Westermanns Monatshefte - Artikel "New York Graffiti" - 02.1984

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Westermanns Monatshefte - Das Kulturmagazin, "New York Graffiti - Kunst und Ärgernis aus der Sprühdose", 02.1984. Auszug: "Straßenkunst. Großstadtkunst unserer Tage, radikal öffentliche, ungebärdige Selbstdarstellung von meist jugendlicher ,Sprühfinken'"

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· ~ der Straße ist sie nun in den Galerien angelangt: Graffiti, die anarchistische Sprüh­kunst aus New York. Die Asphaltpartisanen wer­den wie ihr europäischer Vetter, der Sprayer von Zürich, salonfähig. Gegen die Anonymität schreiben sie ihre Namen, Sprüche, Sym­bole und Bilder auf Wände und U-Bahn-Zü­ge: Selbstbehauptung in einer verordneten, ver­walteten Welt, bunte Kampfansagen. Spuren hinterlassen gegen das Verschwinden der Men­schen ist vielleicht das tiefere Motiv dieser zahl­losen ,Täter'. Beton und Metall werden spre­chend, für viele Zeitge­nossen ein Ärgernis, mit Sicherheit aber auch eines: Kunst ... ,guerilla artfare'. Ein Bericht von Gunhild Buchsbaum, Fotos von Peter Ginter.

Straßenkunst. Großstadtkunst unserer Tage, radikal öffentliche, ungebärdige Selbstdarstellung m eist jugendlicher ,SpIÜhfinken': Wand in New York

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Graffiti, dieses Wort ist für das Gros der New Yorker ein rotes Tuch. Kritzeleien von Jugendlichen, die

nichts Besseres zu tun haben, Schmiere­reien von Vandalen, die Anschläge auf öf­fentliches und privates Eigentum begehen: So sehen es die New Yorker, die täglich Stunden in der Subway verbringen, um zur Arbeit und zurück zu kommen. Manche fühlen sich durch sie belästigt, andere ihrer persönlichen Freiheit beraubt. Sie haben sich an sie gewöhnt oder nicht. Gleichgül­tig aber sind nur die wenigsten. Graffiti - ein New Yorker Phänomen. Überall in der Stadt stößt man auf die mit ,Marker'-Stiften und Sprühfarbe gesetzten Zeichen: an Häuserwänden, Brücken, U-Bahn-Stationen, an Subways, Bussen, Autos, an den Basaltfelsen von Manhattan,

Westside, der Lower Eastside, in Harlem. Graffiti, ein Virus, der durch die Subways von den Gettos auf die ganze Stadt über­tragen wurde. Selbst Graffitigegner sind davon angesteckt. Peter B., um die 40, Mu­siklehrer an einer Highschool in Queens, ärgerte sich jeden Morgen, wenn er durch das Treppenhaus ging, aufs neue, die Na­menszüge an den Wänden lesen zu müs­sen: Neo und Dljenderüberall. Eines Tages war seine Wut so groß, daß er in einen La­den ging und sich zwei Dosen Sprayfarbe kaufte, grün und blau, von der billigsten Sorte. Er sprühte über Neo und De/ender ein Saxophon, ein Susaphon und eine Trompete. Das hat ihm wohlgetan, Ver­gnügen bereitet. Und der Graffitigegner wurde aus lauter Haß zum "spraypainter". Demnächst will er mit goldener Farbe eine

Wahre Könner sitzen vorher lange über Entwürfen, die Aktionen brauchen eine gut vorbereitete Logistik: Skizze eines puertoricanischen Sprayers

in Tunneln, an Kaimauern, auf Dächern ... Alles, was leicht oder schwer erreichbar ist und worauf Farbe haftet, wird genutzt. Die, die das tun, nennen sich "writer", manche "graffitiartists". Die Jüngsten sind etwa zehn Jahre alt, die Veteranen heute Mitte 20. Wie viele, zumeist männliche "writer" es in der Stadt gibt, darüber exi­stieren nur vage Schätzungen, einige 10 000, vielleicht aber auch hunderttau­send. Sie gehören allen Schichten und Ras­sen an, sie sind Jugendliche aus dem Getto, Kinder von Ärzten; sie sind Puertoricaner, Schwarze, Weiße. Sie wohnen in der Bronx, in Queens, in Brooklyn, der Upper

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Tuba ins Treppenhaus sprühen. Vielfältig wie die Bildträger sind auch die Formen und Stile, die sich in den letzten fünfzehn Jahren, seit der Geburt von New Yorks "original urban artform", herausgebildet haben. Sketche in den "black-books", "scribbles", "tags", "throw-ups", "pieces", "masterpieces" im "Bubble-Style", ,,3-0-Style" (mit dreidimensionaler Wirkung), ,~ildstyle", "Computerstyle" ... , einfar­big, zweifarbig, bunt, mit und ohne "cha­racters" - aus Comics entlehnten Figuren­winzig klein oder meterhoch, all das zu­sammen ist Graffiti. Die Erscheinungsfor­men, so verschieden sie sind, haben eines

gemeinsam, im Mittelpunkt steht der Na­me, "the Faith of Graffiti". "To get the name up, to get the name around." Auffallen durch Menge, ins Auge stechen durch Farbe, Größe und Güte , darum geht es. In den "pieces", den kunst­vollen, großflächigen Farbbildern, zeigt man sein Können; mit den "tags", den Filz­stiftsignaturen, die man schnell und unauf­fällig hinterläßt, wo man geht und steht; und den "throw-ups", den hastig konturier­ten und ausgefüllten Namenszügen, be­zeugt man seine Anwesenheit. Qu"antität und Qualität, für die Superlative der beiden gibt es Titel. "King ofthe Line" ist dedenige, dessen Name am häufigsten auf einer U-Bahn-Strecke zu sehen ist. "King of Style" der, der individuellen Aus­druck zusammen mit technischer Perfek­tion zeigt. Quik, einer von denen, die durch Stil Ruhm gewannen, war gleichzeitig "King" auf zwei Linien. Er schätzt, daß er im Laufe seiner Karriere mindestens fünf­zehntausend Graffitis hinterlassen hat. Nach dem Tausendsten hörte er aufzu zäh­len. Heute gibt es davon viel1eicht noch vierhundert. "Ich mag es, meinen Namen zu sehen, es macht mir Spaß, es ist ein gu­tes Gefühl", sagt ion, "wenn ich in einen Zug steige und meinen Namen sehe, dann sage ich mir ,hier war ich schon mal, jetzt bin ich wieder hier. Ich lebe noch. Nichts kann mir passieren: Das ist so was wie eine Art Sicherheit." Graffiti, die Bestätigung des Am-Leben­Seins, wird für die ernsthaften Graffitiwri­ter zum Lebensstil. Will man einen "top to bottom car" machen, das heißt, einen gan­zen Wagen bemalen, so bedarf das einer Menge Vorbereitungen und Organisation. Eine Idee muß auf Papier gebracht und als Entwurf ausgearbeitet werden, die Farbe muß berechnet und besorgt werden. Für einen Wagen braucht man zwölf bis fünf­zehn Spraydosen. Vier Dollar pro Dose plus Steuer, das sind Materialkosten von umgerechnet etwa 130,- DM für einen Wa­gen. Das kann sich keiner der writer leisten. Die Vorbereitung einer solchen nächtli­chen Aktion bestimmt den Ablauf der Vor­tage: Man wacht auf, geht raus und klaut Farbe. Die beschafft man am besten im Winter. Unter dicken Daunenjacken kann man gut sechs bis zehn Farbdosen verstek­ken. Im Sommer ist das Risiko größer. New York City ist ein heißes Pflaster zur Mate­rialbeschaffung. Ladenbesitzer halten ein Auge auf jeden, der als Graffitiwriter ver­dächtig sein könnte. Die writer machen deshalb oft Trips zum benachbarten New Jersey oder nach Long Island, wo weniger Argwohn in den Kaufhäusern herrscht. Abgesehen haben sie es vor al1em auf Spraydosen der Marken "Krylon" und "Rust Devil", und nebenbei fällt bei diesen

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Streifzügen auch mal etwas Hirs Taschen­geld ab. Hat man alles zusammen, muß man einen guten Platz auskundschaften, einen Tun­nel oder ein ,'yard". Diese Depots im Freien sind inzwischen zu Festungen aus­gebaut - zwei Zäune in zwei Meter Ab­stand, von Stacheldrahtbändern gekrönt, dazwischen Wachhunde. Ist sichergestellt, daß die Luft rein ist, muß die Farbe dorthin geschafft werden. Mit Dosen in den Ta­schen, gar einer ganzen Plastiktüte voll herumzulaufen, ist zu gefährlich. So obliegt es dem Nachwuchs, noch unbe­kannten Gesichtern, die Farbe an den Ar­beitsplatz zu bringen. All das kann nur das Risiko vermindern, ausschalten kann man es nicht. "Selbst wenn du meinst, du würdest niemandem begegnen", berichtet Quik, "manchmal laufen Leute durch die Tunnel, nur um eine Abkürzung zu nehmen, manche schlafen da unten, und Tiere gibt es da, Hunde und Ratten. Leute, die gerade je­mand in der U-Bahn überfallen haben, ren­nen durch die Tunnel. Deshalb macht die Polizei da regelmäßig Streifengänge." Die konstante Gefahr, überrascht, gejagt zu werden, der Nervenkitzel, macht aber ge­rade einen Teil des Reizes dieser Unter­grundaktionen aus. War erzählt eine der unzähligen Jagdgeschichten: ,~ir gingen zum 4-Yard, drei Wochen lang, jede Nacht. Wir waren zu siebt und ,pieceten'. Plötz­lich waren da überall Bullen. Sie kamen aus dem Nichts. Standen auf den Wagen und zu ihren beiden Enden. Da saßen wir in der Falle, umzingelt. Da gab's nur einen Weg raus, das wußten wir, zuruck und über die Mauer klettern. Ich merkte nicht mal, wie ich rannte. Nur erst mal hoch und im­mer weiter. Ich hatte Angst. Sie verfolgten mich in Autos. Ich dachte, ,die kriegen mich .. . all die Farbe, drei Wochen haben wir gebraucht, um die zusammenzukrie­gen'. Sie erwischten mich und schlugen mich windelweich. Ich verlor drei Zähne. Das war im Yard Nummer vier. Ich bin nie­mehr wieder dorthin." Die Polizei, das ist der technisch überlege­ne Gegner. Sie haben Walkie-talkies, und so sehr der Hase auch rennt, manchmal ist de r Igel vo r ihm da. Die Polizei, die "Transit Authority", ist ein Teil von Graffiti: "Ohne sie wäre es nicht lustig", "ohne sie wäre es überhaupt nichts", "verfolgungsjagden ge­hören unbedingt dazu". Je organisierter der Gegner, desto findiger muß man selbst sein. Als Mi-3 sich im "Ghost-Yard" am Harlem Rivervon der Po­lizei völlig umzingelt fand, sprang er ins Wasser und schwamm zur Bronx ans ande­re Ufer. Neben der Polizei gibt es andere Gefahren, die ständig da sind. Vor ihnen kann man

Häuserschluchten werden zur ,Akademie', wenn nachts auch der Nachwuchs übt: Ganze Straßenzüge sind kostenlose Freiluttgalerien

nicht weglaufen, vor ihnen muß man sich in acht nehmen. Das ist zum einen das drit­te Gleis, das die Züge mit Strom versorgt. Es hat eine Spannung von 600 Volt. Mit ihm sind die meisten Subwaywriterminde­stens einmal in Berührung gekommen. Zum andern sind es die Züge selbst. Mit ih­nen hat Demo eine drastische Erfahrung gemacht: "Ich stolperte, fiel zwischen die Gleise. Und gerade da kam der Zug. Und als ich ihn sah, war ich wie gelähmt. Ich konnte nicht aufstehen. Ich druckte mich so eng wie möglich an die Schwellen. Der Zug fuhr über mich weg. Und die ganze Zeit, die ich da so lag, dachte ich: ~enn da

am letzten Wagen was hängt, haut's mich in Stücke~ Ich lag nur da und dachte, ,wenn ich hier raus komme, gehe ich nie mehr in 'nen Tunnel.' Aber als alles vorbei war, sag­te ich: ,So, jetzt ist alles vorbei,jetzt mal ich weiter.'" Das alles ist Bestandteil der Aktion: Schnell und sicher muß man sein, Hir Kor­rekturen bleibt keine Zeit. Hierarbeitet der ganze Körper, die Gedanken eilen voraus. "Mit der Farbe schaffen und all das, das trägt dich weg", beschreibt Billrock 161, "du willst was Gutes machen, du willst Leute beeindrucken. Du Hihlst dich gut. Jeder Hihlt sich gut, wenn er ein tolles

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Piece hingekriegt hat. Das ist wirklich das Beste." Nach dem "Piecen" geht man fUr ein paar Stunden heim, sich auszuruhen. Quik steigt noch schmutzig ins Bett: "Ich wasch mir nur etwas das Gesicht und die Hände, aber ich muß einfach mit all der Farbe dran schlafen. Und dann träume ich von pieces und solchen Sachen, wie's am nächsten Tag sein wird." In aller Frühe zurück zum Tatort und war­ten, bis der Zug den Tunnel oder das Yard verläßt. Wenn am Morgen die Sonne auf­geht, sieht man zum erstenmal bei Licht, was man die Nacht über gemacht hat. Ein Foto machen. Das einzige, was überdauern

~ecen" nennen die "graffitiwriter" ihr heimliches Tun: Mancherorts dürfen sie es inzwischen, wie hier an einer städtischen Parkmauer

Die New Yorker U-Bahn ist das beliebteste Angriffsziel der Sprüh­partisanen: Trotz strenger Bewachung gelingen die meisten Kunstanschläge

wird. Das piece selbst wird nicht lange überleben. Der Wagen wird ein, zwei Tage durch die Stadt fahren, bevor er eine Spe­zialwaschanlage durchläuft und mit einer eigens entwickelten Flüssigkeit abgebeizt wird. Leuchtend bunte Wagen kommen in schmutzig-trüben, ausgewaschenen Far­ben aus der Säuredusche. Kein schönes Bild, man kann verstehen, daß die New Yorker sich fUr so etwas nicht begeistern können. Die witzigen, fröhlichen Wagen sehen sie selten. "Das ist schön", kann man sie dann sagen hören, "das ist keine Graffiti." Es hat den Anschein, daß es Teil der Strategie zur Graffitibekämpfung ist, die Kunstwerke

auf Rädern zuerst zu vernichten und die schnell dahingeschriebenen ,I was here'­Bezeugungen, die das Vorurteil, Graffiti ist gleich Vandalismus, bestätigen, länger ste­hen zu lassen. Auf einigen Symbolstrecken versucht die MTA (Metropolitan Transit Authority) die Schandflecken völlig aus dem Kleid der Subway zu entfernen. Die modernen Züge sind spezial beschichtet, so daß Farbe schlecht haftet. Alte Züge werden neu lak­kiert, klinisch weiß, eine glänzende Grun­dierung fUr das nächste "throw-up" oder piece. Ein Hornberger Schießen und damit ein ständiges Politikum. Seit es Graffiti auf New Yorks Subways gibt, fUhrt die MTA einen ständig erbitternderen Kampf mit den writers. Die Kosten zur Beseitigung von Graffiti aufZügen und Bahnhöfen be­laufen sich auf mehrere Millionen

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Dollar jährlich - Reinigung, Absicherung und Bewachung der Wagendepots, eine ,,Anti-Graffiti-Squad ... " Strenge Maßnahmen erwarten einen er­tappten Sprühfinken. Bis zum Alter von 16 Jahren genießen sie Vogelfreiheit. Kinder sind nicht haftbar zu machen. Doch dann wird es schlagartig anders. Ein auf frischer Tat erwischter jugendlicher Sprayer muß damit rechnen, zumindest die Reinigungs­kosten zu tragen. Daftir gibt es eine Pau­schale von 75 Dollar pro Squarefoot, das entspricht etwa 180,- DM ftir ein Zehntel Quadratmeter. Die Fläche der Längsseite eines U-Bahn-Wagens beträgt um die sech-

writer wollen etwas Nützliches tun mit ihrer Kunst, die Gegend, in der sie woh­nen, verschönern. Dort, wo sie herkom­men, sind sie anerkannt. Die Leute mögen, was sie machen. Ladenbesitzer zahlen ih­nen 100 bis 300 Dollar ftir einen schillern­den Blickfang an der Hauswand oder am stählernen Rollo. Als Dekoration in Discos und als Bühnenbilder ist Graffiti zur Zeit ausgesprochen ,in'. Einige writer wie Crash, Dondi, Futura 2000, Lady Pink, Quik haben den Sprung in die Galerien geschafft. Sie hatten Aus­stellungen in Japan, Italien und waren in der Bundesrepublik mit Bildern auf der

Graffiti als Stadtverschönerung: geduldet. bezahlt. mit der Endstation Kunstmarkt. Die Bilder gleichen sich, doch der ursprüngliche Charakter ging verloren

zig Quadratmeter. Zur Eindämmung von Graffiti an öffentlichen Plätzen und Ge­bäuden heuerte das Parkamt im Sommer einige Graffitiartists an, um Mauern an Parks und Sportanlagen mit Sprühbildern zu verzieren. Graffiti gegen Graffiti. Chico, einer von denen, die Graffiti legal im Auftrag jener städtischen Behörde mach­ten, meint: "Ich malte viel in Parks und an anderen Stellen und wollte sie mit meiner Kunst verschönern. Aber das allein bringt noch gar nichts, weil's da noch 'ne Menge andere gibt, die nicht die gleiche Möglich­keit haben wie ich, und deshalb zerstören sie meine Sachen.!' Chico und viele andere

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letzten Dokumenta vertreten. Im Ausland zählt man die Werke der New Yorker Ju­gendlichen schon lange vorbehaltlos zur zeitgenössischen amerikanischen Kunst und holt die Kinder aus New York zu Auf­tragsarbeiten und Vernissagen nach Über­see. Die Leinwandgraffities sind heute Spekulationsobjekte auf dem Kunstmarkt und erzielen nicht selten Verkaufspreise zwischen 5000,- und 10 000,- DM. Der Durchbruch auf der Kunstszene bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Graffiti­scene. Ein paar haben es geschafft, besit­zen die Aufmerksamkeit der Medien, sind über die Graffitikreise hinaus zum Teil in-

ternational bekannt, machen Geld zu einem Stundenlohn, den man sonst nur mit Stars verbindet: 500 Dollar ftir ein Bild, das man in wenigen Stunden hergestellt hat. Und wer will nicht bekannt sein, in den Zeitungen stehen, eine Ausstellung ha­ben? Wer will nicht seinen Lebensunter­halt mit dem verdienen, was er über Jahre hinweg umsonst getan hat? Die Hoffnung aufzusteigen, aus der engen Welt auszu­brechen, steckt in den meisten. "Meine Welt ist malen, malen bis eines Ta­ges jemand kommt und mich aus dieser Welt herausholt in eine andere, mir die Ge­legenheit gibt, Geld damit zu verdienen", sagt Chico, "Das ist mein Traum. Deshalb male ich oft eine Sprühdose und eine Ker­ze. Und wenn die Kerze ausgeht, dann ist's auch aus mit mir! Dann gebe ich auf. Die Kerze ist meine Hoffnung." Selbst, wenn man im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, kann das Rampenlicht plötzlich aus­gehen. Ebenso wie Futura 2000 sind sich die meisten Künstler darüber im klaren. "Die Kunstwelt ist eine ScheißweIt. Plötz­lich machen sie einen berühmt, aber ich weiß, jeden Tag kann es damit zu Ende sein. Dann sagt einer, ,Futura, was glaubst du eigentlich, wer du bist?'" Graffiti der Straße entzogen, Graffi ti im Rahmen - quadratisch, praktisch, gut -Graffiti, bewegungslos, entschärft, hat mit Graffiti an den Zügen wenig mehr gemein­sam als Technik und Stil. Die Bedingun­gen, unter denen Graffiti auf Leinwand und Graffiti auf Zügen geschaffen wird, sind gegensätzliche; die, unter denen sie betrachtet werden, auch. Während der Kunstinteressierte sich in die Kunststätten begibt, um das Werk zu suchen, rast im Umfeld der Stadt das kurzlebige und stetig neue Bilderband auf Rädern unerwartet, jetzt hier, bald da, am zufälligen Betrachter vorbei. Die Galerien sind ftir Käufer eines exportierbar gemachten Etwas, das sonst­nur in New York City - jedermann um­sonst sehen kann. Auf Leinwand verliert Graffiti viel von seinem Gehalt, wird an­ders - und macht sich bezahlt. Geld ist das Hauptmotiv ftir die Sprüh­arbeiten auf Leinwand. Wenn es sein muß, dann läßt man sich kaufen, um kaufen zu können. Aber gerade das ungebändigte Element, der direkte Ausdruck des "grow­ing up" in New York, einer der ,schnell­sten' Städte dieser Zeit, ist es, was die writer, immer wieder in die Tunnel zu den Zügen zieht. "Manchmal bin ich es richtig müde, raus zu den Zügen zu gehen", sagt Kool; "du machst's schon so lang, und nichts kommt dabei raus. Und dann willst du aufhörn, aber da ist etwas, das bringt dich zurück. Es ist, wie wenn du aufhörn willst mit Rauchen." Es ist leichter, das Rau­chen aufzugeben, meint Lady Pink. 0