Wie tickt das Social Web?

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T RANSPARENZ IST DAS NEUE SCHWARZ „Nackte“ Unternehmen und Social Media Angst und Ratlosigkeit macht sich in vielen Kommuni- kations- und PR-Abteilungen breit. Wie ein Rudel Wölfe stürzte sich die Social Community auf die Outdoor- marke Jack Wolfskin, als diese jüngst ihre Markenrechte einforderte. Vermeintlich maßgeschneiderte Kampagnen für die „Generation Upload“ werden im Social Web schonungs- los zerrissen, und sogar in den eigenen Reihen der Blogger rollen Köpfe. Selbst knuddelige grüne Energie- Riesen werden nur Stunden nach ihrem Erscheinen gnadenlos an den Pranger gestellt. Was ist nur los im Internet? Das Social Web scheint anderen Regeln zu fol- gen, die Unternehmen lernen müssen, und wenn es sein muss auf die harte Tour. Woher kommen die neuen Regeln? Und wie sehen sie aus? Im Netz ist seit einiger Zeit ein struktureller Wandel zu beobachten. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation haben sich rasant wei- terentwickelt. So werden Informationen längst nicht mehr nur im privaten Rahmen per E-Mail oder Chat ausgetauscht. Der Informationsaustausch verlagert sich in die Öffentlichkeit. Das „Mitmach-Web“ - wie es Tim O’Reilly nannte - macht es möglich. Es werden immer mehr Tools und Services entwickelt, mit deren Hilfe sich die Menschen unkompliziert der Welt mitteilen und sich miteinander vernetzen können. Es ist leichter gewor- den sich über gleiche Interessen auszutauschen und für gemeinsame Ziele einzustehen. Damit trifft das Web 2.0 ein tief verwurzeltes Bedürfnis der Menschen. Schon Aristoteles beschrieb vor über 2.000 Jahren den Mensch als „Zoon Politicon“, ein Wesen mit dem Grund- bedürfnis Gemeinschaft zu suchen und Gemeinschaften zu bilden. Die klassischen Gemeinschaftsformen von Vereinen, Parteien und Gewerkschaften über- tragen sich nun immer mehr in die digitale Welt. Diese Eigenschaften, gepaart mit unseren heutigen demokra- tischen Idealen wie Mitbestimmung und Selbstverwirk- lichung, begründen den Kerngedanken des Social Web. Wo steckt nun das Neue? Und warum sind diese neuen Gemeinschaften anders? Der Schlüssel liegt in der Vernetzung, der Größe und der Dynamik. Blogs, Bewertungsplattformen und Communities ermöglichen es heute jedem, der einen Internetzugang besitzt, Teil der Online-Gemein- schaft zu werden. Dabei hat der User selbst die Wahl ob er im „kleinen“ Kreis der Community agiert oder sich mit der ganzen Welt per öffentlichem Blog oder Twitter-Account austauscht. Dass im „kleinen“ Kreis in Anführungszeichen steht hat einen guten Grund, denn Online Communities lassen sich nicht mehr mit den klassischen Gemeinschaften, selbst wenn diese inter- national aufgestellt sind, vergleichen. Es existieren heute weit über 200 Millionen Blogs in der sog. Bloggo- sphäre, von denen die Hälfte täglich aktualisiert wird. Die freie Enzyklopädie Wikipedia umfasst mehr als 13 Millionen Artikel, die alleine von Usern erstellt wurden. Die Community Facebook zählt zur Stunde knapp 350 Millionen Nutzer und wäre damit (als Staat gesehen) hinter China und Indien auf Platz drei der größten Staaten der Erde. Diese Zahlen ver- deutlichen den Wandel in der Informationserstellung, -bereitstellung und -suche. Das Stichwort lautet „User generated content“ - also von den Nutzern selbst erstellte Inhalte. Das alte „Top-Down“ Prinzip auf dem Informationsmarkt hat ausgedient, denn sie ist nun endgültig vorbei, die Zeit, in der wir alle reine Emp- fänger waren. Das Social Web macht jeden Einzelnen zu einem (Informations-) Sender und ermöglicht die Daniel Hoffmann 20 MD 53 Buch_MD_einzelseiten.indb 20 08.12.09 11:57

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Die Gewinner im Social Web sind Unternehmen, die sich den kritischen Fragen stellen, offen agieren und ihren Kunden zuhören. Dabei ist es für sie zugleich leichter als je zuvor, dies zu erreichen, denn der Konsument hilft dabei gerne, wenn er gefragt und ihm zugehört wird. Er möchte als Partner angesehen, offen informiert und ehrlich involviert werden.

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TRANSPARENZ IST DAS NEUE SCHWARZ„Nackte“ Unternehmen und Social Media

Angst und Ratlosigkeit macht sich in vielen Kommuni-kations- und PR-Abteilungen breit. Wie ein Rudel Wölfe stürzte sich die Social Community auf die Outdoor- marke Jack Wolfskin, als diese jüngst ihre Markenrechte einforderte.

Vermeintlich maßgeschneiderte Kampagnen für die „Generation Upload“ werden im Social Web schonungs-los zerrissen, und sogar in den eigenen Reihen der Blogger rollen Köpfe. Selbst knuddelige grüne Energie-Riesen werden nur Stunden nach ihrem Erscheinen gnadenlos an den Pranger gestellt. Was ist nur los im Internet? Das Social Web scheint anderen Regeln zu fol-gen, die Unternehmen lernen müssen, und wenn es sein muss auf die harte Tour.

Woher kommen die neuen Regeln?

Und wie sehen sie aus? Im Netz ist seit einiger Zeit ein struktureller Wandel zu beobachten. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation haben sich rasant wei-terentwickelt. So werden Informationen längst nicht mehr nur im privaten Rahmen per E-Mail oder Chat ausgetauscht. Der Informationsaustausch verlagert sich in die Öffentlichkeit. Das „Mitmach-Web“ - wie es Tim O’Reilly nannte - macht es möglich. Es werden immer mehr Tools und Services entwickelt, mit deren Hilfe sich die Menschen unkompliziert der Welt mitteilen und sich miteinander vernetzen können. Es ist leichter gewor-den sich über gleiche Interessen auszutauschen und für gemeinsame Ziele einzustehen. Damit trifft das Web 2.0 ein tief verwurzeltes Bedürfnis der Menschen. Schon Aristoteles beschrieb vor über 2.000 Jahren den Mensch als „Zoon Politicon“, ein Wesen mit dem Grund- bedürfnis Gemeinschaft zu suchen und Gemeinschaften zu bilden. Die klassischen Gemeinschaftsformen von Vereinen, Parteien und Gewerkschaften über-

tragen sich nun immer mehr in die digitale Welt. Diese Eigenschaften, gepaart mit unseren heutigen demokra-tischen Idealen wie Mitbestimmung und Selbstverwirk-lichung, begründen den Kerngedanken des Social Web.

Wo steckt nun das Neue?

Und warum sind diese neuen Gemeinschaften anders? Der Schlüssel liegt in der Vernetzung, der Größe und der Dynamik. Blogs, Bewertungsplattformen und Communities ermöglichen es heute jedem, der einen Internetzugang besitzt, Teil der Online-Gemein-schaft zu werden. Dabei hat der User selbst die Wahl ob er im „kleinen“ Kreis der Community agiert oder sich mit der ganzen Welt per öffentlichem Blog oder Twitter-Account austauscht. Dass im „kleinen“ Kreis in Anführungszeichen steht hat einen guten Grund, denn Online Communities lassen sich nicht mehr mit den klassischen Gemeinschaften, selbst wenn diese inter-national aufgestellt sind, vergleichen. Es existieren heute weit über 200 Millionen Blogs in der sog. Bloggo-sphäre, von denen die Hälfte täglich aktualisiert wird. Die freie Enzyklopädie Wikipedia umfasst mehr als 13 Millionen Artikel, die alleine von Usern erstellt wurden. Die Community Facebook zählt zur Stunde knapp 350 Millionen Nutzer und wäre damit (als Staat gesehen) hinter China und Indien auf Platz drei der größten Staaten der Erde. Diese Zahlen ver-deutlichen den Wandel in der Informationserstellung, -bereitstellung und -suche. Das Stichwort lautet „User generated content“ - also von den Nutzern selbst erstellte Inhalte. Das alte „Top-Down“ Prinzip auf dem Informationsmarkt hat ausgedient, denn sie ist nun endgültig vorbei, die Zeit, in der wir alle reine Emp-fänger waren. Das Social Web macht jeden Einzelnen zu einem (Informations-) Sender und ermöglicht die

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Entwicklung einer nie dagewesenen Massenintelligenz. Es existieren, neben der Fähigkeit lesen zu können und einen Internetanschluss zu besitzen, keine nennens-werten Einstiegsbarrieren, um auf den gigantischen Echtzeit-Informationspool zuzugreifen. Gleichzeitig wird dieser - ebenfalls in Echtzeit - von Millionen Nutzern weltweit durch Neuigkeiten, Erfahrungen und Mei nungen kontinuierlich vergrößert. Zudem wird durch den einsetzenden Siegeszug des mobilen Internets letz-ten Endes neben der Zeitverzögerung auch die Ortsab- hängigkeit der Informationen eliminiert. Jeder kann sich zu jeder Zeit, von jedem Ort aus über bestehendes Wissen informieren oder neues hinzufügen.

Sind diese Informationen nicht zum Teil belanglos oder werden nicht sogar Un- oder Halbwahrheiten ver-breitet? Dazu ein klares Jein! Natürlich produziert das Social Web eine Fülle von nebensächlichen Informa-tionen. Diese Eigenschaft liegt in der Natur der Sache, wenn jeder uneingeschränkt aufgefordert ist, Infor-mationen bereitzustellen. Doch mal ehrlich: Wen stört das? Schon in den Anfängen des World Wide Web, der ersten„Informationsflut“, passten die Menschen ihr Such- und Selektionsverhalten an, um den Überblick in der Masse zu behalten. Heute helfen uns sogar unzäh-lige frei verfügbare Dienste und Tools dabei. Unwich-tiges wird ausgeblendet und Wichtiges hervorgehoben. Mehr denn je bestimmt der Nutzer durch RSS-Feeds, personalisierte Newsreader und Empfehlungen seiner Freunde, welche Informationen er empfangen möchte und welche nicht.Der (Informations-) Konsument hat eine Stufe der Emanzipation erreicht, in der er nicht mehr unreflektiert alles aufnimmt, was ihm vorgesetzt wird. Er hat gelernt, dass er heute selbst bestimmt welche Botschaften und Nachrichten er aufnehmen möchte und dass es diese kritisch zu hinterfragen gilt. Diese Entwicklung macht es für alle Arten von Fehlinformationen schwer zu „über-leben“. Einmal aufgedeckt verbreitet sich die Wahrheit oder ein Täuschungsversuch rasant von Freund zu Freund, von Blog zu Blog und nicht selten sogar raus aus dem Web und rein in die großen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine. Dieser Effekt wurde bereit vor einiger Zeit entdeckt und trägt den Namen „Streisand-Effekt“.„Bottom-Up“ ist der neue Mechanismus im Web. Betrachtet man diese kritische Beurteilung des Einzelnen, und die neue Art der Empfehlung von Freund zu Freund, nun im Kontext der Größe der Social Community, kann nur eine Maxime auf lange Sicht Erfolg versprechen: Sei ehrlich, menschlich und authentisch! Alles Andere wird im Social Web nicht bestehen können, da es von persönlichen Emp-fehlungen und Bewertungen lebt, die schlechten Produkten oder zweifelhaften Aktionen keine Chance geben werden.

Unternehmen sind heute nackt.

Prof. Don Scott, der Autor des Bestsellers „Wikinomics“, sagte einmal zutreffend: „Als Unternehmen sind Sie heute nackt. Und wenn sie nackt sind, ist Fitness keine Option, sondern Pflicht: Sie sehen besser echt knackig aus.“

Dieser Leitgedanke ist es, den Unternehmen heute verinnerlichen müssen. Gefordert wurde er schon lange, doch konnten ihn die Konsumenten nie endgültig durchsetzen. Es wurde kaschiert, schön geredet und abgelenkt. Wurde nicht eine große Verbraucher-, Tier- oder Umweltschutzorganisation aufmerksam war man als Unternehmen meist aus dem Schneider - bis heute. Diese neue Flexibilität in der Informationsbeschaffung der Konsumenten ist es, die Unternehmen nun verunsichert und schmerzliche Erfahrungen sammeln lässt.

Dieses Erlebnis musste beispielsweise der Sportartikel-hersteller Jako machen, als er einen Hobbytrainer und Blogger per Anwalt aufgrund eines kritischen Blogein-trags auf über 1.000 Euro abmahnen lies. Der eigentliche Blogeintrag wurde von nicht einmal 400 Leuten gele-sen, bis die drastischen Maßnahmen Jakos nur Stunden

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später publik wurden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, sodass nach nur wenigen Tagen hunder-te Blogeinträge und renommierte Tageszeitungen wie die Zeit, das Handelsblatt und die Süddeutsche über den Vorfall berichteten. Fazit: Durch die Reaktion Jakos wurden aus ein paar hundert Lesern über Nacht Tausende und das Markenimage erlitt schwerste Kratzer.Dieses Schicksal teilte auch die Outdoormarke Jack Wolfskin. Der Anbieter griff ebenfalls ohne Vor- warnung zum Abmahn-Anwalt, um seine Marke gegen Hobby-Schneider und Handarbeiter zu verteidigen, die selbst gebastelte oder gestrickte Kirschkernkisschen und Ohrstecker mit Katzenpfötchen darauf verkauften. Lernen sollten sie daraus, so etwas nicht noch einmal zu tun! Doch wer etwas lernen musste, war lediglich Jack Wolfskin. Fazit: Tausende Blogeinträge und ein riesiges Presseecho, bis der Vorfall schließlich auf Platz drei (!) der Google-Suchergebnisse, direkt hinter der Unternehmenswebseite, beim Suchen des Begriffes „Jack Wolfskin“ erschien.

Was kann man ändern?

Es sei dahingestellt, ob Jako rechtlich Rufschädigung hätte einklagen können oder Jack Wolfskin marken-rechtlich auf der sicheren Seite gewesen ist. Beide Unternehmen haben sich nicht offen, kommuni- kativ oder umsichtig verhalten. Weder suchte man das persönliche Gespräch von Mensch zu Mensch, noch erklärte man sich den Betroffenen. Das stößt der Community übel auf. Wären beide Unternehmen offen und ehrlich mit dem Thema umgegangen, hätten sie ihren Missmut im persönlichen Gespräch erläutert und zur Diskussion eingeladen - es hätte Vieles verhindert werden können. Vielleicht wäre sogar Positi-ves entstanden - das Bild einer Marke, die offen mit Problemen umgeht, zuhört und mit den Menschen in einen Dialog tritt. Auch Positives verbreitet sich schnell.Der Dialog und das Zuhören sind heute die neuen,

mächtigen Werkzeuge im Marketing, der Produkt- entwicklung oder der PR-Abteilung. Das Social Web bietet heute eine Fülle von wertvollen Consumer- Insights, die in dieser Form früher nicht zur Verfügung standen. Positive und negative Erfahrungen, Probleme und Wünsche; überall tauschen sich die Menschen öffentlich im Netz aus. Sie empfehlen, was ihnen gefällt und kaufen, was ihnen empfohlen wurde. Die Gewinner sind heute innovative Produkte und Dienstleistungen, die den Wünschen der Konsumenten gerecht werden, sowie Unter-nehmen, die sich den kritischen Fragen stellen, offen agieren und ihren Kunden zuhören. Dabei ist es für Unternehmen zugleich leichter als je zuvor, dies zu erreichen, denn der Konsument hilft dabei gerne, wenn er gefragt und ihm zugehört wird. Er möchte als Partner angesehen, offen informiert und ehrlich involviert wer-den.

In diesem Sinne: Ab ins Fitnessstudio, den Dialog su-chen, zuhören und Hosen runter! - Transparenz ist das neue Schwarz.

Mehr zu dem Thema auf www.socialmedia-blog.de

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