeldern des 6. Jh. an der Thei und in Slawonien: Oradia-Arad (G 104; TAF. 5, 4),

    Elek (G 105), Jakovo (H 108), Kis-Zombor (K 126), Hdmezvsarhely-Gorzsa (K 127),Szentes (K 128) und Gyula (K 129). Im ganzen kommen 39 verbildete Schdel aus diesenmit Sicherheit gepidischen Nekropolen, in Kis-Zombor sind es 21 von 63 geborgenenSchdeln. Diese Zahlen sprechen fr eine starke Verbreitung der Deformationssitte beiden Gepiden, und zwar nach L. Bartucz 1 bei Mnnern und Frauen. In den awarischenGrberfeldern Ungarns (nach 568) fehlt dagegen trotz der berwiegend mongolischenRassenzugehrigkeit (Bartucz) jede Spur von Kopfabplattung.

    Aus germanischen Grberfeldern Mittelbhmens sind 5 Flle von Schdeldeformation bekannt geworden (N 146-149), davon vier sicher bei Frauen. Erstaunlich gro ist dieZahl der Schdelverbildungen im thringischen Siedlungsgebiet Mitteldeutschlands, 14Flle von 12 Fundorten (O 150-161), samt und sonders Frauen, deren Grablegung um

    500, sptestens in der Mitte des 6. Jh. (Grofahner O 158) erfolgte. Frh nach den Beigaben (um die Mitte des 5. Jh.) ist das Frauengrab von Hedersleben (O 150; TAF. 12, A).Einige der thringischen Frauengrber mit Turmschdeln wie Ltzen Grab 2 (O 153)oder die beiden Grber von Obermllern (O 154; TAF. 33,4) und Grofahner (O 158)

    waren mit Schmucksachen aus Edelmetall ausgestattet, fallen dabei aber nicht aus demblichen Rahmen merowingischer Frauengrber dieser Zeit heraus. Aus den Beigabenkann daher nicht geschlossen werden, da die Sitte der Schdeldeformation der sozialfhrenden Schicht, etwa dem thringischen Adel, vorbehalten gewesen wre. Eine moderneanthropologische Bearbeitung der thringischen Flle von Deformation steht ebenso aus

    wie die des tschechoslowakischen und des sterreichischen Materials.

    Bei der groen Zahl der in Sd- und Westdeutschland und den angrenzenden Gebieten

    ausgegrabenen Reihengrberfelder der Bajuwaren, Alamannen und Franken kann manmit Bestimmtheit sagen, da diese germanischen Stmme die knstliche Verbildung desKopfes im 5. und 6. Jh. nicht gebt haben. Die beiden heute verschollenen frnkischen

    Vorkommen (Meckenheim P 162 und Niederolm P 164; TAF. 42, 9-15) und der Frauenschdel aus dem alamannischen Grberfeld von Heilbronn (P 165; TAF. 34) sind Ausnahmen, vergleichbar dem zweihundert Jahre lteren Vorkommen von ernjachov beiKiev (B 53). Man knnte sie am ehesten mit der Einheirat stammesfremder Frauen vielleicht thringischer Volkszugehrigkeit erklren. Das systematisch untersuchte Skelettmaterial aus merowingischen Reihengrberfeldern ist im brigen so umfangreich, da weitere Flle von Schdeldeformation der Forschung unbedingt zur Kenntnis gelangt wren. Einen Sonderfall stellt der knstlich deformierte Schdel aus dem sptrmischenGrberfeld von Straburg dar (P 166). Er ist nach der Grabrichtung der Bestattung sicher

    vormerowingisch und kann eigentlich nur mit hunnischen oder alanischen Kontingentenim sptrmischen Heer in Verbindung gebracht werden. Auch dieser Schdel ist leideranthropologisch noch nicht bearbeitet.

    Im Vergleich zur Fundsituation bei Alamannen und Franken berrascht die Zahl von9 deformierten Schdeln aus 8 Fundorten im burgundischen Siedlungsgebiet an GenferSee und Rhne (Q 167-174; TAF. 34). Alle diese Schdel stammen aus burgundischenReihengrberfeldern, zu keinem sind allerdings datierende Beifunde bekannt geworden;anthropologisch im Sinne der ungarischen und russischen Vorkommen sind sie nicht

    1 L. Bartucz, Die Gepiden-Schdel des Grberfeldes von Kis-Zombor. Dolgozatok (Szeged) 12, 1936. -

    Vgl. auch L. Apor u. E. Rosztoczy, Die Skelette des Grberfeldes O von Kiszombor. Folia Archaeo-logica (Budapest) 1/2, 1939, 183 f.

    Die artifizielle Schdeldeformation 15

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    l6 Die ar t i f iz iel le Schdeldeforma t ion

    bearbeitet. Alters- und Geschlechtsbestimmung wren hier besonders wichtig, denn dieDeformation wurde im Suglingsalter vorgenommen und da die Burgunder erst 443 durchAetius in der Sapaudia angesiedelt wurden, kann die Verbildung durchaus in den altenWohnsitzen des Stammes erfolgt sein.

    Von den deformierten Schdeln aus Marseille (R 175), Padua (S 176) und Casalecchio(S 177) steht nur fest, da sie nachrmisch sind. In Ermangelung von charakteristischenBeigaben sei zumindest fr Padua und Casalecchio die Vermutung gewagt, da die dortBestatteten Ostgoten gewesen sein knnten. Sicherheit ist vorderhand nicht zu gewinnen,denn es gibt in Italien zwar eine Reihe aus Grbern stammender ostgotischer Schmucksachen, aber bisher keine fachmnnisch ausgegrabenen ostgotischen Nekropolen, derenSkelettmaterial zum Vergleich herangezogen werden knnte. In den groen langobardischen Grberfeldern Italiens (Castel Trosino, Nocera Umbra, Cividale usw. ) ist kein Fallvon Schdeldeformation beobachtet worden, ebenso nicht in den westgotischen Grber

    feldern des 6. Jh. in Kastilien.

    Die Analyse der datierten Vorkommen von Schdeldeformation fhrt zu dem Ergebnis,da sich in ihrer geographischen Streuung die Ausbreitung der Sitte von Zentralasiennach Mitteleuropa im Verlauf eines halben Jahrtausends widerspiegelt (Karten 1 u. 9auf TAF. 69 u. 73). Der Brauch der knstlichen Schdelverbildung ist in diesen weitenRumen als ein einheitlicher, zusammenhngender Komplex anzusehen, wie einleitend betont wurde. Die Vermutung, da Schdeldeformation als Mittel sozialer Rangbezeichnunggedient habe, lie sich archologisch nirgends sttzen, im Gegenteil. Der tiefere Sinndieser barbarischen Mode" wird damit fr den modernen Betrachter nur noch rtselhafter. Von Westen her gesehen gibt die mongolische Kenkol-Gruppe im Tienan und

    nrdlichen Pamir nach Christi Geburt den ltesten sicheren Beleg fr die Sitte. Im Taldes Talas (westh Tienan) ist sie bis ins 5. J h . nachzuweisen. A. N. Bern t am hat dieArbeitshypothese aufgestellt, da die Kenkol-Gruppe zum Verband der Hunnen (Hiung-nu)gehrte, eine Vermutung, die bei aller Wahrscheinlichkeit noch der Fundierung bedarf.

    Um 200 n. Chr. rezipierte eine andere Gruppe von Steppennomaden, die iranischenSarmaten-Alanen (Europer ohne mongolischen Einschlag) den Brauch aus dem Osten.Im 3. und 4. J h . war die Schdeldeformation zwischen Mias , Kaspischem Me er, Kalmckensteppe und Dnjeprmndung in der gesamten Steppenzone stark verbreitet. Abererst der hunnische Vorsto zur Wolga und weiter nach Mitteleuropa verursachte diemaximale Ausbreitung der Schdelverbildung im 5. Jh., an der neben Hunnen-Mongolenund Sarmaten-Alanen auch verschiedene germanische Stmme teilhatten. Mit den von

    der unteren Wolga und aus der Kalmckensteppe nach Sden vertriebenen Alanen gelangte die Sitte in die Tler des Nordkaukasus, nach Dagestan und nach Transkaukasienund lebte dort wohl bis ins 7. J h . fort. Durch den hunnischen Vorsto nach Sd und Westsind die Vorkommen in den Stdten des bosporanischen Reiches, auf der Krim und in derungarischen Tiefebene zu erklren. Drei Mnnergrber mit deformierten Schdeln inUngarn (K 110. 119-120) werden auf Grund anthropologischer Bestimmung den mongolischen Hunnen Attilas zugewiesen. Im Lichte dieser Funde gewinnt ein von den Anthropologen des 19. Jh. immer wieder angefhrter Passus bei Sidonius Apollinaris an Gewicht,der gern fr das Vorhandensein von Schdeldeformation bei den europischen Hunnenherangezogen wurde. Der Senator aus der Auvergne schreibt in seiner Schilderung derHunnen vom Jahre 466: consurgit in aretum massa rotunda caput, geminis sab frontecavernis visus adest oculis absentibus . . . Aber auch hier zeigte der archologische Befund,

    da nicht alle Hunnen verbildete Schdel besaen. Immerhin hatte der Brauch der Schdel-

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    deformation bei den Hunnen als dem fhrenden Bevlkerungsclement innerhalb jenesMachtgebildes, das wir das Attila-Reich nennen, eine so groe Bedeutung, da nur von

    hier aus die Rezeption dieser barbarischen Mode" bei einigen germanischen Stmmenverstndlich wird. Bei den Goten auf der Krim und bei den Gepiden an der Thei, beidesOstgermanen, lt sich die Schdelverbildung bei Mnnern und Frauen bis weit ins 6. Jh.,auf der Krim noch darber hinaus nachweisen. Da diese Stmme im 5. J h . Untertanender Hunnen waren, ist bekannt. In Mitteleuropa haben nur die Langobarden, Thringerund erstaunlicherweise die Burgunder den stlichen Brauch in einem gewissen Ausmarezipiert, aber offensichtlich nur als weibliche Mode. Da die betreffenden Frauen im allgemeinen am Beginn des 6. J h . bestattet wurden, die Deformation aber bereits im Suglingsalter vorgenommen worden war, ist die fremde Sitte im mitteleuropisch-germanischen Bereich bald nach dem Zusammenbruch der hunnischen Herrschaft und sicher vorder Regierung des Chlodwig wieder aufgegeben worden. Die Thringer in Mitteldeutschland, die Langobarden in Mhren und die wohl vorbajuwarischen" Siedler in Bhmenmssen gleich Gepiden und Krimgoten im Verband des Attila-Reiches gelebt haben undbernahmen die Schdeldeformation von der herrschenden reiternomadischen hunnischenGruppe. Inwieweit dies auch bei den Ostgoten der Fall war, mssen knftige ungarischeund italienische Funde lehren. Da sich die Franken und Alamannen im Gegensatz zu denLangobarden und Thringern der hunnischen Sitte verschlossen, ist auf alle Flle bemerkenswert und lt die Folgerung z u , da das Verhltnis etwa der Alamannen zurhunnischen Oberherrschaft ein anderes war als das der Thringer. Wenn thringische oderlangobardische Sippen ihren Tchtern nach stlichem Brauch den Kopf durch Bindenwicklung zum Turmschdel verbildeten, so folgten sie einer Mode, die in den Kerngebietendes Attila-Reiches, in Ungarn und in Sdruland herrschend war. Da sie es tat en, ist einZeichen fr die starke Wirkung und Ausstrahlungskraft, die von den Zentren des hunni

    schen Machtgebildes ausging. Mit dem Zerfall des Hunnenreiches war diese Kraft erloschen, was wiederum das schnelle Aufgeben des fremden Brauchs zeigt. So mag man dasFehlen der Deformation bei den Alamannen und Franken dahingehend deuten, da dieseStmme keinen so engen Kontakt mit den Gebruchen der stlichen Nomaden gewannen,um diese Gebruche adaptieren zu knnen oder zu wollen.

    In dieser Sicht bedeutet das Auftreten der Schdeldeformation bei den Burgundern amGenfer See und an der Rhne, weit entfernt von den hunnischen Machtzentren, eine berraschung. Die Geschichte der Burgunder ist ja auf eine besondere Weise mit den Hunnenverknpft. Nach einer vernichtenden Niederlage durch die Hunnen wurden sie im Jahre 443von Aetius in jenen Landstrichen angesiedelt, aus denen die 9 Vorkommen von Schdeldeformation stammen. Es wurde oben bereits angedeutet, da eine Altersbestimmung der

    betreffenden Individuen ergeben mte, ob die Verbildung im Suglingsalter eventuellvor 443 vorgenommen worden i st. In ihren alten Wohnsitzen am Mittelrhein hatten die Burgunder Octar, einen Onkel Attilas, im Jahre 430 besiegt und erlagen 437 jener hunnischenStrafexpedition, die in der Nibelungensage so deutlich nachklingt. Man kann die Frageaufwerfen, ob dieser Stamm vor 430 nicht berhaupt einige Zeit den Hunnen botmig warund ob der Sieg ber Octar nicht eine erfolgreiche Revolte gegen die hunnische Oberherrschaft darstellte. Da auch noch andere archologische Indizien, die unten S. 24 f. besprochenwerden, fr donaulndische Verbindungen der Burgunder in der ersten Hlfte des 5. Jh.sprechen und der reiche, ganz donaulndisch geprgte Grabfund von Wolfsheim (s. untenS. 88 f. und TAF. 4) im Bereich ihrer mittelrheinischen Sitze zutage kam, verdient diese Vermutung, ernsthaft berprft zu werden. Leider sind mangels Beigaben die burgundischen

    Flle von Schdeldeformation nicht zu datieren. Sie knnten ohne weiteres in die erstenMnchen Ak. Abh. 1956 (Werner) 3

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    Jahrzehnte der Ansiedlung in der Sapaudia fallen und damit hunnische Einwirkung vomBeginn des 5. Jh. (409-430) widerspiegeln.

    Im 6. Jh. und etwas darber hinaus wurde die Verbildung, des Schdels nur noch inReliktgebieten an der Thei (bei den Gepiden), in der Krim (bei den Krimgoten) und im Nordkaukasus (bei den Alanen) gebt, in Gebieten, die untereinander in keinerlei Beziehung standen. Mit dem Zerfall des hunnischen Reiches erlosch die Sitte, die im 5. Jh.innerhalb dieses Reiches ihre maximale Verbreitung erreicht hatte. Sie erweist sich damitals ein Kulturelement, das ursprnglich nur mongolischen und sarmatisch-alanischenViehzchternomaden eigen war und im Zuge politischer Vorgnge mit einer von Reiternomaden getragenen kurzfristigen Machtzusammenballung weit nach Westen mitgerissenwurde. In einer andersgearteten Umwelt wurde dieses im wahrsten Sinne des Wortesexotische Kulturelement in dem Augenblick wieder abgestoen, als das hunnische Groreich nach dem Tode Attilas zusammenstrzte.

    18 Die artifizielle Schdeldeformation

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    STLI CHE METAL LSPI EGEL UND RUNDSTABIGE OHRRIN GE

    A. DIE STLICHE N META LLSP IEG EL

    (Mit Fundliste II S. 114-119 und Verbreitungskarte 10 auf TAF. 74)

    In einer kurzen bersicht mit dem Titel Zur Geschichte des sdrussischen Bronze-spiegels" hat P. Rau 1926 eine vorzgliche Gliederung und Entwicklungsgeschichte derBronzespiegel in Sdruland gegeben.1 Es geht aus seinen Darlegungen klar hervor, dasich in den sdrussischen Steppen das Formprinzip des ionisch-skythischen Spiegels -runde Metallscheibe mit seitlichem Griff- bis in die sptsarmatische Zeit gehalten hat. Der5-6 cm im Durchmesser haltende gegossene Bronzespiegel mit seitlichem Fortsatz undLoch zum Befestigen des Holzgriffes ( T A F . 4 4 , 1-6) ist an der unteren Wolga, in Kerund im Kubangebiet eine hufige Beigabe in kaiserzeitlichen Frauengrbern. Die Rckseite der Spiegel ist meist plastisch verziert, wobei diese Verzierung nicht als reiner Dekor,sondern als das Ideogramm eines Symbols aufzufassen ist Das darf man aus den Tamga-zeichen auf Kerer Spiegeln ( T A F . 44, 6)2 und aus der eigentmlichen Darstellung auf einemSpiegel von Korza (T AF . 44, 3) schlieen. Die kleinen gegossenen, auf der Rckseite plastisch verzierten Spiegel mit seitlichem Fortsatz waren die charakteristische sdrussischeSpiegelform des 3. und 4. Jh. und waren dementsprechend in der Sptphase der sarmatisch-alanischen Kultur, fr welche die Schdeldeformation so bezeichnend ist, sehr verbreitet.Es nimmt daher nicht wunder, da dieser Typ in der Zeit um 400 n. Chr. mit der Verdrngung bedeutender alanischer Bevlkerungsgruppen aus den Steppen in den Nordkaukasus nun auch in den Kaukasustlern Eingang fand (vgl. TAF. 44, 3-5). Aber noch bevordiese durch den Vorsto der Hunnen verursachten Verschiebungen eintraten, stellte sich anDon und unterer Wolga eine neuer Spiegeltyp ein, der formal zur Familie der stlichenNomadenspiegel gehrt: der Typ Moary ( T AF . 44, 8; Fundliste II A) . Die mitgegossenelineare Rckseitenverzierung (T AF . 39, 1 u. 44, 8) - die der Spiegelung dienende Vorderseite ist wie bei allen Metallspiegeln glatt - entspricht dem Dekor der blichen sptsarmati

    schen Spiegel mit seitlichem Fortsatz, ein Beweis, da die Spiegel vom Typ Moary nichtals fremde Importstcke, sondern als einheimische Arbeiten anzusehen sind. Die se inder Mitte der Spiegelscheibe an Stelle des seitlichen Griffes bedeutet dagegen eine grundstzliche nderung des Konstruktionsprinzips. Metallspiegel, welche einen durchbohrtenMittelknopf oder eine stegfrmige se zur Aufnahme eines Halteriemens besitzen, warenseit dem ersten vorchristlichen Jahrtausend in China und Zentralasien (TAF. 44, 9) die

    1 Rau 1926, 90-96.2 Arch. Anzeiger 1914, 215 Abb. 18. Ferner Schachtgrab 1904/62: IAK 25, 1907, 16 Abb. 6. - Drei

    Tamga-Spiegel aus Brandgrbern des 3. J h . von Vrtiscoi, K r . Putna: Arta si Archeologia (Jassy) 2, 3(1929) 16 ff. - Vgl. jetzt H. Jnsehen, Bildzeichen kniglicher Hoheit bei den iranischen Vlkern (1956)17 f. mit Taf. 19.3*

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    20 stliche Metallspiegel und rundstabige Ohrringe

    herrschende Spiegelform.1 Mit der frhskythischen Welle des 6. J h . v. C hr . gelangtenstliche senspiegel erstmals nach Sdruland, vor allem in die Ukraine;2 aus der Gegend

    von Poltava stammt ein solcher senspiegel mit eingraviertem Adlerkopf (TAF. 48, 10).Die griechische Spiegelform mit seitlichem Griff verdrngte bei Skythen und Sarmatenaber sehr bald den stlichen senspiegel, bis der Typ Moary fr das 4. J h . n. C hr. seineNeueinfhrung anzeigt. Die Vorkommen von Susly-Herzog, Atkarsk ( T A F . 3 9 , 1) undMoary gehren sicher noch ins 4. J h . Ein chinesischer Spiegel der Han-Zeit aus demlterkaiserzeitlichen Kurgan E 25 von Staraja Poltavka bei Pokrovsk ( T A F . 4 6, 6)3 ist ein

    wertvoller Beleg dafr, da in den Wolgasteppen der Import vereinzelter fernstlicherSpiegel der Rezeption des stlichen senspiegels im 4. J h. vorausging. Der Spiegel stammtaus einem Mnnergrab (TAF. 46, 5-12), was nicht zu verwundern braucht, denn die Spiegel

    beigabe lt sich bei den Sarmaten an Wolga und Kuban seit spthellenistischer Zeitauch bei Mnnern nachweisen. Ein weiterer, vielleicht etwas lterer chinesischer Spiegel

    als der von Staraja Poltavka fand sich bei Istjack, stlich Tobolsk (TAF. 4 6 , 13).4

    In Ostasien war zur Han-Zeit die Grabbeigabe von Metallspiegeln (oft in ganzen Stzen) dieRegel, wobei die Spiegel eine doppelte Funktion besaen: sie waren Toilettengert undgleichzeitig Objekte von magischer Kraft.5 Ihre Legierung, je zur Hlfte aus Kupfer undZinn bestehend, war durch kaiserliche Verordnung genau festgelegt.6 In seiner Bearbeitung nordkaukasischer Spiegel des Berliner Museums wies W. A. von Jenny darauf hin,7

    da diese senspiegel im Gegensatz zu den Spiegeln skythischer Zeit nicht aus Bronze,sondern aus zinnreicher Weibronze bestehen, was sie in die unmittelbare Nachbarschaftder chinesischen Erzeugnisse verweise. Die Metallzusammensetzung der wenigen Spiegel

    vom Typ Moary ist leider nicht bekannt, aber eine groe Zahl jener senspiegel, die im5. Jh. formal erstaunlich bereinstimmend im Nordkaukasus, Sdruland und den Donau

    lndern begegnen, ist aus einer zinnreichen weibronzeartigen Legierung gegossen unddamit indirekt von ostasiatischem Brauch abhngig. Es handelt sich um vier Variantengeometrisch verzierter stlicher Nomadenspiegel", von denen kein einziger sich indie Zeit vor 400 n. C h r . zurckdatieren lt. Im Gegensatz zur Schdeldeformationist diesen Spiegeln in der russischen Literatur bisher keine besondere Aufmerksamkeitzuteil geworden, so da die hier gegebene Materialsammlung nur fr die Donaulnderund mit Einschrnkungen noch fr den Nordkaukasus eine Vorstellung von der Hufigkeitder einzelnen Typen vermitteln kann. Das Material der Steppengebiete, der Ukraine undvor allem der Nekropolen von Ker, Chersonesos, Phanagoria und Tiritaki ist mit ganzwenigen Ausnahmen unverffentlicht. Im Fundstoff der Sowjetunion und der Donaulndergehren diese senspiegel stets zur Totenausstattung der Frau, nie zu der des Mannes.

    Unter der Typenbezeichnung mi-Brigetio (Fundliste II B) werden hier senspiegel miteiner leiterartig gegliederten Rippenzone um das freie oder gerippte Mittelfeld zusammengefat (TAF. 45, 4 u. 6). Von den 7 Fundorten der Sowjetunion liegen vier im Nordkaukasus

    1 Vgl . F. H i r t h , Chinese Metallic Mirrors (New York 1906). A. M. T al l gren, Collection Tovostine(Helsinki 1917) 556 f. . W. A. von Jenny, Verzierte Bronzespiegel aus nordkaukasischen Grbern. Prhist.

    Zeitschr. 19, 1928, 347 ff.2 W. A . von Jenn y a. a. O. 357 ff .3 Eberts Reallex. 13 (1929) Taf. 40 c, b und SA 8, 1946, 92 Abb. 26. Beigaben: Dolch mit Ringknauf,Messer mit Ringknauf, 2 eis. Schnallen, eis. Dreikantpfeil, Alabastergef: TAF. 46, 5-12.4 A. H eikel , Antiquits de la Sibrie occidentale (1894) Taf. 17, 6. MIA 35 , 1953, 166 Taf. 19 (hier

    TAF. 46, 13).5 F. Hirth a. a. O. 226 ff. , 243. W. A . von Jenny a. a. O. 358. A. M. Tallgren a . a. O. 55 1.6

    F . Hirth a . a. O . 217. W. A . von Jenny a. a . O. 352.7

    a . a . O. 352.

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    Die stlichen Metallspiegel 21

    und in Dagestan, drei in der sdlichen Ukraine. Der Typ war bei den Schdeldeformationbenden Alanen der nrdlichen Kaukasustler verbreitet. Das Material der Exemplare

    von Koban (B 2) und egem (B 3) wird als weilich-graue Masse bzw. als Legierung angegeben. In den Donaulndern ist der Typ mi-Brigetio mit 28 Exemplaren aus 25 Fundorten vertreten (Liste II B 8-32). Wenn man von den Einzelfunden und jenen Stckenabsieht, ber deren Fundumstnde nichts bekannt ist (B 8. 11. 12), ist bemerkenswert,da drei Spiegel (bzw. Fragmente von solchen) aus dem sptrmischen Kastell Burgenaea. d. Donau (Novi Banovci; B 10 a-c; TAF. 13, 4 u. 45, 6 ) , zwei aus Brigetio (O-Szny;B 22 a-b; TAF. 13, 5) und einer aus Carnuntum (Deutsch Altenburg; B 31; TAF. 45, 9)stammen. Das Spiegelbruchstck von Stre bei Pietany in der Slowakei (B 26; TAF. 45, 7)

    wurde bei einem Skelett mit mongolischem Schdel angetroffen. Die senspiegel vonLom (B 9) , Balsa (B 14) , Szkely (B 16), Md (B 19) , Kiskunflegyhza (B 20), Kosino-Mezkaszony (B 23) und Laa a. d. Thaya (B 29; TAF. 10, 4) wurden in Frauengrbern

    mit Paaren gotischer Silberblechfibeln der ersten Hlfte und Mitte des 5. J h . zusammengefunden. Die Exemplare von Zalkod (B 15) und Tiszalk (B 18) gehren wegen der mitgefundenen silbernen gotischen Grtelschlieen, das von Levice-Lva (B 24) wegen Zikadenfibel und frher Kerbschnittfibel (TAF. 49, 3-5) in dieselben Zusammenhnge. Etwas

    jnger (zweite Hlfte des 5. Jh. ) sind die Vorkommen von Miszla (B 21) und Koice-Kaschau (B 25) mit aus Silber gegossenen kerbschnittverzierten Bgelfibelpaaren, whrend man wohl geneigt ist, die Spiegel aus dem reichen Frauengrab von Untersiebenbrunn (B 30; TAF. 13, 1) und dem zugehrigen Kindergrab (C 15; TAF. 48, 12-13) an denAnfang der Reihe, d. h. in den Beginn des 5. J h . zu setzen. Gleiche ringfrmige, unten verdickte Drahtohrringe aus Silber oder Gold von einer Form, die unten S. 24 f. besprochen

    wird, verbinden die Grabfunde von Levice-Lva (B 24; Taf. 4 9 , 3 ) , Untersiebenbrunn

    (B 30) und Laa a. d. Thaya (B 29; TAF. 10, 7). Zu Bestattungen mit deformierten Schdelngehren die Spiegel von Laa a. d. Thaya (B 29 zu Liste I L 132), Rakice (B 27 zu ListeI M 141) und Vicemilice (B 28 mit TAF. 4 3 , 1 zu Liste I M 139) in Mhren. Bgelfibelpaare und groe Grtelschlieen als Trachtzubehr bestimmen nach allgemeiner Annahmeder Forschung die betreffenden Frauengrber als germanisch. Es handelt sich dabei umeine donaulndische Fundgruppe, die am Ende des 5. J h . auf italischem Boden als Hinterlassenschaft der Ostgoten ihre Fortsetzung findet,1 die aber trachtgeschichtlich auch mitden Funden des spanischen Westgotenreiches und der Krimgoten zusammenhngt. Nurdas Grab von Stre (B 26) ist nach der anthropologischen Bestimmung ungermanischund beweist, da der Spiegeltyp auch bei den europischen Hunnen gebruchlich war.Ohne hier auf die gotische" Fundgruppe des 5. J h . an der mittleren Donau nher eingehenzu knnen, sei hervorgehoben, da ein Teil der zu ihr gehrigen Frauengrber mit senspiegeln sicher in die Attilazeit fallt, ein anderer (wohl B 16, 18, 20, 21, 23, 25) in die Jahrzehnte zwischen dem Zusammenbruch des hunnischen Reiches und der Abwanderung derOstgoten nach Italien. Die sptesten Vorkommen des Spiegeltyps vertreten die gepidischenGrabfunde von Bkny-Mindszent (B 17) und Hdmezvsarhely-Gorzsa (B 13) und derlangobardische Grabfund von Gro-Harras (B 32; TAF. 48, 14-15). Diese drei Grabfundegehren in den Beginn des 6. Jh.

    Die donaulndischen Exemplare des Spiegeltyps mi-Brigetio bestehen, soweit diesaus den Publikationen hervorgeht oder durch Autopsie berprft werden konnte, aus einerstark silber- oder zinnhaltigen Legierung. Eine Metalluntersuchung wurde nur bei einem

    1 Vgl. etwa die gotischen Schnallen von Dombvr, Gva und Kiskunflegyhza bei H. Reinerth, Vor-

    gesch. d. deutschen Stmme 3 (1940) Taf. 502, 1 u . 3 u. 50 3, 2 [dort Fundorte vertauscht] mit Gegenstckenin Aquileia (Taf. 521, 2) und unpublizierten Neufunden aus Acquasanta bei Ascoli Piceno im Mus. Ancona.

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    der Bruchstcke aus Novi Banovci(Burgenae;B 10 u. TAF. 13, 4) vorgenommen und ergabeine Legierung aus 65% Kupfer, 27% Zinn, 7% Blei und 1% Beimengungen.

    Im Gegensatz zu den sdrussischen und kaukasischen Exemplaren waren fast alledonaulndischen senspiegel, soweit sie aus Grbern stammen, zerbrochen oder berhauptnur als Bruchstcke beigegeben worden. Das trifft auf das hunnische Grab von Stre(B 26) ebenso zu wie auf die gotischen" Grber von Lom (B 9) , Balsa (B 14), Zalkod(B 15), Tiszalk (B 18), Md (B 19). Miszla (B 21), Kosino-Mezkaszony (B 23), Koice-Kaschau (B 25), Laa (B 29), Untersiebenbrunn (B 30), die mhrischen Grabfunde vonRakice (B 27) und Vicemilice (B 28) und die gepidischen (B 13 und 17) und das lango

    bardische Frauengrab (B 32). Bei Szkely (B 16), Kiskunflegyhza (B 20) und Levice-Lva (B 24) sind leider die zur Verfgung stehenden Angaben unzureichend. Die Beigabe von zerbrochenen Spiegeln oder Spiegelbruchstcken in 16 Grbern kann kein Zufallsein, sondern beweist, da diese Spiegel nach dem Tode ihrer Besitzerin absichtlich und

    rituell vor der Beisetzung zerbrochen wurden. Da Trachtzubehr, Schmucksachen undGebrauchsgegenstnde in den gleichen Fundkomplexen sonst niemals in absichtlich zerstrtem Zustande beigegeben wurden, bedeutet die Sitte des Spiegelzerbrechens nachdem Tode indirekt, da der Spiegel zu Lebzeiten der Besitzerin nicht nur ein Gebrauchsgegenstand, sondern ein Ding mit magischen Krften war, welches das Bild der Lebendenauf sein Rund bannte. Das Abbild der Toten durfte er nicht bewahren, sondern sollte mitihr zugrunde gehen. Wie die hier zusammengestellten Funde zeigen, war der Brauch desSpiegelzerbrechens bei Hunnen und donaulndischen Germanen im 5. J h . gleichermaen

    verbreitet und erlosch, als mit Beginn des 6. J h . die senspiegel und die Spiegelbeigabcaufgegeben wurden.

    Der Typ Berjozovka-Carnuntum-Mdling (Fundliste II C; TAF. 45, 2. 5. 8) ist eine

    reicher verzierte Variante des Typs mi-Brigetio. Die leiter- bzw. zickzackfrmige Rippenverzierung ist bei ihm in zwei konzentrischen Zonen um die Mitte mit der se angeordnetoder durch ein einfaches Radialmuster (C 6 [1 Ex. ], C. 10. 15) bzw. ein Winkelmuster(C 17; TAF. 45, 2) ersetzt. In Berjozovka bei Engels-Pokrovsk wurde ein derartiger (intakter) Spiegel (C 1; TAF. 13, 2) mit einem Golddiadem des 5. J h. ( T AF . 13, 3) zusammengefunden. 15 Exemplare stammen aus 6 nordkaukasischen Fundorten (C 2-7; Taf. 47, 9),eines aus dem alanisch-ossetischen Flachgrberfeld von Borisovo (C 8 ) , zwei aus derUkraine (G 9-10). Die sieben donaulndischen Spiegel verteilen sich auf zwei sptrmischeKastelle (C 11: Sucidava-Celei und C 14: Carnutttufn-Deutsch