Wie Jugendliche die Chemie sehen

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DOI: 10.1002/ciuz.201400675 www.chiuz.de 312 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 312 – 316 „Male dein Bild zur Chemie“ Wie Jugendliche die Chemie sehen kende Seite der Chemie starke Parallelen zu den Genfer Bildern auf [1]. 1998 führte Hil- bing im Rahmen einer Examensarbeit eine ähnliche Untersuchung in Deutschland durch [2]. Die Jugendlichen an Schulen im Raum Münster in Westfalen wurden aufge- fordert, „ihr Bild von der Chemie“ zu malen. Im Anschluss füllten sie Fragebögen aus, die dazu dienten, die Motivwahl und die Einstel- lung zur Chemie und zum Chemieunter- richt zu ermitteln. Im Gegensatz zu Heil- bronner und Wyss wurden aber auch die Ju- gendlichen in die Studie aufgenommen, die bereits Unterricht im Fach Chemie erhiel- ten. Insgesamt wurden 480 Bilder mit 1576 Motiven gemalt und nach bestimmten Kate- gorien geordnet: Umweltschädigung, Tier- versuche, Labor, Alltag und Leben, Fach- wissen. Allerdings waren oft mehrere Moti- Auf der Feier des 100sten Gründungstages der Ècole de Chimie der Universität Genf im Jahre 1979 entstand unbeabsichtigt eine Pilot-Studie. Schüler und Schülerinnen der Genfer Schulen sollten für die offizielle Feier Bilder zum Thema Chemie malen, wo- bei die 50 besten Bilder ausgestellt wurden. Im Laufe der Ausstellung fiel auf, dass ein flächendeckendes Bild von einer menschen- feindlichen und zerstörerischen Chemie bei nahezu allen Zeichnungen vorherrschte [1]. Heilbronner und Wyss führten daraufhin ei- ne zweite Untersuchung in der Stadt Basel durch: Aufgrund der dort ansässigen chemi- schen Industrie entschieden sie sich be- wusst für diese Stadt. Alle Probanden hatten zuvor noch keinen Chemieunterricht genos- sen, so dass sie von schulischen Inhalten noch völlig unbeeinflusst waren. Die Zeich- nungen zeigten durch ihre bedrohlich wir- von Sebastian Pietsch und Hans-Dieter Barke „Der Chemielehrer ist vermutlich der einzige, der zu Beginn seines Unterrichts vor eine Klasse tre- ten muss, die sich ihre Meinung über den Wert oder besser Unwert des Faches gemacht hat, wel- ches nun auf sie zukommt. Das bewusste oder unbewusste Gefühl, sozusagen aus der Defensive heraus lehren zu müssen, wirkt sich auf Form und Inhalt seines Unterrichts aus“. Heilbronner und Wyss [1] hatten zu Beginn der 1980er Jahre durch empirische Erhebungen festgestellt, dass die Einstellungen vieler Jugendlicher zur Chemie sehr negativ waren. Wie sieht es heute aus? Abb. 1 Der unerschrockene Chemielehrer (Schülerin Kl. 9). Abb. 2 Explosionsartige Reaktionen (Schüler Kl. 7). Abb. 3 Wissen zur Luftzusammensetzung (Schülerin Kl. 7). Abb. 4 Die Eisen-Schwefel-Reaktion mit passenden Geräten (Schülerin Kl. 6).

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DOI: 10.1002/ciuz.201400675www.chiuz.de

312 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 312 – 316

„Male dein Bild zur Chemie“

Wie Jugendliche die Chemie sehen

kende Seite der Chemie starke Parallelen zuden Genfer Bildern auf [1]. 1998 führte Hil-bing im Rahmen einer Examensarbeit eineähnliche Untersuchung in Deutschlanddurch [2]. Die Jugendlichen an Schulen imRaum Münster in Westfalen wurden aufge-fordert, „ihr Bild von der Chemie“ zu malen.Im Anschluss füllten sie Fragebögen aus, diedazu dienten, die Motivwahl und die Einstel-lung zur Chemie und zum Chemieunter-richt zu ermitteln. Im Gegensatz zu Heil-bronner und Wyss wurden aber auch die Ju-gendlichen in die Studie aufgenommen, diebereits Unterricht im Fach Chemie erhiel-ten.

Insgesamt wurden 480 Bilder mit 1576Motiven gemalt und nach bestimmten Kate-gorien geordnet: Umweltschädigung, Tier-versuche, Labor, Alltag und Leben, Fach-wissen. Allerdings waren oft mehrere Moti-

Auf der Feier des 100sten Gründungstagesder Ècole de Chimie der Universität Genfim Jahre 1979 entstand unbeabsichtigt einePilot-Studie. Schüler und Schülerinnen derGenfer Schulen sollten für die offizielle Feier Bilder zum Thema Chemie malen, wo-bei die 50 besten Bilder ausgestellt wurden.Im Laufe der Ausstellung fiel auf, dass einflächendeckendes Bild von einer menschen-feindlichen und zerstörerischen Chemie beinahezu allen Zeichnungen vorherrschte [1].Heilbronner und Wyss führten daraufhin ei-ne zweite Untersuchung in der Stadt Baseldurch: Aufgrund der dort ansässigen chemi-schen Industrie entschieden sie sich be-wusst für diese Stadt. Alle Probanden hattenzuvor noch keinen Chemieunterricht genos-sen, so dass sie von schulischen Inhaltennoch völlig unbeeinflusst waren. Die Zeich-nungen zeigten durch ihre bedrohlich wir-

von Sebastian Pietsch und Hans-Dieter Barke

„Der Chemielehrer ist vermutlich der einzige, der zu Beginn seines Unterrichts vor eine Klasse tre-ten muss, die sich ihre Meinung über den Wert oder besser Unwert des Faches gemacht hat, wel-ches nun auf sie zukommt. Das bewusste oder unbewusste Gefühl, sozusagen aus der Defensiveheraus lehren zu müssen, wirkt sich auf Form und Inhalt seines Unterrichts aus“. Heilbronnerund Wyss [1] hatten zu Beginn der 1980er Jahre durch empirische Erhebungen festgestellt, dassdie Einstellungen vieler Jugendlicher zur Chemie sehr negativ waren. Wie sieht es heute aus?

Abb. 1 Der unerschrockene Chemielehrer(Schülerin Kl. 9).

Abb. 2 Explosionsartige Reaktionen (Schüler Kl. 7).

Abb. 3 Wissen zur Luftzusammensetzung(Schülerin Kl. 7).

Abb. 4 Die Eisen-Schwefel-Reaktion mit passenden Geräten (Schülerin Kl. 6).

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ve pro Bild mit meist unterschiedlichen Ka-tegorien vorhanden, sodass nicht die Bilder,sondern die einzelnen Motive in diese Kate-gorien eingeordnet wurden.

Die Untersuchung ergab, dass die Antei-le der Motive, die Umweltschädigungen undTierversuche zeigten, geringer waren als dieAnteile bei Heilbronner und Wyss. Auch dieGesamtanzahl der Negativaussagen ist imVergleich zu 1983 weit zurückgegangen. Zu-sammenfassend wurde festgestellt, dass dieJugendlichen durch ihre gewählten Motivezwar die Risiken der Chemie aufzeigten,aber auch die positiven Seiten der Chemieberücksichtigten [3].

Eine neue UntersuchungIm Jahr 2013 führte Pietsch eine neue Erhe-bung an drei Schulen aus dem Regierungs-bezirk Münster durch [4]. Die „Bilder zurChemie“ wurden in den Jahrgangsstufen 5bis 10 angefertigt. Angelehnt an die Unter-suchung von Hilbing sollten die Jugendli-chen möglichst unbeeinflusst und affektivihr „Bild der Chemie“ malen. Vor der künst-lerischen Gestaltung der Bilder war es den-noch zweckmäßig, ihnen Denkanstößedurch ein kurzes Brainstorming im Klassen-verband zu ermöglichen und sie in das The-ma einzuführen.

Zusätzlich gab es einen kurzen Fragebo-gen um herauszufinden, wie angesehen dasUnterrichtsfach Chemie bei den befragtenJugendlichen ist und – soweit sie schonChemieunterricht hatten – wie sie ihn be-werten. Insbesondere sollte herausgefun-

den werden, wie die Einstellungen zur Che-mie am Beginn des Chemieunterrichts aus-sehen und welche Änderungen sich im Ver-lauf des Unterrichts von Klassen 7 bis 10ergeben.

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Abb. 5 Sicherheitsunterweisung und Gefahrensymbole (Schülerin Kl. 7).

Abb. 6 Moleküle und Ionen als Modelle zurStruktur der Materie (Schülerin Kl. 10).

Abb. 7 Kernkraft-Abfälle und Umwelt (Schülerin Kl. 8).

Abb. 8 Kernkraft-Katastrophen in der Erinne-rung von Jugendlichen (Schüler Kl. 10).

Abb. 9 Emotionen zum Schulfach Chemie(Schülerin Kl. 9).

Abb. 10 Empfindungen der Jugendlichen zumChemieunterricht (Schüler Kl. 10).

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Beispiele Wie schon von den anderen Untersuchun-gen berichtet, beziehen sich viele Bilder aufExperimente im Unterricht: Es soll ständigetwas explodieren, überschäumen oderspritzend in die Luft gehen (Abbildung 1und 2). Es wurden – wie in den anderen Er-hebungen – durchaus auch Kenntnisse ausdem Fach bemüht (Abbildung 3) und gernGeräte bezeichnet – etwa am Rande der oftmals üblichen Eisen-Schwefel-Reaktion(Abbildung 4).

Eine neue Erfahrung für uns ist, dass Sicherheitsbestimmungen und Gefahren-symbole in mehreren Bildern zum Ausdruckkommen. Offensichtlich informieren dieChemielehrer weit intensiver bezüglich die-ser Fragen als früher (Abbildung 5). Eben-falls waren wir erstaunt, dass Modelle zuchemischen Strukturen und zum Aufbau derAtome eine Rolle spielen; mehrere Malewerden die bekannten Modellzeichnungenzu den drei Aggregatzuständen oder zumKern-Hülle-Modell des Atoms gewählt. Eini-ge Schüler erinnerten sich gar an Moleküleund Ionen zum Aufbau der Materie (Abbil-dung 6) oder notierten einfache Reaktions-gleichungen.

Nur zu einem kleinen Anteil gibt esZeichnungen zur Umweltzerstörung (Abbil-dung 7), von den wenigen Bildern sind essolche, die – wegen der Fukushima-Kata-strophe in Japan – die Kernenergie und dieUnfälle an Kernreaktoren zum Inhalt haben(Abbildung 8).

Schließlich sind auch Bilder zum Inte-resse am Chemieunterricht gemalt worden.Zum einen zeigen sie, dass der Unterrichtdurchaus als spannend und spaßig empfun-den wird, zum anderen aber immer Gefah-ren und giftige Chemikalien eine Rolle spie-len (Abbildung 9). Das Schild „Vorsicht!Spannend“ (Abbildung 10) fasst mit allenanderen Aspekten wie „Achtung, Boom,Peng, H2O“ und dem Planetenmodell desAtoms zusammen, welche Empfindungenvorherrschen und an welche Inhalte sichdie Schülern und Schülerinnen der Sekun-darstufe I erinnern.

Auswertung der UntersuchungEs zeigt sich, dass der Anteil von Motivenaus dem Bereich des Fachwissens gegen-über den vorherigen Erhebungen zunimmtund zugleich der Anteil der Bilder mit nega-tiven Bewertungen stark abnimmt. Die Bil-

der zum Fachwissen zeigen zum einen, dassLaborgeräte und insbesondere Brenner -typen im Vordergrund stehen, zum anderen,dass allerdings chemische Kontexte aus All-tag und Lebenswelt der Jugendlichen nur ingeringem Maße gewählt und gezeichnetwerden. Es entsteht zusätzlich der Eindruck,dass die Jugendlichen den Bereich der Che-mie mit dem Chemieunterricht in der Schu-le gleichsetzen – für sie es gibt vorwiegenddie Chemie nur in der Schule.

Insgesamt hat die Untersuchung 321 Bil-der hervorgebracht. Wie auch schon zuvorbei Hilbing wurden nicht die Bilder als Ge-samtwerke bewertet, sondern die darauf

TA B . 1 Z U O R D N U N G D E R M OT I V E

Z U 1 0 K AT EG O R I E N

Kategorien Anzahl Prozent

Laborgeräte 222 69,2 %

Brenner 136 42,4 %

Versuchsaufbauten 80 24,9 %

Radioaktivität 72 22,4 %

Gefahrensymbole 71 22,1 %

Texte 69 21,5 %

Gefahren/Gifte 65 20,2 %

Feuer/ Explosion 54 16,8 %

Chemikalien 53 16,5 %

Schutzbekleidung 46 14,3 %

enthaltenen einzelnen Motive. Dabei entfie-len auf 321 Bildern insgesamt 1030 Motive– jedes Bild enthält dementsprechend imDurchschnitt 3,2 Motive. Ordnet man dieMotive etwa zehn Kategorien zu, dann er-hält man die in Tabelle 1 gezeigte Vertei-lung.

Bei der Betrachtung der Häufigkeit ste-chen die Kategorien „Laborgeräte“ und„Brenner“ deutlich hervor. Auch die Katego-rien „Radioaktivität“, „Gefahrensymbole“und „Gefahren/Gifte“ sind häufig auf denBildern zeichnerisch dargestellt. Motive zuUmweltschädigungen sind überwiegend diezur Radioaktivität – andere negative Aus-wirkungen der Chemie wurden nur in ge-ringen Anteilen unter 1 Prozent aller Bilderabgebildet.

In der geschlechtsspezifischen Betrach-tung sind wenige Unterschiede festzustel-len. Es ist lediglich auffällig, dass Mädchenin den Jahrgangsstufen 8 und 9 Motive zuKosmetik- und Pflegeprodukten gemalt ha-ben: bei ihnen beginnt das Alter, in demKosmetikartikel in den Vordergrund rücken.Es ist positiv zu vermerken, dass sie dieseProdukte mit Chemie verbinden und ihnenbewusst ist, dass „darin Chemie steckt“.

Werden die Motive in positive und nega-tive Aussagen eingeordnet, erkennt man ei-ne positiv dominierende Position der Ju-gendlichen (Abbildung 11). Bilder mit aus-schließlich negativen Motiven sind kaumvorhanden, Bilder mit mindestens einem po-sitiven Motiv nehmen den stärksten Anteilein. Im Laufe der Schulzeit sinken die Antei-le von Bildern mit mindestens einem negati-ven Motiv. Das geht einher mit der Beobach-tung, dass Motive zum Fachwissen im Laufeder Schulzeit zunehmen.

Auswertung der FragebögenDie Antworten der Jugendlichen zeigen,dass die Chemie ein Schulfach ist, welchessich eher im mittleren Beliebtheitsfeld be-findet. Tendenziell nimmt die Beliebtheitdes Faches Chemie mit zunehmender Jahr-gangstufe ab und erreicht im 10. Schuljahrden Tiefpunkt. Das hat sicher damit zu tun,dass der Unterricht zu ersten Phänomenenmit Hilfe vieler Experimente und ohnetheoretische Auswertungen anfangs auf gro-ßes Interesse stößt, dass dann aber mit zu-nehmenden Schwierigkeiten im Umgangmit quantitativen Berechnungen, mit demEinsatz modellhafter Betrachtungen und

Abb. 11 Vergleich von Positiv- und Negativ -bewertungen der Motive.

38,0%

4,8%

Mindestens einnegatives Motiv

Mindestens einpositives Motiv

Nur negativeMotive

Nur positiveMotive

Motivbewertungen

55,6%44,7%

74,5%

86,9%

22,7%

41,6%

19982013

Häu

figke

it in

%

Abb. 12 Benotung des Chemieunterrichts inAbhängigkeit von der Jahrgangsstufe.

3,9

3,4

3,0

2,5

2,0

Jahr

gang

sstu

fen

JG.10

JG.9

JG.8

JG.7

JG.6

1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5Notenskala nach Schulnoten

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ner Realschule [7]. Der strukturorientierteChemieunterricht ist insbesondere geeig-net, den vielfach vorhandenen Fehlvorstel-lungen entgegenzuwirken, die in Form von„Präkonzepten“ aus der Lebenswelt der Jugendlichen stammen, und in Form von„hausgemachten Schülervorstellungen“durch fachliche Komplexität eines Themasoder durch wenig wirksamen Unterrichtentstehen [8]!

Literatur

[1] E. Heilbronner und E. Wyss, Chem. unserer Zeit 1983,17, 69.

[2] H.-D. Barke und C. Hilbing, Chem. unserer Zeit 2000,34, 17.

[3] C. Hilbing, Einstellung von Schülern und Schülerinnenhinsichtlich der Chemie und des Chemieunterrichts. Eine empirische Untersuchung und davon abgeleitetePerspektiven, Staatsexamensarbeit, Münster, 1998.

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den Unwert des Fachesgemacht hat“ [1]. Esbleibt lediglich das Unbe-hagen, dass die von denSchülern abgegebenenNoten für ihren Unter-richt im Schulfach Che-mie von einer 2,0 in derKlassenstufe 6 auf dienur ausreichende Note 4im 10. Jahrgang absinken.Die Vermutung liegt na-he, dass es an den Anfor-derungen zu Abstrakti-onsleistungen liegt, diedie Schüler bei der Ver-wendung von Formelnund Reaktionsgleichun-gen oder beim stöchio-metrischen Rechnen bewältigen müssen.

Gräber [5] hat in einer empirischen Erhe-bung vielen Jugendlicheneine Liste von Tätigkeitenvorgelegt mit der Aufga-be, ihr diesbezüglichesInteresse zu kennzeich-nen (Abbildung 13). DieErhebung bestätigt, dass„Rechnen“ und „Glei-chung aufstellen“ so-wohl bei Jungen als auchbei Mädchen zu den amwenigsten beliebten Tätigkeiten gehört.

Mit dem Strukturorientierten Chemieun-terricht wird das „Aufstellen von Reaktions-symbolen“ verständlich, wenn Reaktionenso ausgewählt werden, dass modellhafteDarstellungen möglich sind [6]. Aus solchenModellvorstellungen können leicht Reakti-onssymbole abgeleitet oder stöchiometri-sche Berechnungen von Massen und Volu-mina anschaulich werden. Auch der zur The-matik „Säuren, Laugen, Salze“ benötigte Io-nenbegriff ist mit Hilfe von Becherglasmo-dellen besser zu „be-greifen“ [6]. Ein beson-deres Periodensystem, das die wichtigstenAtom- und Ionenarten als „Grundbausteineder Materie“ darstellt, ist nützlich, um denIonenbegriff bereits vor der Behandlung dif-ferenzierter Atommodelle im Anfangsunter-richt einzuführen [6]. Strehle und Röllekerealisierten und evaluierten einen solchenUnterricht bereits in der Klassenstufe 8 ei-

dem Gebrauch chemischer Symbole das Interesse am Fach Chemie mehr und mehrabnimmt.

Diese Beobachtungen gehen einher mitden Schülerbewertungen des eigenen Che-mieunterrichts (Abbildung 12). Je länger dieSchüler und Schülerinnen Chemieunter-richt haben, desto schlechter fallen die Be-notungen aus und damit die Bewertungendes Chemieunterrichts. Von der ansehnli-chen Note 2,0 in der Klassenstufe 6 gelangtder Chemieunterricht zu einer schwachenBewertung von 3,9 in der Klassenstufe 10.Analog hierzu verläuft ebenfalls die Beno-tung des eigenen Interesses an chemischenThemen. Weisen die Jugendlichen aus dem6. Jahrgang noch ein hohes Interesse auf, sohaben sie aus der 10. Jahrgangsstufe nurnoch wenig Interesse an chemischen The-mengebieten.

Vergleich der StudienEs ist anhand der gemalten Bilder zu beob-achten, dass sich die Einstellungen von Ju-gendlichen zur Chemie im Vergleich zu vor-herigen Untersuchungen generell verbes-sert haben. Heilbronner und Wyss stelltenfest, dass zwei Drittel der abgegebenen Bil-der negativ behaftete Motive enthielten [1].In der Untersuchung von Hilbing hat sichdiesbezüglich eine Verbesserung ergeben:nur noch gut die Hälfte aller Bilder enthiel-ten mindestens ein negatives Motiv [2]. Inder aktuellen Erhebung sank die Anzahl derBilder mit negativen Motiven auf die 45 %-Marke (Abbildung 11). Noch deutlichersieht das Ergebnis bei den Bildern aus, dieausschließlich negative Motive darstellen:Von 1998 bis 2013 ist hier ein Rückgangvon 23 Prozent auf nur noch 5 Prozent fest-zustellen. Ein wirklich radikaler Rückgangan Motiven zeigt sich bei Bildern zu Tierver-suchen. Waren es 1983 noch 10 Prozent aller Bilder und im Jahre 1998noch 7 Prozent, kann 2013 kein einzigesMotiv mehr mit einem Bezug zu Tierversu-chen gefunden werden; es scheint, als obdieses Thema gänzlich aus den Köpfen derJugendlichen verschwunden ist.

Chemiedidaktische Folgerungen Das Image des Schulfachs Chemie ist gegen-wärtig durchaus positiv und Lehrer könneneinen Chemieunterricht ohne die histori-sche Hypothek planen, dass sie „vor eineKlasse treten, die sich ihre Meinung über

Abb. 13 Interesse an Kontexten und spezifischen Tätigkeiten imChemieunterricht [5].

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[4] S. Pietsch, Einstellungen von Jugendlichen zur Chemie:empirische Auswertung von Zeichnungen zum Thema„Male dein Bild zur Chemie“, Bachelorarbeit, Münster2013.

[5] W. Gräber, Chem. Sch. 1992, 39, 270; W. Gräber,Chem. Sch. 1992, 39, 354.

[6] H. D. Barke, Konzeption des strukturorientierten Chemieunterrichts. In: Barke, Harsch: ChemiedidaktikHeute, Springer, Berlin, Heidelberg, 2001.

[7] H.-D. Barke, N. Strehle und R. Rölleke, Das Ion imChemieunterricht—noch Vorstellungen von gestern?,MNU, 2007, Nr. 60, S. 366.

[8] H.-D. Barke, Chemiedidaktik: Diagnose und Korrekturvon Schülervorstellungen, Springer, Berlin, Heidel-berg, 2006.

Die AutorenSebastian Pietsch, geb. 1985,absolvierte eine betrieblicheAusbildung zum Textillaborantenin Rheine und studiert nun Che -mie und Geschichte auf Lehramtfür Haupt- Real- und Gesamt-schulen an der WestfälischenWilhelms-Universität Münster.2013 erlangte er den akademi-schen Grad des Bachelor of Artsdurch Abschluss der Bachelorar-beit im Fachbereich der Didaktikder Chemie. Derzeit befindet ersich im Studiengang Master ofEducation.

Hans-Dieter Barke studierte fürdas Höhere Lehramt Chemie undMathematik und blieb nach derReferendarausbildung als Akade -mischer Rat an der UniversitätHannover. Nach Promotion(1978) und Habilitation (1986)zur Chemiedidaktik weilte er fürein Jahr an der San Diego StateUniversity in Kalifornien/USA,nahm dann den Ruf an die Frie -drich-Schiller-Universität Jena an(1992), später den Ruf an dieWestfälische-Wilhelms-Universi-tät Münster (1996). Seit 2013 ister pensioniert.