William King - Warhammer - Die Chaos-Wüste

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In gleicher Ausstattung erschienen in der ReiheHEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY:

die Serien

WARHAMMER

Jack Yeovil: Drachenfels • 06/5571Jack Yeovil: Die untote Genevieve • 06/5575David Pringle (Hrsg.): Das Gelächter dunkler Götter • 06/5576

Jack Yeovil: Bestien in Samt und Seide • 06/5577

Konrad-Zyklus:David Ferring: Konrad • 06/5572

David Ferring: Schattenbrut 06/5573David Ferring: Kriegsklinge • 06/5574

Orpheus-Trilogie:

Brain Craig: Zaragoz 06/5578Brain Craig: Seuchendämon 06/5579Brain Craig: Sturmkrieger 06/5580

Die Abenteuer von Gotrek und Felix:William King: Schicksalsgefährten • 06/9116William King: Der Graue Prophet • 06/9117

William King: Die Chaos-Wüste • 06/9118William King: Der Hort des Drachen • 06/9119 (in Vorb.)William King: Dämonenkrieger • 06/9120 (in Vorb.)

WARHAMMER 40000lan Watson: Inquisitor • 06/5551lan Watson: Space Marine • 06/5552lan Watson: Harlekin • 06/5553

NeuJones & David Pringle: Genräuber • 06/5554lan Watson: Kind des Chaos • 06/5556William King: Wolfskrieger • 06/5557 (in Vorb.)

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WARHAMMERDie Chaos-Wüste

Dritter Roman der Abenteuer von Gotrek und Felix

vonWILLIAM KING

Scan, Korrektur, Layout by Larentia Februar 2003Diese digitale Kopie ist NICHT für den Verkauf bestimmt !

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/9118

Titel der OriginalausgabeDAEMONSLAYER A WARHAMMER NOVEL

Übersetzung aus dem Englischen von Christian Jentzsch

Umschlagbild: John Gravato/Games Workshop Ltd.

Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.

Deutsche Erstausgabe 4/2002Redaktion: Ralf Oliver Dürr

Copyright © 1999 by Garnes Workshop Ltd.

Erstausgabe by GW Books,A Division of Garnes Workshop Ltd., London

Warhammer® und Garnes Workshop Ltd.®sind eingetragene Warenzeichen

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und

GM Books/Boxtree/Games Workshop Ltd.

Copyright © 2002 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, Münchenhttp: /www.heyne.de

Printed in Germany 2002Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Technische Betreuung: M. Spinola

Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, WelsDruck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin

ISBN 3-453-18824-1

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»Nach den schrecklichen Ereignissen in Nuln begaben wiruns nordwärts, wobei wir meistenteils Nebenstraßen folgten,auf dass wir von Begegnungen mit den Straßenpatrouillen desKaisers verschont bleiben mochten. Der Erhalt eines von Dawiverfassten Briefes hatte meinen Schicksalsgefährten mit einerseltsamen Vorfreude erfüllt. Er machte einen beinahglücklichen Eindruck, während wir uns erschöpft unserem Zielnäherten. Weder die Aussicht auf lange Wochen der Reise nochdie Gefahr einer Begegnung mit Banditen, Mutanten oderTiermenschen konnte ihn schrecken. Er hielt kaum einmal inne,um etwas zu essen oder - höchst ungewöhnlich - zu trinken, undbeantwortete meine Fragen nur mit gebrummeltenAnspielungen auf Schicksal, Verhängnis und alte Schulden.

Was mich selbst betraf, so war ich von einer gewissenBeklommenheit erfüllt. Ich fragte mich, was mit Elissageschehen war, und die Trennung von meinem Bruder machtemich traurig. Ich konnte nicht ahnen, wie lange es dauernsollte, bis ich ihn wiedersah, und unter welch merkwürdigenUmständen dieses Wiedersehen stattfinden würde. Und ichkonnte ebenso wenig ahnen, wie weit die in Nuln begonneneReise uns führen und als wie schrecklich sich unser endgültigerBestimmungsort erweisen sollte.«

Felix Jaegar: Meine Reisen mit Gotrek -Band III,Altdorf-Presse, 2505

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1Die Botschaft

»Du hast mein Bier verschüttet«, sagte Gotrek Gurnisson.Hätte der Mann, der soeben den Krug umgestoßen hatte,

auch nur einen Funken Vernunft besessen, dachte Felix Jaegar,hätte der drohende Unterton in der rauen, unnachgiebigenStimme des Zwergs ihn umgehend zum Einlenken veranlasst.Doch der Söldner war betrunken, und an seinem Tisch saßenein halbes Dutzend abgerissener Kumpane sowie einekichernde Schankmaid, die es zu beeindrucken galt. Er würdevor niemandem klein beigeben, der ihm nur bis zu denSchultern reichte, auch wenn der Zwerg fast doppelt so breitwie er war.

»Und? Was willst du dagegen machen, Schrumpfling?«,erwiderte der Söldner höhnisch.

Gotrek beäugte einen Moment die langsam größer werdendeAle-Pfütze auf dem Tisch mit einer Mischung aus Bedauernund Verärgerung. Dann drehte er sich auf seinem Hocker zudem Söldner um und strich sich durch den gewaltigen Kammrot gefärbter Haare auf seinem ansonsten kahl geschorenen undtätowierten Schädel. Die Goldkette, die von seiner Nase zumOhr verlief, klirrte leise. Mit der Sorgfalt eines Betrunkenenrieb er sich die Klappe, die sein linkes Auge bedeckte,verschränkte die Finger, ließ die Knöchel knacken -und schlugdann unversehens mit der rechten Hand zu.

Es war nicht der beste Schlag, den Felix Gotrek je hattelanden sehen. Tatsächlich war er unbeholfen und ganz und garnicht wie aus dem Lehrbuch. Dennoch, die Faust desTrollslayers war so groß wie ein Schinken und sein Arm sodick wie ein Baumstamm. Was diese Faust traf, musste leiden.

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Ein widerliches Knacken ertönte, als die Nase des Mannesbrach. Der Söldner flog in Richtung seines Tisches und bliebbewusstlos auf dem mit Sägemehl bestreuten Boden liegen.Rotes Blut quoll aus seinen Nasenlöchern.

Bei näherer Betrachtung, entschied Felix im trunkenen Nebelseines Verstandes, hatte der Schlag seinen Zweck gewisserfüllt. Eigentlich war er sogar ziemlich gut, wenn manberücksichtigte, wie viel Ale der Slayer bereits intus hatte.

»Will sonst noch jemand meine Faust schmecken?«, fragteGotrek mit einem bösartigen Funkeln an die Adresse derKumpane des Söldners. »Oder seid ihr alle so jämmerlich, wieihr ausseht?«

Die Kumpane des Söldners erhoben sich von ihren Bänken,wobei sie schäumendes Ale auf den Tisch kippten undSchankmaiden von den Knien stießen. Der Slayer wartetenicht, bis sie zu ihm kamen, sondern erhob sich schwankendund sprang ihnen entgegen. Er packte den erstbesten Söldnerbei der Kehle, zog ihn zu sich heran und versetzte ihm einenKopfstoß. Der Mann ging zu Boden wie ein vom Blitzgetroffener Ochse.

Felix trank noch einen Schluck vom sauren Tileaner, umseinen Betrachtungen zusätzliche Klarheit zu verleihen. Er warbereits mehrere Becher jenseits der Nüchternheit, aber wasmachte das schon? Der Weg hierher nach Guntersbad war langund beschwerlich gewesen. Nachdem Gotrek dergeheimnisvolle Brief ausgehändigt worden war, der sie in dieseTaverne bestellt hatte, waren sie beständig unterwegs gewesen.Einen Moment erwog Felix, ihn aus dem Rucksack des Slayerszu holen und noch einmal zu lesen, aber es wäre ein sinnlosesUnterfangen. Die Botschaft war in den seltsamen Runenabgefasst, die Zwerge bevorzugten. Nach den Maßstäben desImperiums war Felix ein gebildeter Mann, aber diesefremdartigen Schriftzeichen konnte er nicht lesen. Durch seineUnwissenheit an seinem Vorhaben gehindert, streckte Felix

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seine langen Beine aus, gähnte und richtete seineAufmerksamkeit wieder auf die Schlägerei.

Sie hatte sich schon den ganzen Abend zusammengebraut.Seit sie die Taverne Hund und Esel betreten hatten, wurden sievon den ortsansässigen harten Burschen angestarrt. Sie hattendamit angefangen, indem sie abfällige Bemerkungen über dasAussehen des Slayers machten. Gotrek hatte diesen zurAbwechslung einmal nicht die geringste Aufmerksamkeitgeschenkt, was äußerst ungewöhnlich war. Für gewöhnlich warer so empfindlich wie ein verarmter tileanischer Adeliger undbrauste so leicht auf wie ein Vielfraß mit Zahnschmerzen. Seitdem Erhalt der Botschaft war er jedoch sehr in sich gekehrtund blind und taub für alles außer seiner eigenen Aufregung.Den ganzen Abend hatte er nichts weiter getan, als die Tür zubeobachten, als erwarte er jemanden.

Zuerst hatte Felix die Aussicht auf eine Schlägereieinigermaßen beunruhigt, aber mehrere Becher von dem rotenTileaner hatten ihm rasch dabei geholfen, seine Nerven zuberuhigen. Er hatte bezweifelt, dass jemand so dumm seinwürde, einen Streit mit dem Trollslayer vom Zaun zu brechen.Er hatte seine Rechnung jedoch ohne die reine, unverfälschte,angeborene Zurückgebliebenheit der Einheimischen gemacht.Schließlich war dies nur eine kleine Ortschaft an der Straßenach Talabheim. Wie konnte man da von ihnen erwarten, dasssie wussten, was Gotrek war?

Sogar Felix, immerhin ein Absolvent der Universität vonAltdorf, hatte noch nie vom Slayer-Kult des Zwergs gehört biszu jenem lange zurückliegenden Abend, als Gotrek ihn imZuge der Fenstersteuer-Unruhen in Altdorf unter den Hufen derElitekavallerie des Kaisers weggezogen hatte. Bei deranschließenden verrückten Zechtour hatte er herausgefunden,dass Gotrek geschworen hatte, den Tod im Kampf mit dengrimmigsten Ungeheuern zu suchen, um irgendein früheresVerbrechen zu sühnen. Felix war so beeindruckt von der

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Geschichte des Slayers gewesen - und, um die Wahrheit zusagen, sturzbetrunken -, dass er geschworen hatte, den Zwergzu begleiten und dessen Verhängnis in einem Eposfestzuhalten. Obwohl Gotrek diesem Verhängnis trotz einigerheldenhafter Bemühungen noch nicht begegnet war, hatte diesFelix' Hochachtung vor der Zähigkeit des Zwergs nichtgemindert.

Gotrek rammte gerade einem weiteren Mann die Faust inden Magen. Sein Gegner krümmte sich, als die Luft zischendaus seinen Lungen entwich. Gotrek packte ihn an den Haarenund stieß sein Kinn hart auf die Tischkante. Als ihm auffiel,dass der Söldner sich noch bewegte, knallte er den Kopf seinesstöhnenden Opfers wiederholt auf den Tisch, bis der Mannseltsam ausgeruht aussehend in einer Lache aus Blut, Speichel,Bier und abgebrochenen Zähnen endlich still lag.

Zwei große stämmige Krieger stürzten sich vorwärts undpackten den Slayer jeweils an einem Arm. Gotrek wappnetesich mit trotzigem Brüllen und schleuderte einen der beiden zuBoden. Während er dort lag, pflanzte ihm der Slayer seinenschweren Stiefel auf den Schritt. Ein schrilles, hohes Kreischenhallte durch die Taverne, das Felix zusammenzucken ließ.

Gotrek richtete seine Aufmerksamkeit auf den anderenKrieger, und sie rangen miteinander. Langsam, obwohl derMann anderthalbmal so groß wie Gotrek war, setzte sich diegewaltige Kraft des Zwergs durch. Er stieß seinen Gegner zuBoden, hockte sich auf dessen Brust und bearbeitete dannlangsam und methodisch seinen Kopf, bis der Mann bewusstloswar. Der letzte Söldner rannte zur Tür - stieß dabei jedoch miteinem anderen Zwerg zusammen. Der Neuankömmling wicheinen Schritt zurück und fällte ihn dann mit einem einzigen gutgezielten Hieb.

Felix musste zweimal hinschauen, da er zunächst davonüberzeugt war, zu halluzinieren. Es kam ihm unwahrscheinlichvor, dass sich in diesem Teil der Welt ein weiterer Slayer

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aufhalten sollte. Doch Gotrek betrachtete den Fremden jetztebenfalls. Der Neuankömmling war noch massiger undmuskulöser als Gotrek. Sein Kopf war geschoren und sein Bartkurz geschnitten. Er trug keinen Kamm aus Haaren. Stattdessen sah es in jeder Hinsicht so aus, als seien Nägel in seinenSchädel geschlagen und dann in verschiedenen Farbenangemalt worden, um so einen Kamm zu bilden. Seine Nasewar so oft gebrochen worden, dass sie formlos war. Das eineOhr war ein Blumenkohl, das andere war sogar sauberabgerissen worden, sodass nur noch ein Loch in der Seiteseines Schädels zu sehen war. In seiner Nase steckte ein großerRing. Wo sein Leib nicht mit Narben bedeckt war, trug erTätowierungen. In einer Hand hielt er einen gewaltigenHammer, und in seinem Gürtel steckte eine Axt mit kurzemStiel und breiter Klinge.

Hinter diesem neuen Slayer stand ein weiterer Zwerg,kleiner, fetter und insgesamt wesentlich zivilisierter aussehend.Er war ungefähr halb so groß wie Felix, aber sehr breit. Seingepflegter Bart reichte fast bis zum Boden. Seine großenAugen blinzelten eulenhaft hinter unglaublich dickenAugengläsern. In seinen tintenverschmierten Fingern hielt erein großes, in Messing gebundenes Buch.

»Snorri Nasenbeißer, so wahr ich lebe und atme!«, brüllteGotrek, dessen gemeines Lächeln das Fehlen einiger Zähneenthüllte. »Es ist lange her! Was machst du hier?«

»Snorri ist aus demselben Grund hier wie du, GotrekGurnisson. Snorri hat einen Brief von Borek dem Gelehrtenerhalten, in dem er aufgefordert wird, zum Einsamen Turm zukommen.«

»Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen. Ich weiß, dassdu nicht lesen kannst, Snorri. Dein Verstand wurde dir aus demSchädel getrieben, als man dir diese Nägel einschlug.«

»Hogan Langbart hat ihn für Snorri übersetzt«, sagte Snorri,

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der so verlegen dreinschaute, wie dies einem so ungeschlachtenTrollslayer überhaupt möglich war. Er sah sich in demoffensichtlichen Bestreben um, das Thema zu wechseln.

»Snorri glaubt, er hat einen guten Kampf verpasst«, sagte derZwerg, indem er den Schauplatz furchtbarer Gewalt mitdemselben wehmütigen Bedauern betrachtete, mit dem Gotrekauf den Anblick seines verschütteten Ales reagiert hatte.»Snorri glaubt, dass er sich jetzt besser ein Bier genehmigt.Snorri hat ein wenig Durst!«

»Zehn Bier für Snorri Nasenbeißer!«, brüllte Gotrek. »Undfür mich auch zehn. Snorri trinkt nicht gern allein.«

Entsetztes Schweigen erfüllte den Schankraum. Die anderenGäste betrachteten das Bild, das sich ihnen bot, und dann diebeiden Zwerge, als seien sie Pulverfässer mit brennenderLunte. Langsam, allein oder zu zweit, standen sie auf undgingen, bis nur noch Gotrek, Felix, Snorri und der andereZwerg übrig waren.

»Wer zuerst bei zehn ist?«, erkundigte sich Snorri, währender sich das Auge rieb und Gotrek verschlagen ansah.

»Wer zuerst bei zehn ist«, stimmte Gotrek zu.Der andere Zwerg watschelte zu ihnen und verbeugte sich,

höflich und nach Art der Zwerge, indem er mit einer Hand denBart anhob, damit er nicht über den Boden schleifte, währender sich vorbeugte.

»Varek Varigsson vom Grimnar-Klan, zu Ihren Diensten«,sagte er mit einer milden, angenehmen Stimme. »Wie ich sehe,haben Sie die Botschaft meines Onkels erhalten.«

Snorri und Gotrek sahen ihn an, anscheinend verblüfft obseiner Höflichkeit, und fingen dann an zu lachen. Varekerrötete vor Verlegenheit.

»Besser, du spendierst dem Jüngling auch ein Bier!«, riefGotrek. »Er sieht so aus, als könnte er etwas Auflockerung

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vertragen. Und jetzt geh beiseite, Jüngling, Snorri und ichmüssen eine Wette austragen.«

Der Gastwirt lächelte schmeichlerisch. Ein Ausdruck derErleichterung huschte über sein Gesicht. Es sah ganz danachaus, als seien die Zwerge entschlossen, ihn reichlich dafür zuentschädigen, dass sie seine Kundschaft vertrieben hatten.

Der Gastwirt stellte die Bierkrüge in zwei Reihen auf denniedrigen Tresen. Zehn vor Gotrek, zehn vor Snorri. DieZwerge betrachteten sie so, wie ein Mann einen Gegner voreinem Ringkampf begutachten mochte. Snorri warf einen Blickauf Gotrek und dann wieder auf sein Bier. Ein rascher Sprungbrachte ihn in Reichweite des von ihm erwählten Ziels. Erpackte den Krug, führte ihn an die Lippen, warf den Kopf inden Nacken und schluckte. Gotrek war am Start ein kleinwenig langsamer. Sein Alekrug erreichte seine Lippen eineSekunde später als Snorris die seinen. Eine Zeit lang herrschteSchweigen, das lediglich durch die Schluckgeräusche derZwerge und das Gluckern des Ales unterbrochen wurde, dannknallte Snorri seinen Krug auf den Tresen, eine Sekunde bevorGotrek es ihm nachtat. Felix warf einen verblüfften Blick aufdie Krüge. Beide waren bis zum letzten Tropfen geleertworden.

»Der erste ist der leichteste«, sagte Gotrek. Snorri schnapptesich einen weiteren Krug und noch einen mit der anderen Handund wiederholte den Vorgang. Gotrek folgte seinem Beispiel.Er nahm einen Krug in jede Hand, hob einen an die Lippen,leerte ihn und trank dann den anderen aus. Diesmal war esGotrek, der seine beiden leeren Krüge einen Augenblick vorSnorri abstellte. Felix war sprachlos, vor allem, wenn erbedachte, wie viel Bier Gotrek bereits vor Snorris Erscheinengetrunken hatte. Es sah ganz so aus, als vollzögen die beidenSlayer ein oft ausgeübtes Ritual. Felix fragte sich, ob sietatsächlich die Absicht hatten, diese Unmengen Bier zu trinken.

»Es ist mir peinlich, dass man mich mit dir trinken sieht,

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Snorri. Ein Elfenmädchen könnte drei in der Zeit schaffen, diedu für die beiden gebraucht hast«, sagte Gotrek.

Snorri bedachte ihn mit einem entrüsteten Blick, griff nacheinem weiteren Ale und stürzte es so schnell hinunter, dass ihmBierschaum aus dem Mund quoll und seinen Bart bedeckte. Erwischte sich mit dem tätowierten Unterarm über den Mund.Diesmal war er vor Gotrek fertig.

»Wenigstens ist mein Bier vollständig in meinem Mundgelandet«, sagte Gotrek, indem er nickte, bis seine Nasenketteklirrte.

»Willst du reden oder trinken?«, entgegnete Snorriherausfordernd.

Die Biere fünf, sechs und sieben wurden in rascher Folgekonsumiert. Gotrek schaute zur Decke, schmatzte mit denLippen und stieß einen gewaltigen, laut hallenden Rülpser aus.Snorri ließ umgehend das Echo hören. Felix wechselte einenBlick mit Varek. Der gelehrte junge Zwerg sah ihn an undzuckte die Achseln. In weniger als einer Minute hatten diebeiden Slayer mehr Bier geschluckt, als Felix normalerweise ineiner ganzen Nacht trinken würde. Gotrek blinzelte, und seineAugen sahen ein wenig glasig aus, aber das war die einzigesichtbare Wirkung der gewaltigen Alkoholmenge, die ersoeben in sich hineingeschüttet hatte. Snorri war nicht dasGeringste anzumerken, aber schließlich hatte er auch nichtschon den ganzen Abend getrunken.

Gotrek griff zum achten Krug und leerte ihn, abermittlerweile war Snorri bereits bei seinem neunten. Als er denleeren Krug absetzte, sagte er: »Sieht ganz so aus, als würdestdu das Bier bezahlen.«

Gotrek antwortete nicht. Er nahm zwei Krüge auf einmal,einen in jede Hand, legte den Kopf in den Nacken, öffneteseinen Schlund und goss. Kein Schluckgeräusch war zu hören.Er schluckte nicht, sondern ließ das Bier einfach durch seine

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Kehle laufen. Snorri war von dieser Leistung so beeindruckt,dass er erst daran dachte, seinen letzten Krug anzusetzen, alsGotrek fertig war.

Gotrek stand leicht schwankend da. Er rülpste, ließ einenSchluckauf folgen und setzte sich dann auf seinen Hocker.

»Der Tag, an dem du mich beim Trinken schlägst, SnorriNasenbeißer, ist der Tag, an dem die Hölle gefriert.«

»Das ist dann der Tag nach dem Tag, an dem du für ein Bierbezahlst, Gotrek Gurnisson«, sagte Snorri, indem er sich nebenden anderen Trollslayer setzte.

»Nun gut, das für den Anfang«, fuhr er fort. »Gehen wir zuernsthafterem Zechen über. Sieht so aus, als hätte Snorrieiniges nachzuholen.«

»Ist das richtiger Weltrandtabak, den du da hast, Snorri?«,fragte Gotrek mit einem hungrigen Blick auf das Zeug, dasSnorri in seine Pfeife stopfte. Mittlerweile hatten sie es sichalle am prasselnden Kaminfeuer auf den besten Sesseln desHauses gemütlich gemacht.

»Aye, das ist altes Moderkraut. Snorri hat es sich in denBergen beschafft, bevor er hergekommen ist.«

»Gib mir was!«Snorri warf Gotrek den Beutel zu, der eine Pfeife zückte und

sie zu stopfen begann. Der Slayer funkelte den gelehrtenjungen Zwerg mit seinem gesunden Auge an.

»Also, Jungchen«, knurrte Gotrek. »Was ist das für eingewaltiges Verhängnis, das mir dein Onkel Borek versprochenhat? Und warum ist der alte Snorri hier?«

Felix beugte sich neugierig vor. Darüber wollte er mehrwissen. Er war fasziniert von der Vorstellung eines dringendenRufs, der sogar den mürrischen und verschlossenen Slayer inErregung versetzen konnte.

Varek warf Felix einen warnenden Blick zu. Gotrek

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schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Bier. Er beugtesich vor, hielt einen Holzspan ins Feuer, bis er brannte, undzündete damit seine Pfeife an. Als die Pfeife richtig zog, lehnteer sich wieder zurück und fuhr in ernstem Tonfall fort.

»Alles, was du mir sagen willst, kannst du auch vor demMenschling sagen. Er ist ein Freund der Dawi und einEidträger.«

Snorri sah Felix an. Überraschung und so etwas wie Respektzeigten sich in seinen matten, primitiven Augen. VareksLächeln verriet aufrichtiges Interesse, und er wandte sich anFelix und verbeugte sich noch einmal, wobei er fast vonseinem Sessel gefallen wäre.

»Ich bin sicher, daran ist eine Geschichte geknüpft«, sagteer. »Mir wäre sehr daran gelegen, sie zu hören.«

»Versuch nicht, das Thema zu wechseln«, sagte Gotrek.»Was ist das für ein Verhängnis, das dein Verwandter mirversprochen hat? Sein Brief hat mich durch das halbeImperium geschleift, und ich will etwas darüber erfahren.«

»Ich habe gar nicht versucht, das Thema zu wechseln, HerrGurnisson. Ich wollte lediglich die näheren Umstände für meinBuch bekommen.«

»Dafür ist später noch genug Zeit. Und nun rede!«Varek seufzte, lehnte sich zurück und verschränkte die

Hände über seinem ausladenden Bauch. »Ich kann Ihnen nursehr wenig sagen. Mein Onkel kennt alle Fakten und wird sieIhnen mitteilen, wann und wie es ihm beliebt. Was ich Ihnensagen kann, ist, dass es sich wahrscheinlich um die gewaltigsteQueste seit der Zeit Sigmar Hammerträgers handelt - und dasses um Karag Dum geht.«

»Die verschollene Zwergenfeste des Nordens!«, röhrteGotrek trunken, um dann plötzlich zu verstummen. Er schautesich um, als befürchte er, von Spionen belauscht zu werden.

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»Genau die!«»Dann hat dein Onkel einen Weg dorthin gefunden! Ich

dachte, er sei verrückt, als er behauptete, es werde ihmgelingen.« Felix hatte noch nie eine solche Erregung in derStimme des Zwergs gehört. Sie war ansteckend. Gotrek sahFelix an.

Es war Snorri, der ihn unterbrach. »Nennt Snorri dämlich,wenn ihr wollt, aber sogar Snorri weiß, dass Karag Dum in derChaos-Wüste untergegangen ist.« Er sah Gotrek grimmig anund schauderte. »Erinnere dich an das letzte Mal!«

»Das mag sein, wie es will, mein Onkel hat jedenfalls einenWeg dorthin entdeckt.«

Eine jähe Beklommenheit ergriff von Felix Besitz. DenStandort von etwas in Erfahrung zu bringen, war eine Sache.Eine Möglichkeit zu haben, dorthin zu gelangen, war eine ganzandere. Es bedeutete, dass es hierbei nicht um akademischeSpekulationen ging, sondern um eine mögliche Reise. Er hattedas furchtbare, bestimmte Gefühl, genau zu wissen, wo all diesenden würde und dass er daran keinen Anteil haben wollte.

»Es gibt keinen Weg durch die Wüste«, sagte Gotrek. Etwasmehr als bloße Vorsicht lag in seiner Stimme. »Ich war schondort. Snorri auch. Und auch dein Onkel. Es wäre verrückt zuversuchen, sie zu durchqueren. Wahnsinn und Mutation wartenauf alle, die sich dorthin verirren. An jenem verwünschten Orthat die Hölle die Welt berührt.«

Felix betrachtete Gotrek mit neuem Respekt. Nur wenigeLeute waren jemals so weit gereist und wieder zurückgekehrt.Für ihn wie für alle Bewohner des Imperiums war die Chaos-Wüste nur ein grässliches Gerücht, ein höllisches Land imfernen Norden, aus dem die schrecklichen Armeen der vierMächte des Verderbens kamen, um zu rauben, zu plündern undzu morden. Der Zwerg hatte nie erwähnt, dass er schon dortgewesen war, aber andererseits wusste Felix auch kaum etwas

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über die Abenteuer des Slayers in der Zeit vor ihrerBekanntschaft. Gotrek redete nicht über seine Vergangenheit.Er schien sich ihrer zu schämen. Falls dies überhaupt möglichwar, ließ die offenkundige Furcht des Zwergs den Ort nocherschreckender erscheinen. In dieser Welt gab es.so wenig, wasden Slayer in Schrecken versetzen konnte, wie Felix sehr wohlwusste, also musste alles, was ihn aus der Fassung brachte, inder Tat furchtbar sein.

»Nichtsdestoweniger glaube ich, dass mein Onkel dorthinwill, und er will Sie mitnehmen. Er braucht Ihre Axt.«

Gotrek schwieg eine ganze Weile. »Die Tat wäre gewisseines Slayers würdig.«

Es klingt wie absoluter Wahnsinn, dachte Felix. Irgendwiegelang es ihm, den Mund zu halten.

»Snorri glaubt das auch.«Dann ist Snorri ein noch größerer Idiot, als er zu sein

scheint, dachte Felix, und er wäre beinahe mit den Wortenherausgeplatzt.

»Dann werden Sie mich zum Einsamen Turm begleiten?«,fragte Varek.

»Für die Aussicht auf solch ein Verhängnis würde ich dirzum Eingang der Hölle folgen«, sagte Gotrek.

Das ist gut, dachte Felix, weil es sich so anhört, als würdetihr genau dorthin gehen. Dann schüttelte er den Kopf. DerWahnsinn des Zwergs schien ihn bereits angesteckt zu haben.Nahm er dieses ganze Gerede über Reisen in die Chaos-Wüstetatsächlich ernst? Gewiss war dies alles nurTavernengeschwätz und bis zum Morgen würde der Anfall vonWahnsinn längst vorbei sein.

»Ausgezeichnet«, sagte Varek. »Ich wusste, Sie würdenkommen.«

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2Zeichen der Skaven

Das Rumpeln des Karrens trug nicht zur Linderung vonFelix' Katzenjammer bei. Jedes Mal, wenn ein Rad eines dertiefen Schlaglöcher in der Straße traf, tat sein Magen einenbekümmerten Satz und drohte seinen Inhalt in hohem Bogen indie Hecken am Wegesrand zu speien. Sein Mund fühlte sichpelzig an. In seinem Schädel bildete sich Druck wie Dampf ineinem Kessel. Am sonderbarsten war, dass er ein furchtbaresVerlangen nach deftigem Essen hatte. Visionen von gebratenenEiern mit Schinken brutzelten durch seinen Verstand. Jetztbereute er, zuvor nicht mit den Trollslayern gefrühstückt zuhaben, aber da hatte sich ihm noch bei dem Anblick, wie siegewaltige Portionen Eier und Schinken verputzten und ausSchwarzbrotlaiben große Stücke rissen, der Magen umgedreht.Jetzt war er jedoch fast bereit, für eben dieses Frühstück einenMord zu begehen.

Für einigen Trost sorgte die Tatsache, dass die Slayer mehroder weniger stumm blieben, wenn man von hier und da aufZwergisch gemurmelten knappen Bemerkungen absah, vondenen er annahm, dass sie sich auf ihr eigenes Elend unddarauf bezogen, wie scheußlich das Bier der Menschen war.Nur der junge Varek war fröhlich und vergnügt, aber dasmusste er wohl auch sein. Zur Empörung der anderen beidenhatte er nach drei Ales mit der Behauptung, er habe genug, zutrinken aufgehört. Jetzt führte er die Mulis sicher an denZügeln und pfiff ein fröhliches Lied, ohne die wie Dolche aufseinen Rücken gezielten Blicke seiner Begleiter zur Kenntniszu nehmen. In diesem Augenblick hasste Felix ihn mit einerInbrunst, die sich nur mit der Heftigkeit seines Katzenjammerserklären ließ.

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Um sich davon abzulenken - und vom Nachdenken über dasaberwitzige Abenteuer, das ihnen gewiss bevorstand -, richteteFelix seine Aufmerksamkeit auf ihre Umgebung. Es war in derTat ein schöner Tag. Die Sonne schien hell. Dieser Teil desImperiums sah besonders fruchtbar und heiter aus. GroßeFachwerkhäuser erhoben sich auf den umliegenden Hügeln.Strohgedeckte Hütten, die Häuser der Landarbeiter, umringtensie. Große gescheckte Kühe grasten auf eingezäunten Weiden,während an ihrem Hals kleine Glocken fröhlich bimmelten.Jede Glocke hatte einen anderen Ton, was, wie Felix schloss,den Sinn hatte, den Hirten zu ermöglichen, jede einzelne Kuhallein am Geräusch zu erkennen und ausfindig zu machen.

Neben ihnen trieb ein Bauer eine Zeit lang eine Schar Gänseden staubigen Weg entlang. Später schaute eine hübscheBauernmaid auf, die Heu zu einem Haufen zusammen harkte,und schenkte Felix ein betörendes Lächeln. Er versuchte dieKraft aufzubringen, das Lächeln zu erwidern, schaffte es abernicht. Er fühlte sich, als sei er hundert Jahre alt. Aber erbetrachtete sie, bis der Karren um eine Wegbiegung fuhr und ersie aus den Augen verlor.

Der Karren polterte über eine Furche und sprang höher.»Pass auf, wohin du fährst!«, knurrte Gotrek. »Siehst du

denn nicht, dass Snorri Nasenbeißer einen Kater hat?«»Snorri fühlt sich nicht besonders«, bestätigte der andere

Slayer und stieß dabei ein grässliches gedämpftes Gurgeln aus.»Es muss an diesem Gulasch aus Ziege und Kartoffeln liegen,das wir gestern Abend hatten. Snorri findet, dass es etwasmerkwürdig geschmeckt hat.«

Es liegt wohl eher an den ungefähr dreißig Krügen Ale, diedu dir hinter die Binde geschüttet hast, dachte Felix verdrossen.Er hätte dies beinahe laut gesagt, aber selbst in seinem elendenZustand hielt ihn eine gewisse vernünftige Vorsicht davon ab.Er verspürte nicht den Wunsch, dadurch von seinem Kater

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kuriert zu werden, dass ihm der Kopf abgeschlagen wurde.Nun ja, vielleicht doch, dachte er, als der Karren und seinMagen neuerlich auf und ab hüpften.

Felix richtete sein Augenmerk wieder auf die fest gestampftesteinige Erde der Straße, die unter ihnen bebte und ruckelte, daer versuchte, sich auf irgend etwas anderes zu konzentrieren alsdas schreckliche Wogen in seinem Magen. Er sah die einzelnenSteine aus dem Boden ragen, und jeder einzelne schiendurchaus in der Lage zu sein, die Holzräder des Karrens zuzerbrechen, wenn sie im falschen Winkel angefahren wurden.

Eine Fliege landete weich und kribbelnd auf seinemHandrücken, und er unternahm einen kläglichen Versuch, siezu erschlagen. Sie wich seinem Schlag mit verächtlicherLeichtigkeit aus und umschwirrte summend seinen Kopf. Seineanfängliche Bemühung hatte ihn erschöpft, und Felix gab denVersuch auf, das Insekt zu erschlagen, und schüttelte nur denKopf, wenn es seinen Augen zu nahe kam. Er schloss dieAugen, konzentrierte seine Willenskraft auf die kleine Bestieund drängte sie in Gedanken zu sterben, aber sie weigerte sichzu gehorchen. Es gab Zeiten, in denen Felix sich wünschte, einZauberer zu sein, und jetzt war es wieder so weit. Er war bereitzu wetten, dass sie sich nicht mit Übelkeit und Belästigungenseitens fettleibiger summender Fliegen herumplagen mussten.

Plötzlich wurde es dunkler und ein wenig kühler auf seinemGesicht, und als er aufschaute, sah er, dass sie durch ein kleinesWäldchen fuhren, dessen Bäume mit ihren Ästen den Wegüberwucherten. Er schaute sich rasch um - mehr ausGewohnheit denn aus Furcht ,weil dies die Stellen waren, wosich gern Straßenräuber ,auf die Lauer legten. Banditen warennichts Ungewöhnliches im Imperium. Er wusste nicht genau,was für Idioten einen Karren angreifen würden, in dem zweiverkaterte Trollslayer saßen, aber man konnte nie wissen. Aufseinen Reisen waren ihm schon absonderlichere Dingeuntergekommen. Vielleicht kehrten die Söldner aus der

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vergangenen Nacht zurück, um Rache zu nehmen, und es gabimmer Tiermenschen und Mutanten in diesen finsteren Zeiten.Felix war in seinem Leben schon so vielen von ihnen begegnet,dass er so etwas wie ein Experte auf diesem Gebiet war.

Um die Wahrheit zu sagen, dachte Felix, so wie er sichgerade fühlte, würde er den Axthieb eines Tiermenschenbeinah begrüßt haben. Zumindest würde er ihn von seinemElend erlösen. Aber es war schon merkwürdig, welche Streicheihm seine Augen spielten. Er war fast sicher, etwas Kleines mitrosa Augen ein wenig abseits des Weges im Unterholzumherschleichen zu sehen. Es war nur einen Augenblick daund dann wieder verschwunden. Felix war nahe daran, Gotrekdarauf aufmerksam zu machen, aber er entschied sich dagegen,weil es nie eine gute Idee war, den Slayer bei seiner Erholungvon einem Kater zu stören.

Und wahrscheinlich war es auch nichts, nur ein kleinesPelztier, das in Sicherheit floh, da Reisende vorbeizogen.Andererseits hatte die Kopfform etwas Vertrautes, das imHinterstübchen von Felix' trägem Verstand nagte. Er konnte esnicht richtig unterbringen, aber er war sicher, wenn er langegenug darüber nachdachte, würde es ihm wieder einfallen. Einweiteres Rucken des Karrens hätte ihn fast abgeworfen. Erkämpfte damit, das Gulasch aus Kartoffeln und Ziege vomAbend zuvor bei sich zu behalten. Es war ein langer Kampf,und er gewann ihn erst, als das Gulasch sich bereits halb nachoben durchgeschlagen hatte.

»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte er Varek, um sichvon seinem Elend abzulenken. Nicht zum ersten Mal schwor ersich, nie wieder einen Tropfen Bier anzurühren. Manchmalkam es ihm so vor, als hätten die meisten Schwierigkeiten inseinem Leben ihren Anfang in einer Taverne genommen.Eigentlich war es erstaunlich, dass ihm das erst jetzt aufging.

»Zum Einsamen Turm«, erwiderte Varek fröhlich. Felixbezwang den Drang, ihn zu schlagen, eher aus Mangel an

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Tatkraft denn aus irgendeinem anderen Grund.»Das klingt ... interessant«, brachte Felix schließlich hervor.

Tatsächlich klang es eher unheilvoll wie so viele andere Orte,die er im Laufe seiner traurigen Karriere als Handlanger desSlayers besucht hatte. Ein Ort namens Einsamer Turmirgendwo im Imperium gehörte vermutlich zu der Sorte, dieniemand aufsuchen würde, der noch bei Verstand war.Befestigungen mitten im Nirgendwo neigten dazu, von Orks,Goblins und anderen Schlechtigkeiten eingenommen zuwerden.

»Oh, interessant ist der Turm tatsächlich. Er wurde aufeinem alten Kohlenbergwerk errichtet. Onkel Borek hat ihnübernommen und renoviert. Gute, solide zwergischeHandwerkskunst. Sieht aus wie neu. Tatsächlich sogar besser,weil die ursprünglich von Menschen ausgeführte Arbeit -nichts für Ungut -, ein wenig schlampig war. Der Turm warmehrere hundert Jahre verlassen, bis wir gekommen sind. Bisauf die Skaven. Natürlich mussten wir die erst vertreiben, undunten im Bergwerk tummeln sich vielleicht immer noch einpaar.«

»Gut«, grunzte Gotrek. »Es geht nichts über ein bisschenSkaven-Metzeln. Das vertreibt einen Kater besser als ein KrugSchwarzbier.«

Was Felix anging, so konnte er sich ein Dutzendansprechendere Arten vorstellen, die Zeit totzuschlagen, als ineinem verlassenen und zweifellos maroden Bergwerk bösartigerattenähnliche Ungeheuer zu jagen, aber er enthielt Gotrekdiese Überlegung vor.

Varek warf einen Blick über die Schulter auf seinePassagiere, die neben ihrer Ausrüstung kauerten. Sie mussteneinen jämmerlichen Anblick bieten, denn Snorri war nichtbesser ausgerüstet als Gotrek oder Felix. Sein Rucksack war soleer wie der Geldbeutel eines Seemanns nach einer Zechtour

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im Hafen. Er schien keinen Mantel, ja nicht einmal eine Deckezu besitzen. Felix war froh, dass er seinen roten Wollumhangaus den Südlanden hatte, mit dem er sich zudecken konnte. Erbezweifelte nicht, dass die Nächte ziemlich kalt würden. Erfreute sich nicht auf die Aussicht, die Nacht auf der kalten Erdeverbringen zu müssen.

»Wann treffen wir dort ein?«, fragte er.»Wir kommen gut voran. Wenn wir den kurzen Weg durch

die Knochenhügel nehmen, sind wir in zwei, höchstens dreiTagen dort.«

»Ich habe schlimme Sachen über die Knochenhügel gehört«,sagte Felix. Das stimmte. Andererseits gab es kaum Orteaußerhalb der Städte und Ortschaften des Imperiums, über dieer noch keine schlimmen Sachen gehört hatte. Gotrek undSnorri schauten gleichzeitig auf, und ein interessierterAusdruck breitete sich auf ihrer Miene aus. Felix war immerwieder aufs Neue erstaunt darüber, dass ein Slayer umsoglücklicher aussah, je schlimmer die Dinge klangen.

»Die Skaven aus dem Bergwerk spuken darin herum undgreifen Reisende an«, sagte Varek. »Sie kamen auch insFlachland und überfielen Bauernhöfe. Aber jetzt gibt es keinenGrund zur Sorge mehr. Wir haben sie vertrieben. Snorri undich haben den ganzen Hinweg allein mit dem Karrenzurückgelegt, und dabei hat es nicht einmal eine Andeutungvon Ärger gegeben.«

Die beiden Slayer versanken wieder in die apathischeKontemplation ihres Katers. Irgendwie war Felix nichtberuhigt. Seiner Erfahrung nach verliefen Reisen durch dieWildnis niemals glatt. Und irgend etwas an der bloßenErwähnung der Skaven veranlasste die rattenähnliche Gestalt,die er in dem kleinen Wäldchen zu sehen geglaubt hatte, dasbeunruhigende Nagen in seinem Hinterstübchen wiederaufzunehmen.

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»Sie sind den ganzen Weg allein gereist?«, fragte Felix.»Snorri war bei mir.«»Sind Sie bewaffnet?«, fragte Felix, indem er sich

vergewisserte, dass sein Langschwert in bequemer Reichweitewar.

»Ich habe mein Messer.«»Sie haben Ihr Messer! Sehr gut! Ich bin sicher, es wird

äußerst nützlich sein, wenn Sie von Skaven angegriffenwerden.«

»Ich habe keine Skaven gesehen, nur in einigen Nächtenetwas herumhuschen gehört. Was es auch war, ich glaube,Snorris Schnarchen hat es verscheucht. Wie dem auch sei,sollte uns etwas angreifen, habe ich meine Bomben.«

»Bomben?«Varek fummelte in seinem Gewand herum und holte eine

schwarze Kugel daraus hervor. Eine seltsameMetallvorrichtung schien auf die Kugel montiert worden zusein. Er reichte den Gegenstand Felix, der ihn eingehenduntersuchte. Es sah so aus, als könne man den Bügel lösen,wenn man daran zog.

»Seien Sie vorsichtig damit«, sagte Varek. »Das ist einZünder. Wenn Sie daran ziehen, wird ein Stift über denFeuerstein gerieben, wodurch die Lunte angezündet wird, diewiederum den Sprengstoff hochgehen lässt. Nach dem Ziehendes Bügels haben Sie vielleicht vier Herzschläge Zeit, dieBombe zu werfen, dann -wumm!«

Felix betrachtete das Ding misstrauisch, da er halb damitrechnete, dass es in seiner Hand explodieren würde.

»Wumm?«»Sie explodiert. Überall Splitter. Vorausgesetzt, die Lunte

zündet. Manchmal tut sie das nicht. Tatsächlich kommt das inder Hälfte der Fälle vor, aber sie ist ziemlich raffiniert. Und

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natürlich gehen sie ganz, ganz selten völlig grundlos hoch. Daskommt aber so gut wie nie vor. Wohlgemerkt, Blorri hat aufdiese Weise eine Hand verloren. Sie musste durch einen Hakenersetzt werden.«

Felix gab Varek die Bombe rasch zurück, der sie wieder ineiner Tasche seines Gewands verstaute. Er machte sichallmählich mit dem Gedanken vertraut, dass dieser gesittetejunge Zwerg verrückter war, als er aussah. Vielleicht waren dasalle Zwerge.

»Makaisson hat sie gefertigt, müssen Sie wissen. Er ist sehrgut in solchen Dingen.«

»Makaisson. Malakai Makaisson?«, fragte Gotrek. »DieserIrre!«

Felix starrte den Slayer offenen Mundes an. Er war nichtsicher, ob er diesen Makaisson kennen lernen wollte. Jeder, dervon Gotrek als Irrer bezeichnet wurde, musste in der Tatwahnsinnig sein, konnte wahrscheinlich sogar einen Preis fürseinen Irrsinn gewinnen. Gotrek sah Felix' Blick.

»Makaisson glaubt an den Schwerer-als-Luft-Flug. Erglaubt, er kann Sachen fliegen lassen.«

»Gyrokopter fliegen«, warf Snorri ein. »Snorri hat schon ineinem gesessen. Ist rausgefallen. Auf dem Kopf gelandet. KeinSchaden.«

»Nicht Gyrokopter. Große Sachen! Und er baut Schiffe!Schiffe! Das ist widernatürlich für einen Zwerg. Ich hasseSchiffe fast so sehr wie Elfen!«

»Er hat das größte Dampfschiff überhaupt gebaut«, sagteVarek im Plauderton. »Die Unsinkbar. Zweihundert Schrittlang. Wog fünfhundert Tonnen. Sie hatte dampfgetriebeneSchnellfeuergeschütztürme. Sie hatte eine Besatzung vondreihundert Zwergen sowie dreißig Technikussen undMechanikussen. Sie erreichte eine Geschwindigkeit von neunMeilen in der Stunde. Sie war wirklich ein beeindruckender

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Anblick, wie ihre Schaufelräder das Wasser zu Schaumaufwühlten und ihre Banner im Wind flatterten.«

Jedenfalls klang es beeindruckend, dachte Felix, demplötzlich aufging, wie weit die Zwerge diese absonderlicheMagie getrieben hatten, die sie »Technik« nannten. Wie alleBewohner des Imperiums wusste auch Felix von den sogenannten Dampf-Panzern, jenen gepanzerten Vehikeln,welche die Speerspitze der mächtigen Armeen des Imperiumsbildeten. Dieses Ding klang danach, als lasse es den Dampf-Panzer wie ein Kinderspielzeug aussehen. Andererseits, wenndieses Schiff so beeindruckend war, warum hatte er dann nochnie davon gehört?

»Was ist mit der Unsinkbar passiert? Wo ist sie jetzt?«Bei den Zwergen trat ein verlegenes Schweigen ein.»Äh ... sie ist gesunken«, sagte Varek schließlich.»Bei ihrer Jungfernfahrt auf eine Klippe gelaufen«, fügte

Snorri hinzu.»Manche Leute behaupten, der Kessel sei explodiert«, sagte

Varek.»Mit Mann und Maus untergegangen«, fuhr Snorri mit jener

fast glücklichen Miene fort, mit der Zwerge immer denschlimmsten Nachrichten zu begegnen schienen.

»Außer Makaisson. Er ist später von einem Schiff derMenschen aufgefischt worden. Die Explosion hat ihn von Bordgeschleudert, und später konnte er sich an einer Holzplankeüber Wasser halten.«

»Dann hat er ein fliegendes Schiff gebaut«, sagte Gotrek mitgrausamer Ironie in der Stimme.

»Stimmt genau. Makaisson hat ein fliegendes Schiffgebaut«, bestätigte Snorri.

»Die Unzerstörbar«, sagte Varek.Felix versuchte sich ein fliegendes Schiff vorzustellen. Im

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Abstrakten gelang es ihm auch. Vor seinem geistigen Auge saher so etwas wie die alten Flussbarken auf dem Reik mitgefüllten Segeln und herabhängenden Tauen. Es war in der Tatmächtige Zauberei, die so etwas bewirken konnte.

»Das war ein erstaunliches Ding«, sagte Varek. »Groß wieein Segelschiff. Schmiedeeiserner Panzerturm. Fast hundertSchritt langer Rumpf. Es konnte dreißig Meilen in der Stundefliegen - mit Rückenwind natürlich.«

»Was ist damit geschehen?«, fragte Felix mit demunbestimmten Gefühl, die Antwort darauf bereits zu kennen.

»Es ist abgestürzt«, sagte Snorri.»Fallwinde und Lecks im Gasballon, der für den Auftrieb

sorgte«, sagte Varek. »Es gab eine große Explosion.«»Hat alle an Bord getötet.«»Außer Makaisson«, sagte Varek, als mache dies einen

bedeutsamen Unterschied. »Er wurde herausgeschleudert undlandete in den Baumwipfeln. Sie bremsten seinen Fall undbrachen ihm beide Beine. Die nächsten zwei Jahre musste er anKrücken gehen. Jedenfalls hatte die Unzerstörbar ein paarKinderkrankheiten. Was erwarten Sie? Es war das erstefliegende Schiff seiner Art. Aber Makaisson hat sie jetzt allebeseitigt.«

»Kinderkrankheiten?«, sagte Gotrek. »Zwanzig guteTechnikusse getötet, darunter auch Unter-Gildenmeister Ulli,und das nennst du >Kinderkrankheiten<? Makaisson hätte sichden Kopf kahl scheren lassen sollen.«

»Das hat er auch getan«, sagte Varek. »Nachdem er aus derGilde ausgestoßen worden war. Er konnte die Schande nichtertragen, müssen Sie wissen. Sie haben das Hosenbein-Ritualan ihm vollzogen. Ein Jammer. Mein Onkel sagt, dass er derbeste Technikus ist, der je gelebt hat. Er sagt, dass Makaissonein Genie ist.«

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»Ein Genie darin, andere Zwerge umzubringen.«Felix dachte darüber nach, dass Gotrek gesagt hatte,

Makaisson hätte sich besser den Kopf kahl scheren lassen.»Wollen Sie damit sagen, Makaisson ist ein Troll-slayergeworden?«, fragte er Varek.

»Ja. Natürlich. Aber er betätigt sich immer noch alsTechnikus. Sagt, er werde entweder die Richtigkeit seinerTheorien beweisen oder bei dem Versuch sterben.«

»Ich wette, das wird er«, murmelte Gotrek finster.Felix hörte nicht mehr zu. Er rang mit einer anderen, weitaus

beunruhigenderen Vorstellung. Mit Gotrek und Snorri warendas drei Trollslayer an einem Ort. Was hatte Vareks Onkelvor? Eine Mission, die drei Slayer erforderte, klang nichtbesonders vielversprechend. Eigentlich klang sie eindeutigselbstmörderisch. Plötzlich trat etwas, das Varek zuvor gesagthatte, scharf in Felix' Bewusstsein und durchdrang sogar denschrecklichen Nebel seines Katzenjammers.

»Sie haben vorhin erwähnt, sie hätten etwas herumhuschengehört«, sagte Felix, wobei er wieder an die kleine Gestaltdenken musste, die er im Unterholz gesehen hatte. Ihm kamlangsam ein furchtbarer Verdacht. »Auf dem Weg zum Treffenmit Gotrek und mir.«

Varek nickte. »Nur in der Nacht, als wir gelagert haben.«»Sie haben keine Ahnung, was es gewesen sein könnte?«»Nein. Vielleicht ein Fuchs.«»Füchse huschen nicht herum.«»Eine große Ratte.«»Eine große Ratte ...« Felix nickte. Genau das hatte er hören

wollen. Er warf einen Blick auf Gotrek, um festzustellen, obder Slayer dasselbe dachte wie er, aber der Zwerg hatte denKopf in den Nacken gelegt und starrte ins Leere. Er schienseinen eigenen Gedanken nachzuhängen und schenkte dem

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Gespräch nicht die geringste Aufmerksamkeit.Ratten ließen Felix nur an eines denken, und dieses eine

ängstigte ihn. Sie ließen ihn an Skaven denken. Konnte es sein,dass die widerlichen Rattenmenschen ihn sogar bis hierherverfolgt hatten?

Es war kein angenehmer Gedanke.Felix saß am Feuer und lauschte dem ängstlichen Schnauben

der Mulis. Die Dunkelheit und das entfernte Heulen vonWölfen machte sie nervös. Felix erhob sich und strich demnächsten Muli in dem Bemühen über die Flanke, es zuberuhigen. Dann kehrte er zum Feuer zurück, wo die anderenschliefen.

Den ganzen Tag hatte der Weg aufwärts in dieKnochenhügel geführt, die sich als ebenso kahl und weniganziehend erwiesen hatten, wie ihr Name vermuten ließ. Es gabdort keine Bäume, nur mit Flechten überwachsene Felsen undAbhänge, die von kurzem, verkrüppeltem Gras bedeckt waren.Zum Glück hatte Varek daran gedacht, Feuerholzmitzunehmen, sonst hätten sie eine noch ungemütlichere Nachtin ihrem Lager im Freien verbracht. Trotz der Sommerhitze desTages war es kalt in den Hügeln.

Das Abendessen hatte aus etwas Brot bestanden, das sie imGasthaus in Guntersbad gekauft hatten, und aus einigenStücken hartem Zwergenkäse. Danach hatten sie sich um dasFeuer gesetzt, und alle drei Zwerge hatten ihre Pfeifeangezündet. Zur Unterhaltung hatten sie das gelegentlicheHeulen der Wölfe. Felix fand dies geringfügig wenigerdeprimierend als zwergische Konversation, die sich stets umalte Rechnungen, Geschichten lang anhaltenden Elends undheldenhafte Zechgelage zu drehen schien. Und so erschreckenddas Heulen auch war, es übertönte wenigstens das Schnarchender Zwerge. Felix hatte den kurzen Strohhalm gezogen unddamit das zweifelhafte Privileg errungen, die erste Wache

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übernehmen zu dürfen.Er versuchte, nicht ins Feuer zu starren, und hielt den Blick

in die Dunkelheit gerichtet, um sich seine Nachtsicht nicht zuverderben. Er war beunruhigt. Die Skaven gingen ihm nichtaus dem Sinn, und der Gedanke an die grausamen, vom Chaosgeborenen Rattenmenschen entsetzte ihn. Er erinnerte sich anseine Begegnung mit ihnen in der Schlacht von Nuln. Es warwie eine Szene aus einem Albtraum gewesen, dieses Ringenmit mannsgroßen menschenähnlichen Ratten, die aufrechtgingen und genau wie Menschen mit Waffen kämpften. DieErinnerung an ihre scheußlich piepsige Sprache und an die Art,wie ihre roten Augen in der Dunkelheit funkelten, überkam ihnjetzt und ließ ihn schaudern.

Das Furchtbarste an den Skaven war, dass sie in einergrässlichen Parodie der menschlichen Zivilisation organisiertwaren. Sie besaßen ihre eigene Kultur und ihre eigenenhöllischen Technologien. Sie verfügten über Armeen und hochentwickelte Waffen, die in mancherlei Hinsicht fortschrittlicherwaren als alles, was die Menschheit je hervorgebracht hatte.Felix hatte sie gesehen, als sie aus der Kanalisationhervorgebrochen waren und Nuln angegriffen hatten. Er sahnoch immer die monströsen Horden vor sich, wie sie durch diebrennenden Häuser gewuselt waren und alles aufgespießthatten, was ihnen in die Quere kam. Lebhaft erinnerte er sichan das grüne Lodern ihrer Warp-Flammenwerfer, welche dieNacht erhellt hatten, und an das Knistern menschlichenFleisches, wenn es von den Flammenstrahlen verzehrt wurde.

Die Skaven waren unversöhnliche Feinde der Menschheitund aller zivilisierten Rassen, aber es gab Menschen, die sichgegen Bezahlung mit ihnen verbündeten. Felix persönlich hatteihren Agenten Fritz von Haistadt getötet, der zum Leiter vonKurfürstin Emmanuelles Geheimpolizei aufgestiegen war. Erfragte sich, über wie viele andere Agenten in hoher Position dieRattenmenschen noch verfügten. Er wollte sich jetzt und an

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diesem einsamen Fleck gar nicht weiter den Kopf darüberzerbrechen. Er schob die Gedanken an die Skaven beiseite undversuchte seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden.

Er ließ seine Gedanken wieder in die Vergangenheitschweifen. Das Wolfsgeheul erinnerte ihn an die furchtbarenletzten Nächte der Feste Diehl in den Grenzgrafschaften, wo ermit angesehen hatte, wie seine erste große Liebe Kirstengestorben war, ermordet von Manfred von Diehl, und dergrößte Teil der Bevölkerung von Goblin-Wolfreiternabgeschlachtet worden war, die der Verräter von Diehl in dieFeste eingelassen hatte. Es war merkwürdig, aber er konntesich immer noch an Kirstens hageres Gesicht und an ihreweiche Stimme erinnern. Er fragte sich, ob er etwas hätte tunkönnen, um den Lauf der Ereignisse zu verändern. Das war einGedanke, der ihn manchmal in den stillen Stunden nächtlicherWacht quälte. Es war eine Begebenheit, die ihm immer nochKummer bereitete, wenngleich er ihn in letzter Zeit weniger oftverspürte und wusste, dass er langsam verblasste. Er konntejetzt sogar an andere Frauen denken. Damals in Nuln hatte esdie Schankmaid Elissa gegeben, aber am Ende hatte sie ihnverlassen.

Das Bild der lächelnden Bauernmaid auf dem Feld tauchteplötzlich lebhaft vor seinem geistigen Auge auf. Er fragte sich,was sie in diesem Augenblick wohl gerade tat. Er fügte sich indie Tatsache, dass er niemals auch nur ihren Namen erfahrenwürde, so wie sie niemals seinen. Es gab so viele derartigeBegegnungen auf der Welt. Gelegenheiten, die niemals genutztwurden, Romanzen, die als Totgeburt auf die Welt kamen. Erfragte sich, ob er je einer anderen Frau begegnen würde, diesein Innerstes so anrühren würde, wie Kirsten dies getan hatte.

Er war so vertieft in diese Gedanken, dass es einige Zeitdauerte, bis ihm aufging, dass er ein Huschen hörte, die leisenGeräusche von Krallen, die über harten Fels kratzten. Er hieltsich geduckt am Boden und sah sich vorsichtig um, da er

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plötzlich befürchtete, jeden Augenblick den brennendenSchmerz eines vergifteten Dolchs im Rücken zu spüren. Als ersich bewegte, verstummten die huschenden Geräusche jedoch.

Er blieb ruhig und hielt lange den Atem an. Dann ging eswieder los. Da! Das Geräusch kam von rechts. Als er genauerhinsah, konnte er das Funkeln roter Augen erkennen unddunkle Silhouetten, die sich über die Spitze des Kamms immernäher schlichen. Er zog sein Schwert aus der Scheide. Diemagische Klinge, die er vom toten Tempelritter Alfredbekommen hatte, fühlte sich leicht in seiner Hand an. Er wollteden anderen gerade eine Warnung zurufen, als ein gewaltigerSchlachtruf ertönte. Er erkannte die Stimme Gotreks.

Ein merkwürdiger Moschusgeruch lag in der Luft, den Felixvon früher kannte. Die rattenartigen Gestalten machten kehrtund flohen sofort. Der Slayer lief an ihm vorbei in dieDunkelheit, in der die Runen auf seiner gewaltigen Axt hellleuchteten, Snorri Nasenbeißer dicht hinter sich. Felix wäreihnen nachgelaufen, aber seine menschlichen Augen konnten inder Dunkelheit nicht so gut sehen wie die eines Zwergs. Erzuckte zusammen, als Varek mit einer seiner finsterenschwarzen Bomben in der Hand neben ihm auftauchte. DerWiderschein des Feuers spiegelte sich in den Augengläsern desjungen Zwergs und verwandelte seine Augen in feurige Kreise.

Lange gespannte Augenblicke standen sie Seite an Seite undlauschten auf Kampfgeräusche, während sie ständig mit demjähen Ansturm einer Horde Rattenmenschen rechneten. Siehörten jedoch lediglich das Stampfen bestiefelter Füße, alsGotrek und Snorri zurückkehrten.

»Skaven«, zischte Gotrek verächtlich.»Sie sind weggelaufen«, sagte Snorri mit einem Unterton der

Enttäuschung. Als sei nichts Ungewöhnliches vorgefallen,kehrten sie zu ihren Plätzen am Feuer zurück und legten sichwieder zum Schlafen nieder. Felix beneidete sie. Er wusste,

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dass er in dieser Nacht auch nach dem Ende seiner Wachekeinen Schlaf finden würde.

Skaven, dachte er und schauderte.

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3Der eiserne Turm

Felix schaute in die Einmündung des lang gezogenen Tals,und Ehrfurcht überkam ihn. Von seinem Standort konnte erMaschinen sehen, hunderte von ihnen. RiesigeDampfmaschinen erhoben sich entlang der Talwände wieUngeheuer in genieteten Eisenrüstungen. Die Kolbengewaltiger Pumpen hoben und senkten sich mit derRegelmäßigkeit des Herzschlags eines Riesen. Dampf zischteaus dicken rostenden Rohren, die zwischen massigen rotenZiegelbauten verliefen. Große Schlote spien enorme Wolkenaus rußigem Qualm in die Luft, die vom Scheppern hunderterHämmer widerhallte. Das infernalische Glühen derSchmiedeöfen beleuchtete das schattenhafte Innere vonWerkstätten. Dutzende von Zwergen hasteten in der Hitze unddem Lärm und den Dunstwolken.

Für einen Augenblick klärte sich der Nebel, als der kalteHöhenwind durch das Tal wehte. Felix konnte erkennen, dassdas lang gestreckte Tal von einem ausgedehnten Bauwerkbeherrscht wurde. Es bestand aus rostendem, genietetem Metallund hatte ein Dach aus Wellblech. Es war vielleichtdreihundert Schritt lang und zwanzig hoch. An einem Endebefand sich ein massiver gusseiserner Turm, wie Felix noch nieeinen gesehen hatte. Er bestand aus Metallträgern und hatteeine Aussichtsplattform und etwas an der Spitze, das wie eineriesige Laterne aussah.

Hoch über dem anderen Ende des Tals erhob sich einemonströse Festung. Moos prangte auf ihrem verwittertenMauerwerk. Felix konnte die glänzenden Mündungen vonKanonen hoch über den Schutzwällen erkennen. Aus der Mittedes Bauwerks ragte ein einzelner Turm. Unter dem

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Dachgesims hing eine große Uhr, deren Zeiger auf kurz vor dersiebten Stunde nach dem Mittag standen. Auf dem Dach wiesein gleichermaßen gigantisches Teleskop gen Himmel.Während Felix den Turm betrachtete, erreichte der Zeigersieben Uhr, und eine Glocke schlug ohrenbetäubend underfüllte das ganze Tal mit dem hallenden Echo ihrer Schläge.

Ein unheimliches Jaulen ertönte, bei dem es sich nur um eineDampfpfeife handeln konnte - Felix hatte so etwas schoneinmal in der Technischen Hochschule in Nuln gehört. Unterdem Stampfen von Kolben und dem Quietschen vonEisenrädern auf Schienen kam ein kleiner Dampfwagen ausdem Bergwerkseingang gefahren. Er folgte den Schienen undtransportierte gewaltige Kohlenmengen in eine große, zentraleSchmelzhütte.

Der Lärm war ohrenbetäubend, der Gestank überwältigend.Der Anblick war monströs und faszinierend zugleich, als habeman die Innereien eines riesigen und kompliziertenmechanischen Spielzeugs vor sich. Felix kam sich vor, alsbetrachte er eine Szene seltsamster Zauberei von einer Art, die,wenn sie wahrhaftig entfesselt würde, die Welt verändernmochte. Ihm war nicht klar gewesen, wozu die Zwergeimstande waren, welche Macht ihnen ihr geheimnisvollesWissen verlieh. Das Gefühl des Staunens in ihm war so stark,dass es zumindest für einen Augenblick die Furcht überkam,die schon den ganzen Tag in seinem Hinterstübchen nagte.

Dann meldete der Gedanke sich mit Macht zurück, und ererinnerte sich an die Spuren, die er an diesem Morgenzwischen den Abdrücken der genagelten Stiefel der Slayerentdeckt hatte. Es gab keinen Zweifel, dass sie Skavengehörten, noch dazu einer ziemlich starken Streitmacht. Felixwusste, so Furcht erregend die Slayer auch waren, dieRattenmenschen waren nicht aus Entsetzen geflohen. Sie hattensich zurückgezogen, weil sie anderes zu tun hatten, und ineinen Kampf mit seinen Gefährten verwickelt zu werden hätte

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sie vielleicht bei der Erfüllung ihrer Mission aufgehalten. Eswar die einzig mögliche Erklärung dafür, warum einezahlenmäßig so starke Gruppe von Skaven vor so wenigenGegnern geflohen war.

Bei der Betrachtung dieses Tals begriff er, was dasmutmaßliche Ziel der Skaven-Streitmacht war. Hier war etwas,das die Anhänger der Gehörnten Ratte würden erobern wollen -oder zerstören. Felix hatte keine Ahnung, was in diesem Talvorging, aber er war sicher, dass es wichtig war, weil so vielArbeitskraft, Energie und Intelligenz aufgebracht wurde, undZwerge taten nichts ohne Sinn und Zweck.

Wiederum spürte er jedoch, wie sein Herz zu rasen anfing.Hier gab es Industrie in einem Maßstab, den er nie für möglichgehalten hätte. Ihr haftete eine düstere Großartigkeit an undließ ein beängstigendes Verständnis von Dingen erahnen, diedas Wissen der menschlichen Zivilisation überstiegen. Indiesem Augenblick begriff Felix, wie viel sein Volk noch vonden Zwergen lernen musste. Neben sich vernahm er einscharfes Einatmen.

»Sollte die Gilde der Technikusse jemals hiervon erfahren«,grollte Gotrek, »werden Köpfe rollen!«

»Wir gehen besser dorthin und erzählen ihnen von denSkaven«, erwiderte Felix.

Gotrek schaute ihn an, und etwas wie Stolz blitzte in seinemeinen wahnsinnigen Auge auf. »Was könnten diese Leute daunten von einem Haufen räudiger Rattlinge zu befürchtenhaben?«

So versucht er auch war, zuzustimmen, Felix hielt denMund. Er war sicher, dass ihm etwas einfallen würde, wenn erlange genug nachdachte. Schließlich hatten die Skaven ihm inder Vergangenheit reichlich Grund für Entsetzen gegeben.

Irgendwo rechts blitzte etwas, als sei ein Sonnenstrahl aufeinen Spiegel gefallen. Felix fragte sich kurz, was es wohl sein

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mochte, und tat es dann als Teil jener wunderbarenTechnologie ab, die er überall ringsumher am Werk sah.

»Erzählen wir es ihnen trotzdem«, sagte er, während er sichfragte, warum die Zwerge wohl etwas so grell Funkelndesmitten in einem Gebüsch untergebracht hatten.

Der Graue Prophet Thanquol betrachtete die Szene durch dasPeriskop. Das Gerät war eine weitere großartige Erfindung derSkaven und vereinte die besten Eigenschaften eines Teleskopsund einer Reihe von Spiegeln, was es ihm gestattete, diesearglosen Narren unbemerkt aus der Deckung eines Gebüschszu beobachten. Nur die Linse am Ende der Vorrichtung warsichtbar, doch er bezweifelte, dass sie den Zwergen auffallenwürde. Sie waren so begriffsstutzig und dumm.

Dennoch, selbst der Graue Prophet musste zugeben, dassetwas Großartiges an dem war, was die Zwerge dort im Talaufgebaut hatten. Er war nicht sicher, was es war, aber inseinem tiefsten Rattenherzen war sogar er beeindruckt. Es warfaszinierend anzuschauen, wie einer der Irrgärten, die erdaheim in Skavenblight für Menschen angelegt hatte. Es gingso viel vor, dass das Auge gar nicht wusste, wohin es schauensollte. Die Geschäftigkeit war so groß, dass dort etwasWichtiges vorgehen musste - etwas, das ihm sehr wohl beimRat der Dreizehn zum Vorteil gereichen mochte, wenn er es inseinen Besitz bringen konnte.

Wieder einmal gratulierte er sich zu seiner Voraussicht undIntelligenz. Wie viele andere Graue Propheten hätten auf dieBerichte eines Trupps von Skavensklaven gehört, die aus demalten Kohlenbergwerk unter dem Einsamen Turm vertriebenworden waren?

Keiner seiner Konkurrenten war auf den Gedankengekommen, dass etwas Wichtiges im Gange sein musste, wenndie Zwerge eine Armee schickten, um ein altes

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Kohlenbergwerk in diesen trostlosen Bergen zurückzuerobern.Natürlich, musste er einräumen, hatte keiner von ihnenGelegenheit dazu bekommen, weil Thanquol die meistenÜberlebenden hatte beseitigen lassen, bevor sie ihre Geschichteweitererzählen konnten. Schließlich war Geheimhaltung eineder stärksten Waffen im Arsenal der Skaven, und keiner wusstedies besser als er. Tat er sich nicht unter den Grauen Prophetenhervor, den gefürchteten und starken Skaven-Magiern, diegleich unterhalb des Rats der Dreizehn rangierten? Und imLaufe der Zeit würde sich selbst das ändern. Thanquol wusste,dass es seine Bestimmung war, eines Tages seinenrechtmäßigen Platz auf einem der uralten Throne des Ratseinzunehmen.

Sobald er sicher gewesen war, dass der Bericht stimmte,hatte er sich mit seinen Leibwächtern hierher begeben. Undgleich nachdem er gesehen hatte, wie groß das Zwergenlagerwar, hatte er einen Ruf nach Truppen an die nächstgelegeneSkaven-Garnison ergehen lassen, wobei er den Namen derGehörnten Ratte beschworen und von ihrem Kommandantenstrikteste Geheimhaltung bei Strafe eines langsamen undunglaublich schmerzhaften Todes eingefordert hatte. Jetzt wardas Tal nahezu umzingelt von einer gewaltigen Skaven-Streitmacht, und was die Zwerge auch beschützen wollten,würde bald ihm gehören. Noch in dieser Nacht würde er denBefehl erteilen, der seine unüberwindlichen bepelztenLegionen vorwärts und ihrem unvermeidlichen Sieg entgegenschicken würde.

Eine flüchtige Bewegung erregte kurz ThanquolsAufmerksamkeit, ein Flattern von etwas Rotem im Wind, dasihn vage an etwas Verhängnisvolles aus der Vergangenheiterinnerte. Er ignorierte es und ließ das Periskop die Felswanddes Berges entlangwandern, so dass er die mächtigenMaschinen der Zwerge begutachten konnte. Gier und eine Lustzu besitzen erfüllten ihn. Die Unkenntnis, was ihren Zweck

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betraf, konnte ihn nicht entmutigen. Er wusste ganz einfach,dass sie es wert sein mussten, besessen zu werden. Alles, wasso viel Lärm machen und so viel Rauch erzeugen konnte, waran und für sich schon ein Ding, das jedes Skavenherz höherschlagen ließ.

Etwas an dem flatternden roten Fetzen nagte weiter an ihm,aber er tat es ab. Er begann mit der Erstellung einesAngriffsplans, während er die möglichen Aufmarschwegeentlang der Talränder musterte. Er wünschte, er hätte einegroße Wolke Gifthauch beschwören und ins Tal wehenkönnen, welche die Zwerge töten und ihre Maschinenunversehrt lassen würde. Schlagartig ging ihm die schlichteSchönheit dieser Idee auf. Vielleicht sollte er sie den Warlock-Technikussen vom Skryre-Klan verkaufen, wenn er das nächsteMal mit ihnen verhandelte. Eine Vorrichtung, die Gasausstoßen konnte, wie diese Schlote Rauch ausstießen, würde...

Augenblick mal! Die seltsame Vertrautheit jenes wehendenroten Mantels erreichte sein Vorderhirn. Plötzlich erinnerte ersich, wo er so etwas schon einmal gesehen hatte. Er erinnertesich an einen verhassten Menschen, der etwas Ähnlichesgetragen hatte. Aber ... es war doch unmöglich, dass er hierwar.

Hastig drehte Thanquol das Periskop auf dessenKlapprahmen. Er hörte einen Schmerzenslaut von demSkavensklaven, auf dessen Rücken der Rahmen geschnallt war,aber was kümmerte es ihn? Die Schmerzen eines Sklavenbedeuteten ihm weniger als das Fell, das er jeden Morgenverlor.

Mit einem Ruck seiner Pfoten stellte er die Linsen auf dieUrsache seines Unbehagens ein. Einen schockierten Momentlang rang er den fast überwältigenden Drang nieder, denGeruch der Furcht zu verspritzen. Er konnte sich nur daranhindern, indem er sich in Erinnerung rief, dass der haarlose

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Affe ihn unmöglich sehen konnte.Thanquol zuckte zusammen und zog seinen gehörnten Kopf

ein, obwohl seine gewaltige Intelligenz ihm sagte, dass erbereits außer Sicht war. Er schaute sich nach seinen beidenLakaien, Lurk und Grotz, um, ob sie sein Unbehagen bemerkthatten. Ihre leeren Gesichter sahen ihn gelassen an, und er warberuhigt, dass er vor seinen Untergebenen nicht das Gesichtverloren hatte. Er nahm eine Prise Warpstein-Schnupfpulver,um seine bebenden Nerven zu beruhigen, dann richtete eretwas, das ein Gebet sein mochte, aber durchaus auch als Fluchhätte ausgelegt werden können, an die Gehörnte Ratte.

Er konnte es nicht glauben. Er konnte es einfach nichtglauben! So klar wie die Schnauze in seinem Gesicht hatte erbei seinem Blick durch das Periskop den Menschen gesehen,Felix Jaegar. Er beugte sich vor und riskierte noch einen Blick,um ganz sicherzugehen. Nein -er hatte sich nicht geirrt. Dastand er, so klar wie der Tag. Felix Jaegar, der verhassteMensch, der so viel getan hatte, um Thanquols gewaltige Plänezu vereiteln, und dem es erst vor wenigen Monaten gelungenwar, ihn wider alle Vernunft vor dem Rat der Dreizehn zuentehren!

Gerechtfertigter Hass rang mit dem vernünftigen Instinkt derSelbsterhaltung, der Thanquols Seele beherrschte. Sein ersterGedanke war, dass Jaegar ihn irgendwie aufgespürt hatte undden ganzen Weg hierher gekommen war, um seine Pläne zumRuhm erneut zu durchkreuzen. Das kalte Licht der Logikverriet ihm, dass dies nicht der Fall sein konnte. Nichts, was soeinfach war, konnte wahr sein. Jaegar konnte unmöglichwissen, wo er ihn finden konnte. Nicht einmal, wennThanquols Gebieter im Rat der Dreizehn seinen gegenwärtigenAufenthaltsort gekannt hätten. Er hatte bei seinem Aufbruchvon Skavenblight äußerste Geheimhaltung walten lassen.

Dann kam Thanquol der entsetzliche Gedanke, dassvielleicht einer seiner vielen Feinde in der weit entfernten Stadt

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der Gehörnten Ratte ihn vielleicht mit magischen Mittelnaufgespürt und dem Menschen einen Hinweis hatte zukommenlassen. Es wäre nicht das erste Mal, dass niederträchtigeRattenmenschen die rechtschaffene Sache der Skaven auspersönlicher Gewinnsucht verrieten oder aus Rache an jenen,die sie beneideten.

Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher kamThanquol diese Erklärung vor. Wut kreiste zusammen mit dempulverisierten Warpstein durch seine Adern. Er würde diesenVerräter finden und wie den heimtückischen Wurmzerquetschen, der er auch war! Er musste bereits an ein halbesDutzend Übeltäter denken, die seine unausweichliche Racheverdienten.

Dann kam dem Grauen Propheten ein anderer Gedanke, unddabei hätte er aller Selbstbeherrschung zum Trotz beinah dochden Geruch der Furcht verspritzt. Wenn Jaegar hier war,bedeutete das, der andere war höchstwahrscheinlich auch da.Ja, es bedeutete, dass das einzige andere Lebewesen auf derWelt, das Thanquol noch mehr hasste und fürchtete als FelixJaegar, ebenfalls hier war. Er zweifelte nicht daran - und irrtesich darin auch nicht -, dass er den Trollslayer GotrekGurnisson sehen würde, wenn er wieder durch das Periskopschaute.

Er konnte gerade noch ein lautes Quieken der Wut und desSchreckens unterdrücken, das ihm zu entfahren drohte. Erwürde darüber nachdenken müssen.

Die emsige Geschäftigkeit an diesem Ort wurde für Felixnoch offensichtlicher, als der Karren in das Tal fuhr. Überallwaren Gruppen zielstrebiger Zwerge unterwegs. Lederschürzenschützten ihre stämmige Brust. Schweiß lief ihnen über dasrußige Gesicht. Dutzende seltsamer Werkzeuge - die Felix anFolterinstrumente erinnerten - hingen in Schlaufen an ihrem

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Gürtel. Einige der Zwerge trugen merkwürdig gepanzerteAnzüge. Andere saßen auf kleinen Dampfwagen mitgegabelten Hebezinken an der Vorderseite. Diese Maschinenbeförderten schwere Kisten und Lasten über die Eisenschienenzwischen den Werkstätten und dem zentralen Bauwerk ausMetall.

Rings um den Fabrikkomplex war eine provisorischeHüttenstadt entstanden, wo die Zwerge anscheinend lebten. DieHäuser waren aus Holz und Stein, die spitzen Dächer ausWellblech. Sie schienen leer zu sein, da sämtliche Bewohnerdraußen bei der Arbeit waren.

Felix sah Gotrek an. »Was geht hier vor?«Gotrek schwieg eine ganze Weile, in der er zu überlegen

schien, ob er überhaupt antworten solle. Als er es schließlichtat, sprach er langsam und mit einem ernsten Unterton.

»Menschling, du siehst hier etwas, von dem ich selbst niegeglaubt hätte, dass ich es je sehen würde. Und vielleicht bistdu der Einzige aus deinem Volk, der so etwas je zu Gesichtbekommen wird. Es erinnert mich an die großen Schiffswerftenvon Barak Varr, aber ... Hier finden so viele verbotene Gilden-Geheimnisse Verwendung, dass ich nicht weiß, wo ich mit demZählen anfangen soll.«

»Du sagst, dies hier ist alles verboten?«»Zwerge sind ein sehr bodenständiges Volk. Wir halten nicht

viel von neuen Ideen«, sagte Varek plötzlich. »UnsereTechnikusse sind in besonderem Maße auf das Althergebrachtebedacht. Wenn man etwas versucht und es schlägt fehl, wie esbei dem armen Makaisson der Fall war, macht man sich damitlächerlich, und für einen Zwerg gibt es nichts Schlimmeres.Nur wenige sind bereit, es überhaupt zu wagen. Und natürlichsind manche Dinge ausprobiert worden, und weil sie auf so ...spektakuläre Art fehlschlugen, hat die Gilde ihre Anwendungverboten. Hier gibt es Dinge, die wir in der Theorie seit

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Jahrhunderten kennen, die in die Praxis umzusetzen wir unsaber nur hier trauen. Was mein Onkel beabsichtigt, wird für sowichtig erachtet, dass viele begabte junge Zwerge bereit waren,das Risiko einzugehen, hier insgeheim an unserem großenProjekt zu arbeiten. Sie glauben, dass es den Versuch wert ist.«

»Und das Geld«, sagte Gotrek mit ehrfürchtiger Stimme.»Jemand hat hier einen hübschen Batzen Geld ausgegeben,daran besteht kein Zweifel.«

»Nun, das auch«, sagte Varek, wobei er für Felixunbegreiflicherweise bis zu den Bartwurzeln rot anlief.

Gotrek sah sich mit kritischem Blick um. »Nicht sonderlichgut befestigt, oder?«

Varek antwortete mit einem entschuldigenden Achselzucken.»Es wurde alles so schnell aufgebaut, dass wir dazu noch keineZeit hatten. Wir sind erst seit gut einem Jahr hier. Und werwürde auch nur einen Gedanken daran verschwenden, so einenabgelegenen Ort anzugreifen?«

Der Graue Prophet Thanquol huschte die Hänge hinunter zuder Stelle, wo seine Armee sich in der rasch hereinbrechendenDunkelheit versammelt hatte. Die Klauenführer Grotz undSpitzelzunge hatten bereits ihre Stellung an der Spitze ihrerjeweiligen Streitmacht eingenommen. Beide sahen ihn mitjener rohen Unterwürfigkeit an, die er mittlerweile von Lakaienerwartete. Die Kommunikationsamulette, die er ihnen in dieStirn gehämmert hatte, glitzerten im Feuer eingeschlossenenWarpsteins.

Er schaute herab auf ein wogendes Meer rattenähnlicherGesichter, und jedes einzelne ließ grimmige Entschlossenheiterkennen, zu siegen oder zu sterben. Er spürte, wie sich seinSchweif vor Stolz versteifte, als er diese gewaltigeKriegerhorde betrachtete. Er sah schwarz gepanzerteSturmratten, die untergeordnete Klanratten-Krieger überragten,

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die maskierten und stark vermummten Warp-Flammenwerfer-Trupps sowie seinen mächtigen Leibwächter Knochenbrecher,den zweiten Rattenoger dieses Namens.

Es war nicht die gewaltigste Streitmacht, die er je befehligthatte. In Wahrheit hatte sie nur einen Bruchteil der Größe jenerArmee, die er bei dem Angriff auf die Menschenstadt Nulnangeführt hatte. Es waren keine Seuchenmönche anwesend,keine der mächtigen Kriegsmaschinen, die der Stolz seinerRasse waren. Er hätte gern ein Unheilsrad oder eineHöllenglocke gehabt, aber es war keine Zeit geblieben, siedurch die Tunnel und Gänge oder über die zerklüfteten Hügelan diesen abgelegenen Ort zu ziehen. Dennoch war er sicher,dass die vielen hundert hervorragenden Krieger für seineZwecke ausreichen würden - insbesondere bei einemNachtangriff und mit dem Vorteil der Überraschung auf ihrerSeite.

Und doch ... Ein krampfartiger Anfall des Zweifelsdurchzuckte ihn und bewirkte, dass sich sein Fell sträubte. DerZwerg und Jaegar waren unten im Tal, und das war einschlechtes Omen. Ihre Anwesenheit schien niemals Gutes fürThanquols Pläne zu verheißen. War ihnen nicht irgendwiegelungen, seine Invasion Nulns zu verhindern und auf eineunbegreifliche Art eine ganze Skavenarmee zu vernichten?Hatten sie nicht sogar den Grauen Propheten selbst zu einemhastigen, aber klugen taktischen Rückzug durch dieKanalisation gezwungen, während sich die Straßen vom Blutder Skaven schwarz färbten?

Aus dem Beutel aus Menschenhaut, den er immer bei sichhatte, ließ Thanquol noch ein wenig mehr Warpstein-Schnupfpulver auf den Rücken seiner Pfote rieseln. Er hob diePfote unter die Nase und schnupfte und spürte augenblicklich,wie Wut und Zuversicht zurückkehrten. Visionen von Tod,Verstümmelung und anderen wunderbaren Dingendurchfluteten seinen erhabenen Geist. Jetzt war er sicher, dass

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er den Sieg erringen würde. Wie konnte irgendetwas seinengewaltigen Kräften widerstehen? Nichts konnte derüberlegenen Zauberei der Skaven standhalten, über die ergebot!

Seine verborgenen Feinde in Skavenblight waren zu weitgegangen, als sie Jaegar und Gurnisson hierher geschickthatten. Sie glaubten, Thanquol treffen zu können, indem sieseine erbittertsten Feinde benutzten, um ihn zu Fall zu bringen!Nun denn, er würde ihnen zeigen, dass das, was sie für Schläuehielten, nur irregeleitete Narretei war! Ihnen war lediglichgelungen, ihm die beiden Narren, welche er am meistendemütigen wollte, in die Pfoten zu spielen. Sie gaben ihmGelegenheit, an seinen beiden verhassten Feinden furchtbarsteRache zu nehmen, während er sich gleichzeitig mit Ruhmbekleckern würde, indem er die Maschinen eroberte, welchedie Zwerge an diesem Ort gebaut hatten!

Dies, dachte er, während das üble Zeug wie geschmolzenesChaos durch seine Adern wallte, würde ganz gewiss seingrößter Triumph, sein größter Moment! Ein ganzes Millenniumwürden Skaven nur im Flüsterton über Schläue,Rücksichtslosigkeit und Ehrfurcht gebietende Intelligenz desGrauen Propheten Thanquol reden. Er konnte den Sieg schonauf der Zunge schmecken.

Er hob die Pfote und gebot Stille. Die gesamte Horde stellteaugenblicklich ihr Piepsen ein. Hunderte von roten Augensahen ihn erwartungsvoll an. Schnurrhaare zuckten in freudigerErwartung seiner Worte.

»Jetzt werden wir die Zwerge wie Käfer zerquetschen!«,quiekte er in seinem beeindruckendsten Tonfall. »Wir werdenvon beiden Seiten über dieses Tal hinwegfegen, und nichtswird uns aufhalten. Vorwärts, tapfere Skaven, zumunvermeidlichen Sieg!«

Das Quieken der Horde schwoll an, bis es seine Ohren

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erfüllte. Er wusste, dass der Sieg heute Nacht ganz gewiss ihmgehören würde.

Eine böse Vorahnung überkam Felix. Instinktiv warf erseinen Umhang über die rechte Schulter, um den Schwertarmfrei zu haben. Seine Hand kroch zum Heft seines Schwerts, under verspürte einen jähen Drang, es zu ziehen und sichkampfbereit zu machen.

Hoch über ihnen erhob sich die Festung, und aus der Nähekonnte er erkennen, dass sie nicht ganz so wehrhaft war, wiesie aus der Ferne aussah. Die Mauern waren rissig und marode.An einigen Stellen war das Gestein vollständig weggebröckelt.Trotz aller Behauptungen Vareks schien die Arbeit der Zwergedie Abwehrkapazitäten dieses Ortes in keiner Weise gestärkt zuhaben. Felix war zwar kein Experte, aber Gotreks Behauptung,der Ort sei nicht sonderlich gut befestigt, traf zweifellos zu.Falls sie angegriffen werden sollten, würde sich das ganze Talals eine riesige Todesfalle erweisen.

Sie hatten die Festung jetzt beinahe erreicht. Die Straße hattesie zum Fuß der Klippen geführt, auf denen die Festungthronte. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit erspähte Felixeinen alten Zwerg mit einem unglaublich langen Bart, der aufdem Wehrgang über dem Fallgatter stand. Der Alte winkte.Felix wollte schon zurückwinken, als ihm aufging, dass derZwerg Gotrek begrüßte. Der Slayer schaute auf, grunzteverdrossen und hob seine schinkengroße Faust ein paarFingerbreit zum Gruß.

»Gotrek Gurnisson«, rief der alte Zwerg. »Ich hätte niegedacht, dass ich dich wiedersehen würde!«

»Ich auch nicht«, murmelte Gotrek. Er klang fast ein wenigverlegen.

Lurk Spitzelzunge spürte sein Herz vor Stolz und Erregung -

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und einer gewissen berechtigten Vorsicht - schneller schlagen.Der Graue Prophet hatte ihn auserwählt, den Angriff zu führen,während der Skaven-Magier den Schauplatz der Schlacht vonden rückwärtigen Anhöhen beobachten würde. Es war derstolzeste Moment in Lurks Leben, und er empfand etwas, dasman beinahe als Dankbarkeit Thanquol gegenüber hättebezeichnen können, wäre Dankbarkeit nicht ein schwaches,albernes unskavisches Gefühl gewesen. Seit seiner Gesundungvon der Seuche, die in Nuln sein Leben bedroht hatte, war ernicht mehr so glücklich gewesen. Allem Anschein nach warihm sein Anteil am Scheitern in jenem großen Bau derMenschen vergeben worden. Er war wieder der bevorzugteEmissär des Grauen Propheten Thanquol. Falls dieser natürlichjemals herausfand, wie Lurk im Zuge des Fiaskos von Nuln mitseinen Feinden konspiriert hatte ...

Lurk schob den Gedanken beiseite. Wenn dieser Angriffgelang, würde er mit Brüterinnen, Warpsteinen und einerBeförderung innerhalb der Ränge seines Klans belohnt werden.Mehr als das, er würde eine Menge Ansehen gewinnen, was füreinen Skaven wie ihn mehr wert war als all die anderen Dinge.Alle Geschwister, die ihn hinter seinem Rücken ausgelacht,verspottet und lächerlich gemacht hatten, würden zwangsläufigverstummen. Sie würden wissen, dass Lurk seine gewaltigeHorde zum Sieg über die Zwerge geführt hatte.

Der Gedanke schlängelte sich verstohlen in seinBewusstsein, dass es vielleicht sogar möglich war, Thanquolaus dem Wege zu räumen und den Ruhm für diesesUnternehmen ganz allein einzustreichen. Er tat die Ideeaugenblicklich als absurd ab, da er befürchtete, der Magierkönne in eben diesem Moment seine Gedanken durch dasAmulett in seiner Stirn lesen, aber irgendwie blieb derschändliche Gedanke an Ort und Stelle und sprang ihm trotzaller Bemühungen, ihn zu unterdrücken, immer wiederförmlich ins Gesicht.

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Auf der Suche nach einer Ablenkung ließ er den Blickschweifen und spürte, wie sein Herz vor Beklommenheit raste.Sie hatten annähernd den Kamm des Hügels erreicht und warenimmer noch nicht entdeckt worden. Bald würde derAugenblick der Wahrheit kommen. Einmal auf der Hügelkuppeangelangt, würden sie für die Zwerge unten im Tal sichtbarsein, wenn sich ihr Vorrücken nicht durch die hereinbrechendeDunkelheit und durch Rauch verbergen ließ. Er hob die Pfoteund gebot Stille. Überall ringsumher schlichen seineSturmratten nun lautlos vorwärts, abgesehen vomgelegentlichen Klirren von Scheide gegen Rüstung, das ihrenbeschränkten Gegnern aber höchstwahrscheinlich nichtauffallen würde.

Nicht die leisen Geräusche der Sturmratten waren es, dieLurk Sorgen bereiteten. Es war der Krach, den diesezurückgebliebenen Klanrattenkrieger und Skavensklavenmachten! Da ihnen die eindrucksvolle Disziplin derSturmratten und deren lange Ausbildung fehlten, verursachtensie eine Menge Lärm. Manche von ihnen piepsten sogaruntereinander in dem Versuch, ihre Moral auf traditionelleSkaven-Art aufrechtzuerhalten - indem sie sich gegenseitig mitPrahlereien zu überbieten suchten, welche Qualen sie ihrenGefangenen zufügen würden.

So sehr Lurk ihre Zuversicht teilte, er schwor, denSchwätzern nach seinem unvermeidlichen Sieg die Lippenzunähen zu lassen. Da er auf diese Entfernung nicht sehenkonnte, wer schwatzte, kam er zu dem Schluss, dass er wohlaufs Geratewohl ein paar Klanratten herauspicken und an ihnenein Exempel statuieren musste.

Mittlerweile wusste er, dass Klauenführer Grotz sehrwahrscheinlich auf der anderen Seite des Tals in Stellung war.Mit typischer Skaven-Präzision würden sie an Ort und Stelleund bereit sein, von beiden Seiten des Tals herabzustürmen, dieüberraschten Schrumpflinge von zwei Seiten anzugreifen und

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sie unter einer pelzigen Woge unaufhaltsamer Skavenmacht zuersäufen!

Er sah sich um und stieß ein stummes Gebet aus in derHoffnung, dass die Krieger sich an seine letzten fieberhaftenAnweisungen erinnern würden - keine Plünderungen, keineVerwüstung oder Brandschatzung von Gebäuden. Der GraueProphet Thanquol wollte, dass alles heil blieb, sodass sie dieBeute den Warlock-Technikern verkaufen konnten. Er erstarrteeinen Augenblick, in dem er zögerte, den Angriffsbefehl zugeben. Dann packte ihn der Gedanke, dass Grotzmöglicherweise längst ins Tal stürmen und sämtlichen Ruhmfür sich beanspruchen mochte, und schwemmte alle nochverbliebene Vorsicht weg. Er kroch den Hang empor undschaute ins Tal herab, da ihn der tröstliche Geruch der Massenvon Skaven hinter ihm vorantrieb.

Unter ihm erstreckte sich die Siedlung der Zwerge. BeiNacht war sie noch beeindruckender als bei Tag. Die Flammender Gießereien und Stahlhütten hüllten das ganze Tal in einenunheimlichen Schein, der an die große Stadt Skavenblighterinnerte. Die Gebäude erhoben sich klobig und schattenhaftaus der Düsternis.

Lurk hoffte, dass dort unten keine unangenehmenÜberraschungen warteten, aber dann ging ihm auf, dass dasunmöglich war. Hatte nicht der große Graue Prophet Thanquolpersönlich diesen Angriff geplant?

Volgar Volgarsson starrte in die zunehmende Dunkelheitund strich sich geistesabwesend den Bart. Er wurde langsammächtig hungrig, und bei dem Gedanken an das Ale und dasGulasch, das die anderen sich im Großen Saal einverleibenwürden, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Er tätscheltesich den Bauch, um sich zu vergewissern, dass er noch da war.Schließlich hatte er seit über vier Stunden keinen Bissen zu

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sich genommen. Natürlich abgesehen von jener Scheibe Brotund dem Stück Käse, aber nach Volgars Maßstäben zählte daseigentlich nicht.

Bei Grungni, er hoffte wirklich, dass Morkin sich beeilte undihn bald ablöste. Es war kalt und ungemütlich hier oben aufseinem Wachposten, und Volgar war ein Zwerg, derAnnehmlichkeiten zu schätzen wusste. Natürlich war er aufseine Art stolz, Teil des großen Werks zu sein, das hiervollbracht wurde, aber alles hatte seine Grenzen. Für einenTechnikus war er nicht klug genug und zu unbeholfen, um beider Herstellung zu helfen, also tat er, was er konnte, hieltWache, verbrachte lange, einsame Stunden ohne einen Bissenan diesem kalten, klammen Ort und hielt Ausschau nach allem,was sich in dieses Tal schleichen mochte.

Er wusste, dass seine Stellung hervorragend war. DerWachbunker war in den Boden eingelassen, und nur ein zuranderen Talseite weisender Beobachtungsschlitz ragte hervor.Auf der anderen Seite und zur Straße hin gab es ähnlicheStellungen. Er brauchte nur nach Ärger Ausschau zu halten undins Hörn zu blasen, wenn er eine Gefahr ausmachte. Eigentlichganz simpel.

In gewisser Hinsicht war es tatsächlich ein guter Posten. Wasfür Ärger konnte ihnen an diesem von den Göttern verlassenenOrt schon drohen? Seit der Vertreibung der Skaven hatte esnicht einmal die Andeutung einer Feindseligkeit gegeben. Unddas war ein guter Kampf gewesen, sagte sich Volgar, währender einen ordentlichen Schluck aus seiner Hüftflasche nahm,natürlich nur, um die Kälte zu vertreiben. Sie hatten geholfen,einige Rechnungen mit den Rattenmenschen zu begleichen undüber hundert von dem pelzigen Ungeziefer getötet, wobei keinZwerg mehr als einen Kratzer davongetragen hatte. Er rülpstelaut, um seiner Anerkennung Ausdruck zu verleihen.

Es war so ruhig, dass es Volgar sogar gelungen war, amNachmittag ein kleines Nickerchen einzuschieben. Er war

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sicher, dass ihm nichts entgangen war. Das war das Gute daran,dass die Bastion unterbesetzt war. Es gab keinen lästigenzweiten Posten, der einen mit seinem Geschwätz über Ale unddie Rechnungen wach hielt, die es bei der Rückkehr nachKaraz-a-Karak zu begleichen galt. Volgar mochte einen gutenPlausch über das Begleichen von Rechnungen ebenso gern wiealle Zwerge, aber sein Schlaf war ihm noch lieber. Nichts gingüber ein anständiges Nickerchen gleich nach dem Mittagessen.Das half, einen für den Rest des Tages richtig aufzubauen.

Und jetzt, nun ja, seine Zwergenaugen waren gut in derNacht, und seine Zwergenohren, die darauf eingestellt waren,auf alle warnenden Hinweise zu lauschen, die sich in denGeräuschen in den Tiefen der Erde verbargen, waren mehr alsfähig, ihn auf jeglichen Ärger aufmerksam zu machen. Wennes etwas Ungewöhnliches gab - wie jenes leise Huschen - oderauch etwas, das wie das Klirren von Waffe gegen Waffe klang- tatsächlich so wie das Geräusch, das er soeben gehört hatte -,würde er es sofort bemerken und bereit sein, darauf zureagieren.

Volgar schüttelte den Kopf. Bildete er sich Geräusche ein?Nein, da war es wieder, und da war auch ein leises hohesPiepsen. Es hörte sich nach Skaven an. Er rieb sich die Augen,um sie von jeglichem störenden Überzug zu befreien, und lugtedurch den Beobachtungsschlitz in die Dunkelheit. Seine Augentrogen ihn nicht. Eine Flut schattenhafter rattenähnlicherGestalten wogte überall ringsumher den Hügel empor. Ihreroten Knopfaugen funkelten in der Dunkelheit.

Seine Hand zitterte, als er nach seinem Horn griff. Wenn ersich still verhielt, würden die Skaven ihn wahrscheinlich inRuhe lassen. Offensichtlich hatten sie seinen verborgenenBeobachtungsposten nicht entdeckt. Wenn er stattdessen dasSignal gab, würde er sterben. Er würde der Horde, die ihnumgab, seine Stellung verraten, und die Skaven würden überihn herfallen wie Fliegen über einen Kadaver. Die Tür hinter

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ihm war vergittert und verriegelt, aber sie würde die Skavennicht ewig aufhalten, und dann gab es das Giftgas und dieFlammenwerfer und all die anderen absonderlichen Waffen derSkaven, von denen er gehört hatte. Eine Giftkugel durch denBeobachtungsschlitz, und der alte Volgar würde sein Lebenaushauchen.

Andererseits, wenn er das Signal nicht gab, würden dieRattenmenschen seine Gefährten überwältigen und sie anseiner statt töten. Das große Werk würde unvollendet bleiben,und all das würde seine Schuld sein. Wenn er überlebte, würdeer mit der Schande leben müssen, die er damit nicht nur übersich, sondern auch über seine Vorfahren brachte.

Volgar war ein Zwerg und besaß trotz seiner zahlreichenSchwächen den Stolz eines solchen. Er nahm einen letztentiefen Schluck aus seiner Flasche, verschwendete einen letztenAugenblick mit einem letzten bedauernden Gedanken an dasAbendessen, das er nun nie mehr verspeisen würde, holte tiefLuft, setzte das Horn an die Lippen und blies hinein.

Das einsame Tuten des Horns hallte durch das Tal. Es schienaus den Tiefen der Erde zu kommen. Felix sah sich hektischum.

»Was war das?«, fragte er.»Ärger«, erwiderte Gotrek fröhlich, während er auf die

riesige Skavenhorde zeigte, die über den Hügelkamm ins Talschwärmte.

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4Der Skavenangriff

Felix beobachtete mit tiefstem Entsetzen, wie die dunkle Flutder Skaven den Hügel hinab und ihm entgegen flutete. Er warnicht sicher, wie viele es waren, aber es sah nach hunderten,vielleicht sogar tausenden aus - das ließ sich in der Dunkelheitschwer sagen. Als sich hinter ihm großer Lärm erhob, fuhr erherum und sah noch mehr Skaven, die von der anderen Seiteins Tal stürmten. Die Kiefer einer gewaltigen Falle schnapptenzu.

Felix rang ein jähes Aufwallen von Panik nieder. Wie oft ersich auch schon in Situationen wie dieser befunden hatte - undda kam einiges zusammen -, irgendwie wurde es nie leichter.Ein Übelkeitsgefühl breitete sich in seinem Magen aus, seineMuskeln verkrampften sich, und seltsamerweise empfand erauch eine gewisse Beschwingtheit. Sein Mund war trocken,und sein Herzschlag dröhnte laut in seinen Ohren. ZurAbwechslung wäre er im Angesicht der Gefahr nur zu gerneinmal ruhig und entspannt oder auch von einerberserkerhaften Wut erfüllt gewesen wie die Helden in denGeschichten. Doch wie immer war er es nicht.

Ringsumher ließen die Zwerge ihre Werkzeuge fallen undgriffen zu den Waffen. Hörner erschollen, jedes in eineranderen Tonhöhe, und ihr lang gezogenes Heulen, wiedasjenige gequälter Seelen, trug noch zur allgemeinenKakophonie bei. Felix drehte sich wieder um und wollte geradezum Portal der Festung laufen, als ihm aufging, dass sich keinanderer dorthin wandte. Alle Zwerge stürmten dem Feinddurch das Halbdunkel entgegen.

Waren sie alle verrückt geworden?, fragte sich Felix. Warumversuchten sie sich nicht in die Sicherheit der Festung zu

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retten? So marode ihre Mauern auch aussahen, in ihrem Schutzhatten sie zweifellos bessere Aussichten. In der Feste würde esgewiss sicherer sein, aber diese verrückten Zwergeverschwendeten offenbar keinen Gedanken daran.

Neugier und Beklommenheit ließen ihn einen Momenterstarren. Ihm kam der Gedanke, dass es einen guten Grundgeben mochte, warum sie nicht in die Feste flohen ... und dasses vielleicht keine so gute Idee war, diesen Grund am eigenenLeib zu erfahren.

Langsam sickerte die Erkenntnis in Felix' panikerfüllteGedanken ein, dass die Zwerge ihre Maschinen nicht in dieHände der Skaven fallen lassen wollten. Sie waren bereit, fürdiese monströsen, qualmenden Apparaturen zu kämpfen und,wenn es sein musste, zu sterben. Dies verriet eineEntschlossenheit, die entweder wahrhaft beeindruckend oderunglaublich dumm war. Felix wusste nicht recht, was zutreffenmochte.

Während er noch unschlüssig war, erhob sich hinter ihm einominöses Scheppern, dem das Klirren von Metall auf Steinfolgte. Als er sich umdrehte, sah er gerade noch das Fallgatterder Festung heruntersausen. Von drinnen hörte er dasKnirschen von Zahnrädern und das Pfeifen einesDampfmaschinenkessels, dann strafften sich die gewaltigenKetten der Zugbrücke und zogen sie langsam in die Höhe.Plötzlich tat sich ein tiefer Graben zwischen ihm und derFestung auf. Wenigstens im Innern der Festung legte jemandein wenig Vernunft an den Tag, dachte Felix, wenngleich erdamit draußen festsaß und sehr bald von einem irrsinnigenGemetzel überrollt würde.

Ein donnerndes Tosen erhob sich in der Festung über ihm.Eine gewaltige Rauchwolke stieg auf, und plötzlich lag derstechende Geruch nach Schießpulver in der Luft. Felixerkannte, dass jemand in der Festung eine Kanone ausgerichtetund abgefeuert hatte. Ein pfeifendes Geräusch ertönte, und

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dann hallte Explosionsdonner durch die Dunkelheit. EinDutzend der heranstürmenden Skaven wurden in die Luftgeschleudert. Gliedmaßen flogen in eine Richtung, Rümpfe ineine andere. Die Zwerge brachen in lautes Jubelgeschrei aus,während die Skaven etwas von sich gaben, das wie einhasserfülltes Zischen klang.

Überall ringsumher rannten Zwerge in Kampfpositionen.Tiefe Stimmen bellten harsche, gutturale Worte in der uraltenZwergensprache. Felix kam sich inmitten dieses Mahlstromshektischer und doch irgendwie geordneter Betriebsamkeiteinsam und verloren vor. Er konnte erkennen, dass sich ausdem verrückten Wirbel schreiender und rennender Zwerge einzusammenhängendes Muster bildete. Die Technikusse undKrieger nahmen ihre Plätze neben ihren Brüdern in derSchlachtreihe ein. Felix hatte das Gefühl, der Einzige zu sein,der keine Ahnung zu haben schien, wohin er sich wendensollte.

Sie scharten sich alle um die Hörner, ging Felix unvermitteltauf, und jetzt ergaben die unterschiedlichen Töne einen Sinn.Sie waren wie jene Glocken, die er vor ein paar Tagen an denKühen gesehen hatte. Sie identifizierten ihre Besitzer undgaben ihren Kameraden einen Sammelpunkt, um den sie sichscharen konnten.

Allem Anschein nach war dies eine Taktik, die den Zwergenso lange eingetrichtert worden war, bis sie sie perfektbeherrschten. Wo noch vor wenigen Augenblicken eine Massedesorganisierter Seelen darum gebettelt hatte, abgeschlachtetzu werden, standen jetzt dichte Reihen von Zwergenkriegern,die ihren Gegnern die Stirn boten und mit einer Disziplinmarschierten, die imperiale Pikeniere beschämt hätte.Vielleicht wusste der Verantwortliche hier, was er tat, dachteFelix, wer immer das auch war. Vielleicht würde es nicht zudem blutigen Gemetzel kommen, wie er es noch vor wenigenAugenblicken befürchtet hatte.

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Er war nicht sicher, ob es reichen würde, wenn er die Masseder Skaven betrachtete, die den Hügel herabstürmten und dabeiimmer schneller wurden wie ein bergab rollender Karren, umso einen scheinbar unwiderstehlichen Schwung für ihrenSturmangriff aufzubauen. Die wimmelnde, pelzige Horde warjetzt so nahe, dass er die schaumbedeckten Lippen und dentollwütigen Fanatismus in den Augen der Skaven erkennenkonnte. Einige von ihnen waren größer, muskulöser und bessergerüstet als die anderen. Er hatte schon einmal gegen dieseBestien gekämpft und wusste, dass sie die gefährlichstenGegner waren. Er hielt angestrengt nach jenen unbeholfenen,grobschlächtigen und doch so tödlichen Feldwaffen Ausschau,welche die Skaven so liebten, konnte gnädigerweise aber keineausmachen.

Plötzlich fühlte Felix sich sehr einsam. Er gehörte zu keinerjener hastig zusammengetrommelten Zwergeneinheiten.Niemand war bei ihm, der ihm den Rücken freihielt. Vielleichthielten die Zwerge ihn in der Dunkelheit sogar für einen Feind.Hier gab es nur einen Platz für ihn. Er sah sich nach Gotrekum, aber die Kampfeslust hatte ihn und Snorri gepackt, und siewaren in der Zwischenzeit näher zum Feind gestürmt.

Felix fluchte herzhaft und kletterte hastig auf den Karren, umsich einen besseren Überblick zu verschaffen. Er nahm zurKenntnis, dass Varek dort saß und interessiert in die Düsternislugte, während er die Bombe in seiner Hand ab und zu nebensich auf den Boden legte und mit einer mechanischen Federeine Notiz in das Buch vor sich kritzelte. Seine Augenfunkelten fiebrig hinter den Augengläsern.

»Ist das nicht aufregend, Felix?«, fragte er. »Eine richtigeSchlacht. Das ist die erste, an der ich teilnehme.«

»Beten Sie, dass es nicht Ihre letzte ist...«, murmelte Felix,während er sein Schwert durch die Luft schwang, um seineverkrampften Muskeln ein wenig zu lockern, bevor die Hordeauf die Verteidigungslinie der Zwerge traf. Er schaute sich

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rasch noch einmal in der Hoffnung um, Gotrek auszumachen.Der Slayer war nirgendwo zu sehen.

Auf einem Hügel hoch über der Schlacht starrte der GraueProphet Thanquol in seinen Seherkristall. Er lag leer unduntätig vor ihm. In seinen Tiefen gab es vielleicht ein winzigesAufflackern von Warpfeuer, wie es nur ein Auge wahrnehmenkonnte, das so scharf und allsehend war wie Thanquols.

In der Tat sah der Kristall für das ungeübte Skavenaugelediglich wie ein großes Stück Buntglas mit vielen Facettenaus, in das die Dreizehn Heiligsten Symbole geritzt waren.Thanquol kannte die Menschenrasse gut genug, um zu wissen,dass der Kristall für ein menschliches Auge wie grellbunterTand aussah, wie er von Fakiren in Schaubuden aufJahrmärkten benutzt wurde. Er war außerdem so klug, zuwissen, dass das menschliche Auge sich leicht täuschen ließ,denn dies war in der Tat ein äußerst mächtiges Artefakt.

Wenigstens hoffte er das. Der rohe Mondkristall hatteThanquol viele Warpsteine gekostet, und die Runen, von denenjede einzelne in einer anderen mondlosen Nacht in den Kristallgeritzt worden war, hatten Thanquol eine Menge Schlafgeraubt. Für das Einbetten mächtiger Zauber in den Kristallwar mit Blut und Schmerzen bezahlt worden, ein Teil davondas Blut und die Schmerzen des Grauen Propheten.

Jetzt war der Augenblick gekommen, herauszufinden, obsich die Mühe gelohnt hatte. Es war an der Zeit, dachteThanquol, sein neues Spielzeug zum Einsatz zu bringen. Hastigkratzte er Runen in die harte Erde rings um sich und ritzte dieDreizehn Heiligen Zeichen der Gehörnten Ratte mit geübterLeichtigkeit. Dann schob er sich den Daumen in die Schnauzeund biss fest zu. Seine spitzen Zähne ließen Blut hervorquellen,obwohl er durch den Nebel des Warpstein-Schnupfpulvers undder brodelnden Zauberenergien, die sein Hirn erfüllten, kaum

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etwas davon spürte.Schwarzes Blut tropfte aus der Wunde. Er hielt den Daumen

über die erste Rune. Ein Tropfen fiel in die Mitte des Symbols,und dabei sprach Thanquol ein Wort der Macht, einen dergeheimen Namen der Gehörnten Ratte. Augenblicklichverdampfte die Flüssigkeit zu stechendem Qualm und bildeteeine kleine, schädelartige Pilzwolke über der Rune. DasSymbol erwachte flackernd zum Leben, und grünes Feuer ließihre Umrisse strahlend hell aufleuchten, bevor es zu einemweniger grellen, aber immer noch gut sichtbaren Scheinverblasste.

Rasch und kundig wiederholte Thanquol die Prozedur beijeder Rune und ließ danach vorsichtig drei abschließendeTropfen seines kostbaren Bluts auf den Seherkristall fallen.Gleich darauf erwachte ein dunkles Bild flackernd zum Leben.Er konnte die Szene aus Chaos und unmittelbarbevorstehendem Gemetzel im Tal unter sich sehen, als schaueer aus großer Höhe darauf herab, dann flackerte das Bild, undder Stein war von einer flimmernden Wolke erfüllt. Thanquoldrückte gereizt seinen Daumen auf eine Seite des Kristalls, unddas Bild wurde wieder deutlicher und stabilisierte sich. DieSchlacht breitete sich so klar wie der lichte Tag vor seinenAugen aus. Nun ja, beinah - das Bild hatte einen leichtenGrünstich, der nicht verschwinden wollte, wie oft ThanquolsDaumen auch Einstellungen vornahm oder leicht gegen denKristall schlug.

Egal! Thanquol kam sich vor wie der Herr über ein großesund geheimes Spiel. All jene Skaven dort unten waren jetzt nurSpielfiguren für ihn, über die er gebot. Figuren, die daraufwarteten, von seiner mächtigen Pfote gezogen zu werden.Spielmarken, die auf das Spielfeld gesetzt und von seinertitanischen Intelligenz gelenkt werden wollten. Er genehmigtesich noch eine Prise Warpstein-Schnupfpulver und hätte amliebsten geheult vor hämischer Freude. Er spürte, dass seine

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Macht unendlich war. Nichts kam ihm gleich, diesem Gefühlder Kontrolle, der Herrschaft. Und das Beste war, dass er seineMacht außer Sicht und ohne jede Gefahr für sich ausübenkonnte. Nicht, dass er die Gefahr gefürchtet hätte, o nein. Eswar lediglich vernünftiger, keine unnötigen Risikeneinzugehen. Es war so, als sei der Traum jedes GrauenPropheten wahr geworden!

Thanquol gestattete sich einen langen Augenblick der Häme,dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Schlacht undversuchte zu entscheiden, auf welche spektakuläre Weise erden Skaven den Sieg und sich selbst unsterblichen Ruhmsichern sollte.

Felix spreizte die Füße noch weiter, da er versuchte, auf derLadefläche des Karrens einen festen Stand zu finden. DasVehikel schaukelte leicht, und er fragte sich, ob es klug war,hier zu stehen. Einerseits war sein Stand unsicher, und er botein auffälliges Ziel. Andererseits hatte er zumindest den Vorteilder erhöhten Position und eine teilweise Deckung durch dieSeiten des Karrens. Er beschloss, für den Augenblick zubleiben, wo er war - und beim ersten Anzeichen für einenBeschuss durch feindliche Flammenwerfer auf den Boden zuspringen. Das war logisch und vernünftig. Außerdem sah es soaus, als müsse jemand hier bleiben und auf Varek aufpassen.Der weltfremde junge Zwerg kritzelte in sein Buch, was dasZeug hielt. Felix war erstaunt, dass er noch genug sah, umschreiben zu können. Infolge seiner langen Bekanntschaft mitGotrek wusste er, dass Zwerge im Dunkeln besser sehenkonnten als Menschen, aber hier war ein verblüffender Beweisfür diese Tatsache. Im flackernden Licht der Schmelzöfen, dasFelix gerade einmal Umrisse erkennen ließ, schrieb der jungeZwerg wie ein Schreiber, der bei Kerzenschein ein Manuskriptkopierte. Wenn vielleicht auch nichts anderes, so war es dochzumindest eine erstaunliche Konzentrationsleistung. Um die

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Wahrheit zu sagen, wäre Felix glücklicher gewesen, wennVarek mehr auf die Mulis geachtet hätte. Die Tiere ließenAnzeichen großer Unruhe erkennen, da die Skaven immernäher kamen.

Felix starrte sie nervös an und fragte sich, ob wohl welchevon den bösartigen Skaven-Assassinen mit vergifteten Klingenherumschlichen. Es sah den Rattenmenschen überhaupt nichtähnlich, es mit einem simplen Frontalangriff zu versuchen,ohne heimtückische Überraschungen in der Hinterhand zuhaben. Aus bitterer Erfahrung wusste er, wozu sie in der Lagewaren. Er stieß Varek sanft mit der Stiefelspitze an.

»Achtet am besten auf die Mulis«, sagte er. »Sie macheneinen unruhigen Eindruck.«

Varek nickte leutselig, verstaute seinen Schreibstift in einerseiner geräumigen Taschen, klappte sein Buch zu und hobseine Bombe auf.

Irgendwie fühlte Felix sich nicht beruhigt.

Thanquol starrte mit grimmiger Entschlossenheit in denSeherkristall. Er stützte beiderseits die Pfoten auf und piepstehektische Beschwörungen in dem Versuch, seinen Blickwinkelbeizubehalten. Der Kristall war nicht annähernd so leicht zubeherrschen, wie es ihm lieb gewesen wäre. Er hob die rechtePfote, und der Blickwinkel schwang aufwärts und nach rechts.Er ballte eine Faust und deutete einen vorwärts gerichtetenHieb an, und der Blickwinkel veränderte sich, bis sich ihm einPanoramablick auf das gesamte Schlachtfeld bot. Er sah dieSkaven den Hang herab und den sich hastig sammelndenZwergen entgegenstürmen. Er sah, wie die großen bepelztenSpeerspitzen aus Abteilungen der Sturmratten direkt auf dasZentrum des sich formierenden Zwergenheers zuhielten. Er sahdie flankierenden Truppen der Klanratten und Skavensklavennicht ganz so enthusiastisch neben ihnen laufen. Er sah seinen

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Leibwächter, Knochenbrecher, neben Lurk Spitzelzungehasten.

Die Feste über dem Tal sah aus dieser Höhe wie einRattenkinderspielzeug aus, und die ganze komplizierte Strukturdes Zwergenlagers wirkte verdächtig geordnet undschematisch, fast so, als sei jedes Bauwerk, jedes Rohr, jederSchornstein Bestandteil einer einzigen großen Maschine. Eswar alles sehr faszinierend, und er musste darum kämpfen,seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die bevorstehendeAuseinandersetzung zu richten. Eine der Nebenwirkungen desWarpsteinpulvers bestand darin, dass der Schnupfer sich vonden allertrivialsten Dingen faszinieren ließ und sichbeispielsweise in der Würdigung der Erhabenheit seinerZehennägel verlor, während ringsumher ganze Städteabbrannten. Thanquol war als Zauberer erfahren genug, umsich dessen bewusst zu sein, aber manchmal vergaß selbst er esvorübergehend. Und es war so eine verlockende Szene, so ... Erzerrte seine Gedanken förmlich zur Schlacht zurück und zwangden Kristall zu einer Änderung des Blickwinkels, indem er wiemit den Augen eines Vogels näher an das Zentrum derzwergischen Linien und zu dem Karren heranfuhr, auf demFelix Jaegar mit dem Schwert in der Hand stand undangespannt und verängstigt aussah.

Dem Grauen Prophet schoss plötzlich ein simpler, aberbrillanter Plan durch den Kopf. Er hatte gewisse Zweifel, dassdieser Knochenbrecher besser mit dem Slayer fertig wurde alssein Vorgänger, aber er hegte nicht die geringsten Zweifel,dass das Ungeheuer diesen Jaegar abschlachten konnte. Erhatte einige besondere Anweisungen für den Rattenoger, diesich auf den Menschen bezogen, und er wusste, dass dergrimmige, loyale und stupide Primitivling sich bis in den Toddaran halten würde. In einem herrlichen Aufwallen jäherGewissheit wusste er, dass Felix Jaegars schmerzhafter Todunmittelbar bevorstand.

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Nun, da er sein auserwähltes Opfer ausfindig gemacht hatte,begab Thanquol sich mit seinem magisch unterstützten Blickauf die Suche nach Knochenbrecher. Als er die monströseMischung aus Ratte und Oger gefunden hatte, murmelte ereinen weiteren Zauber, der ihm gestatten würde, seinemHandlanger seine Gedanken mitzuteilen.

Plötzlich überkam ihn ein Schwindelanfall, und er empfandeinen Glutofen aus Hunger, Wut und primitiver Dummheit -das Bewusstsein des Rattenogers. Rasch übermittelte er demVerstand des Ungeheuers Jaegars Position und erteilte ihmseine Anweisungen: Geh, Knochenbrecher, und töte! Töte!Töte!

Felix schauderte. Er wusste, dass ihn jemand beobachtete. Erkonnte die brennenden Blicke nahezu spüren, die sich in seinenRücken bohrten. Er schaute sich um in der Gewissheit,irgendeinen böswilligen Skaven zu sehen, der ihm gerade einMesser zwischen die Schulterblätter jagen wollte, doch da warniemand.

Langsam verging das unheimliche Gefühl und wich einerunmittelbareren Sorge. Die Skaven hatten sie fast erreicht! Erkonnte ihr Piepsen hören und wie ihre primitiven WaffenFurcht erregend auf ihre Schilde schlugen. Mit einem lautenzischenden Rauschen flog eine Salve von Bolzen von derBrustwehr der Festung. Zwergische Armbrustschützen feuertenin die nächsten und größten Skaventrupps. Einige der Bestienfielen, aber nicht genug, um ihren Vormarsch zu stoppen oderauch nur zu verlangsamen. Ihre Kameraden liefen einfachweiter und trampelten in ihrer Hast zu kämpfen die Gefallenenin den Staub.

Ein gewaltiges Brüllen hallte Felix in den Ohren, das tiefeBassgrollen einer Kreatur, die viel größer als ein Mensch war.Die Mulis wieherten und bäumten sich vor Entsetzen auf,

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während Angstschaum von ihren Mäulern troff.Felix mühte sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, als

der Karren sich bewegte. Er wandte den Kopf, umklammertesein Schwert noch fester und drehte sich zu dem Ungeheuerum, das aller Voraussicht nach hinter ihm stand.

Diesmal trog ihn seine Ahnung nicht.

Lurk rang mit der Furcht, die ihn erfüllte und seineRattengestalt zu überwältigen drohte. Sie war ein Gefühl, andas er gewöhnt war. Sie nagte an seinem Verstand und rietihm, aus dem Getümmel zu fliehen, während er vor Angstpiepste. Da er von der Masse seiner Artgenossen umgeben war,konnte er das jedoch nicht tun, ohne niedergetrampelt zuwerden, also richtete sich die Furcht nach innen und strömtewie ein eingedämmter Fluss in eine andere Richtung.

Plötzlich wollte er sich unbedingt in den Kampf stürzen, sichder Ursache seines Entsetzens stellen - um sie mit seinenWaffen zu zerfetzen, auf ihren reglosen Leichenherumzutrampeln, seine Schnauze in ihrem toten Fleisch zuvergraben und ihr die noch warmen Eingeweideherauszureißen. Nur wenn er das tat, konnte er seinen rasendenHerzschlag verlangsamen, den Drang unterdrücken, seineDuftdrüsen zu leeren, und der Furcht ein Ende bereiten, die fastzu schrecklich war, um sie zu ertragen.

»Schnell-schnell! Folgt mir!«, piepste er, indem er vorwärtsstürmte und sich auf einen stämmigen, mit einer Axtbewaffneten Zwerg in Lederschürze warf.

Felix bezweifelte, dass er jemals einer so großen, massigenmenschenähnlichen Kreatur gegenübergestanden hatte. Selbstdie Ungeheuer, gegen die er in den Straßen Nulns gekämpfthatte, waren im Vergleich dazu eher klein. Dieses Ding wargewaltig, riesig. Der monströse Kopf, die entstellte Parodie

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eines Rattenkopfes, war auf gleicher Höhe mit dem seinen,obwohl Felix auf der Ladefläche des Karrens stand. SeineSchultern waren fast so breit wie der Karren, und seine langenmuskulösen Arme reichten beinahe bis zum Boden. Diegewaltigen Hände endeten in bösartigen, gekrümmten Krallen,die aussahen, als könnten sie einen Kettenpanzer zerfetzen.Riesige Eiterbeulen ragten aus dem dünnen, räudigen Fell. Einlanger haarloser Schwanz peitschte wütend durch die Luft.Rote, von einem wahnsinnigen, bestialischen Hass erfüllteAugen glotzten in seine eigenen.

Felix rutschte das Herz in die Hose. Die Bestie war nurseinetwegen gekommen, daran gab es keinen Zweifel. In ihrenboshaften Augen stand ein Ausdruck primitivenWiedererkennens, und die Art, wie sie den Kopf auf die Seitelegte, hatte etwas seltsam Vertrautes. Eine rosa Zunge huschteüber die Lippen und ließ auf einen obszönen und allesverzehrenden Hunger nach Menschenfleisch schließen. SpitzeReißzähne, jeder einzelne so lange wie ein Dolch, zeigten sichim Maul des Ungeheuers. Die Kreatur stieß ein weiterestriumphierendes Heulen aus - und griff nach ihm.

Für die Mulis war das alles zu viel. Von unbändiger Angsterfüllt, bäumten sie sich auf und flohen. Der Karren rucktevorwärts und wäre um ein Haar umgekippt, als die völligverängstigten Tiere gerade noch rechtzeitig wendeten, um demFestungsgraben auszuweichen. Der Karren prallte gegen einenFelsbrocken, und Felix verlor den Halt und fiel der Länge nachauf die Ladefläche. Er besaß gerade noch dieGeistesgegenwart, sein Schwert festzuhalten.

Der Rattenoger hinter ihnen starrte ihn in stupiderVerblüffung an und setzte dann dem Karren nach.

»Nein!«, kreischte Thanquol, als er sah, wie Jaegar demGriff des Knochenbrechers um Haaresbreite entging. Die Kraft

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seines Seherkristalls gestattete es ihm, die Szene aus der Nähezu betrachten. Der verängstigte Ausdruck auf dem Gesicht desMenschen hatte ihn in hämisches Entzücken versetzt, er hattedas erregende Gefühl der Vorfreude genossen, alsKnochenbrecher Anstalten machte, Jaegar den Arm abzureißenund ihn vor dessen entsetzten Augen aufzuessen - und hattevoller Bestürzung mit ansehen müssen, wie die Mulis losliefenund den Karren mitzogen.

Das war so ungerecht.Und doch war es irgendwie auch typisch für das Glück

dieses Menschen, dass diese dummen, primitiven Kreaturenihn gerettet hatten, als ihn gerade sein wohlverdientesVerhängnis hatte ereilen sollen. Es war ein Ärgernis, dass derMensch immer noch lebte und unversehrt war, anstatt sichvoller Qual im Staub zu winden. Thanquol fragte sichverbittert, ob Jaegar nur deshalb in die Welt gekommen war,um seine Pläne zu durchkreuzen, schob den Gedanken jedochbeiseite. Er sandte Knochenbrecher einen weiteren Gedanken:Worauf wartest du Idiotenbestie? Hinter ihm her! Folge ihmschnell-schnell! Töte! Töte! Töte!

Felix rollte auf der Ladefläche des Karrens hin und her,während er sich mühte, wieder auf die Beine zu kommen. Erhörte, wie Varek den Mulis zuredete und versuchte, sie zuberuhigen und wieder unter Kontrolle zu bringen. Felix fragtesich kurz, ob das klug war. Bei dem Tempo, mit dem siegegenwärtig fuhren, hielten sie wenigstens einen Vorsprungvor dem Rattenoger ... oder nicht?

Endlich gelang es ihm, die Hände unter sich zu bringen undsich auf die Knie zu stemmen. Als er vorsichtig über dieRückwand des Karren lugte, sah er, dass das Ungeheuer sieverfolgte und die Entfernung zwischen ihnen mit bestürzenderSchnelligkeit verringerte. Sein langer Schritt ließ ihn so rasch

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vorankommen wie ein Streitross. Seine gelben Fänge glitzertenim Licht der Schmelzöfen. Seine lange Zunge hing ihm ausdem Maul. In grimmiger Wut schwang es seine Klauen. Felixwusste zweifelsfrei, dass er sterben würde, falls er je zwischendiese Klauen geriet.

Er hörte etwas Metallisches über den Karrenboden rollenund spürte dann etwas Kaltes und Hartes an seinem Bein. Ertastete herum und stellte fest, dass es eine von Vareks Bombenwar. Sie musste von der Bank des Karrens gerollt sein, als dieMulis durchgegangen waren. Er hätte das Ding vor Furchtbeinahe fallen lassen. Er hatte das Gefühl, als könne es jedenAugenblick explodieren. Eigentlich war er sogar überrascht,dass es nicht schon längst explodiert war. Er war versucht, dieBombe augenblicklich wegzuwerfen, als ihm der Gedankekam, dass er genau das tun musste.

Er drehte und wendete die Kugel vor seinem Gesicht,während er darum kämpfte, sie nicht zu verlieren, da derKarren wieder ruckte und sprang und er schmerzhaft gegen diehölzerne Seitenwand geschleudert wurde. Im Dämmerlichtkonnte er den Abzugsbügel und den kompliziertenMechanismus darunter erkennen. Er versuchte sich nachKräften zu erinnern, wie er funktionierte. Mal sehen: man zogden Bügel und hatte dann fünf - nein! - vier Herzschläge Zeit,die Bombe zu werfen. Ja, so war es.

Er riskierte einen Blick zurück. Der Rattenoger holte raschauf. Es kam ihm so vor, als sei er fast über ihnen. In wenigenAugenblicken würde er auf den Karren springen und ihm mitseinen furchtbaren Klauen und Zähnen das Fleisch von denKnochen reißen. Felix kam zu dem Schluss, dass er nichtlänger warten konnte. Er zog den Bügel.

Er spürte einen Widerstand, als der Bügel sich löste, undetwas Langes und Weiches peitschte in seine Hand. Dabei saher Funken sprühen, wo zuvor der Bügel gesessen hatte. AllemAnschein nach war eine Schnur am Bügel befestigt, an der ein

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Metallstift hing. Wenn man den Bügel zog, wurde der Stiftüber einen Feuerstein gezogen, und die Funken entzündeten dieLunte. All diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf,während er bis drei zählte.

Eins. Der Rattenoger war nur ein paar Schritte entfernt undrannte unglaublich schnell, während ein Ausdruckentsetzlichen Hungers sein Gesicht verzerrte. Hinter sich hörteer Varek aufschreien: »Aaaahhhh ...«

Zwei. Das Ungeheuer war jetzt so nah, dass Felix seinegewaltigen hauerartigen Zähne zählen konnte. Er war sichunangenehm der gewaltigen Klauen bewusst, die nach ihmgriffen. Er würde es nicht schaffen. Vielleicht sollte er dieBombe jetzt einfach werfen. Varek rief: »... ahhhh ...«

Drei. Felix warf die Bombe. Sie flog der Kreatur entgegen,und ihre knisternde Lunte zog einen Funkenschweif hinter sichher. Der Rattenoger öffnete das Maul zu einem Triumphgeheul- und die Bombe flog hinein. Ein weiterer Ruck des Karrenswarf Felix um und ließ ihn schmerzhaft auf den Karrenbodenschlagen. Varek beendete seinen Aufschrei: »... ahhhhh!«

Der nächste Augenblick schien sich zu einer Stunde zudehnen. Felix lag keuchend auf dem Boden und musste darandenken, dass Varek gesagt hatte, die Bomben würden oft nichtfunktionieren. Er rechnete damit, jede Sekunde zu spüren, wiesich riesige, rasiermesserscharfe Krallen in seinen Nackenbohrten. Dann hörte er einen gedämpften Knall, und etwaswiderlich Feuchtes und Gallertartiges klatschte ihm in dieHaare und ins Gesicht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Felixaufging, dass er mit Blut und Hirnmasse besudelt war.

Thanquol sah Knochenbrechers Kopf explodieren undverwünschte den stupiden Primitivling lange und lautstark. Esstimmte schon, dachte er: Wenn man einen Knochen richtigabgenagt haben will, muss man ihn selbst abnagen. Das

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widerliche und unzuverlässige Ungeheuer war so nahe darangewesen. Es hatte Jaegar so gut wie zwischen den Klauengehabt. Hätte das ungeschlachte Vieh die Bombe nichtverschluckt, würde der Mensch sich jetzt vor Schmerzenwinden. Es war fast so, als habe Knochenbrecher es absichtlichgetan, nur um Thanquol zu ärgern. Vielleicht war die Kreaturmit seinen verborgenen Feinden im Bunde gewesen. Vielleichthatte man bei seiner Erschaffung in seinem Idiotenhirnherumgepfuscht. Es hatten sich schon seltsamere Dingezugetragen.

Vor Enttäuschung kaute Thanquol einen Moment auf seinemSchwanz herum und stieß hundert heftige Verwünschungengegen Knochenbrecher, Felix Jaegar und jeden Konkurrentenim Skavenreich aus, der ihm einfiel. Hätten böse Wünscheausgereicht, hätten ihre Knochen sich mit geschmolzenem Bleigefüllt, wären ihre Köpfe explodiert und hätten sich ihreEingeweide in fauligen Eiter verwandelt, und all das in diesemeinen Augenblick. Bedauerlicherweise überstiegen diesewunderbaren Dinge sogar Thanquols beträchtlicheZauberkräfte. Schließlich beruhigte er sich und tröstete sich mitdem Gedanken, dass es mehr als eine Möglichkeit gab, einemSäugling die Haut abzuziehen. Er veränderte seinenBlickwinkel, bis er wieder das ganze Schlachtfeld sehenkonnte.

Glücklicherweise liefen die Dinge hier besser. Thanquol sahmit einem Blick, dass sich die meisten Zwergeneinheiten zueinem Karree formiert hatten und bereit waren, demzweizackigen Angriff der Skaven zu widerstehen. Die Spitzender heranstürmenden Skaven hatten die Linien der Zwergeerreicht. Sie waren daran zerschellt wie die Meeresbrandung aneinem Felsen, aber zumindest die Sturmratten kämpften noch.Je mehr Klanratten und Skavensklaven sich in das Getümmelstürzten, desto stärker machte sich ihr zahlenmäßigesÜbergewicht bemerkbar. Vor seinen Augen verlor eine unter

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starkem Druck stehende Zwergeneinheit den Zusammenhalt,und aus der Schlacht wurde ein allgemeines, aus vielenEinzelkämpfen bestehendes Handgemenge. Unter solchenUmständen war die zahlenmäßige Überlegenheit der Skavenein beträchtlicher Vorteil.

Thanquol sah, wie ein Zwergenkrieger mit seinem Hammereine Sturmratte niederknüppelte, um gleich darauf rücklingsvon einem Skavensklaven angesprungen zu werden. Währendder Zwerg mit aller Macht versuchte, den sich anklammerndenFeind abzuschütteln, wurde er von den Kameraden desRattenmenschen zu Boden gezerrt wie ein von Hundenumzingeltes Wild. Während er unter einem Haufen vonSkavenleibern verschwand, gelang ihm ein letzter Schlag mitseinem Hammer, der einer Klanratte den Schädel einschlugund Blut, Hirnmasse und Knochensplitter verspritzte. Thanquolberührten die toten Skaven nicht. Er hätte mit Freuden in jedemAugenblick so einen Handel für ein Zwergenlebenabgeschlossen. Dort, wo seine dummen Krieger herkamen, gabes noch viel mehr von derselben Sorte. Thanquol wusste, dassvon allen Skaven nur er selbst unersetzlich war.

Thanquol beobachtete zufrieden, wie ein grüner Strahl auseinem Warp-Flammenwerfer in eine Gruppe von Zwergeneinschlug und sie in Brand setzte. In Sekundenschnelleentzündeten sich ihre Bärte, ihre Rüstungen schmolzen, dannwaren sie nur noch Skelette und kurz darauf vom Windverwehter Staub. Er erwog, den Werfer-Trupp zu belohnen, alsdessen Mitglieder selbst in einem gewaltigen grünen Feuerballverschwanden, getötet von ihrer eigenen, offenbar defektenWaffe. Dennoch, dachte Thanquol, zumindest hatten sie demgrößeren Zweck gedient... seinem Zweck.

Langsam, aber sicher wendete sich auf dem gesamtenSchlachtfeld das Blatt zugunsten der Skaven. Die Zwergewaren auf ihre alberne Art diszipliniert und tapfer, aber siewaren kalt erwischt worden. Viele von ihnen waren ungerüstet

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und nur mit dem Hammer bewaffnet, den sie zuvor zur Arbeitbenutzt hatten. Sie fügten den Skaven unglaubliche Verlustezu, die aber bedeutungslos waren. Thanquol interessierte dasnicht, auch wenn sie seine gesamte Streitmacht abschlachteten,solange die Zwerge am Ende alle tot waren. Bisher, gratulierteer sich mit Nachdruck, liefen die Dinge wie geplant - nur nichtin einer Ecke des Schlachtfelds.

Gedankenschnell verschob er seinen Blickwinkel zu dieserStörung. Irgendwie war er nicht überrascht, zwei stämmigeGestalten mit kahl geschorenem Schädel zu sehen, die sicheinen blutigen Pfad durch seine Truppen bahnten. In einer derbeiden Gestalten erkannte er augenblicklich den verhasstenGotrek Gurnisson. Der andere Zwerg war Thanquol neu, aberauf seine Art erschien er genauso Furcht erregend. WoGurnisson nur mit jener bestürzend tödlichen Axt kämpfte,schwang der andere Slayer eine kleinere Axt mit der einen undeinen großen Hammer mit der anderen Hand.

Das Paar richtete ein unglaubliches Blutbad an. Bei jedemHieb fiel mindestens ein Skaven. Manchmal trieb Gurnissonseine Axt durch mehrere Leiber zugleich und zerhackte dabeiFleisch und Knochen wie Feuerholz. In diesem Augenblickhätte Thanquol alles für die Anwesenheit einiger Jezzail-Trupps gegeben. Er hätte jenen geschickten Scharfschützen derSkaven Befehl gegeben, das grausige Paar aus der Ferne aufsKorn zu nehmen. Aber es hatte keinen Sinn, sich zu wünschen,was man nicht haben konnte. Er würde ganz einfach selbstetwas gegen die beiden unternehmen müssen.

Seine erste Maßnahme bestand darin, seine Gedanken zu denAnführern zweier seiner Einheiten auszusenden, um sie vonder Hauptschlacht abzuziehen und in den Kampf mit denbeiden Slayern zu werfen. Es war bedauerlich, dass der auf denZwergen lastende Druck dadurch etwas erleichtert wurde, aberes war unvermeidlich. Thanquol wusste, dass er es nicht daraufankommen lassen konnte, die beiden nach Belieben abmetzeln

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zu lassen. Dass Gotrek Gurnisson und dessen Gefährte sterbensollten, war ebenso ein Gebot des gesunden Skavenverstandeswie auch eine Befriedigung seines persönlichen Verlangens.

Lurk schaute ungläubig auf, als sich die Stimme in seinemKopf meldete. Führ deinen Trupp nach links und mach diebeiden Slayer nieder.

Er erkannte augenblicklich die Stimme des GrauenPropheten Thanquol. Ein deutliches Bild seines Weges durchdas Gemenge zu den tätowierten Zwergen nahm in seinemKopf Gestalt an. Einen Moment hielt er es für möglich, dass erWahnvorstellungen hatte, aber die Stimme meldete sich erneutmit ihrem vertrauten herrischen Piepsen, das Lurk so gutkannte. Worauf wartest du, Dummkopf-Abschaum? Gehjetztgleich oder ich esse dein Herz!

Lurk kam zu dem Schluss, dass es wohl das Beste war, zugehorchen. »Sogleich, überragendster aller Zauberer«,murmelte er. Seinen Truppen quiekte er zu, ihm zu folgen, undlief in die befohlene Richtung.

Von den durchgehenden Mulis gezogen, raste der Karrenführerlos durch das Gemenge. Zwerge und Skaven warfen sichhastig beiseite, um den wirbelnden Hufen der Tiereauszuweichen. Felix wurde auf der Ladefläche hin und hergeschleudert, während er sich nach Kräften mühte, wieder aufdie Beine zu kommen. Er hörte Varek abwechselnd die Mulisanschreien, um sie zum Anhalten zu bewegen, und irrsinniglachen, wenn er Bomben auf heranstürmende Skaventruppswarf. Ihm schien nicht in den Sinn zu kommen, dass er dieMulis jedes Mal, wenn sie langsamer zu werden schienen,wieder zu Tode erschreckte, indem er eine weitere von seinenHöllenmaschinen zündete. Es überraschte Felix nicht imGeringsten, dass die armen Mulis verängstigt waren. Auf ihn

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hatten die Bomben ebenfalls diese Wirkung. Er befürchtete,dass jeden Augenblick eine der Vorrichtungen in Vareks Handexplodieren und den Zwerg und Felix direkt ins Grab schickenwürde.

Hin und wieder gelang es ihm, sich an einer Wand desKarrens hochzuziehen, und er wusste, dass sich ihm einigesvon dem, was er dabei sah, für immer ins Gedächtnis brennenwürde. Einige der Gebäude hatten Feuer gefangen, und dieFlammen breiteten sich aus. Wolken aus Funken und Rußtrieben im Wind. Vielleicht hatten auch andere ZwergeBomben benutzt, vielleicht waren es auch Resultate derAnwendung schrecklicher Skaven-Waffen oder Zauberei, aberFelix bezweifelte nicht, dass der Brand den gesamten Komplexverschlingen würde. Aus den großen Schornsteinen lodertenbereits Flammen, die unruhig flackernd das Schlachtfeldbeleuchteten, und Bilder wie aus einer wahnsinnigen Visionder Hölle schufen.

Er sah einen Skaven aus einem Gießereigebäude stürzen,dessen gesamter Körper in Flammen stand und der brennendesHaar hinter sich herzog wie einen Kometenschweif. Dergrässliche, aber verlockende Geruch nach gebratenem Fleischlag in der Luft. Das gepeinigte Quieken der gequälten Kreaturwar schrill und übertönte den Schlachtenlärm und das Prasselnder Flammen. Vor Felix' Augen warf sich der sterbendeRattenmensch auf einen Zwergenkrieger und klammerte sichan ihm fest wie der grimme Tod. Die Flammen seines Körpershüllten sein Opfer ein, und die Kleidung des Zwergs fing an zuschwelen, obwohl er die Kreatur mit einem raschen Axthiebvon ihren Todesqualen erlöste.

Der Karren holperte und sprang über den Boden. Etwasknackte und vermittelte das scheußliche Empfinden vonBrechen und Knirschen. Ein Blick zurück zeigte Felix, dass sieüber die Leiche eines Zwergs gefahren waren. Das Rad hatteihm die Brust zerquetscht, und Blut und breiiges Fleisch quoll

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ihm aus Mund und Bart.Dampf blendete ihn, und seine Haut fühlte sich

vorübergehend verbrüht an. Wasserdampf schlug sich aufSchwert und Stirn nieder, und er hatte das furchtbare Gefühl,dass es sich so anfühlen musste, wenn man bei lebendigemLeib gekocht wurde. Nach einem kurzen, aber quälendenAugenblick verließen sie die Dampfwolke wieder. Da sah er,dass eines der großen Rohre geborsten war und Dampf überdas gesamte Schlachtfeld blies. Vor seinen Augen rollten einZwerg und zwei Skaven aus der Wolke, die Hände immer nochum den Hals des anderen gelegt. Das Gesicht des Zwergs warkrebsrot, und große Hautflächen hatten Blasen geworfen undsich infolge der Hitze abgeschält. Das Fell der Skaven sah nassund klebrig aus.

Der Karren donnerte mitten ins Zentrum des Gemenges. Hierstanden die Leiber so dicht, dass niemand den Hufen der Mulisausweichen konnte. Schädel knackten und Knochen splitterten,da der Karren wie ein Streitwagen durch das Getümmel rollte.Wer fiel, wurde von den eisenbeschlagenen Rädern zermalmt.Als der Karren ein wenig langsamer wurde, gelang es Felix,sich schwankend aufzurappeln und sich umzusehen. Varekhatte aufgehört, Bomben zu werfen. Andernfalls hätte er damitwahllosen Schaden angerichtet. Zwerge und Skaven warenjetzt zu gleichmäßig verteilt, um noch ein leichtes Ziel zubieten.

Die Mulis bäumten sich auf und schlugen mit den Hufen.Dabei geriet der Karren aus der Balance. In diesem riesigenGemenge gab es Strömungen und Gezeiten wie im Meer. DerDruck der Leiber von einer Seite drohte den Wagen zu kippen.Felix packte Varek bei der Schulter und bedeutete ihm, dass siespringen sollten. Varek sah ihn an und lächelte. Er hielt nurinne, um sein Buch aufzuheben, dann sprang er hinaus in dasGewimmel.

Aus dem Augenwinkel sah Felix zwei untersetzte, tätowierte

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Gestalten, die sie sich einen Weg durch eine Horde Skavenbahnten. Von seinem erhöhten Standpunkt verfolgte er, wieeine neue Streitmacht von Rattenmenschen durch eine Lückezwischen zwei Gebäuden strömte und den beiden Slayernentgegenstürmte. Felix prägte sich die Richtung ein und sprangmit wirbelndem Schwert. Noch bevor er landete, hatte seineKlinge bereits Skavenfleisch durchtrennt.

Lurk blieb kurz stehen und ließ seine Krieger an ihmvorbeistürmen. Er zeigte auf die beiden Zwerge, die er tötensollte, und quiekte einen Befehl: »Schnell-schnell! Tötet-Tötet!«

Ermutigt durch den Umstand, dass sie ihren Feindenzwanzig zu eins überlegen waren, stürzten sich seine tapferenSturmratten vorwärts. Sie hatten Schaum vor dem Maul, sogroß war ihr Eifer und ihre Begierde, die beiden Zwerge zutöten, da sie den Ruhm und das Lob für sich haben wollten.Lurk war versucht, sich ihnen anzuschließen, aber beim bloßenAnblick dieser beiden Zwerge sträubte sich ihm das Fell amSchwanzansatz und liefen ihm Schauder berechtigter Vorsichtüber den Rücken.

Er war nicht ganz sicher, was genau sie an sich hatten, dasihn so reagieren ließ. Sicherlich waren sie groß für Zwerge,und gewiss sahen sie mit ihren stachligen Bärten, ausgefallenenTätowierungen und blutverkrusteten Waffen mehr als grimmigaus, aber daran lag es nicht. Es war etwas an der Art, wie siestanden, an ihrer absoluten Furchtlosigkeit, an dem Eindruck,sie genössen es vielleicht sogar, dass sie hoffnungslos in derUnterzahl waren, das ihn innehalten ließ. Mit einiger Sicherheitwaren sie vollkommen wahnsinnig, und das an sich war schonGrund genug, einen weiten Bogen um sie zu machen. Dannerkannte er einen von ihnen aus der Schlacht um Nuln wieder,und er wollte mit dem Kampf gegen ihn nichts zu tun haben.War es möglich, dass Gotrek Gurnisson von allen Orten der

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Welt ausgerechnet hier war?Seine schlimmen Vorahnungen wurden zur Gewissheit, als

die ersten Sturmratten die beiden erreichten. Er kannte denSkaven: es war Unterführer Vrishat, ein grimmiger, dummerStreber, der Lurk seinen Rang als Klauenführer allzuoffensichtlich abspenstig machen wollte. Ein Narr, aber eingrimmiger Krieger, der zweifellos kurzen Prozess mit ihrenbeiden verwachsenen Feinden machen würde - obwohl denZwergen kein Anzeichen der Besorgnis anzumerken war. Derbekannte Zwerg, derjenige, auf dessen kahlem Skalp sich eingewaltiger Kamm gefärbter Haare erhob, schlug mit seinerungeheuer großen Axt zu und spaltete Vrishats Schädel bis zuden Schultern. Er wartete auch nicht, bis die Skaven dahinterzu ihm kamen, sondern stürmte mit wirbelnder Axt und lautbrüllend vorwärts, da er in seiner primitiven Spracheausgefallene Drohungen ausstieß.

Lurk rechnete eigentlich damit, dass der Zwerg von derFlutwelle der Skaven überwältigt und unter ihr zu Boden gehenwürde, doch nein - er wurde nicht einmal langsamer. Erstampfte heran wie ein Schiff aus Stahl, das durch einstürmisches Meer pflügte, während seine gewaltige Axtwirbelte, seine schinkengroße Faust zuschlug und er Knochenbrach, Gliedmaßen abtrennte und alles niedermetzelte, was ihmin die Quere kam.

Der andere war nicht besser. Sein wahnsinniges Gelächterhallte über das Schlachtfeld, während er beidhändig zuschlugund mit beiden Waffen freizügig Tod und Verderben austeilte.Seine erschreckende Kraft zeigte sich in der Art, wie seinHammer behelmte Schädel zu Brei schlug und seine Axt sichfröhlich in dick gepanzerte Sturmrattenrümpfe grub.

Dann gelang es einem kleineren, listigen Skaven, sich hinterden Slayer zu schleichen, um sich dann mit gefletschtenZähnen und im Flammenschein funkelnder Klinge auf dessenRücken zu stürzen. Ohne innezuhalten und sich irgendwie der

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Anwesenheit des Skaven in seinem Rücken bewusst, ohne ihnzu sehen, fuhr der Zwerg herum und hieb seinen Feind mit derAxt nieder, um ihm dann obendrein noch mit dem Hammer dasGenick zu brechen - während er laut lachte wie ein Irrer undrief: »Snorri tötet Unmengen!«

Hörte der Zwerg so gut, dass man sich nicht an ihnanschleichen konnte? Hatte er vielleicht gespürt, wie derSchatten des Skaven im unsteten Licht der brennenden Häuserauf ihn gefallen war? Lurk wusste es nicht, aber dieBlitzesschnelle, mit der er sich umgedreht und zugeschlagenhatte, verriet Lurk, dass er selbst nicht in die Nähe dieserWaffen kommen wollte, zumindest nicht, bevor ihre Besitzermüde und ernstlich verwundet waren. Dies war kein Gedanke,den er mit seinen Gefolgsleuten teilen wollte! Mit einemFußtritt beförderte er den Nächsten in die Richtung desGemetzels.

»Beeil dich, schnell. Sie werden schwächer! Der Ruhm, siezu töten, ist dein.«

Der Krieger sah ihn zweifelnd an. Lurk fletschte die Zähneund peitschte drohend mit dem Schwanz, dann sah er zu seinerZufriedenheit, wie der Skaven losstürmte, da er ausirgendeinem Grund mehr Angst vor seinem Klauenführer alsvor dem Feind hatte. Lurk schob noch zwei vorwärts undkreischte: »Rasch-rasch. Ihr seid in der Überzahl. Ihre Herzenwerden gut schmecken.«

Mehr als dieser Erinnerung an die überlegene Zahl bedurftees nicht, um auch den Rest des Trupps zum Vorrücken zuermuntern. Solch ein Anzeichen der Überlegenheit stärkteimmer die Zuversicht kühner Skavenkrieger. Lurk hoffte nur,dass ihm die Untergebenen nicht ausgingen, bevor die Zwergeermüdeten.

Der graue Prophet fluchte abermals. Welcher Narr hatte die

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Gebäude in Brand gesetzt? Thanquol schwor, wenn es einerseiner unfähigen Lakaien war, würde er das rohe Herz desDummkopfs vor dessen Augen verspeisen. Falls diese Gebäudeniederbrannten, wäre dieser große Sieg praktisch wertlos. Erwollte sie heil und intakt erobern, sodass sie von den Warlock-Technikern inspiziert, ihre Geheimnisse entschlüsselt und vonder überlegenen Technologie der Skaven verbessert werdenkonnten. Er wollte nicht, dass der Komplex schon vorherzerstört wurde. Jetzt, in diesem Augenblick, konnte er nichtstun, außer seinen Klauenführern zu befehlen, vorsichtiger zuWerke zu gehen.

Zumindest würde er den Tod des verwünschten Trollslayerserleben, tröstete er sich.

Die gequälten Schreie der Sterbenden. Die vom flackerndenLicht brennender Gebäude durchdrungene Nacht, die vondichten Dampfwolken getrübt wurde. Der Druck haarigerLeiber. Der Schock des Aufpralls von Klinge auf Knochen.Das klebrige Gefühl warmen schwarzen Bluts auf seiner Hand.Der Ausdruck krankhaften Hasses in den sich langsamtrübenden Augen des sterbenden Skaven. All das, die ganzeinfernalische Szene, brannte sich in Felix Jaegars Gedächtnisein. Für einen kurzen, atemlosen Moment schien die Zeitanzuhalten und er ganz allein und gelassen im Zentrum diesesheulenden Mahlstroms zu stehen. Sein Geist befreite sich vonFurcht und Schrecken. Er war sich seiner Umgebung auf eineWeise bewusst, wie es einem Menschen nur möglich ist, wenner weiß, dass jeder Atemzug sein letzter sein kann.

Wenige Schritte entfernt kämpften zwei stämmige ZwergeRücken an Rücken gegen eine Rotte heulender Skaven. DieBarte der Zwerge hatten sich gesträubt. Ihre Hämmer warenmit getrocknetem Blut verkrustet, ihre Lederschürzen vonglänzendem, schwarzem Blut durchtränkt. Die Rattenmenschenwaren abgezehrt und sehnig und hatten das hagere,

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raubtierhafte Aussehen von Wölfen im Winter. BlutigerSchaum troff von ihren Lippen, da sie sich in ihrer Raserei inZunge und Wangen gebissen hatten. Ihre Schwerter warenschartig und verrostet. Schmutzige Lumpen bedeckten ihreräudige Haut. In ihren Augen glänzte der sich widerspiegelndeFeuerschein. Einer von ihnen sprang vor und Wetterte in seinerHast, sein auserwähltes Opfer anzugreifen, über seineArtgenossen hinweg. Es erinnerte Felix an das Gewimmeleiner voranstürmenden Horde Ratten, die er einmal in denStraßen Nulns erlebt hatte. Trotz ihrer menschenähnlichenGestalt hatten die Skaven in diesem Augenblick nichtsMenschliches mehr an sich. Sie waren unverkennbar Tiere inMenschengestalt, und ihre Ähnlichkeit mit den Menschenmachte sie nur noch schrecklicher.

Ein grässliches Kreischen zu seiner Rechten fesselte Felix'Aufmerksamkeit, und als er sich umschaute, sah er, wie einverwundeter Zwergenkrieger von einem RudelRattenmenschen zu Boden gezerrt wurde. In den Augen desZwergs stand ein Ausdruck stoischen Erduldens.

»Räche mich«, krächzte er mit seinem letzten Atemzug.Etwas an der Art, wie die Skaven miteinander um Brocken

des noch warmen Leichnams kämpften, ließ Übelkeit in Felixaufsteigen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er zu den Skavenund grub sein Schwert in den Rücken eines Skavensklaven. Dieleuchtende Klinge drang glatt durch den mageren Leib und inden Hals des Skaven darunter. Ein Tritt ließ einen weiterenSkaven durch die Luft fliegen. Felix riss die Waffe heraus undließ sie mit voller Wucht auf die Leiber unter sichniedersausen. Durch den Aufprall spannte sich die Klinge sostark, dass er schon befürchtete, sie könne brechen. Vonseinem Hass getrieben, drehte Felix den Knauf, sodass sich dieWunde mit einem grässlichen Sauggeräusch öffnete, dann wicher zurück und hatte gerade noch genug Zeit, um den Hieb einesgroßen Skaven zu parieren, der ihn ansprang.

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Er war längst über das Stadium der Furcht hinaus und wurdenur noch von dem Instinkt getrieben zu töten. Da es keineMöglichkeit gab, dem Kampf auszuweichen, sah er sichgezwungen, so gut wie möglich zu kämpfen. Das machte ihnzu einem furchtbaren Gegner. Er trat mit einem Fuß zu und trafden Skaven mit voller Wucht am Knie. Während dieser vorSchmerz quiekend rückwärts humpelte, trieb er ihm dieSchwertspitze in die Kehle und wandte den Kopf ab, um demBlut auszuweichen, das aus der durchtrennten Halsschlagaderspritzte. Jetzt war nicht der rechte Augenblick, sich blenden zulassen.

In der Ferne brüllte eine vertraute Bullenstimme einenSchlachtruf. Er erkannte augenblicklich Gotreks Stimme undarbeitete sich in diese Richtung vor, wobei er Hiebe nachrechts und links austeilte und ihm egal war, ob er seine Feindedamit tötete, da er sich lediglich den Weg freiräumen wollte.Die Skaven machten ihm und seiner grimmigenEntschlossenheit Platz, und zehn Herzschläge später erreichteer die Szene eines wahrhaft schauerlichen Gemetzels. Snorriund Gotrek standen auf einem riesigen Haufen toter Skavenund schlugen mit ihren furchtbaren Waffen um sich. GotreksAxt hob und senkte sich mit der monotonen Regelmäßigkeiteines Fleischerbeils, und jedes Herabsenken beendete weitereSkaven-Leben. Snorri wirbelte wie ein Derwisch hierhin unddorthin, während ihm der Schaum berserkerhafter Raserei vonden Lippen troff, da er mit Hammer und Axt zuschlug, undwenn er gelegentlich innehielt, dann nur, um Rattenmenschen,die ihm zu nahe kamen, mit einem gezielten Kopfstoß zuerledigen.

Rings um das Paar wogte eine Flut großer Rattenkrieger inschwarzer Rüstung, die besser bewaffnet waren als die meisten.Auf ihren Schilden prangte das widerliche Emblem derGehörnten Ratte. Diese Elitekrieger der Skaven mussten dreiDutzend oder mehr gezählt haben, und eigentlich schien es

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unmöglich, dass irgendetwas ihren heftigen Sturmangriffüberleben konnte. In ebendiesem Augenblick versperrte dieMasse der Leiber Felix die Sicht auf Gotrek und Snorri. Alleindas zahlenmäßige Übergewicht der Skaven schien ihr Ende zubesiegeln. Felix blieb einen Augenblick wie erstarrt stehen, daer sich fragte, ob er schon zu spät kam, dann sah er GotreksAxt durch einen Skaven fahren und ihn trotz der Rüstungzweiteilen. Einen Augenblick später war die unmittelbareUmgebung der Trollslayer frei. Allem Anschein nach konntenichts innerhalb des Kreises jener unaufhaltsamen Axtentgehen. Die Skaven wichen zurück und formierten sich neu,während sie versuchten, genug Mut für einen zweiten Angriffzu sammeln.

Felix stürzte sich in das Getümmel und teilte Hiebe nachrechts und links aus, während er aus Leibeskräften schrie, umden Eindruck zu erwecken, er sei nicht allein. Gotrek undSnorri kamen ihm entgegen, ohne in ihren Bemühungennachzulassen, jeden Skaven in ihrer Nähe zu töten. Es war zuviel für die Rattenmenschen, die den Schwanz einkniffen undin die Nacht flohen.

Dann stand Felix dem Slayer gegenüber, der einenAugenblick innehielt, um den Berg der Toten und Sterbendenzu begutachten, den er hinterlassen hatte. Der Slayer war vonoben bis unten mit Blut verkrustet und er selbst blutete ausDutzenden Schrammen und Kratzern.

»Gute Arbeit«, sagte er. »Ich schätze, ich habe fünfzig vonihnen erwischt.«

»Snorri schätzt, er hat zweiundfünfzig erwischt«, sagteSnorri.

»Red keinen Blödsinn«, brummte Gotrek. »Ich weiß, dass dunicht mal bis fünf zählen kannst.«

»Kann ich wohl«, murmelte Snorri. »Eins. Zwei. Drei. Vier.Fünf. Äh, sieben. Zwölf.«

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Felix starrte die beiden verblüfft an. Die zwei Wahnsinnigenmachten inmitten dieses unglaublichen Gemetzels einengeradezu glücklichen Eindruck.

»Tja, wir machen wohl besser weiter. Es sind noch viel mehrabzuschlachten, bevor diese Nacht vorbei ist.«

Thanquol biss sich in wütender Raserei in den Schwanz. Erkonnte es nicht glauben. Diese unfähigen Narren hatten es trotzihrer gewaltigen Übermacht und der überlegenen Skaven-Wildheit nicht geschafft, die Slayer zu töten. Nicht zum erstenMal argwöhnte er, dass ein verborgener Feind seineBemühungen sabotierte, indem er ihm minderwertiges Personalschickte. Zweifellos handelte es sich um dieselben ruchlosenVerschwörer, die Jaegar und Gurnisson überhaupt erst andiesen entfernten Ort geschickt hatten. Nun, es würde eineAbrechnung geben, dafür würde er sorgen!

Doch im Augenblick blieb ihm keine Zeit, sich darumGedanken zu machen. Dies war der Moment, um dasSchlachtfeld zu inspizieren und festzustellen, wie seineTruppen sich schlugen. Er zog beide Hände zurück undaufwärts, weg vom Seherkristall, und sein Blickwinkelveränderte sich, bis es den Anschein hatte, als schwebe er überdem Schlachtfeld wie eine riesige Fledermaus. Unter sichkonnte er die brennenden Häuser sehen - diese unfähigenNarren seien verwünscht! -und die Spuren des grausamenKampfes.

Hier und da rangen große Kriegertrauben immer nochmiteinander. Waffen klirrten auf Waffen. Funken sprühten, woSkavenschwerter auf zwergische Axtklingen trafen. Blutspritzte aus frischen Wunden. Kopflose Leiber wanden sich imStaub und verbrauchten ihr letztes Blut in einem krampfhaftenAufwallen von Energie. Funken flogen vom Nachtwindgetrieben himmelwärts. Auf den Mauern der Feste mühte sich

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eine Gruppe schwitzender Zwerge, eine vielläufigeOrgelkanone in Stellung zu bringen.

Es war offenkundig, dass dies der kritische Augenblick war.Alles hing in der Schwebe. Für den Grauen Propheten war esgleichermaßen offenkundig, dass seine Skaven obsiegenwürden. Sie hatten die Zwerge von beiden Seiten überwältigt,und ihr zahlenmäßiges Übergewicht hatte ihre schlechtausgerüsteten Gegner niedergerungen. ThanquolsEnttäuschung über das Entkommen seiner beiden tödlichstenGegner wich langsam dem warmen Gefühl des unmittelbarbevorstehenden Triumphs.

Felix wusste, dass er sterben würde. Müde parierte er denHieb eines Skavensäbels. Das große, schwarz bepelzte Dingsprang zurück und wich dem folgenden Streich behände aus.Sein Schwanz zuckte vorwärts und wickelte sich in demVersuch um Felix' Beine, ihn ins Stolpern zu bringen. EinFunke erschöpften Triumphs flackerte schwach in seinenGedanken auf. Er kannte diesen Trick und wusste, wie manihm zu begegnen hatte. Er hieb mit seinem Schwert zu unddurchtrennte den Schwanz unweit der Wurzel, schaffte es abernur ganz knapp, seine Klinge noch rechtzeitig zurückzureißen,um den abwärts gezielten Hieb des rostenden Säbels zuparieren.

Der Schock des Aufpralls ließ seine Hand taub werden, undin einem Reflex umklammerte er den Knauf seines Schwertsfester, damit es nicht seinem schweißfeuchten Griff entglitt.Der Skaven kreischte vor Entsetzen und zuckte mit demSchwanzstumpf. Er machte den Fehler, nach unten zu schauen,um den Schaden zu begutachten. Als sein Blick von Felixwich, nutzte er die Ablenkung aus, um dem Skaven seineverzauberte Klinge in den Bauch zu stoßen. WarmeEingeweide fielen auf seine Hände. Er rang ein Gefühl desEkels nieder und wich zurück. Beide Pfoten auf den Bauch

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gepresst und einen nachgerade menschlichen Ausdruck derUngläubigkeit im Gesicht, taumelte der Skaven vorwärts. Felixtrieb sein Schwert durch den Nacken des Skaven unddurchtrennte die Wirbelsäule, um ihm endgültig den Garaus zumachen. Er hatte zu oft gesehen, wie Krieger von Feindengetötet worden waren, die sie besiegt zu haben glaubten, undwar entschlossen, diesen Fehler selbst niemals zu begehen.

Für einen Augenblick war alles ruhig. Er schaute sich umund sah Gotrek, Snorri und eine ganze Gruppe ramponierterund grimmig dreinschauender Zwerge. Sie sahen alle unendlichmüde aus, sogar die Slayer. Ihm kam es so vor, als hätten sieseit Stunden getötet, und doch traten für jeden gefallenen Feindzwei neue vor, um seinen Platz einzunehmen. Die Skavenbrandeten in scheinbar unerschöpflichen Wellen an. In derFerne konnte Felix das Klirren von Waffen hören, also wurdeauch anderswo weitergekämpft, doch in eben diesemAugenblick senkte sich eine ominöse Stille über dasSchlachtfeld, und dann ertönte ein Gebrüll, das aus hundertbestialischen Kehlen zugleich kommen musste. Die Zwergewechselten Blicke, die Felix verrieten, dass sie alle dasselbewie er dachten. Vielleicht waren sie die letzten Überlebendenaußerhalb der Festung.

Es konnte nicht mehr lange dauern. Ein rascherRundumblick verriet Felix, dass sie von grimmigenSkavenkriegern umzingelt waren. Hunderte von rötlichenAugen funkelten in der Dunkelheit. Das Licht der brennendenGebäude spiegelte sich in ihren Waffen wider. Die Skavenhatten sich zurückgezogen, um sich für den letzten Ansturmneu zu formieren. Sie bewegten sich mit merkwürdigerPräzision, als würden sie von einer bösen und unsichtbarenIntelligenz gelenkt. In diesem Augenblick wusste Felix, dass ersterben würde, genau hier.

Er nutzte die Atempause, um sich den Schweiß von der Stirnzu wischen. Er atmete keuchend und stoßweise, sog die Luft so

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gierig ein wie ein Ertrinkender.Alle seine Muskeln brannten. Seine Klinge wog eine Tonne

oder noch mehr. Er war ganz sicher, dass er sie nicht mehrheben konnte, nicht einmal, um sein Leben zu retten, dankseiner Erfahrung wusste er jedoch, wie falsch dieser Eindruckwar. Wenn die Zeit kam, war immer noch etwas mehr Kraftzum Weiterkämpfen übrig. Nicht, dass es jetzt noch einenUnterschied machte, wie ihm ein Blick auf die unzähligenReihen stummer rattenartiger Gesichter verriet.

»Formiert euch«, glaubte er jemanden hinter sich sagen zuhören. »Macht euch fertig, ihren Angriff zurückzuschlagen.Lasst uns diesem Ungeziefer echten Zwergenstahl zuschmecken geben!«

Felix staunte über die hartnäckige Tapferkeit der Zwerge.Der Sergeant, der gesprochen hatte, musste wissen, dass esvollkommen hoffnungslos war, und dennoch ermunterte erseine Kameraden, ihr Leben so teuer wie möglich zuverkaufen. Felix bereitete sich ebenfalls darauf vor, aber nur,weil ihm keine andere Wahl blieb. Hätte er einen Ausweggesehen, zu überleben und bei anderer Gelegenheit den Kampffortzusetzen, hätte er davon Gebrauch gemacht.

Irgendwo in der Ferne glaubte er ein Summen wie von einemgigantischen Insekt zu hören - oder von einer Maschine. Waswar da los? Handelte es sich um eine neue infernalischeVorrichtung der Skaven zur Vernichtung ihrer Feinde?Merkwürdigerweise schien das Geräusch aus der Richtung derFestung zu kommen. Ein schwaches Gefühl der Hoffnung regtesich in Felix' Brust. Vielleicht hatten die Zwerge noch eineÜberraschung für ihre Angreifer. Es war eherunwahrscheinlich, dass sie noch etwas tun konnten, bevor dieSkaven ihre Stellung überrannten, aber vielleicht wurden siegerächt.

Die Anführer der Skaven schienen den Rattenmenschen

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Befehle zuzuquieken. Langsam, beinahe widerwillig alsfürchteten sie, die Ersten zu sein, die im Sturm auf denlebenden Wall ihrer grimmigen Feinde ihr Leben riskierenmussten, rückten die Skaven vor. Nach den ersten zauderndenSchritten schienen sie zuversichtlicher zu werden, und ihrVormarsch gewann in Furcht erregendem Maß an Tempo undSchwung. Das seltsame Summen wurde währenddessen immerlauter. Es schien von oben zu kommen. Felix wollte nach obenschauen, konnte den Blick aber nicht von den anstürmendenRattenmenschen losreißen.

»Kommt und sterbt!«, brüllte Gotrek, und die Skavenschienen bereit zu sein, ihn beim Wort zu nehmen, da sie nochschneller vorwärts stürmten, ihre Waffen schwangen, ihrebösartigen Schlachtrufe piepsten und in höchster Kampfeswutmit den Schwänzen peitschten. Felix wappnete sich gegen denAnsturm und musste den Drang unterdrücken, sich flach aufden Boden zu werfen, als eine absonderliche Gestalt dicht überseinen Kopf hinwegraste. Diesmal schaute er nach oben undsah eine Staffel bizarrer Maschinen über sie hinwegfliegen.Feuerschweife leckten aus ihren Kesseln, während sie durchdie Nacht rasten. Gewaltige Rotorblätter drehten sich soschnell über ihrem Rumpf, dass sie fast unsichtbar waren.

»Gyrokopter!«, hörte er jemanden brüllen und erkannte, dasser Zeuge eines Nachtflugs jener legendären Flugmaschinen derZwerge wurde.

Funken sprühende Lichtpunkte fielen aus den Maschinenund landeten inmitten der anstürmenden Skaven. Erst als sieunter den Rattenmenschen explodierten, ging Felix auf, dass essich um die brennenden Lunten zwergischer Bomben handelte.

Der Ansturm der Skaven verlangsamte sich, als die Bombendie ersten Skaven zerfetzten. Ihre vor Wut und Aufregung fastplatzenden Anführer versuchten alles, um sie bei der Stange zuhalten, aber dann sank einer der Gyrokopter herab und schickteeinen dicken Strahl extrem heißen Dampfs in ihre Mitte. Vor

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unaussprechlichem Entsetzen fiepend, gab eine große Gruppeder Rattenmenschen Fersengeld und floh. Die Panik waransteckend. Binnen weniger Augenblicke hatte derSturmangriff sich in eine heillose Flucht verwandelt. DieZwerge rings um Felix sahen mit benommener Ungläubigkeitzu, zu müde und erschöpft, um dem fliehenden Feindnachzusetzen.

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5Der große Plan

Felix ließ sich gegen die Überreste des zerstörten Karrenssinken und begutachtete seine Schwertklinge. Sie war im Laufeder Schlacht reichlich benutzt worden, aber Felix entdecktekeine einzige Scharte. Die Schneide war auch nach denunzähligen Hieben, die sie ausgeteilt hatte, noch so scharf wieeh und je. Der uralte Zauber, mit dem die Waffe belegt war,hatte offenbar noch immer Bestand.

Irgendwo zu seiner Rechten gab die Wand einerausgebrannten Scheune unter der Last ihres eigenen Gewichtsnach und stürzte krachend ein. Ein Gyrokopter flog mit derfinsteren Eleganz eines Rieseninsekts über ihn hinweg, umeinen Augenblick über einem brennenden Gebäudeinnezuhalten. Die Nase schwenkte nach unten, und mit einemZischen wie von einer wütenden Schlange trat ein Dampfstrahlaus. Felix fragte sich, was der Pilot damit zu erreichen hoffte.

Der Dampf traf auf das Feuer, und die flackernden Flammenwechselten die Farbe, indem sie einen matteren Gelbton miteiner Spur von Blau annahmen. Der Gyrokopter sprühte weiter,bis das Feuer langsam erlosch, da es vom Wasserdampf ersticktwurde wie von einem kleinen Wolkenbruch. Dann wendete derGyrokopter und flog zum nächsten Brandherd.

Plötzlich fühlte er sich unglaublich müde, durch die Schlachtaller Energie beraubt. Er war übel zugerichtet und blutete ausDutzenden kleiner Schnitte und Schrammen, die er im Eiferdes Gefechts nicht wahrgenommen hatte. Seine rechteSchulter, die Schulter seines Schwertarms, schmerzteentsetzlich. Er hatte das Gefühl, dass er sie sich durch daswiederholte Schwingen des Schwerts ausgerenkt hatte. Das wareine Illusion, mit der er vertraut war, nachdem er viele andere

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Schlachten überlebt hatte. Er wollte sich hinlegen und hundertJahre lang schlafen.

Als er sich umsah, fragte er sich, woher die Zwerge ihreEnergie nahmen. Sie fingen bereits mit den Aufräumarbeitenan. Die Leichen der gefallenen Zwerge wurden für ihreBeerdigung in der geheiligten Erde eingesammelt. Die Leichender Skaven wurden hingegen zur späteren Verbrennung aufeinem riesigen Haufen gestapelt. Voll gerüstete Wächter warenaus der Festung gekommen und hielten Wache für den Fall,dass die Skaven noch einmal zurückkehrten.

Felix bezweifelte, dass sie dies in dieser Nacht tun würden.Seiner Erfahrung nach brauchten die Skaven länger als einemenschliche Armee, um sich von einer Niederlage zu erholenund sich neu zu formieren. Anscheinend gefiel es ihnen nicht,rasch zum Schauplatz einer Niederlage zurückzukehren, unddarüber war er sehr froh. In diesem Augenblick bezweifelte er,einen Muskel rühren zu können, selbst dann nicht, wenn derRattenoger von den Toten auferstehen und auf ihn losgehensollte. Er schlug sich diesen schlimmen Gedanken aus demKopf und suchte nach einem fröhlicheren Thema.

Er fand eines: wenigstens war er noch am Leben. Er glaubtelangsam wieder, dass er noch eine Weile leben mochte.Manchmal hatte er in einer Schlacht, wenn die Furcht dieVernunft zu überwältigen drohte, das schreckliche Gefühl, erwerde mit Sicherheit sterben. Es überfiel ihn wie ein Fluch,diese Gewissheit, was die eigene Sterblichkeit betraf. Jetzterstaunte es ihn, dass es ihn noch gab, dass sein Herz nochschlug und seine Lunge noch atmete. Als er sich umsah, konnteer viele Gründe ausmachen, warum dies ohne weiteres auchnicht der Fall hätte sein können.

Blutüberströmte Leichen lagen überall und wurden vontodmüden, vor sich hin murmelnden Zwergen wie Mehlsäckehin und her geschleift. Die blicklosen Augen der Toten starrtengen Himmel. Trotz seiner Phantasien wusste er, dass sie nicht

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wieder aufstehen würden. Sie würden nie wieder lachen oderweinen oder singen oder essen und auch nicht atmen. DerGedanke erfüllte ihn mit einer tiefen Melancholie. Doch imgleichen Augenblick wusste er mit Sicherheit, dass er nochlebte, dass er all jene Dinge noch tun konnte und dass er ausdiesem Grund eigentlich frohlocken sollte. Das Leben ist vielzu kurz und vergänglich, sagte er sich, also erfreue dich daran,so lange du noch kannst.

Er lachte leise, von einer stillen Freude erfüllt, die sichseltsamerweise wie Kummer anfühlte. Einen Moment späterhumpelte er unter Schmerzen davon, um festzustellen, ob er indiesem Chaos Gotrek, Snorri oder sonst jemanden fand, den erkannte.

Thanquol konnte es nicht fassen. Wie hatte alles nur soschnell so gründlich daneben gehen können? Gerade war derSieg noch greifbar nahe gewesen. Seine Brillanz schien ihnenden Sieg gesichert zu haben. Und im nächsten Augenblickhatte er sich so rasch in Luft aufgelöst wie ein Skavensklave,der in der Schlacht den Schwanz einkniff. Es war einwiderliches, Schwindel erregendes Gefühl. Es bedurfte langer,verbitterter Augenblicke des Nachdenkens, um den GrauenPropheten davon zu überzeugen, dass auch der genialste Planvon der Unfähigkeit Untergebener durchkreuzt werden konnte.Seine faulen, feigen und dummen Lakaien hatten ihn wiedereinmal im Stich gelassen.

Durch seine brillante Einsicht ermutigt, ging er seineMöglichkeiten durch. Glücklicherweise hatte er für denunwahrscheinlichen Fall einer Eventualität wie dieser einenAlternativplan entwickelt. Lurk lebte noch und war über seinenSprechstein erreichbar. Mit etwas Glück konnte er an Ort undStelle bleiben und wenigstens über die Geheimnisse berichten,welche die skrupellosen Zwerge hier zu verbergen versuchten.

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Thanquol schaute in den Seherkristall und sandte auf derSuche nach einer Verbindung seinen Geist aus.

Felix spürte ein Zupfen an seinem Ärmel. Als er nach untenschaute, sah er Varek. Die blauen Gewänder des jungenZwergs waren mit Schlamm und Blut besudelt. Ein Ärmelseines Gewands war an der Naht abgerissen und enthüllte einenzerfetzten weißen Hemdsärmel aus Leinen darunter. SeineAugengläser waren gesplittert. Ein verrücktes Netz ausSprüngen überzog die Linsen. In einer Hand hielt er einenkleinen Streithammer. Die andere hielt sein in Ledergebundenes Buch und drückte es fest an die Brust. Felix nahmmit einiger Überraschung zur Kenntnis, wie groß VareksHände waren und wie weiß die Knöchel aussahen. In denAugen des jugendlichen Zwergs stand ein irrer, fiebrigerGlanz.

»Das war die erstaunlichste Erfahrung meines Lebens,Felix«, sagte er. »Ich habe noch nie etwas so Aufregendeserlebt, Sie etwa?«

»Das ist die Art Aufregung, auf die ich mit Freudenverzichten könnte«, sagte Felix verdrossen.

»Das meinen Sie nicht ernst. Ich habe Sie kämpfen sehen,wie einen Helden aus der Zeit Sigmars. Ich wusste gar nicht,dass Menschen so gut kämpfen können!«

Varek errötete, da ihm aufzugehen schien, was er soebengesagt hatte. Es war eine Schwäche der Zwerge, dass sie nichtverhehlten, was sie als unterlegene Fähigkeiten der jüngerenRassen betrachteten.

Felix lachte leise. »Ich habe nur versucht, am Leben zubleiben ... Und ich hasse Skaven«, fügte er nach einer kurzenPause hinzu. Er dachte darüber nach und war ein wenigbestürzt. Er hielt sich nicht für einen besonders gewalttätigenoder rachsüchtigen Mann, aber bei den Skaven bekam er eine

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Gänsehaut. Die Vorstellung behagte ihm nicht, es könne ihmFreude bereiten, sie zu töten, aber als er seinen Gefühlen aufden Grund ging, gestand er sich ehrlich ein, dass es stimmte.

»Alle hassen die Skaven«, pflichtete ihm Varek bei.»Wahrscheinlich hassen sich die Skaven sogar selbst.«

Lurk Spitzelzunge tastete sich verstohlen durch dieausgebrannten Ruinen. Furcht erfüllte sein Herz und rang mitseinem Hass auf Thanquol. Seine Duftdrüse fühlte sichgespannt an, und er rang den Drang nieder, den Geruch derFurcht zu verspritzen, weil das den Zwergen ringsumher seineAnwesenheit verraten mochte. Weit weg von der tröstlichenAusdünstung und pelzigen Masse seiner Brüder, fühlte er sichschrecklich allein und verwundbar. Er wollte so schnell wiemöglich in die Nacht laufen und andere Überlebende derSchlacht finden. Der Gedanke reizte ihn unerträglich.

Dennoch, die Furcht vor dem Grauen Propheten stand ganzzuoberst in seinem Geist. Hier zu bleiben war aller Voraussichtnach gleichbedeutend mit seinem Tod, aber sich einem derAuserwählten der Gehörnten Ratte zu widersetzen wargleichbedeutend mit einem unvermeidlichen undschmerzhaften Verhängnis. Es gab schlimmere Dinge als denraschen Hieb einer Zwergenaxt, wie Lurk sehr wohl wusste.Nicht, dass er darauf Wert gelegt hätte.

Nach rechts, sagte die hartnäckige Stimme in seinem Kopf.»Ja, herrlichster aller Gebieter«, flüsterte Lurk. Er befolgte

seine Befehle und schlich eine lange, verlassene Gasse entlangzu dem monströsen Bauwerk, das die Mitte derZwergensiedlung beherrschte. Er zuckte zusammen, als er sichfragte, ob Thanquol seine Gedanken lesen konnte. Er hofftejedenfalls inbrünstig, dass er es nicht konnte, angesichts derDinge, über die er gegrübelt hatte.

Seine Pfote spielte müßig mit dem Amulett, und er dachte

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kurz darüber nach, was wohl geschehen würde, wenn er es sichaus seiner Stirn riss und wegwarf. Etwas Schlimmes, dessenwar er sicher. Es würde einem Grauen Propheten ähnlichsehen, irgendeinen komplizierten Fluch mit dem Amulett zuverweben. Er zweifelte nicht daran, dass es ihn vermutlichtöten würde, wenn er sich das Ding aus dem Schädel grub, oderihm zumindest große Schmerzen zufügte, und Lurk war nichtversessener auf Schmerzen als die meisten Skaven.

Wiederum zuckte er zusammen, während er hoffte, dassseine Gedanken Thanquol nicht über ihre Verbindung erreichthatten. Er hoffte es sehr: angeblich konnte er nur senden, wenner den Stein berührte und sich konzentrierte. Er nahm an, dasses sehr anstrengend war, seine Gedanken durch den Äther zujagen. Er wusste es nicht mit Sicherheit, da er es noch nichtversucht hatte, aber in ebendiesem Augenblick hoffte ertatsächlich, dass es so war.

Bleib stehen!, kam der herrische Befehl. Er tat esaugenblicklich, mechanisch und instinktiv. Kaum dass erstehen geblieben war, hörte er das Geräusch bestiefelterZwergenfüße vor sich. Einen Moment später stampfte einekleine Abteilung Zwerge an der Gasseneinmündung vorbei.Lurk schauderte unwillkürlich, als er sah, dass sieSkavenleichen zum Verbrennen wegschleiften. SeineSchnurrhaare zuckten. Er hatte den üblen Geruch vonbrennendem Skavenfleisch schon viel früher gewittert.

Jetzt - lauf schnell über die Straße. Eile - renne, so lange derWeg frei ist.

Er wappnete sich und sprang vorwärts auf den freien platzzwischen den Gebäuden, wobei er einen raschen Blick nachrechts und links riskierte und sah, dass der Weg bis auf dieRücken der sich entfernenden Zwerge in der Tat frei war. Ermusste zugeben, dass Thanquol, was immer er sonst noch seinmochte, ein mächtiger Zauberer war. Er hatte keine Ahnung,wie und warum der Graue Prophet in der Lage war, ihn so gut

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zu leiten, aber bisher war ihm noch kein Fehler unterlaufen.Lurk warf sich förmlich in die Deckung der

Gasseneinmündung gegenüber und eilte weiter. Das großeZwergenbauwerk war jetzt direkt vor ihm. Sein Metalldachglänzte im Mondlicht. Er sah, dass große und starkeDampfmaschinen an den Seiten angebracht waren. SeineSkavenneugier war geweckt. Er fragte sich, was in so einemriesigen Gebäude wohl gelagert werden mochte.

Schnell-schnell - nach rechts, bis du den Eingang findest,sonst ist dir ein rascher Tod gewiss.

Lurk beeilte sich zu gehorchen. Er huschte durch denTorbogen und blieb stehen - und starrte mit vor Staunen weitaufgerissenen Augen nach oben. Ein Keuchen reinerVerdutztheit entrang sich seinen verständnislosen Lippen.

Felix wanderte durch die brennende Nacht, Varek nebensich. Die Dinge sehen schlimmer aus, als sie sind, sagte er sich,wider alle Vernunft hoffend, dass es stimmte. Es waroffensichtlich, dass beide Seiten enorme Verluste erlittenhatten. Viele Zwerge waren gefallen, und jeder Einzelne vonihnen schien mindestens zwei Skaven mit in den Todgenommen zu haben. Der Geruch nach brennendemSkavenfleisch war geradezu unerträglich. Felix zog sich seinenUmhang über die untere Gesichtshälfte, um den Gestank fernzu halten. Außer ihm schien sich niemand daran zu stören.

Der ausgedehnte Komplex hatte großen Schaden erlitten.Felix fragte sich, wie stark der Rückschlag für das Projekt seinmochte, an dem die Zwerge gearbeitet hatten, doch er wusstezu wenig, um eine Vermutung zu wagen. Er hatte keineAhnung, was in dieser Anlage vorging.

»Wozu soll das eigentlich alles gut sein?«, fragte er Varekplötzlich. Der junge Zwerg blieb stehen, polierte seinegesprungenen Augengläser mit dem Saum seiner Tunika und

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sah ihn an. Er hauchte auf die Linsen, als wolle er Zeitgewinnen, um seine Gedanken zu ordnen, dann polierte er sienoch einmal, ohne zu bemerken, dass sich ein Splitter aus einerLinse gelöst hatte und zu Boden gefallen war.

»Wozu soll was genau gut sein?«»All diese Maschinen«, sagte Felix.»Äh ... vielleicht sollte ich die diesbezügliche Erklärung

meinem Onkel überlassen. Er leitet hier alles.«»Das ist sehr diskret von Ihnen. Wo kann ich Ihren Onkel

finden?«»In der Feste, bei den anderen.«Bevor Felix eine weitere Frage stellen konnte, dröhnte ein

Gyrokopter im Tiefflug über sie hinweg. Auf einer Strebe desLandegestells stand eine stämmige Gestalt mit kahlgeschorenem Kopf. Der Zwerg hielt eine gewaltige vielläufigeMuskete in den Händen. Etwas an der Art, wie er stand, ließFelix' Sinne kribbeln. Der Zwerg drehte eine Kurbel an derMuskete, und ein Geschosshagel wühlte die Erde zu Felix'Füßen auf. Felix stieß Varek beiseite und warf sich flach aufden Boden, während er sich umdrehte, um den Flug desGyrokopters zu verfolgen. Welcher Wahnsinn hatte von demvöllig gestörten Zwerg Besitz ergriffen? Er konnte Felix dochunmöglich mit einem Skaven verwechselt haben. Dann hörteFelix hinter sich einen Chor gepeinigten Quiekens.

Erst als er sich ganz umdrehte, sah Felix die Gruppe Skaven,die sich lautlos und mit gezückten Klingen von Junten an sieangeschlichen hatten. Felix erkannte in ihnen Gossenläufer, diegefürchteten Assassinen der Skaven, gegen die er in derTaverne Zum blinden Schwein in Nuln gekämpft hatte. DerZwerg auf der Landestrebe des Gyrokopters hatte dieAssassinen mit seiner sonderbaren Waffe niedergemäht. Erhatte ihnen vermutlich das Leben gerettet, auch wenn er siebeide mit seinem Mangel an Präzision um ein Haar umgebracht

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hätte.Der Gyrokopter bewegte sich rückwärts und senkte sich

dabei zu einer harten Landung. Der Zwerg mit der Musketesprang von der Landestrebe und entfernte sich eilends und tiefgeduckt von der Flugmaschine, damit ihm die wirbelndenRotorblätter nicht den Kopf von den Schultern trennten. DerAbwind der Maschine plättete den gewaltigen Kamm rotgefärbter Haare auf seinem Schädel. Die Bö ließ Felix'Umhang flattern, und der Staub, den die Flugmaschineaufwirbelte, trieb ihm Tränen in die Augen. Varek wargezwungen, durch die Linsen seiner gesprungenenAugengläser zu blinzeln. Das Buch hielt er sich vor den Mund,um nicht den Staub einzuatmen. Der sonderbare chemischeGestank der Abluft des Vehikels drang auch durch die Wolleseines Umhangs an Felix' Nase.

Der Neuankömmling war klein und unglaublich breit. SeineBrust war nackt mit erstaunlich ausgeprägten Muskeln. ZweiGurte, vermutlich für Munition, waren über seine Schulterngeschlungen. Um die Stirn war ein rotes Halstuch gebunden. Ertrug hohe Lederstiefel mit einem großen Dolch in einer amrechten Schaft befestigten Scheide. Die Schnalle des Gürtels,der seine grüne Hose hielt, war ein gewaltiger silbernerSchädel. Sein weißer Bart war bis fast unter das Kinn kurzgeschnitten. Ein zweiköpfiger Imperiumsadler war auf dierechte Schulter tätowiert. Auf seinen Augen saßen seltsamedicke optische Linsen. Felix konnte erkennen, dass in dieLinsen Kreuze eingeritzt waren. Aus der Entfernung betrachtet,kam Felix zu dem Schluss, dass es sich bei diesem Zwerg umeinen Trollslayer handeln musste. Der Fremde kam zu ihmgestapft, betrachtete ihn von oben bis unten und spie dann aufdie Leiche eines Skaven.

»Gemeine, bösartige, armselige Kreature', diese Skave'!«,sagte er zur Begrüßung. »Könnt' sie noch nie leide'. Könnt' ihreMaschine' noch nie leide'.«

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Er wandte sich an Felix und vollführte eine förmlicheVerbeugung. »Malakai Makaisson, zu Ihre' und Ihres KlansDienste'.«

Felix erwiderte die Verbeugung mit der Eleganz einesimperialen Höflings. Er nutzte die Gelegenheit, um seineMiene der Überraschung zu verbergen. Dies war also derberühmte verrückte Technikus, von dem Gotrek und Varekgeredet hatten. So verrückt sah er gar nicht aus. »Felix Jaegar,zu Ihren Diensten.«

Der Zwerg drehte die Kurbel an seiner Muskete. Die Läufewirbelten. Kugeln schlugen in die Leichen der Skaven.Schwarzes Blut spritzte, als Fell und Fleisch zerfetzt wurden.

»Mit diese' Bestie' kannst net vorsichtig g'nug sei'. Sindmächtig g'risse', müsse' Sie wisse'.«

»Er meint, dass sie ziemlich schlau sind«, übersetzte Varek.»A geh! I bin sicher, Herr Jaegar weiß g'nau, was i mei', hab

i net Recht?«»Ich glaube, ich kann Ihnen folgen«, sagte Felix

unverbindlich.»Na siehst! Am Beste', wir gehe' in die Burg. Der alte Borek

wird mit Ihne' unne andere' rede' wolle'. I würd meine', Siewolle' wisse', worum's eigentlich geht.«

»Das wäre wirklich hervorragend«, sagte Felix.»Tja, dann warte' Sie, bis die Brücke runterg'lasse' wird -

aber vielleicht wolle' Sie auch mitfliege'. I glaub, der Kopterka' noch Leut verkrafte'.«

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Felix begriffen hatte,dass dieser Verrückte ihm einen Platz auf dem Landegestelldes Gyrokopters anbot. Er gab sich Mühe, ein freundlichesLächeln aufzusetzen, als er sagte: »Ich glaube, ich warte lieberhier, bis das Gatter geöffnet und die Zugbrückeheruntergelassen wird, wenn es Ihnen recht ist.«

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»Meinetwege'. Mir sehe' uns später.«Makaisson kletterte auf das Landegestell des Gyrokopters

und rief dem behelmten und bebrillten Piloten etwas zu. DerMotor dröhnte, und die Maschine ruckte himmelwärts - undließ Felix mit der Frage zurück, ob dieses Zusammentreffentatsächlich stattgefunden hatte.

»Reden alle Ihre Technikusse so?«, fragte er Varek. Derjunge Zwerg schüttelte den Kopf.

»Makaissons Klan stammt aus dem Dwimmerdim-Tal weitoben im Norden. Das ist eine ziemlich abgelegene Gegend.Selbst andere Zwerge finden ihre Redeweise merkwürdig.«

Felix zuckte die Achseln. Er konnte das Knirschengewaltiger Ketten hören, als die Zugbrücke heruntergelassenwurde. Er ging rasch in die Richtung des Tors, als ihmunversehens aufging, wie müde er war, und hoffte, er werdeeinen Platz finden, wo er sich für den Rest der Nacht hinlegenkonnte.

Felix erwachte aus einem Albtraum irrsinniger Gewalt, indem ihn ein riesiger Rattenoger um eine brennende Stadt gejagthatte, während die gigantische Gestalt eines großenblasshäutigen Skaven vom Himmel höhnisch auf ihnherabgrinste. Manchmal war diese Stadt die Zwergengemeindeum den Einsamen Turm, manchmal rannte er durch diegepflasterten Straßen Nulns, und manchmal war er in seinerHeimatstadt Altdorf, der Hauptstadt des Imperiums. Es wareiner jener Träume, in dem die Klingen seiner Feinde blitztenund schrecklich scharf waren, während seine einfach vonungepanzerter Haut abprallte. Er lief und lief, während räudige,mit Flöhen übersäte Skaven nach seinen Armen und Beinengriffen, ihn langsamer machten und dafür sorgten, dass seinriesiger Verfolger ständig näher kam.

Er schlug die Augen auf und starrte an die Decke einesunbekannten Zimmers, ein Erwachen, das ihn immer

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desorientierte, auch noch nach vielen Jahren desHerumziehens.

Er stellte fest, dass er in einem Bett lag, welches für eine vielkleinere Person gedacht war, und seine Füße über die Bettkanteragten, obwohl er bereits diagonal lag. Er schwitzte unter denschweren Laken und sah, wo das Gefühl in seinem Traum,niedergezogen zu werden, wohl seinen Ursprung genommenhatte. Er konnte sich vage erinnern, in der Nacht zuvor dieBurg betreten zu haben, verschiedenen Zwergen vorgestelltund dann in dieses Gemach geführt worden zu sein. Er wusstenoch, dass er sich aufs Bett geworfen hatte, und danach nichtsmehr - abgesehen von seinen schnell verblassenden bösenTräumen.

Er hatte nicht einmal seine Kleider ausgezogen. Die Lakenwaren mit Blut und Schmutz befleckt. Er setzte sich auf undschüttelte benommen den Kopf. Obwohl all seine Muskelnschmerzten, hatte er ein Gefühl der Hochstimmung. Er hatteüberlebt, und das war die Hauptsache. Es gab kein Gefühl, dassich mit der Gewissheit vergleichen ließ, dass man nach einerSchlacht zu den Glücklichen gehörte. Er erhob sich langsam,wobei er halb damit rechnete, den Kopf einziehen zu müssen,und daher ziemlich überrascht war, als er feststellte, dass dieBurg nach menschlichen Größenmaßstäben gebaut wordenwar.

Er ging zu einem der schmalen Schießschartenfenster undstarrte nach draußen auf das Tal. Rauchwolken stiegen auf undbrachten den Gestank nach verbranntem Skavenfleisch. Erfragte sich, wie viel von den Maschinendämpfen und wie vielvon den Scheiterhaufen stammten, um dann festzustellen, dasses ihm egal war.

Plötzlich war er sehr hungrig. Es klopfte an der Tür, und ihmging auf, dass die Geräusche seines Erwachens zur Kenntnisgenommen worden waren.

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»Herein!«, rief er.Varek trat ein. »Freut mich, Sie auf den Beinen zu sehen.

Onkel Borek will Sie sprechen. Sie sollen zum Frühstück insein Arbeitszimmer kommen. Hungrig?«

»Ich könnte ein Pferd verspeisen.«»Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird«, sagte Varek.Felix lachte - dann entnahm er der Miene des Zwergs, dass

Varek keinen Scherz gemacht hatte.Das gemütliche Zimmer erinnerte Felix an das

Arbeitszimmer seines Vaters. Bücher säumten drei Wände, undauf den Buchrücken fanden sich reikische Schriftzeichenebenso wie zwergische Runen. Einige Regale waren mitSchriftrollen gefüllt. Eine riesige Karte der nördlichen AltenWelt, die mit Nadeln und kleinen Fähnchen übersät war,bedeckte die gesamte vierte Wand. Die nördlichsten Bereicheder Welt wiesen auch Symbole für Städte, Berge und Flüsse ineinem Gebiet auf, das Felix noch nie auf einer Karte derMenschen gesehen hatte und das, wie ihm aufging, schon vorlanger Zeit von der Chaos-Wüste verschlungen worden seinmusste. Ein massiver Schreibtisch in der Mitte desArbeitszimmers war übersät von Briefen, Schriftrollen, Kartenund Briefbeschwerern.

Hinter dem Schreibtisch saß der älteste Zwerg, den Felix jegesehen hatte. Sein üppiger, langer Bart war gegabelt undreichte fast bis zum Boden, bevor er in einer Schlaufe zurückzum Gürtel führte. Die Spitze seines Schädels war kahl. EinKranz schneeweißer Haare rahmte sein Gesicht ein, in dessenharte, ledrige Haut tiefe Altersrunzeln gegraben waren. DieAugen lugten hinter den dicken Gläsern eines Kneifers hervorund funkelten wie die eines Jugendlichen, und Felix erkanntesofort die Familienähnlichkeit mit Varek.

»Borek Gabelbart von der Linie der Grimnar, zu Ihren undIhres Klans Diensten«, sagte der Zwerg, während er hinter dem

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Schreibtisch hervorkam. Er ging so gebeugt, dass er fastbucklig aussah, bediente sich aber lediglich eines stabilen,eisenbeschlagenen Stabes als Gehhilfe. »Verzeihen Sie, wennich mich nicht verbeuge. Ich bin nicht mehr so biegsam, wieich es einmal war.«

Felix verbeugte sich und stellte sich vor.»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe in der Schlacht letzte

Nacht«, sagte Borek, »und für die Rettung meines Neffen.«Felix wollte erwidern, dass er nur für sich selbst gekämpft

habe, aber irgendwie schien das nicht besonders schicklich zusein.

»Ich habe nur getan, was jeder andere unter den gegebenenUmständen auch getan hätte«, brachte er schließlich hervor.

Borek lachte. »Ich glaube nicht, mein junger Freund. Wenigevon Sigmars Leuten erinnern sich dieser Tage noch an die altenSchulden und an die alten Bande. Und noch weniger könnenkämpfen wie Sie, wenn man meinem Neffen Glaubenschenkt.«

»Vielleicht. Er übertreibt.«»Wenige Zwerge sagen je etwas anderes als die Wahrheit,

Herr Jaegar. Sie sprechen eine ernste Anschuldigung aus, wennSie so etwas sagen.«

»Ich ... ich wollte damit nicht andeuten ...«, stammelte Felix,entnahm dann aber dem Ausdruck in den Augen des altenZwergs, dass er aufgezogen wurde. »Ich habe nur gemeint,dass ...«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde das meinemNeffen gegenüber nicht erwähnen. Aber Sie müssen hungrigsein. Warum leisten Sie den anderen nicht beim EssenGesellschaft? Danach müssen ernste Angelegenheitenbesprochen werden. Sehr ernste Angelegenheiten.«

Das Frühstück war in der Kammer nebenan auf dem Tisch

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ausgebreitet. Riesige Schinken und Käse lagen aufschmiedeeisernen Tellern. Große Laibe des zwergischendunklen Kornbrots waren in der Mitte des Tisches aufgehäuft.Aus einem bereits angezapften Fass drang der Geruch nachBier und erfüllte den Raum. Ohne Überraschung nahm Felixzur Kenntnis, dass Gotrek und Snorri vor dem gewaltigenFeuer saßen, Ale tranken und sich Essen in den Mund stopften,als hätten sie gerade von einer unmittelbar bevorstehendenHungersnot erfahren.

Varek beobachtete sie, als müssten sie jeden Augenblickneue Geniestreiche der Tapferkeit vollbringen. Sein Buch lagnicht weit von seiner Hand, falls er sie aufzeichnen musste. Ertrug neue Augengläser einer Art, die er offenbar von seinemOnkel kopiert hatte.

Außerdem war noch ein Zwerg anwesend, den Felix nichtkannte und der auch nicht sofort vortrat, um sich nachzwergischer Art vorzustellen. Er funkelte Felix argwöhnischan, als rechne er damit, dass Felix das Tafelsilber stehlenwerde. Sein Funkeln ignorierend, ging Felix zum Tisch undbediente sich von dem Essen. Es gehörte mit zum Köstlichsten,was er je zu sich genommen hatte, und er verlor keine Zeit,dies auch zu sagen.

»Am besten spülst du es mit Ale herunter, junger Felix«,schlug Snorri vor. »Dann schmeckt es noch besser.«

»Dafür ist es noch etwas früh am Tag«, sagte Felix.»Mittag ist längst vorbei«, korrigierte Gotrek.»Du hast zwei Wachen verschlafen, junger Felix«, sagte

Snorri.»Eine vergeudete Minute ist wie ein verschwendeter Heller«,

murmelte der Zwerg, den Felix nicht kannte. Er drehte sich zuihm um und sah einen Zwerg, der kleiner war als die meisten,aber auch breiter. Sein Bart war lang und schwarz. Das Haarwar kurz geschnitten und in der Mitte gescheitelt. Die Augen

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waren scharf und durchdringend. Seine strenge schwarzeTunika und die Hose waren zwar offensichtlich von guterQualität, aber alt und fadenscheinig. Seine hohen Stiefel sahenalt, aber gepflegt und poliert aus. Metallbeschläge schützten dieAbsätze vor Abnutzung. Er war stattlich, und sein Gesicht hatteeine Fleischigkeit, die Felix an seinen Vater und andere reicheKaufleute erinnerte. Sie kündete von üppigen Mahlzeiten,eingenommen in prunkvoll eingerichteten Gildensälen, woernsthafte Geschäftsangelegenheiten besprochen wurden. DieHände des Zwergs ruhten an seinem Gürtel, als müsse erbeständig prüfen, ob seine dünne Börse noch an Ort und Stellewar.

Felix verbeugte sich vor ihm. »Felix Jaegar, zu Ihren undIhres Klans Diensten«, sagte er.

»Olger Olgersson, zu Ihren«, sagte der Zwerg, bevor er dieVerbeugung erwiderte. »Sie haben nicht zufällig etwas mit denJaegars aus Altdorf zu tun, junger Mann?«

Felix empfand einen Anflug von Verlegenheit. Schließlichwar er das schwarze Schaf und hatte das Haus seiner Familie inUngnade verlassen, nachdem er einen Mann im Duell getötethatte. Er zwang sich, Qlgerssons Blick gelassen zu begegnen,und sagte: »Meinem Vater gehört das Haus.«

»Ich habe früher gute Geschäfte mit den Jaegars gemacht.Ihr Vater hat viel Sinn fürs Geschäft - für einen Menschen.«

Die kaum verhohlene Verachtung im Tonfall des Zwergsließ Felix beinahe auffahren, aber er blieb ruhig und machtesich klar, dass er hier ein Fremder war. Es war nicht ratsam, ineiner Feste voller empfindlicher Zwerge, die alle zur Sippedieses Fremden gehören konnten, Anstoß an dessen Verhaltenzu nehmen.

»Das muss er auch, wenn er bei einem Geschäft mit dir Geldverdient hat, Olger Goldgrabscher«, meldete Gotrek sichunerwartet zu Wort.

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»Olger ist ein berühmter Geizhals«, sagte Snorri fröhlich.»Snorri weiß nur, dass jedes Mal, wenn er eine Münze ausseiner Börse nimmt, der Kopf des Königs blinzelt.«

Die beiden Slayer gackerten lauthals über diesen uraltenWitz. Felix fragte sich, wie viel sie bereits getrunken hatten.Olgerssons Gesicht lief rot an. Er sah aus, als wolle er Anstoßnehmen, traue sich aber nicht. Offensichtlich machten sichweder Gotrek noch Snorri etwas aus seinem Reichtum, seinemEinfluss oder seiner Sippe.

»Niemand ist je durch Geldausgeben reich geworden«, sagteer hochmütig, drehte sich um und ging ins Nebenzimmer.

»Ihr solltet freundlicher zu Herrn Olgersson sein«, sagteVarek. »Immerhin finanziert er diese Expedition.«

Gotrek spie vor Überraschung einen Mund voll Bier aus.Sein Kopf fuhr herum, und er betrachtete den jungenGelehrten, als habe dieser soeben behauptet, Gold wachse aufBäumen. »Der größte Geizhals im ganzen Zwergenkönigreichgibt euch Gold? Erzähl mir mehr davon!«

»Das wird in wenigen Augenblicken mein Onkelübernehmen.«

Felix empfand eine Mischung aus Beklommenheit undNeugier, als sie Borek Gabelbarts Arbeitszimmer betraten. Erwar neugierig zu hören, was all diese verschiedenen Zwerge andiesen abgelegenen Ort geführt hatte. Andererseits beunruhigteihn der Gedanke, wohin diese ganze Geschichte führen mochte.Wenn er aus dem Fenster auf die gewaltigen Industriegebäudeschaute und sich an die Entschlossenheit der Skaven erinnerte,Besitz von ihnen zu ergreifen, und wenn er die gewaltigeVersammlung von Leuten mit überragenden Fähigkeitenbetrachtete, zweifelte er nicht daran, dass es die Zwerge mitihren mysteriösen Absichten ernst meinten. Es war durchausmöglich, dass Gotrek und er selbst in die Sache hineingezogenwurden.

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Borek sah ihn mit funkelnden Augen an. Olger stand in derentferntesten Ecke und drehte eine Weltkugel, während er derGesellschaft demonstrativ den Rücken kehrte. Der alteGelehrte grinste sie an und forderte alle auf, Platz zu nehmen.Da die Armsessel der Zwerge zu kurze Beine für Felix hatten,zog er es vor, zu stehen.

Für einen Moment trat Stille ein, während Borek einige derPapiere auf seinem Schreibtisch zu Rate zog und mit einerFeder etwas in der Runenschrift der Zwerge notierte. Dannräusperte er sich, wie dies Felix' Professoren an der Universitätvon Altdorf immer vor einer Vorlesung getan hatten, undergriff das Wort.

»Ich werde die verschollene Zitadelle Karag Dum finden«,sagte er ohne Vorrede. Als er Gotrek ansah, lag einherausforderndes Funkeln in seinen Augen.

»Das kannst du nicht«, sagte Gotrek hart. Seine Stimmehatte einen verbitterten Unterton. »Wir haben es vor vielenJahren versucht und sind gescheitert. Die Wüste istunpassierbar. Nichts kann dort geistig gesund und unverändertüberleben. Das weißt du so gut wie ich.«

»Ich glaube, wir haben einen Weg gefunden.«Gotrek schnaubte, dann schüttelte er ungläubig den Kopf.

»Es gibt keinen Weg. Wir haben versucht, den Durchgang mitder am besten bewaffneten und ausgerüsteten Expedition zuerzwingen, die je für diesen Zweck zusammengestellt wurde.Du weißt, wie viele von uns überlebt haben. Du, ich, Snorri,vielleicht noch eine Hand voll anderer, von denen die meistenjetzt tot oder wahnsinnig sind. Ich sage dir, es ist nicht zumachen. Und du weißt, wie viele Expeditionen zuvorgescheitert sind.«

»Du hast nicht immer so gedacht, Gotrek, Sohn Gurnis.«»Da hatte ich die Chaos-Wüste auch noch nicht gesehen.«»Dann willst du dir nicht einmal anhören, was ich zu sagen

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habe?«»Gewiss doch. Ich werde zuhören, alter Mann. Nur zu,

erzähl mir, was für ein verrückter Plan dir vorschwebt.Vielleicht kann ich herzhaft lachen.«

Schockierte Stille breitete sich im Zimmer aus. Felix hatteden Verdacht, dass die Zwerge nicht daran gewöhnt waren,dass man mit ihrem altehrwürdigen Weisen in diesem Tonfallsprach. Um die Spannung zu mildern, wagte er zu fragen:»Warum wollen Sie überhaupt dorthin? Was ist so besondersan diesem Ort?«

Alle Augen im Zimmer ruhten auf ihm. Schließlich sagteBorek: »Karag Dum war eine der größten Städte unseresVolkes, die mächtigste im ganzen Norden. Wir haben sie vorüber zwei Jahrhunderten verloren, während des letzten großenEinfalls des Chaos kurz vor der Regentschaft dessen, den SieMagnus den Frommen nennen. Im großen Buch derRechnungen auf Seite dreitausendfünfhundertzweiundvierzigdes vierhundertneunundsechzigsten Bandes finden Sie dieBlutschuld verzeichnet, die wir mit den verruchten Anhängernder Dunklen Mächte noch offen haben. Die ergänzendenZusätze enthalten ein Verzeichnis der Namen all jener, diegefallen sind, und aller Klans, die ausgelöscht wurden. Dieletzte Nachricht, die uns erreichte, besagte, dass ThangrimFeuerbart mit seinen tapferen Truppen eine zum Scheiternverurteilte Verteidigung der Zitadelle gegen ein mächtigesHeer unternahm, das mit der vorrückenden Chaos-Wüste ausdem Norden kam. Seitdem haben wir nichts mehr von KaragDum gehört, und kein Zwerg aus unseren Landen war in derLage, die Stadt zu erreichen.«

»Warum nicht?«, fragte Felix.»Weil die Chaos-Wüste weiter vorgerückt ist und das

gesamte Land zwischen Karag Dum und dem Schwarzblutpassverschlungen hat.«

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»Woher wollen Sie dann wissen, wo Sie die Stadt findenkönnen?«

»Ich war es, der die letzte Nachricht von Karag Dummitbrachte«, sagte Borek, indem er in stummer Trauer denKopf neigte. »Früher war die Stadt einmal meine Heimat, HerrJaegar. Ich bin mit König Thangrim persönlich verwandt. Injenen furchtbaren letzten Tagen hatten unsere Feinde einenmächtigen Dämon beschworen, und wir brauchten dringendHilfe. Wir haben gelost, um zu bestimmen, wer unserem Volkdie Nachricht von unserer Notlage überbringen sollte. MeineBrüder und ich wurden ausgewählt. Wir haben die Zitadelle aufgeheimen Wegen verlassen, die nur wenigen bekannt waren.Nur ich selbst und mein Bruder Vareg, Vareks Vater, schafftenes durch die Wüste. Es war eine schwierige Reise, an die ichmich im Augenblick nicht erinnern möchte. Als wir im Südenankamen, erfuhren wir, dass dort ebenfalls Krieg herrschte undan Hilfe nicht zu denken war. Dann stellten wir fest, dass eskein Zurück gab.«

War es möglich, dass dieser Zwerg so alt war, dachte Felix.Jedenfalls sah er uralt aus und Zwerge lebten bekanntlichlänger als Menschen. Dennoch war die Vorstellungverblüffend, dass dieser Zwerg mindestens zehnmal so alt warwie er selbst, vielleicht noch älter. Dann kam ihm ein andererGedanke.

»Wenn die Wüste so tödlich ist, wie konnten Sie dann in denSüden gelangen und später nicht mehr zurückkehren?«, fragteFelix.

»Wie ich sehe, sind Sie skeptisch, Herr Jaegar. Ich muss Sieüberzeugen. Nun, lassen Sie mich nur so viel sagen, dass in denTagen unserer Flucht die Wüste gerade erst vorgerückt war undder Einfluss des Chaos nicht so stark war. Als wir schließlichzurückzukehren versuchten, war die böse Macht des Chaos inder Tat sehr groß geworden und das Land unpassierbar. Undnun, falls ich Eure Erlaubnis habe fortzufahren ...«

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Felix ging auf, dass er den alten Zwerg unterbrochen hatteund ihm Fragen zu Ereignissen stellte, die allen anderenAnwesenden zur Genüge bekannt zu sein schienen. DieSituation war ihm plötzlich sehr peinlich. »Natürlich.Verzeihen Sie«, sagte er.

»Erzähl uns von dem verlorenen Schatz«, warf Olgerssonein.

Borek sah nicht sonderlich erfreut über diese neuerlicheUnterbrechung aus. Er warf einen raschen Blick auf denKaufmann. Felix bemerkte das Funkeln, das in die Augen desGeizhalses getreten war. Es hatte etwas von Wahnsinn an sich,und Felix wusste mittlerweile genug über Zwerge, um in ihmdas zu erkennen, was es war: Goldfieber. Plötzlich war es keinRätsel mehr, warum Olger Geld für die Finanzierung dieserQueste zur Verfügung stellte. Er befand sich in den Klauen deswahnsinnigen Hungers nach Gold, der manchmal auch diebodenständigsten Zwerge überkam.

»Der gewaltige Hort Karag Dums ging beim Fall der Stadtverloren und mit ihm alle Schätze. Und von allen verlorenenSchätzen waren die kostbarsten der Schicksalshammer, jenemächtige Waffe, die von König Thangrim persönlich getragenwurde, und die Axt der Runenmeister.«

An dieser Stelle wandte Borek sich Felix zu. »Wir reden hiervon Dingen, die nur für die Ohren der Zwerge und ihrerFreunde bestimmt sind, Felix Jaegar. Gotrek, der Sohn Gurnis,hat für Sie gesprochen, aber jetzt muss ich Sie um Ihr Wortbitten, dass Sie über das hier Besprochene nur mit Zwergenvom wahren Blut oder deren Freunden reden. Wenn Sie diesesWort nicht geben können, haben wir dafür Verständnis, müssenSie dann aber bitten, diese Versammlung zu verlassen.«

Als sei er erleuchtet worden, wusste Felix unvermittelt, dasser eine Grenze erreicht hatte, deren Überschreitung sein Lebeneinschneidend verändern würde. Er hatte das Gefühl, wenn er

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sein Wort gab, werde er sich damit stillschweigend auch zujedem Unternehmen der Zwerge bekennen, wie verrückt esauch sein mochte. Gleichzeitig musste er zugeben, dass ihn dieGeschichten über untergegangene Städte, einstige Schlachten,uralte Rechnungen und ungeheure Schätze faszinierten. MitSicherheit war er neugierig - und gewiss konnte es nichtschaden, einfach nur zuzuhören.

»Sie haben mein Wort«, sagte er, fast bevor ihm aufging,dass er gesprochen hatte.

»Sehr gut. Dann werde ich fortfahren.« Irgendwie hatte Felixmehr erwartet. Er hatte mit der Aufforderung gerechnet, einenEid zu schwören oder den Pakt mit Blut zu besiegeln, wie er esmit Gotrek bei jener epischen Zechtour getan hatte. Diesesschlichte Akzeptieren seines Wortes schien viel zu beiläufig zusein für jemanden, der in die vergessenen Geheimnisse einerÄlteren Rasse eingeweiht werden sollte. Etwas von seinerVerblüffung musste ihm anzumerken gewesen sein, dennBorek lächelte ihn an.

»Ihr Wort reicht uns, Felix Jaegar. Bei unserem Volk ist dasWort eines Kriegers heilig, stärker als Stein und dauerhafter alsBerge. Mehr verlangen wir nicht. Wenn Sie sich daran nichthalten werden, welchen Nutzen hätten dann schriftlicheVerträge oder vor einem Altar geschworene Eide?«

Da ein Widerspruch nur ein schlechtes Licht auf ihngeworfen hätte, hielt Felix den Mund, während der alteGelehrte fortfuhr.

»Ja, der Schicksalshammer und die Axt der Runenmeister,die vielleicht mächtigsten der uns von den Ahnengötternhinterlassenen Artefakte, sind verloren gegangen und mit ihnenein beträchtlicher Teil unserer alten Macht und unseres altenVermächtnisses. Als Karag Dum fiel, glaubten wir die Stadt fürimmer verloren. Die heulende Chaos-Wüste ist über das alteLand gekommen wie ein Meer des Verderbens und hat die

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alten Gipfel unter sich begraben. Wir haben gejammert, vorBestürzung mit den Zähnen geklappert und uns mit demVerlust abgefunden. Wir glaubten sie für immer verloren, undin diesen letzten beiden Jahrhunderten sah es auch tatsächlichso aus.«

»Und sie bleiben verloren«, sagte Gotrek grimmig. »Fürimmer. Ich wiederhole, dass es keinen Weg durch die Wüstegibt.«

»Vielleicht, vielleicht nicht. Nachdem wir bei unseremletzten Versuch gescheitert waren, Gotrek, habe ich meineSuche in den Hallen der Überlieferung und in den Bibliothekenwiederaufgenommen. In der großen Halle der Überlieferung inKaraz-a-Karak habe ich die ältesten Gewölbe durchsucht undstaubverkrustete Wälzer aus Regalen geholt, wo sie schon seitJahrtausenden vor sich hin moderten. Ich habe jeden Berichtund jede Erwähnung von Überlebenden gelesen, diebehaupteten, in der Wüste gewesen zu sein. Ich habe mirZugang zu den verbotenen Katakomben im Sigmar-Tempel inAltdorf verschafft. In den dortigen Aufzeichnungen, die imLaufe der Jahrhunderte von den Geständnissen dem Unterganggeweihter Ketzer gemacht wurden, habe ich Hinweise aufRunen, Zauber und Talismane gefunden, die vor dem Einflussdes Chaos schützen sollen. Diesmal war ich entschlossen,Erfolg zu haben. Und ich glaube, ich habe den Mann gefunden,der sie anfertigen kann.«

»Und wer soll das sein?« Der spöttische Unterton war einklein wenig aus der Stimme des Slayers gewichen.

»Diesen Mann wirst du noch früh genug kennen lernen,Gotrek. Er hat mich davon überzeugt, dass seine Zauberfunktionieren. Ich gebe dir mein Wort darauf, dass ich derfesten Überzeugung bin, dass sie uns abschirmen werden.«

»Wie lange können sie Reisende in der Chaos-Wüste vorWahnsinn und Mutation schützen?«

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»Wochen vielleicht. Mit Sicherheit ein paar Tage.«»Das reicht nicht. Es würde Monate dauern, die Wüste zu

durchqueren und nach Karag Dum zu gelangen.«»Aye, Gotrek - zu Fuß oder in gepanzerten Wagen, wie wir

es das letzte Mal versucht haben. Aber es gibt einen anderenWeg. Makaissons Weg.«

»Mit dem Luftschiff?«»Ja, mit dem Luftschiff.«»Du bist wahnsinnig!«»Nein - ganz und gar nicht. Hör mir zu. Ich habe das

Phänomen der Chaos-Wüste ausführlich studiert. Ich weiß jetztviel mehr darüber als damals. Die meisten Mutationen werdendurch Warpsteinstaub verursacht, der das Essen und dasWasser vergiftet oder von der ungeschützten Lunge eingeatmetwird. Das ist es, was die Leute wahnsinnig macht und ihreGestalt verändert.«

»Aye, und der Staub ist im Sand der Wüste und in denWolken, die daraus aufgewirbelt werden. Er ist im Staub, inden Sandstürmen und in den Brunnen.«

»Aber was wäre, wenn wir über den Wolken flögen?«Gotrek hielt kurz inne und dachte darüber nach. »Man

müsste tiefer gehen, um sich zu orientieren.«»Das Luftschiff wird mit Schirmen aus einem feinen

Drahtgeflecht versiegelt. Es gibt Bullaugen und Filter, wie sieauch in den Unterwasserschiffen unserer Flotte Verwendungfinden.«

»Stürme könnten es zur Landung zwingen, Fallwinde oderSchäden am Antrieb.«

»Die Amulette würden die Besatzung schützen, bis dieReparaturen ausgeführt wären oder der Sturm sich verzogenhätte.«

»Vielleicht wäre eine Reparatur unmöglich?«

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»Ein Risiko, gewiss, aber ein hinnehmbares. Die Amulettewürden den Überlebenden zumindest den Versuch gestatten, zuFuß nach Hause zurückzukehren.«

»Kein Luftschiff könnte genug Kohle für die Dampf-maschinen mitführen, um die Entfernung ohneZwischenlandung zurückzulegen.«

»Makaisson hat einen neuen Antrieb entwickelt. Erverwendet das schwarze Wasser anstelle der Kohle. Er hat dieKraft, das Luftschiff voranzutreiben, und der Treibstoff istleicht genug für die Reise.«

So schnell seine Einwände widerlegt wurden, so schnellschien der Slayer neue zu finden. Er schien geradezu versessendarauf zu sein, einen Fehler in der Argumentation des altenGelehrten zu finden.

»Was ist mit Nahrung und Wasser?«»Das Luftschiff hat von beidem genug für die Reise an

Bord.«»Es wäre unmöglich, ein Luftschiff zu bauen, das groß

genug dafür ist.«»Ganz im Gegenteil, wir haben es bereits getan. Das ist es,

was wir hier gebaut haben.«»Es wird niemals fliegen.«»Wir haben bereits Erprobungsflüge unternommen.«Gotrek spielte seine letzte Karte aus. »Makaisson hat es

gebaut. Es muss zwangsläufig abstürzen.«»Vielleicht, vielleicht nicht. Aber wir werden es auf jeden

Fall versuchen. Wirst du uns begleiten, Gotrek, Sohn desGurni?«

»Ihr müsstet mich töten, um mich daran zu hindern!«»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.«»Das Luftschiff - war es das, was die Skaven gesucht

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haben?«»Höchstwahrscheinlich.«»Dann müssen wir uns beeilen, bevor sie eine neue Armee

zusammenstellen.«Felix verschnaufte einen Moment, da ihm von dem Gehörten

schwindelte. Allem Anschein nach nahm Gotrek diesesverrückte Geschwätz ernst, in einer unerprobten und äußerstgefährlichen Maschine, die von einem Verrückten konstruiertworden war, in die Chaos-Wüste zu fliegen. Und er zweifeltenicht daran, dass man von ihm erwarten würde, mitzukommen.Dann war da noch die Tatsache, dass sie am Ende der Reisevermutlich ein großer, böser Dämon erwartete.

Schlimmer noch, allem Anschein nach wussten die Skavenvon dieser neuen Maschine und würden vor nichts Haltmachen, um sie in die Pfoten zu bekommen. Welche höllischeZauberei hatten sie benutzt, um von etwas zu erfahren, das soneu und so gut verborgen war? Oder waren selbst hier unterden Zwergen Verräter am Werk, die für die Skavenspionierten? Felix' Hochachtung vor dem langen Arm und derteuflischen Intelligenz der Rattenmenschen nahm angesichtsdieses neuerlichen Beweises für ihre Voraussicht undDurchtriebenheit noch weiter zu.

Als er hörte, dass sich Zwerge näherten, huschte Lurk raschin Deckung. Er hatte den größten Teil der Nacht damitverbracht, ein Loch in die Rückseite einer Fracht-Kiste zunagen, und war gerade noch rechtzeitig durchgebrochen. Erwand sich in die Kiste, kurz bevor sie von einer der seltsamendampfgetriebenen Hebemaschinen aufgelesen wurde. Er schiensich irgendeine Rampe emporzubewegen.

Ihm schwindelte immer noch von dem, was er letzte Nachtgesehen hatte. In der gewaltigen Halle hatte ein riesigesschlankes Ding wie ein gigantischer Hai geschwebt, das

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anscheinend nicht durch Träger gestützt wurde. Das Ungetümhatte gewackelt und geschaukelt wie eine wütende Bestie. DieÄhnlichkeit hatte sich noch dadurch verstärkt, dass die Zwergees für nötig erachtet hatten, das Ding mit Stahltrossenfestzumachen. Der Anblick des Ungeheuers hatte Lurkveranlasst, den Geruch der Angst zu versprühen, aber erschämte sich deswegen nicht im Geringsten. Er bezweifeltenicht, dass jeder andere Skaven unter denselben Umständenauch dasselbe getan hätte, sogar der große Graue ProphetThanquol.

Es hatte lange Augenblicke der Beobachtung bedurft, indenen er gedacht hatte, sein hämmerndes Herz würde ihm ausder Brust platzen, bis er erkannt hatte, dass diese Kreatur garnicht lebte, sondern eine Maschine war. Etwas wie Staunenhatte ihn erfüllt, als ihm die Ausmaße zu Bewusstseingekommen waren. Es war mehrere hundert Skavenschwänzelang, größer und beeindruckender als jede andere Maschine,die Lurk in Skavenblight oder in dieser Zwergensiedlung je zuGesicht bekommen hatte.

Ihn verblüffte die Zauberei, die so ein gewaltiges Ding in derLuft halten konnte. Der Skavenkrieger in ihm drehte undwendete die sich daraus ergebenden Möglichkeiten hin undher. Mit solch einer Maschine konnte eine Armee der SkavenStädte der Menschen überfliegen und dabei Giftwindkugeln,Seuchensäcke und alle möglichen anderen Waffen abwerfen,ohne dabei angegriffen werden zu können. Mit diesem Dingerfüllte sich der Traum jedes Skaven-Anführers: ein Mittel zumAngriff, gegen das es keine sichere Verteidigung gab! Dennsolch ein riesiges gepanzertes Vehikel musste gegen allesunterhalb eines Drachenangriffs geschützt sein. Und wenn mandie Größe berücksichtigte und die Tatsache, dass diese in denRumpf eingebetteten Dinger wahrscheinlich - ja, ganz gewiss!- Waffentürme waren, hatte das Vehikel selbst in diesem Fallnoch gute Überlebensaussichten. Dieses Vehikel würde in den

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Pfoten jedes Skaven, der die sich ihm bietenden Möglichkeitenbegriff, eine Furcht erregende Waffe sein.

Er nahm an, dass der Graue Prophet Thanquol zu derselbenSchlussfolgerung gelangt war, denn in diesem Augenblickquiekte eine mächtige Stimme in seinem Kopf: Ja-ja, dieseFlugmaschine muss mir-mir gehören!

Vielleicht, ging Lurk auf, würde sich ihm bald eineGelegenheit bieten, das Vehikel zu erobern, denn die Kiste, inder er sich versteckte, wurde mit Sicherheit hoch in das Inneredes gewaltigen Luftschiffs gehievt.

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6Abreise

Felix stand auf der Brustwehr der Festung und starrte hinaus.Unter ihm füllte die Siedlung der Zwerge das gesamte Tal aus,aber sein Blick ruhte wie gebannt auf dem großen Mittelbau,der, wie er nun wusste, das Luftschiff enthielt. Hinter ihmlehnte Gotrek an der Brüstung. Sein massiger Kopf ruhte aufseinen Armen, die auf der Mauer verschränkt waren. Seine Axtlag gleich daneben.

Unter ihnen sah Felix lange Schlangen von Zwergen, diesich vor den großen Toren des Mittelhangars in Reih und Gliedaufstellten. Kleine, aber starke Dampfmaschinen fuhren aufSchienen zum Eingang. Er nahm das Teleskop, das Varek ihmgeliehen hatte, und hielt es ans Auge. Eine Drehung seinerHände ließ das Bild scharf hervortreten. Er konnte dort untenSnorri, Olger und Varek ausmachen. Sie standen an der Spitzeder Zwergenschlange, fast wie Truppen in Habtachtstellung.

Fahnen wehten an den Streben des riesigen Stahlturms, derden Hangar noch überragte. Es war ein imposantes Bauwerk,mehr ein Spinnennetz aus Trägern als eine Befestigung. An derSpitze des Turms war eine kleine Hütte oder einBeobachtungsposten angebracht, und ringsherum verlief einBalkon mit Schutzgeländer.

Irgendwo in der Ferne stieß eine Dampfpfeife ihren langgezogenen einsamen Ruf aus. Neben dem Hangar zog einer derTechnikusse an einem großen Hebel. Kolben hoben undsenkten sich gewichtig. Große Zahnräder drehten sich. Dampfleckte aus den gewaltigen Rohren, die nach der gestrigenSchlacht in aller Eile geflickt worden waren. Langsam, aberstetig öffnete sich die Spitze des Hangars. Das Dach selbstschob sich auseinander und glitt an den Seiten des Gebäudes

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herab. Schließlich kam ein riesiges Gebilde in Sicht, als gingeaus einer monströsen Raupe ein gigantischer Schmetterlinghervor.

Felix wusste sofort, dass er diesen ersten Anblick desLuftschiffs zeit seines Lebens nie vergessen würde. Es war dasBeeindruckendste, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Mitgeradezu schmerzhafter Langsamkeit wurden dickeStahltrossen abgerollt, und das Luftschiff erhob sich wie einriesiger Ballon vollends in sein Blickfeld. Zuerst sah Felix nureine winzige Kuppel oben auf dem Vehikel und eine gewaltigeSchwanzflosse am Heck. Dann erhob sich das Luftschiff zurGänze aus dem Hangar wie ein Wal aus den Tiefen dernördlichen Meere.

Es war, als erlebe man die Geburt einer neuen vulkanischenInsel inmitten eines unbewegten Ozeans. Der gewaltige Leibdes Vehikels war fast so lang wie der Hangar und neigte sichgeschmeidig abwärts wie die Strande einer Insel zum Meer.Als das Schiff höher stieg, sah Felix, dass sein erster Eindruckgetrogen hatte, da sich der Rumpf an der breitesten Stellewieder einwärts neigte und tatsächlich die Form einesZylinders hatte. Am Heck des Vehikels waren vier riesigeFlossen angebracht wie die Steuerfedern an einemArmbrustbolzen.

Am Bauch des Zylinders baumelte eine kleinere zylindrischeStruktur aus genietetem Metall. In diesem kleineren Gebildegab es Bullaugen, und aus ihm ragten Kanonen, Rotoren undandere mechanische Vorrichtungen, deren Zweck Felix nurerahnen konnte. Er richtete das Teleskop darauf und konnteerkennen, dass es einem Schiffsrumpf ähnelte. Im Bug desLuftschiffs befand sich ein großes Glasfenster, durch das erMalakai Makaisson an den Steuervorrichtungen sehen gönnte.Rings um ihn hatten sich viele Technikusse versammelt.

Langsam kam Felix ein absonderlicher Gedanke. War esmöglich, fragte er sich, dass das eigentliche Schiff das kleinere

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Gefährt war, das unter dem gewaltigen Zylinder hing, dassdieses größere Gebilde so etwas wie das Segel des Schiffs oderder Gasbehälter eines Heißluftballons war, riesig und für dieFortbewegung unerlässlich, aber nicht Teil der Lebens- undArbeitsquartiere darunter? Er vermochte es nicht zu sagen,stellte aber fest, dass ihn die Vorstellung zugleich abstieß undfaszinierte, und er wusste ohne den Schatten eines Zweifels,dass er an Bord dieses Vehikels gehen musste, auch wenn er esnur ein Mal in seinem Leben tat. Es war ein Gedanke, der ihnmit Furcht und Neugier erfüllte. Er warf einen Blick aufGotrek, der mit gleichermaßen entrückter Aufmerksamkeitzusah.

»Ziehst du ernsthaft in Erwägung, in diesem Ding über dieChaos-Wüste zu fliegen?«, fragte Felix.

»Ja, Menschling.«»Und du erwartest von mir, dass ich mitkomme?«»Nein. Diese Entscheidung liegt ganz allein bei dir.«Felix sah den Zwerg an. Gotrek hatte den Eid nicht erwähnt,

den Felix geschworen hatte, vielleicht weil er das Gefühl hatte,ihn nicht daran erinnern zu müssen -oder vielleicht auch, weiler Felix tatsächlich die Wahl ließ. Auch nach so langer Zeit fieles Felix schwer, aus den Launen des Slayers schlau zu werden.

»Du hast schon einmal versucht, die Wüste zu durchqueren,mit Borek und anderen.«

»Ja.«Felix trommelte mit den Fingern auf den kalten Stein der

Brüstung. Lange Zeit herrschte Schweigen, und als Felix schonglaubte, der Zwerg werde nichts mehr sagen, fuhr Gotrek fort.

»Damals war ich noch jünger und unerfahren. Wir warenviele junge Zwerge und sehr von uns überzeugt. Wir lauschtenBoreks Geschichten von Karag Dum und den verlorenenWaffen und wie es unserem Volk wieder Größe verleihen

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würde, wenn wir sie fänden. Andere warnten uns, die Questewäre Wahnsinn, aus ihr könne nichts Gutes erwachsen und siewäre undurchführbar. Wir wollten nicht hören. Wir wussten esbesser als sie. Wir sagten uns, selbst wenn wir scheiternsollten, scheitern wir wenigstens glorreich und in demBemühen, den Stolz unseres Volkes wiederherzustellen. Wennwir starben, würden wir unser Leben für eine würdige Sachegeben und nicht die langen Jahre des langsamen Niedergangsunseres Königreichs und unserer Art miterleben. Wie ich schonsagte, wir waren Narren mit dem Selbstvertrauen, das eben nurNarren haben. Wir hatten keine Ahnung, worauf wir unsüberhaupt einließen. Es war ein irrsinniges Unterfangen, aberwir waren versessen auf den Ruhm, den Borek versprach.«

»Der Schicksalshammer - was ist das?«»Ein großer Streithammer von der Länge deines Unterarms,

der aber sehr viel mehr wiegt. Der Kopf besteht aus glattem,durch nichts zu erschütterndem Stein, in den tiefe Runeneingeritzt sind, die ...«

»Ich wollte eigentlich wissen, warum er für dein Volk sowichtig ist.« Hätte Felix es nicht besser gewusst, hätte ergeargwöhnt, dass Gotrek versuchte, dem Thema auszuweichen.

»Er ist ein heiliger Gegenstand. Die Götter der Vorfahrenhaben ihre Runen in ihn eingeritzt, als die Welt noch jung war.Manche glauben, dass in ihm das Glück unseres Volkeseingeschlossen ist, dass wir uns durch seinen Verlust einenFluch auf unser Haupt geladen haben, den wir nur durch dieWiedererlangung des Hammers von uns nehmen können.Jedenfalls steht fest, dass es seit dem Verlust des Hammers mitunserer Rasse nicht zum Besten bestellt war.«

»Glaubst du wirklich, dass sich die Dinge ändern werden,wenn der Hammer zurückgebracht wird?«

Gotrek schüttelte zögernd den Kopf. »Vielleicht, vielleichtnicht. Es mag sein, dass die Wiedererlangung des Hammers

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einem Volk neuen Mut verleiht, das in den vergangenenJahrhunderten viel davon verloren hat. Es mag sein, dass dieWaffe selbst Magie entwickelt, um uns zu helfen, oder auchnicht. Wie dem auch sei, der Schicksalshammer soll eineunglaubliche Waffe sein, die Blitze schleudern und auch diemächtigsten Gegner töten kann. Ich weiß es nicht, Menschling.Ich weiß nur, dass es ein gewaltiges Unterfangen und einwürdiger Untergang ist, auf so einer Queste zu sterben. Fallswir Karag Dum finden. Falls wir die Wüste überquerenkönnen.«

»Und die Axt?«»Darüber weiß ich noch weniger. Sie ist so alt wie der

Hammer, aber nur wenige haben sie jemals erblickt. Sie wurdestets an einem geheimen heiligen Ort aufbewahrt und nur inZeiten allergrößter Gefahr hervorgeholt, um vom HohenRunenmeister Karag Dums geschwungen zu werden. In dreiMillennien ist sie weniger als ein Dutzend Mal in die Schlachtgeführt worden. Manche munkeln, dass es die verlorene Axtvon Grimnir persönlich ist. Nur der Hohe Runenmeister vonKarag Dum weiß es mit Sicherheit, und der ist gestorben, alsdie Stadt von der Wüste verschluckt wurde.«

»Ist die Wüste so schlimm?«»Schrecklicher, als du dir vorstellen kannst, viel

schrecklicher. Manche behaupten, sie wäre der Eingang zurHölle. Andere behaupten, sie wäre der Ort, wo Hölle und Erdesich berühren. Ich kann es glauben. Ich habe in meinem ganzenLeben noch keine schlimmere Gegend gesehen.«

»Und dennoch willst du dorthin zurückkehren!«»Was für eine Wahl habe ich denn, Menschling? Ich habe

geschworen, mein Verhängnis zu suchen. Wie könnte ichzurückbleiben, wenn Borek, Snorri und sogar dieser WelpeVarek mitkommen? Wenn ich zurückbleibe, wird man meinernur als den Slayer gedenken, der sich geweigert hat, Borek auf

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seiner Queste zu begleiten.«Es war seltsam, Gotrek Gedanken des Zweifels äußern oder

ein Eingeständnis von ihm zu hören, dass er Borek nurbegleitete, weil ihm daran gelegen war, wie die anderen ihn inErinnerung behalten würden. Normalerweise war er seinerselbst so sicher, dass Felix ihn mittlerweile als etwasÜbermenschliches betrachtete, als eine Art Elementargewalt.Andererseits war der Slayer auch ein Zwerg, und sein guterRuf bedeutete ihm mehr, als er dem stolzesten Menschen jebedeuten konnte. In dieser Beziehung kam Felix die AltereRasse wahrhaftig fremdartig und merkwürdig vor.

»Wenn wir Erfolg haben, werden unsere Namen in derLegende weiterleben, solange es Zwerge gibt. Wenn wirscheitern ...«

»Könnt ihr nicht mehr als sterben«, sagte Felix ironisch.»O nein, Menschling. Nicht in der Chaos-Wüste. Dort kann

man tatsächlich Schicksale finden, die viel schlimmer sind alsder Tod.«

Damit schwieg Gotrek, und es war offensichtlich, dass ernichts mehr sagen würde.

»Gehen wir«, sagte Felix. »Wenn wir mitkommen, gehenwir besser nach unten und gesellen uns zu den anderen.«

Das Luftschiff hatte den Hangar jetzt vollständig verlassen.Es war wie eine Galeone vor Anker an der Spitze des großenTurms verankert. Erst als er darunter stand und zur gewaltigenmetallischen Höhe des Turms emporstarrte, konnte Felix dieschiere Größe dieses Gebildes richtig ermessen. Es schien sogroß wie eine Wolkenbank zu sein, groß genug, um die Sonnezu verdecken. Es war größer als jedes Schiff, das Felix jegesehen hatte, und er stammte aus Altdorf, wo oftHochseehändler anlegten, die von Marienburg den Reikentlangsegelten.

Er hatte saubere Kleidung angezogen. Sein roter

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Wollumhang flatterte im Wind. Den Rucksack hatte er sichüber die Schulter geworfen. Er glaubte, gepackt zu haben undzur Abreise bereit zu sein, doch nun, da er mit Gotrek undSnorri im Schatten des gigantischen Metallturms stand, bekamer zum ersten Mal einen Eindruck davon, worauf er sichwirklich einließ.

Ein metallener Käfig, der von großen Metalltrossen gehaltenwurde, die von einer Trommel im Fundament des Bauwerksabgewickelt wurden, senkte sich von oben herab. Die Trommelwurde von einer der Dampfmaschinen angetrieben undwickelte das Kabel auf oder ab, je nachdem, ob der Käfigaufwärts oder abwärts fuhr. Felix kam dies wie einmechanisches Wunder vor, aber Gotrek war völligunbeeindruckt geblieben und hatte darauf bestanden, dass es soetwas in allen Bergwerken der Zwerge im Weltrandgebirgegab.

Der Käfig hielt neben ihnen, und seine vergitterte Tür wurdevon einem Technikus geöffnet. Er verbeugte sich undbedeutete ihnen einzusteigen. Felix wurde von einer Woge derBeklommenheit erfasst, als er sich fragte, ob das Kabel wohlstark genug war, das vereinte Gewicht des Käfigs und dreierInsassen zu tragen, und was wohl passierte, wenn es riss oderder Mechanismus versagte.

»Haha!«, gackerte Snorri. »Snorri liebt Käfige. Snorri fährtschon den ganzen Tag in diesem auf und ab. Ist besser als eineFahrt mit einem Dampfwagen. Geht viel höher rauf!«

Er sprang hinein wie ein Kind, dem man eine unerwarteteBelohnung in Aussicht gestellt hatte. Gotrek folgte ihm, ohnesich dabei irgendein Gefühl anmerken zu lassen, die gewaltigeAxt lässig über die Schulter geworfen. Felix betrat den Käfigzaghaft und spürte, wie sich der Metallboden unter seinenFüßen spannte. Es war kein beruhigendes Gefühl. DerTechnikus schlug die Käfigtür zu, und plötzlich kam Felix sichwie ein Gefangener in einer Zelle vor. Dann zog ein anderer

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Technikus an einem Hebel, und die Kolben derDampfmaschine hoben und senkten sich erneut.

Felix' Magen schien ihm in die Kniekehlen zu sacken, als derKäfig sich in Bewegung setzte und der Boden unter ihnenwegzukippen schien. Instinktiv griff er nach einem derGitterstäbe, um sich festzuhalten. Er holte tief Luft, da er sonervös war wie vor der Schlacht mit den Skaven. Ihm fiel auf,dass er durch die kleinen Löcher unter seinen Füßen den Bodensehen konnte.

»Hussa!«, rief Snorri glücklich. Die Gesichter der Zwergeam Boden schrumpften rasch. Bald waren die Maschinen soklein wie Kinderspielzeuge, und die große Masse desLuftschiffs ragte immer gewaltiger über ihnen auf. Jeder Blicknach unten vermittelte Felix ein äußerst mulmiges Gefühl. InWahrheit fuhren sie gar nicht so viel höher aufwärts als dieoberste Zinne der Festung, aber es fühlte sich viel höher an.

Vielleicht hatte es etwas mit der Bewegung zu tun oder mitdem Wind, der durch die Käfigstäbe heulte, aber Felix hattegroße Angst. Es schien etwas Unnatürliches an sich zu haben,mit starren Muskeln dazustehen, die Knöchel weiß vom festenUmklammern des kalten Metalls, während die Träger desMetallturms vorbeiglitten. Das Herz blieb ihm beinahe stehen,als der Käfig anhielt und alle Bewegung bis auf ein leichtesSchwanken des Käfigs an den Trossen aufhörte.

»Du kannst jetzt loslassen, Menschling«, sagte Gotreksarkastisch. »Wir sind oben angelangt.«

Felix löste seinen Griff um den Gitterstab, um demTechnikus zu gestatten, den Käfig zu öffnen. Er schritt durchdie Öffnung und auf einen Balkon. Es handelte sich um eineKonstruktion aus Metallstreben, das sich um die Spitze desMetallturms zog. Der kalte Wind peitschte seinen Umhang undtrieb ihm Tränen in die Augen. Als er sah, wie hoch er sichüber dem Erdboden befand, erstarrte er plötzlich vor Furcht. Er

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konnte nun nicht mehr das ganze Luftschiff sehen. Es war zugroß für sein Blickfeld. Ein metallener Laufsteg verband dieTurmspitze mit einer Tür im Rumpf des Luftschiffs. Er konnteVarek, Borek und die anderen auf der anderen Seite sehen, diedort auf sie warteten.

Einen Moment konnte er sich nicht überwinden, sich von derStelle zu rühren. Der Boden lag mindestens dreihundert Schrittunter ihm, und dieser metallene Laufsteg konnte nichtbesonders fest mit dem Luftschiff und dem Turm verbundensein. Was, wenn er unter ihm nachgab und er abstürzte? Erhatte nicht die geringsten Aussichten, einen Sturz aus dieserHöhe zu überleben. Das Hämmern seines Herzens wurde lauterin seinen Ohren.

»Worauf wartet Felix?«, hörte er Snorri fragen.»Beweg dich, Menschling«, hörte er Gotrek sagen, und dann

ließ ihn ein heftiger Schubser vorwärts stolpern. »Sieh einfachnicht nach unten.«

Felix spürte die Belastung, die unter seinem Gewicht auf derzerbrechlichen Metallbrücke ruhte, und glaubte für einenMoment, sie werde unter ihm nachgeben. Er sprangbuchstäblich vorwärts und auf das Deck des Luftschiffs.

»Willkommen an Bord der Geist Grungnis«, hörte er Boreksagen.

Varek packte ihn und zog ihn weiter hinein. »Makaissonwollte das Schiff die Unaufhaltsam nennen«, flüsterte derZwerg, »aber aus irgendeinem Grund hat mein Onkel das nichtzugelassen.«

Felix kauerte sich neben Makaisson, der am Ruder desLuftschiffs stand. Er war gezwungen, sich im Innern desLuftschiffs zu ducken, da es von Zwergen für Zwerge gebautworden war, und deshalb waren die Decken niedriger und dieTüren breiter als in menschlichen Behausungen.

Der Technikus war heute anders gekleidet. Er trug ein kurzes

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Lederwams mit einem gewaltigen Kragen aus Schaffell, derwegen der Kälte hochgestellt war. Eine Ledermütze mit langenOhrenklappen saß auf seinem Kopf. Oben gab es eine weitereKlappe für Makaissons Haarkamm. Eine Brille schützte dieAugen des Zwergs, vermutlich zum Schutz vor dem Wind,sollte das Frontfenster zerbrechen. Die großen Hände desZwergs steckten in schweren Lederhandschuhen. Makaissondrehte sich um und sah Felix mit so viel Stolz an, wie ein Vaterihn an den Tag legen mochte, wenn er seinem Lieblingskind allseine Leistungen erklärte.

Soweit Felix erkennen konnte, ähnelten einige derVorrichtungen denjenigen eines hochseetüchtigen Schiffs. Esgab ein großes Steuerrad, das eigentlich wie ein Wagenradaussah, wenn man davon absah, dass in gleichmäßigenAbständen Handgriffe rings um den Rand angebracht waren,um dem Steuermann einen sicheren und in jeder Lagebequemen Griff zu ermöglichen. Felix stellte sich vor, dass derSteuermann durch eine Drehung des Rades die Flugrichtungdes Luftschiffs ändern konnte. Neben dem Steuer befandensich einige Hebel und ein rechteckiger Metallkasten mit allenmöglichen selltsamen und beunruhigen Anzeigen. Anders alsauf einem Schiff stand der Steuermann im Bug hinter einemSchirm aus Glas, sodass er sehen konnte, wohin er flog. AlsFelix nach vorn durch das Fenster schaute, bemerkte er eineGallionsfigur, irgendeinen bärtigen und brüllendenZwergengott, bei dem es sich, wie Felix annahm, um Grungnihandelte.

»I ka' sehe', dass Sie beeindruckt seie'«, sagte Malcaisson,nachdem er einen Blick auf Felix geworfen hatte. »Und dasdürfe' Sie auch ruhig seie' - das ist das größte und besteLuftschiff, das je gebaut wurde.«

»Sie sind sicher, dass dieses Ding fliegen wird?«, fragteFelix nervös.

»So sicher wie i bi', dass i Schinke' zum Frühstück hatte. Der

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Ballon, das große Ding über Ihre' Schädel, ist vollerAuftriebsgaszelle'. Da oben ist g'nug von dem Zeug, um dasDoppelte unseres Gewichts inner Luft zu halte'.«

»Auftriebsgas?«»Ach, wisse' Sie, das is a Zeugs leichter als Luft. Natürlich

will's aufsteige', und dabei nimmt's uns mit.«»Wie ist es Ihnen gelungen, das Zeug zu sammeln, wenn es

leichter als Luft ist? Würde es nicht einfach aufsteigen undverschwinden?«

»Eine durchaus vernünftige Frage, die zeigt, dass Sie wie aTechnikus denke'. Aye, es ist naturg'mäß seltener alsHühnerzähne, aber mer stelle' das Zeugs hier inner Stadt selbsther. Oder vielmehr unsere Alchimiste'. Dann pumpe' mer's indene Ballon über uns.«

»Der Ballon ...« Der Gedanke beunruhigte Felix noch mehr.Es ließ ihn an die winzigen Heißluftballons denken, die er alsKind aus Papier gebastelt hatte. Es schien unvorstellbar zusein, dass so etwas eine Last aus solidem Metall heben konnte,und das sagte er auch.

»Aye, sicher, aber das Gas ist viel stärker als Heißluft, undder Ballon über Ihre' Kopf ist net aus Metall, auch wenn er soaussehe' tut. Er ist aus a viel widerstandsfähigere' Zeugs, dasauch die Alchimiste' gemacht habe'.«

»Und wenn der Ballon leckt?«»Ach, das kann er gar net! Sehe' Sie, in dem große Ballon

sinne hunderte von kleine' Ballons. Mer nenne se Gashülle oderZelle. Wenn eine platzt, macht das nix, mir hätte' immer nochreichlich Auftrieb. Über die Hälfte von dene kleine Ballonsmüsste' platze', bevor mir überhaupt Höhe verlöre', und selbstdann wäre das a ganz a allmählicher Vorgang. Es wäre einfachnicht natürlich für die Ballons, wenn sie alle auf einmal platze'würde'.«

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Felix sah die Zweckmäßigkeit dieses Arrangements ein.Wenn der Ballon oben tausende kleiner Ballons enthielt, war esin der Tat unwahrscheinlich, dass sie alle auf einmal platzten -auch wenn sie mit hunderten von Pfeilen angegriffen wurden,würden nur die Gashüllen an der Außenseite durchbohrt, fallsPfeile die Außenhülle des Ballons überhaupt durchdringenkonnten. Makaisson hatte sich offenbar eine Menge Gedankenbezüglich der Sicherheit seiner Schöpfung gemacht.

Irgendwo im Heck des Schiffs läutete eine Glocke. Felixschaute sich um und sah, dass der Laufsteg eingezogen undeine Reling zurückgeschwenkt worden war, um die Lücke zusichern. Er fühlte sich unwesentlich sicherer.

»Das ist das Zeiche', dass mir ablege' solle'«, erklärteMakaisson. Er zog an einem der kleinen Hebel unweit seinerHand, und eine Dampfpfeife ertönte. Plötzlich schwärmtenTechnikusse über das ganze Schiff und gingen auf ihre Plätze.Vom Boden tief unter ihnen hörte Felix Jubel.

»Festhalte'!«, rief Makaisson und zog einen weiteren Hebel.Von irgendwo unten im Schiff drang der Lärm anspringenderMaschinen herauf. Ihr Tosen war ohrenbetäubend. An denSeiten des Schiffs begannen die Zwerge damit, die Trossen aufgroße Trommeln zu wickeln, und sahen dabei ganz so aus wieeine Horde Matrosen, die einen Anker lichtete. Langsam spürteFelix Bewegung. Luftströmungen strichen über sein Gesicht.Das Luftschiff hob sich ganz allmählich und bewegte sichlangsam vorwärts. Fast unwillig ging er zur Seite des Schiffsund schaute durch eines der Bullaugen. Der Boden sank unterihnen weg, und der Komplex um den Einsamen Turm bliebhinter ihnen zurück. Die winzigen Gestalten der Zwerge aufdem Boden winkten ihnen zu, und Felix winkte instinktivzurück. Dann überkam ihn ein überwältigendesSchwindelgefühl, und er müsste vom Fenster zurücktreten.

In diesem Augenblick ging ihm zum ersten Mal richtig auf,dass er sich tatsächlich auf einem fliegenden Schiff befand, das

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unterwegs in unbekannte Gefilde war. Dann stellte er sich dieFrage, wie sie je wieder landen wollten. In der Chaos-Wüstegab es seines Wissens nach weder Hangars noch großeStahltürme.

Varek führte ihn eine metallene Sprossenleiter hinunter, diein die Struktur des Luftschiffs geschweißt worden war. Felixwar froh, die Kommandobrücke verlassen zu haben und nichtmehr in unmittelbarer Nähe der Masse aufgeregter Zwerge zusein. Das Dröhnen des Antriebs war auch durch den dickenStahl des Rumpfs zu vernehmen, und hin und wieder bemerkteFelix, dass der Boden sich unter seinen Füßen ohneerkennbaren Grund spannte.

Plötzlich ruckte das ganze Gefährt abrupt zur Seite.Instinktiv streckte Felix eine Hand aus, um sich an der Wandabzustützen. Das Herz schien ihm in der Brust zerspringen zuwollen, und einen Moment war er überzeugt, sie würden jedenAugenblick in den sicheren

Tod stürzen. Ihm ging auf, dass er trotz der Kälte schwitzte.»Was war das?«, fragte er nervös.»Wahrscheinlich eine Seitenwindbö«, sagte Varek vergnügt.

Als er Felix' Verwirrung sah, erläuterte er seine Bemerkung:»Der Teil des Schiffs, in dem wir uns befinden, wird Gondelgenannt. Die Gondel ist nicht starr am Ballon über unsbefestigt. Tatsächlich baumeln wir an Trossen. Manchmal trifftuns ein Windstoß von der Seite, und dann schwingt die ganzeGondel in die entsprechende Richtung. Kein Grund zurBeunruhigung. Makaisson hat das Luftschiff so gebaut, dass esdurch einen Sturm fliegen könnte, wenn es das müsste -jedenfalls behauptet er das.«

»Ich hoffe, er hat Recht«, sagte Felix, da er langsam wiederso weit war, einen Fuß vor den anderen setzen zu können.

»Ist das nicht aufregend, Felix?«, fragte Varek. »Mein Onkelsagt, dass wir sehr wahrscheinlich die Ersten sind, die je so

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hoch in einer Maschine geflogen sind!«»Das heißt nur, dass wir tiefer fallen können«, murmelte

Felix.

Felix lag auf dem kurzen Zwergenbett und starrte diestählerne Decke seiner Kabine an. Es fiel ihm schwer, sichangesichts des allgegenwärtigen Gedankens an die Kluft untersich und der gelegentlichen Schiffsbewegungen zu entspannen.Zu seiner Freude hatte er entdeckt, dass seine enge Koje mitdem Kabinenboden vernietet war, damit sie nicht schaukelte.Dasselbe galt für die metallene Truhe, in der er seine Sachenverstaut hatte. Es war eine gute Konstruktion und zeigte, dassdie Zwerge vieles bedacht hatten, was er mit Sicherheitübersehen hätte. Was, wie er zugab, typisch war. Als Volkwaren die Zwerge zumindest gründlich. Er drehte sich auf denBauch und drückte das Gesicht gegen das Bullauge, einemkleinen Kreis aus dickem Glas in der Seite des Luftschiffs.Augenblicklich übertrug sich Kälte auf seine Nasenspitze, undsein Atem beschlug die Scheibe. Er wischte den Beschlag abund sah, dass sie noch höher gestiegen waren und unter ihnenWolken in einem nahezu endlosen, wogenden weißen Meerlagen.

Es war ein Anblick, wie ihn wohl nur Götter und Zauberer jezuvor genossen hatten, dachte Felix, und er jagte einenSchauder der Furcht und Erregung durch seinen ganzenKörper. Durch eine unverhoffte Lücke in den Wolken konnteer einen Flickenteppich aus Feldern und Wäldern tief unter sichausgebreitet sehen. Sie waren so hoch, dass er für einenAugenblick die Oberfläche der Welt betrachten konnte wieeine Landkarte und mit einer Drehung des Kopfes vonBauerndorf zu Bauerndorf schaute. Er konnte dem Verlauf vonFlüssen und Strömen folgen, als seien sie Pinselstricheirgendeines göttlichen Kartographen. Dann schlossen sich dieWolken wieder und lagen unter ihm wie eine Schneedecke.

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Über ihnen war der Himmel von einem unvergleichlichenBlau.

Felix kam sich auserwählt vor, auch nur einen einzigen Blickaus so einer Höhe nach unten werfen zu dürfen. Vielleichtfühlte sich so der Kaiser persönlich, wenn er aus dem Sattelseines königlichen Pegasus nach unten schaute, dachte er, undalle Königreiche seiner Domäne begutachtete, die sich in dieFerne erstreckten, so weit seine königlichen Augen reichten.

Die Gondel der Geist Grungnis war auf eine beengte,klaustrophobische Art sehr eindrucksvoll, entschied Felix. Siewar so groß wie eine Flussbarke und gewiss viel bequemer.Auf dem Weg zu seiner Kabine hatten sie viele andere passiert.Es gab eine kleine, aber gut bestückte Küche mitsamt einemtransportablen Herd. Es gab eine Schiffsmesse mit ausreichendPlatz für dreißig Zwerge zugleich. Es gab einen mit Regalenund Tischen gefüllten Kartenraum und eine kleine Bibliothek.Es gab sogar einen großen Laderaum vollgepackt mitHolzkisten, die, wie Varek ihm versichert hatte, mit sämtlicherNahrung und Ausrüstung gefüllt waren, die sie weiter imNorden brauchen würden. Der Gedanke erinnerte Felix daran,dass er sich bei ihrem nächsten Halt - falls es einen nächstenHalt gab - Winterkleidung besorgen musste. Er konnte sichnicht vorstellen, dass es weiter im Norden wärmer sein würde.

Felix fragte sich, ob dies bedeutete, dass er sich selbst dazuverpflichtet hatte, die Zwerge zu begleiten. Er war nicht sicher.Auf eine ganz eigene Art war dies eine aufregende Aussicht, soeine Reise in diesem gewaltigen Luftschiff zu unternehmenund einen Ort aufzusuchen, den seit dreitausend Jahren keinMensch mehr gesehen hatte. Wären sie nicht ausgerechnet indie Chaos-Wüste geflogen, hätte er es gewiss ohne jedesZögern sofort gewagt.

Er war kein besonders tapferer Mann, sinnierte er, aber erwar auch kein Feigling. Der Gedanke, wozu dieses Schiff inder Lage war, erregte ihn. Berge und Meere waren kein

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Hindernis für eine Maschine, die sie einfach überfliegenkonnte, und dieses Luftschiff war weitaus schneller als dasschnellste Schiff auf dem Wasser. Varek hatte gesagt, es könneüber sechshundert Meilen am Tag zurücklegen, eineerstaunliche Geschwindigkeit.

Felix' Schätzung zufolge hätte er mit dem Slayer über einenMonat gebraucht, um dieselbe Strecke zu Fuß zurückzulegen.Dieses Schiff war in der Lage, den Weg nach Arabia oder insferne Cathay in weniger als einer Woche zu bewältigen,Reisen, die sonst viele Monate dauerten. Vorausgesetzt, dasVehikel stürzte nicht ab und wurde auch nicht von einemSturm oder Drachen vom Himmel geholt, war es zuerstaunlichen Leistungen der Fortbewegung fähig. Diewirtschaftlichen Möglichkeiten waren enorm. Es konnteeingesetzt werden, um verderbliche Waren in wenigen Tagenzwischen weit entfernten Städten zu befördern. Es konnte dieArbeit von hundert Kurieren und Postkutschen erledigen. Erwar sicher, dass viele Leute allein für die umwerfende Aussichtbezahlen würden, die er selbst durch die Lücke in derWolkendecke genossen hatte. Felix lächelte ironisch, als ihmaufging, dass er dachte, wie sein Vater unter diesen Umständengedacht hätte.

Aber nun, da sie dieses erstaunliche Vehikel gebaut hatten,was schlugen diese irrsinnigen kurzbeinigen Idioten vor, wasdamit anzufangen sei? Nichts weniger, als direkt in dietödlichste Wildnis auf der Welt zu fliegen, eine Gegend, überdie man Felix schon als Kind erzählt hatte, dass sie vonDämonen, Ungeheuern und jenen heimgesucht werde, die ihreSeele den Dunklen Mächten verkauft hätten - ein Glaube,dessen Stichhaltigkeit Gotrek bestätigt hatte.

Darüber wunderte Felix sich. Gab es irgendeinen seltsamenZwang in der zwergischen Seele, immer Zerstörung undNiederlage zu suchen? Jedenfalls schienen sie Geschichtenüber Katastrophen und Ungemach so zu genießen, wie

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Menschen Sagen über triumphale Siege und Heldentumgenossen. Es schien ihnen Spaß zu machen, über ihreFehlschläge zu brüten und ihren Groll gegen die Weltaufzuzeichnen. Felix bezweifelte, dass ein Kult wie der Slayer-Kult im Imperium Anhänger anziehen konnte, um gleichdarauf innezuhalten. Das stimmte sicherlich nicht. Selbst dieunglaublich bösen Chaos-Götter hatten Anhänger in seinemVolk gefunden, also würde es wahrscheinlich keinen Mangelan menschlichen Slayern gegeben haben, hätte man ihnenGelegenheit zum Beitritt gegeben.

Er verwarf diese sinnlosen Überlegungen, und ihm ging auf,dass er im Augenblick noch keine Entscheidung darüber treffenmusste, ob er die Zwerge in die Chaos-Wüste begleiten sollteoder nicht. Er konnte sich immer noch entscheiden, wenn sieZwischenstation machten.

Falls sie Zwischenstation machten, korrigierte er sich.Lurk spannte Muskeln, die durch lange Untätigkeit

verkrampft waren. Er fragte sich, wo er war und was er tunsollte. Seit vielen Stunden hatte er nichts mehr vom GrauenProphet Thanquol gehört. Seit vielen Stunden litt er untereinem Gefühl der Einsamkeit und Abgeschiedenheit, das fürihn eine neue Erfahrung und in gewisser Weise entsetzlich war.

Er war in einem der Baus von Skavenblight geboren, derÄlteste eines durchschnittlichen Wurfs von zwanzig. Er war inGesellschaft seiner Geschwister und aller anderen Insassen derbeengten Höhle aufgewachsen. Er hatte in einer Stadt gelebt,die bis zum Platzen voll mit Skaven war, hunderttausende vonihnen. Wenn er in der Vergangenheit diese Stadt verlassenhatte, war dies immer aufgrund militärischer Pflichtengeschehen, als Teil einer gewaltigen Skaven-Einheit. Auch inden kleinsten Außenposten gab es hunderte von Skaven. Erhatte bisher immer in Piepsentfernung zu anderen seiner Art

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gelebt, gegessen und sich entleert. In seinem kurzen Lebenhatte es noch keine einzige Stunde gegeben, in der er nicht vomGeruch ihrer Duftdrüsen und Ausscheidungen und demGeräusch ihrer beständigen verstohlenen Bewegungenumgeben gewesen wäre.

Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er die Abwesenheitseiner Artgenossen wie einen stechenden Schmerz, wie einkürzlich geblendeter Mann die Abwesenheit des Lichts spürenmochte. Gewiss, alle seine Artgenossen waren auch seineKonkurrenten um die Gunst der Vorgesetzten. Gewiss, sie allewären ihm für eine Kupfermünze in den Rücken gefallen, wieer ihnen. Aber sie waren bisher immer da gewesen. Ihremassierte Gegenwart hatte etwas Beruhigendes, denn die Weltwar voller Gefahren, voll von niederen Rassen, welche diemächtige Skavenbrut hassten und sie um ihre Überlegenheitbeneideten, und in der Masse lag Sicherheit vor jederBedrohung. Jetzt war er einsam und hungrig und von demDrang erfüllt, den Geruch der Angst zu verspritzen, obwohlkeine anderen Skaven in der Nähe waren, die seine Warnunghätten beachten können. Jetzt konnte er nur seinem rasendenHerzschlag lauschen und nicht in lähmendem Entsetzen seinenKopf in den Pfoten vergraben. In diesem schrecklichenAugenblick ging ihm auf, dass er sogar die Anwesenheit desGrauen Propheten Thanquol in seinen Gedanken vermisste,eine erschütternde Erkenntnis.

Und genau in diesem Augenblick fing das ganze Schiff an zuzittern.

Felix öffnete beunruhigt die Augen. Er musste eingedöstsein. Was war das für ein hallendes Geräusch? Warum zittertendie Wände? Warum bewegte sich sein Bett? Langsam machtesich in seinem verwirrten Verstand die Erkenntnis breit, dass ersich auf dem Luftschiff der Zwerge befand und es denAnschein hatte, als sei etwas furchtbar schief gegangen. Der

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Boden bebte, und er konnte die Vibrationen durch seineMatratze spüren. Er wälzte sich vom Bett, sprang auf und stießsich schmerzhaft den Kopf an der Decke.

Er rang ein Gefühl klaustrophobischen Entsetzens nieder, alsdas ganze Luftschiff rings um ihn ächzte, bebte und hallte. ImGeiste stellte er sich vor, wie das Schiff auseinander brach undalle darin in den Tod stürzten. Warum hatte er je einen Fuß indiese schreckliche Maschine gesetzt?, fragte er sich, als erseine Kabinentür öffnete. Warum hatte er sich nur bereiterklärt, diese irrsinnigen Zwerge zu begleiten?

In der Erwartung, dass jeden Augenblick etwas Furchtbaresgeschehen würde, stieß er die Tür auf und hastete nach draußenin den Gang, wobei er inbrünstig zu Sigmar betete, er möge ihnaus dieser Not erretten, und wider alle Vernunft hoffte, nochlange genug zu leben, um herauszufinden, was eigentlich loswar.

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7Unterwegs

Das Schaukeln des Luftschiffs schleuderte Felix kopfüber inden Gang. Er sah Sterne, und Schmerzen zuckten durch seinenKopf, als sein Schädel gegen eine der Metallwände prallte. Ermachte Anstalten, sich aufzurappeln, bis ihm wieder einfiel,dass er auf dem besten Weg war, sich an der Decke denSchädel einzuschlagen, also blieb er unten und kroch durch denGang.

Von allen Ängsten, denen er sich je ausgesetzt gesehen hatte,war dies vermutlich die schlimmste. Er rechnete jedenAugenblick damit, dass der Rumpf auseinander brechen undder Wind ihn erfassen und er dann einen langen Sturz in denTod erleben würde. Plötzlich ging ihm auf, dass sich dieGondel bereits vom Ballon gelöst haben und ins Verhängnisstürzen mochte. Jeden Augenblick konnte es zum Aufprallkommen.

Das Entsetzliche an der Situation war nicht so sehr dieAngst, es war das Gefühl der Hilflosigkeit. Er konnte einfachnichts tun, um etwas an seiner Notlage zu ändern. Selbst wennes ihm gelang, zum Kontrollraum zu gelangen, wusste er nicht,wie man das Schiff steuerte. Selbst wenn er einen Ausgangfand» waren sie Tausende von Fuß über der Erde. Nie zuvorhatte er ein Gefühl wie dieses erlebt. Selbst inmitten derSchlacht, von Feinden umringt, hatte er immer das Gefühlgehabt, Herr über sein Schicksal zu sein und sich mit Wildheitund Geschick den Weg freikämpfen zu können. Auf einemsturmgepeitschten Schiff wäre er vielleicht in der Lagegewesen, etwas zu unternehmen. Wenn es sank, konnte er insMeer springen und um sein Leben schwimmen. In beidenFällen mochten seine Überlebenschancen gering sein, aber in

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dem einen konnte er zumindest etwas tun. Hier und jetztkonnte er nichts tun, sondern nur durch diesen niedrigen Gangkriechen, während die vibrierenden Stahlwände immer näherkamen, und zu Sigmar beten, dass er verschont bleiben möge.

Einen Moment drohte ihn blinde Panik zu übermannen, under rang den überwältigenden Drang nieder, einfach nur liegenzu bleiben und nichts zu tun. Er zwang sich, ruhig zu atmen,während er diese Gedanken beiseite schob. Er würde nichtstun, was ihn vor diesen Zwergen beschämen mochte. Wenn derTod kam, würde er sich ihm aufrecht stehend stellen oderzumindest geduckt. Er zwang sich wieder hoch und tastete sichlangsam zum Kontrollraum vor.

Als er sich gerade zu seiner Entschlossenheit gratulierte,stieg das Luftschiff, um gleich darauf gewaltig abzusacken wieein Schiff beim Überwinden einer haushohen Welle. Einenlangen Augenblick war er davon überzeugt, sein letztesStündlein habe geschlagen, und er stand da und wartete darauf,seine Götter zu begrüßen. Es dauerte mehrere Herzschläge, biser erkannte, dass er nicht tot war, und noch einige mehr, bis ersich wieder so weit gefasst hatte, dass er einen Fuß vor denanderen setzen und weitergehen konnte.

In der Kommandozentrale ließ niemand Anzeichen vonFurcht erkennen. Angespannt wirkende Technikusse schrittenhierhin und dorthin, warfen prüfende Blicke auf Anzeigen undzogen Hebel. Makaisson schien sich am Steuer mächtig insZeug legen zu müssen. Seine gewaltigen Muskeln waren unterseiner Ledertunika angeschwollen und sein Haarkamm ragtedurch seine Mütze. Alle Zwerge hatten die Beine weit gespreiztund standen sicher. Anders als Felix hatten sie keineSchwierigkeiten, aufrecht zu stehen. Neid erfüllte ihn.Vielleicht lag es daran, dass sie kleiner, breiter und schwererwaren, dachte er. Ein tieferer Schwerpunkt. Was es auch war,er wünschte, er hätte es ebenfalls.

Der Einzige, der überhaupt ein Zeichen von Unbehagen

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verriet, war Varek, dessen Gesicht einen grünlichen Farbtonangenommen hatte und der sich die Hand vor den Mund hielt.

»Was ist los?«, fragte Felix. Er war stolz, dass es ihmgelang, eine normale Lautstärke anzuschlagen.

»Kein Grund zur Sorge!«, bellte Makaisson. »Nur a paarkleine Turbulenze'!«

»Turbulenzen?«»Aye! Die Luft unter uns ist a bissl aufg'wühlt. Wie Welle'

im Wasser. Keine Sorge! Das legt sich in einer Minute. Habe'mir alles scho' erlebt.«

»Ich mache mir keine Sorgen«, log Felix.»Gut! Das ist der richtige Geist! Das Schiff hier ka' viel

mehr als das! Vertraue' Sie mir! I müsst's wisse' -i hab dasnarrische Ding gebaut!«

»Das ist es ja, was mir Sorgen macht«, murmelte Felix kaumhörbar.

»I wünschte immer noch, mir hätte' sie Unaufhaltsamg'nannt! Ist mir unbegreiflich, warum mir's nicht getan habe'.«

Lurk verspritzte wieder den Geruch der Furcht. Die ganzeKiste stank danach. Sein Fell war von feinen Tröpfchendurchweicht. Er wünschte, er hätte damit aufhören können,vermochte es aber nicht. Das Ächzen und Beben desZwergenschiffs hatte ihn davon überzeugt, dass er sterbenwürde. Er musste damit aufhören, da der Gestank seiner Furchtnur die Aufmerksamkeit auf ihn lenken würde, aber dieserGedanke ängstigte ihn noch mehr und ließ ihn den bitteren,stechenden Geruch auch weiterhin verspritzen. Erst als seineDrüsen leer und wund waren, hörte er auf. Aus Leibeskräftenverfluchte er Thanquol und dessen Machenschaften, die ihnüberhaupt erst in diese gefährliche Lage gebracht hatten. Erfragte sich, was der Graue Prophet in diesem Augenblick wohl

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tat.

Thanquol saß zusammengekauert in der öden, kahlen Höhlehoch in den Bergen und grübelte darüber, wie er mit LurkVerbindung aufnehmen und die Position des Luftschiffs inErfahrung bringen konnte. Er hatte dessen Abflug beobachtet,und sein Herz hatte sich mit einer Gier erfüllt, dieses Ding inseinen Besitz zu bringen, wie er sie in seinem ganzen Lebennoch nicht verspürt hatte. Endlich begriff er, woran die Zwergegearbeitet hatten und wozu es in der Lage war.

Die militärischen Möglichkeiten waren endlos. DerGeschwindigkeit nach zu urteilen, mit der das Vehikel an Höhegewonnen und weggeflogen war, konnte es in weniger als einerWoche von einem Ende der Alten Welt zum anderen fliegen.Die Vision von einer großen Flotte solcher Schiffe, welche dieunbesiegbaren Legionen der Skaven zum unvermeidlichen Siegtrugen, erfüllte seinen Geist. Mächtige Schiffe, auf denen dasBanner der Gehörnten Ratte und dasjenige Thanquols, ihresbevorzugten Dieners, wehte, würden den Himmel verdunkeln.Armeen konnten hinter die Linien verstörter Feinde gebrachtwerden, bevor diese überhaupt erkannten, was vorging. Städtekonnten durch den Abwurf von Bomben, Gaskugeln undSeuchensporen in die Knie gezwungen werden.

Als er jenes Luftschiff erblickte, hatte Thanquol gewusst,dass er den absoluten Gipfel technologischer Errungenschaftenin der Alten Welt sah und es die Bestimmung der Skaven-Rasse war, es in Besitz zu nehmen und auf ihre eigeneunnachahmliche Art zu verbessern. Ausgerüstet mit denüberlegenen Antriebsmaschinen und Waffen der Skaven,würde das Luftschiff besser, schneller und viel mächtigerwerden, als seine Schöpfer es sich je vorgestellt haben würden.Er war es seinem Volk und seiner eigenen Bestimmung alseinem seiner Anführer schuldig, dieses Luftschiff in seinenBesitz zu bringen, koste es, was es wolle, und wie lange es

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auch dauern mochte. Nur ein Skaven mit seiner Brillanz konntesein wahres Potenzial ermessen. Er musste es haben!

Doch im Augenblick bestand das erste Problem darin,herauszufinden, wo das Ding war. Thanquol hatte dieVerbindung mit Lurk verloren, als der sich aus der Reichweiteder sprechenden Steine entfernt hatte. Er würde sich ziemlichanstrengen müssen, um den Kontakt mit den Mitteln derZauberei wiederherzustellen. Die Verbindung zwischen seinemStein und dem seines Lakaien existierte zwar noch, aber demZauber mangelte es schlichtweg an Kraft. Er glaubte, dies beientsprechender Gelegenheit ausgleichen zu können.

Er sah sich rasch in der Höhle um. Sie war ein vorteilhaftesFleckchen, einer der Eingänge zu dem ausgedehntenTunnelnetz im Unter-Imperium, der Ort, wo sich dieÜberlebenden seines Angriffs auf den Einsamen Turm jenseitsder Reichweite zwergischer Vergeltung gesammelt hatten. Eswar ein langer ermüdender Marsch durch die Nacht gewesen,bis sie hier angelangt waren, und Thanquol war so erschöpftwie schon seit Jahren nicht mehr. Dennoch würde er sich nichtdaran hindern lassen, sich in Besitz des Luftschiffs zu bringen.

Er berührte das Amulett mit der schlanken Kralle an derSpitze eines seiner langen, zierlichen Finger. Er spürte dasWogen der in dem Stein eingesperrten Warpstein-Energien.Geduldig schickte er seine Gedanken durch die zarteektoplasmische Verbindung, die von dem Amulett ausging. Eswar beruhigend zu wissen, dass sie überhaupt noch inirgendeiner Form vorhanden war, obwohl sie sich über eineEntfernung erstreckte, wie er sie mit seinen Gedanken noch nieauch nur annähernd überbrückt hatte. Langsam bündelte derGraue Prophet seine Kräfte und sandte seinen Geist nochweiter aus. Er schloss die Augen, um sich zu konzentrieren,und kam sich dabei wie jemand vor, der sich ganz lang machte,um einen gewaltigen Abgrund zu überwinden.

Es hatte keinen Sinn. Er konnte über diese Entfernung keine

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Verbindung herstellen, nicht ohne Hilfe. Er griff in seinenBeutel, entnahm ihm eine großzügige Prise Warpstein-Schnupfpulver und schnupfte es gierig. Die Kraft half ihm,erfüllte ihn mit der erforderlichen Stärke. Weit, weit weg, übereine gewaltige Entfernung, nahm er ganz matt die verängstigtePräsenz des erbärmlichen Lurk wahr. Thanquol bleckte ineinem triumphierenden Lächeln die Zähne. Er wussteaugenblicklich, wie weit entfernt das Luftschiff war und inwelche Richtung es flog. Er konnte es wiederfinden, falls dieserforderlich war. Jetzt brauchte er genauere Informationen.

Lurk, hör mir zu! Hier sind deine Befehle!Ja, mächtigster aller Gebieter!, kam die Antwort.

Felix schaute verblüfft durch das Fenster derKommandozentrale. Die Turbulenzen waren vorbei und dieNacht war hereingebrochen. Tief unter ihnen sah er unzähligeLichter, wo sich Tavernen und Dörfer auf dem Gebiet desImperiums befanden. Einige bewegten sich auch und gehörtenoffenbar zu Kutschen, die durch die Dunkelheit zu einemGasthaus oder einem anderen Unterschlupf fuhren. Zur Linkenkonnte er das Funkeln des Mondlichts auf einem Fluss undFlecken größerer Dunkelheit ausmachen, bei denen es sichoffenbar um Wälder handelte. Es war eine Szene vonabsonderlicher und unheimlicher Schönheit und eine, die bishersicherlich nur wenige gesehen hatten.

Sie hatten die Turbulenzen des Sturms hinter sich gelassen,und alles schien reibungslos zu verlaufen. Das Dröhnen derMaschinen war gleichmäßig. Keiner der Zwerge ließ auch nurdas geringste Anzeichen für Beunruhigung erkennen. SogarVarek sah nicht mehr ganz so grün im Gesicht aus und hattesich in seine Kabine zurückgezogen, um zu ruhen. Alles warfriedlich in der Kommandozentrale.

Sie waren jetzt seit vielen Stunden in der Luft, und Felix fing

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langsam an zu glauben, dass dieses Schiff tatsächlich fliegenkonnte. Es hatte das Zittern und Bocken zuvor überlebt.Abgesehen von einer Schramme an der Stirn gab es keinerleiAnzeichen für Probleme. So unglaublich es ihm vor ein paarStunden noch vorgekommen war, allmählich genoss er dasGefühl zu fliegen, das Gefühl, mit göttergleicherGeschwindigkeit in erstaunlichen Höhen zu reisen.

Er sah sich um. Im weichen Lampenlicht betrachtete er dieRumpfbesatzung in der Kommandozentrale. Die meistenZwerge hatten sich schlafen gelegt. Makaisson war auf einemgepolsterten Kommandosessel zusammengesunken, und einanderer Technikus hatte das Steuer übernommen. Seine Augenwaren geschlossen, aber ein irres Grinsen berechtigtenTriumphs hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet. Hinterihm, mit dem Rücken zu Felix, stand Borek auf seinen Stabgestützt da und starrte aus dem Fenster. Mit aufgrund seinergeduckten Haltung brennenden Oberschenkeln trat Felix zuihm.

»Wohin fliegen wir?«, fragte Felix leise.»Nach Middenheim, Herr Jaegar. Wir werden Treibstoff,

Proviant und noch einige Passagiere aufnehmen, und dannfliegen wir in nordöstlicher Richtung weiter nach Kislev undins Land der Trolle. Makaisson sagt, wir haben durch denGegenwind etwas Zeit verloren, sollten die Stadt aber dennochim Morgengrauen erreichen.«

»Im Morgengrauen! Aber vom Einsamen Turm zur Stadt desWeißen Wolfs müssen es doch hunderte von Meilen sein.«

»Aye. Es ist ein schnelles Schiff, nicht wahr?«Verstandesmäßig hatte Felix das bereits begriffen, aber jetzt

ging ihm auf, dass er gefühlsmäßig noch hinterherhinkte. Unddaran würde sich wohl auch erst etwas ändern, wenn er dieschmalen gewundenen Gassen Middenheims unter sich sah. Eswar eine Sache, im Kopf auszurechnen, wie schnell das

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Luftschiff vorankam. Es war eine ganz andere, es am eigenenLeib zu erfahren.

»Es ist eines der Wunder dieses Zeitalters«, sagte Felix mitNachdruck.

Borek strich sich mit knorrigen Fingern den Bart und hinktezu seinem Platz. Es war ein breiter, gepolsterter Armsessel ausLeder und für Zwerge gefertigt. Er war auf einer kurzen Säuledrehbar befestigt, und es gab ein Geschirr zum Festschnallendes Insassen, das im Augenblick gelöst auf dem Boden lag. Deralte Zwerg ließ sich dankbar auf seinen Sitz sinken, holte seinePfeife hervor und zündete sie an. Er fixierte Felix mitleuchtenden Augen. »Das ist es! Hoffen wir nur, dass es gutgenug für unsere Zwecke ist. Denn wenn es versagt, wird eshöchstwahrscheinlich niemals ein zweites geben.«

Lurk hebelte die Kiste auf und nahm all seinen Mutzusammen. Verstohlen kletterte er nach draußen auf die Masseder anderen Kisten. Er erkannte sofort, dass die Gehörnte Ratteihm gewogen war. Hätte die Kiste, in der er Zuflucht gesuchthatte, sich weiter unten in dieser Masse befunden, hätte er sichniemals daraus befreien können. Das Gewicht der auf ihmgestapelten Kisten hätte ihn an Ort und Stelle festgenagelt undzu einem langsamen Hungertod verurteilt.

Er hielt inne und schnüffelte mit bebenden Nüstern. Erkonnte nichts wittern, was darauf hindeutete, dass sich jemandin seiner Nähe befand. Seine Augen versuchten die Dunkelhe itzu durchdringen. Sie waren für diese Aufgabe sehr gutgeeignet. Die Skaven waren eine Rasse von Tunnelbewohnern.Ihr Sehvermögen war zwar schlechter als das eines Menschenbei Tageslicht, aber dafür konnten sie im Dunkeln um einVielfaches besser sehen. Im ganzen Laderaum war niemand zusehen. Für die meisten Leute wäre die Dunkelheitundurchdringlich gewesen. Lurk nahm an, dass draußen Nacht

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war.Zuerst musste er seinen Unterschlupf wechseln. Falls

irgendein Zwerg einen Blick in die Kiste warf, würde er sieverdächtig leer und nach seinen Gerüchen und Ausscheidungenstinkend vorfinden. Die Zwerge würden nicht lange brauchen,um sich zusammenzureimen, dass sie einen blinden Passagieran Bord ihres Schiffs hatten, und eine Suche beginnen. Beimbloßen Gedanken daran spannte sich Lurks Duftdrüse.

Wie sich herausstellte, war die leere Kiste nicht so schwer,und er hatte wenig Mühe, sie hochzuheben und innerhalb derReihen ähnlicher Kisten weiter hinten zu verstauen. Vielleichtsollte er sich noch nach etwas umsehen, das er in die Kistepacken konnte, sodass niemandem ihre verdächtigeLeichtigkeit auffallen würde, falls jemand versuchte, sieanzuheben. Aber ihm wollte ums Verrecken nicht einfallen,wie er das bewerkstelligen sollte, also schob er das Problembeiseite und richtete sein Augenmerk stattdessen auf etwasanderes. Er hatte Hunger! Glücklicherweise konnte er Nahrungriechen. Nicht weit entfernt lagen Säcke mit Korn. Er nagte dieEcke eines Sacks an, schob die Schnauze tief in dieentstandene Öffnung und fing dann hektisch an zu kauen undzu schlucken, um seinen Hunger zu stillen. Dann sah er, dass ineiner Ecke hunderte gepökelter Schinken an einem Stahlgestellhingen. Gewiss würde es niemandem auffallen, wenn einerfehlte, und Fleisch würde seinen Magen weit besser alsGetreide füllen. Also holte er sich einen Schinken und schlangdie Hälfte davon gierig herunter. Es war ein Jammer, dass dasFleisch nicht frisch und roh war, aber man konnte schließlichnicht erwarten, dass die Gehörnte Ratte für alles sorgte. Erstopfte sich den Rest des Schinkens für später in seine Tunika.Jetzt wurde es Zeit, sich an die Erfüllung des Auftrags zumachen, den der Graue Prophet ihm erteilt hatte, und das Schiffzu durchsuchen.

Langsam und unter Einsatz aller Verstohlenheit, die er sich

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in langen Jahren der Hinterhalte und Überraschungsangriffeangeeignet hatte, schlich er vorwärts. Seine natürliche Haltungwar vornübergebeugt und er hatte wenig Schwierigkeiten, sichauf allen vieren zu bewegen. Wären die Böden nicht aus Metallund er selbst nicht von Feinden umringt gewesen, hätte er sichsogar ziemlich wohl in dieser Umgebung gefühlt. Dieseniedrigen breiten Gänge erinnerten ihn auf merkwürdige Art aneinen Skaven-Bau.

Er rang alle wehmütigen Gefühle nieder. Vor ihm lag eine indie Wände eingelassene Metallleiter. Er huschte sie mühelosempor und schlich weiter durch einen langen Gang. Überallringsumher schnarchten die in tiefem Schlaf liegenden arglosenZwerge. Hätte er doch jetzt nur einen Trupp seiner Sturmratten,dachte er, er hätte das ganze Schiff einnehmen können.Bedauerlicherweise war er aber allein, also huschte er weiter.

Voraus hörte er das Geräusch sich bewegender Kolben undzwergische Stimmen, die sich in dem Lärm mit lauten Rufenverständigten. Langsam und mit wild pochendem Herzen schober den Kopf durch eine Tür und schaute hinein.Glücklicherweise kehrten ihm die Insassen des Raums denRücken. Er sah sich um. Der Raum war mit gewaltigenMaschinen ausgefüllt. Zahnräder drehten sich, Kolben pumptenauf und ab, und zwei riesige, sich drehende Kurbelwellenverschwanden durch Wände. Irgendein tief verwurzelterInstinkt verriet Lurk, dass er den Maschinenraum gefundenhatte. Wenn es ihm gelang, diese Maschine zu beschädigen,konnte er das ganze Schiff zu einem Halt zwingen. Er hattekeine Ahnung, was ihm das nützen würde, aber er hatte dasGefühl, diese Tatsache besser dem Grauen Propheten Thanquolzu melden.

Da er sein Glück nicht auf die Probe stellen wollte, machteer kehrt und folgte seiner Witterung in den Laderaum. Er hatteimmer noch nicht gefunden, was er suchte, und durch dieBullaugen in der Seite des Schiffs sah er, dass die Sonne am

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Horizont über die Gipfel lugte. Er wollte zurück in seinemVersteck sein, bevor die ganze Besatzung aufwachte.

Als er wieder einen Blick durch eines der Bullaugen warf,ging ihm plötzlich auf, dass er die Antwort auf die Frage desGrauen Propheten hatte. In der Ferne konnte er einengewaltigen Gipfel aus einem Wald ragen sehen. Auf diesemGipfel thronten die Türme einer Stadt der Menschen. Er kanntediese Stadt.

Lange Jahre hatte er zur Garnison der Skaven gehört, die inden Tunneln unter dem Gipfel hausten und bereit waren, voneinem Augenblick zum anderen in die Metropolis ihrerverhassten Feinde einzusickern. Das Luftschiff war zu dem Ortunterwegs, den die Menschen Middenheim nannten, die Stadtdes Weißen Wolfs.

Felix schlug die Augen auf. Er war in einem der Armsesseldes Kontrollraums eingeschlafen. Ihm fiel sofort auf, dass sichder Maschinenlärm verändert hatte und das Schiff leichtschwankte, da es an Höhe verlor. Er stand auf und dachte erstim letzten Augenblick daran, sich zu ducken, um sich nicht denKopf an der Decke zu stoßen. Er ging zum Fenster und sah dieSilhouetten entfernter Türme vor dem Hintergrund deraufgehenden Sonne. Es war ein Anblick von beträchtlicherSchönheit, denn die Bauwerke erhoben sich aus einermächtigen Festung, die auf einem großen Gipfel thronte. Siehatten Middenheim mehr oder weniger in der vorgegebenenZeit erreicht.

Plötzlich sah er, wie eine große Kreatur aus der Zitadelleaufstieg und dem Luftschiff entgegenflog. Er hoffte inständig,dass sie keine feindseligen Absichten hatte.

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8Middenheim

Felix beobachtete die anfliegende Kreatur fasziniert underkannte schließlich, dass es sich um ein geflügeltes Pferdhandelte, um einen der sagenhaften Pegasi. Sein Reiter trug dielangen Gewänder und den komplizierten Kopfschmuck einesZauberers. Eine Hand war von einem Feuerball umschlossen,und Felix wusste, dass der geheimnisvolle Reiter ihn mit einerbloßen Geste auf das Luftschiff schleudern konnte. Er hatte dieZauberer des Imperiums schon auf dem Schlachtfeld erlebt,daher hatte er eine Vorstellung davon, über welche Macht siegeboten.

Der Zauberer lenkte sein großes fliegendes ROSS neben dasLuftschiff. Die mächtigen Schwingen des Pegasus bewegtensich rhythmisch und hielten ihn mühelos auf gleicher Höhe mitdem Schiff. Der Magier schaute herüber, und Borek erhob sichvon seinem Sessel und humpelte zum Fenster. Er winkte demMann zu, dessen Antwort in einem Ausdruck desWiedererkennens bestand. Er gab seinem ROSS die Sporen undsetzte sich vor das Luftschiff, während er ihnen bedeutete, ihmzu folgen.

Makaisson trat ans Steuer und nahm winzigeKursänderungen vor. Das Luftschiff verhielt sichdementsprechend und verlor rasch Geschwindigkeit und Höhe,da sie sich den Zinnen der Stadt näherten.

Ein Blick nach unten zeigte Felix, dass diekopfsteingepflasterten Straßen voller Leute waren. Sie starrtenverblüfft in die Höhe und reckten den Hals, um das über siehinwegfliegende Schiff besser sehen zu können. Auf einigenGesichtern stand Staunen, auf anderen lediglich Furcht. DieseLeute schauten, ging Felix auf, ob sie es wussten oder nicht,

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auf das Ende ihrer gewohnten Lebensweise.Seit tausenden von Jahren ruhte ihre Stadt sicher und

unangreifbar in ihrem felsigen Horst. Der einzige Weg zu ihrführte einen langen, schmalen Serpentinenweg empor.Außerdem waren die tiefer gelegenen Dörfer über eineSeilbahn mit der Stadt verbunden. Noch kein einzigerAngreifer hatte es geschafft, die Stadt einzunehmen. DerStandort ermöglichte es zehn Bewaffneten mit Leichtigkeit einHeer von tausend Mann aufzuhalten, und dies war auch oftgeschehen. Es gab nur wenige Pegasi, Lindwürmer und anderefliegende Reittiere -und ganz gewiss keine großen Armeen vonihnen.

Die Ghost Grungnis änderte alles. Sie konnte eine ganzeKompanie Soldaten in ihrem Laderaum befördern. Eine Flottederartiger Schiffe konnte eine Armee auch in diesem Horstabsetzen. Die unförmigen Kanonen in der Seite des Schiffskonnten jene kopfsteingepflasterten Straßen bombardieren undaus der Ferne Dächer abtragen, wie dies noch kein Belagererjemals vermocht hatte. Auf eine merkwürdige Art markierteder heutige Tag den Beginn eines neuen Zeitalters, und Felixfragte sich, ob dies außer ihm noch jemand erkannt hatte.

Sie flogen über die steilen gewundenen Straßen hinweg. Diehohen, schmalen Häuser reckten sich den zentralen Höhen desGipfels entgegen, die vom Palast des Kurfürsten und demgewaltigen Tempel Ulrics, des Herrn der Wölfe, beherrschtwurden. Die beiden riesigen Bauwerke funkelten einander überden am höchsten gelegenen Platz der Stadt hinweg an, und aufdiesem freien Platz mit seinem unverbauten Blick auf dasGewirr der Dächer und Schornsteine, das sich unter ihnenausbreitete, ging das Luftschiff schließlich nieder.

In den vergangenen Minuten hatte Felix sich bereits gefragt,wie dieses Unternehmen vonstatten gehen sollte, und jetzt saher fasziniert zu, als es sich ihm erschloss. Sie wurden ganzeindeutig erwartet. Eine Gruppe von Zwergen hatte sich auf

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dem Platz versammelt, wo bereits große Metallringe in dieSteinplatten des Platzes getrieben worden waren. Makaissonlegte einen seiner Kontrollhebel um, und dasMaschinengeräusch änderte sich.

»Alle Maschine' zurück«, rief er. »Festhalte'!«Felix blieben ein paar Augenblicke, um sich zu überlegen,

was das zu bedeuten hatte, bevor das Luftschiff schließlichzum Stillstand kam. Dann schob Makaisson den Hebel in eineneutrale Position, und der Maschinenlärm verstummte fastvöllig.

»Anker auswerfe'!«Eine Gruppe von Technikussen stand an den Trossen. Sie

lösten Arretierungen, und die Kabelrollen wickelten dieTrossen ab. Als diese wie Anker herabfielen, waren die Zwergeam Boden bereit. Sie packten die Trossen und machten sierasch an den Haken fest. Augenblicke später war das Luftschiffsicher vertäut. Felix wusste aber immer noch nicht, wie sienach unten gelangen sollten. Seine Neugier in dieser Hinsichtwurde rasch befriedigt.

Es war ein langer Weg nach unten. Sie befanden sich auf deruntersten Ebene der Gondel und schauten auf eine massiveLuke, die ein Technikus soeben geöffnet hatte. Eine Strickleiterwurde entrollt und durch die Luke geworfen. Sich immerweiter abwickelnd, landete das andere Ende kurz darauf untenauf dem Platz. Einer der Zwerge am Boden packte sie undversuchte sie zu straffen, fing aber zum Lohn für seine Mühelangsam an zu schaukeln. Gotrek warf einen Blick durch dieLuke, packte das Seil und schwang sich hinaus. Behände wieein Affe nahm er den langen Abstieg in Angriff. Er benutztenur eine Hand, während er furchtlos seine gewaltige Axt in deranderen hielt.

»Nach dir, Felix«, sagte Snorri.Felix schaute hinunter. Es war ein langer Weg, aber wenn er

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je wieder auf festem Boden stehen wollte, würde er die Leiterwohl oder übel benutzen müssen. Er schwang sich hinaus undnach unten, wobei er einen Augenblick entsetzlicher Angstdurchmachte, als seine Füße in der Luft herumtasteten, bevorsie endlich eine Leitersprosse fanden. Als Nächstesumschlossen seine Hände die oberste Sprosse und klammertensich krampfhaft daran fest, da der Wind an seinem Umhangzerrte und ihm die Tränen in die Augen trieb.

Die Strickleiter war alles andere als stabil. Sie schwang imWind hin und her. Felix wünschte, er hätte Handschuhegetragen, denn das Seil grub sich schmerzhaft in seine Finger.Er zwang sich, erst einen Fuß tiefer zu setzen, dann denanderen. Er war aus der Erfahrung beim Einsteigen in dasLuftschiff klug geworden und vermied es so gut wie möglich,nach unten zu schauen. Auf Höhe der Dächer angelangt, sah erzu seiner Überraschung, dass Leute in ihren Fenstern lagen undihm zuwinkten. In der Ferne konnte er Jubel hören.

Ein Schwindelgefühl überfiel ihn, als er hinabblickte, umsich nach der Ursache umzuschauen. Er sah, dass der Platz voneiner Menge umgeben war, die nur von der Elitegarde desKurfürsten, den Rittern des Weißen Wolfs, zurückgehaltenwurde. Langsam dämmerte ihm, dass die Leute seinetwegenjubelten. Er war der erste und einzige Mensch, der aus diesemLuftschiff stieg, und sie nahmen an, dass er ein Held war. Umsie nicht zu enttäuschen, winkte er ihnen zu. Als er zu diesemZweck eine Hand von der Sprosse nahm, geriet er aus demGleichgewicht, und die Leiter ruckte zur Seite, was ihn beinaheauf das Kopfsteinpflaster unter ihm geschleudert hätte. Hastigpackte er die Sprosse wieder mit beiden Händen und setzteseinen Abstieg fort.

Er bezweifelte, dass je ein Mensch glücklicher als ergewesen war, als seine Stiefel den Boden berührten.

Eine Gruppe schwer gerüsteter und prächtig gekleideterMänner trat aus dem Palast, um sie zu begrüßen. Ihre

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Gewänder waren aus bestem Stoff, die schweren Pelzumhängeaus Nerz- und Zobelfellen. Auf ihren Wappenröcken prangtedas Wolfskopfemblem des Kurfürsten von Middenheim. Sieboten einen Anblick, der sowohl an Reichtum gemahnte alsauch seltsam barbarisch anmutete. Die Middenheimer waren invielerlei Hinsicht ein Volk für sich. Der vorherrschende Glaubein dieser Stadt war der Kult des Berserkergotts Ulric, und diePriesterschaft Sigmars, der Schutzgottheit des Imperiums,wurde mehr geduldet denn verehrt. Dies war eine Quelledauernder Spannung im Reich, aber Wohlstand undMilitärmacht dieses mächtigen Stadtstaats waren so groß, dassman ihn seinen eigenen Weg gehen ließ. Felix wusste, dassdies in einem Land, in dem religiöseMeinungsverschiedenheiten schon oft Anlass für einen blutigenBürgerkrieg gewesen waren, die Ausnahme sein musste.

Es schien, als seien diese Männer geschickt worden, dieZwerge willkommen zu heißen und sie zu Kurfürst Stephan zugeleiten. Felix nahm zur Kenntnis, dass sie ihn überraschtmusterten. Was sie auch sonst noch erwartet haben mochten,ganz offensichtlich gehörte nicht dazu, einen Menschen ausdem großen Luftschiff klettern zu sehen. Nichtsdestowenigerverbeugten sie sich nach höfischer Art und teilten ihm mit, dassder Fürst seine Gesellschaft wünsche. Felix erwiderte ihreVerbeugungen und ließ sich in den Palast führen, nicht ganzsicher, ob er Gefangener oder Gast war.

Der Palast war alt und prachtvoll. Große Wandteppicheschmückten die Korridore, welche Szenen aus der langen undstolzen Geschichte des Stadtstaats darstellten. Auf seinem Wegerkannte Felix Szenen aus der Schlacht von Hei Fen und ausden Kriegen mit den Vampirfürsten von Sylvanien wieder. Ersah Krieger mit Wolfsfellumhängen im Kampf mitgrünhäutigen Orks und Darstellungen der abscheulichenHorden des Chaos, welche die Stadt vor zweihundert Jahrenzur Zeit Magnus' des Frommen belagert hatten.

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Der Palast war gewaltig und aus demselben Stein wie derBerg, und zwar von Handwerkern errichtet, die unglaublichgeschickt gewesen waren. Über jedem Türpfosten glotzen dieKöpfe von Gargylen herab, und die eigentlichen Türbögenwaren mit den kunstvollsten Fresken verziert. Teppiche ausTilea, Arabia und dem entfernten Cathay bedeckten dieFliesen. In jedem Saal brannte ein ordentliches Feuer undvertrieb die Kälte aus den Höhen der Berge. Auch am Tagebrannten in diesen am weitesten vom Licht entfernten SälenLaternen und erhellten die Düsterkeit.

Hier und da waren gewichtige, stämmige Palastwachen imAuftrag ihrer Herren unterwegs, und ab und zu hielten prächtiggekleidete Sekretäre inne, um die Zwerge und deren Begleiteranzugaffen. So begab es sich, dass Felix und seine Begleiter inden Thronsaal des Kurfürsten schritten und der hagerenmächtigen Gestalt gegenübertraten, die aufrecht auf demWolfsthron saß, nachdem sie hinter sich ein merkwürdigesSchweigen verbreitet hatten.

Felix sah andere, die sich um den Thron versammelt hatten.Die meisten waren alte bärtige Männer, vermutlich Sekretäre,aber zwei Gestalten stachen aus der Menge hervor. Die einebeugte sich vor und flüsterte dem Kurfürsten etwas ins Ohr. Eshandelte sich um einen hoch gewachsenen schlanken Mann,der mit Gewändern in einem verschwenderischen Purpurtonbekleidet war. Die Gewänder waren mit einer Goldborte mitSymbolen umsäumt, in denen Felix mystische Zeichenerkannte. Ein kunstvoller Kopfschmuck ruhte auf seinemHaupt, der Ähnlichkeit mit einem hohen, spitz zulaufendenElfenhelm hatte, aber aus Filz und Goldstoff bestand. Mitkostbaren Steinen besetzte Ringe funkelten an den Fingern desMannes. Eine nicht greifbare Aura der Macht umgab ihn undweckte ein Gefühl des Unbehagens in Felix. Dieser Mann warder Zauberer auf dem Pegasus, und bisher waren seineBegegnungen mit Zauberern selten angenehm ausgefallen.

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Die andere Gestalt war gleichermaßen bemerkenswert. Siestand gleich unterhalb des kurfürstlichen Podests, eine hochgewachsene Frau und vielleicht sogar eine liebreizende, aberdas ließ sich nur schwerlich sagen. Felix nahm an, dass sieannähernd seine Größe hatte. Sie trug kein Hofkleid wie dieanderen anwesenden Damen, sondern eine ärmellose Weste ausLeder über einem weißen Leinenhemd. Ihre Lederhose wurdean der Taille von einem beschlagenen Ledergürtel gehalten.Hohe Reitstiefel umschlossen ihre langen Beine. Ihreaschblonden Haare waren extrem kurz geschnitten, bis fastherunter auf die Kopfhaut. Zwei Schwerter steckten inScheiden an ihrer schmalen Hüfte. Sie stand hoch aufgerichtetda, das Kinn ein wenig zurückgeneigt. Eine Aura ferner Länderumgab sie. Offenbar spürte sie seine Blicke auf sich ruhen,denn sie wandte den Kopf und schaute in seine Richtung.

Die Zwerge verbeugten sich vor dem Thron des Kurfürstenund begannen mit blumenreichen Vorstellungen. Fürst Stephanunterbrach sie durchaus höflich, aber in der Art des Militärs,der keine Zeit für weitschweifige Reden hat. Felix wurde nachvorn geführt, bis er neben Gotrek und Snorri stand, und gabsich bei seiner Verbeugung die allergrößte Mühe. Er sahInteresse in den Augen des Fürsten aufflackern, als er einenMenschen in der Gesellschaft der Zwerge sah, bevor derHerrscher seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Borekrichtete.

»Unsere Sekretäre haben die Substanzen, die Sie angeforderthaben, zur Verladung auf Ihr Schiff vorbereitet«, sagte FürstStephan.

Dem Ausdruck auf Olgers Gesicht entnahm Felix, dass dieseSubstanzen, worum es sich auch handeln mochte, ein hübschesSümmchen gekostet haben mussten. Der Geizhals sah so blassund elend aus wie ein Mann, der sich einer Amputationunterzogen hatte.

»Ich danke Euch, edler Fürst, und begrüße diese

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Bekräftigung der uralten Freundschaft zwischen unserenVölkern.«

Der Fürst lächelte, als seien er und Borek alte Freunde undals sei es ihm eine große Freude, dieses Geschenk zuübergeben. Felix schaute auf und erschrak, als er feststellte,dass er direkt in die blauen Augen der Frau auf dem Podeststarrte. Sie war im gleichen Alter wie er, erkannte er. Andersals bei den Edelfrauen war ihr Gesicht gebräunt. Sie hatte hoheWangenknochen und volle Lippen, was ihr eine entschiedenexotische Schönheit verlieh. Felix nahm an, dass sie nicht ausdem Imperium stammte. Sie legte den Kopf ein wenig zur Seiteund betrachtete ihn. Felix war solch eine unverhohlene undabschätzende Neugier von einer Frau nicht gewöhnt, zwangsich aber, ihrem Blick standzuhalten. Sie lächelte ihnherausfordernd an.

»Und jetzt müssen Sie mir von Ihrem einzigartigen Schiffund Ihrem Unternehmen erzählen«, sagte Kurfürst Stephan.

Borek sah sich vielsagend in dem Throngemach um. »MitFreuden, Eure Exzellenz. Aber manche Dinge werden besserprivat besprochen.«

Der Fürst ließ den Blick durch den großen Audienzsaal undüber die Scharen von Lakaien, Wachen und sonstigem Anhangschweifen. Er nickte, um anzuzeigen, dass er verstand, undklatschte in die Hände.

»Haushofmeister, ich gedenke, mich privat mit dem edlenBorek zu unterhalten. Lassen Sie Essen und Wein in meineGemächer bringen.«

Der Haushofmeister verbeugte sich, und Fürst Stephan erhobsich ohne weitere Umschweife, stieg von seinem Podest undbot Borek seinen Arm als Stütze an. Ehe Felix wusste, wie ihmgeschah, begann sich der Audienzsaal zu leeren. Augenblickespäter standen er und die verbliebenen Zwerge allein in demleeren Saal.

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Felix wandte sich an Varek. Der junge Zwerg zuckte dieAchseln.

»Wer waren der Zauberer und das Mädchen?«, fragte Felix.»Ich glaube, das könnten unsere Passagiere gewesen sein«,

erwiderte Varek.»Passagiere?«»Ich bin sicher, entweder sie selbst oder mein Onkel werden

Ihnen mehr erzählen, wenn Sie es erfahren müssen.« Varekschien aufzugehen, dass er mehr verraten hatte, als er eigentlichhätte sagen dürfen, und zog sich rasch aus dem Saal zurück,sodass Felix nun mit Gotrek, Snorri, Olger und Makaissonallein war.

»Ich verlasse die Expedition hier«, sagte Olger plötzlich. »Sogern ich auch bei euch bleiben würde, ich habe in MiddenheimKlan-Geschäfte zu erledigen. Viel Glück, und bringt das Goldzurück.«

Er verbeugte sich und stapfte von dannen.»Den wären wir los«, jubelte Gotrek.»Snorri glaubt, dass der alte Knauser Angst hat«, bemerkte

Snorri.Warum auch nicht?, dachte Felix. Ihm kam langsam der

Verdacht, dass der Geizhals der vernünftigste Zwerg von allenwar, denen er je begegnet war.

»Sehen wir mal, ob wir hier irgendwo Bier finden«, sagteGotrek.

Felix blieb stehen, um sich ein Stück Kuchen von einemStraßenhändler zu kaufen. Er nutzte die Pause und sah sich aufder Straße um. Er war glücklich, dass er sich wieder in einermenschlichen Stadt aufhielt, und erfreute sich an dem regenTreiben der Menge ringsumher. Die hohen HäuserMiddenheims ragten überall in die Höhe. Auf den schmalengewundenen Straßen wimmelte es von Leuten. Jongleure

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warfen farbige Bälle in die Luft. Akrobaten führtenKunststücke vor. Auffällig bunt gekleidete Männer auf Stelzenthronten über der Menge. Trommeln schlugen. Flötenspielerbliesen auf ihren Instrumenten. Zerlumpte Bettler strecktenschmuddelige Hände aus. Die Gerüche von Brathähnchen,Pasteten und ausgeleerten Nachttöpfen hingen in der Luft.

Felix ließ eine Hand an seiner Börse und die andere am Heftseines Schwerts, denn er kannte die Tücken und Gefahren desStadtlebens. Gauner, Taschendiebe und bewaffnete Räuberwaren nur allzu verbreitet. Kinder mit schmutzigem Gesichtbeobachteten ihn mit wölfischen Blicken. Hier und da schobensich Krieger in den Wappenröcken von Wachmännern durchdie Menge.

»Hallo, Hübscher. Willst du dich amüsieren?« Eine bemalteFrau winkte ihm aus dem Eingang eines schäbigen Hauses zu.Sie wackelte in einer Parodie der Lust mit den Hüften. Aus denschmalen Fenstern darüber hauchten ihm andere Küsseentgegen. Felix schaute weg und ging weiter. Er dachte kurz andie Frau, die er im Palast gesehen hatte, schob den Gedankendann aber beiseite. Später, wenn sie ihre Reise fortsetzten, warnoch genug Zeit, sie kennen zu lernen.

Ein Betrunkener torkelte aus einer Taverne und stieß gegenFelix. Der roch den Bieratem des Mannes und spürte dann, wieFinger nach seiner Börse tasteten. Er riss ein Knie hoch undstieß es dem verhinderten Taschendieb in den Unterleib. DerMann brach stöhnend zusammen.

»Rasch, dem armen Kerl ist schlecht geworden!«, rief Felixund schritt über den ausgestreckt daliegenden Mann hinweg.Wie Wölfe über ein krankes Wild fiel das Straßenvolk über denvorgeblichen Trunkenbold her. Felix tauchte in der Mengeunter, bevor die Wachen auf den Zwischenfall aufmerksamwurden.

Er lächelte. Es war ein gutes Gefühl, wieder in der

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Zivilisation und von Angehörigen seines Volks umgeben zusein. Es war ein gutes Gefühl, etwas Zeit für sich allein zuhaben. Er war froh, dass man ihm den Tag frei gegeben hatte,während Borek mit dem Fürsten redete und die Technikusseder Zwerge die Fässer mit dem schwarzen Zeug an Bord desLuftschiffs luden. Gotrek und Snorri hatten sich zu einerTaverne in den unteren Stadtvierteln aufgemacht, aber Felixwar nicht in der Stimmung für ein ganztägiges Saufgelage. DieErinnerung an seinen letzten furchtbaren Kater war noch zufrisch. Stattdessen hatte er beschlossen, einen Spaziergangdurch die Stadt zu machen und dann später zu den Slayern zustoßen. Er war sicher, dass die Taverne namens Wolf und Geierleicht zu finden sein würde. Er musste erst im Morgengrauendes nächsten Tages wieder ins Luftschiff zurückkehren. Alsowar später noch mehr als genug Zeit für Zecherei, falls ihm derSinn danach stand.

Felix schüttelte betrübt den Kopf. Anscheinend hatte er sichirgendwann auf dem Flug nach Middenheim entschlossen, dieZwerge zu begleiten. Er war nicht ganz sicher, weshalb, dennes war unbestreitbar gefährlich. Andererseits war vielleichtgenau das der Grund. Wenn er ein ruhiges, beschaulichesLeben hätte führen wollen, würde er jetzt zweifellos im Kontordes väterlichen Unternehmens in Altdorf arbeiten. Irgendwannauf seinen Reisen mit Gotrek hatte er das abenteuerliche Lebendes umherziehenden Söldners schätzen und lieben gelernt, undjetzt bezweifelte er, dass er zu seinem alten Leben hättezurückkehren können, selbst wenn er es gewollt hätte.

Diese Queste entwickelte eine immer größere eigeneAntriebskraft. Die bloße Anwesenheit an Bord des Schiffshatte etwas Aufregendes an sich. Am Tage und in dieserlebendigen Stadt war selbst die Aussicht auf die Chaos-Wüstenicht so erschreckend. Eigentlich bestand sogar die einmaligeGelegenheit, einen Ort zu sehen, den nur wenige Menschen jebesucht und dann mit unbeschadeter geistiger Gesundheit

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wieder verlassen hatten, um von ihren Erlebnissen erzählen zukönnen. Und natürlich war da noch sein Eid, Gotrek zubegleiten und dessen Untergang aufzuzeichnen.

Natürlich wusste er, dass er sich etwas vormachte. Er konnteganz genau sagen, wo und wann er seine Entscheidunggetroffen hatte, an Bord des Luftschiffs zu bleiben. Und eshatte nichts mit Eiden, Abenteuern oder der aufregenden Reisezu tun. Er hatte sich entschieden, an Bord zu bleiben, als erherausgefunden hatte, dass die Frau im Thronraum ebenfallsPassagier sein würde.

Und an der Entscheidung war auch nichts falsch, sagte ersich. Vorausgesetzt, sie führte nicht zu seinem Tod.

Vom Rande der Stadt schaute Felix auf den Wald herab. Erwar den gewundenen Gassen bis zur großen Außenmauergefolgt, wo ihn eine kurze Kletterpartie auf die Brustwehrgeführt hatte. Von dort konnte er die Seilbahn sehen, dieKaufleute und deren Waren von der kleinen Ansiedlung weiterunten heraufbrachte. Gerade kroch die letzte Kabine des Tagesdie Kabel entlang zu ihrem Bestimmungsort in der Stadtmauer.

Ein Blick weiter ins Land zeigte ihm den Fluss und dieWälder, die sich bis zum Horizont erstreckten, und er mussteanerkennen, dass die Einwohner Middenheims eine Aussichtgenossen, die jener an Bord des Luftschiffs durch dieBullaugen kaum nachstand. Er staunte über denEinfallsreichrum und die Entschlossenheit, die bei derVersorgung dieser ausgedehnten Stadt an den Tag gelegtwurden. Den Büchern der Legende zufolge, die er gelesenhatte, war die Keimzelle der Stadt des Weißen Wolfs jeneFestung gewesen, deren Lage in den Bergen all jenen Schutzbot, die vor der beständigen Flut des Krieges in der Ebeneflohen.

Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich auf diesem Gipfel einemittelgroße Gemeinde um die Festung und den Mönchstempel

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von Ulric angesiedelt. Die Gemeinde hatte als Heim für denAdel und seiner Garnisonen begonnen, war dann abergewachsen, um auch die Kaufleute einzuschließen, welche siemit Luxusgütern versorgten. Natürlich waren Essen und Warenhier teurer, weil sie von unten heraufgezogen werden mussten,aber die Adeligen verfügten über ausgedehnte Besitzungen imHinterland, und es kam ihnen nicht auf ein, zwei Goldstückean. Die erhöhten Kosten wurden durch die erhöhte Sicherheitihres luftigen Wohnsitzes mehr als wettgemacht. Und natürlichgab es Bergwerke unterhalb des Gipfels, eine Quelle großenReichtums.

Und andere, finsterere Dinge außerdem. Felix hatte Gotreküber diese Bergwerke und über ein großes Tunnel-Labyr inthreden hören, das sich unter dem Gipfel erstreckte. In denBergwerken patrouillierten Zwergensoldaten und menschlicheWachen, denn es wurde gemunkelt, Skaven hätten dort unteneinen Bau eingerichtet. Felix fluchte unvermittelt, da er sichfragte, ob er die verwünschten Rattenmenschen wohl je hintersich lassen würde. Wahrscheinlich nicht. Irgendwie wusste er,wenn das Luftschiff wendete und zu den dampfendenDschungeln des legendären Lustriens flog, würden sie dortSkaven im Untergrund vorfinden. Die Sonne ging langsamunter. Ihr Schein tauchte die Wolken in blutiges Rot, als siehinter dem Horizont versank. Laternen flackerten in denWachtürmen an der Mauer auf, und als Felix einen Blickzurückwarf, sah er Lichter in den Häusern und Tavernen derStadt auftauchen. Bald würden sich die Lampenanzünder andie Arbeit machen, und Laternen schwingende Wachmännerwürden auf der Straße jede volle Stunde ausrufen.

Es wurde Zeit für die Rückkehr. Er hatte den letzten Blickauf die Gesellschaft des Imperiums geworfen, der ihm inseinem Leben vergönnt sein mochte, und er fühlte sich seltsamentspannt und zufrieden, als habe er sich durch seineEntscheidung, die Zwerge auf ihrer Queste zu begleiten,

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irgendwie aller Furcht und Zweifel entledigt. Es war besser,wenn eine Sache entschieden war, dachte er, als sich in denQualen der Ungewissheit zu winden. Sein Weg lag jetztdeutlich vor ihm, und er stellte zu seiner Erleichterung fest,dass er nicht unglücklich damit war. Er machte kehrt undbegann den langen Aufstieg zum Palast, wobei er sich fragte,ob er sich die huschenden Geräusche über den Dächern hintersich nur einbildete.

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9Jenseits der Krallensee

Als das Luftschiff ablegte, starrte die Menge ehrfürchtigempor. Makaisson drehte das Steuer und zog an den Hebeln,um ihren Kurs um eine Winzigkeit zu verändern. Sie verfehltenknapp die große Zinne des Ulric-Tempels und wandten sichnach Norden.

Felix entspannte sich auf einem der Armsessel in derKommandozentrale. Es war reichlich Platz. Die meistenZwerge schliefen ihren Rausch aus, sodass die Brücke nur miteiner Rumpfbesatzung bemannt war. Makaisson sah selbst einwenig mitgenommen aus. Das leise Ächzen, das er von Zeit zuZeit von sich gab, sowie die Art und Weise, wie er mitgeröteten Augen zum Horizont blinzelte, war nicht geradeberuhigend. Felix war nicht sicher, ob er das Schiff in seinemZustand tatsächlich fliegen sollte.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er den leitenden Technikus.»Wie meine' Sie das, jung Felix?«»Vielleicht könnte ich das Steuer übernehmen, während Sie

sich ausruhen.«»I weiß net. Das ist a hochtechnische Arbeit.«»Ich könnte es versuchen. Es mag sich als nützlich erweisen,

jemanden an Bord zu haben, der das Schiff fliegen kann, fallsIhnen etwas zustoßen sollte. Schließlich sind Sie ein Slayer,nicht wahr?«

»Die andere' Technikusse kenne' sich aus ... trotzdem,vielleicht habe' Sie net ganz Unrecht. Könnt' net schade', nocha Steuermann zu habe' - für alle Fälle.«

»Heißt das, Sie tun es?«

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»Eigentlich sollt' i's net mache'. Verstößt gege' dieBestimmunge' der Gilde, Leute, die keine Dawi net sind, dieseSache zu zeige', aber andererseits ist das ganze schöne Dinghier gege' Gilde'-Bestimmunge', also was soll's?«

Er winkte Felix zu sich heran und überließ ihm seinen Platz.»Nehme' Sie das Rad, Herr Jaegar.«

Felix musste in die Knie gehen, um sich so klein wie derZwerg zu machen, und er fand diese Stellung ziemlichunbequem. Das Steuer fühlte sich schwer in seinen Händen an.Er gab sich alle Mühe, es ruhig zu halten, aber es fühlte sichan, als habe es ein Eigenleben, und übte unregelmäßigwechselnden Druck aus, sodass Felix beständig darumkämpfen musste, seine Stellung zu halten.

»Das sind die Luftströmunge'«, erklärte Makaisson. »Siezerre' am Ruder und an dene Querruder. Dauert etwas, bis mersich dara' g'wöhnt. Verstande'?« Felix nickte nervös.

»Schaue' Sie etwas tiefer und nach links. Da sehe' Sie denKompass.«

Felix befolgte die Anweisung. Er konnte den Kompasssehen, der an einer komplexen Anordnung von Kardanringenaufgehängt war, sodass die Nadel in der Mitte immer nachNorden zeigte.

»Sie werde' feststelle', dass mir jetzt gerad nach Nord-Nord-Ost fliege'. Das ist der Kurs. Wenn Sie das Rad a bissl drehe',ändere mir den Kurs. Gleiche' Sie die Änderung nur wiederaus, und bringe' Sie den Kurs wieder auf Nord-Nord-Ost.«

Felix tat, wie ihm geheißen, und drehte das Steuer so sanft,wie er konnte. Draußen vor dem Fenster schien sich derHorizont ganz langsam zu drehen. Er bewegte das Ruder in dieandere Richtung, und sie drehten zurück in die korrekteRichtung. »Gut gemacht! Kei' Problem net, oder?«

Felix stellte fest, dass er Makaissons Grinsen erwiderte. Einso gewaltiges und schnelles Gefährt wie dieses Luftschiff zu

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steuern hatte etwas Erhebendes.»Was noch?«, fragte er.»Sehe' Sie die Hebelreihe nebe' Ihrer rechte' Hand?«»Ja.«»Gut. Der erste Hebel ist für G'schwindigkeit. Mache' Sie

jetzt noch nix, bis ich's Ihne' sage, aber wenn Sie dene Hebelda nach vorn schiebe', werde' die Maschine' schneller. WennSie den Hebel zurückziehe', werde' sie langsamer. Wenn Sie ih'bis ganz nach hinte' zurückziehe', lege' Sie deneRückwärtsgang ei'. Dann fliege' mir rückwärts. Könne' Sie mirfolge'?«

Felix nickte abermals.»Direkt vor Ihne' ist a Anzeige, die in kleine Teilstriche

unterteilt ist. Außerdem sind die Teilstriche mit verschiedene'Farbe' unterlegt.«

Felix sah das Instrument neben dem Kompass. ImAugenblick befand sich die Nadel in der grünen Zone amzehnten Teilstrich und damit fünf Teilstriche vor dem rotenBereich.

»Solange die Nadel im Grüne' ist, habe' mir keineSchwierigkeite'. Das ist der sichere Betriebsbereich für dieMaschine. Jetzt erhöhe' Sie die Fahrt - aber achte' Sie darauf,dass die Nadel im Grüne' bleibt.«

Felix drückte gegen den Hebel. Er widersetzte sich seinenBemühungen, also schob er fester, als er ursprünglichbeabsichtigt hatte. Dabei bewegte sich die Nadel vorwärts, unddas Dröhnen der Maschinen wurde schriller. Der Boden schienstärker unter ihnen zu beben, und die Wolken zogen schnelleran ihnen vorbei. Plötzlich spürte Felix Makaissons Hand aufseiner. Finger wie harte Stahlklammern schlössen sich, und erstellte fest, dass der Hebel zurückgezogen wurde.

»Ich sagte, achte' Sie darauf, dass die Nadel im Grüne' bleibt,

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verstehe' Sie? Der rote Bereich ist nur für Notfälle. Wenn dieMaschine im Rote' läuft, werde' mir viel schneller, aber nacheiner Weile würde' sie ausbrenne', vielleicht sogar explodiere'.In dieser Höhe wäre das keine so gute Sache.«

Felix sah, dass er die Nadel unabsichtlich in den rotenBereich gebracht hatte. Er versuchte die Hand wegzuziehen,aber Makaisson hielt sie noch einen Augenblick fest. »Nehme'Sie die Hand erst von dene Kontrolle', wenn ich es Ihne' sage.Lasse' Sie die Hand fürs Erste am G'schwindigkeitshebel, ja?«

Felix nickte, und der Technikus ließ seine Hand los. »KeineSorge. Sie mache' sich nicht so schlecht. Also, mit demnächste' Hebel auf der rechte' Seite bediene' mir die Flosse'.Versuche' Sie, die beide' Hebel nicht zu verwechsele, sonstkönnt's hässlich werde'!«

Felix wünschte sich langsam, er hätte nie vorgeschlagen, alldies zu lernen. Allem Anschein nach gab es viele Wege in dieKatastrophe, an die er noch nie gedacht hatte. »In welcherBeziehung?«

»Tja, die Flosse' reguliere' unsere Höhe über dem Bode'.Wenn Sie dene Hebel zurückziehe', ändere' die Flosse' amSchwanz die Höhe und mir steige'. Wenn Sie dene Hebelvorwärts schiebe', falle' mir. Mehr brauche' Sie gar net zuwisse'. Die eigentliche' Gründe sind technischer Natur, und iglaub net, dass Sie die verstehe' würde'.«

»Ich glaube Ihnen auch so.«»Gut. Dann ziehe' Sie jetzt dene Hebel zurück. Sanft! Mir

wolle' keine' aufwecke'. Jetzt werfe' Sie a Blick auf das kleineSpielzeug nebe' dem G'schwindigkeitsmes-ser. Das ist derHöhenmesser. Je höher der Teilstrich, desto höher fliege' mer.Wichtig ist, dass Sie net ins Rote komme'. Das könnte fatalwerde', weil mir dann zu hoch fliege' würde'. Und versuche'Sie, das Ding nicht auf null sinke' zu lasse', weil das bedeute'würde, dass mir auf dene Bode' gefalle' sind. Jetzt schiebe' Sie

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dene Hebel wieder in die Mittelstellung. Sie spüre' das Dingeinraste', wenn Sie auf Mittelstellung sind. Das bedeutet, dassmir unsere Höhe halte'.«

Felix tat, wie ihm geheißen. In seinen Ohren war einmerkwürdiges Summen, das verschwand, als er schluckte. Ernahm die Hand vom Höhenregler und zeigte auf eine kleinereReihe kürzerer Hebel auf einem Paneel in Höhe seiner linkenHand. »Wofür sind die?«

»Rühre' Sie keine' davo' a. Die regele ganz verschiedeneSache' wie Ballast und Treibstoff. Das zeige ich Ihne' a anderesMal. Fürs Erste wisse' Sie alles, um das Schiff zu fliege'. Undjetzt halte' Sie Kurs Nord-Nord-Ost. Und sehe' Sie die Uhr da?In zwei Stunde' wecke' Sie mich. I mach derweil a Nickerche'.Mein Schädel ist a bissl wund vom viele' Schnaps.«

»Und wenn etwas schief geht?«»Wecke' Sie mich. I bi' gleich auf diesem Sessel hier.«Bei diesen Worten ließ Makaisson sich auf besagten Sessel

fallen, und kurz darauf war die Brücke des Luftschiffs vonseinem Schnarchen erfüllt.

In den ersten Minuten am Steuerruder verspürte Felix einegewisse Nervosität, aber mit der Zeit erfüllte ihn eine immergrößere Zuversicht, dass nichts schief gehen würde. Etwasspäter kamen einige von den Technikussen auf die Brücke.Manche starrten ihn verblüfft an, aber als sie Makaisson in derNähe schlafen sahen, ließen sie ihn in Ruhe. Nach einer Weileentspannte er sich, als er das Land und die Wolken unter sichvorbeigleiten sah.

»Dann sind Sie also der Pilot?« Die leise Stimme riss Felixaus seiner Versunkenheit. Es war eine Frauenstimme, heiserund mit mehr als nur der Spur eines ausländischen Akzentsdarin. Hätte er raten müssen, hätte er auf Kislevitisch getippt.

Felix schüttelte den Kopf, drehte sich aber nicht zu der Frauum. Er richtete seine Aufmerksamkeit weiterhin nach vorn,

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falls ihnen etwas Unerwartetes begegnete. »Nein. Aber mankönnte sagen, dass ich übe, einer zu werden.«

Ein leises Lachen. »Eine nützliche Fähigkeit.«»Ich weiß nicht recht. Ich bezweifle, dass ich damit Karriere

machen kann. Es gibt nicht viele Vehikel wie dieses auf derWelt.«

»Nur dieses eine, glaube ich. Und wenn man bedenkt, wohines unterwegs ist, bezweifle ich, dass es noch ein zweites gebenwird.«

»Dann wissen Sie also, wohin wir fliegen?«»Ich weiß, wohin Sie fliegen, und ich beneide Sie nicht.«Felix musste darum kämpfen, den Blick weiterhin starr nach

vorn zu richten und sich nicht zu ihr umzudrehen. Er erinnertesich daran, was er Borek im Einsamen Turm geschworen hatte.Er kannte diese Frau nicht, und es war möglich, dass sie ihnaushorchen wollte. »Sie wissen, wohin wir unterwegs sind?«»Ich weiß, dass Sie in die Wüste fliegen, und mehr braucht einvernünftiger Mensch nicht zu wissen. Ich glaube nicht, dass Siezurückkehren werden.«

Es entmutigte Felix, ein Urteil zu hören, das seiner eigenenEinschätzung so nahe kam. Außerdem enttäuschte es ihn zuerfahren, dass die Frau nicht die Absicht hatte, sie auf ihrerQueste zu begleiten. »Dann kennen Sie sich in dieser Gegendaus?«

»So gut, wie es jemandem möglich ist, der sich nicht denMächten des Verderbens verschrieben hat. MeinFamilienbesitz grenzt an das Land der Trolle, und keinSterblicher würde es wagen, näher am verwunschenen Land zuwohnen. Mein Vater ist der Graf der Grenzmark. Wir habenviel Zeit mit dem Kampf gegen die Anhänger des Chaosverbracht, die immer wieder versuchen, sich ins Land derMenschen einzuschleichen.«

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»Das muss ein interessantes Leben sein«, sagte Felixironisch.

»Das könnte man sagen. Aber ich bezweifle, dass esaufregender als Ihres ist. Was bringt Sie an Bord diesesSchiffs? Ich muss zugeben, dass ich sehr erstaunt war, einenMenschen zu sehen, noch dazu einen gut aussehenden, da ichnur mit Borek und Angehörigen seines Volks gerechnet hatte.«

Felix lächelte. Es war lange her, dass ihm jemand -undinsbesondere eine schöne Frau - gesagt hatte, er sehe gut aus.Aber er blieb auf der Hut. »Ich bin ein Freund.«

»Sie sind ein Freund der Dawi? Dann müssen Sie einigeHeldentaten vollbracht haben. Ulric weiß, dass es davon imLaufe der Geschichte nur wenige gegeben hat.«

Felix fragte sich, ob das stimmte. Er hatte immer geglaubt,es handele sich einfach nur um eine höfliche Anrede. Jetztschien es so, als sei es in Wirklichkeit ein besonderer Titel. Erwollte gerade antworten, als Makaisson sie von hintenunterbrach.

»Ach, der Bursche hat Gotrek Gurnisson bei manch aGelegenheit zur Seite gestände', Mädel. Und er war an derSäuberung der Heilige' Gräber von Karak Achtgipfel beteiligt.Wenn das kei' Grund ist, jemande' Freund der Dawi zu nenne',wüsst' i gar keine'! Jedenfalls, jetzt, wo ihr mich mit euremGeplapper geweckt habt, kann i ebe'so gut das Steuer nehme'. Iübernehm jetzt wieder.«

Makaisson stapfte heran und verscheuchte Felix von seinemPlatz an den Kontrollen. Er zwinkerte Felix vielsagend zu.»Jetzt könne' Sie dem Mädel Ihr ganzes Herz ausschütte'.«

Felix zuckte die Achseln und drehte sich mit einem Lächelnzu der Frau um. »Felix Jaegar«, sagte er mit einer Verbeugung.

»Ulrika Magdova«, sagte sie, indem sie das Lächelnerwiderte. »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

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Sie sprach die Worte mit einer Förmlichkeit aus, die zeigte,dass sie nicht daran gewöhnt war. Sie waren wie eineHöflichkeitsfloskel, die zu verwenden man sie für den Falleiner Bekanntschaft mit Leuten aus dem Imperium gelehrthatte. Dem entnahm er, dass die Begrüßungssitten in ihremeigenen Land vermutlich ganz anders waren.

»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte er in dem Gefühl einergewissen albernen Förmlichkeit, die er gern vermieden hätte.Sie ließen sich in den weich gepolsterten Zwergensesselnnieder und streckten die Beine aus. Felix sah, dass seinefrühere Vermutung zutraf und sie fast so groß wie er war. EinBlick auf ihr Gesicht ließ ihn seine frühere Meinung zu ihremAussehen revidieren. Sie wechselte von nur wunderschön zuumwerfend schön. Sein Mund fühlte sich plötzlich sehr trockenan.

»Was machen Sie auf diesem Schiff?«, fragte er, nur umetwas Belangloses zu sagen. Sie bedachte ihn mit einem Blickträger Belustigung, als könne sie seine Gedanken lesen.

»Ich bin unterwegs nach Hause zum Besitz meines Vaters.«»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Borek jemanden so ohne

Grund als Passagier mitnimmt.«Sie hob die rechte Hand an den Mund und strich sich mit

dem Zeigefinger über die Lippe. Felix sah, dass die Fingerschwielig wie die eines Schwertkämpfers und die Nägel sehrkurz waren. »Mein Vater und Borek sind alte Freunde. Siehaben bei vielen Gelegenheiten gemeinsam gekämpft, als meinVater noch jung war. Er hat dabei geholfen, Boreks letzteExpedition an den Rand der Wüste zu führen. Er hat ihn undIhren Freund Gotrek bei ihrer Rückkehr mit den Überlebendengepflegt. Er war nicht überrascht. Er hatte sie vor diesemAbenteuer gewarnt. Sie wollten nicht hören.«

Felix starrte sie an. Er hätte nicht gedacht, dass Menschen andieser letzten Expedition beteiligt gewesen waren. »Das

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überrascht mich nicht«, sagte Felix wehmütig. Er verfügte übereine beträchtliche Erfahrung darin, wie stur Zwerge seinkonnten.

»Manches hat sogar meinen Vater überrascht. Er hatte nichtdamit gerechnet, dass überhaupt jemand von dieseraussichtslosen Expedition zurückkehren würde. Von denAnhängern des Chaos abgesehen, gelingt das in der Tat nursehr wenigen.«

»Wie lange liegt diese Expedition schon zurück?«»Sie fand vor meiner Geburt statt. Vor über zwanzig

Wintern.«»Dann haben sie mit der Rückkehr lange gewartet.«»So scheint es. Außerdem scheint es so, als hätten sie sich

gut vorbereitet. Tatsächlich war es eine Nachricht von meinemVater, die mich nach Middenheim geführt hat. Ich sollteausrichten, dass er getan hat, worum sie ihn gebeten haben.«

»Und das wäre?«»Borek hat meinen Vater gebeten, gewisse Vorbereitungen

auf unserem Besitz zu treffen. Das schwarze Wasser zusammeln. Einen Turm zu bauen. Gewisse Vorräte anzulegen.Damals hat all das keinen Sinn ergeben, doch nun, da ichdieses Schiff gesehen habe, glaube ich zu verstehen.«

»Die Zwerge haben einen Stützpunkt auf dem Land IhresVaters eingerichtet?«

»Aye. Und dafür mit gutem Zwergenstahl bezahlt.«Als sie Felix' fragenden Blick sah, lächelte sie ihn an und

zog eines ihrer Schwerter ein Stück aus der Scheide. Felixerkannte zwergische Runen auf der Klinge. »Wir haben wenigVerwendung für Gold entlang der Marken des Chaos. Wirbevorzugen Waffen, und die Zwerge sind die bestenWaffenschmiede der Welt.«

»Sie sind von Kislev nach Middenheim gereist. Das ist ein

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weiter Weg für eine schöne junge Frau, die ganz allein reist.«»Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, jemals ein

Kompliment von Ihnen zu hören, Herr Jaegar! In Kislev sinddie Männer in solchen Dingen viel direkter.«

»Die Frauen anscheinend auch«, sagte Felix mit gelinderÜberraschung.

»Das Leben ist kurz, und der Winter ist lang, wie es so schönheißt.«

»Wie ist das zu verstehen?«»Sind Sie so begriffsstutzig?«Felix hatte das unbestimmte Gefühl, dass diese Unterhaltung

seiner Kontrolle entglitt. Er hatte noch nie zuvor eine Frau wiediese Kislevitin getroffen und wusste nicht, ob es ihm gefiel.Die Frauen aus dem Reich verhielten sich nicht so, außervielleicht Schankdirnen und Soldatenhuren, und UlrikaMagdova war ganz gewiss nichts dergleichen. Oder vielleichtfehlte ihm auch einfach nur das Verständnis für ihre Art.Vielleicht benahmen sich die Frauen in Kislev alle so.

Sie redete, um die Stille zu durchbrechen. »Ich bin nichtallein nach Middenheim gereist - obwohl ich es gekonnt hätte.Ich bin mit einer Leibwache aus den Ulanen meines Vatersgekommen. Sie sind gleich wieder nach Norden aufgebrochen,während ich auf Borek gewartet habe.«

Zum ersten Mal überhaupt begegnete sie seinem Blick nicht.Er spürte, dass sie etwas vor ihm verbarg, aber er wusste nicht,was. Auf jeden Fall steckte mehr dahinter, als auf den erstenBlick zu erkennen war. Ebenfalls zum ersten Mal kam ihm derVerdacht, dass sie vielleicht nicht ganz so selbstsicher war, wieihre Schönheit und Kühnheit ihn glauben gemacht hatten.Dadurch erschien sie ihm wiederum unversehens viel wenigerunnahbar und in gewisser Hinsicht auch attraktiver.

Er lächelte sie an, und sie erwiderte das Lächeln, ein

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bisschen wehmütig diesmal. Dann warf sie einen Blick überseine Schulter, strich mit beiden Händen ihre Hose glatt underhob sich, während sie ihn beständig mit ihrem betörendenLächeln fixierte.

Felix schaute in die Richtung ihres Blicks und sah, dass derandere Passagier, der Zauberer, soeben die Brücke betretenhatte. Er musterte sie auf eine verblüffte und, wie Felix fand,verstimmte Art. Wenn das der Fall war, hatte er sich jedochrasch wieder gefasst. Ein Ausdruck träger Belustigung huschteüber seine hageren Züge, und er trat naher. Ulrika Magdovaschlenderte an ihm vorbei und hielt nur kurz inne, um ihmeinen hochmütigen Blick zuzuwerfen.

»Guten Tag, Herr Schreiber. Es war mir ein Vergnügen,mich mit Ihnen zu unterhalten, Felix.«

»Guten Tag«, sagte Felix schwach, indem er sich erhob,während sie bereits nicht mehr zu sehen war. Der Magier warfsich auf den Sessel, den sie soeben geräumt hatte.

»Also haben Sie die hübsche Ulrika kennen gelernt«, sagteer. »Was halten Sie von ihr?«

Das war eine unverschämte Frage von einem Fremden, fandFelix, aber andererseits war ihm zu Ohren gekommen, dassMagier sich mitunter merkwürdig benahmen. Dann sah er, dassder Mann lächelte und den Kopf schüttelte, als erfreue er sichan einem privaten Scherz. Weiße Zähne zeigten sich in demsonnengebräunten Gesicht, und die lebendige Miene ließ denMagier um Jahre jünger aussehen. Felix schätzte, dass derMagier höchstens zehn Jahre älter als er selbst war. Plötzlichstreckte der Mann die Hand aus.

»Maximilian Schreiber, zu Ihren Diensten. Meine Freundenennen mich Max.«

»Felix Jaegar, ebenso.«»Felix Jaegar. Diesen Namen habe ich schon einmal gehört.

Es gab einen ziemlich vielversprechenden Dichter dieses

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Namens. Sind Sie vielleicht mit ihm verwandt? Vor einigenJahren habe ich einige seiner Gedichte in Gottliebs Anthologiegelesen. Tatsächlich haben sie mir sehr gefallen.«

Felix war angenehm überrascht festzustellen, dass derFremde von ihm gehört hatte. Er ließ die Gedanken zurück inseine Studentenzeit wandern, als er Gedichte geschrieben undzu verschiedenen Anthologien beigetragen hatte. All das schienvor langer Zeit jemand anderem widerfahren zu sein.

»Diese Gedichte habe ich geschrieben«, sagte er.»Ausgezeichnet. Eine angenehme Überraschung. Warumhaben Sie mit dem Schreiben aufgehört? GottliebsBalladenbüchlein ist doch schon vor wenigstens drei Jahrenerschienen.«

»Ich hatte Schwierigkeiten mit dem Gesetz.«»Welche denn?«Etwas an der glatten Art des Magiers machte Felix langsam

nervös. »Ich bin von der Universität verwiesen worden, weilich bei einem Duell einen Mann getötet habe. Dann kamen dieFenstersteuer-Unruhen.«

»Ach ja, die Unruhen. Also seid Ihr außer dem Dichter FelixJaegar auch noch der berüchtigte Gesetzlose Felix Jaegar,Handlanger des gleichermaßen berüchtigten GotrekGurnisson.«

Der Schock ließ Felix erbleichen. Es war lange her, seit erzuletzt jemandem begegnet war, der diese beiden Seiten einund derselben Person zu einem Ganzen zusammengefügt oderauch nur gewusst hatte, dass er ein Gesetzloser war. DasImperium war groß, und Neuigkeiten verbreiteten sich nurlangsam. Er war schon so lange nicht mehr auch nur in derNähe von Altdorf gewesen, dem Schauplatz jenes furchtbarenMassakers im Verlauf der Unruhen. Offenbar bemerkte derZauberer seine Miene. Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen.

»Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, Sie dem Gesetz zu

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übergeben. Ich war selbst auch immer der Ansicht, dass es eineungerechte und alberne Steuer war. Und um die Wahrheit zusagen, habe ich Verständnis für Ihr Missgeschick an derUniversität. Ich bin selbst der Reichsuniversität der Magierverwiesen worden, wenn auch ein paar Jahre bevor Sie IhreKarriere als Aufrührer begonnen haben.«

»Tatsächlich?«»O ja. Meine Lehrer waren der Ansicht, ich legte ein

ungesundes Interesse am Chaos an den Tag.«»Wahrscheinlich würde ich ihnen beipflichten, glaube ich.

Das ist ein Thema, zu dem jedes Interesse ungesund ist.«Ein Funkeln war in die Augen des Zauberers getreten, und er

beugte sich eifrig vor. »Ich kann nicht glauben, dass Siewirklich so denken, Herr Jaegar. Das ist die ArtKurzsichtigkeit, wie ich sie von den alten Graubärten an derUniversität erwarten würde, aber nicht von einem Abenteurerwie Ihnen.«

Felix fühlte sich verpflichtet, seinen Standpunkt zuverteidigen.

»Ich glaube, ich weiß ein wenig darüber. Ich habe mehrErfahrung darin, das Chaos zu bekämpfen, als die meisten.«

»Genau! Ich habe auch gegen die Dunklen Mächtegekämpft, mein Freund, und bin an einigen ziemlichunwahrscheinlichen Orten auf seine Anhänger gestoßen. Ichglaube nicht, dass ich mich irre, wenn ich sage, dass es sich umdie größte Gefahr für unsere Nation, nein, für unsere Welthandelt, die gegenwärtig existiert.«

»Da würde ich Ihnen beipflichten.«»Und kann es in diesem Fall so falsch sein, die Materie zu

studieren? Um solch einen mächtigen Feind zu bekämpfen,müssen wir ihn verstehen. Wir müssen seine Stärken undSchwächen, seine Ziele und seine Ängste in Erfahrung

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bringen.«»Ja, aber das Studium des Chaos korrumpiert all jene, die

sich darauf einlassen! Viele haben diesen Weg mit den bestenAbsichten beschritten, um schließlich in den Bann dessengezogen werden, was sie bekämpfen wollten.«

»Jetzt klingen Sie wirklich wie meine alten Lehrer! Ist Ihnenje der Gedanke gekommen, dass Sie genau dieses Argumentvorbringen würden, um jegliche Untersuchung IhrerMachenschaften zu verhindern, wenn Sie ein Diener des Chaoswären?«

»Sie wollen damit doch nicht ernsthaft andeuten, dass IhreLehrer an der Reichsuniversität...«

»Natürlich nicht! Ich sage nur, dass die Diener des Chaosraffiniert sind. Sie haben ja keine Ahnung, wie verschlagen siesein können. Sie hätten doch nur diesen Gedanken inirgendeinem Buch festhalten und dann das Gerücht verbreitenund den Glauben daran schüren müssen. Und natürlichkorrumpiert das Chaos. Wenn man mit Warpstein arbeitet,verändert das einen. Wenn man finstere Rituale ausführt, wirddie Seele befleckt. Ich gebe zu, dass ein Körnchen Wahrheit indieser Argumentation steckt. Aber ich glaube nicht, dass unsdies daran hindern sollte, das Chaos zu untersuchen und denVersuch zu unternehmen, Mittel und Wege zu finden, um seineAusbreitung zu verhindern, seine Anhänger aufzuspüren undseine beängstigende Macht zurückzudrängen. Es gibt eineVerschwörung des Schweigens, die unsere ganze Gesellschaftdurchdringt. Sie ermuntert Ignoranz. Sie schafft Schatten, indenen unsere Feinde sich verstecken und Pläne schmiedenkönnen.«

Felix musste zugeben, dass Schreibers Worte etwas für sichhatten. Um die Wahrheit zu sagen, waren ihm schon oftähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. »Sie könntenRecht haben.«

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»Könnten? Kommen Sie, Felix, Sie wissen, dass ich Rechthabe. Und das tun auch viele andere Leute. Unglücklicherweisehabe ich den Fehler gemacht, meine Ansichten in einemkleinen Pamphlet zu veröffentlichen. Die Behörden gelangtenzu der Auffassung, es sei ketzerisch und ...«

»Sie wurden ebenfalls zu einem Gesetzlosen.«»Das trifft es mehr oder weniger.«»Warum sind Sie an Bord dieses Schiffs?«»Weil ich meine Forschungen fortgesetzt habe. Ich bin von

Ort zu Ort gezogen und habe das Chaos bekämpft, wo ichkonnte, Informationen gesammelt, wenn ich es gefunden hatte,und gottlose Zauberer aufgespürt. Ich bin mittlerweile so etwaswie ein Experte auf diesem Gebiet und fand am Ende eineZuflucht am Hofe Fürst Stephans. Er ist weitsichtiger als diemeisten Angehörigen unseres Adels. Er und die Ritter desWeißen Wolfs haben mir geholfen, meine Forschungen zufinanzieren. Vor fünf Jahren habe ich Ihren Freund Borekkennen gelernt, als er die Bibliothek im Tempel besuchte. Erwar äußerst interessiert, als er erfuhr, dass ich einen Weggefunden zu haben glaubte, wie man sich vor den schlimmstenAuswirkungen des Chaos schützen kann. Er hat michangeworben, um ihm zu helfen, sein Luftschiff auf dieser Reisezu schützen.«

Unversehens begann Felix den Maßstab der Planungen zubegreifen, welche in diese Queste eingegangen waren. Er warvon einer Größenordnung, wie er ihm noch nie zuvor begegnetwar. Borek hatte nicht nur den Bau des ausgedehntenIndustriekomplexes am Einsamen Turm überwacht, er hatteauch Ulrikas Vater beauftragt, einen vorgeschobenenStützpunkt einzurichten, und diesen Zauberer angeworben, umsie mit magischen Mitteln vor dem Chaos abzuschirmen. Deralte Zwerg hatte nicht übertrieben, als er behauptete, dies seisein Lebenswerk. Felix fragte sich, welche anderen

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planerischen Großtaten im weiteren Verlauf der Reise nochoffen zutage treten würden. Trotzdem hatten ihn SchreibersAusführungen nicht gänzlich überzeugt.

»Sie haben einen Weg gefunden, dieses Luftschiff vor denAuswirkungen des Chaos zu schützen?«

»Es gibt eine ganze Reihe, von der einfachen Rune über denSchutzzauber bis zu grundlegenden Vorsichtsmaßnahmen wiedie Gewährleistung eines angemessenen Vorrats unbelasteterNahrungsmittel und Getränke. Glauben Sie mir, Felix, ich hättenicht mein Einverständnis gegeben, ihnen allen zu helfen,wenn ich nicht der Ansicht wäre, dass sie gute Aussichtenhaben, diese Reise unbeschadet zu überstehen.«

»Dann werden Sie uns also nicht begleiten?«»Nur bis nach Kislev. Nicht den ganzen Weg bis Karag

Dum.«Felix sah den Zauberer überrascht an.»Ich sagte Ihnen doch, Felix, ich bin ein Gelehrter. Dies ist

mein Gebiet. Ich habe alles studiert, was ich über das Themafinden konnte. Ich war durchaus in der Lage, mir selbstzusammenzureimen, warum eine Expedition dieserGrößenordnung von einem Zwerg wie Borek vorbereitet wird.Ich war nicht überrascht, als er mir von seinem Ziel berichtethat.«

Schreiber erhob sich aus dem Sessel. »Da wir gerade vondem langbärtigen Gelehrten reden, ich muss jetzt gehen undeinige Dinge mit ihm besprechen. Aber ich hoffe, dass wirnoch Gelegenheit haben werden, uns ein wenig ausführlicherzu unterhalten, bevor diese Reise zu Ende ist.«

Er verbeugte sich und ging, aber in der Tür drehte er sichnoch einmal um. »Ich bin froh, dass ein gebildeter Mann anBord ist. Ich dachte schon, ich müsste die Zeit damitverbringen, der entzückenden Ulrika nachzusetzen. Es wirdsicher nett, außerdem noch einige erhellende Gespräche zu

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führen.«Felix wusste selbst nicht, warum er solchen Anstoß an dieser

Bemerkung nahm. Vielleicht, sagte er sich, war er einfacheifersüchtig. Und dann fragte er sich warum er bereits so füreine Frau empfand, mit der er erst ein Mal zusammengetroffenwar.

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10Kislev

Thanquols Sänfte wurde in größter Eile durch den großenTunnel des Unterwegs nach Norden geschafft. DieserAbschnitt der gewaltigen Straße, die unter dem Rückgrat desWeltrandgebirges verlief, war fast vollkommen leer.Normalerweise wäre Thanquol angesichts seiner erheblichreduzierten Leibgarde in diesen gefährlichen Gängen nervösgewesen. Er konnte leicht von Orks, Goblins oder zwergischenKohorten bei dem Versuch angegriffen werden, einen Teilihrer uralten Domäne zurückzugewinnen. Aber in diesemAugenblick war der Graue Prophet zu aufgeregt, um nervös zusein.

Er nagte vor Verzweiflung an seinem Schwanz. Von seinemLakai Lurk wusste er, dass das Luftschiff Middenheimverlassen hatte und nach Nordosten unterwegs war. Demwehleidigen Tropf war es gelungen zu melden, dass siezunächst ein Gewässer überflogen hatten und das Land unterihnen nun zunehmend öder aussah. Zum Glück für Thanquolwar er ein weit gereister Skaven mit beträchtlichenKenntnissen, und er folgerte, dass es sich bei demBestimmungsort des Luftschiffs nur um das den Menschen alsKislev bekannte Land handeln konnte.

Er hatte keine Ahnung, was diese dummen Zwerge in dieserbarbarischen Gegend wollten. Vielleicht hatten sie Gerüchteüber Gold und alte Schätze gehört. Wenngleich Zwerge nichtdie Rasse waren, die er am eingehendsten studiert hatte, wussteThanquol doch genug über sie, um zu vermuten, dass dies ihrwahrscheinlichstes Ziel war. Bedauerlicherweise hatte er keineAhnung, wohin sie das schließlich führen mochte, undaußerdem wusste er, dass das Luftschiff viel schneller und viel

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weiter flog, als er es mit gewöhnlichen Mitteln schaffte.Er war fast versucht, Lurk zu befehlen, irgendein Mittel zu

finden, das Luftschiff zu sabotieren, um ihm Zeit zumAufholen zu verschaffen. Nur eine einzige Überlegung hieltihn davon ab. Seiner beträchtlichen Erfahrung nach würde eintölpelhafter Lakai wie Lurk irgendetwas falsch machen undentweder bei dem Versuch sterben oder das Luftschiffzerstören, das Thanquol unbedingt besitzen wollte. Nein - solcheinen Befehl zu geben war die allerletzte Möglichkeit, undThanquol kam zu dem Schluss, er würde sehr verzweifelt seinmüssen, um es auf diese Weise zu versuchen. Bis dahin würdeer alle anderen Wege beschreiten, die ihm offen standen.

Er ging diese Wege durch. Vielleicht konnte er mit denHerrschern des Moder-Klans Verbindung aufnehmen. Ihremächtige Festung, Höllenpfuhl, befand sich im nördlichenKislev und war die nächste Hochburg der Skaven imvoraussichtlichen Zielgebiet des Luftschiffs. Ein schwächererIntellekt wie derjenige Thanquols hätte dies vielleicht für einenklugen Plan gehalten. So mächtig er unzweifelhaft war, selbstder Graue Prophet musste zugeben, dass die Eroberung desLuftschiffs ohne fremde Hilfe sehr wahrscheinlich seine Kräfteüberstieg.

Er würde Hilfe brauchen, auch wenn dies bedeutete, miteingekniffenem Schwanz zum Moder-Klan zu laufen. Aberihm war auch der Gedanke gekommen, dass es vielleicht nichtangeraten sein würde, ihnen alle Einzelheiten seines Plansmitzuteilen, da sie versuchen mochten, das Luftschiff für sichselbst zu erobern. Da es sich bei ihnen jedoch um stümperhafteNarren handelte, würden sie ohne seine Anweisungenzweifellos ebenfalls scheitern.

Nein, entschied er, am besten war, wenn er so rasch wiemöglich nach Norden eilte und hoffte, dass sich etwas ergab,das die Zwerge bis zu seinem Eintreffen aufhielt. Er lehnte sichaus dem Fenster der Sänfte und piepste seinen Trägern zu, ihre

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Anstrengungen zu verdoppeln. Da sie den rechtschaffenenZorn ihres Gebieters fürchteten, huschten sie etwas schnellerdahin, während sie unter der Last ihrer Bürde und seinerZauberausrüstung ächzten.

Felix hatte sich Kislev immer als ein Land von Eis undSchnee vorgestellt, wo ständig Winter herrschte und die Leutein Pelze gehüllt waren. Das Land unter ihm widersprach dieserEinschätzung entschieden. Es bestand aus welligen, mit langemGras bewachsenen Ebenen inmitten dichter Pinienwälder. EinAugenblick des Nachdenkens verriet ihm, dass dies so seinmusste, denn Kislev war ein Land, das für seine Reiter berühmtwar, und das wäre kaum möglich gewesen, wenn die Kisleviterinmitten endloser Schneewehen leben würden.

Felix musste zugeben, dass hier die Sonne eher noch hellerschien als im Imperium. Der kislevitische Sommer mochtekurz sein, aber er war auch intensiv. Felix fragte sich, ob diesebenfalls zu Boreks Plan gehörte, nach Norden zu fliegen,bevor die stürmischen Winterwinde das Fortkommen desLuftschiffs behinderten. Falls sich herausstellte, dass es so war,würde es ihn nicht überraschen. Der Einfallsreichtum, mit demdiese Expedition vorbereitet worden war, hatte nicht mehr dasGeringste mit seinen willkürlichen Wanderungen mit Gotrekzu tun. Auf ihren Reisen hatten sie einfach beschlossen, dorthinzu gehen, wohin der Zufall sie führte, wobei ihnen nur das half,was sie gerade bei sich hatten. Offensichtlich war dies keintypisch zwergisches Verhalten, außer vielleicht, wenn Slayerbetroffen waren.

Unter dem Luftschiff machte er eine Herde Karibus aus, dievom riesigen Schatten des Luftschiffs aufgescheucht wordenwaren und davonsprangen. Jäger erhoben sich aus ihrenVerstecken und schirmten die Augen ab, um das Vehikel imVorbeiflug staunend zu betrachten. Einer von ihnen, tapfereroder verängstigter als die Übrigen, warf seinen Speer nach

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ihnen, aber der Wurf war viel zu kurz, und der Speer fiel mitder Spitze voran herunter und blieb bebend im hohen Grasstecken.

Sie flogen aus einem guten Grund unterhalb der Wolken.Beobachter lugten durch jedes Bullauge und durch die großenFenster der Kommandozentrale. Sie näherten sich ihremBestimmungsort, und sie alle hatten den Befehl, nach demAnwesen von Ulrikas Vater Ausschau zu halten. Makaissonhatte sie in das entsprechende Gebiet geführt. Jetztdurchstöberten sie die Landschaft und suchten den genauenFleck, wo sie ihre letzte Zwischenlandung machen würden,bevor sie in die Chaos-Wüste aufbrachen.

Bis jetzt hatten sie nur da und dort Jäger und das eine oderandere Dorf gesehen, wo sich aus Öffnungen in denstrohgedeckten Dächern der bäuerischen Holzhütten trägeRauch himmelwärts schraubte. Ihr Auftauchen hatte die Bauernvon ihrer Erntearbeit verscheucht und in ihre Hütten getrieben.Zweifellos waren sie davon überzeugt, dass es sich bei demLuftschiff um eine neue Manifestation des Chaos handelte, diegekommen war, ihr Land heimzusuchen.

Felix war immer noch erstaunt, wie rasch sie die Entfernungzurückgelegt hatten. Für eine Reise, die über Land Monategedauert hätte, würden sie höchstens ein paar Tage benötigen,und einen Großteil dieser Zeit hatten sie mit der Suche nachdem Anwesen des Markgrafen in diesem Grasmeer verbracht.Diese von den Zwergen entwickelte Technik war wahrhaftigeine äußerst mächtige Form der Magie.

»Da!«, hörte er Ulrika rufen und sah sie auf etwas in derFerne zeigen, als er sich zu ihr umdrehte. Es lag im Schatteneiner entfernten Kette dunkler und bedrohlich wirkender Berge.Ulrikas Augen mussten sehr scharf sein. Er konnte lediglicheinen vagen Rauchfleck sehen.

Makaissons Hände drehten am Steuer, und die Nase des

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Luftschiffs schwang in die angegebene Richtung. Er schob denHöhenregler etwas nach vorn, und sie flogen tiefer undschneller und scheuchten Scharen erschreckter Vögel aus demhohen Gras auf. Als die Berge näher kamen, schaute Felixangestrengt in die entsprechende Richtung. Schließlich konnteer ein großes, längliches Gebäude erkennen, das langsam inSicht kam. Zu seiner Überraschung gab es abgesehen von demeigentlichen Wohnhaus innerhalb der massiven Mauern desAnwesens einen hohen Turm, eine kleinere, hölzerne Versiondes stählernen Ungetüms im Tal des Einsamen Turms.

Dann war dies also der Ort, wo sie landen würden. Diesmochte durchaus die letzte menschliche Behausung sein, die erje zu Gesicht bekommen würde.

Ulrikas Vater war massig, einen Kopf größer als Felix undstämmig wie ein Bär. Sein Bart war lang und weiß, aber seinKopf war bis auf einen einzelnen Dutt geschoren. Seine Augenwaren so verblüffend blau wie die seiner Tochter. Seine Zähnewaren gelb. Eine dicke Ledertunika umschloss seinen Leib.Eine grobe Stoffhose bedeckte seinen Unterkörper, und er trughohe Reitstiefel. Ein Langschwert und ein Kurzschwert hingenan einem breiten Ledergürtel. An seinem Hals klimperten einDutzend Amulette an Eisenketten.

Er schritt den am Fuß des Turms wartenden Zwergenentgegen. Hinter ihm präsentierte eine Reihe von Kriegern dieWaffen mit ritueller Förmlichkeit. Vor Ulrika blieb er stehenund zog sie an seine mächtige Brust, dann hob er sie hoch undwirbelte sie im Kreis herum wie ein kleines Kind.

»Willkommen daheim, Tochter meines Herzens!«, bellte er.»Es ist gut, wieder hier zu sein, Vater. Jetzt setz mich ab und

begrüß deine Gäste.«Der alte Mann lachte dröhnend, und er stapfte zu der

wartenden Besatzung des Luftschiffs. Im letzten Augenblick

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nahm er Abstand davon, die Zwerge zu umarmen. Vielmehrverbeugte er sich tief nach Art der Zwerge und bewies damitfür einen Mann seines Alters und enormen Leibesumfangs eineerstaunliche Biegsamkeit.

»Borek Gabelbart! Es ist gut, dich zu sehen. Ich glaube, duwirst alles vorfinden, was du dir ausbedungen hast.«

»Ich glaube, das werde ich«, sagte der alte Zwerg, indem ersich ebenso tief verbeugte.

»Gotrek Gurnisson, ich heiße dich ebenfalls willkommen. Esist lange her, seit du mein Heim mit deiner Anwesenheit beehrthast. Es freut mich zu sehen, dass du immer noch deine Axtträgst.«

»Es freut mich zurückzukehren, Iwan MikelowitschStraghov«, sagte Gotrek auf seine am wenigsten mürrische Art.Felix nahm an, dass der Slayer sich tatsächlich freute, denKisleviter wiederzusehen.

»Und wer ist das? Snorri Nasenbeißer? Ich muss dafürsorgen, dass ein Eimer Wodka an deinem Tisch steht.Willkommen!«

»Snorri hält das für eine gute Idee.« Einer nach dem anderenwurden alle Zwerge vorgestellt, und dann führte Ulrika ihrenVater dorthin, wo Felix und der Zauberer warteten.

»Vater, das ist Felix Jaegar aus Altdorf.« »Freut mich, IhreBekanntschaft zu machen«, sagte Felix, indem er die Handausstreckte. Straghov ignorierte sie, da er sich vor Felixaufbaute, ihn umarmte und zum Willkommen auf jede Wangeküsste. »Willkommen! Willkommen!«, bellte er so laut inFelix' Ohr, dass dieser um sein Gehör fürchtete. Bevor Felixreagieren konnte, hatte der alte Mann ihn bereits wiederlosgelassen und verfuhr nun ebenso mit Schreiber.

»Ich danke Ihnen für die Begeisterung Ihres Willkommens,mein Herr«, sagte der Zauberer, als er wieder zu Atemgekommen war.

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Felix wechselte einen Blick mit Ulrika, dann betrachtete erverwundert die Reihe der Krieger, die den Weg zum Anwesensäumten. Iwan Straghov mochte wie ein Barbar aussehen undsich auch so benehmen, aber es konnte kein Zweifel bestehen,dass er in seinem Land ein mächtiger Herrscher war. HundertReiter standen als Ehrengarde in Bereitschaft. Alle hatten harteGesichter und kalte Augen und sahen so aus, als könnten siemit den gepflegten Waffen umgehen, die sie zu Ehren derZwerge präsentierten. Ulrika zufolge gab es weitereneunhundert dieser grimmigen Reiter, die ihrem Vater dieTreue geschworen hatten. Die Stellung des Markgrafen waroffenbar bedeutend. Da er die erste Verteidigungslinie gegendie Horden des Chaos bildete, musste sie das wohl auch sein."»Jetzt essen wir!«, donnerte Straghov. »Und trinken!«

Große Tische waren innerhalb der Mauern des Anwesensaufgestellt worden. Grenzlandbewohner von überallher wareneingeladen worden, zu schmausen und das Luftschiff derZwerge zu bestaunen. Karibus wur-den an Drehspießen übergroßen Feuern gebraten. Riesige Teller quollen über vongrobem Schwarzbrot und Käse. Große Flaschen mit einemfeurigen Geist, den Snorri als Wodka identifizierte, wurdenneben jedes Gedeck gestellt. Wie versprochen, bekam Snorrieinen ganzen Eimer serviert.

Felix folgte dem Beispiel der Einheimischen und stürzte seinGlas in einem einzigen raschen Schluck herunter. Er hatte dasGefühl, flüssiges Metall getrunken zu haben. Eine Säurewolkeschien ihm die Kehle auszubrennen und sich in seine Nase zutasten, sodass ihm die Tränen kamen. Er glaubte, er müsseFeuer atmen, und er konnte gerade noch einen drohendenHustenanfall unterdrücken. Er nahm an, dass so ein Verhaltenin dieser Gegend wahrscheinlich nicht als gutes Benehmengalt. Er war froh, sich so zusammengerissen zu haben, als ersah, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren, um zu sehen, wieer auf seine erste Bekanntschaft mit diesem Geist reagierte.

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»Du trinkst wie ein geflügelter Ulan!«, bellte Straghov, undalle knallten zustimmend ihre Gläser auf den Tisch. IhrGastgeber bestand darauf, dass jeder sein Glas füllte, und riefdann: »Auf Felix Jaegar, der aus dem Land unsererVerbündeten stammt, dem Imperium!«

Natürlich blieb Felix nichts anderes übrig, als daraufseinerseits mit einem Trinkspruch auf die alte Freundschaftzwischen seinem Volk und dem Volk Kislevs zu antworten. Esdauerte nicht lange, bis die Zwerge ebenfalls einfielen. Felixnahm zur Kenntnis, dass sich eine angenehme Wärme inseinem Magen ausgebreitet hatte und seine Finger sich einwenig taub anfühlten. Jedenfalls ließ sich der Wodkazweifellos umso leichter trinken, je mehr Gläser er intus hatte,und nach kurzer Zeit hatte er nicht mehr das Gefühl, alsverbrenne der Wodka ihm die Kehle.

Große Berge von Speisen wurden verschlungen. Trinkspruchauf Trinkspruch wurde ausgesprochen. Großartige Reden desWillkommens und der Freundschaft wurden gehalten, bis dieDunkelheit hereinbrach. Irgendwann im Laufe des Nachmittagsverlor Felix den Überblick. Sein Kopf schwamm vom Wodka,und er war sich nur vage der Tatsache bewusst, dass er viel zuviel aß, viel zu viel trank und in das Singen von Liedern einfiel,deren Text er nicht kannte. Er war sicher, dass er irgendwannim Verlauf des Abends mit Ulrika tanzte, bevor sie von dannenwirbelte, um mit Schreiber zu tanzen, und einige Zeit danachtorkelte er davon, um sich neben den Ställen zu übergeben.

Danach löste sich alles in vollständige Leere auf, und großeAbschnitte seiner Erinnerung fielen dem Wodka und derkislevitischen Gastfreundschaft zum Opfer. Für den Rest seinesLebens sollte er nicht mehr genau wissen, mit wem er geredet,was er gesagt und wie er in die Kammer gefunden hatte, dieihm zugewiesen worden war. Aber bis in alle Ewigkeit sollte erdankbar dafür sein, dass er dies überhaupt geschafft hatte.

Am nächsten Tag erwachte Felix mit dem Gefühl, ein Pferd

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habe ihm einen Tritt an den Kopf versetzt. Vielleicht wargenau das sogar geschehen, dachte er missmutig. Er tastete inseinem Gesicht nach Schrammen, fand aber keine. Er sah sichim Zimmer um und stellte fest, dass der Boden ausgestampftem Lehm bestand. Die Matratze war mit Strohgefüllt, und jemand hatte eine dicke Decke über ihn geworfen.In der Nacht hatte er auf sein Kissen gesabbert, und wo seinKopf gelegen hatte, war noch ein nasser Fleck zu sehen.Zumindest hoffte er, dass es nur Speichel war.

Er richtete sich auf und fragte sich, ob er tatsächlichirgendwann in der vergangenen Nacht Snorri Nasenbeißer zueinem Ringkampf herausgefordert hatte. Er schien sich ganzvage an einen derartigen Vorfall zu erinnern, aber vielleichthatte er auch nur davon geträumt. Jedenfalls fühlten seineBeine sich so verdreht an, dass er durchaus solch ein albernesUnterfangen versucht haben mochte. Das war das Schlimmstean einem schweren Zechgelage. Man konnte sich anschließendnicht mehr richtig erinnern, was man gesagt, wen man beleidigtund wen man zu welchen albernen Dingen herausgeforderthatte. Man erging sich einfach in wahnsinnigem Verhalten. Indiesem Augenblick fragte er sich, ob es vielleicht stimmte, dassder Alkohol ein Geschenk der Finsteren Götter des Chaos seimit dem Ziel, die Menschen wahnsinnig zu machen, wie eseinige der Abstinenz predigenden Kulte im Imperiumbehaupteten. Im Moment war es ihm ziemlich gleichgültig. Erwusste nur, dass er die Absicht hatte, nie wieder zu trinken.

Es klopfte an die Tür. Felix stieß sie auf und blinzelte in dasgrelle Tageslicht.

»Erstaunlich«, sagte Ulrika anstelle einer Begrüßung. »Siesind auf den Beinen. Das hätte ich nach der Unmenge Wodka,die Sie letzte Nacht getrunken haben, nicht für möglichgehalten.«

»So beeindruckend?«

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»Alle waren beeindruckt. Besonders von der Art und Weise,wie Sie den Luftschiffturm erklommen haben, während Sieeines Ihrer Gedichte rezitierten.«

»Ich habe was getan?«»Ich mache nur Spaß. Sie haben nur den Turm erklommen.

Die meisten Leute waren der Ansicht, Sie würden abstürzenund sich den Hals brechen, aber nein ...«

»Ich habe tatsächlich den Turm erklommen?«»Natürlich. Erinnern Sie sich denn nicht mehr? Sie haben

mit Snorri Nasenbeißer um ein Goldstück gewettet, dass Sie eskönnten. Sie wollten es sogar mit verbundenen Augen tun, aberSnorri war der Ansicht, das sei ein unzulässiger Vorteil, weilSie dann nicht den Boden sehen könnten und sich daherweniger fürchten würden. Das war gleich nachdem Sie beimArmdrücken gegen ihn ein Silberstück verloren hatten.«

Felix stöhnte. »Was habe ich sonst noch getan?«»Als wir getanzt haben, sagten Sie zu mir, ich sei die

schönste Frau, die Sie je gesehen hätten.«»Was? Das tut mir Leid.«»Das braucht es nicht! Sie haben mir sehr geschmeichelt.«Felix spürte, wie er errötete. Es war eine Sache, einer

hübschen Frau zu schmeicheln, aber es war eine ganz andere,sich nicht mehr daran erinnern zu können.

»Sonst noch etwas?«»Reicht das nicht für eine Nacht?«, erwiderte sie lächelnd.»Wahrscheinlich schon.«»Dann sind Sie jetzt also bereit für den Ausritt?«»Wie?«»Sie haben mir erzählt, Sie wären ein großartiger Reiter, und

Sie wollten heute Morgen mit mir ausreiten. Ich möchte Ihnenden Besitz zeigen. Letzte Nacht waren Sie ganz begeistert von

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der Idee.«Felix stellte sich vor, dass er betrunken war und mit dieser

unglaublich hübschen Frau redete. Wenn sie ihm angebotenhätte, ihm die Schweinekoben ihres Vaters zu zeigen, hätte erin seinem berauschten Zustand vermutlich ebenfallslobenswerte Begeisterung dafür aufgebracht. Tatsächlich warer sicher, dass es ihm gelungen wäre, in jedem ZustandBegeisterung an den Tag zu legen außer in seinemgegenwärtigen. Sein Katzenjammer ließ sogar Ulrika Magdovaweniger hinreißend erscheinen als die Aussicht, sich wiederschlafen zu legen.

»Ich freue mich darauf, Sie auf einem Pferderücken zusehen. Es dürfte ein beeindruckender Anblick sein.«

»Es könnte sein, dass ich etwas übertrieben habe, was meineReitkünste betrifft.«

»Sie können reiten?«»Äh, ja.«»Letzte Nacht erzählten Sie mir, Sie könnten ebenso gut

reiten wie jeder Kisleviter.«Felix stöhnte abermals. Hatte irgendein Dämon die

Herrschaft über seine Zunge übernommen, während er unterdem Einfluss des Wodkas stand? Was hatte er sonst nochgesagt? Und warum hatte er überhaupt so viel getrunken?

»Dann sind Sie also bereit?«Felix nickte. »Ich will mich aber vorher noch waschen.«Er ging nach draußen auf den Hof. Snorri Nasenbeißer lag

halb auf dem Tisch, den Kopf in einen Eimer getaucht. Gotreklag schnarchend neben den schwelenden Überresten einerFeuergrube, die tröstende Axt mit beiden Händenumklammernd. Felix ging zur Wasserpumpe, hielt den Kopfdarunter und bewegte den Hebel auf und ab.

Der kalte Strom sandte einen Schock durch seinen ganzen

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Körper. Er prustete und blies die Wangen auf und pumpteweiter in der Hoffnung, den Kater dadurch zu vertreiben, dasser sich noch größere Schmerzen zufügte.

Hatte er wirklich all diese Dinge gesagt, oder hielt UlrikaMagdova ihn zum Besten? Er fand es nicht schwer zu glauben,dass er zu ihr gesagt haben sollte, sie sei wunderschön. In denletzten Tagen hatte er es oft genug gedacht. Er neigte dazu, zuviel zu reden, wenn er schwer betrunken war. Andererseitsschien es kaum möglich zu sein, dass er den Luftschiffturmerklommen hatte, während er so betrunken war, dass er sichnicht mehr daran erinnern konnte. Es war ein Akt geradezuirrsinnigen Leichtsinns. Nein, entschied er, es war einfachunmöglich. Sie musste ihn aufziehen.

Snorri zog den Kopf aus dem Eimer. Er schaute mitverquollenen Augen in Felix' Richtung. »Wegen desGoldstücks, das Snorri dir schuldet...«

»Ja«, sagte Felix unbehaglich.»Snorri bezahlt dich, wenn wir wieder aus der Chaos-Wüste

zurück sind.«»Das klingt vernünftig«, sagte Felix und eilte zu den Ställen.

Felix lehnte sich im Sattel zurück und ließ den Kopf kreisen,um die Steifheit im Hals zu vertreiben. Er schaute von derKuppe der Anhöhe dorthin, wo die kleinen Bäche über diewellige Ebene flössen. Das Land war an diesen Stellen einwenig sumpfig, und bunte Vögel erhoben sich aus dem Schilfoder landeten darin. Er glaubte ein paar Frösche ins Wasserspringen zu sehen. Libellen surrten an seinem Gesicht vorbeiwie auch andere größere Insekten, die er nicht kannte. Einigevon ihnen hatten bunte, metallisch leuchtende Panzer, die vielauffälliger waren als bei allen Insekten, die er kannte. War diesvielleicht ein Anzeichen für die Nähe der Wüste?, fragte ersich.

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Er warf einen Blick auf seine Begleiterin und lächelte da erendlich froh war, hier zu sein. Zuerst war ihm der Rittvorgekommen wie eine raffinierte Form der Folter da dieBewegungen des Pferds Felix' empfindlicher« Magen zuKrämpfen der Übelkeit veranlassten. Er hatte die Frauverflucht, sein Reittier, die frische Luft und die helle Sonne,und zwar ungefähr in dieser Reihenfolge. Aber die körperlicheBetätigung und die Sonne schienen endlich ihre Wirkung getanund seinen Katzenjammer in die düsteren Nischen seinesSchädels verdrängt zu haben. Sein Interesse an der Landschaftwar erwacht, und er genoss sogar den Eindruck derSchnelligkeit, den Wind im Gesicht und die Sonne auf derHaut.

Ulrika ritt mühelos, als sei sie im Sattel geboren. Sie wareine kislevitische Adelige, folglich ritt sie buchstäblich, seit sielaufen konnte. Sie hatte seit ihrem Aufbruch kein Wortgesprochen, anscheinend zufrieden damit, unter demunendlichen weiten Himmel dahinzurasen, bis sie diese kleineAnhöhe erreicht und in wortlosem Einvernehmen angehaltenhatten.

Jenseits der Bäche in weiter Ferne ragten die dunklen Bergedrohend dem Horizont entgegen. Ihre gewaltige Masse schienaus den kahlen Knochen der Erde gemeißelt zu sein. Sie sahentrostloser aus als jedes Gebirge, das er bisher gesehen hatte.Auf den zerklüfteten Gipfeln lag kein Schnee, aber es gab eineAndeutung von etwas anderem, von einem öligen Film, dessenFarben im Sonnenlicht schimmerten und ständig wechselten.Diese Berge strahlten eine finstere und bedrohliche Aura ausund wiesen darauf hin, dass hinter ihnen die ersten Ausläuferder Chaos-Wüste lagen.

»Was ist das für ein Pass?«, erkundigte sich Felix, indem ernach Norden auf die gewaltige Lücke zeigte, die aussah, als seisie von der Axt eines Riesen in das Gebirge gehauen worden.

»Das ist der Schwarzblutpass«, sagte Ulrika ruhig. »Er ist

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eine der Hauptrouten aus der Wüste hierher und der Grund,warum die Zarin hier draußen diesen Außenposten errichtethat.«

»Nehmen die Finsteren oft diesen Weg?«»Man weiß nie, wann sie kommen oder in welcher Form.

Manchmal sind es gewaltige Reiter in schwarzen Rüstungen.Manchmal sind es Tiermenschen mit den Köpfen von Tierenund den Waffen von Menschen und manchmal auch andereentstellte Wesen, die noch schlimmer sind. Es scheint keinenAnlass und auch keine Regel zu geben. Es spielt keine Rolle,ob es Hochsommer ist oder tiefster Winter. Sie könnenjederzeit kommen.«

»Ich war nie in der Lage zu ergründen, wie das Chaosvorgeht. Vielleicht sollten Sie mit Herrn Schreiber darüberreden.«

»Vielleicht. Aber ich bezweifle, dass Max' TheorienAufschluss darüber geben könnten. Am besten hält man dieWaffen scharf und die Leuchtfeuer bemannt und ist jederzeitkampfbereit.«

»Leuchtfeuer?«»Aye. Es gibt eine Kette von Leuchtfeuern, die ihren Anfang

am Pass nimmt. Wenn sie brennen, wissen alle Landleute, dasssie in ihre Dörfer fliehen und die Tore verriegeln müssen, undalle Ulane wissen, dass sie sich auf dem Anwesen meinesVaters zu versammeln haben.«

»Rauch am Tag, Feuer in der Nacht«, murmelte Felix.»Ja.«»Sie leben in einem beängstigenden Land, Ulrika.«»Aye, aber es ist auch wunderschön, nicht wahr?« Er sah sie

an und das Land hinter ihr und nickte. Ihre Pupillen waren sehrgroß und die Lippen ein wenig geöffnet. Sie lehnte sich einwenig in seine Richtung. Felix erkannte einen Wink, wenn er

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einen hörte.»Das ist es. So schön wie Sie.« Er beugte sich zu ihr. Ihre

Hände begegneten sich, und Finger verschränkten sich. IhreLippen berührten sich. Es war, als habe Felix einenelektrischen Schlag bekommen, und es war fast so schnellvorbei, wie es geschehen war. Ulrika löste sich von ihm undwendete ihr Pferd.

»Es wird spät. Wir reiten zum Anwesen zurück«, sagte sieund trieb ihr Pferd vorwärts. Mehr als nur ein wenig enttäuschtsetzte Felix ihr nach.

Lurk huschte über das Dach der Gondel. Er war so glücklichwie schon lange nicht mehr. Es war dunkel, und die auf demLuftschiff zurückgebliebene Rumpfmannschaft schlief mitAusnahme des Zwergs in der Kommandozentrale. Die anderenwaren auf dem Anwesen und tranken, lachten und sangen ihrealbernen Lieder. Im Laderaum gab es reichlich Nahrung, undbisher wies nichts darauf hin, dass seine Anwesenheit bemerktworden war. Jetzt, da er sich langsam entspannter fühlte,konnte er die Neugier befriedigen, die ein weiteresWesensmerkmal der Skaven war. Er war im Luftschiffumhergeschlichen und hatte alle Nischen und Winkel erforscht,und dabei hatte er einige hoch interessante Dinge entdeckt.

Es gab einen flexiblen Metalltunnel, der zu dem großenBallon über der Gondel führte. Er verlief durch die Hülle undendete an einem kleinen Beobachtungsdeck auf dem Ballon.Eine Luke führte hinaus auf die Hülle, und das ganze Ding warmit einem Netz verkleidet, an dem man sich festhalten konnte.

Am Heck des Luftschiffs gab es eine Kammer, die eine derkleinen Flugmaschinen enthielt, welche dabei geholfen hatten,die Truppen der Skaven bei der Schlacht um den EinsamenTurm in die Flucht zu schlagen. Es gab ein großes Tor und eineRampe, die aussahen, als seien sie so angelegt, die

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Flugmaschine bei Bedarf hinauszulassen. Hätte er genuggewusst, um das Ding zu fliegen, hätte er es stehlen und alsHeld nach Skavenblight zurückkehren können. Der Drang, sichin das Ding zu setzen und Schalter umzulegen und Hebel zuziehen, war fast unwiderstehlich gewesen. Er hatte es ernsthaftin Erwägung gezogen - aber der Graue Prophet war bei ihremletzten Gespräch sehr deutlich gewesen.

Lurk sollte ohne die ausdrücklichen Anweisungen Thanquolsnichts tun und auch nichts anfassen. Die Worte des GrauenPropheten waren ziemlich beleidigend gewesen, hatten siedoch anklingen lassen, dass Lurk ein Idiot sei, der ohneThanquols Anweisungen etwas katastrophal Falsches tunwürde. Da war es gut für Thanquol, dass er war, wer er war,dachte Lurk.

Nur ein Zauberer von Thanquols Kaliber konnte ungestraftso mit Lurk reden.

Nein, er würde einfach abwarten und gar nichts unternehmenmüssen, bis er seine Befehle bekam. Er konnte sonst nichtsmehr tun außer warten.

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11Nordwärts

Felix gesellte sich zu den Bauern im Hof und starrte zumLuftschiff empor. Proviant wurde an Bord des Gefährtsgebracht, eine Erinnerung an die grimmige Gewissheit, dass siediesen Ort allzu bald verlassen mussten.

Kisten, Behälter und große Ledersäcke wurden mit Windenauf den Turm und dann über den Verbindungssteg ins Schiffgehievt. Es sah ganz so aus, als hätten die Zwerge die Absicht,als Ergänzung zu ihren Ale-Fässern reichlich Wodka mit anBord zu nehmen, denn, wie Snorri aufgezeigt hatte, mankonnte in diesen Dingen nie vorausschauend genug sein. Dergrößte Teil des Proviants war jedoch grundlegenderer Art:geräuchertes und luftgetrocknetes Karibufleisch, hunderte vonSchwarzbrotlaiben und ebenso viele runde Käse. Was sonstauch geschehen mochte, Felix glaubte nicht, dass sieverhungern würden, wenn sie nicht gerade eine Ewigkeit in derChaos-Wüste verbrachten. Natürlich war das Verhungern seinegeringste Sorge.

Ihm war aufgefallen, dass die Zwerge Veränderungen anihrem Vehikel vornahmen. Feine Drahtgitter waren auf dieBelüftungslöcher gesetzt worden, die immer noch den Zustromfrischer Luft ermöglichten. Das Gittergeflecht sollte denmutierenden Staub aus der Luft filtern, der aus der Chaos-Wüste aufstieg. Zwerge in komplizierten Geschirren hingenüberall am Rumpf des Luftschiffs und nahmen letzteVeränderungen an der Maschine und den Rotoren vor.

Auch andere Vorbereitungen wurden getroffen. Vor dreiTagen hatte Max Schreiber sich in einen kleinen Turm unweitdes Anwesens zurückgezogen und sich mit einemgeheimnisvollen Ritual beschäftigt. Bei Nacht konnte Felix

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einen unheimlichen Schein sehen, der die Fenster des Turmserhellte, und das seltsame Kribbeln seiner Nackenhaare spüren,welches ihm verriet, dass Magie gewirkt wurde. Falls dieseinen der anderen störte, ließ es sich niemand anmerken.Vermutlich hatte Borek ihnen erzählt, der Zauberer habe dieAufgabe, ihnen dabei zu helfen, den bösen Einfluss des Chaosabzuwehren, und genau das schien er zu tun. Schreiber hatteihm verraten, dass dies auf den letztmöglichen Augenblickgeschoben worden war, weil die Magie mit der Zeit ihre Kraftverlor. Je später er den Zauber wirkte, desto länger würde ersich unter dem Einfluss der Wüste halten. Felix sah keinenGrund, an der Sachkenntnis des Magiers zu zweifeln.

Wenn Felix nach oben schaute, konnte er die Technikussesehen, die über das Geflecht an der Seite des riesigen Ballonskletterten und Gegenstände anbrachten; der Art nach zuurteilen, wie sie manchmal funkelten, wenn das Licht auf siefiel, musste es sich um juwelenbesetzte Amulette handeln. DieAugen der Galionsfigur waren durch zwei seltsam leuchtendeJuwelen ersetzt worden. Ein- oder zweimal war er auf derBrücke der Geist Grungnis gewesen, um von Makaisson weiterdarin unterrichtet zu werden, wie man das Schiff flog.

Mittlerweile machten Felix diese Unterrichtsstunden großenSpaß, und er glaubte, dass er das große Luftschiff im Notfallwürde steuern können, obwohl er noch sehr unsicher war, ob erdas Ding auch würde landen können, wenn es sein musste. DieReihen kleinerer Hebel erfüllten, wie sich herausgestellt hatte,eine Vielzahl von Aufgaben. Einer ließ Ballast ab, wodurch dasSchiff rasch Höhe gewinnen konnte. Ein anderer ließ dieHörner ertönen, welche die Besatzung auf eine drohendeGefahr aufmerksam machten. Ein dritter würde im Fall einesFeuers an Bord das gesamte schwarze Zeug in denTreibstofftanks ablassen, eine Möglichkeit, die, wie Makaissonihm versicherte, so ungefähr das Schlimmste war, was demLuftschiff überhaupt widerfahren konnte.

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Mittlerweile hatte er großen Respekt vor dem leitendenTechnikus. Makaisson mochte durchaus so verrückt sein, wieGotrek behauptete, aber offenbar kannte er sich auf seinemFachgebiet aus und liebte es sehr; und er hatte Felix auch aufdessen komplizierteste Fragen noch einfache Antworten gebenkönnen. Er wusste jetzt, dass das Luftschiff flog, weil dieGasballons mit einer Substanz gefüllt waren, die leichter alsLuft war und daher eine natürliche Tendenz hatte aufzusteigen.Er wusste, dass das schwarze Zeug äußerst leicht entzündlichwar und sogar explodieren konnte, wenn es mit Feuer inBerührung kam, und dass dies der Grund war, warum es ineinem Notfall abgelassen werden musste.

Dennoch war das Leben in diesen warmen Sommertagen aufdem Anwesen des Markgrafen größtenteils idyllisch gewesen,und es hatte Augenblicke gegeben, in denen er die Gefahrvergessen konnte, die sie nach ihrer Abreise erwartete.Beinahe.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und ein Lachenertönte an seinem Ohr.

»Da sind Sie ja. Sagen Sie, können Sie mit dem Schwertauch umgehen, Herr Jaegar?« Es war Ulrika.

»Ja«, sagte er. »Ich hatte reichlich Gelegenheit zum Üben.«»Hätten Sie vielleicht Lust, mir etwas Unterricht zu geben?«»Wann und wo?«»Jetzt, draußen vor der Mauer.«»Gewiss.«Felix wusste nicht recht, was er erwartete, als er nach

draußen ging. Ulrika hatte bereits eine Klinge gezückt und ließsie ein paarmal probeweise durch die Luft zischen. Felix legteden Kopf ein wenig schief und beobachtete sie. Sie bewegtesich gut, die Beine weit gespreizt, den rechten Fußvorgeschoben, und hielt perfekt das Gleichgewicht, wenn sie

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vorrückte. Der Säbel funkelte grell in der Sonne, als sie nacheinem imaginären Feind hieb.

Er legte Umhang und Wams ab und schnallte seine Klingeab. Er hatte ein Langschwert, das länger und schwerer war alsihre Waffe. Es fuhr zischend durch die Luft, als er ebenfalls einpaar Probeschwünge ausführte. Felix trat zuversichtlich vor. Erwar gut mit einer Klinge und wusste es. In seiner Jugend hatteer sich in seinen Fechtstunden hervorgetan, und alsErwachsener hatte er unzählige Kämpfe überlebt. Und dieKlinge des Tempelritters, die er benutzte, war die leichtesteund beste, die er je geführt hatte.

»Nicht damit, Dummkopf! Damit«, sagte sie mit einemNicken in die Richtung einer anderen Klinge, die in einemHolzkoffer an der Mauer lag.

Felix ging dorthin. Er zog das Schwert aus der Scheide undbegutachtete es. Es handelte sich ebenfalls um einen Säbel,lang und ein wenig gekrümmt. Die Schneide war stumpfgemacht worden, was Sinn machte, wenn dies eineÜbungswaffe war. Er prüfte Gewicht und Balance. Der Säbelwar leichter als sein Schwert, aber der Griff fühlte sich fremdin seiner Hand an. Er versuchte ein paar Hiebe und Figurendamit.

»Daran bin ich nicht gewöhnt«, sagte er.»Ausflüchte, Herr Jaegar, alles nur Ausflüchte. Mein Vater

hat immer gesagt, bei einem Kampf müsse man in der Lagesein, jede Waffe zu benutzen, die gerade; zur Hand ist.«

»Er hat völlig Recht. Aber normalerweise sorge ich dafür,dass es sich bei der ersten Waffe, die gerade zur Hand ist, ummein Schwert handelt.«

Sie lächelte ihn lediglich spöttisch an, den Kopf ein wenigzur Seite geneigt, die Lippen ganz leicht geöffnet. Er zuckte dieAchseln und ging zu ihr, die Waffe nachlässig in der rechtenHand.

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»Sind Sie sicher, dass Sie das auch wirklich wollen?«, fragteer, wobei er ihr direkt in die Augen sah und sich fragte, warumsie dies eigentlich taten. Einige der Wachen mussten wohldasselbe denken, nahm er an, denn auf der Mauer hatte sicheine kleine Menge gebildet, um sie zu beobachten.

»Warum fragen Sie?«»Jemand könnte verletzt werden.«»Das sind Übungsklingen mit stumpfer Schneide.«»Trotzdem kann es zu Unfällen kommen.«»Haben Sie Angst, gegen mich zu kämpfen?«»Nein.« Er wollte sagen, dass er Angst habe, er könne ihr

wehtun, aber er hatte den Eindruck, dass er das besser bleibenließ.

»Sie sollten wissen, dass wir in Kislev bis zum erstenBlutstropfen kämpfen. Gewöhnlich kommt der Verlierer miteiner Narbe davon.«

»Ich habe schon viele.«»Die müssen Sie mir irgendwann zeigen«, meinte sie

lächelnd.Während Felix sich noch fragte, wie sie das wohl gemeint

hatte, sprang sie vor und stach zu. Felix schaffte es geradenoch, zur Seite zu springen, und so verlor er nur ein Stück Stoffseines Hemdes. Ein Reflex ließ ihn den nächsten Hieb parieren,und bevor er auch nur einen Gedanken daran verschwendenkonnte, war er bereits zum Gegenangriff übergegangen. Siewehrte den Hieb mühelos ab, und plötzlich zuckten ihreKlingen schneller vor und zurück, als das Auge folgen konnte.

Nach einigen Augenblicken sprangen sie auseinander.Keiner von ihnen atmete schwer. Felix ging auf, dass die Frausehr, sehr gut war. In einem ernsthaften Kampf und mit seinereigenen Klinge in der Hand war er wahrscheinlich der bessereSchwertkämpfer. Aber der Kampf mit diesem Tempo war in

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erster Linie eine Frage der Reflexe, der Reaktion, die derKämpfer so oft geübt hatte, dass sie mechanisch erfolgte. Beidieser Art des blitzschnellen Kampfs geschahen die Dinge zurasch für eine bewusste Reaktion. Die leichte gekrümmteKlinge brachte sein Zeitgefühl durcheinander und gab ihr einenVorteil. Und das war für eine ganze Weile seine letzteGelegenheit, darüber nachzudenken, da Ulrika wieder angriff.Die Wachen auf der Mauer jubelten ihr zu.

»Habe ich Ihnen bereits gesagt, dass ich bei meinenSäbelstunden alle Wachen meines Vaters besiegt habe?«, sagtesie, während es ihm gerade noch gelang, seine Klingehochzureißen, um ihren Angriff zu parieren. Sie hatte auch mitihrem Gerede vom ersten Blutstropfen nicht gescherzt. Dieswar ganz anders als die Übungskämpfe in seiner Jugend, woman kämpfte, um sein Geschick zu zeigen. Es hatte vielgrößere Ähnlichkeit mit einem richtigen Kampf. Er nahm an,dass es in gewisser Hinsicht sinnvoll war. In einem Land, dasso tödlich wie Kislev war, konnte man sich keine Reflexeaneignen, die einen dazu ve ranlassen würden, seine Hiebeabzubremsen. Er wusste es, denn es hatte vieler richtigerKämpfe bedurft, um diese Konditionierung zu überwinden.

»Wenn Sie es mir gesagt hätten, würden wir nicht hierstehen«, murmelte er, während er sie mit einigen wildenHieben eindeckte.

»Und ich habe auch alle Adeligen aus der Gegend besiegt.«Ihre Riposte riss sein Hemd an der Brust auf und trennte einenKnopf ab. Felix fragte sich, ob sie mit ihm spielte. Die Wachenauf der Mauer verhöhnten ihn.

»Seit ich fünfzehn bin, hat mich kein Mann mehr mit demSäbel besiegt.«

Felix bezweifelte, dass man sie absichtlich hatte gewinnenlassen, um sich bei ihrem Vater einzuschmeicheln. Er hattegegen viele Männer gekämpft, und sie war viel besser als die

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meisten. Sein Gesicht war gerötet, und er japste vorAnstrengung. Er ärgerte sich allmählich über die Art undWeise, wie die Wachen seiner Demütigung applaudierten. Erzwang sich zur Konzentration, zum gleichmäßigen Atmen undzum Beibehalten seiner Kampfhaltung, wie man es ihn gelehrthatte.

Er erkannte jetzt, dass er noch einen weiteren Nachteil hatte.Die meisten seiner Kämpfe hatten sehr wenig mit diesemformalisierten Kampfstil zu tun gehabt, sondern waren eherwüste Keilereien, bei denen man den Feind auf jede nurmögliche Weise tötete und Regeln und Stil nicht zählten.

Da ihm klar wurde, dass er unweigerlich verlieren musste,wenn er weiter auf diese Weise kämpfte, beschloss er, seineTaktik zu ändern. Er parierte den nächsten Hieb und drängtevorwärts. Als sie sich von Angesicht zu Angesichtgegenüberstanden, griff er zu und packte ihren linken Arm.Unter Einsatz seiner ganzen Kraft zog er, so fest er konnte, undwirbelte sie herum. Als sie aus dem Gleichgewicht geriet,gelang es ihm, ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen. Er ließsie los, sodass sie nach hinten fiel. Er setzte nach und hielt ihrdie Spitze seiner Klinge unter die Kehle.

»Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte er. Ein winzigerTropfen Blut lief ihre Kehle herunter.

»So scheint es, Herr Jaegar. Eine Revanche gefällig?« Ersah, dass sie lachte, und er lachte ebenfalls.

Felix lag am Bach unweit des Anwesens und ließ den Blickgedankenverloren über das wellige Grasland schweifen, da ersich fragte, was zwischen ihm und Ulrika vorging. Die Fraustand in der Nähe und hielt einen kurzen kislevitischenKompositbogen. Für einen Moment stand sie reglos mitgespanntem Bogen da, eine Haltung, bei der sichunvermeidlich ihre umwerfende Figur zeigte, dann schickte sie

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einen weiteren Pfeil in die Mitte der hundert Schritt entferntenZielschiebe. Es war ihr dritter Treffer ins Schwarze.

»Gut gemacht«, sagte Felix.Sie sah ihn an. »Das ist doch leicht. Vom Rücken eines

galoppierenden Pferdes wäre der Schuss erheblichschwieriger.«

Felix fragte sich, ob sie versuchte, ihn zu beeindrucken. Eswar schwer zu sagen. Sie unterschied sich doch sehr von denanderen Frauen, die er kannte. Sie war viel direkter und vielbewanderter in den Kriegskünsten. Natürlich war dies Kislev,wo Frauen des Adels in der Schlacht oft neben ihren Männernkämpften. Wahrscheinlich mussten sie dazu wohl auch in derLage sein, denn dies war ein wildes Grenzland mit derDunkelheit im Norden und ungezähmten Ländern voller Orksim Osten, ein raues Land, in dem jede Klinge gebraucht wurde.Sie schien an ihm interessiert zu sein, aber bisher hatte siejedes Mal, wenn er in seinem Werben direkter geworden war,einen Rückzieher gemacht. Es war äußerst enttäuschend. Erhatte das Gefühl, je mehr er von dieser Frau sah, desto wenigerverstand er sie.

Ein Schatten fiel über ihn, und eine Hand tippte ihm leichtauf die Schulter. Felix sah auf, da sein Gedankengangunterbrochen wurde. Varek stand da und starrte kurzsichtig indie Ferne zu Ulrika. »Was gibt es?«, fragte Felix.

»Mein Onkel hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass wirunsere Vorbereitungen abgeschlossen haben. Wir brechenmorgen früh bei Tagesanbruch auf.«

Felix nickte, um Varek zu zeigen, dass er verstanden hatte.Varek verbeugte sich tief vor Ulrika und zog sich dann zurück.

»Was ist denn?«, fragte sie.Felix sagte es ihr. Ihre Miene verdüsterte sich.»So bald«, sagte sie leise und berührte sein Gesicht, als

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wolle sie sich vergewissern, dass er noch da war.

Die Sonne versank hinter dem Horizont. Felix stand in derDunkelheit auf der Mauer und schaute zu den fernen Bergen.Es war noch früh, und eine warme Brise strich über dasGrasland. Die beiden Monde waren noch nicht aufgegangen.Ein merkwürdig schimmernder Schein war jenseits der Gipfelim Norden zu sehen. Der Himmel war voller tanzender Lichterin den Farben Gold, Silber und Blut. Es war ein absonderlicherAnblick, faszinierend und beängstigend zugleich.

Von unten waren die Klänge der Musiker zu hören, die ihreInstrumente stimmten, und die Rufe der Köche, die dasAbendmahl vorbereiteten. Der Anzahl geschlachteter Tiere undWodkaflaschen nach zu urteilen, wollte Straghov ihnen einenköniglichen Abschied bereiten.

Ein leises Geräusch von links erregte Felix' Aufmerksamkeit,und ihm ging auf, dass er nicht allein auf der Brustwehr stand.Gotrek war ebenfalls dort und starrte in die Ferne. Er machteeinen versunkenen Eindruck, und auf seinem Gesicht stand einAusdruck der Konzentration.

»Dieser Schein - ist er das Licht des Chaos?«, fragte Felixschließlich.

»Aye, Menschling, das ist er.«»Von hier sieht es beinahe schön aus.«»Das denkst du vielleicht jetzt noch, aber wenn du durch den

Schwarzblutpass und unter diesem Himmel marschiert wärst,würdest du anders darüber denken.«

»Ist es wirklich so schlimm?«»Schlimmer, als ich es beschreiben kann. Der Sand der

Wüste hat seltsame Farben, und die Knochen großer Tiereglänzen in der Sonne. Die Brunnen sind vergiftet, die Flüsseführen kein Wasser, sondern Blut oder Schleim. Der Wind

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treibt den Staub überallhin. Es gibt Ruinen, die einst Städte derMenschen, Elfen und Zwerge waren. Es gibt Ungeheuer undFeinde ohne Zahl, und die sind nicht durch Furcht oder geistigeGesundheit beeinträchtigt.«

»Ihr habt eine Menge Leute verloren, als ihr das letzte Maldort wart.«

»Aye.«»Welche Aussichten haben wir dann?« Felix wollte »zu

überleben« hinzufügen, aber er wusste, dass es keinen Sinnhatte, einem Slayer diese Frage zu stellen. »Karag Dum zuerreichen?«

Gotrek schwieg sehr lange. Hinter ihnen erhob sich Gesang.Zikaden zirpten im Gras hinter dem Haupthaus. Es war soidyllisch, dass Felix kaum glauben konnte, dass dies ein Landan der Grenze eines endlosen Kriegs war und sie morgen überdie Chaos-Wüste und in ein Land fliegen würden, aus dem sievielleicht nicht mehr zurückkehrten. Hier in der warmenNachtluft zu stehen gab Felix das Gefühl, er werde ewig leben.

»Das kann ich nicht sagen, Menschling. Wären wir zu Fuß,hätten wir gar keine Aussichten, dessen bin ich mir sicher. MitMakaissons Luftschiff schaffen wir es vielleicht.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es einfach nicht. Es hängtdavon ab, wie zuverlässig Boreks Karten und wie starkSchreibers Zauber sind, und ob die Maschine durchhält, ob unsTreibstoff oder Nahrung ausgehen, ob Warpgewitter ...«

»Warpgewitter?«»Gewaltige Unwetter, die voll der Macht der Dunkelheit

sind. Sie können Steine fließen lassen wie Wasser undMenschen in Tiere oder Mutanten verwandeln.«

»Warum willst du zurück?« Felix lehnte sich gegen dieBrustwehr, sodass er in den Hof hinter ihnen schauen konnte.

»Weil wir vielleicht Karag Dum erreichen, Menschling. Und

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wenn uns das gelingt, werden unsere Namen ewig leben. Undwenn wir scheitern, tja, dann wird es ein gewaltiger Tod.«

Felix stellte keine Fragen mehr. Als er in den Hof schauteund Ulrika in einem langen bunten Kleid sah, wollte er nicht andie Möglichkeit glauben, dass er sterben konnte.

Felix ging an den Rand des Hofs. Hinter sich hörte er dieGeräusche des Zechens und Tanzens. Flötenspieler bliesen aufInstrumenten, die kleinen Dudelsäcken ähnelten. Andereschlugen rhythmisch auf die Felle ihrer Holztrommeln. DerDuft nach gebratenem Fleisch lag in der Luft und rang mit demstechenden Geruch des Wodkas. Von irgendwo draußenerklangen Rufe und aufmunterndes Geschrei, da die Kriegerzwei Ringer anfeuerten.

Er war nicht hungrig und stocknüchtern, denn er konnte denGedanken an eine weitere durchzechte Nacht nicht ertragen,auch wenn dies seine letzte Nacht auf der Erde sein sollte. Ersuchte Ulrika, aber sie war schon früher verschwunden,begleitet von zwei Bauersfrauen, die entweder ihre Mädge oderihre Freundinnen waren, er wusste nicht genau, was. Alles warein wenig enttäuschend. Hier stand er nun in seiner sauberenKleidung, gekämmt und gewaschen - und er konnte sie nichteinmal finden, um sich einen Kuss von ihr zu stehlen. Er fühltesich elend und war verdrossen und mehr als nur ein wenigverwirrt. War es dem Mädchen denn völlig gleichgültig, dasser morgen aufbrach? Wollte sie nicht einmal mit ihm reden? Erwar nicht in Stimmung für den ausgelassenen Frohsinn hinterihm. Er würde in seine Kammer zurückkehren und schmollen.Er lächelte verbittert, als er ging, da er sich kindisch benahm,aber nichts dagegen tun wollte.

Vor der halb geöffneten Tür blieb er stehen. Seine Kammerwar dunkel, und er hatte ein leises Geräusch darin gehört. Felix'Hand tastete nach seinem Schwert, wobei er sich fragte, ob essich wohl um einen Dieb oder um einen Diener des Chaoshandeln mochte, der sich im Schutz des Gelages aus der Nacht

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eingeschlichen hatte.»Felix, bist du das?«, fragte eine Stimme, die er kannte.»Ja«, sagte er mit einer Stimme, die plötzlich so belegt war,

dass er Mühe hatte, das Wort herauszuquetschen. Ein Lichtflackerte auf, und eine Laterne wurde entzündet. Felix saheinen nackten Arm unter der Bettdecke hervorkommen.

»Ich dachte schon, du würdest nie mehr auftauchen«, sagteUlrika und schlug das Laken zurück, sodass ihr langer nackterKörper enthüllt wurde. Felix beeilte sich, ihr Gesellschaft zuleisten. Ihr Duft drang in seine Nase. Ihre Lippen begegnetensich in einem langen Kuss, und diesmal löste sie sich nicht vonihm.

Das Licht der Morgenröte und das Krähen der Hähneweckten Felix. Er öffnete die Augen und sah, dass Ulrika aufeinen Ellbogen gestützt neben ihm lag und sein Gesichtmusterte. Als sie merkte, dass er wach war, lächelte sie traurig.Er strich ihr über die Wange und spürte ihre weiche Haut unterden Fingern. Sie hielt die Hand fest und drehte sie um. Dannküsste sie die Innenseite. Er lachte und griff nach ihr. Als er siezu sich herunterzog und die Wärme ihres Körpers spürte, warer glücklich, hier zu sein, glücklich, sie in den Armen zu haltenund ihren Herzschlag auf seiner nackten Haut zu spüren. Erlachte aus reiner Freude, doch sie schauderte plötzlich undwandte sich von ihm ab, als wolle sie weinen.

»Was ist los?«, fragte er.»Du musst gehen«, sagte sie.»Ich komme wieder«, plapperte er albern.»Nein, das wirst du nicht. Kein Mensch kehrt aus der Wüste

zurück. Nicht bei geistiger Gesundheit. Nicht unberührt vomChaos.«

Da ging ihm auf, warum sie sich in der Nacht so

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leidenschaftlich und mit geradezu verzweifelter Inbrunstgeliebt hatten. Es war etwas Einmaliges, im wahrsten Sinne desWortes, das Geschenk einer Frau für einen Krieger, von demsie glaubte, sie werde ihn nie wieder sehen. Er fragte sich, obdas hier oft vorkam. Sein Glücksgefühl verschwand, aber erhielt sie dennoch in den Armen und strich ihr über das Haar.

Es klopfte an die Tür.»Zeit zum Aufbruch, Menschling«, ertönte Gotreks Stimme,

und sie klang wie die Stimme des Verhängnisses.

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12Die Chaos-Wüste

Felix spürte, wie Traurigkeit sich wie eine Decke über ihnlegte, als er das Anwesen der Straghovs unter sichzurückbleiben sah. Die winkenden Gestalten am Boden wurdenimmer kleiner, bis sie schließlich völlig verschwanden, als dieGeist Grungnis Fahrt aufnahm. Das Anwesen blieb zurück, bises sich in der endlosen Weite der welligen, grasbedecktenEbene verloren hatte. Felix marschierte unruhig auf demMetalldeck auf und ab.

Er fragte sich, ob er Ulrika je wiedersehen würde. Sie schienes ganz offensichtlich nicht zu glauben, und sie konnte diesbestimmt besser beurteilen als er, da sie ihr ganzes Leben anden Grenzen zur Chaos-Wüste verbracht hatte. Es warmerkwürdig, aber er vermisste sie bereits - seltsam, wenn manbedachte, dass er die Frau erst seit ein paar Tagen kannte.

Einen flüchtigen, schrecklichen Augenblick lang war ihm,als müsse er zu Makaisson gehen und ihn bitten, das Schiff zuwenden. Er wollte sagen, dass ihm ein schrecklicher Fehlerunterlaufen sei und er nicht gehen wolle. Er wünschte, er wärebei ihr geblieben, aber es war alles so schnell gegangen, undder mit der Queste der Zwerge verbundene Schwung hatte ihnwieder einmal mitgerissen. Alle, auch sie, hatten anscheinendgeglaubt, er werde gehen, also war er gegangen, obwohl ereigentlich gar nicht gewollt hatte.

Es war typisch dafür, wie die Dinge in seiner Welt liefen.Kleine Ereignisse bekamen ein Eigenleben, und ehe er sichversah, war er bereits in äußerst unwahrscheinlicheGeschehnisse verwickelt, die er nicht mehr beeinflussenkonnte. Er fragte sich, ob wohl jedermanns Leben so verliefoder nur seines. Schichtete jeder winzige Entscheidung auf

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winzige Entscheidung, wie ein Kind Kiesel stapelte, um dannim letzten Augenblick festzustellen, dass man einen wackligen,instabilen Berg unter sich errichtet hatte und es keinen Wegherunter gab, ohne eine Lawine auszulösen?

Er wusste, dass er nicht zum leitenden Technikus gehen undihn bitten konnte zu wenden, und zwar aus einer ganzen Reihevon Gründen. Der erste und einfachste war der, dassMakaisson es vielleicht nicht tun würde, und damit hätte ersich die Achtung und das Wohlwollen der Besatzungverscherzt, ohne etwas erreicht zu haben. Der zweite Grundwar der, dass er keine Ahnung hatte, auf welchen Empfang erstoßen würde, wenn er umkehrte. Vielleicht hatte ihn Ulrikaattraktiv gefunden, weil sie glaubte, seine Teilnahme an derQueste habe etwas Heldenhaftes, und vielleicht würde es ihn inihren Augen als Feigling brandmarken, wenn er die Questejetzt aufgab. Die Bewohner dieses rauen Landes wolltengewiss nichts mit Feiglingen zu tun haben.

Und vielleicht, musste er sich eingestehen, wollte ein Teilvon ihm auf jeden Fall daran teilnehmen, diese neue Gegendsehen und herausfinden, wie alles enden würde, seinen Mut aneiner Wildnis messen, die selbst Gotrek in Schrecken versetzte.Vielleicht beurteilte er sich selber so, wie er glaubte, dassandere ihn beurteilen mochten. Wenn er sich von der GeistGrungnis verabschiedete, würde er sich damit auch von derBetrachtung seiner selbst als Held verabschieden und in sichstattdessen jemanden wie alle anderen sehen. Vielleicht wollteein Teil von ihm tatsächlich den Ruhm, nach dem es dieZwerge an Bord dieses Luftschiffs dürstete. Er wusste es nicht.Es gab Zeiten, da gaben seine Motive sogar ihm Rätsel auf. Sieschienen sich mit jeder Stimmung und auch mit jedemKatzenjammer zu ändern.

Er wusste nur, dass er sich im Augenblick ganz schrecklichfühlte - und dass er Ulrika wiedersehen wollte. Die betrübteStimmung schien das ganze Schiff erfasst zu haben. Alle

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Zwerge waren still, und ihre Mienen verrieten Kummer.Vielleicht empfanden sie diese unerklärliche Traurigkeitebenfalls. Oder vielleicht hatten sie auch nur alle einen Kater,denn in der vergangenen Nacht hatte auch der Letzte von ihnengetrunken wie ein Marienburger Matrose auf einer Zechtouroder, um es etwas gemein, aber treffender auszudrücken, wieZwerge vor einem See aus kostenlosem Schnaps. Felix musstezugeben, dass das Luftschiff gegenwärtig kein Ort fürverkaterte Leute war. Das Deck vibrierte sichtlich, undgelegentlich erbebte die ganze Gondel, wenn sie durch eineWolke oder den Ausläufer einer Turbulenz flogen.

Er ging in die Kommandozentrale, die bis auf das Minimuman Besatzung leer war, das benötigt wurde, um das Schiff zufliegen. Er schritt niedergeschlagen zu Makaisson, stellte sichneben ihn und starrte aus dem Fenster. Die steinerne Überfülleder Berge ragte immer näher vor ihnen auf. Er konnte sehen,dass sie zum Schwarzblutpass unterwegs waren. Er gähnte vorihnen wie das Maul eines riesigen Dämons.

Bald waren sie im eigentlichen Pass und ringsherum vonBergen eingeschlossen, da der niedrigste der seltsamglitzernden Gipfel auf gleicher Höhe mit ihnen war. Felixbetrachtete sie eingehend, aber die schimmernde, glitzerndeSubstanz auf ihnen war seltsam schwierig anzuschauen. DasAuge glitt darauf aus wie ein Mensch auf einer Eisbahn, und erstellte fest, dass sich die Sehschärfe nicht richtig auf die Gipfeleinstellen wollte. Es war das erste Anzeichen dafür, wieabsonderlich das Chaos sein konnte. Er war sicher, dass esnicht das letzte bleiben würde.

Der eigentliche Pass war felsig und öde. Hier und da lagenbizarr geformte Felsen neben dem Weg, und Felix war sicher,dass seltsame Runen in sie eingemeißelt waren.

Als ihm auffiel, dass einige von ihnen weißlich glänzten,borgte er sich ein Teleskop von Makaisson und richtete es aufsie. Zu seinem Entsetzen sah er, dass es sich bei dem, was er

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für ein Kreidesymbol gehalten hatte, in Wirklichkeit um eindeformiertes Skelett handelte, das an den Felsen gekettet war.Waren das Menschenopfer, die von den Kriegern des Chaoshier zurückgelassen worden waren, fragte er sich, oderWarnungen der Kisleviter? Beides schien gleichermaßenmöglich zu sein.

Varek tauchte neben Felix auf und wahrte eine mehrminütigeehrfürchtige Stille. Felix wusste, dass der junge Zwerg seineStimmung teilte.

»Schreiber glaubt, dass diese Berge ganz Kislevabschirmen«, sagte Varek schließlich.

»Wie meinen Sie das?«»Auf dem Anwesen habe ich mit ihm geredet. Er hat eine

Theorie, die besagt, wäre dieses Gebirge nicht, würde der Windden Warpsteinstaub aus der Chaos-Wüste herwehen und dieBevölkerung mutieren. Er sagt, dann würden sich alleverwandeln und den wahnsinnigen Launen der Finsteren Götterunterworfen sein.«

»Ich dachte, es gäbe bereits Mutanten in Kislev. Sigmarweiß, dass ich im Imperium genug von ihnen bekämpft habe.Hier kann es nicht weniger geben!«

Varek sah Felix an und lächelte traurig. »In Kislev wirdjeder getötet, der auch nur das geringste Anzeichen für eineMutation aufweist - sogar Säuglinge.«

»Im Imperium wird ebenso verfahren«, sagte Felix, obwohler wusste, dass das eigentlich nicht stimmte. Viele Elternversteckten ihre mutierten Kinder, und die Leute beschütztenihre mutierten Verwandten. Auf seinen Wanderungen war erderartigen Fällen begegnet. Mutanten waren keine schlechtenLeute, dachte er, sie litten nur an einer Krankheit. Er schüttelteverbittert den Kopf, denn kein Zwerg und sehr wahrscheinlichauch kein Kisleviter würde dieser Schlussfolgerungzustimmen. Es war in der Tat eine grauenhafte Welt.

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»Schreiber behauptet, dass es ohne diese Berge vielschlimmer wäre und dass sie eine natürliche Barriere bildeten,die den größten Teil des Staubs daran hindert, das Land derMenschen zu erreichen. Er sagt, das komische Zeug auf denGipfeln sei geronnene Schwarze Magie, der reine Stoff, ausdem das Chaos besteht.«

»Er hat viele interessante Theorien, der Herr Schreiber«,sagte Felix säuerlich.

»Er sagt, dass das nicht nur Theorien wären. Er hätteExperimente mit Warpsteinstaub an Tieren unternommen.«

»Dann ist er wahnsinnig. Warpstein ist eine böse Substanz.Sie treibt Menschen in den Wahnsinn. Ich habe es selbsterlebt.«

»Er sagte, er wäre sehr vorsichtig und würde sich mit Magieund allen möglichen schützenden Substanzen abschirmen.Mein Onkel glaubt an seine Theorien. Das ist der Grund,warum sich eine dünne Bleischicht in der Wandung der Gondelbefindet.«

»Ich glaube, Herr Schreiber wird kein gutes Ende nehmen.«»Ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen, Felix, aber er könnte

dennoch Recht haben. Mein Onkel sagt, es passe zu denzwergischen Überlieferungen. Manche behaupten, unser Volkhabe in der Zeit des ersten großen Vordringens des Chaosdamit begonnen, unterirdische Städte zu bauen und dass unsder Fels vor dem Makel des Chaos abgeschirmt hätte, von demalle anderen Rassen betroffen waren.«

Er wirkte ein wenig verlegen, als er das sagte, als sei erunsicher, wie Felix auf die Beschuldigung reagieren werde,sein Volk sei vom Makel des Chaos befleckt. Nach denErfahrungen, die Felix auf seinen Reisen durch das Imperiumund anderswo gesammelt hatte, war er durchaus bereit zuglauben, dass es sich tatsächlich so verhielt. Die Menschheitließ sich allzu leicht zur Verehrung der Finsternis verleiten. Es

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war ein niederschmetternder Gedanke.»Wenn wir diese Berge überwunden haben, stehen wir am

Rande des Gefildes, in dem das Chaos herrscht«, murmelteVarek düster.

»Glauben Sie, dass uns die Zauber schützen werden, mitdenen Schreiber das Luftschiff belegt hat?«, fragte Felix.

»Ich weiß nichts über Magie, Felix. Das ist ein Thema, mitdem sich nur wenige Zwerge auskennen. Mein Onkel glaubt es,und er ist in diesen Dingen sehr bewandert.«

»Ein merkwürdiger Mann, dieser Herr Schreiber. WissenSie, er hat mich gebeten, meine Eindrücke von der Wüsteaufzuzeichnen, falls wir es zurückschaffen.«

»Mich auch. Er sagt, das werde ihm bei seinen Forschungenhelfen.«

»Dann wollen wir hoffen, dass wir zurückkehren und ihmnützliches Material präsentieren können.«

Varek lächelte. »In der Tat, das wollen wir.«

Lurk machte sich Sorgen. Seit der Zauberer der Menschen anBord des Luftschiffs gekommen war und damit begonnenhatte, seine Zauber zu wirken, war es ihm nicht mehr gelungen,mit dem Grauen Propheten Thanquol in Verbindung zu treten.Das war furchtbar, weil er genau wusste, dass der Skaven-Zauberer ihm, ungeachtet des wirklichen Grunds, die Schulddaran geben würde. Er wollte etwas tun, aber er hatte keineAhnung von Zauberei. Ein Gefühl der Hilflosigkeit wallte inihm auf. Mit ihm kam das Verlangen, zu fetzen und zu reißen,sich seine Ängste auszutreiben, indem er etwas tötete,vorzugsweise etwas Schwaches und Hilfloses.

Unglücklicherweise gab es keine geeigneten Kandidaten, andenen er seine Wut auslassen konnte. Das Luftschiff war vollergut bewaffneter Zwerge, und Lurk hatte kein Dutzend seiner

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Artgenossen bei sich, um seinen rechtschaffenen Skaven-Zornnoch stärker zu entfachen.

Er hatte gewusst, dass er ein Ventil für seine aufgestautenEnergien finden musste. Er hatte es in der Erforschung desLuftschiffs gefunden, während die meisten Zwerge schliefen.Abermals hatte er sich vor dem vielversprechenden Tunnel zurobersten Ebene der Gondel wiedergefunden.

Langsam und vorsichtig drehte er den mächtigen Griff undspürte, wie das Schloss sich öffnete. Er drückte mit aller Kraftnach oben und sah eine Leiter, die aufwärts führte. Windzerzauste sein Fell für einen Moment, und ihm ging auf, dass erauf der Gondel stand. Als er nach oben schaute, sah er, dass dieLeiter in einer kreisrunden Öffnung in der Gashülleverschwand. Er zog sich hoch und durch die Öffnung und warim Nu von einer Masse kugelförmiger Dinger umgeben, diewie riesige Ballons aussahen. Sie hingen in langen Reihen andünnen Drähten in der Gashülle.

Rasch eilte er die Leiter empor, indem er sie, mit dernatürlichen Flinkheit der Skaven und von der Nähe derGasballons ringsumher beruhigt, hochsprang. Seineempfindlichen Nüstern zuckten und seine Schnurrhaaresträubten sich. Er nahm einen leicht stechenden Geruch in derLuft wahr, der keinem Zwerg und keinem Menschenaufgefallen wäre. Er kannte diesen Geruch! Er hatte Spurendavon unten in der Gondel wahrgenommen, aber daher kannteer ihn nicht. Nein, er war ihm in den großen Sümpfen rings umSkavenblight begegnet, wo die Fabriken des Rattenvolks ihrechemischen Abfallprodukte in den Schlamm und Treibsandkippten. Manchmal bildeten sich dort, wo die Abwässerabgelassen wurden, große Blasen, und wenn sie an dieOberfläche drangen und platzten, verströmten sie diesenGeruch.

War es möglich, dass die Zwerge das Gas in diese dünnensackähnlichen Ballons eingesperrt hatten und es diese

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Tausende von Säcken waren, welche das Schiff in die Lufthoben? Konnte es sein, dass sich die Mittel, Luftschiffe zubauen, bereits in den Pfoten der Skaven befanden? Sollte erdem Grauen Propheten Thanquol von seinen Überlegungenberichten?

Er dachte einen Augenblick darüber nach und entschied sichdann dagegen. Es war eine lächerliche Theorie! Eigentlichkonnten es nur unglaublich mächtige Zauber sein, die dasSchiff in der Luft hielten. Das musste es gewesen sein, was dermenschliche Zauberer in dem Oberflächen-Bau der Menschengetan hatte! Er musste die Zauber neu aufgeladen haben, diedas Luftschiff aufsteigen ließen. Diese Gassäcke mussteneinem anderen Zweck dienen. Vielleicht waren sie Waffen wieGiftgaskugeln. Doch das war ebenso unwahrscheinlich, denn erhatte noch nie gehört, dass die Sumpfgase etwas Schlimmeresangerichtet hätten als üble Kopfschmerzen.

Er eilte die Leiter bis ganz nach oben empor, wobei ihmauffiel, dass verschiedene Laufstege aus Seilen durch diegewaltige Hülle verliefen, die leichten Zugang zu derenInnereien gestatteten. Das würde ein gutes Versteck abgeben,falls er den Laderaum unten räumen musste. Als er das Endeder Leiter erreicht hatte, fand er sich in einem offenenMastausguck mitten auf dem Schiff wieder. Es schien sich umeine Art Aussichtsdeck zu handeln und hatte etwa die Größeeines Ruderboots. Verschiedene merkwürdige Anzeigen undUhren waren in einen großen Metallkasten eingesetzt. Er hieltsich an Thanquols Befehle und wagte es nicht, sie anzurühren.Auf einem großen Stativ neben dem Metallkasten befand sichein Teleskop, das über einer großen vielläufigen Waffeangebracht war, die Lurk an die Orgelkanonen erinnerte, vondenen er in Schlachten mit Menschen und Zwergen schonbeschossen worden war. Zweifellos sollte das Luftschiff mitdieser Waffe bei einem Angriff von oben geschützt werden.

Er hatte einen ungehinderten Blick auf den Himmel. Der

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kühle Wind peitschte sein Fell, und er schnüffelte. Bei derGehörnten Ratte! Sie enthielt eine ganz schwache Spur vonWarpstein! Lurks Fell sträubte sich. Wenn er die Quelle dieserfabelhaften Substanz fand, würde er so reich werden, dass esseine kühnsten Träume überstieg - vorausgesetzt, Thanquolließ ihn etwas behalten. Vielleicht war es besser, das kostbareChaosmineral gar nicht zu erwähnen, bevor er nicht völligsicher war. Schließlich konnte er sich irren.

Ein Laufstieg führte von dieser Plattform zu anderenAussichtsdecks am Bug und Heck des Schiffs. Ihm ging auf,dass er auf eine ganze Reihe von Abwehrstellungen ähnlichdieser hier schaute. Es sah ganz so aus, als gingen die Zwergekein Risiko ein. War es möglich, dass die Laufstege in derHülle zu anderen Waffen in den Seiten des Luftschiffs führten?Er würde es untersuchen müssen.

Er schaute in das Teleskop und betrachtete die Umgebung,wobei er die gewaltigen Berge mit ihren glitzernden Gipfelnund die merkwürdigen Farbspuren am nördlichen Himmel zurKenntnis nahm. Plötzlich fühlte er sich unglaublich exponiert.Dies war kein Ort für einen Tunnelbewohner wie ihn. Es gabzu viel Himmel, zu viel frische Luft, und der Horizont war zuweit entfernt. Er kehrte besser nach unten zurück.

Da bist du ja! Der Gedanke war so stark, dass er ihnwahrhaftig erschreckte. Lurk schoss kerzengerade in die Höhe,den Schwanz so weit wie möglich gereckt. Wo bist dugewesen?

Nirgendwo, verständnivollster aller Gebieter, dachte Lurkvorsichtig. Im Luftschiff, wie befohlen.

Dann haben unsere Gegner-Feinde ihr Schiff mit Zaubereiabgeschirmt. Unfähiger Narr-Sklave, sie müssen deineAnwesenheit entdeckt haben!

Das war ein beängstigender Gedanke, und Lurk beteteäußerst unterwürfig, dass er nicht stimmte. Er erzählte der in

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seinem Kopf donnernden Stimme rasch von der Anwesenheitdes menschlichen Zauberers an Bord des Schiffs und davon,dass er die Gondel in rätselhafte Zauber gehüllt habe. Dasanschließende Schweigen dauerte so lange, dass Lurk schonglaubte, Thanquol habe die Verbindung zu ihm verloren. Dochals er der Gehörnten Ratte gerade dafür danken wollte, ertöntedie gebieterische Stimme erneut.

Der Mensch-Zauberer muss das Schiff mit Abschirmzaubernbelegt haben, um es vor etwas zu schützen. Die Zauber liegennur auf der Gondel, nicht dort, wo du dich jetzt befindest.Komm jeden Tag zur selben Zeit dorthin, dann nehme ichVerbindung mit dir auf. Ja, potentester aller Potentaten, dachteLuke zurück.

Lurk huschte die Leiter rasch wieder hinunter. Erst beimAbstieg fragte er sich, ob der Graue Prophet sich überhaupteine Vorstellung von der Gefahr machte. Vielleicht war dasAussichtsdeck belegt. Vielleicht konnte er diesen Befehl garnicht ausführen. Es war ein beängstigender Gedanke. Lurkwünschte, er hätte ein paar Untergebene gehabt, an denen ersich abreagieren konnte. Auf dem Weg nach unten gab er sichdamit zufrieden, ein paar Ballons mit den Klauen zu zerfetzen.Sie platzten und bliesen ihm stinkendes, aber vertrautes Gas indie Nüstern.

Erst als er wieder sicher in seiner Kiste saß, fing Lurk an,sich Sorgen darüber zu machen, was wohl mit ihm geschehenwürde, wenn einer der Zwerge die Ballons fand, die er zerstörthatte. Andererseits fragte sich seine natürliche Skaven-Neugierauch, was wohl geschehen würde, wenn er alle Ballonszerstörte.

Felix betrachtete weiterhin den Boden unter ihnen, wie er esschon seit Stunden tat. Sie hatten jetzt die ersten Ausläufer derChaos-Wüste erreicht. Unter ihnen konnte er die ersten Dünen

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aus merkwürdig buntem Sand erkennen, die sich langsam unterdie öde, felsige Ebene mischten. Der Himmel voraus warturbulent und voller Wolken in ungewöhnlichen metallischenFarben. Die Sonne war nur selten zu sehen, und wenn sieauftauchte, sah sie größer und rötlicher aus. Es war, als stießensie nicht nur in ein neues Land vor, sondern in eine ganz neueWelt. Die Juwelen in den Augen der Galionsfigur leuchtetenhell, als sei der Zauber, mit dem sie belegt waren, jetztvollständig aktiviert worden.

Wieder einmal erfüllte Felix die Geschwindigkeit desLuftschiffs mit verblüfftem Staunen. In den vergangenenStunden waren sie über hohe Berge und wellige Ebenengeflogen. Diese Ebene hatte kaum anders ausgesehen als dasGrasland in Kislev - abgesehen davon, dass man bei genaueremHinsehen die verkohlten Ruinen erkennen konnte, wo dieSteine anscheinend wie Wasser in neue und bizarre Formenzerflossen waren, und die Teiche und Seen in seltsamen Rosa-und Blautönen schimmerten, als seien sie mit Chemikalienverseucht.

An die Ebene hatte sich Marschland angeschlossen und danndie Tundra. Die Temperatur war merklich gefallen, undmanchmal war rötlicher Schnee gegen die Fenster gewehtworden, der dann schmolz und in roten Tropfen an denScheiben herunterlief, die Felix unangenehm an Bluterinnerten.

Schließlich war auch dieses kahle Land gewichen, und zwareiner Gegend, in der nichts wuchs, einer steinigen Ebene, diemit hohen Felsen übersät war, welche Felix an alteDruidensteine erinnerten. Er hielt es für unwahrscheinlich, dasssie von Menschen aufgestellt worden waren, aber man konntenie wissen. Manchmal hatten sie kleine Gruppen vonTiermenschen überflogen, die sich auf die Brust schlugen undihnen Herausforderungen nachschrien. Bei anderenGelegenheiten hatten sie Trupps auf Nahrungssuche

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befindlicher Menschen überflogen, die sich bei ihrerAnnäherung zerstreuten. Durch das Teleskop sah Felix, dasssie alle die Stigmata der Mutation trugen. Wie konnten sie indiesem ungesunden Land überleben, fragte er sich - wobei ernicht an die finsteren Geschichten von Kannibalismus undLeichenschändung zu denken versuchte, die man sich über dieChaos-Kulte erzählte.

Jetzt hatten sie auch diese trostlosen Lande weit hinter sichgelassen und schauten auf die schimmernde Wüste. Felix hörtedas Klicken von Boreks Stock auf dem Steinboden, als der alteZwerg sich näherte, und spürte dann die Berührung einerledrigen Hand am Ärmel.

»Nehmen Sie dieses Amulett, und legen Sie es sich um«,sagte Borek. »Wir befinden uns jetzt über dem Gebiet dereigentlichen Chaos-Wüste, und es müsste Sie vor ihrenEinflüssen abschirmen. Versuchen Sie es immer auf der Hautzu tragen, denn dadurch wird seine Macht auf Sie übertragenund kann Sie vor den verzehrenden Ausstrahlungen derSchwarzen Magie schützen.«

Felix nahm das Amulett und hielt es ins Licht. Die Fassungan einer silbernen Kette enthielt ein Juwel von der exaktenForm und Farbe einer Eisnadel, jener gefrorenen Stalaktiten,wie er sie im Winter oft an der Traufe an seinem Elternhaushatte hängen sehen. Es war ein Kristall von einer Art, die ernoch nie zuvor gesehen hatte, und als er hineinschaute, glaubteer, ein schwaches Leuchten zu sehen. Er berührte den Stein underwartete halb, dass er gefroren sein würde, doch falls erüberhaupt einen Eindruck hatte, dann den, dass er sich einwenig warm anfühlte.

Er neigte argwöhnisch den Kopf und sah den alten Zwerg an.»Das ist von Herrn Schreiber angefertigt worden, nicht

wahr?«Borek strahlte ihn gnomenhaft an. »Sie trauen ihm nicht,

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Herr Jaegar, nicht wahr?«Felix schüttelte den Kopf. »Ich traue keinem Zauberer, der

etwas mit dem Chaos zu tun hat.«»Das ist sehr löblich, nehme ich an, aber auch ein wenig

töricht.«»Ich habe einige Erfahrungen mit der Magie und mit dem

Chaos gesammelt.«Borek schaute aus dem Fenster und lächelte wehmütig. »Das

gilt auch für mich. Und lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ichMaximilian Schreiber mit meinem Leben vertraue.«

»Gut! Denn es kommt mir so vor, als täten Sie genau das.«»Sie sind stur. Wir Zwerge halten das für eine

bewundernswerte Eigenschaft. Aber Sie irren sich, was denZauberer anbelangt. Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Ich habeoft mit ihm gesprochen und bin mit ihm gereist. Ich habe ihmdas Leben gerettet und er mir. In ihm steckt kein Makel.«

Der ruhige Tonfall sachlicher Autorität in der Stimme desGelehrten war überzeugender als seine Worte. Er hatte dasGefühl, dass der Zwerg wahrscheinlich Recht hatte, aberdennoch ... Felix war in einem Land aufgewachsen, wo Magieund Chaos oft mit Schrecken betrachtet wurden, und hatteeinige furchtbare Erfahrungen mit Zauberern gemacht. Es warschwierig, ein ganzes Leben voller Vorurteile außer Acht zulassen. Dies sagte er auch.

Borek zuckte die Achseln und zeigte dann auf die Gondelrimgsumher. »Sogar Zwerge können sich ändern, Herr Jaegar,und wir sind womöglich Tradition und Vorurteilen weitausstärker verhaftet als Sie. Dieses ganze Luftschiff verstößtgegen die Traditionen einer unserer stärksten Gilden. Aber wirhaben unsere Vorurteile überwunden, weil es sein musste.«

»Und Sie halten das Amulett für unentbehrlich.«»Ich glaube, es wird Ihr bester Schutz gegen das Chaos sein,

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Herr Jaegar, solange seine Magie anhält. Und glauben Sie mir,Sie werden Schutz gegen das Chaos brauchen.«

Er drehte sich um und rief Makaisson etwas auf Zwergischzu. Für Felix war es wie ein Schock, ihn diese harschen,gutturalen Laute reden zu hören. Bei ihren gemeinsamenReisen hatten alle Zwerge in seiner Umgebung immer Reikischgesprochen. Zuerst hatte Felix geglaubt, dies sei reineHöflichkeit, weil er ein Ausländer war und Zwergisch nichtverstand, doch später war ihm aufgegangen, dass es auf ihrensonderbar argwöhnischen zwergischen Geist zurückzuführenwar. Gewiss, sie waren höflich, aber sie betrachteten ihre Spra-che auch als heilig und geheim und wollten nicht, dassAußenseiter sie lernten, wenn sie nicht absolutvertrauenswürdig und über jeden Zweifel erhaben waren. Vonallen Menschen, die er kannte, beherrschten nur die höchstenAngehörigen der Priesterschaft Sigmars diese Sprache undlehrten sie ihren Priestern erst nach der Ordination. Felix nahman, dass Boreks Entschluss, sie jetzt zu sprechen, bedeutete,dass er eine Grenze überschritten hatte und der alte Zwerg ihmvertraute. Er war erfreut, obwohl er nicht genau sagen konnte,warum.

»Ich habe dem Piloten nur gesagt, dass er das Schiff zu jenenRuinen dort steuern soll. Ich dachte, ich hätte siewiedererkannt«, sagte Borek.

Felix folgte der Richtung von Boreks ausgestrecktemZeigefinger. An der angegebenen Stelle waren eingestürzteGebäude und noch andere Dinge. Er hob das Teleskop ansAuge und sah, dass sie Ähnlichkeit mit Wagen aus Metallhatten, die völlig geschlossen waren und nur Fensterschlitzeaus Kristall aufwiesen, durch die der Fahrer sehen konnte,sowie vier weitere Schlitze in der Seite, durch die Waffengesteckt werden konnten. Im Heck war eine merkwürdigeAnordnung von Trichtern zu sehen, aber kein Joch oderGeschirr für etwaige Zugtiere. Etwas daran erinnerte ihn an

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imperiale Streitwagen, die vollständig überdacht waren, undaußerdem an die imperialen Dampfpanzer, die er in Nulngesehen hatte.

»Das war das erste Lager unserer letzten Expedition in dieWüste«, sagte Borek. »Sehen Sie dort die rostenden Kolosse?Das waren unsere Vehikel. Wir wurden hier von einemfeindlichen Kriegstrupp angegriffen und konnten ihn nur untergroßen Verlusten abwehren. Diese Steinhaufen haben wir zuEhren unserer Toten errichtet.«

Felix bemerkte, dass das Luftschiff über den Ruinenangehalten hatte und die anderen Zwerge sich an Fenstern undBullaugen versammelten. Sie schauten mit derselben Ehrfurchtnach unten, wie Felix sie bei menschlichen Pilgern erlebt hatte,wenn sie einen Schrein betraten. In gewisser Hinsicht war diesein bestürzendes Zeugnis der Gefahren der Wüste. In andererHinsicht war es aber auch beruhigend, weil es zeigte, dassLeute diesen Weg schon einmal beschritten hatten und dieGegend nicht völlig unbekannt war.

Er betrachtete die aufgegebenen Vehikel und die leerenGräber, und seine frühere Traurigkeit kehrte mit doppelterWucht zurück. Diese Dinge standen hier seit fast zwanzigJahren, und die einzigen Augen, die sie seither betrachtethatten, gehörten Anbetern des Chaos und Ungeheuern. Erwünschte sich wahrhaftig, er wäre nicht hergekommen.

»Hier in der Nähe befinden sich die Höhlen, in denen Gotrekseine Axt gefunden hat«, sagte Borek leise.

»Tatsächlich? War das Scheitern Ihrer Expedition der Grund,warum Gotrek ein Slayer geworden ist?«

»Nein. Das hat sich später zugetragen ...«Borek lächelte traurig, dann sah er ihn an, öffnete den Mund,

als wolle er etwas sagen, und schloss ihn dann wieder, als habeer bereits zu viel gesagt. Felix wollte nachfragen, doch ihmging auf, dass er den Zwerg nicht zum Reden bringen konnte,

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wenn dieser es nicht von selbst tat.Felix ging plötzlich auf, dass er immer noch das Amulett

nachlässig in der Hand hielt. Ihm kam der Gedanke, dass deralte Zwerg unzweifelhaft weit mehr über diese Dinge wussteals er und er Boreks Worte vielleicht beherzigen sollte. Erstreifte sich die Silberkette um den Hals und schob den Steinunter sein Hemd. Wo er seine Haut berührte, verspürte er einmerkwürdiges Kribbeln. Ein Schauder durchfuhr ihn und wardann verschwunden. Zurück blieb lediglich ein warmer Schein,der ihn in keiner Weise beruhigte.

Borek gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Gut«, sagte er.»Jetzt sind Sie besser geschützt, als wir es in den alten Zeitenje waren.«

Felix schaute zum Horizont und sprach ein an Sigmargerichtetes Gebet für die Seelen der Zwerge dort unten und fürseine eigene Sicherheit. Ein jähes Gefühl unmittelbarbevorstehenden Verhängnisses überfiel ihn und wollte auchdann nicht weichen, als die Maschinen des Luftschiffs wiederzum Leben erwachten und sie tiefer in die Chaos-Wüste flogen.

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13Warpgewitter

Felix presste die Nase an das kalte Glas des Fensters und warzum ersten Mal wahrhaftig entsetzt. Die Hörner, welche dieBesatzung auf Kampfstation riefen, waren soeben erschollen,und alle Zwerge liefen auf ihre Posten zu Kanonen undMaschinen. Felix konnte nur untätig herumstehen, ein hilfloserZuschauer in dieser Zeit der Schrecknisse. Er schaute hinunterauf die unheimliche Landschaft.

Die Wüste war von einer wilden, schrecklichen Schönheit.Gewaltige Felsformationen erhoben sich aus dem glitzerndenSand wie vom Wind erodierte Statuen von Ungeheuern. Einsmaragdgrüner See funkelte unter dem roten Himmel. Anseinen Ufern marschierten zwei gewaltige Armeen in einer Flutaus Fleisch und Metall aufeinander zu.

Felix wunderte sich über seine Furcht. Die Krieger desChaos, die dort unten vorrückten, schienen sich am Luftschiffüber ihnen nicht im Geringsten zu stören. Sie waren viel zusehr aufeinander fixiert. Nur selten schaute ein Tiermenschoder Chaos-Krieger einmal zum Himmel empor und schwangdrohend eine Waffe. Keine ihrer Wurf- und Schusswaffenschien die Reichweite zu haben, das Schiff zu treffen.Makaisson hatte dennoch Alarm gegeben, um kein Risikoeinzugehen, und Felix konnte es ihm nicht verdenken. Anzahlund wahnsinnige Wildheit der Truppen unter ihnen warenbeängstigend.

Beide Seiten verfügten über eine gewaltige Streitmacht undbildeten vielleicht die größten Armeen, die er jemals gesehenhatte. Unter ihnen wogten tausende Tiermenschen wie einMeer aus behuften und gehörnten Tieren, die sich zu entstelltenZerrbildern von Menschen entwickelt hatten. Felix hatte schon

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einmal gegen diese Anhänger der Dunkelheit gekämpft, dochnun ließ sie ihre schiere Anzahl weitaus beängstigender wirkenals je zuvor. Gewaltige Banner erhoben sich aus der Mitte ihrerTruppen, jedes ein Zerrbild der Wappen seines fernenHeimatlands. Monströse Menschen in unglaublich verziertenschwarzen Rüstungen marschierten an der Spitze jeder Armeeoder ritten an den Flanken auf mutierten Pferden, neben denenauch die größten Streitrosse der Menschen unscheinbar gewirkthätten.

Tausende und abertausende von Kriegern waren anwesend.Felix war erstaunt. Wie konnte diese öde Landschaft so großeHeere ernähren? Offenbar war hier Zauberei am Werk. Als erauf diese gewaltigen Armeen starrte, erinnerte er sich an dieSchilderungen früherer Aufmärsche des Chaos aus der ZeitMagnus' des Frommen, als Praag belagert worden war und esden Anschein gehabt hatte, als würden die Kräfte der DunklenGötter die gesamte zivilisierte Welt hinwegfegen. Sie warenihm mit ihren grellen Beschreibungen von Dämonen undgewaltigen Horden entstellter wilder Wesen immer irgendwieunwirklich vorgekommen, aber jene Armeen dort unten ließenjene höllischen Visionen nur allzu plausibel erscheinen. Erkonnte sich mühelos vorstellen, wie diese gewaltigen Truppendurch den Schwarzblutpass stürmten und in die Länder derMenschen einfielen. Zum ersten Mal ging ihm die wahreMacht des Chaos auf, und er fragte sich, warum es noch nichtdie ganze Welt verschlungen hatte.

Mit einem Gebrüll, das Felix trotz des Maschinenlärmshörte, stürmten die Armeen aufeinander zu. Felix richtete dasTeleskop auf jene entfernten Gestalten und verwandelte sie vonwinzigen Marionetten in lebende, atmende Krieger.

Eine riesige Gestalt in einer Rüstung aus schwarzem Eisen,in die rötlich leuchtende Runen graviert waren, preschte mitseinem gleichfalls gepanzerten Streitross auf einen TruppTiermenschen los. Dieser schändliche Ritter schwang in jeder

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Hand eine gewaltige Streitaxt. Das Pferdegeschirr war mitäußerst kunstvollen Verzierungen geschmückt. Der Kopf desRosses wurde von einer gegossenen Maske geschützt, die ihmdie Züge eines dämonischen Drachens verlieh. Die Rüstung umseinen Leib war segmentiert wie die eines Tausendfüßlers, undan jedem Segment waren zahlreiche Scheiben in der Gestaltgrinsender Dämonenfratzen befestigt. Der berittene Kriegerstürzte sich in vollem Galopp auf den Trupp Tiermenschen.Mit jedem Schwung einer Axt enthauptete er einenTiermenschen. Die Hufe seines Rosses verspritzten das Hirneines dritten, und es galoppierte weiter und zertrampelte dieLeichen der Erschlagenen zu blutigem Brei. Die Kameradendes Ritters stürmten mit irrwitziger Inbrunst einem RudelTiermenschen entgegen, das ihnen mehr als zwanzig zu einsüberlegen war. Sie schienen furchtlos zu sein und keinenGedanken daran zu verschwenden, ob sie lebten oder starben.

An anderer Stelle des Schlachtfelds hackten sich gewaltige,mit Äxten von der Größe kleiner Bäume bewaffneteMinotauren einen Weg durch alles, was sich ihnenentgegenstellte. Sie überragten die Tiermenschen, wieErwachsene kleine Kinder überragen, und Felix kam es so vor,als habe ein Tiermensch so große Aussichten, einenMinotaurus zu überwinden, wie ein Kind welche hatte, einenerwachsenen Mann zu besiegen. Einer der stierköpfigen Riesennahm gerade ein ziegenköpfiges Ungetüm auf die Hörner undhob es hoch, während dieses schreiend um sich schlug. EinSchütteln des Kopfes ließ das blutüberströmte Opfer zwanzigSchritt weit fliegen und auf seinen Kameraden landen. DerAufprall schickte ein halbes Dutzend von ihnen in den blutigenSand. Doch dann fielen die übrigen Tiermenschen über denMinotaurus her, stachen mit ihren Speeren nach ihm, klettertenseine Beine empor und setzten ihm zu wie ein Rudel Wölfeeinem Bär. Die gewaltige Kreatur fiel und verschwand in einerStaubwolke, um von den Hufen der Tiermenschen zu Tode

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getrampelt und von ihren Speeren aufgespießt zu werden.Geflügelte menschenähnliche Wesen mit dämonischen

Fratzen erhoben sich wie eine Schar widerlicher Fledermäuseund flogen über das Schlachtfeld. Zuerst befürchtete Felix, dasssie das Luftschiff angreifen würden, und seine Hand tastetebereits nach dem Schwertgriff, doch dann stieß der höllischeSchwarm ein abscheuliches, ohrenbetäubendes Kreischen ausund stürzte sich auf die Horden der Tiermenschen. Sieschlugen mit ihren krallenbewehrten Klauen zu und rissenihren Opfern Glied um Glied mit einer Kraft aus, dieübernatürlich zu sein schien, bevor sie von ihren rasendenFeinden selbst in Stücke gerissen wurden.

Im Zentrum dieses heulenden Wahnsinns erhob sich eineriesige Gestalt in der phantastischsten Rüstung, die Felix jegesehen hatte. Jedes Stück davon schien aus grinsendenSchädeln und lechzenden Gargyl-Fratzen gegossen zu sein. DerKrieger saß auf einem skelettartigen ROSS, das kaum in derLage zu sein schien, sein großes Gewicht zu tragen, sich aberdennoch schnell wie der Wind bewegte. In der rechten Handhielt der Chaos-Ritter eine gewaltige Sense, in der Linken einBanner mit einem Thron aus Schädeln als Wappen, deren leereAugenhöhlen blutige Tränen weinten. Der Ritter gab seinenAnhängern mit ausholenden Gesten seiner SenseAnweisungen, und Horden schwarz gerüsteter Ritter beeiltensich zu gehorchen, um in den Tod zu stürmen oder ihre Feindemit einer sonderbar grausamen Freude zu töten.

Felix musste zugeben, dass sie Furcht erregend waren. Erbeobachtete voller Entsetzen die schiere Besessenheit, mit derdiese Schlacht ausgetragen wurde. Er hatte noch nie so einenwahnsinnigen Hass gesehen, den diese beiden Armeenfüreinander zu hegen schienen, und plötzlich ging ihm auf,dass genau dies der Grund dafür war, warum die Anhänger derDunkelheit die Welt noch nicht unterworfen hatten. Sie warenuntereinander ebenso zerstritten wie die Nationen der

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Menschen, tatsächlich sogar noch zerstrittener. Vielleichtstimmten also die Gerüchte über die Rivalität unter denMächten des Verderbens. Dafür war Felix unendlich dankbar,denn hier war eine Streitmacht, die Hochachtung und Furchtweckte.

All das hatte auch etwas Bestürzendes an sich. Was, wenndiese Mächte aus irgendeinem Grund ihre Rivalitäten begrubenund ihr Augenmerk auf die Welt richteten? Was, wennirgendein mächtiger Heerführer aus den Reihen des Chaosaufstieg und sie zu einer unüberwindlichen Horde einte? Dannwürde dieses gewaltige Heer gegen Kislev und dieangrenzenden Länder marschieren. Plötzlich kamen ihmStraghovs Festung und seine tausend Ulanen ziemlicherbärmlich vor.

Das Luftschiff flog binnen weniger Minuten über dasSchlachtfeld hinweg und ließ es hinter sich zurück, wo es sichin der gewaltigen Ausdehnung der unendlichen Wüste verlor.Wie groß die streitenden Armeen auch waren, die Landschaftstutzte sie auf die Bedeutung von Ameisen zurück. Einausgedehnter düsterer Schein verdunkelte den nördlichenHorizont. Sein bloßer Anblick erfüllte ihn mit düsterenVorahnungen. Felix stieß einen tiefen Seufzer aus und kehrte inseine Kabine zurück, um zu schlafen.

Das Beben des Luftschiffs riss Felix unglücklich aus einemTraum von Ulrika. Er richtete sich gerade in dem Augenblickauf, als ein gewaltiges Krachen durch die stählernen Korridorehallte und das ganze Schiff wankte, als sei es von einemgewaltigen Hammer getroffen worden. Sein Magen tat einenSatz, da die Laterne an der Wand hin und her schwang undSchatten durch die Kabine huschen ließ. In diesem kurzenAugenblick war er sicher, dass er sterben würde.

Er richtete sich auf und schaute durch das Bullauge. Draußen

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herrschte brodelnde Finsternis. Dann flammte ein unglaublichgrüner Blitz auf, der vielfach gegabelt herabzuckte und sichdann in der Düsternis verlor. Nach einigen Sekunden meldetesich die Stimme des Donners und ließ wiederum das ganzeSchiff erbeben. Die Vibrationen warfen Felix aus dem Bett undließen ihn über den Boden rollen. Als er aufsprang, stieß ersich den Kopf an der niedrigen Decke. Der Schmerz ließ Sternevor seinen Augen tanzen, und er tastete nach der Wand, umsich einen Halt zu verschaffen. Zu seiner Überraschung fühltesie sich warm an.

Auf dem schaukelnden Boden mühsam das Gleichgewichthaltend, hastete er geduckt in den Gang und schlug dieRichtung zur Kommandozentrale ein. In seinen Ohren hallteder Donner, und er konnte kaum das Entsetzen beherrschen,das in seinen Eingeweiden wütete. Dies war weitaus schlimmerals alle früheren Turbulenzen. Es war, als habe ein Riese dasLuftschiff gepackt und versuche es zu Boden zu drücken. Erkonnte das Tosen titanischer Winde hören, die am Schiffentlangpfiffen. Jeden Augenblick, glaubte er, würde das Schiffauseinander platzen wie eine von einem Hammer getroffenereife Melone, und er und alle anderen an Bord des Schiffswürden tausend Schritte tief durch sturmgepeitschte Luftfallen, um unten auf der Erde zu zerschellen.

Es war das Gefühl der Hilflosigkeit, was so beängstigendwar, das Wissen, dass er nichts tun konnte, um zu verhindern,dass es so kam. Die Geist Grungnis konnte man nur durch eineder Luken im Dach der Gondel und einen Sprung in densicheren Tod verlassen. In der Schlacht konnte er wenigstensetwas tun, ein Schwert schwingen, einen Feind erschlagen.Hier und jetzt konnte er nur zu Sigmar beten, doch wenn erbedachte, wo sie sich gerade befanden, bezweifelte er sehr,dass der Gott des Hammers etwas zu ihrer Rettungunternehmen konnte. Die zwanzig Schritte zurKommandozentrale schienen eine Ewigkeit zu dauern, und

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Felix zweifelte nicht daran, dass jeder Schritt sein letzter seinkonnte.

Als er schließlich in der Zentrale eintraf, sah er, wie dieZwerge sich an ihre Kontrollen klammerten, als seien sie ihreletzte Rettung. Gotrek stand in der Mitte, die Axt nachlässig ineiner Hand, und sah fast entspannt aus, während er dieSchaukelbewegungen des bockenden Decks mit winzigenVeränderungen seines Stands abfederte. Keine Furcht war aufseinem Gesicht zu sehen, nur ein starres Grinsen der Art, wieer es normalerweise in der Schlacht an den Tag legte. Felixbemerkte, dass die Runen auf seiner Axtklinge rötlichleuchteten. Makaisson rang mit dem Steuer, die Muskeln zudicken Wülsten gespannt, während die Sehnen sich unter seinertätowierten Haut abzeichneten wie Kabel. Der alte Borek hattesich in einen der Armsessel geschnallt, während Varek miteinem Ausdruck zwischen Furcht und Erstaunen auf demGesicht hinter ihm kauerte. Snorri war nirgendwo zu sehen.

»Was ist los?«, schrie Felix in dem Bemühen, sich trotz desDonnerhalls, des Tosens des Windes und dem Gekreisch derMaschinen Gehör zu verschaffen. Das ganze Schiff schütteltesich erneut, und Übelkeit packte ihn, als das Schiff plötzlichdurchsackte, als habe es unversehens seinen Auftrieb verlorenund falle wie ein Stein zur Erde.

»Ein Warpgewitter, Menschling!«, bellte Gotrek. »Dasschlimmste, das ich je erlebt habe!«

Wieder flackerten unheimliche grüne Blitze auf, tauchten dieganze Kabine in ein grelles Licht und verlängerten MakaissonsSchatten, bis er den ganzen Boden ausfüllte, um dann wiederzu verlöschen. Der Blitz schien nur wenige hundert Schrittentfernt herabgezuckt zu sein. In seinem Nachleuchten nahmFelix schimmernde Staubteilchen in der Luft wahr wie eineWolke seltsam gefärbter Glühwürmchen, die ihr Blickfeldausfüllten, so weit das Auge reichte. Dann ließ ihn derDonnerschlag fast taub werden, und das Schiff sackte wieder

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etwas ab. Einen Augenblick später verschwand das Gefühl zufallen, und das Luftschiff richtete sich wieder aus wie einSchiff auf dem Kamm einer Welle.

Felix schwankte zum Fenster und schaute nach unten. Durcheine Lücke in den Wolken glaubte er im Licht der flackerndenBlitze den Boden sehen zu können. Er lag nur wenige hundertSchritt unter ihnen, und Dünen aus glitzerndem Sand hobenund senkten sich unter dem Einfluss der gewaltigen Winde wieschäumende Brecher auf einem sturmgepeitschten Meer. DerWind schüttelte das riesige Luftschiff wie ein Jagdhund eineRatte. Felix wusste, dass sie in ein paar Dutzend Herzschlägenzu Boden gedrückt würden und das Schiff sich verbiegen unddann auseinander brechen würde wie ein Spielzeugboot, dasvon einem boshaften Kind an die Wand geschleudert wurde.

»Malakai! Wir stürzen ab!«, schrie er. »Wir sind nicht mehrweit über dem Boden!«

»Dann komm her und geh uns zur Hand, Jung. Zieh amHöhenruder, so fest du kannst. Und halt die Auge' offe'. DieInstrumente arbeite' in diesem Sturm net mehr.«

Felix eilte neben den Technikus und zog an dem Hebel.Normalerweise hätte er sich leicht bewegen lassen, doch nunschien er zu klemmen. Felix zog mit aller Kraft, aber der Hebelwollte sich immer noch nicht rühren. Das kalte Metall bewegtesich einfach nicht. Vor seinem geistigen Auge sah Felix dasLuftschiff in der felsigen Wüste zerschellen, und er zog erneut,wobei die Furcht zusätzliche Kräfte mobilisierte. Schweiß liefihm über die Stirn. Seine Muskeln fühlten sich an, als wolltensie durch die Haut platzen, und wenn er noch länger so zog,würden gewiss irgendwelche Blutgefäße platzen. Es hattekeinen Sinn. Der verwünschte Hebel wollte sich immer nochnicht rühren.

»Ich kann ihn nicht bewegen!«, rief er.»Das liegt am Wind auf dene Höhenruder', Jung. Der setzt

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sich zur Wehr. Versuch's weiter. Nicht aufgebe'!«Felix zog und zerrte weiter, doch immer noch geschah

nichts. Ihnen blieben nur noch Sekunden bis zur Katastrophe,und er konnte nicht das Geringste tun. Er richtete ein Stoßgebetan Sigmar, in dem er um sein Seelenheil flehte, da er wusste,dass sein Leben hier in der Chaos-Wüste enden würde. Dannwar Gotrek plötzlich neben ihm und stellte seine gewaltigeKraft ebenfalls in den Dienst des Ringens mit dem Hebel. Undimmer noch rührte er sich nicht.

Gotreks Barthaare sträubten sich. Die Adern in seiner Stirnschwollen an, und dann gab etwas nach. Zuerst befürchteteFelix, sie hätten den Hebel verbogen, doch nein, er bewegtesich langsam, aber sicher auf sie zu. Gleichzeitig neigte sichdie Nase des Luftschiffs aufwärts. Dann schien es, als werdedas Luftschiff zurückgeworfen wie eine Galeone, die voneinem gewaltigen Brecher erfasst worden war. Das Deckschaukelte, und er und Gotrek verloren den Halt und kollertengegen die rückwärtige Kabinenwand. Felix' wogende Innereienzogen sich krampfhaft zusammen, als das Luftschiffunkontrolliert himmelwärts schoss und dann wieder absackte.

»Festhalte'!«, bellte Makaisson. »Das wird ziemlich heftig!«

Lurk verspritzte den Geruch der Angst. Er spürte, wie seineDrüsen sich verkrampften, bis sie leer waren, und immer nochzu spritzen versuchten. Der Wind zerrte an seinem Fell undzerzauste es mit tausend Dämonenfingern. FunkelnderWarpsteinstaub füllte seinen Mund und drohte ihn zu ersticken.Er hatte bereits eine beträchtliche Menge davon geschluckt undein warmes Gefühl im Magen. Sein Fell hatte sich gesträubt.Das Grollen des Donners machte ihn fast taub. Seine Augentränten aus Furcht und wegen ihrer beständigen Reizung durchden Wind. Er umklammerte das Geländer derAussichtsplattform mit allen vier Pfoten. Sein Schwanz war um

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das Geländer gewickelt, um ihm zusätzlichen Halt zuverleihen. Er kämpfte darum, sich auf seinemBeobachtungsposten möglichst tief zu halten, aber der Winddrohte ihn trotzdem fortzureißen und ihn ins Verderben zustürzen. Es war kaum zu ertragen.

Er verfluchte den Tag, an dem er seinen schönen warmenBau in Skavenblight verlassen hatte. Er verfluchte den GrauenPropheten Thanquol wegen seiner dämlichen Befehle. Erverfluchte die dämlichen Zwerge, ihr dämliches Luftschiff undihre dämliche Reise. Er verfluchte alles und jeden - nur nichtdie Gehörnte Ratte, an die er gelegentlich ein Stoßgebet fürseine Erlösung richtete.

Noch vor wenigen Minuten war alles ganz ruhig gewesen. Erwar aus seinem Versteck im Laderaum in diesen Ausguckgeklettert, um dem Grauen Propheten Thanquol wie jeden TagBericht zu erstatten. Das Schiff hatte ein wenig vibriert, aberLurk hatte sich mittlerweile an die kleinen Schwankungengewöhnt und nicht weiter darauf geachtet. Doch als er dasAussichtsdeck schließlich erreichte, hatten die Bewegungensich verstärkt, und das ganze Schiff hatte in der Luft gebocktwie ein scheuendes Pferd. Doch erst als er den Kopf durch dieLuke des Aussichtsdecks schob, war ihm aufgefallen, dass dasSchiff in eine seltsam leuchtende Wolke und deren bizarresbuntes Blitzgewitter gehüllt war.

Vernünftige Skaven-Vorsicht hatte ihm zugeflüstert, er sollesich besser nach unten zurückziehen, aber eine Sache hatte ihnan Ort und Stelle gehalten: der prickelnde Geschmack vonWarpsteinstaub auf der Zunge. Dieser Staub war die Quelleeines Großteils der gefürchteten Macht des Grauen Prophetenund sehr wahrscheinlich die Quelle aller Magie. Er hattegedacht, wenn er auch etwas davon zu sich nähme, könne ersich magische Fähigkeiten aneignen, aber bis jetzt spürte erdavon noch nichts. Als er dann nach unten zurückkehrenwollte, hatten die verwünschten Zwerge mittlerweile alle

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Luken geschlossen, und es war ihm nicht möglich, sie vonaußen zu öffnen. Sie waren verriegelt.

In hektischer Furcht war er in der Gashülle herumgekrochen,aber die seltsamen Bewegungen der Ballons hatten ihm Angsteingejagt, und er war es leid geworden, an der Leiter zuhängen. Also war er zurück auf die Plattform gestiegen, wo ihnder Wind gepackt hatte. Er hatte sich gerade noch rettenkönnen, indem er sich am Geländer festklammerte, und jetztkonnte er nichts tun außer zu warten und zu beten, während dasLuftschiff unter ihm schwankte wie ein Floß in einem Orkan.

Die nächste Serie von Donnerschlägen ließ Lurk aufschauen.Er sah eine ganze Reihe von Blitzen aufflammen, über denHimmel zucken und dem Schiff immer näher kommen. Ihrgrässliches Leuchten blendete ihn. Er schloss fest die Augen,aber er wusste ohne den Schatten eines Zweifels, dass sie indas Schiff einschlagen würden.

Er vergaß nicht, noch einen letzten Fluch in die allgemeineRichtung des Grauen Propheten Thanquol zu schicken.

Felix sah die Reihe der Blitze ebenfalls, die direkt vor demLuftschiff aufflackerten. Makaisson drehte am Steuer, da erihnen ausweichen wollte, doch es war zu spät. Die grünlichenBlitze schlugen ins Schiff ein. In dem Augenblick, bevor derunglaublich grelle Schein ihn blendete, sah Felix die Juwelenin den Augen der Galionsfigur so hell wie die Sonneaufstrahlen. Dann erbebte das Schiff, als wolle es auseinanderfliegen, und einen furchtbar langen Augenblick konnte Felixnichts mehr sehen. Einen Herzschlag erfüllte ihn dieschreckliche Angst, er sei erblindet, doch sie verging wieder,als sein Sehvermögen langsam zurückkehrte und er wahrnahm,dass alles in der Kommandozentrale von einer raschverblassenden grünen Aura umgeben war.

Das Amulett auf seiner Brust fühlte sich heiß genug an, um

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ihn zu verbrennen, und er wollte es sich schon abreißen, alsihm der Gedanke kam, dass sich dies als sehr unklug erweisenkönne, da es ihn vielleicht vor der Magie des Chaos schützte,die der Blitz ganz offenbar im Übermaß enthalten hatte. Er sah,dass das Amulett auf Gotreks nackter Brust in einem grellenGrün erstrahlte, während es die Aura zerstreute. Dann hörte dasSchiff plötzlich auf zu bocken, und der Himmel - rings um siewurde klar.

Felix raffte sich auf und hinkte geduckt zum Fenster derKommandozentrale. Unter ihnen sah er immer noch dieschwarzgrünen Wolken des Warpgewitters brodeln. Hin undwieder flammten die Wolken im Schein des Hexenlichts auf,da immer wieder Blitze durch die Wolken zuckten. Es war, alsschaue er auf ein absonderliches chaotisches Meer herab, undFelix rechnete halb damit, ein gewaltiges Ungeheuer aus seinenTiefen aufsteigen zu sehen, um das Schiff zu verschlingen.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ihm auffiel, dass derMaschinenlärm sich verändert hatte. Das Geräusch wurdelangsam leiser, bis es völlig verstummte. Die Wolken zogengemächlich an dem Luftschiff vorbei. In der Brise drehte essich langsam hierhin und dorthin.

»Mir habe' dene Antrieb verlöre'«, murmelte Makaisson.»Das ist net gut.«

Diesen Augenblick wählte sich Snorri aus, um in derZentrale aufzutauchen. Er gähnte ausgiebig. »Was war das fürein Lärm?«, fragte er. »Er hat Snorri geweckt.«

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14Die Ruinenstadt

Felix lauschte betrübt, wie die Technikusse der Reihe nachder Kommandozentrale Meldung erstatteten. Jeder hatte eineLeidensgeschichte zu erzählen. Allem Anschein nach hatte dasWarpgewitter große Schäden angerichtet. In der Gashüllewaren Risse, die Maschine funktionierte nicht mehr richtig, dieRotorblätter waren verbogen, und auch der Rumpf warbeschädigt worden.

»Mir müsse' anhalte', um Reparature' vorzunehme'«,verkündete Makaisson gelassen. Als er durch die Fensterschaute, wünschte Felix, er hätte die Zuversicht des Zwergsteilen können. Das Unwetter hatte sich endlich verzogen, undam Himmel stand wieder die übliche Mischung aus buntenWolken. Unter ihnen erstreckten sich die Ruinen einergewaltigen Stadt, auf deren Straßen keine Seele zu sehen war.Die trostlose Leere war unheimlich. Der Wind pfiff klagend,während er den Sand aufwirbelte, der durch die verlassenenGebäude wehte.

Dann hörte Felix ein weitaus ermutigenderes Geräusch:irgendwo hatte es jemand geschafft, eine der Maschinen zumLaufen zu bringen. Freudig übernahm Makaisson das Steuerseines Luftschiffs. Er ließ es langsam sinken, bis es nur nochhundert Schritt über den Gebäuden schwebte.

»Mir mache' hier fest. Leine' werfe'!«Ankertaue fielen. Felix sah, wie die Greifhaken am Ende

eines Taus an einer eingestürzten Mauer fassten. Das reichte,um das schwebende Luftschiff an Ort und Stelle zu halten.

»Gut. Geht runter und sichert die Hake'! I sorg dafür, dassdas Schiff ruhig bleibt.«

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»Augenblick«, sagte Felix. »Es könnte gefährlich sein.«»Ach, da hast du wohl Recht, Jung. Gotrek, Snorri, Felix,

geht runter und vergewissert euch, dass nirgendwo da unte'Tiermensche' lauere.«

Felix wünschte, er hätte den Mund gehalten.Auf dem Boden sahen die Ruinen noch gewaltiger und

düsterer aus als aus der Luft. Die Gebäude schienenunermesslich alt zu sein. Riesige Steinblöcke warenaufeinander geschichtet worden, ohne sie mit Mörtel zuverfugen. Ursprünglich hatten sie ihr Gewicht und diePräzision, mit der sie gestapelt waren, an Ort und Stellegehalten. Es war ein Baustil, wie Felix ihn erst einmal zuvorgesehen hatte - in den Ruinen unweit der uralten unterirdischenZwergenfeste Karak Achtgipfel. Er sprach diesen Gedankenlaut aus.

»Das ist keine zwergische Handwerkskunst, Menschling«,erwiderte Gotrek spöttisch. Seine Stimme wurde durch denSchal gedämpft, den er sich zum Schutz vor etwaigemWarpsteinstaub um seine untere Gesichtshälfte gewickelt hatte.Snorri und Felix hatten diese Vorsichtsmaßnahme ebenfallsgetroffen. Allem Anschein nach passte der Absturz inWahnsinn und Mutation nicht zum Slayer-Ideal einesheldenhaften Untergangs. »Sie sieht nur so aus. Vielleicht istsie kopiert worden, oder die Baumeister hatten Dawi alsBerater, aber es ist keine zwergische Arbeit. DieSteinmetzarbeiten sind schlampig ausgeführt, und dieAbgleichung ist nicht perfekt.«

Felix zuckte die Achseln. Sein Kettenhemd fühlte sichschwer auf seinen Schultern an, aber er war froh, dass er estrug. An diesem absonderlichen Ort galt, je mehr Rüstung erhatte, desto besser. Im Augenblick hätte er nichts gegen einenKettenpanzer einzuwenden gehabt. Er sah sich um. Die Straße,auf der sie standen, war mit großen Steinplatten gepflastert. In

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jede Platte war eine Rune geritzt. Der Wind pfiff unheimlichdurch die trostlosen Ruinen. Es war kalt, und er hatte dasunheimliche Gefühl, beobachtet zu werden.

»Ich habe noch nie von Städten der Menschen so weit imNorden gehört, und es sieht auch nicht nach elfischer Arbeitaus.«

»Elfische Arbeit!«, sagte Gotrek verächtlich. »EinWiderspruch in sich: Elfen arbeiten nicht.«

»Ich bezweifle, dass dies von Tiermenschen oder denKriegern des Chaos errichtet wurde. Dafür scheint die Stadtviel zu kultiviert und vor allem auch zu alt zu sein.«

»Der Schein trügt hier in der Chaos-Wüste.«»Wie meinst du das?«»Es gibt alle möglichen Illusionen und Luftspiegelungen,

und es heißt, in den Tiefen der Wüste könnten die Großmächtedes Chaos Dinge nach Belieben erschaffen und zerstören.«

»Dann hoffen wir wohl besser, dass wir noch nicht so tief inder Wüste sind.«

»Aye.«Ein unheimlich heulender Ruf hallte durch die Ruinen wie

das Kreischen einer gequälten Seele oder der Schrei einesWahnsinnigen, der einsam und verlassen durch eine endloseWildnis irrt. Felix fuhr herum und riss sein Schwert aus derScheide. »Was war das?«, fragte er.

»Ich weiß es nicht, Menschling, aber zweifellos werden wires herausfinden, wenn es näher kommt.«

»Snorri hofft, dass es das tut!«, sagte der Slayer frohgemut.Felix warf einen Blick auf die Strickleiter, die vom

Luftschiff herabbaumelte. Der Abstieg hatte ihm keinen Spaßgemacht, und er freute sich auch nicht auf die Aussicht, siewieder zu erklimmen, aber es war gut zu wissen, dass sie dawar, falls sie sich unversehens zurückziehen mussten. Der

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bizarre Ruf ertönte wieder, näher jetzt, aber es war nicht leicht,dies mit Sicherheit zu sagen.

Aufgrund des Echos in diesen Ruinen konnte der Rufermeilenweit entfernt sein. Felix tröstete sich mit dem Gedanken,dass er zumindest nicht beantwortet worden war. Er betastetedas Amulett auf seiner Brust, spürte aber keinerlei Wärme.Vielleicht war hier keine Schwarze Magie am Werk, vielleichtwar es während des Warpgewitters überladen worden. Ihm waraufgefallen, dass keines der Juwelen in der Seite des Schiffsleuchtete. Das mochte Gutes verheißen, aber auch Schlechtes.Felix wusste nicht genug über Magie, um sich eineabschließende Meinung zu bilden.

Varek gab ihnen aus der Luke Zeichen. Er schien wissen zuwollen, ob sie das Luftschiff sicherten. Felix schüttelte denKopf, um anzuzeigen, dass die Besatzung nichts unternehmensollte, bis sie herausgefunden hatten, was diesen grässlichenLärm verursachte.

»Sollen wir dem Kreischen auf den Grund gehen?«, fragteFelix.

»Gute Idee, Menschling«, sagte Gotrek gemein. »Lass unsdurch diese Ruinen wandern und sehen, wie weit wir uns vomLuftschiff entfernen können. Vielleicht sollten wir uns auchnoch trennen. Auf diese Art können wir ein größeres Gebietabsuchen!«

»Es war nur ein Vorschlag«, sagte Felix. »Das ist doch keinGrund, gleich so sarkastisch zu sein.«

»Für Snorri klang es nach einem guten Plan«, sagte derandere Slayer.

In diesem Augenblick humpelte eine Gestalt aus den Ruinen.Sie sah aus wie ein Mann, war aber so verdreckt, zerlumpt undzerzaust, dass Felix nicht sicher war, ob dies tatsächlich derFall war. Er spürte eine Veränderung in Gotreks und SnorrisHaltung. Zwar änderten sie ihre Stellung nicht, aber sie

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schienen wachsamer zu werden und bereit zu sein, jedenAugenblick zu kämpfen.

Felix hörte ein Klirren hinter sich und wandte kurz den Kopf- um festzustellen, dass sich der Greifhaken am Ende desHaltetaus gelöst hatte. Das Luftschiff trieb frei im Wind.Diesen Augenblick suchten sich die Maschinen des Schiffs aus,um zu stottern und dann zu verstummen. Er fluchte bei sich, alssich die Strickleiter aus seiner Reichweite hob, dann drehte ersich wieder um und richtete sein Augenmerk auf die sichnähernde Gestalt.

Er konnte erkennen, dass es sich tatsächlich um einen Mannhandelte. Er ging geduckt und schlurfte. Seine Haare waren solang, dass sie ihm bis zur Hüfte reichten. Sein Bart warschmutzig und schleifte fast über den Boden. Nässende Stellenbedeckten seine Hände und Arme, wo sie bloß waren. Erhumpelte müde zu ihnen und stieß ein weiteres lang gezogenesHeulen aus. Er stützte sich auf einen Stab, der allem Anscheinnach aus ein paar Menschenknochen angefertigt und mitSehnen zusammengebunden worden war. Ein Totenschädel aufder Spitze funkelte sie mit leeren Augenhöhlen an.

Felix starrte den Mann an und begegnete einem Blick vollermelancholischen Wahnsinns.

»Verschwindet aus meiner Stadt, sonst verfüttere ich euch anmeine Bestien«, sagte der Fremde schließlich. Er befingerteeines der vielen mit Grünspan überzogenen Kupferamulette,die an einer Kette um seinen Hals hingen. Felix konnteerkennen, dass es in das Abbild eines schreienden Schädelsgraviert war.

»Welche Bestien?«, fragte Gotrek.»Snorri hält dich für einen Spinner«, sagte Snorri.Du hast's gerade nötig, dachte Felix.»Die Bestien, die mich fürchten und anbeten«, sagte der

Mann. »Die Wesen, für die ich ein Gott bin.«

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Felix sah den Mann an und spürte Angst in sich aufwallen,da dieser offensichtlich wahnsinnig war. Andererseits wollte erden Mann nicht einfach erschlagen, nur weil er den Verstandverloren hatte. Sicherlich war er schon seit einiger Zeit hier,und Felix kam der Gedanke, dass der Mann nützlicheKenntnisse haben könnte. Er glaubte, nichts verlieren zukönnen, wenn er diesem Irren nach dem Mund redete.

»Wie lautet dein Name, o Mächtiger?«, fragte Felix in derHoffnung, dass die anderen so geistesgegenwärtig sein undmitspielen würden. Es war sehr wahrscheinlich einevergebliche Hoffnung, aber er war der Ansicht, es ruhigversuchen zu können. Der Fremde schien einen Momentdarüber nachzudenken.

»Hans. Hans Müller - aber ihr könnt mich Göttlichernennen.«

»Und was tust du hier, Göttlicher?«, fragte Felix leise. »Dubist weit entfernt von allem.«

»Ich habe mich verirrt.«»Du hast in Kislev die falsche Abzweigung genommen,

richtig?«, fragte Gotrek sarkastisch. Felix sah, dass der Slayerbereit war, jederzeit mit der Axt zuzuschlagen. Die Runen inder Klinge leuchteten schwach. Das war für gewöhnlich einsehr schlechtes Zeichen.

»Nein, Schrumpfling. Ich bin ein Magier. Ich habe mitgewissen Zaubern der Translokation experimentiert, und etwasging schief. Ich bin hier gelandet.«

»Schrumpfling?«, sagte Gotrek mit einem bedrohlichenUnterton.

»Translokation?«, fragte Felix hastig. Die Tatsache, dass derMann ein Zauberer war, munterte ihn nicht gerade auf. Er hattesich noch nie viel aus Zauberern gemacht, nachdem ihm einigeübel mitgespielt hatten.

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»Eine Methode der Bewegung zwischen zwei Orten ohnedas Land dazwischen zu durchqueren. Meine Theorien warenwenigstens teilweise korrekt. Ich habe mich bewegt.Glücklicherweise zu weit, sodass ich hier gelandet bin, wo dieEingeborenen meine Göttlichkeit anerkennen.«

»Verrate uns, o Göttlicher, was du von Karag Dum weißt«,sagte Felix.

»Der große Dämon ist dorthin zurückgekehrt«, sagte Müllersofort.

Bei der Erwähnung von Dämonen schauderte Felix. In derChaos-Wüste war die Anwesenheit derart finstererWesenheiten nur allzu wahrscheinlich. »Der Dämon?«

»Der Dämon, von dem in der Prophezeiung die Rede ist. DerGroße Zerstörer. Er wartet nur auf die Ankunft des Axtträgers,um seine Bestimmung zu erfüllen!« »Erzähl uns mehr«, sagteFelix schaudernd. Als er Felix' Reaktion sah, nahmen dieAugen des Magiers einen seltsam verschlagenen Ausdruck an.Er leckte sich mit der Spitze einer dünnen rosa Zunge über dieLippen. Er sah irre und gewitzt aus, und plötzlich traute Felixihm nicht mehr über den Weg.

»Meine Bestien müssen gefüttert werden«, sagte der Magierund beschrieb dann eine seltsame Geste. Seine Hand bewegtesich durch die Luft und schien dabei absonderlich leuchtendeEnergien aus ihr zu schöpfen. Plötzlich war seine Hand voneiner schillernden Kugel aus Licht umgeben. In demAugenblick, als er Anstalten machte, die Kugel zu werfen,blitzte Gotreks Axt auf und trennte die Hand vom Arm. DieKugel aus Licht entfiel Müllers ausgestreckten Fingern undschlug auf den Boden. Es gab eine Explosion. Ein Schwallwarmer Luft strich über Felix hinweg. Seine Haut kribbelte,und ein merkwürdiges Schwindelgefühl überkam ihn.

Einen Augenblick später hatte er sich davon erholt, und auchdas grelle Licht vor seinen Augen beruhigte sich wieder. Mit

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großer Dankbarkeit nahm er zur Kenntnis, dass Gotrek undSnorri ebenfalls noch da waren. Nur der Zauberer warverschwunden.

»Das war aber kein besonders zerstörerischer Zauber«, sagteFelix. »Es kann kein mächtiger Zauberer gewesen sein.«

»Da bin ich nicht so sicher, Menschling«, sagte Gotrek.»Wie meinst du das?«»Sieh dich um.«Felix tat es. Als Erstes fiel ihm auf, dass das Luftschiff nicht

mehr da war. Dann sah er das Dach, die Mauern und diesonderbaren Muster auf den Bodenplatten.

»Wenn wir das nächste Mal einen Zauberer treffen,Menschling«, sagte Gotrek, »lass ihn uns zuerst töten und ihmdann Fragen stellen.«

Sie standen in einer sonderbar geformten Kammer in derMitte eines großen Pentagramms. An jeder Spitze desPentagramms befand sich ein menschlicher Schädel, und injedem Schädel leuchtete etwas. Das Dach war aus massivemStein. Die Wände der Kammer bestanden aus denselbenSteinen wie der Rest der Stadt. Merkwürdig leuchtendes Mooswuchs in den Fugen zwischen den Blöcken.

»Wo sind wir?«, flüsterte Felix. Die Atmosphäre diesesOrtes hatte etwas an sich, das ihn dazu anhielt, sich sehr leisezu verhalten. Eine Aura der Wachsamkeit, ein Gefühl, dassetwas Altes, Böses darauf wartete, dass etwas geschah. SeineWorte hallten durch die Kammer. In den Schatten des Dachsraschelte und rührte sich etwas, und Felix hoffte inbrünstig,dass es nur Fledermäuse waren.

»Snorri hat keine Ahnung«, sagte Snorri laut. »Vielleichtirgendwo unter der Erde.«

»Finden wir es heraus«, sagte Gotrek, indem er zum Randdes Pentagramms trat. Er hatte sich kaum in Bewegung gesetzt,

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als die Kreidelinien auf dem Boden hell aufleuchteten. Felixsträubten sich die Nackenhaare. »Nein! Warte!«, rief er.

Gotrek schritt munter weiter. Als sein Fuß den Rand desPentagramms berührte, sprühten Funken, und er wurde in einstrahlendes Leuchten gehüllt. Der Geruch nach Ozon lag in derLuft. Der Slayer wurde wieder zurück in die Mitte desPentagramms geschleudert - was ihn nicht einmalverlangsamte. Er warf sich noch einmal gegen die Barriere undwurde erneut zurückgeworfen.

Diesmal beobachtete Felix ganz genau, was geschah. JedesMal, wenn der Zauber wirksam wurde, leuchteten die Augender Schädel heller. Nachdem Gotrek zurückgeworfen wurde,trübten sie sich wieder.

»Du könntest versuchen, einen dieser Schädel zuzerschmettern«, schlug Felix vor. Gotrek antwortete nicht,sondern stapfte zu einer der Spitzen des Pentagramms. SeineAxt zuckte herab, während die Runen in der Klinge hellleuchteten. Der Schädel zersplitterte in tausend Stücke. EineWolke ektoplasmischen Dampfs stieg daraus auf. Ein langgezogenes kreischendes Jaulen ertönte, als sei eine Seele nachJahrhunderten der Gefangenschaft freigelassen worden.Während der Schrei verhallte, erloschen die verbliebenenSchädel, und Gotrek konnte das Pentagramm ohne Müheverlassen.

Eine rasche Erkundung ergab, dass es nur einen Weg aus derKammer gab. Er führte eine lange Rampe empor und in einGewirr aus düsteren Gängen, die durch in die Deckeneingesetzte leuchtende Edelsteine ein wenig erhellt wurden.Felix hatte dergleichen schon einmal in Karak Achtgipfelgesehen.

»Die sehen nach Zwergenarbeit aus«, sagte er, als sie durchdie finsteren Gänge marschierten.

»Aye, Menschling, das tun sie. Vielleicht haben die

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Bewohner Karag Dums mit dieser Stadt Handel getrieben.«»Oder vielleicht ist Karag Dum von den Leuten hier

geplündert worden.«»Das ist ein übler Gedanke, aber auch eine Möglichkeit.«Sie schwiegen wieder. Gotrek führte sie mühelos durch das

Gewirr. Er war immer selbstsicher und musste niemalsumkehren. Felix war erstaunt über die Gewissheit, welche dieZwerge hier an den Tag legten, denn auf sich allein gestellt,hätte er sich mittlerweile hoffnungslos verirrt.

Die wachsame Stille hatte sich wieder über das Labyrinthgelegt. Felix bekam eine Gänsehaut. Ab und zu blieb er stehenund warf einen Blick über die Schulter, um sich zuvergewissern, dass sich nichts von hinten anschlich. Er hatteein Gefühl, als könne sich jeden Moment eine Klinge in seinenRücken bohren.

Während sie durch die Gänge eilten, fragte sich Felix, wo dieanderen Zwerge sein mochten. Er hoffte, dass sie nicht ohne sieweitergeflogen waren. Ihre Lage sah im Augenblick nicht allzugut aus. Ohne Nahrung, Wasser und genaue Ortskenntniswaren sie in einem großen Labyrinth gefangen. Wenn sie es andie Oberfläche schafften und sie sich immer noch in derRuinenstadt befanden, gelang es ihnen vielleicht, das Luftschiffauf sie aufmerksam zu machen. Doch wenn es bereitsverschwunden war, waren die Aussichten düster. Felix freutesich keineswegs auf einen langen Marsch durch die Chaos-Wüste, den sie in diesem Fall in dem Bemühen unternehmenwürden, es nach Hause zu schaffen. Nach allem, was er aufdieser Reise bisher erlebt hatte, war es äußerstunwahrscheinlich, dass sie in diesem Fall überleben würden.

Er schob diese Überlegungen beiseite und zwang sich, dieAufmerksamkeit auf seine Umgebung zu richten. Der Korridorhatte sich zu einer ausgedehnten Halle verbreitert. Licht fielvon oben ein. In seinen Strahlen schimmerten funkelnde

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Staubpartikel. Die eigentliche Halle war viele Stockwerkehoch. In jeder Etage gab es eine Galerie. Ein großer, mitschaumigem Wasser gefüllter Zierteich nahm den größten Teildieser untersten Etage ein. In der Mitte des Teichs stand einSpringbrunnen, der schon vor langer Zeit zu sprudeln aufgehörthatte. Die Brunnenfigur hatte die Gestalt eines gerüstetenKriegers. Der Krieger sah wie ein Mensch aus, wenn mandavon absah, dass er einen zusätzlichen Arm hatte, in dem ereinen Stab hielt.

Felix marschierte zum Rand des Teichs und schaute hinein.Das Wasser war überall trübe mit Ausnahme der Stellen, wokleine Flecken aus grünem Licht leuchteten wie gefangeneSterne. Er hatte dieses Zeug schon einmal gesehen und wusste,dass es sich um Warpstein handelte.

»Wir werden dieses Wasser nicht trinken«, murmelte er, undder Gedanke machte ihn sofort durstig. Und als er das dachte,sah er ein verzerrtes Spiegelbild im Wasser. Eine riesigegeflügelte Gestalt wurde hinter ihm größer, als er daraufschaute,

»Passt auf!«, rief er und warf sich nach hinten, weg von demTeich. Rasiermesserscharfe Krallen zuckten durch die Luft, woer soeben noch gestanden hatte. Felix hatte den flüchtigenEindruck von einer widerlichen geflügelten Gestalt ganzähnlich derjenigen, die er zuvor über das Schlachtfeld hattefliegen sehen. Dann ertönte ein lautes Klatschen, als dieKreatur in den Teich stürzte.

Felix hatte einen Augenblick Zeit, sich zu fassen undaufzuschauen. Eine Horde geflügelter Wesen tauchte auf denGalerien hoch über ihnen auf und stürzte sich in die Luft. Erkonnte das Flattern ihrer Flügel hören als sie losflogen. DieseWesen flogen nicht lautlos. Dasjenige, welches ihn angegriffenhatte, musste von ganz oben herabgesegelt sein.

»Harpyien!«, rief Snorri. »Gut!«

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Gotrek schaute grimmig drein, als er seine Axt schwang.Snorri grinste wie ein Irrer und vollführte Luftsprünge ob derAussicht auf die bevorstehende Schlacht. Felix warf einenBlick zurück auf das Wasser, in dem der erste geflügelteAngreifer verschwunden war. Ein lautes Klatschen ertönte, undWassertropfen rannen über sein Gesicht, als das Wesen dieOberfläche durchstieß und mit den vom Wasser schwerenSchwingen flatterte. Als es versuchte, sich in die Luft zuerheben, stieß es ein unirdisches Kreischen aus, da sich einriesiger Tentakel, dick wie ein Kabel und vollständig mitSaugnäpfen bedeckt, um das Flugwesen ringelte und es insWasser zurückzog. Felix war plötzlich sehr froh, dass er dasWasser nicht angerührt hatte, und dann blieb ihm keine Zeitmehr zum Nachdenken.

Die höllische Schar stürzte sich auf sie. Felix war vonflatternden Gliedmaßen umringt. Die schlagenden Schwingentrieben den widerlichen Schlachthausgestank der Wesenüberallhin. Er wich einer Klaue aus und erhaschte einenflüchtigen Blick auf ein grässlich verzerrtes, kreischendesGesicht. Rasch schwang er das Schwert und räumte so einenkleinen Bereich frei, in dem er sich bewegen und kämpfenkonnte. Die Schlachtrufe der Zwerge hallten ihm zusammenmit dem infernalischen Gekrächze der Harpyien in den Ohren.

Er wandte den Kopf in dem Bemühen, die beiden Slayerauszumachen, da er die Absicht hatte, sich zu ihnendurchzukämpfen, doch im gleichen Augenblick zuckte einscharfer stechender Schmerz durch seine Schulter. Die ganzeWelt überschlug sich. Das Rauschen von Schwingen drang inseine Ohren und der Gestank nach verwestem Fleisch in seineNase. Er war von einer Harpyie gepackt und hochgehobenworden wie eine Feldmaus, die von einer Eule zum Nestgeflogen wurde, um den Jungen als Nahrung zu dienen.

Die Beschleunigung des Ungetüms war furchtbar. Er schautenach unten und erhaschte einen flüchtigen Blick auf die am

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Boden tobende Schlacht. Snorri und Gotrek standen im Augeeines Sturms aus Schwingen. Überall lagen die verstümmeltenLeichen toter Harpyien, aber es kamen immer noch mehr.Gotrek packte gerade eine am Bein, zog sie nach unten undschlug ihr mit der Axt den Schädel ein. Neben ihmzerschmetterte Snorri einer anderen mit seinem Hammer einSchulterblatt. Als die verwundete Bestie zu Boden fiel,enthauptete der Slayer sie mit seiner Axt.

Im Teich brodelte und schäumte das Wasser, als etwaswahrhaft Großes sich an die Oberfläche erhob. Die Gegenwehrder gefangenen Harpyie war erlahmt, da immer mehr Tentakelsie umschlangen und ihr das Leben aus dem Leib quetschten.Ein gewaltiger Kopf durchbrach die Wasseroberfläche. DerAnblick eines kreisrunden Mauls wie das eines Egels, das mitspitzen Dolchzähnen gefüllt war, lenkte Felix von seinerNotlage ab. Er hatte eigentlich mit dem Schwert aufwärtsstechen und sich darauf verlassen wollen, dass das Wasser imTeich seinen Sturz mildern würde - doch nun hatte es denAnschein, als würde er dabei vom Regen in die Traufe geraten.

Snorri bemerkte, was mit Felix geschah, und warf seinenHammer nach der Harpyie. Felix zuckte zusammen, als der ihnknapp verfehlte, sein Ziel aber traf. Es knackte ekelhaft, alsKnochen brachen, und plötzlich stürzte Felix dem Teichentgegen.

»Nein! Du Idiot!«, schrie er, als das aufgewühlte Wasserunter ihm größer wurde und ihm die vorbeirauschende Luft inden Ohren pfiff. Das Ding im Teich schaute mit großen, fastmenschlichen Augen zu ihm auf- In diesem Moment kam Felixder Gedanke, dass das Wesen früher einmal ein Menschgewesen sein mochte, der von den grässlichenMutationskräften des Chaos verwandelt worden war. Dann saher, wie der Kopf in den Nacken gelegt wurde und das Egel-Maul weit aufklaffte, und in diesem Augenblick erkannte er,dass er sterben würde. Wenn ihn der Fall nicht umbrachte,

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würden ihn diese widerlichen schleimigen Tentakel packen undin dieses riesige Maul zerren.

Verzweiflung flackerte kurz auf, um dann so etwas wieBerserkerwut zu weichen. Wenn er schon starb, würde er dasUngeheuer mitnehmen! Er drehte sich, sodass er die Füße nachunten bekam, und stieß im Augenblick des Aufpralls dasSchwert tief in das gummiartige Fleisch der Bestie. Das Temposeines langen Falls, das ganze Gewicht seines Körpers und alleKraft in seinen Armen trieben die verzauberte Klinge tief in ihrZiel. Sie durchschnitt Fleisch und bohrte sich in dasNervenzentrum des Wesens. Die Tentakel erschlafftenaugenblicklich.

Der Aufprall quetschte Felix die Luft aus der Lunge, aber erspürte nicht, wie etwas brach. Die Gummimasse und dieenorme weiche Körperfülle der Bestie hatten seinen Fallgebremst. Er richtete sich rasch auf und sprang vom Kopf destoten Wesens auf den Rand des Teichs, wobei er daraufachtete, nicht mit dem Wasser in Berührung zu kommen. Dabeisah er, dass Gotrek und Snorri die Harpyien in die Fluchtgeschlagen hatten. Die Mehrheit der Überlebenden hatte sich indie Luft erhoben und flog rasch außer Reichweite der Slayer.Ein Blick zurück bestätigte, dass das Ungeheuer im Teich be-reits in den Tiefen des stinkenden Wassers versank.

Snorri bückte sich und hob seinen gefallenen Hammer auf.Er sah Felix an und grinste. »Guter Wurf, was?«, sagte er.

Felix nahm davon Abstand, den Zwerg mit seiner Klingeniederzustrecken.

»Es geht weiter«, sagte Gotrek. »Wir haben nicht den ganzenTag Zeit.«

Felix blieb stehen und rieb sich die Schulter. Die Schrammenwaren schmerzhaft, und die Stelle war sehr empfindlich. Zuseinem Glück waren die Krallen der Harpyie nicht wirklich insFleisch eingedrungen, obwohl sie einige Kettenglieder

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gesprengt und die Spitzen das lederne Unterwamsdurchdrungen und sich in seinen Arm gebohrt hatten. Es warenjedoch eher Kratzer als richtige Wunden. Normalerweise hätteer eine Pause eingelegt, um sie zu waschen und zu verbinden,aber inmitten der vom Chaos heimgesuchten Ruinen hatte ernicht das geringste Verlangen nach einer Pause - und nochweniger danach, sein Kettenhemd auszuziehen. Um dieWahrheit zu sagen, hatte er auch noch kein Wasser gesehen,dem er vertraut hätte.

Während Felix innehielt, gingen Gotrek und Snorri weiterdie scheinbar endlose Treppe hinauf. Er beeilte sich, sieeinzuholen, da er nicht allein zurückbleiben wollte. Diebrütende Stille des Ortes hatte sich seit dem Angriff derHarpyien nur noch vertieft, und er fragte sich, welchemverruchten Unhold sie womöglich als Nächstes begegneten.

Seine Beine schmerzten vom beständigen Erklimmen steilerTreppenstufen. Sie waren mittlerweile vielleicht zehn Etagenhöher. Der Teich war noch immer unter ihnen zu sehen. Erstolperte plötzlich. Ein entstellter Schädel, menschlich, abermit Ziegenhörnern, wurde von seinem Fuß angestoßen undpolterte davon. Er war allen Fleisches beraubt. Felix bücktesich und hob ihn auf. Er war leicht und kalt sowie völligtrocken. Als er hineinschaute, sah er Kratzer an derSchädeldecke. Ein Bild zog an seinem geistigen Auge vorbei,und er sah eine der Harpyien in den abgetrennten Schädelgreifen, das Hirn herauskratzen und es verschlingen. Hastigwarf er den Schädel fort. Er fiel scheppernd zwischen dieKnochen, die überall auf der Galerie verstreut herumlagen.

Offenbar hatten sie das Gebiet erreicht, wo die Harpyiennisteten, denn überall lagen zerborstene Knochen, denen dasMark ausgesaugt und von denen alles Fleisch abgenagt wordenwar. Die Skelette von Tiermenschen, Mutanten und Menschenlagen wild verstreut durcheinander. Viele von ihnen waren mitbräunlichen Exkrementen besudelt, und der Gestank war

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fürchterlich. Trotz des um Mund und Nase gewickelten Schalsmusste Felix würgen. Er fragte sich, wie weit die Galerien sichnoch nach oben erstreckten und ob er auch nur noch eineeinzige durchschreiten konnte, ohne sich zu übergeben.

Warum hatte Müller sich hier verkrochen?, fragte er sich.Und wie hatte er inmitten all dieser gefräßigen Ungeheuerüberlebt? Hatte sie seine Magie daran gehindert, ihnanzugreifen? Oder war er zu irgendeiner Übereinkunft mit denWesen gelangt? Felix war gezwungen, die Tatsacheanzuerkennen, dass er es niemals erfahren würde, undtatsächlich wusste er nicht einmal, ob er es überhaupt wissenwollte. Die Bündnisse und Pakte, die nötig sein mussten, um aneinem Ort wie diesem zu überleben, widersetzten sich jeglicherVorstellungskraft - und das, bevor man die Frage nach Essenund Trinken stellte.

Vielleicht hatte Müller sich bei seiner Ankunft noch geistigerGesundheit erfreut, war aber von einem Speiseplan, der ausverseuchtem Fleisch und mit Warpstein verdorbenem Wasserbestand, in den Wahnsinn getrieben worden. Felix wollte nichtdarüber nachdenken, dass dies die einzige Möglichkeit seinmochte, die ihm und seinen Gefährten offenstand, wenn sienicht bald einen Weg nach draußen fanden. Im Augenblickschien der Tod einem solchen Leben vorzuziehen zu sein, aberwer wusste schon, wie sich die Dinge entwickeln würden?Vielleicht wurde es leichter, wenn das Gehirn sich veränderteund der Verstand vom Warpstein-Wahnsinn verschlungenwurde. Vielleicht machte es einem sogar Spaß. Wiederumverdrängte er den Gedanken - und im gleichen Augenblick saher, dass die Treppe endlich zu Ende war.

Gotrek stand vor einem gewaltigen Torbogen. In den Sturzwaren etliche Dämonenköpfe eingemeißelt. Sie grinstenhöhnisch, bleckten gewaltige Fänge und streckten die Zungeheraus. Ihre Züge waren irr, verderbt und voller Wahnsinn, undFelix fragte sich, wie es um den Verstand bestellt gewesen sein

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musste, der sie gemeißelt hatte. Der eigentliche Torbogen wardurch eine gewaltige Steinplatte verschlossen, in die verzerrteBuchstaben geritzt waren, die Felix mittlerweile mit denAnhängern der Dunklen Mächte des Chaos verband. Es wurdeimmer offensichtlicher, dass zumindest dieser Teil derRuinenstadt lange Zeit Sklaven der Finsternis beheimatet hatte.

Gotrek drückte gegen die Steinplatte, aber nichts geschah:die Platte rührte sich nicht von der Stelle. Der Slayer verstärkteseinen Druck immer mehr, bis sich seine gewaltigen Arm- undRückenmuskeln vollständig gespannt hatten. Schweiß trat aufseine Stirn, und sein Atem ging keuchend. Snorri half ihm,aber auch ihre vereinten Bemühungen hatten keinerlei Auswir-kung. Felix versuchte erst gar nicht, ihnen zu helfen. Es warnicht genug Platz, um sich zwischen sie zu zwängen, und erbezweifelte ohnehin, dass seine Bemühungen sich merklichniederschlagen würden.

Schließlich gab Gotrek auf. Er trat zurück und kratzte sichmit seiner gewaltigen Pranke am Kopf. Er hob seine Axt auf,als erwäge er, mit ihr auf die Tür einzuschlagen, doch danngrinste er nur und streckte die Hand zu einem der grinsendenDämonenköpfe auf dem Sturz aus. Er drückte gegen die Zunge.Sie bewegte sich, und dabei schwang die Steinplatte auf,sodass der sich immer noch nach Kräften mühende Snorrihindurch stolperte und mit dem Gesicht voran auf denstaubigen Bodenfliesen dahinter landete.

»Nichts passiert. Er ist auf dem Kopf gelandet«, murmelteGotrek und schritt hindurch. Mit einem letzten Blick auf dieGalerien hinter ihnen folgte Felix hastig.

Sie betraten einen ausgedehnten, zum Himmel offenenRaum. Vor ihnen befand sich eine ummauerte Barriere wieeine Brustwehr, hinter ihnen eine massive Mauer. Felix schrittzu der Barriere und schaute nach unten. Sofort ging ihm auf,dass sie sich auf der vorletzten Ebene fast an der Spitze einergewaltigen Stufenpyramide befanden, denn unter sich sah er

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alle niedrigeren Stufen. Nicht weit entfernt war eine ungeheuerbreite Treppe, die bis zum Boden reichte. Die Treppe führte zurSpitze der Pyramide, und Felix erklomm sie hastig. An ihremEnde erwartete ihn ein großer freier Sims. Er war alt undbröcklig und ragte weit hinaus ins Leere. Felix ging vorsichtigzum Rand und schaute hinab.

Tief unter sich sah er den Teich, in dem das monströseTentakelwesen gehaust hatte, und die Galerien, in denen dieChaos-Harpyien nisteten. An den ummauerten Rändern desMauervorsprungs waren Ketten und Schellen befestigt, undlangsam dämmerte ihm die Funktion dieser Plattform. Dies warein Ort, an dem Opfer gebracht wurden. Früher warenlebendige Opfer hierher gebracht und dann schreiend vomSims in den Teich geworfen worden, wo das Monstrum in demtrüben Wasser sie verschlungen hatte. Es musste einunangenehmes Schicksal gewesen sein, und Felix zweifelte ander geistigen Gesundheit derjenigen, die all das ersonnenhatten.

War die ganze Stufenpyramide ausschließlich für dieseOpferungen gebaut worden? Oder hatte sie einst einem anderenZweck gedient und war erst korrumpiert worden, als die übleMacht des Chaos sich in diesem alten Land ausgebreitet hatte?War es vielleicht möglich, wie Gotrek zuvor angedeutet hatte,dass dieses ganze Bauwerk nur aus der Laune eines derFinsteren Götter oder ihrer dämonischen Diener entstandenwar?

Keiner dieser Gedanken brachte ihn ihrer Erlösung einenSchritt näher. Sie hatten ins Freie zurückgefunden, aber immernoch keine Ahnung, wo das Luftschiff war oder wie sie esfinden konnten. Und wenn ihnen das nicht gelang, waren sieverloren.

Er wich vor der Schwindel erregenden Tiefe zurück undsuchte den Horizont ab. Wenn das Luftschiff noch über derStadt gewesen wäre, dachte er, hätte er es gewiss gesehen. Er

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blinzelte in dem absonderlichen Licht, das durch die Wolkendrang, und versuchte sich zu konzentrieren, während er sich dieganze Zeit wünschte, das Teleskop bei sich zu haben, das er anBord des Luftschiffs gelassen hatte. Er konnte lediglich dieWolke aus Harpyien sehen, die hoch über ihnen kreiste.

Dann sah er zu seiner Verblüffung weit entfernt einenkleinen dunklen Fleck, der sich ihnen zu nähern schien. Erbetete inbrünstig zu Sigmar, dass es sich um die GeistGrungnis handelte. Dann rannte er zum Außenrand derobersten Ebene der Stufenpyramide und rief den Zwergen zu,sie sollten zu ihm kommen. Dabei sah er jedoch, dass einegewaltige Horde von Tiermenschen aus den umliegendenGebäuden quoll und zur Stufenpyramide lief. Über ihrenKöpfen flatterten zwei Harpyien und schrien ihnen etwas inihrer unflätigen Sprache zu.

Zweifellos waren sie es, welche die Aufmerksamkeit derTiermenschen erregt hatten. Bevor er sich flach auf den Bodenwerfen konnte, bemerkte ihn einer der bestialischen Chaos-Anbeter, denn er schwenkte seinen Speer und zeigte mitausgestrecktem Arm auf Felix. Die ganze widerwärtige Hordestieß ein Triumphgeheul aus und machte sich daran, die Treppeemporzustürmen. Felix verwünschte sein Pech und winkte zuSnorri und Gotrek zurück.

Den beiden Slayern schien es vollkommen gleichgültig zusein, dass mehrere tausend Tiermenschen auf sie losstürmten,auch für gewaltige Krieger wie sie zu viele, um sie alle zuerschlagen.

»Die Treppe ist eine ausgezeichnete letzte Bastion für uns«,stellte Gotrek fest. »Sie ist schmal, also können uns nicht zuviele von ihnen zugleich angreifen. Ein Schlachtfest.«

»Kommt mir ungerecht vor«, sagte Snorri. »Bis sie unserreicht haben, werden sie ziemlich müde sein. So vieleTreppen und dann dieses Tempo. Vielleicht sollten wir ihnen

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auf halbem Weg entgegenkommen.«»Sie sind Ausgeburten des Chaos. Ich werde ihnen keinen

Gefallen tun.«»Wohl wahr. Snorri versteht deinen Standpunkt.«Felix schüttelte verzweifelt den Kopf. Er würde sterben und

das in Gesellschaft zweier Irrer. Das war zu viel. Er hatte böseMagie überlebt, die Angriffe eines Tentakel-Ungeheuers undeinen Schwarm mutierter Harpyien, nur um am Ende von einerHerde verunstalteter zerlumpter Unholde erlegt zu werden, vonBestien in Menschengestalt.

Er schaute gen Himmel, um Sigmar zu bitten, ein schnellesEnde zu machen und ihn einfach niederzustrecken, als ihmauffiel, dass der Fleck in der Ferne größer geworden undeindeutig die unverkennbaren Umrisse des Luftschiffsangenommen hatte. Es flog direkt in ihre Richtung. Felixschaute wieder nach unten. Die Tiermenschen hatten die Hälfteder Treppe erklommen. Er schaute wieder zum Luftschiff. Eswar viel weiter entfernt als die Tiermenschen, bewegte sichaber auch viel schneller. Er wagte kaum zu hoffen, dass es sienoch rechtzeitig erreichen würde.

Die ersten Tiermenschen waren jetzt ziemlich weit oben aufder Treppe, eine heranrauschende Welle aus entstelltemFleisch, die Speere schwang und Kriegsrufe brüllte. Felixkonnte unzweideutig das Getrappel von Hufen auf denSteinstufen hören. Sein Herz raste. Sein Mund fühlte sichtrocken an. Dies war noch schlimmer als der sichere Tod. Jetztbestand die schwache Hoffnung, dass ihnen vielleicht dochnoch die Flucht gelang.

Das Luftschiff flog tief über die Tiermenschen hinweg. DieSchäden an der Gondel waren offenbar repariert worden, undalle Maschinen arbeiteten wieder. Die Risse in der Gashüllewaren geflickt. Felix hätte nicht geglaubt, dass es möglich war,in so kurzer Zeit so viel Arbeit zu leisten. Die Zwerge waren

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äußerst emsig gewesen. Er konnte jetzt erkennen, dass dieLuken in der Seite des Schiffs ebenso geöffnet waren wie dieLuke im Boden. Jemand hatte auch die Bullaugen geöffnet,und ein Hagel schwarzer Kugeln flog der heranrasenden Hordeentgegen. Eine davon explodierte in der Luft, und Splitterflogen in alle Richtungen. Tiermenschen heulten vorSchmerzen auf. Felix ging auf, dass die Zwerge im SchiffBomben warfen!

Immer mehr fielen und rissen große Löcher in die Reihen derTiermenschen. Die schändlichen Chaos-Wesen blieben stehenund heulten, während sie dem Luftschiff drohend die Waffenentgegenreckten. Ein oder zwei warfen ihre Speere, die dasLuftschiff aber nicht erreichten, sondern in die Masse dichtgedrängter Leiber zurückfielen und ihre Kameradenaufspießten. Felix wagte einen Augenblick zu hoffen, dass sieihre Furcht vor der Ehrfurcht gebietenden Erscheinung amHimmel Reißaus nehmen lassen würde. Dann löste sich eingrößeres Exemplar aus dem Rest der wogenden Menge undbefahl den anderen Tiermenschen mit lauter Stimme, weitervorzurücken, und die Bestien folgten seinem Befehl. Immerhinhatten die kostbaren Augenblicke ihrer Verwirrung demLuftschiff Zeit verschafft, sodass es nun fast über ihnen war.Felix sah Varek in der Luke stehen und die geliebte Strickleiterdes Schiffs abrollen. Er stieß einen tiefen Seufzer derErleichterung aus, da er wusste, dass er nun in Sicherheit war.

Dann flog das Luftschiff an ihm vorbei und nahm dieStrickleiter mit. Was hatten sie vor, dachte Felix, während ereinen Blick nach unten auf die anstürmenden Reihen derTiermenschen riskierte? Dies war nicht der rechte Zeitpunkt füralberne Witze! Dann erkannte er, was passiert war. DasLuftschiff machte noch zu viel Fahrt, nachdem es ihnenvermutlich mit voller Maschinenleistung zu Hilfe geeilt war.Das Heulen der Maschinen über ihm verriet ihm, dassMakaisson volle Kraft zurück gab und so die Geschwindigkeit

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des Luftschiffs drosselte.Die Geist Grungnis schwebte jetzt direkt über dem Teich in

der Mitte der Stufenpyramide. Felix wandte sich an die Slayerund bellte: »Kommt schon! Wir müssen Karag Dum finden!Das ist eure Bestimmung!«

Die Slayer sahen ihn an, als sei er verrückt. Ihm ging auf,dass sie tatsächlich die Absicht hatten, ihr Leben in diesemsinnlosen Kampf gegen eine riesige Übermacht wegzuwerfen.Und da hatte er eine Eingebung. »In Karag Dum ist einDämon! Er vergiftet geheiligte Zwergenerde. Ihr habt diePflicht, ihn zu töten!«

Nun, dachte Felix, er hatte sein Bestes getan, um den Slayernihre Narretei auszureden. Jetzt war es Zeit, zu verschwinden.Ohne sich umzusehen, lief er die Treppe empor und auf dieRampe, von der man die Opfer in die Tiefe gestürzt hatte. DieLeiter baumelte in der Mitte über dem großen Teich - viel zuweit entfernt, um sie mit einem Sprung zu erreichen. Hintersich hörte er das Gebrüll der Tiermenschen. Sie schienen siefast erreicht zu haben. Er riskierte einen Blick über die Schulterund sah Snorri und Gotrek trotzig die Waffen schwingen. Eskonnte nur noch ein paar Augenblicke dauern, bis die Meuteüber ihn herfiel.

Er schaute wieder zurück und sah, dass die Strickleiter sichihm näherte. Augenblicklich traf er seine Entscheidung. Erschob das Schwert in die Scheide, nahm zwei, drei SchritteAnlauf und sprang nach der Leiter. Einen Augenblick war ersich der großen Tiefe unter sich Schwindel erregend bewusst,dann schlossen sich seine Finger um ein Stück Seil. Als seinSchwung gebremst und er von seinem ganzen Gewicht nachunten gezogen wurde, hatte er das Gefühl, der Arm werde ihmaus dem Gelenk gerissen, und eine Schmerzwelle schoss durchdie zerkratzte Schulter. Irgendwie gelang es ihm, sichfestzuhalten und die Strickleiter auch mit der anderen Hand zupacken, dann zog er sich langsam daran hoch.

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Er riskierte einen Blick nach unten und sah, dass die Zwergejetzt ebenfalls zur Rampe liefen.

»Snorri! Gotrek!«, rief er, um sie anzufeuern.Dann sah er auch die ersten Tiermenschen, die den beiden

dicht auf den Fersen waren. Die Slayer griffen fast gleichzeitignach der Strickleiter. Beiden gelang es, sie zu packen, unddann schwang die Leiter über die Stufenpyramide hinaus in dieLuft. Felix konnte einen Blick auf die große Masse tierischerGesichter werfen, die zu ihnen emporglotzten, als sie an ihnenvorbeiflogen. Aus dem Schiff fiel jetzt ein Hagel von allenmöglichen Dingen, und Felix erkannte, dass Makaisson jetztBallast abwarf, um rasch Höhe zu gewinnen. Dieabgeworfenen Steine fielen auf die Chaos-Anbeter. Sieantworteten darauf, indem sie ihre Speere warfen. Instinktivschloss er die Augen, als die Wurfgeschosse an ihmvorbeizischten, dann blieben die Tiermenschen weit unterihnen auf der Stufenpyramide zurück, da das Luftschiff raschhöher stieg.

Als er zurückschaute, sah er, dass etwas Schreckliches vorsich ging. Bevor sie die Gefahr erkannt hatten, waren dieAnführer der heranstürmenden Meute über den Rand derRampe gelaufen und stürzten jetzt ins Leere. Ein paar der ihnenfolgenden Tiermenschen hatten genug Zeit zu erkennen, wasgeschah, und Schreie des Entsetzens und der Furcht von sichzu geben. Doch der Druck der nachrückenden Leiber schob sieerbarmungslos weiter vorwärts und von der Rampe, sodass siein den Abgrund stürzten.

Felix sandte ein Dankgebet an Sigmar für seine Errettungund zog sich langsam Hand über Hand die Leiter empor und indie Geist Grungnis. Dort angelangt, drehte er sich um und griffnach unten, um den beiden Slayern ins Luftschiff zu helfen.

»Wir haben da unten einen guten Kampf verpasst«, sagteSnorri. »Schade, dass sie uns zu weit voraus waren.«

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Felix bedachte Snorri mit einem durchdringenden Blick. Wares tatsächlich möglich, dass der Idiot einen Witz machte?,fragte er sich. Er konnte immer noch die Schreie der fallendenTiermenschen hören.

»Wie habt ihr uns gefunden?«, fragte Felix, als dieRuinenstadt in der Düsternis hinter ihnen verblasste.

»Nach eurem Verschwinden haben wir die Reparaturenabgeschlossen und sämtliche Besatzungsmitglieder, die wirentbehren konnten, an die Teleskope gestellt«, sagte Varek.»Wir hatten Glück. Wir sahen eine große Schar dieserFlügelwesen über der Stufenpyramide in der Mitte der Stadtaufsteigen und dachten uns, dass etwas ihre Aufmerksamkeiterregt haben musste. Wir waren der Ansicht, selbst wenn wirnur eure Leichen finden würden, wäre es noch der Mühe wert.«

Felix wusste ganz genau, wie viel Glück sie gehabt hatten.Was die Aufmerksamkeit der Tiermenschen auf sie lenkte,hatte ihnen auch die Aufmerksamkeit der Besatzung beschert.Er schauderte, als er daran dachte, was wohl geschehen wäre,wenn sie in der Nacht mit diesen Kreaturen gekämpft hätten.Sie wären niemals gefunden worden.

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15Die Horden des Chaos

Lurk fühlte sich seltsam. Seine Haut kribbelte. Sein Felljuckte. Er war ständig hungrig. Seit er während des Gewittersdem Warpsteinstaub ausgesetzt gewesen war, verursachte ihmeine komische Übelkeit Krämpfe. Er stahl immer mehrNahrung von den Zwergen und verschlang sie in ausgedehntenFressorgien, in denen er sich einfach nicht zurückhaltenkonnte, bis sämtliche Nahrung verzehrt war. Er war nurdankbar dafür, dass jemand im Schiff die Luke wieder geöffnethatte, bevor er damit begann, seinen Schwanz zu essen.

Die Wirkung dieser Fresserei zeigte sich bereits. SeineMuskeln waren angeschwollen, sein Schwanz war dickergeworden, und er wurde massiger. Er hatte oft Kopfschmerzen,und zunehmend fiel es ihm schwer, klar zu denken. Er betetezur Gehörnten Ratte, dass er sich nicht mit irgendeiner Seucheangesteckt haben möge. Er erinnerte sich noch an seine Furcht,als er in Nuln erkrankt war und wie diese Krankheit beinaheseinem Leben ein Ende bereitet hätte. Wenn er jetzt einenRückfall erlitt, hatte er nichts mehr von der Kräutermedizin,mit der Ekelbrühe Null ihn am Leben gehalten hatte.

Langsam zog er sich die Leiter zur Aussichtsplattformempor, sodass er sein tägliches Gespräch mit dem elendenThanquol führen konnte. Er hatte die nagende Stimme inseinem Kopf gründlich satt, die alberne Befehle brabbelte undihm vorschrieb, was er zu tun hatte. Ein Teil seines Verstandessagte ihm, dass er nicht so denken durfte, dass es äußerstunklug war, aber er konnte sich nicht dazu bringen, demBedeutung beizumessen. Sein ganzer Körper schmerzte. SeinBlickfeld war verschwommen, und an manchen Stellen fielihm das Fell aus, wo sich dann monströse Beulen bildeten. Er

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beschloss, sich nicht die Mühe zu machen, mit dem GrauenPropheten Kontakt aufzunehmen. Er würde in seinen Bauzurückkehren und schlafen. Aber zuerst musste er etwas essen.Er entwickelte langsam ein Verlangen nach einem schönenStück prallen Zwergenfleischs.

Felix klopfte an die Tür von Boreks Kabine. Das Metallhallte unter seinen Knöcheln.

»Herein«, sagte der Zwerg. Felix öffnete die Tür und trat ein.Boreks Kabine war größer als seine. An den Wänden standenVitrinenschränke mit Kristallglastüren, die viele Bücherenthielten. In der Mitte war ein Tisch am Boden festgenietet,auf dem eine uralte Karte lag, die an den Ecken vonmerkwürdigen Briefbeschwerern aus schwarzem Metallgehalten wurde.

Borek, der Felix' Interesse zur Kenntnis nahm, sagte:»Magneten.«

»Was?«»Diese Briefbeschwerer sind Magneten. Sie haften an Eisen

und Stahl. Es steht im Einklang mit einem philosophischenPrinzip, das verwandt mit jenem ist, welches Kompassnadelnnach Norden zeigen lässt. Nur zu: Versuchen Sie, einenaufzuheben.«

Felix tat, wie ihm geheißen, und spürte einen Widerstand,mit dem er nicht gerechnet hatte. Er ließ das Metall los, und esschien aus seiner Hand zu springen und blieb mit einemKlicken am Tisch haften. Es war typisch für dieDetailbesessenheit der Zwerge, dachte er, dass es ihnengelungen war, einen Weg zu finden, Karten selbst auf einem soinstabilen Gefährt wie diesem Luftschiff an Ort und Stelle zuhalten. Er erwähnte diese Tatsache.

»Diese Kraft ist schon seit langer Zeit bekannt. Sie wird vonunseren Navigatoren auf den Dampfschiffen aus Barak Varr

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benutzt.« Er lächelte. »Aber ich vermute, dass Sie nichthergekommen sind, um die Feinheiten der Einrichtung einerSchiffskabine zu erörtern ...«

Felix stimmte zu, das sei nicht der Fall, und er fing an zureden und erzählte Borek von den Geschehnissen mit demZauberer und von dessen Erwähnung des Dämons. DieBegegnung mit Müller hatte ihn ins Grübeln gebracht. Zumersten Mal überhaupt hatte er die schreckliche Möglichkeiternsthaft in Erwägung gezogen, dass so ein Wesen in KaragDum existieren mochte. Der alte Zwerg lauschte und nicktegelegentlich. Als Felix geendet hatte, herrschte für kurze ZeitSchweigen, während Borek seine Pfeife stopfte.

»Wie kann das sein?«, fragte Felix. »Wie können Dämonenhier existieren, aber nicht außerhalb der Wüste?«

Borek betrachtete ihn lange und durchdringend. »Sie könnenaußerhalb der Wüste existieren und existieren dort auch. Ausunseren Aufzeichnungen geht hervor, dass schon viele gegendie Armeen der Dawi gekämpft haben.«

»Wo sind sie jetzt?«»Verschwunden. Wer weiß, warum? Wer kann das Wirken

des Chaos wahrhaftig erklären?«»Aber Sie haben doch gewiss eine Vermutung?«»Es gibt viele Theorien, Herr Jaegar. Soweit wir wissen,

fließt rohe magische Energie in der Wüste weitaus stärker. Esist sehr wahrscheinlich, dass Dämonen sich von dieser Energieernähren und sie zum Leben brauchen. Jenseits der Wüstekönnen sie sich nur für kurze Zeit manifestieren, bevor siewieder verschwinden, weil die Magie schwächer ist. Hier imGefilde des Chaos können sie sich für viel größere Zeiträumemanifestieren, weil es hier mehr Energie gibt.«

»Wie kommt das?«»Schreiber glaubt, dass es im Zentrum der Wüste eine Art

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Störung gibt, die der Ursprung aller Magie ist. Er ist außerdemder Ansicht, dass sie Zeit und Raum verzerrt. Viele Gelehrtebehaupten, dass die Zeit in verschiedenen Gegenden der Wüsteauch verschieden schnell fließt, müssen Sie wissen, und dassdieser Effekt sich umso stärker auswirkt, je tiefer man in dieWüste eindringt.«

»Warum fallen diese Dämonen nicht über uns her?«»Vielleicht, weil wir noch nicht tief genug in die Wüste

eingedrungen sind. Ich glaube nicht, dass ein Dämon hierdraußen, so nah am Rand der Wüste, lange existieren kann,aber ich weiß nicht mit Sicherheit, ob es sich tatsächlich soverhält.«

»Aber Sie glauben, dass in Karag Dum immer noch einDämon haust?«

Borek lachte grimmig. »Das ist nur allzu gut möglich. Schonbei meinem Aufbruch damals gab es schlimme Gerüchte,irgendein furchtbares Ding sei beschworen worden und KönigThangrim Feuerbart und seine Runenmeister seien marschiert,um ihm zu begegnen. Mag sein, dass der Dämon dorteingesperrt wurde oder die Stadt nie verlassen hat. Ich weiß esnicht. Meine Verwandten und ich haben die Stadt vor jenenletzten Schlachten verlassen.«

»Das ist nicht gerade ein angenehmer Gedanke.«»Nein. Aber es ist einer, von dem wir sehr bald wissen

werden, ob er richtig oder falsch ist. Wir müssten Karag Dumirgendwann im Laufe des morgigen Tages erreichen.«

»Was dann?«»Dann werden wir sehen.«

»Schneller! Rasch-rasch!«, piepste der Graue ProphetThanquol. Er war müde und unruhig, weil er beständig inseiner Sänfte eingepfercht war. Diese Enge verstieß gegen all

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seine Skaven-Instinkte, auf den Beinen zu sein und sichumzutun, aber er hatte keine andere wahl. In den vergangenenTagen hatte er nichts anderes getan, alsKommunikationszauber zu wirken und sich in seiner Sänftedurch die unterirdischen Gänge und Korridore des Unter-Imperiums tragen zu lassen, wobei er nur zum Wechseln derTräger und der Sänfte innegehalten und alle seine Mahlzeitenunterwegs eingenommen hatte. Vom langen Sitzen hatte erBlasen am Hinterteil, und er hatte das Gefühl, dass sein Rückendauerhaft krumm bleiben würde.

Seine Träger jammerten beständig ihre Klagen, undThanquol erwog, einen oder zwei von ihnen kurzerhand fürimmer zum Schweigen zu bringen, um ein Exempel zustatuieren, aber eine solche Maßnahme wäre kontraproduktivgewesen. Damit würde er nur erreichen, dass er bis zurnächsten Zwischenstation noch langsamer vorankam, wo erdann die Sklaven wechseln konnte. Dennoch, versprach er sich,wenn sie dort angekommen waren, würden diese quengelndenLakaien leiden!

Das hieß, wenn er die Kraft dazu aufbringen konnte. DerGraue Prophet fühlte sich ausgelaugt von der Anstrengung,über eine so große Entfernung die Verbindung mit Lurkaufrechtzuerhalten. Und jetzt antwortete der Hanswurst nichtmehr auf seine Rufe. Das war so enttäuschend! Er hatte keineAhnung, was passiert war. War Lurk tot? War das Luftschiffbei einem schrecklichen Unfall abgestürzt? War diese langeVerfolgungsjagd völlig umsonst? Das konnte unmöglich sein,aber seit dem Auftauchen des verwünschten Jaegars hatteThanquol ein unangenehmes Gefühl. Wenn dieser Mensch undsein elender Zwergenkumpan ihre Finger im Spiel hatten, warThanquol immer auf das Schlimmste gefasst. Die beidenschienen nur geboren zu sein, um ihm Knüppel zwischen dieBeine zu werfen.

Er verfluchte die Technikusse vom Skryre-Klan. Warum

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konnten sie ihren verwünschten Einfallsreichtum nicht in denDienst der Erfindung eines neuen Transportmittels durch dieTunnel des Unter-Imperiums stellen? Gewiss würde ihnenetwas Besseres einfallen als ein System wechselnderTrägersklaven! Mussten sie ihre Zeit ausschließlich damitverbringen, sich größere und bessere Waffen auszudenken?Warum nicht warpsteingetriebene Streitwagen oderZugmaschinen?, fragte sich Thanquol. OderLangstreckenversionen des Unheilsrades? Solche Dingekonnten doch unmöglich zu hoch für sie sein. Wenn er es nichtvergaß, würde er seine Ideen bei seinem nächsten Rapport demRat der Dreizehn vortragen.

»Schneller! Rasch! Los-los!«, trieb er die Träger mit heisererStimme an. Er musste möglichst bald in den Nordländerneintreffen, um herauszufinden, was mit dem wunderbarenLuftschiff geschehen war. Wenn er es in die Pfoten bekam,würde es ihm nie wieder an einem schnellen Transportmittelfehlen.

Und wenn er dort ankam, das schwor er sich, würde jemandfür die Unannehmlichkeiten büßen, die er ertragen hatte.

Felix lag in seiner Kabine auf dem Bett und starrte an dieMetalldecke. Ihm rauchte der Kopf von all den Dingen, die eran diesem Tag über das Gefilde des Chaos erfahren hatte. DieWelt war weitaus komplexer, als er dies je für möglichgehalten hätte, und für ihn wurde immer offensichtlicher, dasssein eigenes Volk von den Älteren Rassen noch eine Menge zulernen hatte.

Er schloss die Augen, doch der Schlaf wollte sich nichteinstellen. Er war müde, aber auch unruhig. Seine Schulterschmerzte immer noch trotz der Heilsalben, die Varekaufgetragen hatte. Die Stelle würde noch eine ganze Weile sehrempfindlich sein. Immerhin war sein Kettenhemd von einem

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der Lehrlinge Makaissons repariert worden, und es sah so gutwie neu aus.

Sein Schicksal verfluchend, erhob er sich aus dem Bett undzog seine Stiefel an. Er verließ seine Kabine und ging zumHeck-Aussichtsturm. Der hinterste Teil des Turms war kleinund beherbergte eine Orgelkanone auf einer drehbar gelagertenPlattform. Felix ließ sich auf den Sitz der Kanone sinken undbetätigte die Fußpedale, die sie zuerst nach links und dann nachrechts schwenkten. Er fand die Bewegung seltsamentspannend, da sie ihn an das Schaukeln in einer Hängematteoder den Schaukelstuhl seines Großvaters erinnerte.

Er packte die Handgriffe der Orgelkanone. Dabei handelte essich ebenfalls um eine von Makaissons ungewöhnlichenKonstruktionen. Die Kanone hatte Griffe wie eine Pistole undwurde vermittels eines Abzugs abgefeuert. Der ganzeMechanismus der Kanone saß auf Kardanringen und konntemühelos nach rechts und links sowie nach oben und untengeschwenkt werden. Felix wusste nicht, mit welchenAngreifern die Zwerge in dieser Höhe rechneten, aber ganzoffensichtlich gingen sie kein Risiko ein.

Er starrte auf das Land, das sie überflogen hatten. DerHimmel hatte sich zu einer Art Nacht verdunkelt. Zumindestwaren die Wolken über ihnen dunkler, und von der Sonne warnichts zu sehen. Das gab Felix zu denken. Sie hatten ein Gebieterreicht, wo der Himmel immer bedeckt zu sein schien, wiehoch sie auch flogen. Er war zu dem Schluss gekommen, dassdies entweder auf mächtige Magie oder einfach daraufzurückzuführen war, dass irgendwo in der Ferne große MengenWarpsteinstaub aufgewirbelt und von mächtigen Winden ingroße Höhen getragen wurden. Das einzige Licht stammte ausgroßen Feuergruben im zerklüfteten Gelände unter ihnen:Krater, die den blubbernden Mäulern von Vulkanen ähneltenund die von entstellten Gestalten umtanzt wurden.

Wenn das Luftschiff über eine der Gruben flog, erbebte es

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infolge der aufsteigenden warmen Luft. Dies ängstigte Felixlängst nicht mehr so wie zu Beginn ihrer Reise. Mittlerweilefand er sanfte Turbulenzen sogar ziemlich beruhigend. Es warmerkwürdig. Je länger er flog, desto mehr betrachtete er denHimmel als etwas dem Meer Verwandtes. Die Winde warenseine Strömungen, die Wolken so etwas wie die Wellen. Erfragte sich, ob es auch im Meer unterschiedliche Strömungenin unterschiedlichen Tiefen gab, wie die Winde inunterschiedlichen Höhen auch mit unterschiedlicherGeschwindigkeit wehten. Für einen Philosophen gab es hiereine Menge zu studieren, dachte er gähnend, bevor er sanft inden Schlaf glitt.

Lurk schlich langsam und verstohlen durch die Korridore desSchiffs. Der Hunger in seinem Bauch war wie ein Lebewesenmit Klauen und Zähnen, das sich zu befreien versuchte. Erbereitete ihm körperliche Schmerzen. Vor sich spürte er Beute.Die Beute roch nicht nach Zwerg, sondern nach Mensch. Lurkkümmerte das nicht. Er wollte nur spüren, wie heißes rotes Blutin seinen Mund sprudelte, und rohes, warmes Fleisch kauen,und ein Mensch eignete sich dafür ebenso gut wie ein Zwerg.

Er betrat die hintere Kammer und hörte die Gestalt vor sichschnarchen. Gut! Seine dumme Beute war vollkommen arglosin einen tiefen Schlummer gefallen, wie kein Skaven ihn sichje gestatten würde, selbst wenn es keine offensichtliche Gefahrgab. Der blondpelzige Kopf des Menschen warzurückgesunken, und der Hals war entblößt, als wolle er Lurkzum Zubeißen einladen.

Auf Zehenspitzen schlich Lurk vorwärts, und bei derAussicht auf frisches Fleisch lief ihm das Wasser im Mundzusammen. Es bedurfte nur eines raschen Bisses, um dieHalsschlagader zu durchtrennen! Er würde sich im Hals desMenschen verbeißen, um seine Schreie zu ersticken. Noch einpaar Schritte, und er konnte endlich zuschlagen.

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Plötzlich hörte Lurk Schritte auf der Leiter, die vomnächsthöheren Deck herunterführte. Jemand kam! Er fluchtelautlos, denn wenn er jetzt angriff, würde man ihn entdecken,bevor er seine Beute verzehren konnte, und Alarm geben. EinFunke der Selbsterhaltung, die tief in ihm verwurzelt war,verriet ihm, dass dies nicht gut für ihn sein konnte, also schlicher rasch durch den Korridor den Weg zurück, auf dem ergekommen war.

Felix erwachte vom Geräusch vorsichtiger Schritte auf derLeiter. Er war froh, geweckt zu werden, denn er hatte einenAlbtraum gehabt, in dem ein riesiges rattenartiges Biest sichdurch einen dunklen, nebligen Tunnel immer näher an ihnangeschlichen hatte. Zweifellos war dieser Traum eine Folgeder Begegnung mit den Tiermenschen. Sigmar wusste, dass siemonströs genug waren, um ihm ein Leben lang Albträume zubescheren.

Er schaute auf und sah Varek von oben auf dasAussichtsdeck herabsteigen. Er trug sein Buch in der einen undseinen Stift in der anderen Hand und sah ein wenig enttäuschtaus, Felix vorzufinden, als habe er den Wunsch gehabt, alleinzu sein.

»Guten Abend, Felix«, sagte er mit einem gezwungenenLächeln.

»Ist es Abend?«»Wer kann das sagen?« Der Zwerg zuckte die Achseln. »An

diesem schlimmen Ort ist eine Tageszeit genauso gut wie dieandere. Der Himmel ist dunkler, und das Land ist nicht mehrzu sehen, also denke ich, dass Abend sein könnte.«

»Dann wünsche ich Ihnen auch einen guten Abend Varek«,sagte Felix. »Was machen Sie hier?«

»Ich bin hergekommen, um meine Notizen auf den neustenStand zu bringen. Das ist sehr schwierig, wenn man sich eine

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Kabine mit Gotrek und Snorri teilt.«»Das kann ich mir vorstellen.« Felix war plötzlich sehr froh,

dass seine Größe und die Tatsache, dass er ein Mensch war, ihnzu einer eigenen Kabine berechtigten. Er hatte eine von nurdrei Einzelkabinen auf dem gesamten Luftschiff, und Borekund Makaisson bewohnten die anderen. »Was haben siegemacht?«

»Gotrek hat behauptet, Snorri habe ihn bei ihrem letztenWettstreit im Kopfstoßen aufgrund einer Spitzfindigkeitbesiegt. Sie haben sich deswegen ziemlich gestritten. Snorriwollte die Sache sofort mit einem neuen Wettstreit klären, aberdas habe ich ihnen ausgeredet.«

»Wie?« Felix konnte sich nicht vorstellen, wie dieser leise,freundliche junge Zwerg den beiden Trollslayern irgendetwasausredete.

»Ich erinnerte sie daran, dass der Verlierer eines Duells imKopfstoßen für gewöhnlich drei Tage braucht, um sich davonzu erholen - und das setzt voraus, dass nichts gebrochen ist -,und dass in diesem Fall einer von ihnen unsere Ankunft inKarag Dum verpassen würde. Immer vorausgesetzt natürlich,dass wir dort pünktlich ankommen. Das schien zu genügen. Alsich sie verließ, hatten sie sich stattdessen auf ein Duell imWodkatrinken geeinigt. Bis zu meiner Rückkehr haben sie sichdamit hoffentlich beide außer Gefecht gesetzt.«

»Wetten würde ich darauf nicht«, sagte Felix. Varek lächeltetraurig. »Ich auch nicht.«

»Kümmern Sie sich nicht um mich«, sagte Felix. »Ich wolltenur ein Nickerchen machen.« Er drehte sich um und schlosswieder die Augen.

»Bevor Sie das tun, könnte ich Sie vielleicht bitten, nocheinmal die Einzelheiten des heutigen Tages mit nurdurchzugehen? Ich will ganz sichergehen, dass ich auch allesrichtig verstanden habe.«

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»Natürlich«, sagte Felix und wiederholte seine Geschichtenoch einmal mit nur ganz leichten Übertreibungen.

Später erwachte Felix auf dem Stuhl der Orgelkanone undstellte fest, dass ein Zwerg gerade dabei war, das Deckringsumher zu fegen. Gähnend und sich reckend richtete er sichauf und beschloss zu frühstücken. Als er sich erhob, fiel ihmeine kleine Gruppe berittener Krieger unter ihnen auf, dieanscheinend in die Richtung ritten, die auch das Luftschiffeingeschlagen hatte.

»Folgen sie uns?«, fragte er in dem Wissen, dass es einealberne Frage war. Binnen Sekunden waren die schwarzgepanzerten Reiter weit hinter dem schnellen Luftschiffzurückgefallen.

»Nein«, erwiderte der Zwerg, »aber irgendwas geht vor. Wirüberholen schon den ganzen Morgen solche Kriegertrupps, diealle in dieselbe Richtung reiten. Es ist beinahe so, als wüsstensie, wohin wir fliegen, und als wollten sie uns dort einenheißen Empfang bereiten.«

»Das ist nicht möglich«, sagte Felix, aber insgeheim war ernicht so sicher. Denn wer wusste schon, wozu die Kräfte desChaos fähig waren?

»Es wird schlimmer«, sagte Varek, der beständig mit demTeleskop aus dem Fenster der Kommandozentrale schaute. »Dasind noch Hunderte mehr. Jetzt scheint es so, als wären vor unsnoch mehr als hinter uns.«

Felix gab ihm insgeheim Recht. Selbst mit bloßem Auge wares offensichtlich. Den ganzen Tag hatten sie Trupps vonTiermenschen, Chaos-Kriegern und anderen üblen Unholdenüberflogen. Je weiter sie flogen desto regelmäßiger waren dieseSichtungen erfolgt. Und all diese Anhänger der Dunkelheitströmten in dieselbe Richtung, die das Luftschiff nahm. Es war,als sei ein geheimes Signal gegeben worden und als werde eineArmee gesammelt.

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»Das gefällt mir überhaupt nicht«, sagte Felix. »Können siewirklich wissen, was wir tun? Warten sie auf uns?«

»Das halte ich nicht für besonders wahrscheinlich«, sagteBorek ein wenig gereizt. Er saß auf einem der gepolstertenLedersessel und strich sich nachdenklich den Bart mit denFingern einer knorrigen Hand. »Sie können unmöglich vonunserem Kommen wissen. Wir haben keine Verräter an Borddieses Schiffs. Niemand konnte vor unserem Aufbruch vonunseren Plänen wissen, und danach kann die Nachrichtunmöglich schneller unterwegs gewesen sein als wir.«

Der alte Zwerg klang so, als wolle er sich selbst überzeugen.Felix hatte keine Mühe, Schwächen in seiner Argumentation zufinden. Schreiber kannte ihr Ziel ebenso wie Straghov und jedebeliebige Anzahl seiner Männer. Mit Zauberei ließ sich eineNachricht wesentlich schneller befördern, als das Luftschifffliegen konnte. Und vielleicht hatten die Anhänger des ChaosHellseher in ihren Reihen, welche die Zukunft vorhersehenkonnten. Manchmal war Felix entsetzt, wie schnell undmühelos er die dunklen Seiten von Dingen fand.

»Und wir nehmen an, dass sie sich mit uns beschäftigen«,fuhr Borek fort. »Auch dafür gibt es keinen Beweis. Vielleichthaben sie ganz eigene Gründe dafür, dass sie sich entlangdieser Route sammeln.« »Und welche Gründe könnten dassein?«

»Das weiß ich nicht, aber ich bin sicher, dass wir es sehrbald herausfinden, sollte dies der Fall sein.«

Je weiter das Luftschiff flog, desto größer wurden dieTrupps, da sich viele kleine Gruppen der Chaos-Anbeter trafenund zu größeren Einheiten zusammenschlössen. In einigenTrupps flatterten bis zu einem Dutzend verschiedene Bannerim Wind.

Immer häufiger ließen sich groteske Kreaturen in denGruppen unter ihnen ausmachen. Felix sah unförmige Krieger,

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halb Mann, halb Frau, mit riesigen Scheren wie Krebse. Siesaßen auf springenden zweibeinigen Kreaturen mit langerhängender Zunge. Durch ein Teleskop beobachtete er von hochoben, wie dieser Trupp dämonischer Kavallerie eineversprengte Bande von Mutanten jagte. Ihre Reittiere ließen dielange klebrige Zunge vorschießen, packten ihre damit undzogen sie in die wartenden Klauen ihrer Reiter, wie mancheDschungelechsen angeblich Fliegen fingen.

Seltsame bunt gefärbte Wesen, deren widerliche Gesichterdirekt aus der Mitte ihres Rumpfs zu wachsen schienen, tolltendurch den glitzernden Wüstensand. Sie winkten demvorbeifliegenden Luftschiff zu, als grüßten sie einen langevermissten Verwandten, und dann hielten sie sich die Seitenund wälzten sich in wahnsinnigem Vergnügen auf dem Bodenherum.

Ein riesiger, schwarz gerüsteter Reiter führte einen Truppentstellter Hunde durch die Felsen. Seine Tiere hatten großeReptilienkämme, und ihre Haut leuchtete in einem grellenmetallischen Rot. Manchmal hatte Felix das Gefühl, Szenenaus dem Albtraum eines Wahnsinnigen zu betrachten, aberdennoch konnte er einfach nicht aufhören hinzuschauen.

Vor ihnen erhob sich ein kleines Gebirge aus der Wüste. Alssie sich ihm näherten, sah Felix, dass es sich lediglich um dieAusläufer eines viel größeren Gebirgmassivs handelte, das demWeltrandgebirge in nichts nachstand. Die Hügel schimmertenin unnatürlichen Farben. Und zum ersten Mal sah Felix indieser Wüste etwas, das Ähnlichkeit mit Vegetation hatte.

Ein Wald aus monströsen schleimigen Pilzen wuchs auf denHügelhängen. Jeder der gewaltigen Pilze war so groß wie diehöchsten Bäume, und die Kappen waren groß genug, umganzen Dörfern Schutz zu bieten. Jeder Pilz hatte einen etwasanderen widerlichen Farbton - Neidgelb, Knochenweiß,Speigrün - und jeder reckte sich in den Himmel, als ringe ermit seinen Artgenossen um jeden Funken Licht und jeden

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Fingerbreit Boden. Manche Pilze hatten mehrere Kappen, diealle von einem Mittelstängel abzweigten. Ein übler Schleimhüllte das Fleisch der Pilzbäume ein und tropfte giftig auf denBoden darunter. Alles deutete auf etwas Unnatürliches, Böseshin, auf ein Leben, wie es in einer geistig halbwegs gesundenWelt nicht hätte existieren dürfen.

Hier und da war einer der gewaltigen Pilze umgestürzt - oderabsichtlich gefällt worden -, und Tiermenschen und Mutantenkrabbelten darauf herum wie Ameisen auf einem verfaultenBaumstamm. Sie verzehrten das verdorbene Fleisch dergefallenen Riesen und tranken den Schleim. Wenn sie gegessenund getrunken hatten, brüllten sie, kämpften miteinander undergingen sich in unaussprechlichen Orgien, als enthielten diePilze eine berauschende Droge.

Je höher die Berge sich unter Felix' fasziniertem Blickerhoben, desto sauberer waren sie, da die unnatürlicheVegetation immer spärlicher wurde. Zunehmend tauchtenRuinen auf. Er erspähte kleine Forts, die aus wenig mehr alszusammengetragenen Felsbrocken bestanden. Kunstvollgestaltete Burgen mit Mauern, die mit Stahl und Messingbeschlagen waren. Paläste, die aus dem Fels der Bergegemeißelt waren. Sie hatten weder Sinn noch Verstand. Vorjedem Bauwerk lagen Skelette und verwesende Leichen undvor einigen standen Galgen, an denen tote Tiermenschenbaumelten. Der Geruch nach Feuer und Tod stieg von denBergen auf. Dies war ein Gebiet, das viele Kämpfe gesehenhatte, doch nun verlassen war, und als sie weiterflogen, wurdeauch offensichtlich, warum.

Krieger eilten in Massen über die Hügel, flossen wie einturbulenter Strom den Straßen entgegen, die durch die Tälerverliefen, und schlossen sich der Flut der Chaos-Anbeter an,die auf diesen staubigen Straßen unterwegs waren. Sie ritten,sie hinkten, sie krochen, sie marschierten, sie hüpften und siewatschelten, aber sie waren alle unterwegs - und sie hatten alle

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dasselbe Ziel. Jetzt konnte kein Zweifel mehr daran bestehen,dass all diese Chaos-Anbeter dorthin unterwegs waren, wohinauch das Luftschiff flog - zu den entfernten Bergen.

Stunden verstrichen. Das Luftschiff überflog eineausgedehnte Ebene im Schatten der Hügel, und immer nochbewegte sich unter ihnen der endlose Strom. In der Mitte derEbene konnte Felix vier gewaltige Felsen sehen, die zumonströsen Parodien der menschlichen Gestaltzurechtgemeißelt worden waren. Zuerst hatte er geglaubt, dasLicht spiele seinen Augen einen Streich und es handele sich umeine Luftspiegelung, um ein Zusammenwirken der seltsamenForm dieser Felsen mit der Müdigkeit seiner Augen, aber nacheiner Weile war ihm aufgegangen, dass dies nicht stimmte.Jeder der gewaltigen Felsen war in der Tat behauen, und ernahm an, dass jedem die Gestalt eines der Finsteren Götter desChaos gegeben worden war.

Als sie sich ihnen näherten, bekam er eine Vorstellung vonder Größe dieser gewaltigen Statuen. Jede Einzelne ragte höherauf als der Ankermast am Einsamen Turm. Er hatte gehört,einige der Gipfel auf der Elfeninsel Ulthuan seien in gewaltigeStatuen verwandelt worden, aber dies war ein Werk, welchesauch diese Gipfel in den Schatten stellen musste. EineEhrfurcht gebietende Magie musste benutzt worden sein, umdie Knochen der Erde in diese Zerrbilder zu verwandeln, undin einem Augenblick des Staunens und Entsetzens bekam Felixeinen Begriff von der wahren Macht der Kräfte des Chaos.

Eine der Statuen war ein riesiges kauerndes Ding, dessenSeiten von Beulen und Geschwüren aufgebläht waren. DasHohn lachende Bildnis kündete von einer Million Jahre derPestilenz und des Todes. Eine Stimme in Felix' Hinterkopfflüsterte ihm den Namen zu: Nurgle, Dämonengott der Seuche.

Eine andere hatte einen Vogelkopf und gewaltige, um denKörper gefaltete Schwingen. Unheimliche und unnatürlicheLichter umspielten den Kopf, eine Krone aus mystischer

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Energie, die den Gedanken vermittelte, dass diese Statue einAbbild Tzeentchs war, des Baumeisters des Schicksals undVeränderers der Bräuche.

Die dritte Statue hatte die Gestalt eines Wesens, das nichtganz Mann und nicht ganz Frau und dessen Haltung lasziv undspöttisch zugleich war. Die Augen waren große leere Höhlen.Felix schauderte, denn er wusste irgendwoher, dass dies dasAbbild eines der vielen Aspekte Slaaneshs war, des Herrn derUnaussprechlichen Freuden. Er war den Anbetern diesesDämonengottes in der Vergangenheit schon oft begegnet.

Die letzte Statue hatte die Gestalt eines gewaltigen Kriegersmit Fledermausflügeln, der mit Schwert und Peitschebewaffnet war und dessen Gesichtszüge unter einem Helmverborgen waren. Die Haltung hatte etwas an sich, das einegedrungene, affenartige Kreatur auf der einen und gewaltigeKörperkräfte auf der anderen Seite ahnen ließ. Dies mussteKhorne sein, der Blutgott, der Herr des Throns der Schädel.Felix schauderte. Der ISfame Khorne verbreitete seit demAnbeginn der Zeit Angst und Schrecken.

Zu Füßen dieser titanischen Abbilder warfen sich einigeAnbeter in den Staub und boten Opfergaben dar, aber diemeisten salutierten lediglich und setzten ihren Weg fort. Felixhatte jeden Versuch aufgegeben, die Chaos-Anbeter zu zählen.Ihre Zahl ging mittlerweile in die Tausende. Es war, alsbeobachte er eine marschierende Ameisenarmee, und dieMotive der Horde kamen ihm ebenso unverständlich undbedrohlich vor. Er war nur froh, dass sie nicht in Richtung derMenschenlande marschierten, sondern tiefer in die Wüste,obwohl ihm klar war, dass es nur eines Befehls bedurfte, dieMarschrichtung dieser riesigen Armee zu ändern und sie nachSüden zu schicken, sollte sich ein Führer aus der Masseerheben, der stark genug war.

In der Kommandozentrale hinter Felix war es bis auf dasTosen der Maschinen still, und Felix wusste, dass sich die

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Gedanken aller anwesenden Zwerge in denselben Bahnenbewegten wie seine eigenen. Sie alle waren von derschrecklichen Erhabenheit der sich unter ihnen sammelndenArmee überwältigt.

Die Gebirgsausläufer wurden immer höher, und jetzt ragtenvor dem Luftschiff die wahren Gipfel des Gebirges auf. Unterihnen sah das Land mit Bächen und Bäumen undumherspringenden Gemsen beinahe friedlich aus. War esmöglich, dass manche Teile der Wüste vom verzehrendenEinfluss des Chaos unberührt geblieben waren? Wehrte sichirgendeine Gegenkraft noch gegen die Auswirkungen? Oderhandelte es sich um einen Trick der Dunklen Mächte, um einenSchleier der Harmlosigkeit vor einem Geheimnis, das nochdüsterer und furchtbarer war als alles, was sie bisher erlebthatten?

Makaisson stieß einen lang gezogenen leisen Pfiff aus,während er an Hebeln zog und das Luftschiff durch ein langesTal zwischen den finster brütenden schwarzen Wipfelnsteuerte. Er musste beständig kleine Korrekturen an denKontrollen vornehmen, da er mit Seitenwinden undTurbulenzen zu kämpfen hatte während er dem gewundenenTal folgte.

Das Luftschiff bog fast im rechten Winkel nach rechts ab,und dann sahen sie ein langes Tal vor sich, in dem es von denChaos-Anbetern wimmelte. Rauchfahnen stiegen von ihrenHerdfeuern auf und bildeten eine dunkle Wolke, die ihnen dieSicht zu versperren drohte. Zehntausende von Tiermenschenschauten neugierig zu ihnen auf. Tausende von Chaos-Kriegernwaren innerhalb eines verrückten Irrgartens aus Erdwällenzusammengezogen. Das Luftschiff folgte in stetem Flug demTal, der zunehmenden Dunkelheit am anderen Ende entgegen.

Gewaltige Streitwagen, die von scheußlichenMutantenbestien größer als Elefanten gezogen wurden,erhoben sich über die Masse. Hier und da waren einige

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umgestürzt, manche waren geschmolzen, und andere wareneinfach zerschmettert wie von einer überlegenen Macht. GroßeT-förmige Kreuze waren zwischen den Reihen der Zelte undBlockhäuser errichtet worden, und an jedem Kreuz hing eineGestalt. Einige waren nahezu unversehrt, andere von denAasvögeln bereits bis aufs Skelett abgenagt worden.

Vor ihnen türmte sich ein besonders hoher Berg auf. Seinegewaltige Masse versperrte das Ende des Tals. Die Hängewaren mit Reihen und Reihen zerstörter Bastionen bedeckt.Der Boden der tiefer gelegenen Hänge war mit weißenKnochen übersät, die eine gleichmäßige Schicht bildeten. DieBefestigungen erhoben sich auf dem Berggipfel zu einerZitadelle, und es war offensichtlich, dass hier eine Schlachtausgetragen worden war - und erst vor kurzem, denn aus denverkohlten Gebäuden stieg noch Rauch auf, und zwischen denLeichen der kürzlich Getöteten bewegten sich schwarzgerüstete Krieger.

Ein angespanntes Schweigen erfüllte die Kommandozentraleder Geist Grungnis. Alle Zwerge schienen vor Verblüffung undEntsetzen den Atem anzuhalten Schließlich brach Borek dasSchweigen, und seine Worte kamen als heiseres Krächzenheraus.

»Sehet den Gipfel von Karag Dum«, sagte er.

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16Karag Dum

»Aufgepasst!«, rief Felix. Aus der Mitte der wimmelndenHorden unter ihnen hatte einer der Chaos-Anbeter - eine hochgewachsene, schlanke, schwarz gewandete Gestalt, die mitAmuletten behängt war und einen silbernen Helm mitgewundenen Widderhörnern trug - einen verzierten Stabgehoben und zeigte damit auf sie. Knisternde Energienumspielten die Spitze des Stabs, und ein blutroter Blitzstrahlzuckte vom Boden zum Luftschiff. Andere Zaubererversammelten sich, um den Angriff durch ihre Kräfte zuverstärken, und die Wut des Überfalls steigerte sich, bis dasLicht in den Augen schmerzte und das Tosen des DonnersFelix in den Ohren hallte.

Blitze knisterten und zuckten überall rings um die GeistGrungnis. Der metallisch-verbrannte Gestank nach Ozon lag inder Luft. Es war, als seien sie plötzlich mitten in einemGewitter gefangen. Die Gondel zitterte und bebte. DieJuwelenaugen der Galionsfigur flammten auf, und Felix spürte,wie sich das Amulett auf seiner Brust erwärmte. Makaissondrehte am Steuer und zerrte am Höhenruder, bis siehimmelwärts und den tief hängenden Wolken entgegenstiegen.

Das Luftschiff bockte und zitterte wie ein verängstigtesPferd, und Felix befürchtete, dass ihr magischer Schutz unterdem Ansturm dieser gewaltigen Energien nachgeben würde. Soplötzlich, wie er begonnen hatte, hörte der Angriff auf.

Nicht einen Augenblick zu früh, soweit es Felix betraf. Erschaute zu der lagernden Chaos-Armee herab.

Allem Anschein nach hatten sie eine Grenze überschrittenoder waren ihnen zu nahe gekommen, woraufhin man sieangegriffen hatte. Daher schien es möglich zu sein, dass man

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ihnen gestatten würde, unbehelligt über die Armeehinwegzufliegen, solange sie einen gewissen Abstand hielten.Vielleicht hatten die Chaos-Anbeter einen Angriff aus der Luftbefürchtet, dachte Felix. Oder, ebenso wahrscheinlich, siewaren schlichtweg verrückt.

Ein entsetztes Schweigen erfüllte die Kommandozentrale.Die Zwerge wechselten schockierte Blicke. Felix kauerte sichvor das Fenster und beobachtete die Armee. Schließlich sagteBorek mit krächzender Stimme: »Das hatte ich nicht erwartet.«Die Last seiner Jahre spiegelte sich in seiner Stimme wider. Erschüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich.«

Gotrek war blass, doch ob vor Zorn oder infolge einesanderen unterdrückten Gefühls, wusste Felix nicht zu sagen.»Steht die Zitadelle noch? Ist unser Volk immer noch dortunten?«

Borek sah ihn mit einem verquollenen Auge an undschüttelte den Kopf. »Nichts könnte den Armeen des Chaoszwei Jahrhunderte lang standhalten. Dort unten kann niemandmehr am Leben sein.«

Gotreks Knöchel wurden weiß, als er seine Axt festerumklammerte. »Warum hat sich da unten dann so eine großeArmee versammelt? Warum wird die Zwergenfestungbelagert? Gegen wenn kämpfen sie, wenn nicht gegen unsereArtgenossen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Borek. »Du hast die Armeegesehen, die Zerstörungen im Tal. Die Zwergenfeste kann soeinem Angriff nicht so lange standgehalten haben.«

»Und wenn doch? Was ist, wenn dort unten immer nochDawi leben? Das würde bedeuten, dass wir unsere Artgenossenfast zwei Jahrhunderte der Willkür des Chaos überlassenhätten. Es würde bedeuten, dass wir unsere altenBündnisverträge mit ihnen gebrochen hätten. Es würdebedeuten, dass unsere Nationen ihr Wort gebrochen hätte.«

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Borek hob seinen Gehstock auf und klopfte mit der Spitzeauf den Stahlboden. Vom Summen der Maschinen abgesehen,war es das einzig hörbare Geräusch. Felix dachte über ihreAuseinandersetzung nach. Er musste Borek zustimmen. Eskam ihm äußerst unwahrscheinlich vor, dass sich eine Zitadellefast zwei Jahrhunderte lang gegen eine Belagerung derwütenden Horden des Chaos behauptet haben sollte, auch wennsie von so verwegenen Verteidigern wie den Zwergen besetztwar. Ihm fiel eine weitere mögliche Erklärung ein.

»Wäre es nicht möglich«, mutmaßte er, »dass Karag Dumvon den Kräften des Chaos erobert wurde und in den Besitzirgendeines Anführers übergegangen ist, der sich in derZitadelle eingenistet hat? Vielleicht kämpfen die Chaos-Anbeter untereinander um ihren Besitz.«

Er sah, dass alle Augen auf ihm ruhten. Auf manchenGesichtern sah er Begreifen, auf anderen Enttäuschung. Ihmging auf, dass einige der Zwerge gehofft hatten, dort untenverschollene Verwandte zu finden, so auch Gotrek.

»Das ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung«, sagteBorek. »Und wenn sie zutrifft, gibt es hier nichts für uns zutun. Wir können ebenso gut dieses Luftschiff wenden undwieder nach Hause fliegen.«

Abermals spürte Felix Enttäuschung in derKommandozentrale, diesmal größer als zuvor. Diese Zwergehatten einen langen Weg hinter sich und große Opfer gebracht,um hierher zu gelangen, und jetzt sagte ihnen ihr Anführer,dass alles umsonst gewesen war. Dennoch nickten alle Zwergezustimmend. Alle außer Gotrek.

»Aber es ist nicht die einzige Erklärung«, sagte der Slayer.»Wir wissen nicht mit Sicherheit, dass es so ist.«

»Wohl wahr, Gotrek, aber was sollen wir deiner Ansichtnach tun?«

»Irgendwo in der Zitadelle landen! Die Expedition in die

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Tiefen ausführen, um derentwillen wir gekommen sind.Herausfinden, ob dort unten noch Angehörige unseres Volksleben.«

»Ich nehme an, du meldest dich freiwillig für dieseExpedition.«

»So ist es. Wir können warten, bis es dunkel ist, und dannauf dem Gipfel niedergehen. Wenn ich deine Karten richtig imKopf habe, führt von dort oben ein Geheimgang nach unten.«

»Snorri geht ebenfalls«, sagte Snorri. »Ich kann Gotrek nichtden ganzen Ruhm überlassen. Außerdem ist das eine guteGelegenheit, ein paar Chaos-Kriegern den Garaus zu machen.«

»Ich gehe auch, Onkel«, sagte Varek unvermittelt. »Ichwürde gern einen Blick auf die Heimat meiner Vorfahrenwerfen.«

»Ich glaube, ich sollte auch gehen. Ihr werdet dort untenjemanden mit einem Ansatz von Verstand brauchen«, sagteeine andere Stimme. Felix war schockiert, als er darin seineeigene erkannte.

»Bevor wir etwas unternehmen, lasst uns noch einen Blickauf das werfen, was dort unten vorgeht«, sagte Borek.»Vielleicht haben wir dann eine klarere Vorstellung davon,was los ist.«

Sie ließen das Luftschiff bis knapp unter die Wolkendeckesinken und umrundeten den Berggipfel in einem weiten Bogen.Dabei wurde offenbar, dass er nicht nur von einem, sondernvon vier Armeelagern umgeben war.

Jedes Lager war einer der großen Mächte des Chaosgewidmet. Über dem nächsten wehten die blutroten BartnerKhornes. Über einem anderen flatterten die leuchtendenWimpel Tzeentchs. Über dem dritten leuchteten dievielfarbigen Flaggen Slaaneshs und veränderten ständig ihreFarbe. Die schleimtriefenden Flaggen Nurgles ragten aus denSeuchen bringenden Horden im vierten Lager.

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Je mehr sie sahen, desto offensichtlicher wurde, dass dieAnhänger der Mächte voreinander auf der Hut waren. JedesLager war von einem Graben umgeben, und zwar nicht nurzum Berg hin, sondern ringsherum, als fürchteten die Armeenauch einander. Felix war sicher, hier und da an den Grenzensporadische Scharmützel zwischen einigen Kriegern zu sehen.

Außerdem sah er, dass diese Lager das Ziel aller Chaos-Anbeter waren, die sie in der Wüste gesehen hatten. Sie trafenaus allen Himmelsrichtungen ein und fanden den Weg in einesder Lager. Felix war bereit zu wetten, dass jeder das Lagerseiner eigenen Macht suchte, um dessen Zahl zu erhöhen.

Er nahm an, dass alldem eine gewisse verdrehte Logikanhaftete - wenn die vier Mächte Konkurrenten waren undebenso gegen einander wie gegen alle anderen kämpften. Wennman die Spannungen bedachte, die zwischen ihren Anhängernbestehen mussten, war es durchaus sinnvoll, sie zu trennen, umdiese Spannungen zu minimieren. Dennoch hatte er irgendwiedas unbestimmte Gefühl, dass er etwas übersah.

Dann beobachtete er aus sicherer Höhe, wie sich die ArmeeKhornes an der Grenze zur Armee Slaaneshs sammelte undsich mit mächtigem Gebrüll in die Schlacht stürzte. Es warunverkennbar, dass diese Armeen nicht nur hier waren, umKarag Dum zu belagern, sondern auch, um einander zubekämpfen.

»Wir werden auf euch warten, solange Proviant und Wasserreichen, dann kehren wir um«, sagte Borek ernst. »Wir werdenaufsteigen und den Gipfel durch unsere Teleskope beobachten.Wenn Ihr etwas findet, kehrt auf den Gipfel zurück und schießteine von Ma-kaissons grünen Fackeln ab. Dann kommen wir,so schnell wir können, und holen euch ab.«

Felix nickte und überprüfte nicht zum ersten Mal dieFackeln, die in seinem Gürtel steckten. Sie waren ebenso nochda wie die anderen Ausrüstungsgegenstände, die er von den

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Zwergen erhalten hatte: ein Kompass, eine immerbrennendeLaterne, die ihre Leuchtkraft aus einem ihrer kostbarenLeuchtsteine bezog, mehrere Flaschen mit Wasser und eine mitWodka. Auf der Schulter trug er einen kleinen Sack mitProviant. Er hatte wieder sein Kettenhemd angelegt und warfroh darüber.

Und ebenfalls nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum erdies tat, und wiederum stellte er fest, dass er keineneindeutigen Grund benennen konnte. Es wäre weitausvernünftiger gewesen, im Luftschiff zu bleiben. Auf dieseWeise würde er wenigstens nach Hause zurückkehren können,wenn Gotrek und die anderen scheiterten. Doch in dieserAngelegenheit war der gesunde Menschenverstand nicht alles.Er und Gotrek hatten gemeinsam unzählige Gefahrenüberstanden und Gotreks Todesqueste zum Trotz alle überlebt.Felix hegte den Verdacht, dass mehr als nur Glück im Spielwar, vielleicht sogar irgendeine Bestimmung, und er in derGesellschaft des Slayers bessere Aussichten hatte zu überlebenals auf sich allein gestellt. Zumindest versuchte er sich davonzu überzeugen, dass dies der Fall war.

Und schlussendlich war da noch sein Eid. Er hattegeschworen, dem Slayer zu folgen und seinen Untergangaufzuzeichnen, und er nahm an, dass genug von derZwergenkultur auf ihn abgefärbt hatte, um dieses Versprechenernst zu nehmen. Er starrte durch das Fenster. Unter ihnenkonnte er die Feuer der Chaos-Lager sehen und dieschattenhaften Gestalten, die sich ringsherum bewegten. Hinund wieder vernahm er Waffengeklirr, wenn irgendwo einStreit ausbrach.

Es war Nacht oder was hier in der Wüste als Nachtdurchging. Sie hatten viele Stunden darauf gewartet, dass derHimmel sich verdunkelte, und schließlich war ihre Geduldbelohnt worden. Das Luftschiff war ebenfalls dunkel, da alleLichter gelöscht worden waren, um ihre Position nicht zu

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verraten. Die Maschine lief mit geringster Kraft, um so wenigLärm wie möglich zu machen. Vor ihnen ragte der dunklereSchatten des Berggipfels auf. Felix hoffte, dass Makaissonwusste, was er tat, und sie nicht am Berg zerschellen würden.Sein Verstand sagte ihm, dass Zwerge im Dunkeln viel besserals Menschen sehen konnten, aber es gab einen Unterschiedzwischen verstandesmäßigem Wissen und von Herzen glauben,insbesondere in Augenblicken wie diesem, wenn sein Lebenauf dem Spiel stand.

»Wenn ihr Überlebende findet und wir euch holen sollen,schießt eine rote Fackel ab«, sagte Borek. »Kapiert?«

»Ich habe verstanden«, sagte Felix. Alles andere wäre auchsehr schwierig gewesen. Borek hatte es ihnen während derlangen Wartezeit mindestens ein Dutzend Mal erklärt. DieFackeln waren ebenfalls eine von Makaissons Erfindungen,eine Abwandlung der einfachen Rakete, die einen leuchtendenSchweif der gewählten Farbe hinter sich her zog.

Das Luftschiff kam bebend zum Stillstand. Dies war ihrStartsignal. Gotrek machte den Anfang, indem er sich durchdie Luke schwang und die Leiter herabglitt. Snorri folgte ihm,wobei er fröhlich vor sich hin summte. Als Nächstes gingVarek. Er hielt kurz in der Luke inne und bedachte Felix miteinem nervösen Grinsen, um dann ebenfalls durch die Luke zuverschwinden. Er hatte sich einen Sack mit Bomben vor dieBrust geschnallt und trug Makaissons seltsame Kanone aneinem Schultergurt. Felix wünschte, er hätte selbst eine dieserWaffen besessen und gewusst, wie man damit umging, aberjetzt war es zu spät, es noch zu lernen. Er holte tief Luft, atmeteaus und schwang sich auf die Leiter.

Der Nachtwind peitschte seine Haut. Es war so kalt, wie eres mitten in einer Wüste niemals erwartet hätte. Er mahntesich, vernünftig zu sein. Sie befanden sich weit nördlich vonKislev. Es musste einfach kalt sein. Die Leiter schwang unterder Last der Kletterer hin und her, und Felix' Magen

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protestierte ein wenig.Sigmar, was tue ich hier?, fragte er sich. Wie ist es

gekommen, dass ich an einer Flugmaschine hänge, die voneinem Irren entwickelt wurde, und über Berghängen schwebe,auf denen Armeen mit vielen tausenden von Chaos-Kriegernihr Lager aufgeschlagen haben? Wenn auch vielleicht nichtsanderes, sagte er sich, wird es zumindest ein interessanter Tod.Dann nahm er all seinen Mut zusammen und setzte den Abstiegfort.

Die vier standen auf einem Vorsprung dicht unterhalb desGipfels im Schatten einer schützenden Wand. Als Felixaufschaute, sah er, wie die Strickleiter eingeholt wurde und dasSchiff in die Höhe und außer Reichweite der Chaos-Zaubererstieg. Er lauschte angestrengt auf Alarmrufe möglicherWachposten, hörte aber nur Snorris Summen.

»Sei bitte still«, flüsterte er.»Sicher«, sagte Snorri in normaler Lautstärke.Felix kämpfte gegen das Verlangen an, ihn mit dem Schwert

niederzuschlagen.»Dieser Weg musste uns zum Adlertor führen«, murmelte

Varek.»Dann lasst uns gehen«, sagte Gotrek. »Wir haben nicht die

ganze Nacht Zeit.«Sie blieben vor der riesigen Statue eines in die Felswand

gemeißelten Adlers stehen. Gotrek griff zwischen die Krallender rechten Klaue und drückte auf einen verborgenen Schalter.Eine kleine Öffnung, gerade groß genug für einen Zwerg,öffnete sich im Sockel der Statue. Sie huschten hindurch. Felixhörte einen weiteren Schalter klicken, und dann verschwanddas düstere Licht der Nacht draußen hinter ihnen.

Er spürte Varek an seinem Ärmel zupfen. Sie hatten bereitsvereinbart, erst dann ein Licht anzuzünden, wenn der Weg vor

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ihnen sicher war. Auf diese Weise konnte sie in der Dunkelheitnichts verraten. Für die Zwerge war dies auch vollkommen inOrdnung, ging Felix auf, weil sie auch im Dunkelneinigermaßen sehen konnten, aber er selbst war unter diesenBedingungen absolut blind und vollkommen auf ihre Hilfeangewiesen. Vielleicht war der Plan doch nicht so großartig. Ertastete mit der linken Hand nach dem kalten Stein der Wandund folgte dann Vareks Führung.

»Es gibt viele solcher geheimen Fluchtwege«, flüsterteVarek. »Bei Belagerungen wurden sie häufig als Ausfalltorebenutzt.«

»Und wenn Verräter sie benutzten, um sich Zutritt zur Stadtzu verschaffen?«, fragte Felix.

»Kein Zwerg würde so etwas jemals tun«, sagte Varek. Felixhörte aufrichtiges Entsetzen in der Stimme des jungen Zwergsschon über die bloße Andeutung dieser Möglichkeit.

»Ruhe da hinten«, sagte Gotrek. »Wollt ihr dieAufmerksamkeit jedes Tiermenschen und Chaos-Anbeters aufdem Berg erregen?«

»Gar keine schlechte Idee«, sagte Snorri. Ein Geräuschertönte, das verdächtig nach einem Zusammentreffen vonGotreks Faust mit Snorris Kopf klang, dann herrschte Ruhe.

Lurk grinste. Die Schmerzen waren vorbei. Die langen Tagedes Schwitzens und Herumwindens in seinem improvisiertenBau waren zu Ende. Die pulsierenden Schmerzen in seinemSchädel hatten ebenso aufgehört wie die erbärmlichenSchmerzen, welche die Streckung jedes Einzelnen seinerKnochen verursacht hatte. Er war durch Schmerzen gereinigtund neu erschaffen worden. Er war von der Gehörnten Ratteauserwählt, vom Lauernden in der UnergründlichenDunkelheit, dem Huschenden Herrn der Grube, gesegnetworden.

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Er wusste instinktiv, dass er sich verändert hatte und dieseVeränderungen ein Zeichen der Gunst seines Herrn waren. DerWarpsteinstaub war lediglich ein Katalysator, ein Botegewesen, der den Segen seines Gottes brachte. Er war jetztgrößer, zu groß, um noch in seine Kiste zu passen, so groß,dass er sich niederkauern musste, um sich durch die Gänge zuzwängen. Und er war stark. Seine Schultern waren so breit wiedie eines Rattenogers. Seine Brust war eine Tonne ausMuskeln. Seine Arme waren dicker als seine früheren Beine,und seine Beine waren Säulen aus pulsierender Kraft. Er hattedas Gefühl, mit bloßen Pfoten Stahlstangen verbiegen und mitden Fängen Granit durchbeißen zu können.

Seine Zähne waren jetzt viel länger und spitzer. Die unterenEckzähne ragten wie Hauer nach oben und machten es sehrschwierig, den Mund richtig zu schließen. Ständig tropfte ihmSpeichel aus den Mundwinkeln.

Sein Schädel war schwerer und fühlte sich an, als seien dieKnochen durch seine Wangen gebrochen, um einenKnochenpanzer zu bilden. Große Widderhörner waren ausseiner Stirn gewachsen. Sie waren die Ursache für seinefurchtbaren Kopfschmerzen gewesen, aber jetzt sah er, dass siedas Zeichen der Gunst der Gehörnten Ratte waren, ein Zeichen,dass er wahrhaftig auserwählt war, ein Segen, der ihn alsanders, besonders, überlegen kennzeichnete. Sein Leben langhatte er gewusst, dass er den anderen Skaven überlegen war,und hier war endlich der Beweis.

Man betrachte nur seinen Schwanz, so lang, so geschmeidig,so biegsam und mit vier Dornen gekrönt: ein Streitkolben ausKnochen. Man betrachte seine Krallen - so viel länger, so vielschärfer, jede Einzelne von der Größe eines Dolchs. Er war zueiner lebenden Maschine der Zerstörung geworden, die vomHass und vom Hunger in seinem Herzen angetrieben wurde.Von einer Nicht-Wesenheit wie Thanquol hatte er nichts zubefürchten. Wenn er nach Skavenblight zurückkehrte, dann in

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einem vollkommenen Triumphzug. Sogar der Rat der Dreizehnwürde ihm zu Füßen liegen. Er würde die vereinten Armeender Skaven führen und alles vernichten, was sich ihnen in denWeg stellte. Die ganze Welt würde zittern und vomunüberwindlichen, allmächtigen Lurk erobert werden.

Doch nun hatte er Hunger, und es wurde Zeit für die Jagd. Erhörte, wie sich Zwergenschritte näherten. Nachdem er ihneneinen Moment gelauscht hatte, ging ihm auf, dass sie mehr alseinem Zwerg gehörten. Ein tief verwurzelter Instinkt verrietihm, dass zahlenmäßige Überlegenheit nur gut war, wenn mansie für sich in Anspruch nehmen konnte. Es war nicht ratsam,eine Gruppe von Feinden anzugreifen. Vielleicht, beschloss er,würde er noch ein wenig länger warten, bis ein einzelnerGegner kam, und dann ... dann würde er seine furchtbareMacht enthüllen.

Felix hörte das tiefe Knirschen von Stein auf Stein, alsGotrek einen weiteren Schalter betätigte. Ein Schwallschlechter Luft zischte an seinem Gesicht vorbei, und er nahman, dass der Zwerg noch eine Geheimtür geöffnet hatte. Siegingen rasch weiter, und Felix hörte, wie die Öffnung sichhinter ihnen wieder schloss. Er wusste nicht, wie es vonstattenging. Er hatte nicht gehört, dass ein zweiter Schalter betätigtworden war. Vielleicht gab es eine Zeitschaltung. Vielleichtgab es eine Druckplatte auf dem Boden. Er sollte später danachfragen. Vielleicht musste er allein diesen Weg zurück, wenn ervon den anderen getrennt wurde.

Voraus war ein Licht, ein matter, weit entfernter Schein. DasLicht war schwach und erlosch ab und zu, leuchtete aberimmer wieder auf. Es war nicht wie das Licht einer Fackel,mehr wie das eines Leuchtsteins oder Zaubers. Sein schwacherSchein ließ ihn jetzt die Umrisse der Zwerge vor sichausmachen. Gotrek hob eine Hand, um anzudeuten, dass siebleiben sollten, wo sie waren, und ging dann allein weiter,

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lautlos und mit einer Verstohlenheit, die Felix ihm nichtzugetraut hätte.

Er war froh, dass der Slayer ihr Unternehmen so ernst zunehmen schien. Offenbar war sein Verlangen, das Schicksalder Bewohner Karag Dums zu ergründen, noch größer als seineSehnsucht nach einem Heldentod. Und warum auch nicht?,fragte sich Felix. Das eine schloss das andere nicht aus. WennGotrek den Wunsch hatte, dass die Annalen der Zwerge seinergedachten, gab es gewiss keinen besseren Weg als den, zumErlöser dieser vergessenen Artgenossen zu werden. Oder hatteer ein anderes, persönlicheres Motiv? Felix würde niemalswagen, ihn danach zu fragen.

Er atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Die Luft rochmuffig, und es lag ein Anflug von Fäulnis und noch etwasanderem darin. Es war derselbe Geruch wie im Revier derHarpyien in der Stufenpyramide, der ranzige Gestank vonChaos-Bestien. Er hörte Snorri schnüffeln und wusste, dass derhammerschwingende Slayer den Geruch ebenfallswahrgenommen hatte.

Gotrek hatte die Kreuzung erreicht und bedeutete ihnen zufolgen. Sie hasteten vorwärts, bis sie die Abzweigungerreichten und einen weiteren Korridor betraten. Dasflackernde Licht stammte von Leuchtsteinen in der Decke.Einige waren zerschmettert, andere entfernt worden. Jene, diezurückgelassen worden waren, wiesen Sprünge auf undfunktionierten nur mit Aussetzern, sodass ständig neueSchatten in die Düsternis geworfen wurden.

Die Steinmetzarbeiten erinnerten Felix an die zwergischeArchitektur, die er in Karak Achtgipfel bestaunt hatte. DieWände wurden von behauenen Basaltblöcken gestützt.Mächtige Bögen hielten das hohe gewölbte Dach. JederEinzelne war ein Kunstwerk. Der Nächste hatte die Formzweier kniender Zwerge, die einander über den Gang hinwegansahen und das Dach auf den Schultern trugen.

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Sie mussten früher einmal wunderschön gewesen sein, aberzwischenzeitlich waren sie verunstaltet worden. Aus denGesichtern waren Splitter herausgebrochen, und Teile derSteinmetzarbeiten waren mit Klingen bearbeitet worden. Esärgerte Felix, dass jemand etwas entstellt hatte, in dessenErschaffung der betreffende Künstler so viel Arbeit gesteckthatte. Während sie durch den Korridor schlichen, sah er, dassdiese Zerstörung kein Einzelfall war. Jeder einzelne Bogen warauf irgendeine Art verschandelt worden. Viele waren durchFeuer oder Zauber geschwärzt. Manche sahen aus, als seien sievon Säure zerfressen worden.

Langsam dämmerte es Felix, dass er es hier nicht mitmutwilligem Vandalismus zu tun hatte, sondern vielmehr mitden äußeren Anzeichen einer Schlacht. Ein erbitterter Kampfwar in diesem Korridor ausgetragen worden, und zwar unterBenutzung aller möglicher Waffen, natürlicher wieübernatürlicher Art. Sie passierten Skelette, immer noch involler Rüstung und mit der Waffe in den knochigen Fingern.Manche gehörten Zwergen, andere grässlich mutiertenTiermenschen.

»Jetzt wissen wir, dass die Chaos-Anbeter in die Stadtgelangt sind«, murmelte Varek.

»Aye, und dass ihnen beherzte Zwerge mit kaltem Stahlbegegnet sind«, sagte Gotrek.

»Aber sind jetzt noch welche am Leben?«, murmelte Felix.Die Gänge führten sie immer tiefer in die Stadt. Manche

führten abwärts. Andere endeten vor steilen Treppen. Überallfanden sich Spuren alter Schlachten. An jeder Ecke lagenmumifizierte Leichen. Alles war in eine Aura des Bösengehüllt. Irgendwo in den Tiefen lauerte etwas Schreckliches.Felix kämpfte verbissen gegen die Furcht an, die an ihm zunagen begonnen hatte, gegen die Gewissheit, dass sie hinter dernächsten Biegung oder am Ende der nächsten Treppe

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irgendeinem bösartigen, übernatürlichen und furchtbarenWesen begegnen würden.

Gotrek hielt in einem langen Saal inne, der von riesigenStatuen gesäumt wurde. Überall lagen Leichen herum, aberkeine gehörte einem Zwerg. Alle waren Tiermenschen oderChaos-Krieger. Zwei Leichen lagen mit dem Schwert deranderen in den Rippen da. Sie hatten einander mit gleichzeitiggeführten Hieben getötet.

Gotrek starrte sie nachdenklich an. »Hier haben sich dieChaos-Bestien gegenseitig abgeschlachtet.«

»Vielleicht konnten sie sich nicht über die Verteilung derBeute einigen.«

»Aber wo ist dann die Beute, Felix?«, fragte Varek.»Von den Siegern weggeschleppt?«, erwiderte Felix. Er

betrachtete die Leichen eingehender und bemerkte, dass dieAbzeichen verschieden waren.

»Vielleicht gehörten sie verschiedenen Mächten oderkonkurrierenden Führern an. Vielleicht hat es Streit unter denSiegern gegeben.«

»Vielleicht«, sagte Gotrek.»Warum ist es hier so still?«, fragte Felix. »Dort draußen

sind vier Armeen, aber hier drinnen haben wir noch keine Spurvon einem lebenden Wesen gefunden.«

Gotrek lachte. »Dies ist eine alte Zwergenfestung,Menschling. Sie erstreckt sich meilenweit unter der Erde. Esgibt hunderte von Ebenen. Die Gesamtlänge der Flure undGänge muss viele tausend Meilen betragen. Schon in einemkleinen Winkel dieser Stadt könnte eine ganze Armee spurlosverschwinden.«

»Wie sollen wir hier irgendwelche Überlebende finden, fallses noch welche gibt?«

»Wenn hier unten noch Zwerge leben, halten sie sich an

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ganz bestimmten Orten auf, und dorthin gehen wir«, sagteVarek.

Und damit stießen sie weiter in die Dunkelheit vor.An vielen anderen Orten wurde ebenfalls deutlich, dass die

Kämpfe nicht zwischen Zwergen und Chaos-Anbetern, sondernunter den Anhängern der Dunklen Mächte selbst getobt hatten.Nur ganz selten stießen sie auf Anzeichen dafür, dass auchZwerge an den Auseinandersetzungen beteiligt gewesen waren.Die Leichen, die sie entdeckten, machten immer deutlicher,dass ein Krieg zwischen den Truppen des Chaos stattgefundenhatte. Hier fanden sie Anzeichen dafür, dass Slaaneshs Kriegergegen die Berserker-Anhänger Khornes gekämpft hatten. Dortfanden sie Belege, dass die Anhänger Tzeentchs sich mit denseuchengeplagten Dienern Nurgles bekriegt hatten. In einemgroßen Saal fanden sie eine Stelle, wo Anhänger aller vierMächte übereinander hergefallen waren.

Felix fand die Düsternis bedrückend. Es warniederschmetternd, durch diese endlosen, von Kämpfenverwüsteten Gänge zu marschieren und auf die Überresteuralter Schlachten zu stoßen. Er musste an die großen Armeendenken, die dort draußen lagerten. Wen repräsentierten sie?Worauf warteten sie? Ihm kam alles so sinnlos vor. Er zucktedie Achseln. Warum überraschte ihn das? Die Anhänger desChaos waren nicht in seinem Sinne geistig gesund. Vielleichtkämpften sie zur unergründlichen Belustigung ihrer FinsterenGötter. Vielleicht kämpften sie zur Belustigung der bösenWesenheit, die er hier unten spürte. Vielleicht durften auch sienur aufgrund einer Laune dessen weitermarschieren, was hierunten lauerte. Er fragte sich, ob auch die anderen dieAnwesenheit von etwas Bösem spürten. Er fand nicht den Mut,sie danach zu fragen.

Nachdem sie Galerie auf Galerie und Gemach auf Gemachpassiert hatten, wurde offensichtlich, dass Gotrek Recht hatte.Hier unten gab es Raum genug für ein Dutzend Armeen, auch

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wenn jede die Größe der dort draußen versammelten besaß. Erfragte sich, wie es wohl gewesen sein mochte, in einerunterirdischen Stadt wie dieser in deren Blütezeit zu leben.Auch vor dem Angriff der Chaos-Anhänger musste die Stadt sogut wie leer gewesen sein, denn die Dawi waren bereits seitJahrtausenden eine aussterbende Rasse. Dennoch musste eseine Zeit gegeben haben, als es in diesen Straßen von Zwergengewimmelt hatte, die kauften und verkauften, lachten undweinten, liebten und lebten und ihren täglichenBeschäftigungen nachgingen. Jetzt kam ihm alles wie ein Grabvor, und die überall verstreuten Leichen der Eindringlingewaren wie eine Entweihung.

Gotrek kniete neben der ziegenköpfigen Leiche nieder, vorder er plötzlich stehen geblieben war. Sie war nicht wie dieanderen, die sie gesehen hatten - sie war noch warm! Fleischklebte noch an ihren Knochen. Warmes schwarzes Blut bildeteeine Lache darunter. Nicht weit entfernt lagen andereTiermenschen, die alle ebenfalls tot waren.

Felix kauerte sich nieder, um einen eingehenderen Blickdarauf zu werfen. Im Leben war der Tiermensch nicht hübschgewesen, und der Tod hatte sein Aussehen nicht verbessert. Erhatte den großen Schädel einer Ziege und den Körper einesMannes. Die bepelzten Beine endeten in Hufen. In die Stirnwar das Zeichen Khornes eingebrannt. Die seltsam flüssigwirkenden Augen waren glasig und starrten leblos zur hohenDecke. Ein Armbrustbolzen steckte in seiner Brust und einzweiter im Bauch. Eine Hand war noch um die Geschossegekrampft, die den Tiermenschen getötet hatten. Die Hand warwunderschön geformt, mehr wie die eines Mönchs als die einesUngeheuers, und Felix ging durch den Kopf, wie unpassend siean dieser tierischen Gestalt wirkte. Der Tiermensch stank nachnassem Fell und den Exkrementen, die er im Augenblick desTodes ausgeschieden hatte.

Gotrek zog an einem der Armbrustbolzen. Er löste sich mit

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einem widerlichen Sauggeräusch aus der Leiche, und eindünnes Rinnsal schwarzen Bluts quoll aus der Wunde. Gotrekdrehte und wendete das Geschoss in den Händen und studiertees eingehend mit seinem gesunden Auge. Felix konnte nichterkennen, was ihn so daran faszinierte. Er sah recht solide aus,aber auch nicht anders als jeder andere Armbrustbolzen, den erbisher gesehen hatte.

»Das ist eine Zwergenwaffe«, verkündete Gotrek schließlich,und in seiner Stimme lag etwas, das man als triumphierendenUnterton hätte bezeichnen können.

»Woran erkennst du das?«, wollte Felix wissen.»Sieh dir die Machart an, Menschling. Kein Mensch hat je

eine so gut passende Spitze hergestellt oder einen Bolzen soperfekt befiedert. Außerdem sind Zwergenrunen in die Spitzegeritzt.«

»Du willst also damit sagen, dass diese Tiermenschen vonZwergen getötet wurden?«

Gotrek zuckte die Achseln und sah weg. »Vielleicht.«»Vielleicht haben die Tiermenschen eine unserer

Rüstkammern gefunden«, mutmaßte Varek zaghaft. Ganzoffensichtlich wollte er Gotrek nicht widersprechen, und Felixkonnte mühelos erkennen, dass er hoffte, dass er sich irrte.Varek wollte, dass hier unten noch Zwerge lebten undkämpften.

»Hast du schon einen Tiermenschen mit einer Armbrustgesehen?«, fragte Gotrek.

»Vielleicht war es ein dunkler Krieger.«»Oder auch einen derart bewaffneten dunklen Krieger, was

das betrifft?«Es war ein berechtigter Einwand. Bei seinen Begegnungen

mit den Anhängern der Dunklen Mächte war Felix noch nieeinem mit solch einer fortschrittlichen Waffe begegnet.

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Natürlich bedeutete das nicht, dass es nicht ein erstes Malgeben konnte. Er beschloss, diesen Gedanken für sich zubehalten. Stattdessen fragte er: »Wie sollen wir diese Zwergefinden?«

»Vielleicht sollte Snorri das diese Tiermenschen fragen«,schlug Snorri hinter ihnen vor.

Felix' Herz setzte einen Schlag aus, als er Snorris Wortehörte. Er drehte sich um und schaute in die Richtung, dieSnorri vorgab. Und natürlich stand dort ein Trupp vonmindestens zwanzig Tiermenschen. Einen Moment sahen sieebenso überrascht aus wie Felix, aber dann hoben sie dieSpeere zum Angriff.

»Oder vielleicht sollten wir sie einfach töten«, sagte Gotrek,indem er den Kopf senkte und losstürmte.

»Nein! Nicht!«, rief Felix - doch es war bereits zu spät.Varek hatte die Kurbel an seiner seltsam aussehenden Kanonegedreht. Ein Kugelhagel fuhr zwischen die Tiermenschen undtötete zwei und streckte zwei weitere zu Boden. Vor Wutheulend und vor Berserkerzorn schäumend, gingen dieTiermenschen zum Angriff über. Felix wusste, dass es jetztkeine andere Möglichkeit mehr gab, als zu kämpfen und ineinem sinnlosen Scharmützel mit den Chaos-Anbetern zusterben. Snorri war offenbar zu demselben Schluss gekommen,denn er hob seine Waffen und stürmte ebenfalls vorwärts. Daihm die beiden Slayer nun die Schusslinie versperrten,versuchte Varek die Stellung zu wechseln, um dieTiermenschen von der Seite unter Beschuss zu nehmen.

Felix zog seine Klinge und lief los, um Gotrek und Snorri zuHilfe zu eilen. Doch bevor er eingreifen konnte, bevor diebeiden Seiten sich auch nur bis auf zwanzig Schritt genäherthatten, schoss ein neuer Hagel von Armbrustbolzen aus derDunkelheit und pflügte in die Reihen der Tiermenschen. DieGeschosse fielen wie dunkler Regen. Felix sah eine

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hundeköpfige Monstrosität mit einem Bolzen im Augetaumeln, während ihr blutige Tränen über die Wange liefen.Die Brust war mit Bolzen gespickt, als der Tiermenschschließlich zu Boden ging. Ein weiterer griff sich ans Herz undfiel, um von den Hufen seiner Brüder zu Tode getrampelt zuwerden. Der Ansturm der Tiermenschen geriet ins Stocken, daimmer mehr von ihnen fielen. Die Überlebenden hielten inneund sahen sich in dem verzweifelten Bemühen um, ihreunsichtbaren Gegner auszumachen.

Gotrek, Snorri und Felix erreichten sie und fegten durch ihreLinie wie eine Axt durch morsches Holz. Der Schock desAufpralls zuckte durch Felix' Arm, dann lief ihm etwasWarmes, Klebriges über die Hände. Er zerrte die Klinge frei,trat seinen auserwählten Tiermenschen zu Boden und stachnach dem Nächsten. Sein Schwert traf den überraschtenTiermenschen in der Schulter, zuckte hoch und trennte ihm einOhr ab. Er hielt sich nicht damit auf, das Schwert zurückzuzie-hen, sondern schmetterte seinem Gegner den Knauf ins Gesichtund spürte Zähne abbrechen. Der Tiermensch brüllte vorSchmerzen, bevor Felix ihn niederknüppelte und mit einemStich ins Herz tötete.

Der Kampf war vorbei, bevor er richtig begonnen hatte. Vonder Wut ihrer Gegner überwältigt, machten die letztenTiermenschen kehrt und flohen. Felix sah, dass Gotrek vier vonihnen erschlagen hatte. Ihre zerfetzten Überreste lagen zuseinen Füßen. Snorri sprang auf einer Leiche herum, vergnügtwie ein Kind im Sandkasten. Eine Salve aus Vareks Kanonemähte die überlebenden Tiermenschen auf der Flucht nieder.

Felix sah sich um, während er mehr infolge der Heftigkeitdes kurzen Kampfes keuchte denn aufgrund großerAnstrengung. Er wollte sehen, wer ihnen geholfen harte, undihnen danken.

»Rührt euch nicht vom Fleck«, sagte eine tiefe gutturaleStimme. »Ihr seid nur eine Haaresbreite vom Tod entfernt.«

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17Die letzten Zwerge

Felix erstarrte. Er versuchte, nicht einmal zu blinzeln,geschweige denn zu atmen. Er zweifelte nicht daran, dass, werauch immer im Schatten lauerte, meinte, was er sagte, und erhatte keinerlei Bedürfnis, sich mit Armbrustbolzen spicken zulassen.

»Seid ihr Zwerge?«, fragte Varek mit, wie Felix fand, mehrNeugier als Vernunft.

»Aye, das sind wir. Die Frage ist, was seid ihr?« Einunglaublich breitschultriger Zwerg trat aus dem Schatten vorsie. Er trug eine Lederrüstung, und große Schulterpolster ausMetall schützten seinen Oberkörper.

Ein geflügelter Helm mit Wangenschützern beschirmte seinGesicht. An einem Schulterriemen hing eine Armbrust, und aneiner Schlaufe an seinem Gürtel hing ein schwererStreithammer. Er setzte den Helm ab, um sie anzustarren, undFelix konnte erkennen, dass sein Gesicht zerfurcht war undseine Augen fiebrig glänzten. Sein Bart war lang, schwarz undmit Silber durchsetzt. Seinem Gesicht haftete eine unnatürlicheHagerkeit an, wie Felix sie bei einem Zwerg noch nie gesehenhatte.

Er umrundete die vier und musterte sie mit einerBeiläufigkeit, die fast beleidigend war. Felix entging nicht,dass Gotrek und Snorri ihr Temperament kaum beherrschenkonnten, und wenn nicht bald etwas geschah, würde es Mordund Totschlag geben.

»Zwei von euch sehen wie Slayer aus«, sagte derNeuankömmling. »Einer von euch sieht aus wie einAngehöriger von Grungnis Volk. Der andere, der Mensch,rnuss sterben.«

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Noch bevor Felix aufging, dass er gemeint war, hatte derNeuankömmling seine Armbrust genommen und auf seineBrust gerichtet. Felix starrte auf die funkelnde Spitze einesArmbrustbolzens. Als laufe die Zeit plötzlich langsamer, saher, wie der Finger des Fremden sich um den Abzug krümmte.Er wusste, dass er sich nicht mehr rechtzeitig zur Seite werfenkonnte, aber seine Muskeln spannten sich trotzdem, um es zuversuchen.

»Warte«, sagte Gotrek leise, und seine Stimme hatte einenderart gebieterischen Unterton, dass der Neuankömmlingerstarrte. »Wenn du dem Menschen ein Leid zufügst, wirst dusterben.«

Der andere Zwerg lachte rau. »Das sind tapfere Worte füreinen, der nicht in der Lage ist, ihnen auch Taten folgen zulassen. Sag mir, warum sollte ich ihn verschonen?«

»Weil er ein Freund der Dawi und ein Eidträger ist, undwenn du ihn tötest, wird dein Name in trauriger Berühmtheitfortleben und im Buch der Rechnungen als der einesDummkopfs und Feiglings verzeichnet werden.«

»Wer bist du, vom Buch der Rechnungen zu sprechen?«»Ich bin Gotrek, der Sohn Gurnis, und wenn du dich mir in

dieser Angelegenheit widersetzt, werde ich dein Tod sein.« Inder Stimme des Slayers lag kalte Gewissheit, die Glaubengebot. Gotrek fügte etwas auf Zwergisch hinzu, und derNeuankömmling errötete, während sich seine Augen weiteten.

»Also sprichst du die Alte Sprache«, sagte er.Felix hörte entsetztes Murmeln aus dem Schatten rings um

den Saal, und plötzlich ging ihm auf, wie viele andere Zwergesie beobachten mussten. Es schien unvorstellbar zu sein, dasssich eine derart große Streitmacht mit solch einerVerstohlenheit durch die Gänge bewegt haben sollte. Erriskierte einen Blick und sah dass einige Dutzend hagere,erschöpft aussehende Zwerge aus der Düsternis getreten waren.

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Alle hatten Warfen auf die kleine Gruppe gerichtet undschienen auch bereit zu sein, sie zu benutzen. Er konnteerkennen, dass die Kampfausrüstung bei allen gleich aussahwie etwas, das schon oft geflickt und wieder zusammengesetztworden war.

Eine kurze, aber hitzige Debatte auf Zwergisch zwischenGotrek und den Neuankömmlingen folgte. Felix wandte sich anVarek. »Was sagen sie?«

»Diese Zwerge halten uns für Agenten des Chaos. Siewollten uns töten. Gotrek hat ihnen erzählt, dass wir vondraußen kommen und ihnen helfen können. Manche von ihnenglauben das nicht und sagen, es sei ein Trick. Ihr Anführersagt, er könne es nicht riskieren, uns zu töten, und dass dieseine Angelegenheit sei, die zu entscheiden seinem Vaterzustehe, dem König persönlich.«

Felix fand, dass dies eine recht spärliche Zusammenfassungeiner äußerst leidenschaftlichen Debatte war. Stimmen wurdenerhoben, harsche, gutturale Flüche ausgestoßen. SowohlGotrek als auch der Anführer der anderen Zwerge hatten sichgegenseitig vor die Füße gespien. Das Wissen, dass sein Lebenam seidenen Faden hing und er weder etwas tun noch etwassagen konnte, um die Entscheidung zu beeinflussen, war einmerkwürdiges Gefühl. Er fühlte sich an die Zeit erinnert, die erwährend des Warpgewitters auf dem Luftschiff verbracht hatte.Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er überlebt hatteund vielleicht auch dieses Abenteuer überleben mochte.

Varek murmelte weiter: »Nur die Tatsache, dass wir die AlteSprache sprechen, hält sie davon ab, uns ohne Umschweifeumzubringen. Sie wollen nicht glauben, dass ein Anhänger desChaos sie hätte lernen können. Gewiss würde kein Zwerg sieihm beibringen.«

»Das ist beruhigend zu wissen«, sagte Felix.Der Streit endete. Der Anführer der Zwerge drehte sich um

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und wandte sich in stark akzentbehaftetem Reikisch an Felix.»Ich weiß nicht, ob diese Geschichte von fliegenden

Schiffen und anderen Wundern stimmt. Ich weiß nur, dass dieseine zu bedeutende Angelegenheit ist, um sie zu entscheiden.Dein Schicksal liegt in der Hand des Königs, er wird über dichrichten.«

»Ich behaupte noch immer, es ist ein Trick, Hargrim«, sagteeiner der anderen Zwerge, ein alter, erbärmlich aussehenderBursche mit tief liegenden Augen und grauem Bart. »Wirwissen, dass die Welt draußen vom Chaos regiert wird. Es sindkeine Zwergenfesten mehr übrig. Wir sollten dieseEindringlinge töten und sie nicht noch tiefer in unser Reichfuhren.«

»Du hast gesagt, was du zu sagen hattest, Torvald, abermeine Entscheidung steht, bis der König selbst sie ändert.Wenn die Welt nicht von den Streitkräften des Chaos überranntwurde, ist das in der Tat eine bedeutungsschwere Neuigkeit. Eskönnte sein, dass wir nicht die letzten Zwerge sind.«

»Aye, Hargrim, und es könnte sein, dass wir Narren sind undvon den Dunklen Mächten für dumm verkauft werden. Aberwie du gesagt hast, du bist unser Anführer, und du trägst dieVerantwortung. Es bleibt noch Zeit genug, diese Eindringlingezu töten, wenn sie sich als Agenten erweisen.«

»Der König wird es herausfinden«, sagte Hargrim. »Kommt!Lasst uns gehen. Wir haben genug Zeit verschwendet, und ichwill nicht in diesen Sälen überrascht werden, wenn derSchrecken kommt. Bindet sie und nehmt ihnen die Waffen ab.«Eine Gruppe von Zwergen löste sich aus der Hauptgruppe undging auf sie zu. Sie hatten sich kaum in Bewegung gesetzt, alsGotrek drohend vortrat.

»Diese Axt müsst ihr mir aus den kalten, toten Händenreißen«, sagte er leise und mit einem so drohenden Unterton,dass die Zwerge wie angewurzelt verharrten. »Das lässt sich

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machen, Fremder«, sagte Hargrim ebenso leise. Gotrek hob dieAxt, und die Runen auf der Klinge leuchteten im trüben Lichtgrell auf. Die nächsten Zwerge staunten.

»Er trägt die Waffe der Macht!«, keuchte Torvald, und seineStimme verriet Entsetzen und Staunen. »Es ist dieProphezeiung. Das sind die Großen Runen. Der Schrecken istzurückgekehrt, und die Axt unserer Vorfahren istwiedergekommen. Die Letzten Tage sind angebrochen.«

Wieder huschte ein Ausdruck des Entsetzens über HargrimsGesicht, und er ging auf Gotrek zu, den Blick starr auf dieAxtklinge gerichtet. Als er die Runen las, nahmen seine Augeneinen Ausdruck großen Erstaunens an.

»Woher hast du diese Klinge?«, fragte der Anführer derZwerge und fügte dann etwas auf Zwergisch hinzu.

»Ich habe sie vor vielen Jahren in einer Höhle in der Chaos-Wüste gefunden«, erwiderte Gotrek zögernd auf Reikisch. Erschien zu überlegen, ob er noch mehr preisgeben sollte,überlegte es sich dann jedoch anders.

»Wenn du wirklich ein Zwerg bist, stehst du hoch in derGunst der Götter der Ahnen«, sagte Hargrim. »Denn dies isteine mächtige Waffe.«

Gotrek grinste gemein und kratzte vielsagend eineTrollslayer-Tätowierung auf seinem geschorenen Kopf. »Wennich in der Gunst der Götter stehe, haben sie es sich nichtanmerken lassen«, sagte er trocken.

»Das mag sein, wie es will, aber solch eine Waffe findetnicht zufällig den Weg in die Hände irgendeines Beliebigen.Ihr dürft eure Waffen behalten, bis der König etwas anderesbefiehlt.«

Hargrim sah Gotrek lange Zeit an, und ein dünnes Lächelnumspielte seine Lippen. »Es mag sein, wie Torvald sagt,Gotrek Gurnisson. Es mag sein, dass euer Kommen prophezeitwurde. Der König und seine Priester werden es wissen.«

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Er wandte sich an seine Truppen. »Kommt. Wir haben nocheinen weiten Weg vor uns, bevor wir uns ausruhen können, undwir wollen nicht draußen erwischt werden, während derSchrecken in den Unterhallen umgeht.«

Er drehte sich über die Schulter noch einmal zu ihnen um.»Kommt mit uns«, sagte er. Die vier Kameraden reihten sichhinter ihm ein und marschierten in die Düsternis.

»Wir ruhen uns hier aus«, sagte Hargrim, indem er die Handhob, um ihnen zu bedeuten, dass sie anhalten sollten. Zuersthatte Felix keine Ahnung, warum der Anführer der Zwergediese Stelle ausgesucht hatte. Es schien sich nur um einenweiteren in Trümmern liegenden Gang zu handeln, wie sieschon viele passiert hatten. Aber schließlich fiel ihm auf, dassin die Ecke einer Wand tief unten eine Rune eingeritzt war undaus der Wand ein Wasserstrahl in eine große Zisternesprudelte. Zumindest war dies ein Ort, an dem sie trinkenkonnten.

Hargrim bellte einem seiner Krieger einen Befehl zu, und derZwerg trat vor. Er holte einen Stein aus seinem Ledertornisterund tauchte ihn ins Wasser. Er starrte ein paar Augenblicke inseinen Becher und nickte dann.

»Das Wasser ist sauber, Hargrim«, sagte er.Der Anführer der Zwerge nickte unter Felix' neugierigem

Blick. »Manchmal vergiften die Eindringlinge die Brunnen.Mitunter enthält das Wasser Chaos-Zeug, das Wahnsinn undMutation hervorruft. Mikals Runenstein enthält alte Zauber, dievor solchen Dingen warnen.«

»Ein sehr nützliches Ding, wenn man es hat«, sagte Felix.»Nein, ein lebenswichtiges. Ohne es würden wir früher oder

später alle sterben.«»Was ist das für eine Prophezeiung, die Sie erwähnt

haben?«, fragte Felix, der entschlossen war, wenigstens zuversuchen, eine Antwort zu bekommen.

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»Das geht dich nichts an«, sagte Hargrim barsch. »DemKönig obliegt es, ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Du ruhstdich besser etwas aus, solange du noch kannst.«

Die Zwerge ließen sich erschöpft zu Boden sinken bis aufvier Wachen, die Stellung an jedem der vier Zugänge bezogen.Felix nahm die vier Ausgänge beifällig zur Kenntnis, da ihnenbei einem Angriff immer eine Rückzugsmöglichkeit blieb. Erging zu Gotrik, Snorri und Varek und setzte sich zu ihnen.

Seine Kameraden machten einen seltsam hochgestimmtenEindruck. Felix glaubte zu verstehen, warum -sie hatten ihreverschollenen Artgenossen gefunden. In den KatakombenKarag Dums lebten immer noch Zwerge. JeglicherWahrscheinlichkeit zum Trotz hatten einige überlebt - nachzweihundert Jahren der Isolation in der Chaos-Wüste.

Er legte sich auf den Rücken, starrte an die Decke unddachte an die Reise, die sie unternommen hatten, um an diesenabgelegenen Ort zu gelangen. Es war nicht leicht gewesen. Siehatten sich immer weiter in die Tunnellabyrinthe unter KaragDum vorgearbeitet. Unterwegs hatte Felix die Zwerge gezählt.Es waren fast fünfzig. Ein jeder von ihnen trug eineLederrüstung und war leicht bewaffnet und gerüstet, ganzanders als die traditionellen zwergischen Krieger, die er kannte.Allem Anschein nach schlichen sie flink und mit leichtemGepäck durch die Hallen und Gänge ihrer früheren Stadt undverließen sich mehr auf Verstohlenheit und Überraschung alsauf die Kraft in ihren Armen, um einen Sieg zu erringen.Tunnelkämpfer, hatte Varek sie genannt.

Je weiter sie kamen, desto besser verstand Felix, warum sieso leicht gerüstet waren. Sie passierten Gebiete, in denen dasVorhandensein des Chaos offensichtlich war und sie überallZeichen des erbitterten Kampfes zwischen den Mächten sehenkonnten. Es hatte den Anschein, als werde hier in den Ruinender Zwergenstadt ein wahnsinniger und grausamer Kriegausgetragen. Er hatte Hargrim danach gefragt, doch der Zwerg

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hatte nicht geantwortet. Es gab hier Rätsel und Geheimnisse,das war unverkennbar. Er musste nur jemanden finden, der sieihm erklären konnte.

Aber es hatte wenig Sinn, sich jetzt Gedanken darüber zumachen. Er starrte wieder an die Decke und fragte sich, wasUlrika wohl gerade tat. Augenblicke später war ereingeschlafen. Das Letzte, was er hörte, war das Kratzen einerFeder, als Varek die Ereignisse des Tages in seinem Buchvermerkte.

Ein unheimliches Heulen riss Felix aus dem Schlaf. Es halltedurch die großen Gänge und war in seinen Traumeingedrungen, sodass er hochgeschreckt war. Das Geräuschhatte etwas Unnatürliches an sich, das Urängste weckte. Esreichte, um ihm kalte Schauder der Furcht über den Rücken zujagen und ihm ein flaues Gefühl im Magen zu vermitteln.

Überall ringsumher waren die Zwerge erwacht. Er hörte dasGeklirr, als sie zu ihren Waffen griffen. Er schaute sich um undfand seine eigene Furcht auf allen Gesichtern wieder mitAusnahme von Gotrek und Snorri.

»Was ist das?«, fragte er. »Der Schrecken?«»Nein«, sagte Hargrim. »Das sind die Hunde.«»Was für Hunde?«, fragte Varek.»Ihr werdet sie bald sehen«, sagte Hargrim. Er drehte sich

um und sprach zu seinen Männern. »Ich brauche zehnFreiwillige, um die Hunde aufzuhalten, während die übrigensich abzusetzen versuchen.«

Ihren Mienen war anzumerken, dass sie der Ansicht waren,er suche Freiwillige für ein Selbstmordkommando. Dennochtraten über zwanzig von ihnen vor.

»Ich bleibe«, erklärte Gotrek.»Snorri auch«, sagte Snorri.

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»Das könnt ihr nicht. Ich muss euch wegbringen. KönigThangrim muss eure Geschichte hören.«

»Dafür ist es vielleicht zu spät«, sagte Felix, den Blick aufden nördlichsten Eingang gerichtet. Eine gewaltige Bestiesprang gerade hindurch. Bevor jemand reagieren konnte, risssie dem nächsten Wachposten mit einem einzigen Biss einenArm ab. Dann zog sie einen anderen zu Boden und schlitzteihm mit den Krallen den Bauch auf. Die Bestie bewegte sich soschnell, mit geradezu übernatürlicher Eleganz, dass Felix ihrenBewegungen kaum folgen konnte.

Weitere Bestien sprangen durch den Eingang. Sie ähneltenriesigen Hunden mit einer seltsamen reptilienhaften Krause umden Kopf und großen eisernen Halsbändern. Ihre Haut glänztein der Farbe von Blut. Jeder Hund war größer als ein Mensch.Einer von ihnen riss das Maul auf und bellte.

Dabei öffnete sich das Maul so weit wie das einer Schlange.Es sah aus, als könne der Hund einem Menschen mit einemeinzigen Biss den Kopf abreißen. Etwas an der dämonischenKreatur weckte in Felix das Verlangen, sich umzudrehen undhilfeschreiend Reißaus zu nehmen. Er zwang sich zu bleiben,wo er war. Wenn er davonlief, würde die Bestie ihn einholenund in Stücke reißen, wie sie es mit den Wachposten getanhatte.

»Khornes Fleischhunde«, hörte er Varek keuchen. »Ichdachte, sie seien nur Legende.«

»Schießt nach Belieben«, befahl Hargrim. Ein Hagel vonArmbrustbolzen flog den Bestien entgegen. Sie rissen dieMäuler auf und bellten höhnisch. Die meisten Bolzen prallteneinfach von ihrer Haut ab und fielen zu Boden. Soweit Felixerkennen konnte, hatte nur ein einziger getroffen. Varekschoss, doch seine Kugeln zeigten nicht mehr Wirkung als dieArmbrustbolzen. Die Hunde sprangen vorwärts, in täuschendlangsam aussehenden, mühelosen Sätzen, die sie schneller

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voranbrachten, als ein Pferd galoppieren konnte.»Bleibt zurück«, sagte Gotrek und trat vor, um ihnen zu

begegnen. Keiner der Zwerge widersetzte sich. Felix sah, dasssie von der übernatürlichen Aura der Hunde ebenso betroffenwaren wie er. Nur Gotrek ließ kein Anzeichen von Verzagtheiterkennen. Felix fiel auf, dass die Runen an seiner Axtklingeheller leuchteten, als er dies je zuvor gesehen hatte. Dennochfragte Felix sich, ob der Slayer überleben würde. Die Kreaturenwaren unglaublich schnell und stark. Sie waren bei ihm, fastbevor er Gelegenheit hatte, es überhaupt zu erkennen. Ihreriesigen Mäuler klafften, die metallischen Zähne glänzten. Ihrtriumphierendes Bellen steigerte sich zu einemohrenbetäubenden Getöse.

Gotreks Axt zuckte vor wie ein Blitz. Die gepanzerte Hautdes ersten Hunds rauchte und verbrannte, wo die Axt sieberührte. Die Bestie schien fast zu explodieren, als die Axt siedurchfuhr und entzwei hieb, und Eingeweide flogen über denBoden. Der nächste Hieb des Slayers traf das Halsband deszweiten Hunds. Funken stoben, als Metall auf Metall traf, undein markerschütterndes kreischendes Knirschen ertönte. DieRunen auf Gotreks Axt leuchteten so hell wie glühendeKohlen, und das Halsband gab nach. Der Kopf desFleischhunds wurde vom Rumpf getrennt. Die Leiche sank zuBoden, und geschmolzen aussehendes Blut rann über dieSteinplatten. Ein weiterer Hieb spaltete den dritten Fleischhundder Länge nach, wobei Rückgrat und zerfetzte Organe entblößtwurden.

Von der Wut der Gegenwehr überrascht, zog sich der Restder Meute zurück und knurrte wie ein Rudel Wölfe. Dannstürzten sie sich mit einer unheimlichen Intelligenz erneut inden Kampf, indem zwei Fleischhunde den Slayer vonverschiedenen Seiten angriffen. Gotrek zerschmetterte demeinen den Schädel und erwischte den anderen mit der Hand imSprung am Hals. Beinahe mühelos hielt der Zwerg die

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monströse Kreatur auf Armeslänge von sich und hob sie dannso hoch, dass ihre Hinterbeine haltlos in der Luft scharrten.Dann ließ er den Hund fallen. Bevor er den Boden berührte,hatte Gotrek ihm bereits die Axt in die Rippen geschmettert.

Die letzte Bestie hatte sich hinter den Slayer geschlichen undmachte Anstalten, Gotrek hinterrücks anzuspringen.

»Pass auf!«, rief Felix, doch Snorri warf bereits seine Axt.Sie prallte von der Schulter der Kreatur ab, aber die Wucht desAufpralls lenkte den Fleischhund ab. Er musste erneut zumSprung ansetzen, doch als er sich vom Boden abstieß, hatteGotrek sich bereits halb umgedreht und ließ die Axt in einemblutigen Bogen kreisen, der die Brust der Kreatur traf und inihrem Magen endete. Die Wucht des Hiebs schmetterte denFleischhund zu Boden. Gotrek sprang auf seinen Hals. Einwiderliches Geräusch knirschender Wirbel ertönte, und dannfiel die Axt und beendete das unnatürliche Leben desUngeheuers.

Die Leichen der Chaos-Kreaturen fingen an, Blasen zuwerfen. Für kurze Zeit schmolzen Fleisch und Knochen undverdampften wie kochendes Wasser. Vor Felix' Augenverwandelten sie sich in Schwaden widerlichen Rauchs, der zurDecke aufstieg und dann verschwand. Es war, als hätte es sienie gegeben.

Einen Moment herrschte Stille, dann brachen die Zwerge inJubel und Beifall aus. Nach einigen Sekunden schienen sie sichzu erinnern, wem sie zujubelten, und verstummten.

»Falls ich je einen Zweifel gehegt haben sollte, dass diesValeks Axt ist, ist er jetzt zerstreut. Das war ein Kampf, wie erKönig Thangrim würdig gewesen wäre«, sagte Hargrim.

»Er war leicht«, sagte Gotrek und spie auf den Boden.»Wir sollten weitermarschieren«, sagte Hargrim. »Wo die

Hunde sind, ist ihr übler Herr nicht weit, und wie stark du auchsein magst, Gotrek Gurnisson, gegen ihn kannst du nicht

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gewinnen.«»Bringt ihn her, dann werden wir ja sehen.«»Nein! Jetzt muss ich euch mehr denn je zum König bringen.

Er muss eure Geschichte hören.«Nach dem Kampf mit den Fleischhunden fiel Felix eine

Veränderung in der Einstellung der Zwerge auf. Sie schienenden vier Kameraden gegenüber weit weniger argwöhnisch zusein. Sogar der alte Torvald begnügte sich mit einemgelegentlichen misstrauischen Blick in ihre Richtung. Siemarschierten durch die endlosen stillen Korridore, und selbstFelix konnte erkennen, dass sie sich beständig abwärtsbewegten. Er fragte sich, wie lange das noch so gehen konnte.Einige Stunden später kam es ihm so vor, als würden sie nachunten gehen, bis sie das feurige Herz der Welt erreichten, aberdazu kam es nicht.

Vielmehr blieben sie unvermittelt in einem langen und wenigbemerkenswerten Korridor stehen. Während seine Truppen ihnvor allen Blicken abschirmten, machte Hargrim sich an einemverborgenen Mechanismus zu schaffen. In der Wand erschieneine Öffnung, wo zuvor blanker Fels gewesen war. Der Zwergbedeutete den vier Kameraden mit strenger Miene einzutreten.

»Ich rate euch nun zu äußerster Vorsicht. Ihr seid aufgeheiligtem Boden, und wir werden euch beim erstenAnzeichen von Verrat töten.«

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18Feuerbart

Müde schritt Felix durch den Eingang. Dieser Korridorschien sich nicht von den anderen zu unterscheiden, wenn mandavon absah, dass alle Leuchtsteine funktionierten und die Luftsauberer roch. Die anderen drängten sich hastig hinter ihmhindurch, und die Geheimtür schloss sich hinter ihnen. Felixbemerkte, dass sich die Zwerge aus Karag Dum sichtlichentspannten. Im Gegensatz dazu machten Gotrek, Snorri undVarek einen aufgeregteren Eindruck. Er wusste nicht, warum.Vielleicht weil sie das Gefühl hatten, sich ihrem Ziel zunähern. Es war ein Gefühl, das er nicht teilte. Der lange Marschdurch die Katakomben hatte Nervosität und Anspannung inihm wachgerufen, und er wollte nur einen Platz finden, wo ersich hinlegen und ausruhen konnte.

Dieser neue Korridor führte in ein gewundenes Labyrinthaus Gängen und Wegen. Ab und zu blieb Hargrim stehen undberührte die Wand. Er nannte ihnen keinen Grund dafür,sondern tat es einfach und ging weiter. Felix wandte sich anVarek, um Näheres zu erfahren.

»Gruben. Fallen. Wahrscheinlich irgendwelcheVerteidigungseinrichtungen«, sagte der Zwerg leise, ließ sichdann aber von einem finsteren Blick ihrer Häscher zumSchweigen bringen.

Sie passierten ein Dutzend Wachen auf Posten, die beimAnblick der Fremden einen äußerst erstaunten Eindruckmachten. Schließlich betraten sie eine riesige Halle, die ganzoffensichtlich von den Zwergen bewohnt wurde. Die Halle wargewaltig und hatte viele Ausgänge. An einem Ende der Hallewar ein Brunnen tief in den Boden gegraben worden. DieDecke war niedrig und nicht gewölbt wie in den prächtigen

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Hallen, die sie unterwegs gesehen hatten. Das Dach wurde voneinem Wald aus gewaltigen, aber schlichten Säulen gehalten.In jede Säule war ein seltsames Symbol geritzt, das Felix inden Augen schmerzte, als er es zu lesen versuchte.

»Runen der Verborgenheit«, hauchte Varek neben ihm.»Kein Wunder, dass dieser Ort sich so lange gehalten hat.«

»Was ist das?«, fragte Felix.»Diese Runen schützen die Halle vor jeder magischen

Suche, wie die geheimen Eingänge sie vor gewöhnlichenBlicken schützen. Nur Angehörige des Zwergenvolks könnendiesen Ort finden.«

Felix sah Zwergenfrauen, die im Schutz von Kapuzen undSchals ihrer Arbeit nachgingen. Einige Priester schrittenumher, sprachen Worte des Trosts und der Beruhigung,tätschelten Köpfe und segneten Zwerge. Es gab viele Krieger,von denen viele verkrüppelt waren. Manche hatten Haken,andere humpelten auf Holzbeinen. Einige trugen einenVerband über den Augen, was darauf schließen ließ, dass sieblind waren. Felix hatte noch nie zuvor so viele Verstümmeltean einem Ort gesehen, nicht einmal auf den von Bettlernwimmelnden Straßen Altdorfs. Es sah in der Tat so aus, alshätten diese Leute einen Krieg verloren. Auch sah ernirgendwo Kinder.

»So wenige«, murmelte Varek. »Dies war einmal eine großeStadt.«

»Willkommen in der Halle des Brunnens. Wartet hier«, sagteHargrim. »Ich bringe dem König die Nachricht von eurerAnkunft.« Hargrim schritt durch einen großen Torbogen undverschwand in den Tiefen der Stadt. Viele von denen, diegearbeitet hatten, hielten inne und starrten sie unverhohlen an.Einige von den Verkrüppelten kamen zu ihnen. Einer strecktedie Hand aus und berührte Felix ungläubig.

»Du bist der erste Mensch, der je einen Fuß in diese

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Zitadelle gesetzt hat«, krächzte er.»Ich bin geehrt.«»Ha! Vielleicht bist du in Kürze tot«, sagte der Invalide und

wandte sich ab. Die übrigen traten näher. Eine derverschleierten Frauen stellte eine Frage auf Zwergisch. Varekantwortete. Die Menge stieß einen allgemeinen Seufzer aus.Eine der Frauen brach in Tränen aus.

»Sie haben gefragt, woher wir gekommen sind«,beantwortete Varek Felix' unausgesprochene Frage. »Ich habeihnen gesagt, wir seien aus dem Königreich der Zwerge durchdie Wüste gekommen.«

»Ich glaube dir nicht«, sagte ein anderer Graubart, wandtesich ab und ging weg. Es sah aus, als habe er Tränen in denAugen. Während sie warteten, zerstreute die Menge sich nicht.Sie wurden umringt und angestarrt, bis Hargrim in Begleitungeiner Gruppe vollständig gerüsteter Krieger zurückkehrte, vondenen jeder eine Waffe trug, in deren Klinge Runen eingeritztwaren. Die geheimnisvollen Symbole leuchteten in einemmystischen Licht. Felix wusste mittlerweile genug überZwerge, um sagen zu können, dass es sich um mächtigemagische Waffen handelte. Diese Langbärte waren die ambesten ausgerüsteten Zwerge, die Felix bisher in Karag Dumgesehen hatte. Sie marschierten mit einer Präzision, welche dieImperiale Garde in Altdorf beschämt hätte. Ihre Rüstungenglänzten, und sie bewegten sich mit Stolz und Disziplin.

»Der König wird euch empfangen«, sagte Hargrim. »Jetztwerdet ihr gerichtet.«

»Also lernen wir den legendären Thangrim Feuerbart dochnoch kennen«, sagte Varek. »Wer hätte das gedacht?«

Gotrek stieß ein gemeines Lachen aus.»Ich habe noch nie so viele Runenwaffen gesehen«,

murmelte Varek Felix zu. »Jeder Einzelne dieser Krieger trägteine magische Waffe.«

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»Wir haben sie den Toten abgenommen«, sagte Hargrimkalt. »Hier hat es schon so viele tote Helden gegeben ...«

König Thangrims Saal war riesig. Gewaltige Statuen vonZwergenkönigen standen wie Wächter an jeder Wand. Nochmehr von den schwer gerüsteten Zwergen standen zwischenden Statuen stramm. Die vier Neuankömmlinge waren voneiner Eskorte der königlichen Garde umringt.

Immerhin bestand die Möglichkeit, dass ein Anschlag aufden König unternommen werden sollte, und sie gingen keinRisiko ein. Sie hatten ihre Waffen gezückt und sahen auch soaus, als wüssten sie sie zu benutzen.

Ein erhöhtes Podium beherrschte das hintere Ende des Saals.Auf diesem Podium stand ein Thron, auf dem eine starke,majestätische Gestalt in langen Gewändern über einerschweren Rüstung saß. Zwei Angehörige des Priesterstandesflankierten den König. Eine Zwergin war tatsächlich einePriesterin Valayas. Das entnahm Felix der Tatsache, dass sieein heiliges Buch trug. Der andere war gerüstet und trug eineAxt, und Felix fragte sich, ob er ein Priester Grimnirs war, desKriegergotts.

Je näher sie dem Podium kamen, desto besser konnte Felixden Zwergenkönig erkennen. Er war alt, so alt wie Borek, aberer hatte nichts Schwächliches an sich. Er sah wie eine alteEiche aus, knorrig, aber immer noch stark. Die Muskeln warenimmer noch gewaltig, und seine Schultern waren breiter alsSnorris. Sein Haar war lang und rot, wenn auch mit Weißdurchsetzt. Sein Bart reichte fast bis zum Boden und warebenfalls stellenweise weiß. Durchdringende Augen funkeltenin tiefen Höhlen. Dieser Zwerg mochte alt sein, aber Felix warklar, dass sein Verstand immer noch scharf war.

Die Waffe, die auf den Knien des Königs lag, erregte Felix'Aufmerksamkeit. Es handelte sich um einen massiven Hammermit kurzem Griff. Runen waren in den Hammerkopf graviert,

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und etwas daran schien das Auge zum Hinschauen zu zwingen.Felix wusste sofort, dass dies eine Waffe von unglaublicherMacht war, der legendäre Schicksalshammer, den zu finden siedie weite Reise unternommen hatten.

Die Garde teilte sich vor ihnen und bildete ein Spalier zumThron. Die vier Kameraden traten vor. Varek sank auf ein Knieund beschrieb verschnörkelte und elegante Gesten mit derrechten Hand. Gotrek und Snorri blieben beiderseits von ihmstehen und machten keinerlei Gehorsamsbezeugung. Felixentschied, dass zu viel des Guten besser war als zu wenig. Erverneigte sich tief und kniete neben Varek nieder.

»Ihr seid gewiss unverschämt genug, um Slayer zu sein«,sagte der König. Seine Stimme war voll und tief und klangüberraschend jugendlich. Er lachte, und seine Belustigunghallte schallend durch den Saal. »Ich kann beinahe glauben,dass das Ammenmärchen wahr ist, das ihr Hargrim erzählthabt.«

»Niemand nennt mich einen Lügner und kommt mit demLeben davon«, sagte Gotrek. Die unverhohlene Drohung inseiner Stimme veranlasste die Wachen, die Waffen zu heben.

Der König hob spöttisch eine Augenbraue. »Tatsächlichbedrohen mich nur wenige in meinem eigenen Thronsaal undkommen mit dem Leben davon. Dennoch bitte ich umVergebung, Slayer, falls du einer sein solltest. Wir sind vonden Dienern der Dunklen Mächte umringt. Unter solchenUmständen ist Misstrauen durchaus angebracht. Und du musstzugeben, dass wir allen Grund haben, misstrauisch zu sein.«

»Den habt Ihr«, räumte Gotrek ein.»Ihr seid zu uns gekommen und habt behauptet, ihr wäret

aus der Welt jenseits unserer Mauern zu uns gereist. Ich willdie Geschichte aus eurem Munde hören, bevor ich mein Urteilfälle. Erzählt sie mir.«

»Ich behaupte mehr als das«, sagte Varek plötzlich. »Ich

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behaupte, mit den Bewohnern Karag Dums verwandt zu sein.Mein Vater war Varig. Mein Onkel war Borek, den Ihr hinausin die Welt geschickt habt, um Hilfe zu holen.«

König Thangrim lächelte zynisch. »Wenn es stimmt, was dusagst, hat Borek lange gebraucht, um Hilfe zu schicken, und ihrseid nicht gerade eine überwältigende Armee. Dennoch, erzähldeine Geschichte.«

Der König hörte aufmerksam zu, während Varek fortfuhr,und unterbrach ihn nur selten, um sich Vareks Ausführungenvon Gotrek bestätigen zu lassen. Varek erzählte die Geschichtemit einfachen Worten, ohne etwas Wesentliches auszulassen,und Felix war erstaunt über sein Erinnerungsvermögen.Außerdem fiel ihm auf, dass die Valaya-Priesterin nicht eineinziges Mal den Blick von den Zwergen wandte, solange sieerzählten, und ihm fiel wieder ein, dass diese Priesterinnenangeblich die Gabe hatten, die Wahrheit zu erkennen. AmEnde der Geschichte wandte der König sich an die Priesterin.

»Nun?«, sagte er.»Sie sprechen die Wahrheit«, erwiderte sie. Alle Krieger im

Thronsaal keuchten oder murmelten. Der König hob die Handund kratzte sich durch seinen feinen, langen Kinnbart. Erbetrachtete sie kurz und lächelte dann grimmig.

»Und jetzt erzähl mir, Slayer, wie du in den Besitz vonValeks Axt gelangt bist«, sagte der König.

Gotreks Lächeln war ebenso grimmig wie Thangrims. »IhrBesitzer war tot und hatte daher keine Verwendung mehr fürsie, also habe ich sie an mich genommen. Habt Ihr einenAnspruch darauf?«

»Derjenige, der diese Klinge von hier mitgenommen hat, warmein Sohn Morekai. Er wollte die Wüste durchqueren undherausfinden, ob dort draußen noch jemand lebt.«

»Dann ist er tot, Thangrim Feuerbart. Seine Leiche lag ineiner Höhle am Rand der Wüste. Sie lag in einem Kreis von

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zwanzig erschlagenen Tiermenschen.«»Er hatte niemanden bei sich? Er ist mit zwanzig

verschworenen Kameraden von hier aufgebrochen.«»In der Höhle war nur ein Zwerg. Ich habe ihn im Einklang

mit den alten Riten begraben, und da ich damals eine Waffebrauchte, nahm ich diese. Wenn sie Euch gehört, gebe ich sieEuch zurück.«

Der alte König schaute zu Boden, und Kummer trat in seinemüden Augen. Als er weitersprach, klang er so alt, wie eraussah. »Also ist er am Ende allein gestorben.«

»Er ist als Held gestorben«, sagte Gotrek. »Er hat seinenWeg zu den Eisernen Hallen mit den Knochen seiner Feindegepflastert.«

Thangrim sah wieder auf, und sein Lächeln verriet so etwaswie Dankbarkeit. »Behalte die Klinge, Slayer. Solch eineWaffe besitzt man nicht. Sie hat ihre eigene Bestimmung undformt die Bestimmung dessen, der sie schwingt. Wenn sie jetztin deiner Hand ruht, dann aus einem ganz bestimmten Grund.«

»Wie Ihr meint«, sagte Gotrek.»Und ihr habt mir reichlich Stoff zum Nachdenken

gegeben«, sagte Thangrim müde. »Entschuldigt, dass ich aneuch gezweifelt habe. Geht jetzt. Ruht euch aus. Wir redenspäter weiter.« Er wandte sich an die Umstehenden. »RichtetQuartiere für unsere Gäste ein«, rief er. »Und gebt ihnen vomBesten zu essen und zu trinken.«

Felix meinte, einen Unterton bitterer Ironie in der Stimmedes Königs zu entdecken.

Felix starrte den Fisch argwöhnisch an. Er war groß und sahauch gut zubereitet aus, hatte aber etwas Seltsames an sich.

Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens ging ihm auf,dass er keine Augen hatte. Das Fleisch roch gut und alleanderen aßen ihn, doch er musste immer wieder an die Dinge

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denken, die er in der Wüste gesehen hatte, an die Mutanten undTiermenschen und an alles, was man ihm über Warpsteinstauberzählt hatte. Er konnte sich einfach nicht überwinden, einenmutierten Fisch zu essen, und dafür gab es gute Gründe.

Nach allem, was er wusste, war es möglich, dass eineMutation durch das Essen mutierter Nahrung weitergegebenwurde. Es hieß, die schlimmsten Mutanten seien immerKannibalen, die sich von anderen Mutanten ernährten. Er hattekeinerlei Bedürfnis, die Theorie, dass Mutation ansteckendwar, einer Prüfung zu unterziehen.

»Das ist Blindfisch, Menschling«, erklärte Gotrek, der ihmam Tisch gegenübersaß. Felix ging auf, dass der Slayer denAusdruck in seinem Gesicht gesehen haben musste und ahnte,was ihm durch den Kopf ging. »Er ist von Natur aus so.Zwerge haben ihn schon lange vor der Ankunft der Finsternisgegessen. Du kannst ihn unbesorgt essen.«

»Tatsächlich ist er eine Delikatesse«, fügte Varek hinzu.»Wir züchten ihn in den Zwergenfesten. Sie werden in tiefenZisternen gehalten und mit Pilzen und Insekten gefüttert.«

Irgendwie schien dieses Wissen den Fisch nicht appetitlicherzu machen. Ohne zu erkennen, welche Wirkung er damiterzielte, fuhr Varek fort: »Sie leben in völliger Dunkelheit.Einige Gelehrte sehen darin den Grund, dass sie keine Augenhaben. Sie brauchen sie nicht. Kosten Sie einfach, Felix.«

Felix spießte etwas Fisch auf sein Messer und hob es hoch,um das Fleisch eingehender zu betrachten. Es war weiß undsah zart aus, und als er kostete, war es köstlich. Das sagte erauch.

»Er kann auf die Dauer ziemlich eintönig werden«, bemerkteHargrim, der auf der anderen Seite neben ihm saß. »Wir lebenvon Pilzen, Blindfisch und Insekten. Es gibt Zeiten, in denenich mir wünsche, ich könnte etwas anderes essen.«

Felix wühlte in seinem Rucksack und holte einen Streifen

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Dörrfleisch heraus. Hargrim betrachtete es ebensoargwöhnisch, wie Felix den Fisch inspiziert hatte. »KostenSie«, sagte Felix.

Hargrim bediente sich und fing an zu kauen. Nach einerWeile gelang es ihm zu schlucken. »Interessant«, verkündete erbedächtig.

Snorri lachte. »Jetzt schmeckt der Blindfisch gleich wiederviel besser, nicht wahr? Hier, spül es damit runter.«

Snorri reichte Hargrim eine Flasche mit kislevitischemWodka. Hargrim trank. Ein paar Augenblicke hatte es denAnschein, als müsse er tatsächlich husten, doch dann erholte ersich, schmatzte mit den Lippen und trank noch mehr. »Das istbesser«, sagte er.

Felix leerte seinen Rucksack auf den Tisch. Es gabSchwarzbrot, Käse und mehr Dörrfleisch. Die Wegzehrungergänzte die in Blindfischöl gesottenen Pilze, den Blindfischund die Krüge mit Wasser. »Bedienen Sie sich«, sagte er.

Hargrim tat es. Angesichts der Geschwindigkeit, mit denensein Proviant verschwand, war Felix froh, dass Hargrim derEinzige der hiesigen Zwerge war, der sich zu ihnen an denTisch gesellt hatte.

Felix sah sich in dem Raum um. Er war reich mit dicken,aber abgewetzten Teppichen und Wandbehängen, erlesenenzwergischen Bildhauerarbeiten und einem Vermögen in Silberund Gold möbliert. Tatsächlich war es eines der königlichenGemächer. Jeder der vier Kameraden hatte einen ähnlichenRaum bekommen. Wahrscheinlich war dies das einzig Gute anden Verlusten der Zwerge: Es gab reichlich Platz. Er schob denGedanken als unwürdig beiseite und erkannte, dass er langsambetrunken wurde.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir Fremde hierhaben«, sagte Hargrim. Seiner Gesichtsfarbe, die ins Rötlichegewechselt hatte, konnte Felix entnehmen, dass der

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Zwergenhauptmann ebenfalls angeheitert war. »Es erstauntmich. Wir haben so lange geglaubt, dass wir die letzten Zwergeauf der ganzen Welt sind. Wir dachten, das Chaos hätte allesandere überrannt. Wir haben unsere Boten und Kundschafter indie Wildnis geschickt, aber sie kehrten niemals zurück. Allesschien so hoffnungslos zu sein, und jetzt kommt ihr und erzähltuns, dass jenseits der Wüste eine ganze Welt liegt, dass dasChaos zurückgeworfen wurde und dass es das Imperium undBretonia und alle anderen legendären Orte immer noch gibt. Eserscheint mir völlig unmöglich, dass andere diese letztenzwanzig Jahre überlebt haben, ohne dass wir etwas davonwissen!«

»Zwanzig Jahre?«, stotterten Felix und Varek gleichzeitig.»Aye! Warum seht ihr mich so erstaunt an?«

»Der letzte Vorstoß des Chaos liegt zweihundert Jahrezurück!«, sagte Felix.

Hargrim sah ihn verblüfft an. »Das kann nicht sein!«»Die Zeit fließt merkwürdig in der Chaos-Wüste«, erinnerte

Varek sie.»Sehr merkwürdig, in der Tat«, sagte Felix, der sich daran

erinnerte, was Borek ihm über die merkwürdigen Kräfte erzählthatte, die in der Chaos-Wüste walteten. Konnten die DunklenMächte sogar den Strom der Zeit verändern, fragte er sich, oderhandelte es sich um eine absonderliche Eigenschaft der Wüstean sich?

»Glaub mir«, sagte Varek zu Hargrim. »Hier in Karag Dummögen nur zwanzig Jahre verstrichen sein, aber jenseits derWüste sind es zwei Jahrhunderte, und dort wurde das Chaoszurückgeworfen.«

»Wie hat sich das zugetragen?«»Magnus der Fromme hat Menschen und Zwerge um sich

geschart und die Horden des Chaos bei der Belagerung Praagsin Kislev zerschlagen. Schließlich wurden die Anhänger der

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Finsteren hinter den Schwarzblutpass zurückgetrieben.«»Und doch ist niemand zu uns gekommen, um uns zu

helfen«, sagte Hargrim, und er klang fast verbittert.Felix wusste nicht, was er sagen sollte. »Alle glaubten,

Karag Dum sei gefallen. In den letzten Meldungen hieß es, dieStadt sei von den Horden des Chaos überrannt worden.«

Gotrek überraschte ihn, indem er das Wort ergriff. »Niemandwusste, was passiert war. Die Chaos-Wüste hatte sich zwarzurückgezogen, sich aber dennoch gewaltig ausgedehnt. Das istimmer so. Karag Dum war abgeschnitten. Niemandem gelanges, einen Weg durch die Wüste zu finden. Es wurde versucht,das kannst du mir glauben. Borek hat lange und ausgiebig nacheiner Möglichkeit der Rückkehr gesucht.«

»Ich glaube dir, Gotrek, Sohn Gurnis, denn ich habe dieWüste gesehen, habe von unseren höchsten Türmen Ausschaugehalten, und ich weiß, dass sie sich in alle Richtungenerstreckt, so weit das Auge reicht. Ich habe gegen die Kriegerdes Chaos gekämpft und weiß, dass sie so zahlreich sind wiedie Schneeflocken in einem Schneesturm. Wir hatten sowenige Krieger, dass wir rasch damit aufhörten, Botenauszusenden. Viele wurden gefangen und entsetzlichgefoltert.«

»Wie habt ihr überlebt?«, fragte Varek - ein wenig taktlos,fand Felix. Trotzdem war er froh, dass der junge Zwerg dieFrage gestellt hatte. Er wollte die Antwort ebenfalls wissen.Hargrim schüttelte den Kopf.

»Unter großen Schwierigkeiten«, sagte er schließlich undlächelte müde. »Aber das ist keine richtige Antwort, Freunde.Die Antwort ist, dass unsere Feinde uneins sind, daher könnenwir uns verstecken und sie bekämpfen, wie es uns beliebt.«

»Wie meinst du das?«, fragte Gotrek. »Erzähl Snorri von denKämpfen«, sagte Snorri.

»Nach der letzten großen Belagerung, als die Truppen des

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Feindes mächtige Zauberei einsetzten, um unsere Mauern zumEinsturz zu bringen, zogen wir uns immer tiefer in die Minenzurück. Wir waren entschlossen, unser Leben teuer zuverkaufen und sie jeden Fingerbreit zwergischen Bodens mitBlut bezahlen zu lassen. Unser Volk hat sich in seine Klansund Sippen aufgeteilt und dann in die geheimen Schlupfwinkelzurückgezogen, die wir für diesen Tag vorbereitet hatten.«

»Schlupfwinkel wie dieser«, sagte Felix.»Genau. Wir zogen uns unter die Erde zurück in Verstecke,

die von mächtigen Runen abgeschirmt wurden, und als wir inumkämpfte Gebiete einfielen, um den Feind zu überfallen undzu bekämpfen, machten wir eine merkwürdige Feststellung ...«»Welche war das?«, fragte Gotrek.

»Wir stellten fest, dass die Truppen des Chaos sichuntereinander zerstritten hatten. Damals wussten wir es nochnicht, aber später erfuhren wir von Gefangenen, dass ihrAnführer Skathlok Eisenkralle zu einer Schlacht im Südenabberufen worden war und seine Unterführer, die alle eineranderen Chaos-Macht folgten, über die Verteilung der Beute inStreit geraten waren.«

»Wann war das?«, fragte Varek.Hargrim nannte ein zwergisches Datum, das Felix nichts

sagte.»Es war im Imperialen Jahr 2302«, übersetzte Varek. »Etwa

zur Zeit der Belagerung Praags.«»Wenn es so war, warum habt ihr sie dann nicht aus der

Stadt vertrieben?«, fragte Gotrek. Hargrim lachte, aber inseinem Gelächter lag keine Freude.

»Weil es nur noch so wenige von uns gab, Sohn Gurnis.Nach der Großen Belagerung zählten wir weniger alsfünftausend Krieger, die auch noch auf fünf verborgeneZitadellen verteilt waren. Die Mehrheit ihrer Krieger war zwarnicht mehr da, aber unsere Feinde zählten immer noch zehnmal

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so viel, und so zerstritten sie auch sein mochten, wir wussten,sie würden sich wieder gegen uns vereinen, wenn wir einenernsthaften Vorstoß gegen sie unternahmen. Also haben wir imLauf der Jahre gelernt, in kleinen Gruppen zu kämpfen undunseren Gegnern gezielte Nadelstiche zu versetzen. Wie wirspäter erfuhren, war das jedoch keine gute Strategie.«

»Warum nicht?«, fragte Felix.»Weil für jeden ihrer gefallenen Krieger ein neuer

auftauchte. Für jeden Kriegstrupp, den wir vernichteten, kamenzwei neue aus der Wüste. Doch wenn wir einen Kriegerverloren, konnten wir ihn niemals ersetzen. Für jeden beherztenZwerg, den wir verloren, töteten wir vielleicht zwanzig Feinde,aber am Ende konnten wir unsere Verluste nicht ersetzen, siehingegen schon.«

»Das kann ich verstehen«, sagte Felix. »In der Wüste gibt esviele Krieger, und dies ist eine mächtige Zitadelle, die ihnenSchutz bieten würde.«

Hargrim schüttelte traurig den Kopf. »Sie verstehen dieAnhänger des Chaos nicht besonders, wenn Sie das glauben,Felix Jaegar. Sie sind hergekommen, weil es hier Schätze gibt -Gold und von Zwergen gefertigte Waffen und ganz besondersden schwarzen Stahl, aus dem sie ihre Rüstungen fertigen undihre üblen Waffen schmieden. Sie sind hergekommen, weil siewussten, sie würden auf andere ihrer Art treffen, um gegen siezu kämpfen und so in den Augen ihrer wahnsinnigen GötterRuhm zu erlangen. Dieser Ort ist zu einem Turniergelände fürdie Krieger des Chaos geworden, wo sie andere zumAbschlachten finden können, um sich selbst zu erhöhen.«

Hargrims Worte ergaben für Felix einen Sinn. Er hatte sichgelegentlich schon gefragt, woher die Chaos-Krieger ihreWaffen bezogen. Er hatte in der Wüste keine Gießereien,Fabriken oder sonstige Manufakturen gesehen, aber dieAnhänger der Dunklen Mächte mussten schließlich

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irgendwoher ihre Ausrüstung beziehen. Er hatte einfachangenommen, sie sei das Produkt von Zauberei oder siewürden sie von abtrünnigen menschlichen Schmiedeneinhandeln, doch nun sah er noch eine andere Antwort. Hier inKarag Dum gab es Erz und alles, was die Zwergenindustrieherstellte. Wenn einige der Dinge stimmten, die er gehört hatte,konnte diese eine Feste mehr Stahl produzieren als das ganzeImperium. Er sprach seine Überlegungen gleich aus.

»Sie haben Recht, Felix Jaegar. Wir haben versucht, alleSchmieden und Essen und Ambosse zu zerstören, die wir nichtauseinander nehmen und in geheime Verstecke schaffenkonnten, aber wir hatten nicht genug Zeit, um uns um alle zukümmern. Manche sind von den Anhängern der Mächte desVerderbens erbeutet worden, andere wiederum sind unterAnwendung schwarzer und unbegreiflicher Magie repariertworden. Jetzt schuften Horden von Tiermenschen undMutantensklaven in den Bergwerken, und Magierpriesterüberwachen die Herstellung von Waffen und Rüstungen.«

»Wenn diese Stadt zurückerobert werden könnte, wäre diesein furchtbarer Schlag für die Mächte des Chaos. Denn woherwürden sie sonst ihre Waffen beziehen?«, sagte Felix intrunkener Aufregung.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Hargrim. »DieChaos-Anbeter dürften mittlerweile andere Bergwerke undGießereien gefunden haben, und so verlassen Karag Dum jetztauch aussieht, die Stadt ist trotzdem gut befestigt.«

»Wie meinen Sie das?«»Jetzt ist es anders als in der ersten Zeit. Viele Chaos-

Krieger sind hergekommen und halten eigene kleine Lehen. Inden Katakomben gibt es jetzt ganze Ortschaften, die derAnbetung einer der vier Mächte der Dunkelheit gewidmet sind.Sie haben alle ihre eigenen Lehensherren und Armeen. Sieverkaufen nach draußen Erz, Waffen und Rüstungen. Sie

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tauschen Schwerter gegen Sklaven, Speerspitzen undPfeilspitzen gegen ihr widerwärtiges Essen und Rüstungengegen magische Dinge.«

»Du hast erwähnt, dass es noch andere Zwergenverstecke inKarag Dum gibt«, sagte Varek.

»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Hargrim. »Im Lauf der Jahresind sie aufgespürt worden. Die Überlebenden haben sichhierher durchgeschlagen. Die meisten haben es nicht geschafft.Viele sind bei ihrer Flucht von den Hunden Khornes zerfleischtworden. Andere wollten nicht kommen, um die Anhänger desSchreckens nicht zu unserer letzten Zuflucht zu führen.«

»Des Schreckens?«, sagte Felix. » »Es ist besser, nicht vonihm zu reden«, sagte Hargrim. »Denn er ist unser Verhängnis.Bei seinem ersten Erscheinen hat er minderten beherzterKrieger das Leben genommen. Unser Runenmeister hat seinLeben geopfert, um ihn zu vertreiben. Nun, da erzurückgekehrt ist, bezweifle ich, dass irgendjemand ihnaufhalten kann - obwohl mir deine Axt ein wenig Hoffnunggibt, Gotrek Gurnisson.«

Felix' Mut sank, als er die Blicke sah, die Gotrek und Snorriwechselten. Hargrim hatte das berufliche Interesse der Slayergeweckt. Hargrim sah dies ebenfalls und schüttelte den Kopf.

»Sagen Sie, worüber denkt König Thangrim nach?« fragteFelix, nur um das Thema zu wechseln. »Halten Sie es fürwahrscheinlich, dass er Boten in die Außenwelt schickenwird?«

»Das weiß ich nicht, Felix Jaegar. Ich halte es fürwahrscheinlich, dass wir hier alle sterben.«

Für eine Minute herrschte Schweigen, dann sagte Gotrek:»Ich will mehr über diese Kreatur wissen, die ihr denSchrecken nennt.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Hargrim, indem er aufsahund einen vielsagenden Blick auf die Tätowierungen der

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beiden Slayer warf. »Willst du ihn jagen?«»Das will ich.«»Das wäre nicht klug.«»Es ist keine Frage der Klugheit. Es ist eine Frage meines

Verderbens.«»Und Snorris«, sagte Snorri.»Gesprochen wie wahre Slayer«, sagte Hargrim. »Also gut.

Ich erzähle euch, was ich über diese schändliche Kreatur weiß.Der Schrecken ist ein Chaosdämon, mächtig und tödlich. Erwurde in den letzten Tagen der Belagerung von Skathlokbeschworen, und er hat ihn nicht behandelt wie ein Herr einenDiener, sondern wie ein Krieger seinen König. Er ist uns amSüdwesttor begegnet, nachdem es gesprengt worden war, undkeiner von uns konnte gegen ihn bestehen. Er hat ein DutzendHelden mit mächtigen Runenwaffen erschlagen. Beinahe hätteer sogar König Thangrim getötet, als dieser ihm in der Halleder Schatten gegenübergetreten ist. Sie haben nur kurz dieKlingen gekreuzt, aber er war besser. Der König konnte nichtglauben, wie stark er ist.«

Gotrek griff unter den Tisch und nahm seine Axt. EinFunkeln war in seine Augen getreten. »Er muss in der Tat starksein, um dem Schicksalshammer zu widerstehen.«

»Stärker als alles andere, Gotrek Gurnisson. Bei weitemtödlicher als die drei Ork-Häuptlinge vom Roten Fang.Gefährlicher als die drei Ogermagier aus der Ventragh-Heide.Sogar tödlicher als der Drache Glaugir mit seinem Gifthauch.Ich kann ohne zu prahlen behaupten, meinem Herrn Königschon oft beigestanden zu haben, wenn er sich mit mächtigenFeinden gemessen hat, aber dieses verruchte Ding war beiweitem das Mächtigste. Ich glaube, selbst in der Blüte seinerJugend hätte Thangrim Feuerbart diesen Dämon nichtüberwinden können, obwohl er ein wahrhaft großer Kriegerist.«

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»Wie ist er dann besiegt worden?«, fragte Felix, indem ersich nervös die Lippen leckte. »Wie ist es Ihnen gelungen zuüberleben?«

»Er ist nicht besiegt, sondern vertrieben worden, als unserHoher Runenschmied Valek ihn mit der heiligen Axtniedergeschlagen hat, die du jetzt trägst, und dann die Rune desEntbindens beschwor. Die Wunde war so gewaltig, dasseigentlich jedes Wesen daran hätte sterben müssen. Aber diesesDing hat sich lediglich in die tiefsten Tiefen des Bergs in dieNähe seines feurigen Herzens zurückgezogen. Dort muss esviele Jahre lang gebrütet und sich erholt haben, denn nun ist eszurückgekehrt wie prophezeit.«

»Wie prophezeit?«»Kurz vor seinem Verschwinden ließ uns der Dämon wissen,

dass er zurückkehren und unser Verderben sein würde. Er sagtezum König, eines Tages werde er zurückkommen, ihm dasHerz mit den Krallen aus der Brust reißen und es vor seinenAugen verschlingen. Dieser Tag würde sein Untergang und derUntergang aller Zwerge in Karag Dum sein. Jeder von uns, derdie Prophezeiung gehört hat, glaubt sie auch, denn in derStimme des Dämons lag nur kalte, nackte Wahrheit.«

»Aber er ist ein Dämon«, sagte Felix leise. »Jeder weiß, dassDämonen lügen.«

»Aye, aber dieser hat mit einer hämischen Vorfreudegesprochen, und wir wussten, dass er die Absicht hatte,irgendwann unseren Untergang herbeizuführen. Einige Kriegervermuten sogar, dass dies der Grund ist, warum man unsgestattet hat, so lange zu leben. Unser Runenschmied Valek hatvor seinem Tod ebenfalls eine Prophezeiung ausgesprochen. Erhat zu uns gesagt, wir sollten uns nicht fürchten, denn auchseine Axt werde zu uns zurückkehren, wenn die Letzten Tagegekommen seien. Viele von uns haben über dieseProphezeiung gestaunt, denn wie sollte die Axt zurückkehren,

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wenn es ihre Bestimmung war, in unseren Festungen verborgenzu bleiben. Dann nahm der Sohn des Königs die Axt mit, undwir hielten sie für verloren. Und jetzt hast du sie uns kaumzwanzig Tage nach der Wiederkehr des Schreckenszurückgebracht.«

Er sah Gotreks Axt vielsagend an. »Jetzt werdet ihr wissen,warum eure Ankunft den König aus der Fassung gebracht hat.«

»Wie hat Valek die Rune des Entbindens beschworen?«,fragte Gotrek.

»Das weiß ich nicht. Er war ein Runenschmied und kannteviele Geheimnisse. Ich weiß nur, dass er ihre Machtbeschworen hat und daran gestorben ist. Es hat den Dämongebannt, aber auch sein Leben verzehrt. Die Axt, die du führst,ist unschätzbar alt und mächtig. Sie ist seit unendlichen Zeitenvon Runenschmied zu Runenschmied weitergegeben worden.Ihre ganze Geschichte wurde nur von einem Träger an dennächsten überliefert, doch mit Valeks Tod ist auch dieGeschichte dieser Axt gestorben. Sein Sohn und sein Lehrlingsind in dieser letzten Schlacht sogar noch vor ihm gefallen. DerSohn des Königs, Morekai, nahm die Axt der rauchendenLeiche des Runenschmieds ab und hat sie dann mitgenommen,als er versuchte, die Wüste zu durchqueren.«

»Dann kann dieses Wesen ohne die Rune des Entbindensnicht besiegt werden?«, fragte Felix.

»Wer kann das sagen? Diese Waffe ist auch ohne die Runedes Entbindens sehr mächtig. Vielleicht könnte sie in denHänden eines ausreichend starken Kriegers ...«

»Beschreib diesen Dämon«, sagte Gotrek. Hargrim beugtesich betrunken vor und stützte das Kinn auf die Faust. Erlächelte kurz und ohne jeden Humor. Dann versank er inNachdenken und starrte in die Ferne, als sehe er wieder etwasvor sich, das er lieber nicht gesehen hätte.

»Er war riesig«, sagte er schließlich. »Mehr als doppelt so

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groß wie ein ausgewachsener Mann. Und riesig waren auchseine Schwingen. Riesig und fledermausartig, und wenn er sieentfaltete, gab es ein Krachen wie einen Donnerschlag. In dereinen Hand hatte er eine schreckliche Peitsche. In der andereneine Axt, in die finstere und rätselhafte Runen eingraviertwaren, die anzusehen den Augen wehtat. In seinen Augenbrannte ein infernalisches Feuer. Der bestialische Kopf warvon Hörnern gekrönt. Auf der Stirn trug er das Zeichen desBlutgotts.«

Bei Hargrims Worten breitete sich eisige Stille in demGemach aus. Felix hatte den furchtbaren Verdacht zu wissen,was der Zwerg da beschrieb. Es war eine Kreatur, über die sichin den Büchern über das Chaos, die er gelesen hatte,Andeutungen fanden. In diesem Fall handelte es sich in der Tatum eine Kreatur, die des Namens »der Schrecken« würdig war.»Ein Blutdrengrik«, sagte Gotrek leise. »Das VerderbenGrungs«, murmelte Varek, während er nervös an seinem Bartzupfte.

»Ein Blutdürster Khornes«, flüsterte Felix und spürte diekalte Hand der Furcht über sein Rückgrat streichen. Er hattesoeben den Namen der tödlichsten, gewalttätigsten undunerbittlichsten Kreatur genannt, die je aus dem tiefsten Pfuhlder Hölle gestiegen war. Ein Dämon, der sich hinsichtlichseiner mythischen Zerstörungskräfte nur dem Dunklen Gott,dem er diente, geschlagen geben musste. Ein Wesen, demgegenüberzutreten auch die Stärksten fürchten würden.

»Lass uns gehen und das Biest töten«, sagte Snorri. »Lasstuns zuerst noch einen trinken«, sagte Felix in der Hoffnung, dieSlayer so lange wie möglich von dieser närrischen Questeabzuhalten.

Felix erwachte mit jenem Gefühl der Desorientierung, dasim Laufe der Jahre zu einem vertrauten Begleiter geworden

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war. Er befand sich an einem fremden Ort und betrachtete einefremde Decke, und obendrein war ihm übel. Es dauerte einenAugenblick, bis er seinen rebellischen Geist und den nochrebellischeren Magen unter Kontrolle gebracht hatte und ihmwieder eingefallen war, wo er sich befand. Kaum war ihm dasgelungen, als er sich auch schon das Gegenteil wünschte.

Er befand sich tief unter der Erde in einem Gemach in derRuine einer Zwergenzitadelle irgendwo tief in der Chaos-Wüste. Und er hatte einen Kater. Gewiss gab es nicht vieleschlimmere Schicksale für einen Sterblichen, sagte er sich. Errichtete sich in dem kostbaren, aber etwas muffig riechendenund zu kurzen Bett auf, zog seine Stiefel an und marschiertehinaus in den Flur, um etwas zu suchen, das seinen Magenberuhigen würde. Dabei wurde er von einem Gardisten desKönigs in Empfang genommen, der ihn davon in Kenntnissetzte, dass seine Anwesenheit im Thronsaal umgehenderforderlich sei.

Felix ging auf, dass er tatsächlich ein noch schlimmeresSchicksal gefunden hatte. Er saß nicht nur an diesemfurchtbaren Ort fest, sondern musste sich auch noch mit leeremMagen mit einem alten, jähzornigen Zwergentyrannenauseinander setzen. Er unterdrückte ein Ächzen und folgte demGardisten.

»Wir können nicht von hier weg«, sagte König ThangrimFeuerbart. »Dafür sind wir zu viele. Nach allem, was ihr mirerzählt habt, ist in eurem Schiff nur Platz für ein Dutzendzusätzliche Personen. Mein Volk hier zählt aber mehrerehundert Köpfe. Es wäre ungerecht, einige gehen und den Restbleiben zu lassen.«

Felix musste zugeben, dass der alte Zwerg nicht Unrechthatte. Bei seinem Eintreffen im Thronsaal war der alte Despotbereits dabei gewesen, die anderen in die Mangel zu nehmen.Offenbar hatte Varek den Vorschlag gemacht, die BewohnerKarag Dums sollten die Heimat ihrer Vorfahren verlassen.

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Thangrim hatte einige stichhaltige Einwände erhoben.»Es wäre nur eine vorübergehende Maßnahme, Eure

Majestät«, sagte Varek. »Wir würden die erste Gruppe zumEinsamen Turm bringen und anschließend mit einerRumpfbesatzung zurückkehren und eine weitaus größereGruppe mitnehmen. Wir könnten hin und her fliegen, bis alleevakuiert wären. Es ist machbar.«

»Vielleicht. Aber ihr habt mir erzählt, dass schon der Flugüber die Chaos-Wüste gefährlich ist. Vielleicht stürzt euerSchiff ab.«

»Aber es ist gewiss noch gefährlicher für Eure Majestäthierzubleiben, während die Truppen des Chaos an Eure Türenklopfen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass alle hier aufgespürtund getötet werden.« Varek wurde immer leidenschaftlicher,und sein Gesicht rötete sich. Seine Augen sahen groß und rundhinter den Linsen seiner Augengläser aus.

»Du verstehst das nicht, Jüngling. Wir haben hier Frauenund Verwundete. Wir können sie nicht einfach im Stich lassenoder sie mit einer winzigen Eskorte fortschicken. Ihr alle wisstmittlerweile, wie gefährlich es in den Gängen und Fluren ist.Ihr habt es selbst erlebt. Es wären viele Krieger nötig, sie zubewachen, und auf eurem Schiff ist nicht genug Platz für sieund die Eskorte.«

»Die Eskorte konnte hierher zurückkehren«, sagte Varek.»Das sind Krieger. Sie haben es schon öfter getan.«

»Kein schlechter Einwand, aber letzten Endes müssten wirauch unseren alten Hort mitnehmen. Er ist nicht gerade klein,und ich werde nicht ein einziges Goldstück zurücklassen.«

Zum ersten Mal meldete sich Felix zu Wort. »Aber Gold istdoch gewiss nicht von Bedeutung, wenn das Leben EuresVolks auf dem Spiel steht, Eure Majestät.« Jeder anwesendeZwerg sah ihn an, als sei er entweder geistesgestört oderunglaublich dumm. Niemand machte sich die Mühe, ihm zu

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antworten. Felix wünschte, die Erde würde sich unter ihmauftun und ihn verschlingen. Er hätte niemals auch nur denVersuch unternehmen dürfen, es bei Zwergen mit Vernunft zuversuchen, wenn es um Gold ging.

»Könnten wir die Schätze unserer Vorfahren auf euremkleinen Schiff transportieren?«, fragte Thangrim.

»Nach allem, was ich über Euren Hort, er möge wachsen undgedeihen, gehört habe, bezweifle ich das.«

»Wie könnt ihr dann von uns erwarten, dass wir diesen Ortverlassen, so lange noch Blut in unseren Adern fließt?«

»Wir könnten mit mehreren Luftschiffen zurückkehren,großer König«, sagte Varek. »Vielleicht könnten wir mitgenügend Schiffen zurückkehren, um Euer Volk und Eurengesamten Hort mitzunehmen.«

»Wenn ihr das könntet, würde ich für eine angemesseneBelohnung sorgen. Lass mich über deine Worte nachdenken.Ihr könnt gehen.«

Varek erhob sich, und Felix gesellte sich zu ihm. Er empfandein vages Gefühl der Erleichterung darüber, dass die Audienzbeendet war - und über die Aussicht, endlich etwas zu essen zubekommen.

»Thangrim Feuerbart«, sagte Gotrek. »Ich bitte um eineGunst.«

»Sag, worum es sich handelt, Gotrek Gurnisson.«»Ich will die Kreatur suchen, die hier >der Schrecken<

genannt wird, und sie entweder erschlagen oder meinVerhängnis finden.«

König Thangrim lächelte Gotrek an und schien über seineBitte nachzudenken.

Doch in diesem Augenblick ertönte ein entferntesHornsignal. Ein paar Herzschläge später lief ein Zwerg durchden Eingang zum Thronraum und näherte sich dem König.

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Thangrim winkte den Boten zu sich und lauschte dann seinengeflüsterten Worten. Als der Neuankömmling geendet hatte,sah das Gesicht des Königs in der Tat grimmig aus.

»Allem Anschein nach ist es gar nicht nötig, dass du dasUngeheuer suchst, Gotrek Gurnisson. Es ist unterwegs hierher -und es hat eine Armee bei sich.«

Wunderbar, dachte Felix, und ich hatte nicht einmalGelegenheit, meine Henkersmahlzeit einzunehmen.

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19Blutdürster

»Die Horden des Chaos rücken an«, sagte König Thangrim.»Blast die Kriegshörner. Wir sammeln uns zur Schlacht.«

Der König erhob sich von seinem Thron und hob seinengroßen Streithammer hoch in die Luft. In diesem Augenblicksah Felix eine Aura wie Wetterleuchten um den Kopf derWaffe funkeln. Plötzlich lag der Geruch von Ozon in der Luft.Die Garde des Königs stieß herzhafte Hochrufe aus, aber Felixspürte ein tiefes Unbehagen hinter ihrer Zurschaustellung vonTapferkeit.

»Das ist gut«, sagte Gotrek.Das ist ganz schlecht, dachte Felix, wenn er an die

anstürmenden Horden des Chaos dachte, die obendrein voneinem unsagbar mächtigen Dämon angeführt wurden. Er fragtesich, wie er bei seinem Aufstehen an diesem Morgen überhauptauf den Gedanken hatte kommen können, die Dinge stündenschlecht. Da hatte er sich nur mit einem Kater abfindenmüssen. Jetzt musste er sich mit erheblich schlimmeren Dingenauseinander setzen.

In Begleitung seiner Priester schritt der König die Stufenherab und verließ den Thronsaal. Seine Garde folgte ihm. Inder Halle des Brunnens versammelten sich mittlerweile in allerHast die übrigen Zwerge. Krieger kamen aus jedem Einganggelaufen. Manche schnallten sich Schilde und Waffen um.Andere waren dabei, Brustharnische anzulegen, und bandenRiemen fest. Felix' Blicke fielen auf einen alten Krieger, dersich einen Helm auf den Kopf drückte, auf den Boden spie undein paar Übungsschwünge mit seiner Axt ausführte. Als erbemerkte, dass Felix ihn ansah, grüßte er ihn mit erhobenemDaumen.

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Aus dem Augenwinkel sah Felix, wie Hargrim seineTunnelkämpfer um sich scharte. Sie schnallten sich ebenfallsschwere zwergische Harnische um. Allem Anschein nach wardie Zeit der Verstohlenheit vorbei, und jetzt wollten sie denbesten Schutz, den sie bekommen konnten. Felix konnte esihnen nicht verdenken. Sein Kettenhemd kam ihm unversehenserbärmlich unzureichend vor, als er sich an die Massenbestialischer Krieger vor Karag Dum, aber vor allem an dielegendäre Tödlichkeit des Blutdürsters erinnerte.

Aber was blieb ihm anderes übrig, als zu kämpfen? Er zogseine verzauberte Klinge aus der Scheide und ging zu Hargrim.»Wie haben sie uns gefunden?«, rief er, um den Lärm der sichauf die Schlacht vorbereitenden Zwerge zu übertönen.

»Das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie die Stellegefunden, wo wir die Hunde getötet haben. Vielleicht habenandere aus dieser schlimmen Meute unsere Witterungaufgenommen. Was spielt das noch für eine Rolle? Es ist dieProphezeiung. Der Letzte Tag für uns ist angebrochen.«

»Nicht so vergnügt«, sagte Felix, während er sich nachGotrek, Snorri und Varek umsah. Die Slayer standen nebendem König. Varek konnte er nirgendwo entdecken. Felix fragtesich, wo er geblieben war. Ihm ging auf, dass sein Platz nebenseinen Kameraden war, ganz gleich, was in dieser Schlachtpassierte. Mochte er auch sonst nicht viel wissen, ihm war klar,dass er auf sich allein gestellt keine Aussichten hatte, einenWeg aus diesem unterirdischen Labyrinth nach draußen zufinden. Von den anderen würde es vermutlich jeder Einzelnemit verbundenen Augen schaffen.

Andererseits war er vermutlich viel zu optimistisch,überhaupt die Möglichkeit einer Flucht in Erwägung zu ziehen.Snorri und Gotrek würden niemals fliehen, solange derBlutdürster nicht besiegt war, aber er glaubte nicht, dass diesebeiden Krieger, so stark sie auch waren, gegen einen somächtigen Dämon bestehen konnten.

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»Viel Glück!«, rief er Hargrim zu und lief zu den Slayern.»Mögen Grungni, Grimnir und Valaya über Sie wachen,

Felix Jaegar«, sagte Hargrim, um sich dann wieder daran zumachen, seinen Leuten Befehle zuzuheilen.

Aus den Zugangskorridoren drang jetzt Schlachtenlärm: dasdurchdringend grelle Echo der Hörner, das Klirren der Waffenund das Bellen von etwas Schrecklichem hallte durch dieGänge. Die Zwerge hatten ihre Vorbereitungen beendet und inder Halle des Brunnens Aufstellung bezogen. Es gab hiergewiss mehr Zwerge als bei der Verteidigung des EinsamenTurms, aber das war kein beruhigender Gedanke. Verglichenmit der Anzahl der Angreifer waren sie jämmerlich wenige.

Felix sah zu König Thangrim hinüber, der auf einem vonvier Trägern gehaltenen Schild stand. »Sie haben das Außentordurchbrochen«, sagte der König. »Unsere Posten werden sieeine Weile aufhalten.«

Felix konnte erkennen, dass die Frauen und jene, die zu altzum Kampf waren, durch einen Eingang hinter dem Königverschwanden, der ihm bisher entgangen war. Als alle hindurchwaren, wurde der Zugang verschlossen und verriegelt, unddabei gingen die Zwerge so geschickt vor, dass anschließendkeine Spur von einer Geheimtür zu sehen war.

»Sie gehen in die Gewölbe zu unserem Hort und warten dieletzte Schlacht ab«, erklärte Thangrim. »Wenn wir siegen,werden sie befreit. Wenn nicht, sterben sie.«

»Wie meint Ihr das?«»Die Gewölbe können nur von außen geöffnet werden«,

sagte Gotrek, und Felix war plötzlich froh, dass er nichtversucht hatte, durch jene Türen zu fliehen. Er konnte sichnichts Schlimmeres vorstellen, als in den finsteren Gewölbenzu kauern und darauf zu warten, entweder zu ersticken oder zuverhungern, während draußen die Schlacht tobte. Hier hatte ersein Schicksal zumindest einigermaßen selbst in der Hand und

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wenn der Tod kam, würde es ein schneller sein, das hoffte erzumindest.

Jetzt sah er Varek zurückkehren. Der junge Zwerg hatte sichMakaissons Kanone umgeschnallt und trug noch dazu einenBeutel voller Bomben. Er bewegte sich mit einerEntschlossenheit, die Felix noch nie zuvor an ihm bemerkthatte, als er angelaufen kam und neben Felix innehielt.

»Halten Sie das einen Augenblick«, sagte Varek zu Felixund reichte ihm die Kanone. Felix schob sein Schwert in dieScheide und nahm sie. Er war überrascht, wie schwer dieKanone war und wie mühelos Varek sie handhabte. Der Zwergzückte sein Buch und seine Feder und machte sich hastig einigeNotizen. Als er Felix' erstaunten Blick sah, sagte er: »Nur eineletzte Erklärung. Fall dies später einmal irgendjemand findet.Nun, wir dürfen doch wenigstens hoffen, oder?«

Felix zwang sich zu einem Lächeln, aber es wurde einziemlich unsicheres. »Das nehme ich an.«

In der Ferne erreichte der Lärm einen neuen Höhepunkt, unddann ertönte ein bestialisches Triumphgebrüll. Felix nahm an,dass es für die zwergischen Wachposten nicht zum Bestenbestellt war.

Thangrim hatte angefangen, auf Zwergisch zu brüllen. Felixverstand kein einziges Wort, aber den Zwergen schien es zugefallen. Sie jubelten ihm gewaltig zu, sogar Gotrek undSnorri. Nur Varek fiel nicht in das allgemeine Geschrei ein,weil er zu beschäftigt mit Schreiben war.

Felix hielt den Blick starr auf den Eingang gerichtet, durchden die Feinde kommen mussten. Obwohl mehrere hundert mitArmbrüsten bewaffnete Zwerge dasselbe taten, beruhigte ihndas nicht. Er hatte ein bedrückendes Gefühl sich näherndenUnheils. Furcht umklammerte sein Herz. Ein Schatten lag aufseiner Seele. Er wusste, dass etwas Furchtbares unterwegs zuihnen war.

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»Snorri wettet, dass er mehr Tiermenschen tötet als du,Gotrek«, sagte Snorri.

Gotrek grunzte verächtlich. »Der Menschling wird mehrTiermenschen töten als du«, erwiderte er.

»Willst du darauf wetten, Felix?«, fragte Snorri.Felix schüttelte den Kopf. Sein Mund war viel zu trocken für

eine Antwort. Das Entsetzen hatte sich in seinem Geistverwurzelt, eine lähmende Angst, welche die Grundfestenseiner geistigen Gesundheit erschütterte und in ihm dasVerlangen wachrief, sich eine dunkle Ecke zu suchen, wo ersich verbergen und jammern konnte. Eine innere Stimmeflüsterte ihm zu, dass dies unnatürlich sei, dass er so starkeFurcht eigentlich nicht empfinden dürfe, aber es war trotzdemunglaublich schwer, dagegen anzukämpfen. Das grässlicheGebrüll hatte etwas an sich, das sein Blut in Wasserverwandelte.

»Vergiss nur eines nicht, Snorri«, sagte Gotrek. »Der Dämongehört mir.«

»Das hängt davon ab, wer zuerst bei ihm ist«, sagte Snorrimit einem Grinsen.

Felix stellte fest, dass er es nicht mehr ertragen konnte, denEingang anzustarren, also richtete er den Blick auf Gotrek undSnorri. Sogar die beiden Slayer waren äußerst angespannt, daswar nicht zu übersehen. Gotreks Knöchel waren weiß, so festumklammerte er den Stiel seiner Axt. Snorris Hand zitterte einwenig. Als er sah, dass Felix ihn betrachtete, grinste er ihn an.Er schien eine große Anstrengung zu unternehmen, sich zuberuhigen, und das Zittern hörte auf.

»Snorri sorgt sich nicht«, sagte Snorri. »Viel.«Felix erwiderte das Grinsen in dem Wissen, wie unnatürlich

er aussehen musste. Er hatte das Gefühl, als sei seineGesichtshaut zu straff gespannt und als sträubten sich alle seineHaare wie der Kamm eines Trollslayers. Wahrscheinlich war er

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bleich wie der Tod.Plötzlich und nur für einen Augenblick verstummte alles. In

der unheimlichen Stille konnte Felix lediglich das Kratzen vonVareks Feder hören. Dann hörte selbst das auf, und Felix spürteein Zupfen am Arm und erkannte, dass Varek seine Kanonezurückforderte. Felix gab sie ihm und zog sein Schwert.

Das Brüllen, das die Stille aufhob, war so laut undbeängstigend, dass Felix beinahe sein Schwert fallen ließ. Erschaute auf und widerstand dem Drang, sich in die Hose zumachen. Das beängstigendste Wesen, das er je gesehen hatte,betrat die Halle des Brunnens, und ihm folgten hunderte vonTiermenschen.

Als sein Blick voller Staunen und Entsetzen auf die Kreaturfiel, dachte Felix: so sieht also ein Dämon aus. Das ist derFleisch gewordene Albtraum, der mein Volk seit demAnbeginn der Zeit verfolgt.

Er wusste jetzt, dass der Schrecken, den das Wesenverbreitete, magischen Ursprungs war. Es handelte sich um dieunnatürliche Aura von etwas, das aus dem tiefsten Höllenpfuhlgekrochen war, eine Aura, die jedes sterbliche Wesen spürteund auf die es reagierte. In mancherlei Hinsicht schmerzte esdie Augen, den Blutdürster nur anzusehen. Sein Äußeresverriet bereits dass er aus keiner natürlichen Substanz bestand.Sein Schlachthausgestank war schlimmer als alles, was Felixsich hätte vorstellen können. Es stank nach verwestem Fleisch,geronnenem Blut und anderen, weniger gut zu beschreibendenund weitaus widerlicheren Dingen.

Der Dämon sah genauso aus, wie Hargrim ihn beschriebenhatte. Er war viel größer und viel massiger als Felix. GroßeFledermausflügel spannten sich an den Schultern. Er war somuskulös wie ein Minotaurus. In einer Hand hielt er eine großePeitsche, in der anderen eine furchtbare Axt größer als der Leibeines Menschen, Die Haut war rötlich, das Gesicht grausam

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und bestialisch. Aber von allen Merkmalen des Blutdürsterswaren es die Augen, die Felix am wenigsten würde vergessenkönnen.

Sie waren wie Teiche unendlicher Dunkelheit, aus deneneine böswillige und alterslose Intelligenz starrte. Irgendwo indiesen unergründlichen Tiefen flackerten rote Feuer grausamenHasses, eine wahnsinnige Wildheit, welche die Ordnung desganzen Universums zerstören würde, wenn sie konnte, umeinen Blutdurst zu stillen, der unersättlich war. Hier war einWesen, das die Geburt und den Tod ganzer Welten erlebt hatteund auf den Tod von überhaupt allem aus sein mochte.Verglichen mit diesem Leben war Felix' Existenz nicht mehrals das Leben einer Eintagsfliege. Verglichen mit seiner Kraft,Grausamkeit und Schläue war er weniger als nichts.

Und doch, je länger er den Dämon anstarrte, desto geringerwurde seine Furcht. Denn mochte er auch die Verkörperungallen Schreckens sein, in Wahrheit war er nicht so schlimm,wie Felix ihn sich vorgestellt hatte. Er hätte auch nie soschlimm sein können wie das albtraumhafte Ding, das seinePhantasie nur ein paar Herzschläge zuvor heraufbeschworenhatte. Er war Ehrfurcht gebietend, mystisch und stark, keinZweifel, aber er hatte das Gefühl, ihn jetzt, da er ihn gesehenhatte, auch bekämpfen zu können, und ein Blick auf dieanderen verriet ihm, dass sie ebenso empfanden. In gewisserWeise bedauerte er gar nicht mehr so sehr, diesem Dinggegenüberstehen zu müssen, auch wenn es seinen Todverursachte. Er wusste, dass er jetzt etwas erblickt hatte, wasnur wenige Menschen je sehen würden, und darin lag einegewisse Befriedigung. Er wusste auch, dass er diesemunendlich Furcht erregenden Ding gegenübertreten konnte undam Ende nicht völlig verzagen würde.

Dann sprach der Dämon, und die Furcht kehrte mit doppelterKraft zurück. »Ich bin gekommen, um meine Blutschuldeinzufordern, König Thangrim, wie ich es versprochen habe.«

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Die Stimme klang wie ein ehernes Horn und doch lag etwasdarin, das Leere ahnen ließ und eine so eisige Kälte, dass siebrennen würde. Sie war so laut wie Donnerhall und doch soperfekt intoniert, dass jedes Wort ganz genau so viel Hassvermittelte, wie der Dämon vermitteln wollte. Es war dieStimme eines erzürnten und rachsüchtigen Halbgotts. Felixwusste, dass der Dämon nicht Reikisch sprach, aber er verstanddennoch perfekt, was er sagte, und bezweifelte keinenAugenblick, dass dies auch für die anderen Zwerge galt.

»Du bist gekommen, um wieder in deinen Pfuhl geworfen zuwerden«, sagte König Thangrim. Seine Stimme war klar undtief und voll, aber verglichen mit dem Blutdürster klang er wieein aufmüpfiges Kind, das einem Erwachsenen seinen Trotzentgegenkreischte.

»Ich werde dir das Herz aus der Brust reißen und es vordeinen Augen verschlingen, wie ich es dir versprochen habe«,erwiderte das Ding. »Und all deine kleinen Krieger könnendich nicht retten. Denn ich habe mich jeden Augenblick jederStunde jeden Tages jeden Jahres meiner Wartezeit auf diesenTag gefreut, und jetzt ist er da.«

Während der Dämon das sagte, drängten immer mehrTiermenschen und schwarz gerüstete Krieger hinter ihm in dieHalle, aber kein einziger Zwerg schoss einen Bolzen ab oderhob seine Waffe. Das Wesen hatte etwas Hypnotisches an sich,und seine bevorstehende Auseinandersetzung mit dem altenZwergenkönig hatte etwas Faszinierendes. Felix wollte eineWarnung rufen und die Zwerge zum Angriff auffordern, docher tat es nicht. Er stand unter demselben Bann wie alle anderen,während immer mehr Chaos-Anbeter in die Halle strömten.Thangrim sah aus, als wolle er antworten, könne es aber nicht.Er machte einen alten und müden Eindruck und schiengeschlagen zu sein, bevor der Kampf überhaupt begonnenhatte.

»Du hast nichts von deiner Arroganz verloren,

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Schrumpfling, aber du bist jetzt alt und schwach und ich ... ichbin stärker als je zuvor.«

»Auf jeden Fall stinkst du so«, brüllte Gotrek plötzlich.Der brennende Blick des Dämons schoss zum Slayer, und

Felix krümmte sich innerlich vor Angst, als er dabei Felixstreifte. Es war, als habe ihn der Tod persönlich aus knochigenAugenhöhlen angestarrt. Felix war mehr als verblüfft, dass esdem Slayer gelang, dem Blick des Dämons standzuhalten, aberirgendwie schaffte er es. Nach einer kleinen Weile brachte er essogar fertig, wölfisch zu grinsen und seine Axt zu schwingen.Die Runen auf der Klinge strahlten heller, als Felix dies jeerlebt hatte. Gotrek fuhr mit seinem Daumen über die Schneideder Axt. Ein Blutstropfen quoll heraus, und der Trollslayerschnippte ihn verächtlich in die Richtung des Dämons.

»Durstig?«, fragte er. »Versuch's damit. Mehr gibt es heutenicht für dich.«

»Ich werde jeden einzelnen Tropfen deines Bluts trinken unddeinen Schädel knacken und dein winziges Hirn verschlingen,und dabei werde ich deine Seele verzehren. Du sollst die wahreBedeutung von Entsetzen erfahren.«

»Jedenfalls erfahre ich die wahre Bedeutung vonLangeweile«, sagte Gotrek und lachte höhnisch. »Hast du dieAbsicht, mich mit deinem Geseiere zu Tode zu langweilen,oder willst du herkommen und sterben?«

Felix war erstaunt, dass der Slayer überhaupt etwas sagenkonnte, wo doch jener seelenvernichtende Blick auf ihm ruhte,aber irgendwie hatte Gotrek die Worte herausgebracht und dieganze Zwergenarmee mit neuem Mut erfüllt. Felix spürte, wiedie Zwerge den Einfluss des Dämons abschüttelten und ihreWaffen zum Kampf bereitmachten. Thangrim straffte sich undhob seinen Hammer, und dabei knisterte ein Blitz hoch überseinem Kopf.

Erstaunlicherweise lächelte der Dämon, wobei er lange

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Eckzähne und ein Maul enthüllte, das aussah, als könne er einPferd verschlingen. »Mit einem Augenblick des Trotzes hastdu dir eine Ewigkeit der Folter eingehandelt. Du wirst ÄonenZeit haben, über deine Dummheit nachzudenken. Und bevor dustirbst, bedenke Folgendes: Du warst es, der mich an diesengeheimen Ort geführt hat.«

Als er sah, dass Gotrek sich damit nicht reizen ließ, fuhr derDämon fort: »Diese Axt ist mit mir verbunden. Da sie michverwundet hat, war ich immer in der Lage, sie zu spüren, wiegut sie auch verborgen gewesen sein mag. Ich bin ihrer Spurbis hierher gefolgt. Ich danke dir für den Dienst, den du mirerwiesen hast, Sklave.«

Felix sah Gotrek an, um festzustellen, wie er diese Neuigkeitaufnahm. Abgesehen von unerbittlichem Hass spiegelte sichkeine Regung in der Miene des Slayers wider. Felix fragte sich,wie Gotrek das schaffte. Ihn selbst schwindelte. AllemAnschein nach hatte ihre ganze lange Queste, hatte BoreksErfindergeist und Einfallsreichtum, womit er sie hergebrachthatte, hatten alle Gefahren, die sie überwunden hatten, nur dazugeführt, dass sie diesem Dämon dabei geholfen hatten, seinZiel zu erreichen. Es war ein Gedanke zum Verrücktwerden,dass all ihre Bemühungen nur dazu geführt hatten, dass sie sichin einem komplizierten Netz aus Prophezeiungen undVerhängnis verfangen hatten, von dem sie nichts geahnt hatten,dass sie nur Figuren in einem Äonen währenden Spiel derMächte des Verderbens waren.

Ein Blick über die schmale Kluft, welche die beiden Armeentrennte, reichte, um Felix wieder mit der widerlichenGewissheit der Niederlage zu erfüllen. Reihen um Reihenwiddergehörnter Tiermenschen hatten sich um den Dämongeschart. Und Reihe um Reihe von Chaos-Kriegern stand mitfurchtbaren mystischen Klingen zum Gemetzel bereit. Meutenihrer schrecklichen Hunde kläfften hungrig, als forderten siedie Seele ihrer Beute ein.

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Dagegen stand ein Zwergenheer, das jämmerlich schwachaussah. Um das flatternde Banner des Königs hatte sich dessenGarde versammelt. Alle Gardisten hatten die beste Rüstungangelegt und trugen mächtige Waffen. Zwischen KönigThangrim und dem Dämon stand eine Linie mächtiger Krieger,von denen jeder Einzelne eine Klinge trug, in die funkelndeRunen geritzt waren. Der König mit seiner Garde versperrteFelix den Blick auf die rechte Flanke, doch Felix wusste, dasssie aus Einheiten bestand, die mit Armbrust und Streithammerbewaffnet waren. Hier, auf der linken Flanke, standen vieleReihen langbärtiger Veteranen, die Hämmer und Streitäxteschwangen. Darunter befanden sich auch Gotrek, Snorri, Varekund er selbst. Felix richtete ein Gebet an Sigmar, aber falls dieGottheit ihn hörte, gab sie kein dementsprechendes Zeichen.

Vielmehr hob der Dämon seine Klinge und gab das Signalzum Angriff. In einer Kakophonie von Trommeln und gellendkreischenden Hörnern setzte sich die Chaos-Horde inBewegung. Die Hunde sprangen den Fußtruppen mit weitenSätzen voraus, um die Zwerge in Stücke zu reißen. Der Dämonbeobachtete das Treiben mit einer Miene widerlicherZufriedenheit. Als die Tiermenschen auf Schussweite heranwaren, eröffneten die Zwerge das Feuer mit ihren Armbrüstenund schlugen eine blutige Schneise in die Reihen ihrerunmenschlichen Feinde.

Felix wurde fast taub, als Varek mit seiner Kanone das Feuereröffnete. Der Widerschein der Flammen, die aus ihrenrotierenden Mündungen zuckten, irrlichterte über das Gesichtdes jungen Zwergs, da er den anstürmenden Horden einenStrom heißen Bleis entgegensandte. Die Blitze ließen Vareksverzerrtes Gesicht nicht weniger dämonisch und hasserfülltaussehen wie die Kreaturen, mit denen sie es zu tun hatten.

König Thangrim hob seinen Hammer. Blitze umzuckten ihn,und gigantische Schatten flackerten zum Rand der Halle. Erschwang ihn um den Kopf, und der Hammer schien dabei Kraft

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und Licht zu sammeln. Die Runen leuchteten gleißend hell.Blaue Funken regneten ringsumher zu Boden. Der Geruch nachOzon überlagerte den Gestank der anstürmenden dämonischenHorde.

Der Zwergenkönig ließ den Schicksalshammer los. Er flogdem Blutdürster entgegen wie ein Komet, da er einen Schweifaus Funken und Blitzen hinter sich herzog. Wohin die zuckten,fielen Tiermenschen mit geschwärzter Haut und gesträubtemFell tot zu Boden. Der große Streithammer flog geradewegsund traf den Dämon mit einem Geräusch wie Donnerhall. DerBlutdürster bellte vor Schmerzen und taumelte. DasZwergenheer brüllte vor Begeisterung. Zu Felix' Erstaunen flogdie Waffe durch die Halle zurück und veranlasste dieTiermenschen in seiner Bahn, zurückzuweichen und sich zuducken. Der König streckte die Hand aus, und die Waffe flogzurück wie ein Falke, der nach der Jagd auf den Handschuh desFalkners zurückkehrt.

Einen Augenblick hoffte Felix, diese erschreckende undfurchtbare Waffe habe den Blutdürster gefällt. Doch als ereinen Blick riskierte, zerstoben seine Hoffnungen. Tropfenstrahlenden Bluts quollen aus einer Wunde in der Seite desDämons und lösten sich in Schwaden giftigen Rauchs auf,wenn sie auf den Boden fielen, aber der Dämon stand noch,ungeheuer stark und schrecklich, und sah die Zwerge spöttischan.

»Wenn er nicht zu uns kommen will, müssen wir wohl zuihm«, sagte Gotrek und stürmte der Chaos-Horde entgegen.

»Snorri hält das für eine gute Idee«, sagte Snorri und liefdem anderen Slayer nach.

»Wartet auf mich«, sagte Felix und rannte fluchend hinterihnen her. Dank seines längeren Schritts fiel es ihm nichtschwer, mit den Zwergen mitzuhalten und sich gleichzeitigeinen Überblick über das Geschehen zu verschaffen. Er sah,

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dass sich die ganze Zwergenarmee in Bewegung gesetzt hatte,um dem anstürmenden Feind zu begegnen.

Felix wusste, dass dies in taktischer Hinsicht ein Fehler war.Die Zwerge hätten Abstand halten und ihre Feinde bis zumletzten Augenblick mit Armbrustbolzen beschießen müssen.Jetzt schien sie der Wahnsinn des Dämons angesteckt zuhaben, und das Verlangen überwältigte sie, ihren Feinden imNahkampf gegenüberzutreten und sie mit den Händen zuzerfetzen und zu töten. Felix konnte es ihnen nicht verdenken.Nachdem sie so viele Jahre lang durch ihre einstige Heimatgejagt worden waren, empfanden sie einen glühenden Hass.Um diesen Hass ausleben zu können, warfen sie ihren einzigenkleinen taktischen Vorteil weg.

Aber vielleicht spielte es auch überhaupt keine Rolle. Siewürden ohnehin sterben, und daher mochte es das Beste sein,die Sache so schnell wie möglich zu beenden. Er packte seinSchwert mit beiden Händen, als die erste Welle derTiermenschen über ihnen zusammenschwappte, und dann warkeine Zeit mehr zum Nachdenken, sondern nur noch zumTöten.

Ein Schock durchzuckte seine Arme, als seine Klinge sich indie Brust eines hundeköpfigen Tiermenschen grub. Derwiderliche Gestank nach Blut und nassem Fell drang ihm in dieNase, als das Wesen auf ihn fiel. Er trat es beiseite und hacktenach einem anderen, dessen Halsschlagader er durchtrennte.Als das Ding sich an den Hals griff und die Wundezuzudrücken versuchte, stieß Felix ihm die Klinge durch dieRippen tief ins Herz.

Nicht weit von ihm hackten und schlugen Gotrek und Snorri.Bei jedem Hieb Gotreks fiel ein verstümmelter Feind zuBoden, die Hand an die blutigen Überreste seiner Brust oderauf einen Armstumpf gepresst in dem Versuch, einen Blutflusszu stoppen, der einfach nicht mehr aufzuhalten war. Aus demAugenwinkel sah Felix, wie Snorri den Kopf eines

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Tiermenschen mit einem gleichzeitigen Hieb von Hammer undAxt traf. Die Schädeldecke des Wesens flog von der Axtabgetrennt davon, und das Gehirn spritzte von der Wucht desHammerschlags getrieben in einem schleimigen grauen Breiaus dem offenen Schädel.

Ein ohrenbetäubender Knall gefolgt von bestialischemSchmerzgeheul verriet Felix, dass Varek eine seiner Bombengeworfen hatte. Einen Augenblick später quoll stechenderRauch in sein Blickfeld und trieb ihm Tränen in die Augen. Erhustete, und das Geräusch erregte die Aufmerksamkeit einesanderen Tiermenschen. Aus dem Rauch zuckte ihm einegewaltige Axt entgegen, und ihm blieb gerade noch die Zeit,seine Klinge hochzureißen und den Hieb zu parieren. DieWucht des Aufpralls sandte kribbelnden Schmerz durch seinenArm und in die Schulter. Einen Augenblick später kam eineriesige Hand aus der Rauchwolke und packte ihn an der Kehle.Scharfe Nägel an Fingern wie Eisenklammern gruben sich inseinen Hals. Dünne Blutfäden liefen seinen Hals herunter.

Als sich der Rauch verzog, sah er, dass er von einemunglaublich muskulösen Tiermenschen gepackt worden war.Einer der widerwärtigen Brüder des Tiermenschen kam mitausgestrecktem Speer auf ihn zugerannt. Alles ging plötzlichviel langsamer vonstatten. Er wusste, dass er dem Tode nahewar. Er versuchte hektisch, sich aus dem Griff desTiermenschen zu lösen, aber der war zu stark und holte bereitszum tödlichen Axthieb aus. Die Speerspitze seines Kameradennäherte sich funkelnd. Wegen der furchtbaren Finger umseinen Hals konnte Felix nicht einmal Gotrek oder Snorri zuHilfe rufen.

Er rechnete jeden Augenblick damit, dass der Speer seineBrust durchbohren oder die Axt seinen Schädel zerschmetternwürde. Das Wissen, im nächsten Moment zu sterben, erfüllteFelix mit verzweifelter Kraft und grimmiger Schläue. Anstattzu versuchen, sich loszureißen, entspannte er sich plötzlich und

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trat vor. Seine unerwartete Bewegung brachte denaxtschwingenden Tiermenschen vorübergehend aus demGleichgewicht, was Felix ausnutzte, indem er sich unterEinsatz seines ganzen Gewichts auf der Stelle drehte und denTiermenschen herumschwang. Der Chaos-Anbeter grunzte, alssich der für Felix bestimmte Speer in seinen Rücken bohrte.Seine Muskeln zuckten voller Qual, und die Finger um Felix'Hals lösten sich. Felix wich zurück, zielte sorgfältig undtrennte ihm mit einem einzigen Hieb den bestialischen Kopfab. Der Widderkopf rollte über den Boden. Schwarzes Blutspritzte aus dem Halsstumpf in mächtigen Stößen zur Decke,die aber bereits schwächer wurden, kaum dass der Rumpf zuBoden taumelte. Der zweite Tiermensch stand da und hieltseinen wieder freien Speer, während er in verdutztemErstaunen blinzelte, als könne er nicht glauben, dass er soebenseinen Kameraden getötet hatte. Felix nutzte seine Verwirrungaus und stach ihm in den Unterleib, um die Klinge, dann nachoben zu reißen, sodass sein Bauch der Länge nach aufgetrenntwurde und Eingeweide durch den klaffenden Riss auf denBoden glitten.

Einen Moment stand er im Auge des Orkans, umgeben voneinem tosenden Strudel unglaublicher Gewalt. Zwerg kämpftegegen Tiermensch, Axt schmetterte gegen Speer und Keule. Zuseiner Rechten war Gotrek in einen Kampf mit zwei Chaos-Kriegern verwickelt. Die schwarz gerüsteten Riesen stürmtenin der Hoffnung heran, den Slayer in die Zange nehmen zukönnen, sodass einer ihn ablenken und der andere ihnerschlagen konnte. Gotrek lief ihnen entgegen, schlug imVorbeirennen nach dem Ersten und beulte mit einem Hieb vonerstaunlicher Kraft den Brustharnisch des Kriegers ein. DieRüstung gab nicht ganz nach, aber das Blut, das an Achselnund Hüftgelenken aus der Rüstung lief, kündete dennoch voneinem tödlichen Hieb. Anstatt innezuhalten, lief der Slayerweiter, sodass der zweite Krieger nur die Stelle traf, wo Gotrek

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eben noch gestanden hatte. Dabei nutzte Gotrek denRückschwung seines Hiebs zu einem abwärts gerichtetenSchlag, der seinen Gegner am Bein traf und zu Fall brachte.Als der Krieger stürzte, schlug Gotrek ihm den Schädel ein,während er sich bereits ohne innezuhalten nach einer neuenBeute umsah.

Der Slayer war von oben bis unten mit Blut bespritzt. Felixging auf, dass er nicht besser aussah. Seine Hände waren rot,und auf seinen Stiefeln klebte glitschiger Schleim. Er schüttelteden Kopf und sah, dass der Slayer eine warnende Geste inseine Richtung beschrieb. Gerade noch rechtzeitig drehte ersich um und duckte sich unter dem Hieb einer gewaltigenschwarz gerüsteten Gestalt hinweg. Das Schwert seines neuenGegners war riesig, und auf der Klinge leuchteten seltsameRunen rötlich. Felix ließ seine Klinge vorschnellen, doch sieglitt an der Rüstung des Angreifers ab. Irres Gelächter erschollaus dem Helm. Es war, als habe Felix ihn nur gekitzelt. DerUnmensch stieß erneut zu, und Felix sprang zurück und aus derReichweite der Klinge. Er sah eine Blöße und schlug nach derKlinge, als diese vorbeisauste, was die Wucht des Hiebs nochverstärkte, sodass sein Gegner herumgerissen wurde. DiesenAugenblick nutzte Felix zu einem Sprung nach vorn aus, umseinen Gegner mit der Schulter anzurempeln, was diesenendgültig das Gleichgewicht verlieren und zu Boden fallenließ. Bevor er sich erheben konnte, riss Felix den behelmtenKopf des Angreifers zurück und zog ihm die Klinge über dieledrige Kehle, sodass die Halsschlagader durchtrennt wurde.Der sterbende Chaos-Krieger blieb auf dem Boden liegen undzuckte und zappelte dabei wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Felix hatte keine Zeit, seinen Sieg zu genießen. Er spürteeinen auf seinen nackten Schädel gezielten Schlag mehr, alsdass er ihn sah, und versuchte zur Seite zu springen. Dabei glitter auf einer vom Blut glitschigen Steinfliese aus, sodass ihmdas Ausweichmanöver nur zum Teil gelang. Eine gewaltige

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Keule streifte seinen Kopf und schickte ihn zu Boden. Sternetanzten vor seinen Augen. Die Keule hatte ihn kaum berührt,aber das hatte schon gereicht, um ihn an den Rand derBewusstlosigkeit zu bringen. Er versuchte sich aufzurappeln,aber er hatte plötzlich keine Kontrolle mehr über seine Glieder.Sie zappelten wild herum, anstatt ihm zu gehorchen. Er warsich vage einer missgebildeten Gestalt bewusst, die vor ihmstand und eine riesige Keule hob, um ihm den Schädel zuzerschmettern.

Unvermittelt überkam Felix eine gewaltige Müdigkeit. AlleGeräusche schienen zurückzuweichen. Er war zu müde, umdarauf zu achten, und hatte keine Angst zu sterben. Er konntejetzt nichts mehr tun. Die Keule würde heruntersausen, unddann war sein Leben vorbei. Es hatte keinen Sinn, sich zuwehren. Am besten blieb er einfach liegen und ergab sich indas Unvermeidliche.

Für einen winzigen Augenblick fühlte er sich unsagbarhilflos. Dann nahm er seine ganze Willenskraft zusammen, umeinen letzten Versuch zu unternehmen, sich zu bewegen. Erwusste, dass es vergeblich war, dass er in seinem geschwächtenZustand unmöglich rechtzeitig ausweichen konnte. SeineSchultern spannten sich, und er rechnete damit, jedenAugenblick einen blendenden Schmerz durch seinen Kopfzucken zu spüren, wenn der tödliche Schlag traf.

Er kam nicht. Stattdessen taumelte sein Gegner weg vonihm, während ihm eine Blutfontäne aus dem Rücken spritzte.Gotrek beugte sich über ihn, packte ihn am Kettenhemd undzog ihn hoch.

»Steh auf, Menschling. Das Gemetzel ist noch nicht vorbei!«Der Slayer schwang seine Axt, und sein Hieb fällte einenTiermenschen. »Du darfst nicht sterben, bevor du miterlebthast, wie ich einen Dämon töte!«

»Wo ist er?«, fragte Felix, der immer noch benommen war.

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»Da drüben«, sagte Gotrek und zeigte mit einemblutverschmierten Finger.

Felix schaute in die angegebene Richtung und wurde durcheine Lücke in der Hitze der Schlacht Zeuge einer Szenemomentaner Verwegenheit. Snorri stürmte auf den Dämon losund schlug mit Axt und Hammer nach ihm. Der Dämonschaute nach unten und lachte spöttisch, da Snorris Angriffevon seiner Haut abprallten.

»Snorri, du Idiot!«, bellte Gotrek. »Nur Runenwaffenkönnen dem verwünschten Ding etwas anhaben!«

Falls Snorri ihn gehört hatte, reagierte er jedenfalls nicht aufden Zuruf. Er hieb weiterhin nach dem mächtigen Ungeheuer,ohne die geringste Wirkung zu erzielen, und entfachte dabeieinen Wirbelsturm von Hieben, der ein Dutzend Ochsen gefällthätte, dem Dämon jedoch nicht einmal einen Kratzer zufügte.Schließlich, als sei er es leid, den Kapriolen eines Spaßmacherszuzusehen, schlug der Blutdürster träge mit seiner Axt zu.Snorri versuchte zu parieren, indem er seine beiden Waffenüber Kreuz vor sich hielt, aber es war hoffnungslos. DieSchäfte seiner beiden Waffen splitterten, und die schiereWucht des Hiebs schleuderte ihn durch die Halle wie einen voneinem Katapult abgefeuerten Stein. Er segelte durch die Luft,landete zu Füßen König Thangrims und bespritzte dessen Bartmit Blut.

Der Blutdürster pflügte weiter durch die Krieger von KönigThangrims Garde. Seine Waffen zuckten so schnell nach rechtsund links, dass das Auge kaum folgen konnte, und jeder Hiebfällte einen Zwerg. Anscheinend konnte keine Rüstung diesenin der Hölle geschmiedeten Waffen widerstehen. In wenigenAugenblicken wurden aus tapferen Kriegern wimmernde,sterbende Häuflein aus zerfetztem Fleisch. Stolze Rüstungenwurden demoliert. Vor Felix' Augen wütete sich derBlutdürster mit seiner Axt durch eine Reihe von Zwergen undließ verstümmelte Leichen hinter sich zurück. Doch für den

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Dämon lief nicht alles reibungslos. Die Runenwaffen derZwerge hatten ihm hier und da Fleischwunden zugefügt, unddampfendes Blut tropfte auf den Boden, während er immerweiter vorrückte.

Zorn blitzte in König Thangrims Augen. Sein Bart sträubtesich. Wie zur Antwort auf die Herausforderung des Dämonshob er seinen Hammer und warf ihn. Der Hammer traf dieBrust des Dämons und bohrte sich durch die Haut desUngeheuers. Dämonisches Blut quoll aus der Wunde.Wiederum schwankte die widerliche Bestie - um dann ihrenAnsturm mit doppelter Wut fortzusetzen.

Nichts konnte dem Dämon standhalten. Er pflügte durch dieGarde des Königs wie ein Rammbock durch eine vermoderteHolztür. Felix sah, dass es einem Krieger gelang, ihm eineRunenklinge in den Rücken zu bohren, bevor der Dämon ihnbemerkte. Die Klinge blieb stecken und ragte zwischen denSchulterblättern des Blutdürsters hervor, bevor dieserherumfuhr und mit seiner Peitsche zuschlug. Felix hatte keineAhnung, woraus diese infernalische Peitsche gefertigt war,aber sie drang ohne Mühe durch die von den Zwergengeschmiedete Rüstung und durch Haut und Muskeln bis aufden Knochen. Felix sah, wie Haut und Muskeln sich teilten undweiße Knochen und gelbliche Knorpel im trüben Lichtglänzten. Die Peitsche zuckte erneut vor und wirbelte ihrkreischendes Opfer herum wie einen Kreisel, während sieimmer mehr Haut und Fleisch von den Knochen trennte. Einanderer Zwerg sprang vor und traf den Dämon mit einemRunenhammer. Der Hieb schien dem Dämon einigesUnbehagen zu bereiten, aber der Schwung seiner Axtenthauptete den Angreifer. Und dabei hörte er nicht auf, seinursprüngliches Opfer zu peitschen. Augenblicke später lag einblutiger, abgehäuteter Kadaver zu seinen Füßen, der nicht mehrals Zwerg kenntlich war.

»Wie lange willst du dich noch hinter deinen Kriegern

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verstecken, kleiner König?«, höhnte der Dämon, und diefurchtbare Magie seiner Stimme war dergestalt, dass Felix dieWorte trotz des Schlachtlärms hören konnte. Der König warfabermals seinen Hammer, doch diesmal ließ der Dämon seinePeitsche fallen und fing ihn mit ausgestreckter Klaue. DieRunen auf dem Hammerkopf leuchteten grell auf, und wo erdie Waffe hielt, schwärzte sich seine Hand, aber er drehte denHammer um und schleuderte ihn zum König zurück.

Ein Krachen wie Donnerhall ertönte, und der Hammer flogzu schnell für das Auge, um ihm zu folgen. Er traf denZwergenkönig und schleuderte ihn zu Boden. DieZwergenarmee stöhnte kollektiv auf, als die Krieger ihrenKönig wanken und fallen sahen. Der Dämon brüllte seinenTriumph heraus. Irres Gelächter hallte über das Schlachtfeldund durch die ganze Halle. Die Chaos-Horden kämpften mitverdoppelter Wut weiter und schienen überall die Oberhandüber die Zwerge zu gewinnen.

Der Blutdürster schritt durch die bestürzte Zwergenarmeeund hieb dabei nach links und rechts. Der Grimnir-Priester tratihm entgegen, aber ein Klauenhieb schlitzte ihm den Bauchauf, während sich sein Streithammer in das Fleisch desDämons grub. Die alte Valaya-Priesterin stellte sich ihm in denWeg. Sie hob ihr Buch, als sei es ein Schild. Ein Lichtscheinstieg von den Seiten auf, und der Dämon hielt kurz inne. Dannlachte er und ließ seine Axt herabsausen, die Buch undPriesterin gleichermaßen entzwei hieb. Die zwei Hälften ihrerGestalt sanken zu Boden, und der Dämon schritt triumphierendvor und baute sich vor dem sterbenden König auf.

»Komm, Menschling. Die Stunde meines Verhängnisses hatgeschlagen«, sagte Gotrek und schlug den Weg zum Dämonein. Nichts konnte dem Slayer Einhalt gebieten. Jeder, der esversuchte, starb. Er war jetzt ebenso eine Maschine derZerstörung wie zuvor der Dämon. Auf dem Weg zu seinemZiel schlug er nach rechts und links, und bei jedem Hieb fiel

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ein Tiermensch oder Chaos-Krieger, bezwungen von der Kraftder Axt und des Arms, der sie schwang.

Mit einem Achselzucken folgte ihm Felix schicksalsergeben.Ihm brummte immer noch der Schädel von dem halbenKeulenschlag, den er hatte hinnehmen müssen, und die Szenenalbtraumhaften Gemetzels ringsumher hatten mittlerweileetwas Unwirkliches. Dem Vorhaben des Slayers haftete jetztnichts Unsinniges mehr an. Es schien tatsächlich unvermeidlichzu sein, dass Gotrek mit dem Dämon kämpfen und seinenHeldentod sterben würde, während Felix Zeuge des Kampfeswerden und danach selbst sterben würde. Es gab keine andereMöglichkeit. Ein Blick durch die Halle zeigte Felix, dass dieZwerge geschlagen waren. Ihre Feinde hatten die Oberhand,und der Fall des Königs hatte sie gänzlich entmutigt. VonSnorri und Varek war nichts zu sehen. Felix wusste, dass erdieses Schlachtfeld nicht lebend verlassen würde. Er konnteebenso gut tun, was der Slayer sich wünschte. Er schuldetedem Zwerg mehr als einmal sein Leben, und dies gab ihmGelegenheit, die Schuld zu begleichen.

Der Blutdürster stand vor der reglos daliegenden Gestalt desalten Zwergenkönigs. Er trieb seine Axtklinge tief in die altenSteinplatten, sodass die Waffe zitternd stecken blieb. Dannbückte er sich und hob König Thangrim mit beiden Klauen sosanft auf, wie ein Mann ein kleines Kind hochgehoben hätte.

Felix tauchte unter dem Axthieb eines Tiermenschenhinweg, trennte dem Angreifer die Hand am Gelenk ab und liefweiter, während der Tiermensch auf die Knie fiel und seinenblutenden Stumpf umklammerte. Drei Chaos-Krieger stelltensich zwischen Gotrek und den Dämon. Die Axt des Slayersdurchtrennte den Hals des Ersten, öffnete den Bauch desZweiten und grub sich in den Unterleib des Dritten. DerRückschwung der Axt warf sie zu Boden und eröffnete Felixeinen klaren Blick darauf, was als Nächstes zwischen demDämon und dem König geschah.

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Der Blutdürster schälte ihm die Rüstung ab, wie ein Menscheine Orange schälen würde. Dem Zwerg gelang es, sichvorzubeugen und dem Dämon ins Gesicht zu speien. DerSpeichel vermischte sich mit dem Blut, das die Stirn desUngeheuers herunterlief, und verdampfte zischend. Mit einembreiten Grinsen bohrte der Blutdürster dem König die Krallenin das bloße Fleisch und zog dann nach außen. Der Brustkorbdes Königs knackte und flog auf wie der Deckel einer Auster,sodass die Eingeweide freilagen. Blut spritzte über denBlutdürster, als er sein unheiliges Werk fortsetzte.

Er hob den König auf Augenhöhe und hielt ihn dort mühelosmit einer Hand. Mit der anderen griff er nach Thangrimsimmer noch schlagendem Herz, riss es ihm aus der Brust undhob es hoch, sodass die weit aufgerissenen Augen des Königssehen konnten, was er tat. Er zerquetschte das Herz. Mit einemwiderlich feuchten Sauggeräusch verwandelte der Muskel sichin einen Klumpen Brei. Blut spritzte und verschmierte denMund des Ungeheuers. Dann warf er den Kopf in den Nackenwie ein bretonischer Feinschmecker, der das Fleisch einesgeöffneten Schellfisches verzehrte, und ließ das Herz in seinengeöffneten Schlund gleiten. All das beobachtete der König mitstarr aufgerissenen entsetzten Augen.

Die Kehle des Ungeheuers schwoll an, als es das ganze Herzverschlang, dann öffnete es den Mund und stieß ein gewaltigesRülpsen der Zufriedenheit aus. Der Dämon ließ den herzlosenund nun toten Leib, der früher einmal der stolze König KaragDums gewesen war, zu Boden fallen und brüllte denversammelten Chaos-Horden seinen Triumph entgegen. Felixkonnte das ganze Ungeheuer aus der Nähe sehen, denn indiesem Augenblick waren Gotrek und er bei dem Blutdürsterangelangt.

»Ich hoffe, du hast deine Henkersmahlzeit genossen,Dämon«, sagte Gotrek. »Jetzt stirbst du.« Der Dämon starrteihn an und grinste. »Dein Hirn wird meine Nachspeise«, sagte

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er mit schrecklicher Gewissheit.Einen Moment standen sich der Dämon und der Slayer wie

erstarrt gegenüber. Gotrek hielt seine grell leuchtende Axt zumSchlag bereit. Ein Ausdruck berserkerhafter Wut verwandeltesein Antlitz in etwas, das beinahe so Furcht erregend war wiedas Gesicht des Dämons. Der Blutdürster spannte die Flügelmit einem hörbaren Knacken und forderte Gotrek mit einerspöttischen Geste zum Angriff auf. Felix' Blick wandertezwischen Gotrek, dem Dämon und der Leiche Thangrims hinund her. Er hatte gehört, dass das Gehirn noch ein paarAugenblicke leben konnte, nachdem das Herz zu schlagenaufgehört hatte. Er wusste, dass dies in Thangrims Fall ganzsicher zutraf, denn dafür hatte der Dämon gesorgt, um seinenunheiligen Eid zu erfüllen. Plötzlich war er sehr zornig über diesinnlose Grausamkeit des Ungeheuers und die irrsinnigeBosheit des Chaos. Er wollte sein Schwert nehmen und es demDämon in die Brust stoßen.

Der lange Augenblick der Starre endete. Gotrek brüllteseinen Kriegsruf und griff an. Seine Axt zuckte vor und bohrtesich in die Brust des Dämons. Flammendes Blut spritzte ausder Wunde, versengte den Zwerg und ließ ihn zurücktaumeln.Er erholte sich rasch und ließ einen zweiten Hieb folgen. DerBlutdürster hob eine Klaue, um ihn abzuwehren, und in seinemArm klaffte eine weitere Wunde. In diesem Augenblick hieltFelix es tatsächlich für möglich, dass Gotrek das Ungeheuer inseiner Wut überwältigen konnte, aber der Blutdürster zog sichrasch aus der Reichweite des Slayers zurück und beschrieb eineGeste des Greifens.

Seine gewaltige Axt löste sich aus der Steinplatte und flogim Nu in die ausgestreckte Hand des Dämons. EinenAugenblick rührte der Dämon sich nicht von der Stelle. Felixkonnte erkennen, dass er Schaden genommen hatte. DasSchwert des Gardisten steckte immer noch in seinem Rücken.Thangrims Hammer hatte tiefe Striemen in seinem Fleisch

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hinterlassen, durch die gebrochene Knochen zu sehen waren.Gotreks Axt hatte zwei klaffende Wunden geschlagen, ausdenen Blut lief, das verdampfte, wenn es auf den Boden fiel.Von seinem ganzen Körper stieg ein widerlicher Dampf auf.Manchmal schienen seine Umrisse zu wabern und unscharf zuwerden, als sei er nicht mehr richtig da. Dann schien ein Ruckdurch das Ungeheuer zu gehen, und seine Umrisse wurdenwieder klar und scharf.

Und es warf sich auf den Slayer.Was folgte, war ein Wirbel von Hieben, zu schnell für das

Auge, um ihm zu folgen. Felix hatte keine Ahnung, wie Gotrekdie Begegnung überlebte, aber er tat es. Er taumelte mit einergroßen Schramme auf der Stirn und Kratzern auf der Brustzurück. Der Blutdürster hatte noch eine Wunde am Armerlitten, schien aber weniger beeinträchtigt zu sein als derSlayer.

»Wie ich sehe, hast du genug«, keuchte Gotrek trotzig.Der Dämon lachte und bereitete sich auf den nächsten

Angriff vor. Felix wappnete sich, da er wusste, dass er geradedabei war, Selbstmord zu begehen. Er würde sterben. Es spieltekeine Rolle, das wusste Felix, denn wenn der Slayer fiel, würdeder Dämon ihn im Nu überwältigen, also beschloss er, seinenHieb zu landen, solange er noch konnte. Er sprang vor undschlug mit aller Kraft nach dem Dämon. Die verzauberteKlinge des Tempelritters Alfred schnitt tief ins Fleisch desDämons. Felix zog das Schwert zurück und setzte zu einemzweiten Hieb an. Der Dämon fuhr im letzten Augenblick zuihm herum und schleuderte ihn mit einem simplen Stoß seinesArms zurück, der Felix beinahe umgebracht hätte.

Als die Klaue ihn berührte, explodierte etwas gegen Felix'Brust, und eine Schmerzwelle durchzuckte ihn. Die Klinge desTempelritters wurde ihm aus der Hand geschlagen. Er landeteauf etwas Hartem und Schwerem, und die Luft wurde aus

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seiner Lunge gepresst. Er hörte etwas, bei dem es sich um einunirdisches Schmerzgeheul des Blutdürsters handeln mochte.

Gotrek nutzte die Ablenkung zu einem Angriff aus, und füreinen Moment glaubte Felix, der Slayer könne dem Blutdürstertatsächlich den Garaus machen. Seine Axt wirbelte in wildemBogen und hätte auch getroffen, aber seine Wunde behinderteden Slayer und verlangsamte ihn ein wenig, sodass der Dämonzur Seite sprang und dem Hieb auswich, der ihn enthauptethätte. Ein weiterer Schlagwechsel folgte, der wiederum zuschnell für das Auge war. Er endete damit, dass Gotrek die Axtaus den Händen geschlagen wurde. Der Zwerg stand taumelndda und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. DerBlutdürster schlug mit gewaltiger Faust zu und rammte denSlayer förmlich zu Boden. Gotrek blieb zu Füßen des Dämonsliegen. Alle Hoffnung verließ Felix.

Er tastete nach unten und versuchte sich aufzurichten. EinBlick auf seine Brust zeigte ihm die qualmenden Überreste vonSchreibers Amulett. Die Faust des Dämons musste es getroffenund durch schiere Kraft zur Explosion gebracht haben.Trotzdem, dachte Felix, hatte es ihm wohl das Leben gerettet.Irgendetwas hatte dem Hieb des Blutdürsters eines Großteilsseiner Wucht beraubt. Er war sicher, dass der Hieb ihn hattetöten sollen - aber er lebte noch.

Er konnte sein Schwert nicht finden, aber seine Fingerertasteten etwas Hartes, Schweres. Er erkannte, dass es sich umden Schicksalshammer handelte, und versuchte die Waffeaufzuheben, doch sie ließ sich nicht bewegen. Es lag nichtdaran, dass der Hammer zu schwer war. Irgendeine Kraft hieltihn am Boden fest, wie die Karten an Bord des Luftschiffs vonMagnetsteinen festgehalten wurden.

Felix fluchte. Sie waren so nahe daran gewesen. Der Dämonbewegte sich jetzt sehr langsam und atmete schwer. Blut quollaus klaffenden Wunden, da er kaum noch in der Lage war,seine Gestalt zu bewahren. Ein einziger Hieb würde reichen,

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das Ding zu erledigen, davon war er überzeugt. Er zerrte, bis erglaubte, seine Muskeln müssten reißen, und dennoch ließ sichder verwünschte Hammer nicht bewegen. Es war einmagisches Artefakt, das nur von Helden aus der Zwergenrassebenutzt werden konnte, und es überstieg die Kraft einessterblichen Menschen, diese Magie zu überwinden.

Der Blutdürster beugte sich über Gotrek, wie er es auch beiThangrim getan hatte. Er griff zu und packte den Slayer miteiner Hand. Langsam hob er ihn hoch.

Felix wusste, was folgen musste. Der Dämon würde denKopf des Zwergs wie eine Melone zerquetschen und dann seinHirn und damit auch seine unsterbliche Seele verzehren. Hinterdem triumphierenden Dämon , sah er, wie die Tiermenschensich daran machten, den letzten Widerstand der Zwerge zubrechen. Varek stand neben einer der Säulen. Der jungeGelehrte hatte sich mit einem Hammer bewaffnet, den er sichirgendwoher besorgt hatte. Ein Trupp grimmiger Tiermenschenstürmte auf ihn zu.

»Hilf mir, Sigmar«, heulte Felix mit einer Inbrunst, die erzuletzt als verängstigtes Kind empfunden hatte. »Hilf mir,Grungni! Hilf mir, Grimnir! Hilf mir, Valaya! Helft mir! Helftmir, verflucht!«

Bei der Anrufung der Götternamen flackerten die Runen auf,und das Feuer kehrte in sie zurück. Felix spürte, wie die Waffesich vom Boden löste. Zuerst war sie schwer, wurde aberimmer leichter, je höher er sie hob, als erfülle ihn eine andereKraft mit der Stärke, die nötig war, das gewaltige Gewicht derWaffe zu stemmen. Ein brennender Schmerz schoss durchFelix' Hand, wo sie den Streithammer berührte. Er spürte, wiesein Ärmel von Funken versengt wurde. Plötzlich roch eswieder nach Ozon. Vor Schmerzen hätte er die Waffe beinahefallen lassen. Er kämpfte darum, sie festzuhalten, währendjeder einzelne Nerv in seiner Hand vor Schmerzen heulte.Irgendwie gelang es ihm.

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Felix wusste, dass sich die Gelegenheit nicht wiederholenwürde. Er holte mit dem Hammer zum Wurf aus. Der Dämonspürte, dass sich hinter ihm Energien sammelten, und fuhr zuihm herum, während er den Slayer nachlässig in einer Handhielt, wie ein Mensch eine zerbrochene Puppe halten mochte.Der furchtbare Blick fiel auf Felix, und für einen Momentkehrte das bekannte Entsetzen zurück. Er wusste, der Dämonwürde jeden Augenblick springen, um ihm ein Glied nach demanderen auszureißen, und er würde nicht schnell genug sein,um ihn daran zu hindern. Er rang seine Furcht nieder, lächelteschüchtern und beschloss, es dennoch zu versuchen.

Der Blutdürster ließ Gotrek fallen und sprang, beide Klauenausgestreckt, den Mund weit aufgerissen und die riesigenFänge gebleckt. Augen, durch welche die Hölle die Weltbetrachtete, funkelten direkt in Felix' Seele. Sein widerlicherGestank drang Felix in die Nase, und seine Körperhitze strahlteüber die sich rasch verkleinernde Entfernung zwischen ihnenhinweg. Felix' Arm schoss nach vorn und schleuderte dengeheiligten Streithammer. Die Waffe flog wie ein Komet miteinem Schweif aus flammenden Blitzen und traf den Kopf desDämons mit einem Geräusch wie Donnerhall. Die Wucht desAufpralls hielt seinen Ansturm auf. Der Dämon taumelterückwärts, aber nur für den Augenblick. DerSchicksalshammer prallte ab und flog weiter in die Düsternis.

Langsam richtete der Dämon sich wieder auf. Felix wusste,dass er nichts mehr tun konnte, um ihn aufzuhalten. Sein Siegwar unvermeidlich. Er hatte sein Bestes gegeben, doch es hattenicht gereicht. Er hatte kaum noch die Kraft, sich zu erheben,geschweige denn vor dem Dämon zu fliehen. Seine Brust warverbrannt. Seine Hand fühlte sich an, als schäle sich dasFleisch von den Knochen.

Der Blutdürster taumelte mit einem boshaften Grinsenvorwärts. Der Ausdruck in seinen uralten Augen verriet ihm,dass er wusste, was Felix dachte, und er sich über seine

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Verzweiflung lustig machte. Sein gewaltiger Schatten fiel aufihn. Er spannte die Flügel, zog sich die Runenklinge aus demRücken und schleuderte sie durch die Halle. Er hob die Klauenzum tödlichen Hieb.

»He! Du! Ich bin noch nicht fertig mit dir!«, ertönte GotreksStimme hinter ihm.

Der monströse Kopf seiner großen, uralten Axt explodierteförmlich aus der Brust des Blutdürsters. Dabei löste sich derDämon in einen Schauer aus roten und goldenen Funken auf,die sich sogleich in stinkenden Dampf verwandelten. DasUngeheuer verschwand einfach, wie ein erlöschendes Feuer.Durch den verblassenden Nebel sah Felix die ramponierteGestalt des Slayers, der kaum aufrecht stehen konnte. Langsamverschwanden auch die letzten Überreste des Blutdürsters.

Doch Felix konnte immer noch die flammenden Augen desDämons sehen, und seine letzten Worte hallten in seinem Kopfnach: Ich werde mich an euch erinnern, Sterbliche, und ichhabe die ganze Ewigkeit Zeit für meine Rache.

Wunderbar, dachte Felix. Das hat mir gerade noch gefehlt.Die Feindschaft von Khornes Liebling! Trotzdem hatte sichseine Stimmung gehoben. Der Dämon war nicht mehr, und dieschreckliche Furcht, die seine Ausstrahlung verursachte, warverschwunden wie Nebel im Licht der aufgehenden Sonne.Felix spürte eine Last von sich abfallen, von der er gar nichtgewusst hatte, dass er sie trug, und ein Gefühl unendlicherErleichterung überkam ihn.

Gotrek taumelte zu der Stelle, wo der Schicksalshammer lag,und hob ihn auf. Diesmal ließ sich die Waffe mühelosaufheben und als er es tat, geschah etwas Merkwürdiges. Blitzezuckten zwischen der Axt und dem Hammer hin und her undschufen einen brennenden elektrischen Bogen. Dabei schiender Slayer vor kaum beherrschter Kraft anzuschwellen. DerKamm auf seinem Kopf und sein Bart sträubten sich, und die

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Augen funkelten in einem seltsamen blauen Licht.»Die Götter machen sich über mich lustig, Menschling!«,

brüllte er mit einer Stimme wie ein Gewitter. Verbitterungentstellte sein Gesicht. »Ich bin hergekommen, um meinVerhängnis zu suchen, und habe stattdessen das Verhängnisüber diesen Ort gebracht. Dafür wird jetzt jemand büßen.«

Er fuhr herum und stürzte sich in das Getümmel. DerSchicksalshammer hinterließ einen verschwommenenLichtbogen, wenn er geschwungen wurde. Gotreks uralte Axtzerschmetterte einen Chaos-Krieger und brach einengewaltigen Brocken aus einer der Säulen hinter ihm. Er warjetzt von derselben Furcht einflößenden Aura umgeben wiezuvor der Dämon, und die Chaos-Anbeter wichen vor ihmzurück. Gotrek stieß einen gewaltigen Schlachtruf aus unddrang auf sie ein, und ein furchtbares Gemetzel begann. Diebeiden Waffen erfüllten ihn mit göttlicher Kraft, und der Slayerwurde unüberwindlich. Seine Axt schnitt mühelos durchRüstungen und Leiber, und keine Waffe konnte ihr standhalten.Der Hammer sandte Strahl auf Strahl seiner furchtbaren Kraftaus, welche in die Reihen der Chaos-Krieger fuhren wie eineDämonenpeitsche.

Von dem Gemetzel angewidert, das der Slayer anrichtete,beobachtete Felix das Geschehen, bis er seine Klinge auf demBoden liegen sah. Da zwang er seine Hand, die Waffe zupacken, und dann stürzte er sich selbst in das Getümmel.Augenblicke später war alles vorbei. Die Niederlage ihresAnführers hatte der Moral der Chaos-Anbeter einen schwerenSchlag versetzt, und nun, da sie der unüberwindlichen Kraftdes erzürnten Slayers nichts entgegenzusetzen hatten, kniffendie Überreste der Chaos-Horde den Schwanz ein und flohen.

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20Nachwehen

Felix sah sich müde in der Halle des Brunnens um. Überalllagen Leichen und legten Zeugnis von einer Schlacht ab, diemit wahnsinniger Wildheit auf der einen und unnachgiebigerzwergischer Entschlossenheit auf der anderen Seiteausgefochten worden war. Geronnenes Blut bedeckte denBoden wie ein Teppich. Der Gestank des Todes drang in seineNase.

Sein Blick fiel auf Gotrek, der blass und reglos an eine derSäulen gelehnt saß, die das Dach hielten. Seine ganze Brustwar mit Verbänden umwickelt, und ein Arm ruhte unbeweglichin einer Schlinge. Schrammen bedeckten den Kopf des Slayers,anscheinend sogar unter den Tätowierungen. Der Griff desDämons war nicht sehr sanft gewesen. Der Kampf mit demBlutdürster hätte den Slayer fast umgebracht, und seinanschließender Rachefeldzug hatte auch nicht gerade geholfen.Die Brust des Slayers bewegte sich kaum, da er sich imGrenzland zwischen Leben und Tod bewegte. Nicht einmalVarek konnte sagen, ob er leben oder sterben würde.

Der junge Zwerg schaute unsicher auf. »Ich habe für ihngetan, was ich kann. Der Rest liegt in den Händen der Götter.Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Ich glaube, nurdie Kraft des Schicksalshammers hat ihn am Leben gehalten,so lange er kämpfte.«

Felix fragte sich, ob nun wohl die Zeit gekommen war, denUntergang des Slayers aufzuzeichnen. Die Schlacht war ganzgewiss heldenhaft gewesen, wie Gotrek es sich für sein Endegewünscht hatte. Die Niederlage des Dämons hatte die Zwergemit neuem Mut erfüllt, und die Chaos-Horden hatten ihren Mutverloren, als der Slayer mit seinen unüberwindlichen Waffen

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wie ein Berserker und so tödlich und gewalttätig wie eineuralte Kriegsgottheit zwischen sie gefahren war. Tatsächlichhatte Gotrek ein solches Gemetzel angerichtet, dass es denChaos-Anbetern so vorgekommen sein musste, als hätten sichihre schändlichen Götter gegen sie gewandt. Am Ende warensie demoralisiert und von Panik erfüllt aus der Halle geflohenund hatten die Zwerge siegreich zurückgelassen. Erst da warGotrek zusammengebrochen.

Der Sieg hatte einen entsetzlichen Preis gefordert. Felixbezweifelte, dass mehr als zwei Dutzend Zwerge überlebthatten, und die meisten davon hatten sich vor Beginn desKampfes im Gewölbe versteckt. Wären die Kraft des Hammersund Gotreks Geschick mit der Axt nicht gewesen, hätte wohlkeiner von ihnen überlebt. Und es schien so, als müsse derSlayer noch den höchsten Preis für ihren Sieg entrichten.

Snorri hinkte durch die Reihen der Toten, wobei er seinrechtes Bein schonte. Er sah nicht viel besser aus als Gotrek.Seine Brust war mit Peitschenschnur zusammengenäht worden.Nichts konnte seine unglaubliche zwergische Zähigkeit besserbelegen als die Tatsache, dass er überhaupt noch lebte. KeinMensch hätte den Hieb des Blutdürsters oder den damitverbundenen Blutverlust überlebt. Ein um seinen Kopfgewickelter Verband ließ ihn wie einen sehr kleinen, sehrbreiten und sehr dummen Eingeborenen Arabias aussehen. Erpfiff fröhlich vor sich hin, während er die blutverschmiertenRuinen ringsumher begutachtete. Doch selbst er verlor einigesvon seiner Fröhlichkeit, als sein Blick auf Gotreks regloseGestalt fiel.

»Guter Kampf«, murmelte er vor sich hin. Felix warversucht zu widersprechen. Er wollte sagen, dass es seinerAnsicht nach so etwas wie einen guten Kampf nicht gab,sondern nur Kämpfe, die man gewann oder verlor. Kämpfenwar ein schmutziges, schmerzhaftes und gefährliches Geschäftund alles in allem etwas, das er lieber mied.

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Doch noch während er dies dachte, wusste Felix bereits, dasser sich etwas vorzumachen versuchte. Im Überleben lag einbizarres Hochgefühl und im Sieg eine schreckliche Freude, under war nicht dagegen gefeit. Und als er an die Möglichkeiteiner Niederlage dachte, sah er sich gezwungen, Snorribeizupflichten.

»Ja, es war ein guter Kampf«, sagte er, wenngleich er sichfragte, ob wohl die Leichen auf dem kalten Steinbodenzugestimmt hätten, wenn sie noch reden könnten.

Die Anstrengung des Redens ließ seinen Körper wiederschmerzen. Er untersuchte seine Hand. Sie war steif, und dieBlitze des Schicksalshammers hatten sie versengt. Nicht einmaldie Opiumsalbe, die Varek aufgetragen hatte, konnten dieSchmerzen lindern. Er wusste nicht, welche Magie Thangrimvor diesem Schicksal bewahrt hatte, aber offensichtlichfunktionierte sie nicht bei Menschen. Dennoch, der Hammerhatte seine Aufgabe erfüllt, und eigentlich durfte er sich nichtüber die nachlässige Art beklagen, wie die Götter seine Gebeteerhört hatten.

Als er den Verband um seine Hand betrachtete, fragte ersich, wie er es überhaupt geschafft hatte weiterzukämpfen -aber im Grunde kannte er die Antwort. In der Hitze derSchlacht konnte ein Mensch Schmerzen ertragen, die ihn untergewöhnlichen Umständen umwarfen. Einmal hatte er einenMann noch Minuten weiterkämpfen sehen, nachdem er eineWunde erlitten hatte, an der er dann später gestorben war. Jetztfragte er sich, ob er je wieder in der Lage sein würde, eineKlinge zu führen. Oder auch nur die Feder, die er brauchenwürde, um den Tod des Slayers aufzuzeichnen.

Varek hatte ihm versichert, dass er bald wieder dazu in derLage sein werde, aber im Augenblick war er sich dessen nichtso sicher. Andererseits konnte er immer noch lernen, eineKlinge mit der linken Hand zu führen. Er versuchte dasSchwert des Tempelritters mit der linken Hand aus der Scheide

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zu ziehen, aber es fühlte sich alles ganz falsch an. Aber ihmblieb genug Zeit, es zu lernen.

Sein ganzer Körper tat weh, und er wollte sich einfach nurhinlegen und schlafen, aber es gab noch so viel zu tun. Hargrimund die anderen Zwerge beendeten ihre Diskussion und kamenzu ihm. Hargrim hielt den Schicksalshammer in der rechtenHand. Felix nahm mürrisch zur Kenntnis, dass er ihn nichtverbrannt hatte.

»Wir stehen in einer Schuld, die wir nie abtragen können,Felix Jaegar«, begann Hargrim. »Sie haben die Ehre unseresVolks gerettet und verhindert, dass der geheiligte Streithammerunserer Vorfahren in die Hände unserer Feinde fällt.«

Felix lächelte. »Sie schulden mir nichts, Hargrim. DerSchicksalshammer hat mir das Leben gerettet. Es gibt keineSchuld.«

»Edel gesprochen. Trotzdem, was wir besitzen, gehörtIhnen.«

»Danke, aber ich will nur nach Hause«, sagte Felix in derHoffnung, nicht undankbar zu klingen.

»Wir werden Sie begleiten«, sagte Hargrim. Felix hob eineAugenbraue.

»Wir sind jetzt zu wenige, um diesen Ort zu verteidigen, unddie Finsteren wissen jetzt, wo sie suchen müssen. Es wird Zeit,unser Buch der Rechnungen, den Hammer und alles andere zunehmen, was wir tragen können, und Karag Dum zuverlassen.«

»Ich glaube, auf der Geist Grungnis ist genug Platz, Felix«,sagte Varek. Er sah Felix respektvoll an, als suche er dessenZustimmung für diese Entscheidung.

Offenbar hatte ihm der Umstand, dass er denSchicksalshammer hatte werfen können, ein gewisses Ansehenunter den Zwergen verliehen. »Es gibt nur noch

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zweiundzwanzig Dawi in Karag Dum, und wenn wir denLaderaum ausräumen und uns die Kabinen teilen, reicht derPlatz an Bord.«

»Ich bin sicher, dass Sie Recht haben«, sagte Felix.»Es ist zwingend erforderlich, dass wir den geheiligten

Streithammer von hier wegbringen und so viel vomZwergenhort, wie wir tragen können.«

»Selbstverständlich«, sagte Felix mit einem Blick auf dieTruhen, welche die Zwerge aus dem Gewölbe trugen. »Aberich frage mich, wie wir alles nach oben schaffen wollen. Wirmüssen an den Chaos-Anbetern vorbei, und wir sind zuschwach und zu wenige, um uns auf einen Kampf einlassen zukönnen.«

Hargrim grinste. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen,Felix Jaegar. Es gibt immer noch viele geheime Wege in KaragDum, die nur den Dawi bekannt sind.«

Felix warf einen Blick auf den reglosen Gotrek, der viel zublass und schwach für einen Transport aussah. »Was ist mitGotrek und den anderen Verwundeten?«, fragte er. Vielleichtwar es besser, den Tod des Slayers abzuwarten und ihn hierzusammen mit den anderen Helden im Gewölbe zu bestatten.

»Wenn ich zu schwach zum Laufen bin, Menschling, bin ichzu schwach zum Leben«, ertönte die Stimme des Trollslayers.Gotreks gesundes Auge öffnete sich langsam. Sie eilten zuihm, als er sich langsam aufrichtete.

»Dann lasst uns aufbrechen«, sagte Felix glücklich.Der Slayer ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen.

»Allem Anschein nach hat mich das Verhängnis wieder nichtereilt«, sagte er missmutig.

»Keine Sorge«, entgegnete Felix. »Ich bin sicher, dassirgendwo schon das nächste Verhängnis wartet!«

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Thanquol zog den Vorhang seiner Sänfte zurück undblinzelte, als das ungewohnte Licht auf seine Netzhaut fiel. Erwar soeben von den Unterstraßen ins Tageslicht getreten.

Die grelle Sommersonne des nördlichen Kislev funkelte aufihn herab wie das wachsame Auge eines gnadenlosen Gottes.

Er starrte in den Ehrfurcht gebietenden Krater vonHöllenpfuhl. Unter sich konnte er die gewaltige Festung desModer-Klans sehen. Ein Gefühl der Befriedigung erfüllte ihn.Er hatte seine erschöpften Träger tagelang angetrieben, um seinZiel zu erreichen.

»Bewegt euch schnell-schnell!«, befahl er den japsendenSklaven. »Wir haben noch einen weiten Weg zurückzulegen!«

Langsam stolperten die Träger den steilen Abhang hinunter.Unheimliche Echos hallten aus den seltsam geformten

Türmen. Große Bestien brüllten. Der Geruch nach Ungeheuernund Warpstein ließ Thanquols Nüstern beben.

Er wusste, dass er hier die Verbündeten finden würde, die erbrauchte, um das Luftschiff zu erobern und seineunausweichliche Rache an Gurnisson und Jaegar zu nehmen.Er konnte bereits Skaven-Krieger in Begleitungmissgestalteter, watschelnder Bestien sehen, die kamen, um ihnzu begrüßen.

Wenn er jetzt noch die Verbindung zu seinem Lakaien LurkSpitzelzunge wiederherstellen konnte, würde alles bestens sein.Er fragte sich, was Lurk wohl gerade tat.

Lurk war nicht sicher, was die dämlichen Zwerge im Schildeführten, aber er wusste, dass die Zeit für ihn bald reif zumHandeln sein würde. Er fühlte sich stark und war davonüberzeugt, dass die Gehörnte Ratte mit ihm war. Jetzt warteteer nur noch auf eine Gelegenheit zum Zuschlagen. Wenn dieSituation Handeln gebot, würde er nicht warten. O nein. Er

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würde aufspringen und seine Feinde überwältigen.Vielleicht.Vorausgesetzt, sie waren nicht zu zahlreich.

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