Wie lernen Kinder mehrere Sprachen und wie kann die KiTa ... · Mehrsprachigkeit im Kontext...

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© Ingrid Weis Wie lernen Kinder mehrere Sprachen und wie kann die KiTa sie dabei unterstützen? Vortrag im Rahmen der Tagung „Alltagsintegrierte Sprachförderung und Beobachtung“ Jugendamt Bielefeld 29.04.2015

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© Ingrid Weis

Wie lernen Kinder mehrere Sprachen und wie kann die KiTa sie dabei

unterstützen?

Vortrag im Rahmen der Tagung „Alltagsintegrierte Sprachförderung und Beobachtung“

Jugendamt Bielefeld 29.04.2015

Inhaltsübersicht

1. Vorbemerkungen

2. Welches Sprachförderkonzept ist das richtige?

3. Was ist Sprache ?

4. Vielen Sprachen in der KiTa

5. Erste Schritte in die Sprache(n)

6. Sprachförderung: Was soll wie gefördert werden?

7. Reflexion

1. Vorbemerkungen

Mehrsprachigkeit im Kontext institutioneller Bildung Zwei- und Mehrsprachigkeit ist weltweit in größerem Ausmaß

vertreten als Einsprachigkeit.

Zweisprachig aufwachsende Kinder benötigen beide Sprachen, um in ihrer zweisprachigen Lebenswelt handlungsfähig zu sein und partizipieren zu können.

Die Unterstützung einer kontinuierlichen sprachlichen Entwicklung in Elementarbereich und Schule sollte für mehrsprachige Kinder möglichst unter Einbezug all ihrer Sprachen gewährleistet werden.

Mehrsprachigkeit im Kontext institutioneller Bildung

Kinder werden weder durch den simultanen Erwerb zweier Sprachen noch durch den frühen Zweitspracherwerb überfordert.

Durch Zweisprachigkeit werden Erwerb der Mehrheitssprache und kognitive Entwicklung des Kindes nicht gefährdet.

Erfolgreiche aktive Mehrsprachigkeit bedarf keines monolingualen Sprungbretts, wohl aber eines möglichst kontinuierlichen und regelmäßigen Sprachangebots in den beteiligten Sprachen.

Vgl. Tracy,R. (2011): Mehrsprachigkeit: Realität, Irrtümer, Visionen. in: Eichinger, L. (Hrsg.) Sprache und Integration. Tübingen: Narr Veralg, S. 69-100

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2. Welches Sprachförderkonzept ist das richtige?

Welches Sprachförderkonzept ist das richtige?

Es gibt bisher nur wenige Untersuchung zur Wirksamkeit von Sprachförderprogrammen.

Studie in Baden-Württemberg (Schöer & Roos 2010) zur Wirksamkeit unterschiedlicher Sprachförderansätze:

– Neue Wege der sprachlichen Frühförderung von Migrantenkindern (Penner 2003)

– Sprache macht stark (Tracy/ Lemke 2009)

– Deutsch für den Schulstart (Kaltenbacher & Klages 2007)

Ergebnis der Studie:

„Kinder , die nach unterschiedlichen Ansätzen gefördert worden waren, unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Sprachkompetenz. Sie unterscheiden sich jedoch auch nicht von Kindern, die keine spezielle Förderung (lediglich unspezifische sprachliche Bildung) erhalten haben.“ (Ruberg/Rothweiler 2012,19)

Konsequenzen

Nicht das Sprachförderprogramm sondern die Sprachförderkraft fördert das Kind.

?

Kompetenz in den Bereichen:

Sprache - Spracherwerb – Sprachdiagnostik - Sprachförderung

3. Was ist Sprache?

Was ist Sprache? Das Sprachpaket – eine geballte Ladung Information

• Phonologie (Klang)

• Prosodie (Sprachmelodie)

• Semantik (Wortbedeutung)

• Syntax (Satzbau)

• Morphologie (Formenlehre)

• Pragmatik (Sprachverwendung im Kontext)

(Quelle: Tracey, R.(2008): Wie Kinder Sprache lernen. Narr Verlag :Tübingen, 25)

Was ist Schrift?

Schrift kodiert diese Informationen durch Buchstaben/ Buchstabenverbindungen/Zeichen/Bilder.

Ein Beispiel

rechnen ausrechnen Ich rechne eine Aufgabe. Ich rechne eine Aufgabe aus.

Du rechnest keine Aufgabe. Du rechnest keine Aufgabe aus.

kaufen abgeben

Du kaufst ein Buch. Ich gebe deinem Bruder etwas ab.

Du kaufst kein Buch. Ich gebe deinem Bruder nichts ab.

4. Viele Sprachen in der KiTa

Viele Sprachen in der Kita

Muttersprache – Herkunftssprache(n)

Alltagssprache - Bildungssprache

Die Alltagssprache Elif und Johanna spielen Memory

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E: Mach mal, du bist.

J: Ja, ich nehm jetzt die.

Oh, Mond, wo ist das? Schade, nichts.

E: Ich weiß wie das geht. So, hier und da, - fertig.

J: Ich weiß auch, ich such jetzt was. Siehst du, ich krieg auch viele.

………….

E: Ich hab ganz viele, 10.

J: Ich hab auch ganz viele, hab mehr.

Alltagssprache: Mittel der Kommunikation

• Mimik/ Gestik

• unvollständige Sätze (Ellipsen)

• geringer Wortschatz

• unvollständigen Sätze

• deiktische Begriffe (ich, hier, da…)

• direkte Intervention möglich

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Die Bildungssprache Fatma berichtet

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Die Erzieherin fragt Fatma: „Was

haben Elif und Johanna gemacht?“

Fatma berichtet:

Elif und Johanna haben Memory

gespielt. Das war gut. Die beiden

haben sich gut vertragen.

Ich glaube, dass Johanna gewonnen

hat. (Johanna hat gewonnen)

Sie hat gesagt, sie hätte mehr Karten.

Glaube ich jedenfalls.

E: Mach mal, du bist.

J: Ja, ich nehm jetzt die.

Oh, Mond, wo ist das? Schade, nichts.

E: Ich weiß wie das geht. So, hier und da, - fertig.

J: Ich weiß auch, ich such jetzt was. Siehst du, ich krieg auch viele.

………….

E: Ich hab ganz viele, 10.

J: Ich hab auch ganz viele, hab mehr.

Die Bildungssprache Eine Erzieherin berichtet

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Elif und Johanna haben heute

zusammen Memory gespielt.

Beide Kinder kannten das Spiel schon

und deckten nacheinander die

Karten auf.

Johanna gelang es nicht, das

Kartenpaar, auf dem ein Mond

abgebildet ist, aufzudecken. Elif

dagegen fand dieses Kartenpaar.

Wahrscheinlich hat Elif verloren,

denn sie sagte, dass sie 10

Kartenpaare hätte. Johanna erklärte,

dass sie mehr Kartenpaare als Elif

hätte.

E: Mach mal, du bist.

J: Ja, ich nehm jetzt die.

Oh, Mond, wo ist das? Schade, nichts.

E: Ich weiß wie das geht. So, hier und da, - fertig.

J: Ich weiß auch, ich such jetzt was. Siehst du, ich krieg auch viele.

………….

E: Ich hab ganz viele, 10.

J: Ich hab auch ganz viele, hab mehr.

Bildungssprache

Die bildungsrelevante Form der schulischen Kommunikation besitzt (…) tendenziell die konzeptionellen Merkmale der Schriftlichkeit, und zwar auch dann, wenn sie sich mündlich vollzieht.

(vgl. Gogolin 2008)

Wichtige Grundlagen dazu werden in der KiTa gelegt.

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5. Erste Schritte in die Sprache(n)

Varianten zwei- und mehrsprachigen Spracherwerbs

Doppelter Erstspracherwerb

(bilingualer Erwerb - simultaner Erwerb)

L2 ist nicht die zweite Sprache

Sukzessiver Zweitspracherwerb

(nachzeitiger Erwerb)

Später Fremdspracherwerb

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Spracherwerb hat viele Facetten „Der Erwerbserfolg des kindlichen sukzessiven Erwerbs wird von äußeren Faktoren beeinflusst. Solche Faktoren sind:

Der Zeitpunkt des Erwerbsbeginns

Die Eindeutigkeit des Inputs (z.B. die Situations- oder

Personengebundenheit oder das ‚eine Person – eine Sprache’-

Prinzip)

Die Qualität und der Umfang des Inputs,

Lebensweltliche Relevanz und Wertigkeit der Sprache,

Die Motivation zum Spracherwerb“

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Aus: Monika Rothweiler: Bilingualer Spracherwerb und Zweitspracherwerb. In: Steinbach, Markus (2007): Schnittstellen der germanistischen Linguistik, S. 122

Phonologie/Prosodie

1. Wörter aus dem Lautstrom isolieren

2. Prosodische Eigenschaften erkennen und nutzen

trochäische Sprachmuster

betonte Silbe – unbetonte Silbe

Hase, laufen, lila

3. Aufbau des Lautsystems

Laute/ Phoneme hören und unterscheiden

• Babys können alle Laute hören und bilden

• Diese Fähigkeit verliert sich nach und nach

• Nur die Laute der eigenen Sprache werden wahrgenommen (gehört, gesprochen, gespeichert)

• Phonologische System des Deutschen wird durch das Wahrnehmungssieb der Erstsprache erfasst (Dahmen 2012, 144)

Die arabische Schrift und Sprache

• Arabisch hat nur 6 Vokalphoneme (a,i,u) gegenüber 18

deutschen Vokalphonemen

• Im Unterschied zum Deutschen gibt es kein e und o,

andere Umlaute (kein ä, ö, ü) und keine Diphtonge

• 28 arabische Konsonantenmorpheme stehen 22

deutschen gegenüber, mit nur 15 Übereinstimmungen

• Im Arabischen gibt es weder –ng noch den ich-Laut

• Es gibt keinen mehrkonsonantigen Wortanlaut und keine

Konsonantenhäufung, weswegen arabische Deutsch-

Lerner mitunter Vokale einschieben

Wortschatz und Syntax

Wortschatz

• Aufbau eines mentalen Lexikons

• Begriffe mit vielfältige Informationen präsentieren (Kontext, Stimmlage, Satzmelodie, morphologische Markierungen)

Syntax

• 5 Stufen

Stufe 1: Einwortäußerungen

…….

Stufe 5: Nebensatzkonstruktionen

Sprachvergleich

Deutsch: Ich beherrsche die deutsche Sprache, aber sie

gehorcht mir nicht immer.

Türkisch:

Deutsch weiß-ich, aber diese Sprache mich

jede Zeit hör- (nicht)-t-

Polnisch:

Beherrsche Sprache deutsche, aber er nicht

immer sich mich gehorcht.

Russisch:

Ich beherrsche deutsche Sprache, aber er

gehorcht(sich) mich nicht immer.

Quelle: www.uni-due.de/prodaz/sprachbeschreibungen

6. Sprachförderung

Was soll wie gefördert werden?

Didaktische Prinzipien

„Das Kind versteht die Sprache, spricht sie, denkt in ihr, denkt aber nicht an sie. Die Sprache ist das Medium für seine Ziele, nicht aber das Ziel selbst. (Wieczerkowski, 1995, S. 18.In Ruberg/ Rothweiler 2012, 45)

Sprachförderung

• erfolgt in Situationen , in denen Kinder Sprache als Instrument zum Erreichen persönlicher Ziele einsetzen können (Dialoge),

• erfolgt in Situationen, die zum Sprechen anregen und an der Lebenswelt des Kindes anknüpfen (handlungsbegleitendes Sprechen, ritualisiertes Sprechen),

• nutzt implizite Sprachlernstrategien (Bilderbücher, Lieder, Reime, Sprachspiele, Zungenbrecher)

Sprachförderung immer und für alle Kinder

• Sprachvorbild der Erzieher/innen

• Muttersprache(n) entwickeln

• anknüpfen an Vorhandenes

• Bedeutungen erzeugen

• vom Konkreten zum Allgemeinen

• von der Umgangssprache zur Bildungssprache

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Sprachförderung mit einem Bilderbuch

Hören und Sprechen Sprachlehrtechniken/ Modellierungen

Quelle: Ruberg,T.; Rothweiler, M. (2012): Spracherwerb und Sprachförderung in der KiTa.

Stuttgart: Kohlhammer, S. 68

Freunde – ein Bilderbuch Korrektives Feedback

Morphosyntaktische Ebene • L/E: Was siehst du? • K: die Schwein • L/E Ja, das stimmt, da ist ein Schwein

Phonetisch-phonologische Ebene • K: Das ist Taus. • L/E: Ja, dass ist eine Maus

Semantisch-lexikalische Ebene • K: Das ist ein Kickereki. • L/E: Ja, das ist ein Hahn.

• K: Das ist eine Maus. • L/E: Oh ja, das ist eine kleine, niedliche Maus.

• K: Das ist ein Hahn. • L/E: Hm, ein Hahn ist das.

• K: Hahn, Kikerekie • L/E: Ja, der Hahn ist laut.

• L/E: Was machen die Tiere? • K: Die fahren Fahrrad.

Implizites Lernen in Zusammenhängen Das Sprachpaket – eine geballte Ladung Information

• Phonologie / Klang: Freunde, Heuschober

• Prosodie / Sprachmelodie: …helfen einander

• Semantik / Wortbedeutung: Heuschober, Schiffsplanken

• Syntax / Satzbau: Am Dorfteich rasten sie, wo es …

• Morphologie / Formenlehre: Mägen, wecken, fahren

• Pragmatik / Sprachverwendung im Kontext: ins Bett gehen

Aus: Tracey, Rosemarie: Wie Kinder Sprache lernen. 2008. Narr Verlag Tübingen. S. 25

Sprachförderung mit einem Bilderbuch

Generative Textproduktion Wenn ich ein Löwe wäre, würde ich brüllen, damit …….

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Von der Umgangssprache zur Bildungssprache - vom dialogischen zum monologischen Sprechen

Quelle: Neugebauer, Cl. (2010) netzwerk sims

6. Literatur

www.uni-due.de/prodaz

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6. Literatur Bainski, C./Krüger-Potratz, M. (2008) (Hrsg.): Handbuch Sprachförderung. Verlag der

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW: Essen. Beese, M./ Benholz,Cl. u.a. (2014): Sprachbildung in allen Fächern. München: Klett-

Langenscheidt Belke, G. (2007): Mit Sprache(n) spielen.Textkommentar: Poesie und Grammatik.

Kreativer Umgang mit Texten im Deutschunterricht mehrsprachiger Lerngruppen. Schneider Verlag. Hohengehren

Hoffmann, R. / Weis, I. (2011): Zweitsprache Deutsch. Alle Kinder Lernen Deutsch.

Berlin: Cornelsen Scriptor Krifka,M u.a. (Hrsg.) (2014): Das mehrsprachige Klassenzimmer. Springer: Heidelberg Neugebauer,Cl./ Nodari,Cl. (2012): Förderung der Schulsprache in allen

Fächern.Zürich: Schulverlagplus Tracy, R. (2008): Wie Kinder Sprachen lernen. Tübingen: Narr Verlag

Weis,I. (2013): Sprachförderung PLUS – Mathe. Stuttgart: Klett Verlag

Weis,I. (2013): Daz im Fachunterricht. Mühlheim: Verlag an der Ruhr

Weis,I. (2014): Sprachentdecker und Textzauberer. Stuttgart: Klett Verlag

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!