Wie Facebook den Handel ausschalten will

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00 KMU-Magazin Nr. 9, September 2015 Marketing & Vertrieb An der letzten «F8-Konferenz» hat Face- book angekündigt, nicht nur einen Be- zahldienst anzubieten, sondern auch wei- tere, grundlegende Zusatzfunktionen im Messenger einzubauen. Die Absicht da- hinter erscheint nicht ganz so klar, und Detailhändler sowie E-Commerce-Anbie- ter sind sich wohl auch nicht bewusst, dass Facebook zu einem ernst zu nehmen- den Player in diesem Segment wird, bald wohl mit einem eigenen OS, basierend auf dem Messenger für 1,4 Milliarden User und in Kombination mit einer eigenen Bezahlungslösung, beschleunigt durch 700 Millionen Whatsapp-Nutzer. Erst ausgliedern … Facebooks Messenger-Plattform könnte der Anfang von etwas ganz Grossem wer- den. Woher diese Annahme? Facebook hat an der jüngst abgehaltenen Entwickler- konferenz Pläne eines aufgebohrten Mes- sengers präsentiert. Das heisst, Entwick- lern steht es nun frei, Applikationen zu entwickeln und anzubinden. So wurde ne- ben der Ankündigung eines «Messengers for Business» die Plattform für Drittanbie- ter ergänzt und schon kurze Zeit später waren über 40 Apps zur Erweiterung ver- fügbar. Warum dieser Schritt und warum gerade via Messenger-Applikation? Face- book will wohl unabhängiger von den so- genannten Gatekeepern werden, sprich Google Play und vor allem Apples iTunes. Noch ist dies allerdings nicht zu einhun- dert Prozent möglich. Wie Facebook er- klärte, würde eine komplette Plattformlö- sung die App vor allem langsamer machen. Darum folgt man lieber einem Annähe- rungsprinzip: Externe Apps werden ledig- lich aus dem Messenger heraus verlinkt und sind bis zu einem gewissen Grad in der Lage, Inhalte in Messenger-Chats dar- zustellen. Die eigentliche Installation einer externen Drittanbieter-App aber erfolgt ganz konventionell über den jeweiligen Store von Apple oder Google. Noch also funktioniert der Messenger als klassische Kommunikationsgeschichte. Nachrichten werden gesendet, empfan- gen, angereichert, weitergeleitet und so weiter. Zulasten der klassischen Dienste wie E-Mail. Gewisse Generationen ver- zichten fast komplett auf private E-Mails und lösen die Kommunikation durch den Messenger von Facebook ab. Dasselbe gilt auch für SMS, welches durch Whatsapp kannibalisiert wurde und immer noch wird. Eine Verlagerung derselben Hand- lung auf neue Applikationen also. Woher also der Fokus von Facebook, den Messen- ger zu stärken? Wie eingangs erwähnt, liegt das wahre Potenzial weniger in den Nachrichten, sondern in den Transakti- onsabsichten dahinter. Facebook möchte den Messenger nicht als Applikation, son- dern als Plattform positionieren, was auch jüngst mit der kompletten Ausglie- derung als messenger.com anzufangen scheint. Erst ausgliedern, dann weiter aus- und aufbauen. Dann aber spätestens kollidieren die Interessen zwischen Face- book und den OS-Betreibern massiv, denn Facebook möchte das Thema der Trans- aktionen auch finanzieller Natur stärker in den Fokus rücken. Bisher steht dem Messenger nur Apps offen, die Bilder, Vi- deos und Sounddateien im Messenger platzieren wollen. Irgendwann dürften aber auch Nachrichteninhalte verfügbar sein, die Services und Produkte im Sinne einer (derzeit klassischen) E-Commerce- Transaktion darstellen. Zitat Mark Zuckerberg: «Messaging is one of the few things people do more than so- cial networking. In some countries 85 per- Roger Basler E-Commerce Wie Facebook den Handel ausschalten will Noch denken viele stationäre Händler, aber auch E-Commerce-Anbieter, dass die grösste Gefahr seitens Amazon zu drohen scheint. Dem ist jedoch nicht so. Die wirkliche Gefahr liegt uns jeden Tag in der Hand, mit fast 500 Millionen Nutzern und nun mit einer eigenen App, welche auch Bezahlungen ermöglicht: Facebook Messenger.

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KMU-Magazin Nr. 9, September 2015

Marketing & Vertrieb

An der letzten «F8-Konferenz» hat Face-book angekündigt, nicht nur einen Be-zahldienst anzubieten, sondern auch wei-tere, grundlegende Zusatzfunktionen im Messenger einzubauen. Die Absicht da-hinter erscheint nicht ganz so klar, und Detailhändler sowie E-Commerce-Anbie-ter sind sich wohl auch nicht bewusst, dass Facebook zu einem ernst zu nehmen-den Player in diesem Segment wird, bald wohl mit einem eigenen OS, basierend auf dem Messenger für 1,4 Milliarden User und in Kombination mit einer eigenen Bezahlungslösung, beschleunigt durch 700 Millionen Whatsapp-Nutzer.

Erst ausgliedern …

Facebooks Messenger-Plattform könnte der Anfang von etwas ganz Grossem wer-den. Woher diese Annahme? Facebook hat an der jüngst abgehaltenen Entwickler-konferenz Pläne eines aufgebohrten Mes-sengers präsentiert. Das heisst, Entwick-lern steht es nun frei, Applikationen zu entwickeln und anzubinden. So wurde ne-ben der Ankündigung eines «Messengers for Business» die Plattform für Drittanbie-ter ergänzt und schon kurze Zeit später waren über 40 Apps zur Erweiterung ver-

fügbar. Warum dieser Schritt und warum gerade via Messenger-Applikation? Face-book will wohl unabhängiger von den so- genannten Gatekeepern werden, sprich Google Play und vor allem Apples iTunes. Noch ist dies allerdings nicht zu einhun-dert Prozent möglich. Wie Facebook er-klärte, würde eine komplette Plattformlö-sung die App vor allem langsamer machen.

Darum folgt man lieber einem Annähe-rungsprinzip: Externe Apps werden ledig-lich aus dem Messenger heraus verlinkt und sind bis zu einem gewissen Grad in der Lage, Inhalte in Messenger-Chats dar-zustellen. Die eigentliche Installation einer externen Drittanbieter-App aber erfolgt ganz konventionell über den jeweiligen Store von Apple oder Google.

Noch also funktioniert der Messenger als klassische Kommunikationsgeschichte. Nachrichten werden gesendet, empfan-gen, angereichert, weitergeleitet und so weiter. Zulasten der klassischen Dienste wie E-Mail. Gewisse Generationen ver-zichten fast komplett auf private E-Mails und lösen die Kommunikation durch den Messenger von Facebook ab. Dasselbe gilt auch für SMS, welches durch Whatsapp

kannibalisiert wurde und immer noch wird. Eine Verlagerung derselben Hand-lung auf neue Applikationen also. Woher also der Fokus von Facebook, den Messen-ger zu stärken? Wie eingangs erwähnt, liegt das wahre Potenzial weniger in den Nachrichten, sondern in den Transakti-onsabsichten dahinter. Facebook möchte den Messenger nicht als Applikation, son-dern als Plattform positionieren, was auch jüngst mit der kompletten Ausglie-derung als messenger.com anzufangen scheint. Erst ausgliedern, dann weiter aus- und aufbauen. Dann aber spätestens kollidieren die Interessen zwischen Face-book und den OS-Betreibern massiv, denn Facebook möchte das Thema der Trans-aktionen auch finanzieller Natur stärker in den Fokus rücken. Bisher steht dem Messenger nur Apps offen, die Bilder, Vi-deos und Sounddateien im Messenger platzieren wollen. Irgendwann dürften aber auch Nachrichteninhalte verfügbar sein, die Services und Produkte im Sinne einer (derzeit klassischen) E-Commerce-Transaktion darstellen.

Zitat Mark Zuckerberg: «Messaging is one of the few things people do more than so-cial networking. In some countries 85 per-

› Roger Basler

E-Commerce

Wie Facebook den Handel ausschalten willNoch denken viele stationäre Händler, aber auch E-Commerce-Anbieter, dass die grösste

Gefahr seitens Amazon zu drohen scheint. Dem ist jedoch nicht so. Die wirkliche Gefahr

liegt uns jeden Tag in der Hand, mit fast 500 Millionen Nutzern und nun mit einer eigenen

App, welche auch Bezahlungen ermöglicht: Facebook Messenger.

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KMU-Magazin Nr. 9, September 2015

Marketing & Vertrieb

cent of people are on Facebook, but 95 per- cent of people use SMS or messaging. As-king folks to install another app is a short term painful thing, but if we wanted to fo-cus on serving this [use case] well, we had to build a dedicated and focused experi-ence. [...] The reason is that what we’re trying to do is build a service that’s good for everyone. Because Messenger is faster and more focused [...].»

… dann ausbauen

Mark Zuckerberg erklärte dazu bereits im November 2014, dass er die Nutzung des Messengers forcieren möchte, damit Men-schen fokussierter und schneller kommu-nizieren können. Dazu mussten bereits letztes Jahr alle Facebook-Nutzer eine ei-gene App für den Messenger herunterla-den. Doch das ist wohl erst die Hälfte der Reise, denn jetzt, wo die App auf allen Smartphones ist, ist es ein Leichtes, diese Applikation nicht als Messenger per se, sondern als eigentlichen Browser für Smartphones zu verstehen. Mehr und mehr Inhalte werden über den Messenger (Browser) geteilt und kommentiert, Ter-mine ausgemacht, Informationen ausge-tauscht. Man bespricht, surft, recher-chiert und wird irgendwann wohl auch direkt kaufen. Alles in derselben Applika-tion, die Grenzen verwischen und ver-schwinden letztendlich dann ganz, und dank des eigenen Transaktionssystems sind auch Bezahlungen ein Leichtes. Das fehlte Facebook bislang noch und es lässt sich in der aktuellen Konstellation mit Apple und Google als Mitverdiener bei In-App-Käufen auch gar nicht realisieren. Momentan noch jedenfalls.

Das Bezahlen bequem über die Messen-ger-App ist nur eine Frage der Zeit – denn neben Werbung könnte Facebook auch daran mitverdienen. Was für die eben be-schriebene Strategie spricht, ist auch eine Personalie: Für den Messenger ist der frühere Chef des Online-Bezahl-dienstes Paypal, David Marcus, verant-wortlich. Die in den Staaten bereits ein-geführte Geld-versenden-Funktion im Messenger hatte Paypal in seiner App be-

reits im vergangenen Sommer gestartet, kurz nach dem Wechsel von Marcus zu Facebook.

Kampf um loyale Kunden

Aber wo befindet sich die künftige Käu-ferschaft? Genau, neben dem Messenger auf Whatsapp, welches Facebook 2014 gekauft hatte. Fehlt nur noch diese naht-lose Integration in die Facebook-Welt. Be-reits im April diesen Jahres waren erste Screenshots mit dem Whatsapp-teilen-Button innerhalb von Facebook aufge-taucht, nur Zufall oder Beta-Test? Face-book kommentierte die Bilder nur knapp. Eine alternative Variante wäre, man wen-det sich an einen Hardware-Partner und stellt sicher, dass die Messenger-App be-reits beim Kauf installiert und prominent platziert ist. Zum Beispiel mit Samsung, das im Smartphone-Markt immer stärker unter Druck gerät oder den chinesischen Shooting-Star Xiaomi, an dem Facebook gemäss diversen Berichten gerne beteili-gen würde. Also zwei sehr attraktive Ko-operationspartner für ein heute noch fik-tives und dennoch logisches Szenario.

Die User werden entscheiden, ob und wie sie es nutzen werden. Aber eines ist si-cher: Unternehmen, Händler und Markt-plätze müssen sich anstrengen: Konnte

der Händler noch mit Beratungskom-petenz punkten, sind es beim heutigen E-Commerce vor allem Preis, Verfügbar-keit und (Liefer-)Service. Nun kommt mit dem eigentlichen unified-commerce die nächste Stufe, aus der er sich zu befreien gilt: der Lock-In-Effekt. User und Käufer sind bequem, warum also die Plattfor-men wechseln, nur weil ich etwas kaufen möchte? Beratung, Service und Verfüg-barkeit sind plötzlich obsolet, wenn es Unternehmen nicht schaffen, noch direk-ter an den Kunden zu gelangen und Loya-lität zu erreichen. Nicht leicht im unge-duldigen Informationszeitalter, aber nicht unmöglich. «

Porträt

Roger BaslerBerater

Roger Basler ist Betriebsökonom FH und Unternehmens-architekt. Seine Fachspezialisierungen sind Business-De-velopment, New Media, Social Commerce und Digitales Marketing. Er ist Inhaber der Digital Marketing Agentur Gustav & Paul, Geschäftsführer der Swiss E-Commerce

Academy und ist im Vorstand der MSM Investorenvereinigung, welche Start-ups berät und finanziert.

Kontakt

[email protected] www.rogerbasler.com, www.gustavpaul.com