Wir stellen drei gelungene Projekte vor. geistig fit ... · Ein Rabatt bei Mehrfachbestellung ist...

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Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den letzten vier Jahren inklusive Literaturangaben zur weiterführenden Recherche. Mobilitätsförderung bibliomed-pflege.de DOSSIER

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24 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 3|16

Motiviert zur BewegungAm Tiergatter blühen die Bewohner auf

Ein Miauen hier, ein Quaken dort – Katzen, Enten, Hunde, Schafe, Hühner, Vögel, Hasen und viele weitere Kleintiere gehören zum Alltag im Seniorenstift Kronthal und sind fester Bestandteil des Projekts „Kronthaler-Bewegungs-Memory“. An insgesamt 34 Orten im Innen- und Außenbereich der Einrichtung werden die Bewohner zu verschie- denen Bewegungsübungen angehalten – sei es im Kräutergarten, im Tan-te-Emma-Laden, im Näh- und Hobbyraum oder im Tiergatter. Ein Handlauf etwa, der um das Gatter in Höhe der meist im Rollstuhl sitzenden Bewohner angebracht ist, soll die Senioren anregen, sich auf-zurichten und die Tiere zu streicheln oder zu füttern.

„Wir haben uns bewusst angeschaut, welche Orte reizvoll für die Be-wohner sind und wie wir ihr Interesse daran betonen können“, so Sabine Hindrichs, Projektbegleiterin für das Seniorenstift Kronthal. Denn de-menzielle Erkrankungen führten oft zu Unrecht zu einer zunehmenden Immobilität. Deshalb startete sie 2014 das Mobilitätsprojekt. Dabei ging es dem Seniorenstift nicht um ein „Sonderprogramm“ Mobilität, son-dern vielmehr sollten alltägliche Abläufe hin zu mehr Mobilität verän-dert und innerhalb dieser Abläufe Mobilitätsanreize geschaffen werden.

Mit einem begleitenden Fotoband unterstützt das Seniorenstift bewusst Angehörige, Besucher und Bewohner, um sie zu motivieren, gemeinsam die unterschiedlichen Stationen aufzusuchen und auszupro-bieren. „Es war ein langer und mitunter nicht immer einfacher Prozess, alle Beteiligten von dem Mobilitätskonzept zu überzeugen, und bedurfte einer kontinuierlichen Prozessbegleitung in Form von Fortbildungen und Workshops“, verrät Hindrichs.

Mittlerweile aber stünden alle hinter dem Projekt. „Auch wenn es regnet, gehen wir jetzt raus.“ Wichtig sei, die Bewohner neugierig zu ma-chen, ihnen aber gleichzeitig einen geregelten Tagesablauf zu bieten.

Mit dem Kronthaler-Bewegungs-Memory scheint dies gelungen zu sein. Denn mittlerweile haben sogar andere Einrichtung Interesse an dem Projekt bekundet und wollen es adaptieren, verrät Hindrichs.

Körperlich und geistig fit bleibenBest-Practice-Beispiele zur Mobilitätsförderung. Einige Einrichtungen unterstützen nicht nur die Mobilität ihrer Patienten, sondern setzen bewusst auf kreative Konzepte, um ihre Agilität zu fördern. Wir stellen drei gelungene Projekte vor.

Von Nadine Millich

Tiere als Mobilitätsanreiz

POSTER MOTIVIERTAcht Gründe, warum Patienten im Krankenhaus in Bewegung bleiben sollten, fasst ein von Prof. Dr. Angelika Zegelin entwickeltes Poster zusammen. Es soll Hilfe- stellung sowie Ansporn zugleich sein und verdeutlicht, dass Bewegung die Muskulatur stärkt, den Kreislauf in Schwung bringt, die Selbstständigkeit erhält und die Geselligkeit fördert. Das Poster im A2-Format eignet sich für alle Klinikstationen und kann über den Pflege e. V. angefordert werden. Die Kosten belaufen sich auf vier Euro zuzüglich zwei Euro Porto. Ein Rabatt bei Mehrfachbestellung ist möglich. www.stiftung-pflege.de

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1 Bei der Bewegungsunterstützung im Bett benötigen die Füße einen festen Halt, damit sie nicht wegrutschen. Hierfür sind Antirutschmatten erhältlich

2 Bei jeder pflegerischen Handlung sollte überlegt werden, in welcher Position sie erfolgen sollte. Bei der Körperpflege im Bett eignet sich die Seitenlage

3 Die Pflege des Oberkörpers sollte in einer aufrechten Position erfolgen

4 Bodenpflegesysteme werden immer häufiger in Kliniken eingesetzt

5 Das Amberger Bodenbett ist ein gelunge-nes Beispiel für eine unkonventionelle Vorgehensweise in der Pflege

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Praxis

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Top-Thema

Übersichtsartikel. Wenn sich Patienten zu wenig bewegen, kann eine gefähr- liche Negativspirale entstehen. Diese zu durchbrechen und Mobilität bestmöglich zu forcieren, ist eine der wichtigsten pflegerischen Aufgaben überhaupt.

Von Siegfried Huhn

Bewegung gezielt fördern

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Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den letzten vier Jahren inklusive

Literaturangaben zur weiterführenden Recherche.

Mobilitätsförderung

bibliomed-pflege.de

DOSSIER

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Mobilitätsförderung: Mehr Mut zur Bewegung Bewegung hat für jeden Menschen eine herausragende Bedeutung. Sie beeinflusst die Lebensqualität, das Wohlbefinden und wirkt sich auf alle Körperaktivitäten aus. Im Pflegealltag gilt es, Bewegung konsequent zu fördern. Dabei lohnt es sich, kreativ und unkonventionell vorzugehen. Von Uwe Wagner (07/2018)

Best-Practice-Beispiele zur Mobilitätsförderung: Körperlich und geistig fit bleiben Einige Einrichtungen unterstützen nicht nur die Mobilität ihrer Patienten, sondern setzen bewusst auf kreative Konzepte, um ihre Agilität zu fördern. Wir stellen drei gelungene Projekte vor.Von Nadine Millich (03/16)

Bauchdeckenentlastende Mobilisation nach Abdominalchirurgie: Raus aus dem Bett Nach einer Bauch-OP sollte die abdominelle Muskulatur möglichst nicht beansprucht werden. Für die Mobilisation steht deshalb – gerade in den ersten Tagen – die Entlastung der Wundnaht an erster Stelle.Von Monika Kerscher (07/16)

Übersichtsartikel: Bewegung gezielt fördern Wenn sich Patienten zu wenig bewegen, kann eine gefährliche Negativspirale entstehen. Diese zu durchbrechen und Mobilität bestmöglich zu forcieren, ist eine der wichtigsten pflegerischen Aufgaben überhaupt.Von Siegfried Huhn (03/16)

Kinaesthetics: Bewegung im Pflegealltag fördern Kinaesthetics hilft, Bewegungsaktivitäten zu unterstützen. Grundlage hierfür bildet eine achtsame Interaktion über Berührung und Bewegung. Damit kann es gelingen, die Mobilität von Patienten und Bewohnern zu erhalten und zu fördern.Von Maren Asmussen-Clausen und Martina Huth (11/2017)

Praxisprojekt: Mobilität im Fokus Am Universitätsklinikum Freiburg hat eine Projektgruppe einen Leitfaden zum Erhalt und zur Förderung der Mobilität erstellt. Die Implementierung auf zwei Pilotstationen zeigt: Mit dem Leitfaden kann die Sensibilität der Mitarbeiter für das Thema deutlich gesteigert werden.Von Stefanie Pauen (07/2017)

Frühmobilisierung im Querbettsitz: Sicher im Bett sitzen Das einfache Sitzen an der Bettkante kann einen Menschen mit erworbenem Hirnschaden leicht überfordern. Der Querbettsitz hingegen bietet maximale Stabilität. Er ermöglicht viele Aktivitäten, aber auch notwendige Ruhepausen.Von Lothar Urbas und Gabi Jacobs (08/16)

Bewegungsförderung: Leben in die Bude bringen In Kliniken und Pflegeheimen wird zu wenig bewegt. Das Bewusstsein für die Bewegungsförderung ist zwar oft da, es mangelt aber schlicht an Zeit, beklagt Prof. Angelika Zegelin. Sie plädiert dafür, jede Chance der Bewegungsförderung im Pflegealltag zu nutzen.Interview von Brigitte Teigeler (03/16)

Bewegungsförderung bei Adipositas: So mobil wie möglich Immer öfter werden übergewichtige Menschen im Krankenhaus versorgt. Für die Pflege ist die Mobilisierung und Positionierung dieser Patienten herausfordernd. Pflegende benötigen gute Hilfsmittel und ein fundiertes Wissen über Bewegungskonzepte.Von Dominik Zergiebel (11/16)

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Inhaltsverzeichnis

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Praxis

Mehr Mut zur Bewegung Bewegung hat für jeden Menschen eine herausragende

Bedeutung. Sie beeinflusst die Lebensqualität und das Wohlbefinden einer Person – und wirkt sich auf alle Körperaktivitäten aus. Im Pflegealltag gilt es, Bewegung konsequent zu fördern. Dabei lohnt es sich, kreativ und unkonventionell vorzugehen.

Von Uwe Wagner

Pflege braucht mehr Mut zur Bewegung – diese Aussage war in der Konsensusfassung

des Expertenstandards „Förderung und Erhalt der Mobilität in der Pfle-ge“ noch enthalten. In der veröffent-lichten Version fiel das Statement leider heraus – den Experten des Deutschen Netzwerks für Qualitäts-entwicklung in der Pflege (DNQP) war es wohl zu wenig evidenzbasiert.

Ebenso ist in der Endfassung nicht mehr die Aussage enthalten, dass eine dreijährige Ausbildung nicht ausreichend ist, um die Mobili-tät von pflegebedürftigen Menschen qualifiziert zu fördern und zu erhal-ten. Schade – denn Praxiserfahrun-gen stützen diese These in vollem Umfang.

Bewegung hält Menschen am Leben

Die Bedeutung von Bewegung für Menschen, egal ob gesund oder krank, rückt seit Jahren zunehmend in den Fokus der Gesundheitsberufe.

Bereits die verstorbene US-ame-rikanische Pflegewissenschaftlerin Nancy Roper hat einmal gesagt: „Wenn ich die Lebensaktivitäten noch einmal entwickeln würde, wür-de ich die Bewegung nicht als Teil aller Lebensaktivitäten nehmen – ich würde sie aufgrund ihrer besonderen

Bedeutung für den gesamten menschlichen Organismus als über-geordnete Aktivität über alle ande-ren stellen.“

Dieser Aussage ist voll und ganz zuzustimmen. Ganz klar – jede Akti-vität eines Menschen ist eine Bewe-gungsaktivität, egal ob man eine Po-sition einnimmt, sich kleidet, trinkt und isst, ausscheidet oder den Kreis-lauf anregt.

Die erste Lebensleistung eines noch ungeborenen Menschen sind embryonale Wachstumsbewegun-gen. Bewegung hat einen Menschen „gebaut“, Bewegung hält ihn am Leben.

Bedeutsam ist jedoch immer die aktive Eigenbewegung und weniger die passive Bewegung von außen. Folgerichtig gibt der Expertenstan-dard „Förderung und Erhalt der Mo-bilität in der Pflege“ vor, die Bewe-gung bei allen Aktivitäten eines Pa-tienten oder Bewohners zu fördern. Das Mobilitätsdefizit des Betroffe-nen soll nicht passiv durch die Pfle-geperson ausgeglichen werden, nein – der pflegebedürftige Mensch soll angeleitet werden, es möglichst selbst zu tun.

Doch wie kann das konkret in der Praxis aussehen? Eine einfache, leicht in den Pflegealltag zu integrie-rende Möglichkeit ist die Bewe-gungsunterstützung im Bett, zum

Mobilitätsförderung

Beispiel um den Patienten von der Rückenlage auf die Seite zu positio-nieren. Die Beine spielen bei dieser Bewegung eine zentrale Rolle, denn die Beine sind in der Embryonalent-wicklung aus dem Becken gewach-sen – sie sind sozusagen die „Freun-de“ des Beckens. Wann immer ein Mensch sein Becken bewegen möchte – es geht viel leichter, wenn die Füße angestellt sind, und nicht gestreckt.

Pflegende sollten daher nach Möglichkeit immer so unterstützen, dass der Patient mit den Füßen auf die Matratze drücken kann. Die Fü-ße benötigen dabei einen festen Halt, damit sie nicht wegrutschen. Hierfür sind im Handel Antirutsch-matten erhältlich. Auch entspre-chende Socken, die dem Wegrut-schen der Füße entgegenwirken, sind hierfür sehr hilfreich. Gleichzeitig wärmen sie die Füße und sind geeig-net, um einen Sturz vorzubeugen.

Das Lagerungsmaterial sollte im Bett verbleiben, denn es ist hilfreich, um die Beine zu stabilisieren.

Es sollte stets darauf geachtet werden, dass der Patient seine Hän-de und Arme benutzen kann. Die Schultern bleiben dadurch beweg-lich, was der Mobilitätsförderung zuträglich ist – was die Beine für das Becken sind, sind die Arme für den Brustkorb.

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1 Bei der Bewegungsunterstützung im Bett benötigen die Füße einen festen Halt, damit sie nicht wegrutschen. Hierfür sind Antirutschmatten erhältlich

2 Bei jeder pflegerischen Handlung sollte überlegt werden, in welcher Position sie erfolgen sollte. Bei der Körperpflege im Bett eignet sich die Seitenlage

3 Die Pflege des Oberkörpers sollte in einer aufrechten Position erfolgen

4 Bodenpflegesysteme werden immer häufiger in Kliniken eingesetzt

5 Das Amberger Bodenbett ist ein gelunge-nes Beispiel für eine unkonventionelle Vorgehensweise in der Pflege

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Die passende Position finden

Pflegende sollten stets überlegen, welche Position des Patienten die richtige ist für eine effektive Bewe-gungsunterstützung. Die Körper-pflege ist hier ein gutes Beispiel. Wenn sich eine Pflegeperson die Frage stellt, in welcher Position sie sich selbst wäscht, wird ihr schnell klar, dass das Waschen eines Patien-ten nicht in Rückenlage erfolgen sollte. Denn so wäscht sich niemand – es sei denn, man nimmt ein Voll-bad. Doch selbst dann befindet man sich jedoch eher in einer mit dem Oberkörper erhöhten Position.

Insbesondere Frauen reagieren jedoch in der flachen Rückenlage oft mit Ablehnung, insbesondere wenn sie die Beine „auseinander“ machen sollen. Dieses Verhalten kann mit soziokulturellen Aspekten begründet sein oder auch mit einer Gewalter-fahrung. Viele ältere Patientinnen haben während des Krieges und in den Jahren danach Erfahrungen mit sexueller Gewalt erlebt. Gerade die Intimpflege sollte daher in der Sei-tenlage durchgeführt werden; die in-time Vorderseite ist geschützt und die Patientin liegt geborgen und sta-bil auf der Seite.

Die Pflege des Oberkörpers soll-te in einer sitzenden Position erfol-gen, wobei der Patient stets ermutigt werden sollte, möglichst viel selbst zu waschen. Meist genügt es, wenn die Pflegeperson lediglich die Hand des Patienten mit dem Waschlappen ans Gesicht führt. Genauso sollte mit der Haarpflege und der Rasur verfahren werden.

Wichtig ist beim Positionieren immer folgender Grundsatz: Men-schen sollten immer so unterstützt werden, dass sie nach ihren individu-ellen Möglichkeiten gefördert wer-den und sich dabei frei bewegen können.

Jede eigene Bewegung, auch in-nerhalb des Bettes, ist Mobilisation. Vielen Pflegenden ist nicht klar, dass zur Mobilisation ausschließlich die eigene Bewegung zählt. Pflegende können Patienten also nicht mobili-sieren – sie können jedoch sehr hilf-reich dabei unterstützen. Oft ist im Pflegealltag der Ausspruch „Der Pa-

tient hat mitgeholfen“ zu hören. Das impliziert, dass die Pflegeperson „macht“ und der Patient freundli-cherweise hilft, das zu tun, wofür sie bezahlt wird. Es ist aber doch genau umgekehrt: Pflegende werden dafür bezahlt, dass sie bei der Bewegung eines Patienten „mithelfen“.

Kreativ vorgehen

Bei der Mobilitätsförderung kann es mitunter zielführend sein, kreativ und unkonventionell vorzugehen. Ein Beispiel dafür sind Bodenpfle-gesysteme wie das Amberger Bo-denbett, die mittlerweile von immer mehr Kliniken eingesetzt werden. Mit der Verwendung solcher Lö-sungen tragen Einrichtung der For-derung Rechnung, dass Menschen ein Recht darauf haben zu fallen und zu stürzen.

In der Praxis sieht es jedoch meist so aus: Ein Patient ist auf den Boden gefallen, die Pflegeperson, die den Patienten entdeckt, schlägt lautstark Alarm. Der Patient wird durch he-raneilende Menschen mit viel Kraft schnell zurück ins Bett gehoben.

Eine solche Situation kann je-doch auch anders beurteilt werden: Es könnte beispielsweise angenom-men werden, dass es einen Grund dafür gab, dass er auf den Boden ge-gangen ist. Pflegende sollten die Si-tuation so deuten: Ein Patient, der die Ressourcen hat, auf den Boden zu kommen, verfügt wahrscheinlich auch über die Ressourcen, um wieder – wenn auch mit Hilfe – aufzuste-hen. Er braucht womöglich einfach nur etwas Zeit dafür und eine kom-petente Anleitung.

Wahrscheinlich spricht in den seltensten Fällen etwas dagegen, die Matratze erst einmal auf den Boden zu legen. So kann der Patient erst einmal seinen Schock abbauen. Der Erfolg von Bodenpflegesystemen zeigen, dass Pflege Mut und Kompe-tenz benötigt, um auch über andere Wege nachzudenken.

Niederdrucksysteme nicht unkritisch einsetzen

Das Bett ist für viele Patienten die wichtigste Umgebung, insbesondere

die Matratze und die verwendeten Hilfsmittel zur Positionsunterstüt-zung. Je weicher die Umgebung, des-to schwerer wird jedoch die Bewe-gung. Weiche Schaumstoffmatratzen und Niederdrucksysteme, wie sie für die Dekubitusprophylaxe verwendet werden, reduzieren die Fähigkeit der eigenen Bewegung und wirken daher mobilitätsreduzierend. Nicht jeder dekubitusgefährdete Patient benö-tigt solche speziellen Systeme. Erst wenn eine ausreichende Bewegungs-unterstützung, zum Beispiel regel-mäßiger Positionswechsel, nicht möglich ist, machen Wechseldruck-systeme Sinn.

Es gilt daher, den Nutzen und die Risiken von Niederdrucksystemen sorgfältig abzuwägen. Ebenso ist ei-ne regelmäßige Reflektion, die etwa die Notwendigkeit eines Antideku-bitussystems überprüft, zwingend er-forderlich.

Oftmals ist der Einsatz solcher Systeme nur vorübergehend nötig, zum Beispiel nach einer Operation. Einfache Messungen haben ergeben, dass die Bewegungsunterstützung auf weichen Matratzen deutlich mehr Kraftaufwand für Pflegende bedeutet. So gibt es einen signifikan-ten Unterschied bei der Mobilisation des Beckens zwischen Weichlage-rungsmatratzen und normalen Schaumstoffmatratzen.

Zusammenfassend ist festzuhal-ten, dass es im Pflegealltag unzählige Möglichkeiten gibt, um die Mobili-tät der Patienten zu fördern. Eine dreijährige Ausbildung reicht hierfür leider oftmals nicht aus. Pflege und Bewegungsförderung ist eine umfas-sende Aufgabe, die ein hohes Maß an pflegerischer Expertise und Er-fahrung voraussetzt.

Uwe Wagner ist Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege am Klinikum Aschaffenburg und freiberuflicher Kinästhetik-Trainer. Mail: [email protected]

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Top-Thema

Übersichtsartikel. Wenn sich Patienten zu wenig bewegen, kann eine gefähr- liche Negativspirale entstehen. Diese zu durchbrechen und Mobilität bestmöglich zu forcieren, ist eine der wichtigsten pflegerischen Aufgaben überhaupt.

Von Siegfried Huhn

Bewegung gezielt fördern

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E s gibt nahezu keinen Lebens-bereich, der nicht an Mobilität

gebunden ist. Sie hat für Menschen ei-nen sehr hohen Stellenwert, da sie für Unabhängigkeit und Selbstbestimmt-heit sorgt.

Ein Mensch, der sich frei bewegen kann, führt diese Fähigkeit im Alltag ganz selbstverständlich und unreflek-tiert aus. Den meisten gesunden Men-schen ist nicht bewusst, dass Bewe-gungsfähigkeit die Grundlage aller körperbezogenen Verrichtungen ist. Auch sozialer Kontakt mit anderen Menschen ist vom Grad der eigenen Mobilität abhängig.

Häufiges Gesundheitsproblem alter Menschen

Die Abnahme funktioneller Fähig-keiten in den Bewegungsabläufen gehört zu den häufigsten Gesund-heitsproblemen alter Menschen. Ursachen sind altersbedingte Verän-derungen im Bewegungsapparat. Sie äußern sich in einer Minderung der groben Kraft, der Feinmotorik und Gelenkbeweglichkeit, im Nachlassen der Reaktionsgeschwindigkeit sowie in herabgesetzter Stell- und Gleich-gewichtsreaktion.

In die altersbedingte Mobilitäts-einschränkung wächst der Mensch langsam hinein. Er lernt gleichzeitig dabei, diese Einschränkungen weit-gehend und über lange Zeit auszu-gleichen.

Problematisch wird die herabge-setzte Mobilität oft erst, wenn sie Schmerzen verursacht, wesentliche Einschränkungen der Funktionalität mit sich bringt oder die Fähigkeit zur Lebensbewältigung mindert.

Mobilitätseingeschränkte Perso-nen, die pflegebedürftig sind, haben neben den altersbedingten Bewe-gungseinschränkungen in der Regel zusätzliche Erkrankungen, die dazu führen, dass dieses an sich fein aus-balancierte System der Alterungs-prozesse nicht aufrecht erhalten werden kann. Es kommt in der Regel zu gravierenden Einschränkungen bei der Orts- und Lageveränderung des Körpers. Massive Pflegeproble-me wie Dekubitus, Kontrakturen und ein reduzierter Allgemeinzu-

stand können die Folge sein. Be-stimmte Risiken können diese Nega-tivspirale begünstigen. Beispiele sind freiheitsentziehende Maßnahmen und medizinisch notwendige Maß-nahmen wie Blasenverweilkatheter, Infusionstherapie und die Gabe bestimmter Medikamente. Hinzu kommen psychologische Faktoren wie Sturzangst, fehlende Ansprache und Depression.

Einschränkungen in der Mobilität ist für Betroffene oft sehr belastend, be-sonders wenn es darum geht, Orte auf-zusuchen oder nicht verlassen zu kön-nen. Je nach Ausprägung der Be- wegungseinschränkung kann diese zu Resignation und Selbstaufgabe führen.

Die Basis: Mobilitätsstatus erheben

Mit einer gezielten Förderung von Beweglichkeit können Pflegende wesentlich dazu beitragen, die be-schriebenen Komplikationen zu ver-hindern. Insofern ist es fatal, dass dies in der Pflege – egal ob im Kran-kenhaus, im Heim oder in der am-bulanten Pflege – zu wenig statt- findet.

Der pflegerische Blick ist eher defizitorientiert und der Fokus liegt auf dem Hilfebedarf, der sich aus den vorhandenen Mobilitätsein-schränkungen ergibt. Bewegung zu fördern und zu unterstützen, ist meist ein Begleithandeln, um weitere Komplikationen wie Druckstellen oder Gelenkversteifungen zu ver-meiden.

Der wesentliche Aspekt der pfle-gerischen Bewegungsförderung liegt in der Verhinderung unnötiger Bett-lägerigkeit und im Angebot fördernder Pflege. Sie gewährt den Patienten und Bewohnern Unter-stützung bei den Alltagsaktivitäten und geht dabei so vor, dass die Res-sourcen der Betroffenen genutzt werden. Wichtig ist, dabei nicht in Aktionismus zu verfallen und das natürliche Bedürfnis alter Menschen nach Ruhe und Erholung zu respek-tieren. Der individuelle Bedarf an Bewegung muss abgewogen werden, um dadurch die Bewegungsfähigkeit zu erhalten und zu fördern.

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Pflegewissenschaftlerinnen wie Mo-nika Krohwinkel, Marlies Beckmann und Angelika Zegelin haben schon früh auf die Bedeutung von Mobilität und Mobilitätsförderung hingewiesen, hier-

Abb. 1 Erfassungsbogen zur Mobilität (EBoMo)© Universität Witten/Herdecke/A. Zegelin

Erfassungsbogen zur Mobilität (EBoMo)

Name des Bewohners: ___________________________________WG: ____________

Datum: _______________________ Handzeichen: ____________

Bemerkungen:

A1: Positionswechsel im Bett

A1.1 Dreht sich im Bett von einer Seite zur anderen

A1.2 Aufstellen der Beine

Gesamt A1.1–A1.2

A2: Transfer

A2.1 Von der Rückenlage im Bett in die Sitzposition

A2.2 Kann in sitzender Position Gleichgewicht zum Stehen verlagern

A2.3 Oberkörper aufrichten

Gesamt A2.1–A2.3

A3: Sitzen im Stuhl

A3.1 Kann frei sitzen (Rumpfkontrolle)

A3.2 Kann für ____ Minuten sitzen

Gesamt A3.1–A3.2

A4: Stehen/Gehen/Treppen steigen

A4.1 Kann beim Stehen das Gleichgewicht halten

A4.2 Kann mindestens ____ Sekunden stehen

A4.3 Kann beim Gehen das Gleichgewicht halten

A4.4 Kann auf der Ebene mindestens ____ Meter gehen

A4.5 Treppen steigen

Gesamt A4.1–A4.5

A5: Bewegung innerhalb/außerhalb der Einrichtung

A5.1 Bewegt sich innerhalb der Einrichtung

A5.2 Bewegt sich außerhalb der Einrichtung

Gesamt A5.1–A5.2

Gesamt A1–A5

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zu gearbeitet und Förderkonzepte entwickelt. Ihnen ist zu verdanken, dass der Themenkomplex Mobilität in den pflegerischen Fokus rückte.

Da der Abbau von funktionellen Fähigkeiten mit dem Alterungspro-zess einhergeht, müssen Mobilitäts-erhalt und -förderung früh beginnen und nicht erst bei vorliegender Pflege-bedürftigkeit. Hier kommt der pro- fessionellen Pflege im Rahmen von Prävention und Gesundheitsberatung eine besondere Aufgabe zu.

Ausgangspunkt für bewegungs-fördernde Interventionen ist die Erhebung des Bewegungsstatus. Hier müssen eindeutige Kriterien vorgegeben werden, weil Pflegeper-sonen mobilitätsbezogene Fähigkei-ten oft unterschiedlich einschätzen.

Eine Arbeitsgruppe um Angelika Zegelin der Universität Witten/Herdecke hat in einem Projekt zur Bewegungsförderung in Pflegehei-men das Instrument „Erfassungsbo-gen zur Mobilität (EBoMo)“ entwi-ckelt (Abb. 1). Dieser enthält insge-samt fünf Mobilitätskategorien, de-nen 14 Items zur Einschätzung der mobilitätsbezogenen Ressourcen zu-geordnet sind. Für jedes Item werden das Ausmaß der Ressourcen in den vier Antwortmöglichkeiten „selbst-ständig“, „mit Hilfsmittel“, „Perso-nenhilfe“ und „komplett unselbst-ständig“ eingeordnet. Je nach Ausprä-gung werden zwischen einem und vier Punkten vergeben. Die Item-Scores dienen der mobilitätsbezoge-nen Statuserhebung. Bei wiederholter Anwendung kann zudem ein Mobili-tätsverlauf abgebildet werden. Für die einzelnen Mobilitätskategorien wer-den Zwischensummen gebildet, aus deren Addition sich eine Gesamt-summe ergibt. Bei weiteren Erhebun-gen wird anhand des Scores ein Ver-lauf skizziert.

Die Autoren des Expertenstan-dards „Erhalt und Förderung der Mo-bilität“ empfehlen zur Einschätzung kein spezielles Instrument, sondern nennen für die Gesamtbeurteilung der Mobilität bestimmte Faktoren (DNQP 2014). Sie beziehen sich auf die Bewe-gungsfähigkeit der Person, auf biografi-sche Aspekte, auf physische, psychische und kognitive Ressourcen und Beein-trächtigungen, auf aktuelle Erkrankun-

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gen und therapeutische Maßnahmen sowie auf die umfeldbezogenen mate-riellen und sozialen Merkmale.

Aus der Einschätzung ergeben sich Mobilitätsprofile, um die Bewe-gungsfähigkeit oder auch die Bewe-gungsbeeinträchtigung zu beschreiben und daraus den Bedarf abzuleiten:n Weitgehende Immobilität: Bei unterschiedlichen Positionen wie Rücken- oder Seitenposition, Schräglage und Sitzen sind kleine Bewegungen selbstständig oder mit Unterstützung möglich.n Teilmobilität außerhalb des Betts: Der Schwerpunkt dieser Fest-legung liegt auf Transfer, Balance, Rumpfkontrolle, Stehen, Standsi-cherheit und Gehfähigkeit. Auch Aspekte wie Kraft, Energie und Mo-tivation sollen berücksichtigt wer-den, die für den Aufenthalt außer-halb des Betts verfügbar sind. n Mobilität außerhalb des Betts: Hier liegen die Schwerpunkte auf selbstständigen Bewegungsabläufen. Beispiele sind der Transfer vom Bett in den Stuhl, das aktive Rollstuhl-fahren, das zielsichere Benutzen von Gehhilfen, das Gehen in Wohnräu-men, auf dem Flur oder der Etage sowie die Ausdauer des Betroffenen.

Pflegerisch gezielt handeln

Interventionen zum Mobilitätserhalt und zur -förderung liegen im Wesent-lichen in der Patienten- und Ange-hörigenedukation, in der Umsetzung von Bewegungskonzepten und dem gezielten Einsatz von Hilfsmitteln.

Der Begriff der Patientenedukati-on setzt sich mehr und mehr als über-geordneter Begriff für Pflegeberatung durch. Als Übersetzung bietet sich „Gesundheitsberatung in der Pflege“ (Huhn 2013) an. Die Patienten- und Angehörigenedukation orientiert sich an der Belastungsfähigkeit der zu be-ratenden Personen. Folgende Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden (DNQP 2014):n Bewegung ist bedeutsam für die Gesundheit, Selbstständigkeit und soziale Möglichkeiten. Dabei muss der Aspekt des Ausruhens themati-siert werden.n Krankheitsspezifische Aspekte müssen bei der Mobilitätsförderung

berücksichtigt werden. Möglichkei-ten anderer Berufsgruppen werden hier aufgegriffen.n Handlungsgewohnheiten und Alltagsverhalten – etwa die grund-sätzlichen Bewegungsmöglichkeiten der Person, das Bewegungsverhalten im Umfeld, Formen der Alltagsge-staltung, Assistenzbedarf und das Anwenden von Hilfsmitteln – haben Bedeutung für die Förderung der Beweglichkeit.

n Bedeutung haben auch Einstel-lungen und emotionale Hintergrün-de, die sich insbesondere auf Mobili-tätseinschränkungen beziehen. Das können Ängste sein, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen oder anderen Menschen zur Last zu fallen.n Räumliche Gestaltung und Wohnraumanpassung sind Möglich-keiten, die Mobilität zu erhalten oder zu fördern. Aspekte wie Stol-perfallen und Möbelplatzierung zur

Abb. 2

Konzepte zur Förderung der Bewegung und Wahrnehmung

Aktivitas Pflege® (begründet durch Marlies Beckmann)

Bobath-Konzept (begründet durch Berta Bobath und Karel Bobath)

Kinästhetik in der Pflege® (begründet durch Frank Hatch und Lenny Maietta)

Aktivierend- rehabilitative Pflege – Fördernde Pflege

Mobilitätsförderung durch das Drei- Schritte-Programm (nach einer Idee von Angelika Zegelin)

Basale Stimulation® in der Pflege (begründet durch Andreas Fröhlich und Christel Bienstein)

Aktivitas Pflege® ist ein auf Aktivierung ausgerichtetes Konzept, das erhaltene Fähigkeiten erweitern und neue Möglichkeiten initiieren möchte. Grenzen der Personen, die miteinander in Interaktion sind, sollen rechtzeitig erkannt und respektiert werden. Die Bewegungsanalyse ist dabei ein grundlegendes Beobachtungs- und Bewertungsinstrument. Die Reduktion von Bewegungsschmerz und Gelenkmobilisation ist ein wichtiger Aspekt des Konzepts.

Das Bobath-Konzept ist ein multiprofessioneller Ansatz in der Rehabilitation und Therapie von Patienten mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Besonders bekannt ist es in der Arbeit mit Schlaganfallkranken und zur Verhinderung von Spastizität. Das Bobath-Konzept stellt einen Lernprozess dar. Die Klienten sollen lernen, die Kontrolle über die Muskelspannung und Bewegungsfunktionen wiederzuerlangen. Im Vordergrund stehen die Regulation des Muskeltonus und die Anbahnung physiologischer Bewegungsabläufe.

Kinästhetik in der Pflege® ist das Studium der Bewegung und der Wahrnehmung, die wiederum aus Bewegung entsteht. Bewegung von Klienten wird im Konzept als Dialog gestaltet. Bewegungsabläufe werden kräftesparend und nach physio- logischen Bewegungsmustern durchgeführt.

Aktivierend-rehabilitative Pflege – Fördernde Pflege ist eine pflegerische Grundhaltung, durch die das Pflegeangebot an den Möglichkeiten und Zielen des Klienten ausgerichtet wird und der Bedarf an Unterstützung unter dem Aspekt der Förderung von Selbstständig- und Unabhängigkeit gestaltet wird.

Es handelt sich um ein Programm zur Förderung der Beweglich-keit. Die Idee ist, Personen mit weitgehenden Einschränkungen der Mobilität einige Schritte mit Unterstützung gehen zu lassen. Personen, die bei größeren Entfernungen im Rollstuhl transportiert werden, sollen wenigstens die letzten drei Schritte laufen. Hierdurch soll ein Anreiz zu selbstständigem Bewegen gesetzt werden und ein Trainingseffekt einsetzen. Pflegende unterstützen soweit wie nötig und nehmen sich in der Assistenz mehr und mehr zurück.

Basale Stimulation® in der Pflege ist ein Konzept zur Förderung der Wahrnehmung und die Anregung primärer Körper- und Be-wegungserfahrungen. Zielgruppe sind Menschen mit erheblicher Wahrnehmungsbeeinträchtigung, deren Eigenaktivität aufgrund mangelnder Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. Mit einfachen Mitteln wird versucht, den Kontakt zu den Menschen aufzu- nehmen, um ihnen den Zugang zu ihrer Umgebung und ihren Mitmenschen zu ermöglichen und Lebensqualität zu erleben.

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Unterstützung der Bewegungsabläu-fe sollten angesprochen werden.n Finanzielle und soziale Unter-stützung ist möglich in Form einer Kostenübernahme bei Hilfsmitteln oder Wohnraumanpassung. Weitere Informationen sollten Unterstüt-zungsmöglichkeiten betreffen, die sich aus dem persönlichen Umfeld oder als professionelle Dienstleis-tung ergeben.n Es bestehen Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Übungsange-boten, die in Einrichtungen zur Mo-bilitätsförderung angeboten werden. Im ambulanten Bereich bestehen zum Teil Angebote der Krankenkas-se wie Krafttraining oder Senioren-gymnastik.n Bewegungsübungen für den All-tag meint insbesondere Übungen, die nach Anleitung gefahrlos selbst-ständig ohne Begleitung durch- geführt werden können, wie Sitz-gymnastik, oder aber Training in Alltagsfertigkeiten.n Außerhäusliche Angebote be-treffen Tageseinrichtungen und am-bulante Rehabilitation. Sie stellen auch eine Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt sicher.n Weitere Aspekte mit Mobilitäts-bezug wie Kontinenzförderung, Sturz- und Dekubitusprophylaxe so-wie Sicherstellung der Ernährung werden thematisiert.

Seit Ende der 1980er-Jahre set-zen sich immer mehr Konzepte der Bewegungs- und Wahrnehmungs-förderung durch. Das Ziel der meis-ten Konzepte besteht darin, die Wahrnehmung für den eigenen Kör-per und die Bewegungsabläufe zu-rückzuerlangen oder zu erhöhen, diese entsprechend der natürlichen Bewegungsmuster zurückzubahnen und die Bewegungsfähigkeit zu för-dern. Neben der handwerklichen Fertigkeit werden auch Umgebungs-faktoren, Raumgestaltung und zum Teil Hilfsmittelnutzung einbezogen.

Für die Pflegepersonen ergibt sich bei den meisten Konzepten die Möglichkeit, die eigene Körperhal-tung und Bewegung zu reflektieren und das Pflegehandeln an Patienten/Bewohnern rückengerecht zu gestal-ten. Es sollten möglichst viele Pfle-gepersonen in diese Konzepte unter-wiesen werden, damit sich die beschriebene Kontinuität herstellen lässt und erfolgreich wird. Für alle in Abbildung 2 aufgeführten Beispiele für Bewegungskonzepte lassen sich entsprechende Erfolge belegen, wenn die Assistenzangebote gleich-bleibend gestaltet werden.

Wichtig zu beachten: Besonders bei der Gestaltung von Maßnahmen der Mobilisation und der direkten Förderung der Mobilität durch Pfle-gepersonen sollen die Vorgehenswei-

sen mit den Akteuren der anderen Berufsgruppen abgestimmt werden. Vielfach macht es Sinn, dass Physio-therapeuten direkte Bewegungsab-läufe für den Alltag planen, wie etwa den Transfer vom Bett in den Stuhl.

Hilfsmittel gezielt einsetzen

Der Einsatz von Hilfsmitteln kann für die Mobilitätsförderung hilfreich sein. Nachfolgend werden einige Beispiele aufgeführt, um deutlich zu machen, wie weit das Feld gesteckt wird, wenn es um Mobilitätshilfen geht. Der Einsatz muss jedoch re-flektiert erfolgen. Denn unter Um-ständen schränkt eine Person die ei-gene Mobilität ein, weil sie Angst hat, im Bedarfsfall keine Hilfe rufen zu können. Oder die Bewegungs-möglichkeiten verändern sich, weil eine sehr weiche Matratze die Wahr-nehmung für den eigenen Körper herabsetzt oder Spontanbewegung erschwert.

Kleine technische Hilfen: Zur Er-leichterung der Pflege, zur Sicher-heit beim Personentransfer und zum rückengerechten Bewegen empfeh-len Unfallversicherer sogenannte technische Hilfsmittel. Diese ma-chen Bewegungsabläufe sicherer und fördern das rückengerechte Arbeiten der Pflegepersonen. Dennoch müs-

1 Mobilisationsgürtel

2 Gleitbrett „Easyglide“

3 Einstiegshilfe „Savanah“

4 Pflegebett „Vis-a-Vis“ von Völker

5 Pflegebett „Vertica care“ von Stiegelmeyer

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sen Pflegepersonen die jeweiligen Transfertechniken beherrschen, die sich an den natürlichen Bewegungs-abläufen der Person orientieren.

Mobilisationsgürtel: Gepolsterte Mobilisationsgürtel mit Griffschlau-fen werden um die Taille des Patien-ten/Bewohners gelegt und fixiert. Die Pflegeperson greift in die Griffschlaufen und unterstützt den Klienten beim Aufstehen. Ist die Person gangunsicher, kann die Pfle-geperson auch während des gemein-samen Gehens in den Griffschlaufen Halt geben und so einen Sturz ver-hindern.

Drehscheibe: Mit der Drehscheibe soll das Problem der fixierten Füße umgangen werden. Die Füße werden auf die Scheibe aufgebracht und bleiben dort fest stehen. Beim Rich-tungswechsel dreht sich die Scheibe und auf ihr die Person und deren Beine. So soll das Risiko der „Kno-ten“ in den Beinen aufgehoben wer-den, wenn der Patient beim Transfer die Beine nicht entsprechend bewe-gen kann. Aus heutiger Sicht gilt der Transfer mit Drehscheibe als über-holt, weil sich die positiven Effekte auch anders erreichen lassen, etwa durch kinästhetischen Transfer. Dennoch: Wo mit der Scheibe er-folgreich gearbeitet wird, kann sie weiter zum Einsatz kommen.

Gleitbrett: Das Gleitbrett ist eine Brücke beim Transfer vom Bett in den Stuhl oder umgekehrt. Das Gleitbrett wird dann eingesetzt, wenn der Patient/Bewohner keine Stabilität in den Beinen hat, kein Bodenkontakt möglich ist oder die Person in sich zu instabil ist, um eine andere Transferlösung zu wählen.

Bade- oder Bettstufe Savanah: Die-ses Stufensystem erleichtert den Einstieg in die Badewanne oder an-dere höher gelegene Bereiche wie Betten oder Sessel. Die einzelnen Stufen sind leicht zu transportieren und dem Höhenunterschied entspre-chend stapelbar. Das System ist als Podest zum Betteinstieg hervorra-gend geeignet, wenn die Betten sich nicht tief genug absenken lassen.

Pflegebetten: Ein höhenverstellbares Pflegebett kann insbesondere dann Mobilität fördern, wenn es von den pflegebedürftigen Personen selbst elektrisch eingestellt werden kann. Für die Pflegeperson ermöglicht es ein rückengerechtes Arbeiten – vo-rausgesetzt, es wird auf die entspre-chende Höhe eingestellt. Die Rollen machen das Bett mobil, wodurch es bequem und bedarfsgerecht positio-niert werden kann. Die Entwicklung von Pflegebetten ist in den letzten Jahren enorm vorangetrieben wor-den. Verfügbar sind unter anderem Multifunktionsbetten mit verschie-denen Einstellungen, Niedrigbetten zur Absenkung des Verletzungsrisi-kos und hochtechnisierte Betten, die als direkte Mobilisationshilfe ange-sehen werden können. Das Bett „Vertica care“ von Stiegelmeyer bei-spielsweise hebt den Patienten dem natürlichen Bewegungsablauf fol-gend sanft aus der horizontalen Lage in eine sitzende und anschließend stehende Position. Der Ablauf wird elektrisch gesteuert, manuelle Unter-stützung ist nicht nötig. Das Klinik-bett „Vis-a-vis“ von Völker wird be-sonders zur Frühmobilisation em-pfohlen. Es erleichtert das Aufstehen der Patienten und das richtige Sitzen mit Bodenkontakt. Das Unterschen-kelteil lässt sich leicht von Hand ver-schieben. Zudem braucht es nicht mehr Platz als ein Nachttisch breit ist.

Notfallhebekissen: Mithilfe des Notfallhebekissens können gestürzte Personen ohne Kraftaufwand und auch von nur einer Pflegeperson auf-gerichtet werden. Das Luftkissen wird ungefüllt unter die liegende Person gebracht. Dann wird Luft eingefüllt, das Hebekissen hebt die liegende Person zunächst in eine sit-zende Position, indem das Rücken-teil sich mit Luft füllt. Aus der sit-zenden Position wird dann Luft in den unteren Teil gebracht, der sich wie ein Sitzhocker entfaltet und den Menschen hebt.

Alle Personen mit Pflegebedarf sind gefährdet

Es zeigt sich, dass es beim Thema Bewegung einen hohen Bedarf an

Wissen gibt, was ein klarer Auftrag für die Pflegewissenschaft ist.

Dennoch lassen sich Möglich-keiten der Mobilitätsförderung er-kennen. Diese konnten in diesem Artikel nur grob skizziert werden. Zur Vertiefung wird die Lektüre des „Praxisheftes Mobilität“ empfohlen, das beim DBfK Nordost erschienen ist und dort bestellt werden kann.

Wichtig zu wissen ist, dass grundsätzlich alle Personen mit Pfle-gebedarf gefährdet sind, Mobilitäts-einschränkungen zu entwickeln. Alte Menschen und Langzeitkranke be-nötigen besondere Aufmerksamkeit.

Es liegen inzwischen ausreichend Informationen zu Risiken und Folgen von Bewegungseinschränkung vor. Auch wissen wir um die Gefahren vermeintlicher Schutzmaßnahmen – etwa beim Sturzrisiko und den damit verbundenen Bewegungseinschrän-kungen. Jetzt braucht es robuste Studien, um handlungsorientierte Maßnahmen zur Mobilitätsförderung zu entwickeln.Literatur und Hilfsmittelquellen beim Verfas-ser.

Siegfried Huhn, M.A., ist Krankenpfleger für geriatrische Rehabilitation und

Gerontopsychiatrie. Er hat Gesundheits- wissenschaften, Sozial- und Bildungs- management studiert. Kontakt über

www.pflegeberatung-siegfried-huhn.de

ZUR VERTIEFUNGPraxisheft Mobilität für die ambu- lante und stationäre Versorgung. Welchen Auftrag hat die Pflege?

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20 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 3|16

„LEBEN IN DIE BUDE BRINGEN!“Bewegungsförderung. In Kliniken und Pflegeheimen wird zu wenig bewegt. Dabei ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Bewegungsförderung zwar oft vor-handen, aber es mangelt schlicht an Zeit, beklagt Prof. Dr. Angelika Zegelin, pensionier-te Professorin der Universität Witten/Herdecke. Sie plädiert dafür, jede Chance der Bewegungsförderung im Pflegealltag zu nutzen – und ein Umfeld zu schaffen, das Menschen motiviert, ihr Bett und ihr Zimmer zu verlassen.

Interview: Brigitte Teigeler

Frau Professor Zegelin, es ist jetzt etwa zehn Jahre her, dass Ihre Dis-sertation zum Thema Bettlägerig-keit erschienen ist. Was war das zen-trale Ergebnis dieser Arbeit? Ich habe in meiner Dissertation den Prozess des Bettlägerigkeit-Werdens beschrieben. Eine ganz wichtige Erkenntnis war dabei, dass die Orts-fixierung – als Vorstadium der Bett-lägerigkeit – viel häufiger ist als die Bettlägerigkeit selbst. Den Begriff Ortsfixierung gab es zuvor gar nicht, mittlerweile ist er in alle Lehrbücher aufgenommen worden.

Was meinen Sie mit Ortsfixierung genau?Das heißt, die Leute können den Ort, an dem sie sich aufhalten, nicht mehr selbstständig wechseln. Sie brauchen Hilfe, um vom Bett in den Sessel, vom Sofa in den Rollstuhl, von dort auf die Toilette zu gelangen und so weiter. Die Betroffenen füh-len sich „festgenagelt“ – so beschrei-ben sie das auch selbst – und bleiben viel sitzen. Sie verlernen das Stehen und Gehen immer weiter. Erschre-ckend ist vor allem, dass bei alten Menschen dieses Stadium der Orts-

fixierung oft sehr schnell erreicht wird – manchmal reicht schon eine Woche Krankenhausaufenthalt – und dass es vielfach von Ärzten und Pflegenden einfach so hingenom-men wird. Die Leute können nach einer Woche nicht mehr laufen, und das wird einfach so akzeptiert! Wie sieht der typische Prozess des Bettlägerig-Werdens aus?Dieser Prozess vollzieht sich in fünf Phasen. Er beginnt mit Instabilität: Die Personen sind in ihrer Bewe-gung leicht eingeschränkt, haben im Winter Angst, nach draußen zu ge-hen, brauchen vielleicht einen Rolla-tor. Dann folgt ein Ereignis, zum Beispiel ein Krankenhausaufenthalt, ein Heimeinzug, ein Sturz oder auch Beinahe-Sturz. Danach wird die Be-weglichkeit dieser Personen plötzlich rapide schlechter – meist innerhalb weniger Tage. Es kommt zur Immo-bilität. Die Personen bewegen sich wenig, es sind aber noch einige Schritte selbstständig möglich. Schließlich kommt es zur Ortsfixie-rung als viertes Stadium, in der die Betroffenen nicht mehr selbstständig aufstehen können und nur noch im Stuhl oder Rollstuhl sitzen. Die Bettlägerigkeit ist erst die letzte Phase. Hier lassen sich je nach Lie-gestunden am Tag eine leichte, mittlere und schwere Form unter-scheiden.

Es hat deutlich schwerwiegendere Folgen, wenn ich eine immobile Person einen Tag nicht bewege,

als einen Tag nicht wasche

Prof. Dr. Angelika Zegelin, 63, ist pensionierte Professorin und Pflegewissenschaftlerin der Universität Witten/Herdecke. Sie hat in ihrer Dissertation zum Thema Bettlägerigkeit

geforscht und beschäftigt sich seitdem mit dem Thema Bewegungsförderung. Mail: [email protected]

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Top-Thema

Jede Chance nutzenWichtig ist die Bewegungsförderung im Alltag – bei allen pflegerischen Interaktionen sollte gleichzeitig eine Bewegung initiiert werden

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Lässt sich diese Spirale durchbre-chen?Ja, die lässt sich jederzeit durchbre-chen. Nur: Je länger man wartet, desto größer ist der Aufwand. Die besten Chancen, die Mobilität effektiv zu för-dern, bestehen in der Phase der Im-mobilität, in der die Betroffenen noch wenige Schritte selbst gehen können. Aber auch eine bestehende Bettläge-rigkeit kann rückgängig gemacht wer-den. Das dauert allerdings sehr lange. Was hat sich rückblickend in den letzten zehn Jahren im Bereich der Bewegungsförderung getan?Eine Menge. Zunächst war es wich-tig, dieses neue Wissen in die Praxis zu tragen. Ich habe zusammen mit anderen Mitarbeitern der Universität Witten/Herdecke rund 200 Vorträge und Hunderte Seminare zum Thema Bewegungsförderung gehalten und etwa 40 Artikel veröffentlicht. Wir haben das Thema in alle Lehrbücher gebracht und viele Praxis-, aber auch Forschungsprojekte angestoßen.Und hat sich dadurch in den Klini-ken und Pflegeinrichtungen etwas geändert?Ja, das Bewusstsein für die Notwen-digkeit einer kontinuierlichen Bewe-gungsförderung ist auf jeden Fall ge-stiegen. Aber die Handlungsmöglich-keiten sind gleichzeitig gesunken. Be-wegungsförderung kostet Zeit, man muss Patienten und Bewohner dabei begleiten. Diese Zeit ist durch den Personalabbau aber nicht mehr da.Wie schätzen Sie die Situation im Moment ein? Wird ausreichend mobilisiert?Ich würde klar sagen: Nein. Einige Einrichtungen haben sich zwar auf den Weg begeben, aber noch erhält die Bewegungsförderung lange nicht die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt. Hier wird der neue Expertenstan-dard „Erhaltung und Förderung der Mobilität“ hoffentlich einiges än-dern. Die stiefmütterliche Rolle der Bewegungsförderung wird auch da-ran deutlich, dass sie weder in den Qualitätsberichten der Heime noch bei den MDK-Prüfungen eine Rolle spielt. Der MDK hinterfragt auch bis heute den Einsatz des Rollstuhls nicht. In vielen Pflegeheimen wer-den Bewohner einfach in den Roll-stuhl gesetzt und verbringen dort

den ganzen Tag. Dabei handelt es sich oft um reine Transportrollstüh-le, die in keiner Weise individuell an-gepasst sind. Es scheint vor allem da-rum zu gehen, tagsüber keine Trans-fers mehr durchführen und nur noch den Rollstuhl bewegen zu müssen. Rollstühle sind damit definitiv ein Zeichen für eine nicht ausreichende Bewegungsförderung und sollten sehr kritisch betrachtet werden. In der ambulanten Pflege ist die Be-wegungsförderung sogar überhaupt nicht vorgesehen, sie kann hier gar nicht abgerechnet werden. Wie ist die Situation im Kranken-haus?Ganz düster, einfach, weil die Zeit nicht ausreicht. Zum Glück liegen die Patienten nicht so lange im Krankenhaus, aber hier wird eine Immobilität oft initialisiert. Der Muskelabbau geht gerade bei älteren Menschen sehr schnell. Da reichen oft wenige Tage. Was raten Sie Pflegenden, die Ihnen sagen: Wir würden gerne mobilisie-ren, aber wir haben zu wenig Zeit?Es gibt einige Dinge, die Pflegende tun können. Sie können die Angehö-rigen einbinden und ihnen zeigen, wie man Menschen aus dem Bett mobilisiert. Sie können darauf drän-gen, dass mehr Physiotherapie ver-ordnet wird. Und sie können ihre eigenen pflegerischen Tätigkeiten überprüfen und überlegen, welche sich davon reduzieren oder um einen Tag verschieben lassen. Ein Beispiel: Das Waschen des Patienten oder Be-wohners wird heute meist immer noch als wichtiger angesehen als das Bewegen. Dabei hat es deutlich schwerwiegendere Folgen, wenn ich eine immobile Person einen Tag nicht bewege, als einen Tag nicht wasche. Hier könnte ich bei Zeit-mangel überlegen, nur eine Katzen-wäsche durchzuführen und die ge-wonnene Zeit für eine Bewegungs-förderung zu nutzen.Sie empfehlen, aus jeder Pflegein-tervention eine Bewegungsaktion zu machen. Wie kann das aussehen?Das ist ganz einfach. Wenn ich zum Beispiel mit einem Bewohner oder Patienten ohnehin zum Waschbe-cken gehe, drehe ich einfach noch-mal eine zusätzliche Runde durchs

Zimmer. Das ist wenig zeitaufwen-dig, hat aber einen sehr positiven Ef-fekt. Wenn ich das Essen zum Pa-tienten bringe, kann ich den Patien-ten dabei unterstützen, sich auf den Stuhl an den Tisch zu setzen. Oder wenn ich eine Infusionsflasche wechsle, kann ich den Patienten gleichzeitig bitten, mal die Arme an die Decke zu strecken oder die Füße kreisen zu lassen. Bei allen pflege- rischen Tätigkeiten, die ohnehin er-folgen, sollte ich mich bemühen, gleichzeitig eine Bewegung zu initi-ieren. Dazu kann man sich auch im Team ein gemeinsames Konzept überlegen oder kleine Anleitungen schreiben.Sie setzen sich für das „Drei-Schritte-Programm“ ein. Was ist das genau?Das heißt, dass im Rollstuhl sitzende Menschen bei allen ohnehin not-wendigen Transfers die letzten Schritte mit Hilfe gehen. Diese Me-thode ist aus meiner Sicht äußerst erfolgreich und eignet sich wirklich für alle immobilen Menschen, damit diese überhaupt mal wieder stehen oder ein paar Schritte gehen.Viele Pflegeheime bieten heute Ba-lance- und Krafttraining an. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?Alles, was die Bewegung fördert, ist sinnvoll. Die Bewegungsförderung ist dann aber sozusagen „outge-sourct“. Es ist eher ein medizinisches oder physiotherapeutisches Konzept. Wichtig ist aber gerade die Bewe-gungsförderung im Pflegealltag. Diese sollte mit Sinn, Freude und der Biografie des Einzelnen ver-knüpft sein. Eigentlich sind wir alle als Couch potatoes programmiert. Wir bewegen uns nur zielgerichtet. Es muss also ein Anreiz da sein, da-mit wir uns überhaupt bewegen. Im häuslichen Umfeld müssen sich die Leute ja auch bewegen, allein um den Briefkasten zu leeren oder sich aus dem Kühlschrank etwas zu trin-ken zu holen. Das entfällt im Pflege-heim. Der Servicegedanke, der mit dem Heimkonzept einhergeht, ist al-so schädlich.Wie lässt sich das ändern?Wir können im Pflegeheim bei-spielsweise die Bewohner ihre Blu-men im Zimmer selbst gießen las-sen, ihnen sinnvolle Aufgaben über-

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tragen, vielleicht auch auf anderen Wohnbereichen, damit sie mal einen anderen Ort aufsuchen müssen. Be-wegung kann anstrengend sein und Schmerzen verursachen. Alte Leute bewegen sich nicht einfach so, wir müssen ihnen schon etwas Interes-santes anbieten, damit sie motiviert sind. Wir müssen also Leben in die Bude bringen.Um mehr Leben ins Krankenhaus zu bringen, haben Sie das Konzept der Klinikspaziergänge entwickelt. Was ist das Ziel?Die Klinikspaziergänge sind so et-was Ähnliches wie ein Rundgang oder ein Parcours, der durchs Kran-kenhaus führt. Dieser umfasst verschiedene Stationen oder Halte-punkte, an denen es etwas Interes-santes zu lesen oder zu schauen gibt, aber auch eine Gelegenheit zum Ausruhen. Mit diesen Klinikspazier-gängen kann die Bewegungsförde-rung im Krankenhaus unterstützt werden, auch können Besucher ein-gebunden werden. Mittlerweile haben viele Krankenhäuser solche Klinikspaziergänge – oft auch unter einem speziellen Motto – etabliert.Was kann im Krankenhaus weiter getan werden, um auch bei knappen Personalressourcen die Mobilität der Patienten zu fördern?

Wichtig ist, dass sowohl Ärzte als auch Pflegende die Wichtigkeit der Bewegung in Gesprächen immer wieder betonen und beispielsweise sagen: „Sie müssen viel herumlaufen“ oder „Es ist wichtig, dass Sie auch im Bett Bewegungsübungen machen.“ Man könnte auch eine regelrechte „Bewegungszeit“ ausrufen, die bei-spielsweise täglich von 14 bis 16 Uhr gilt. Pflegende können die Besucher bitten, mit dem Patienten durch die Klinik oder über die Station zu lau-fen. Grundsätzlich sollte überdacht werden, ob wirklich alles – wie Essen und Medikamente – ans Bett ge-bracht werden muss. Dieses Service-Denken, aber auch die Architektur eines Krankenhaus blockieren eine gute Bewegungskultur.Warum die Architektur?Auf fast allen Stationen gibt es lange Flure ohne Sitzmöglichkeit. Viel besser wäre, wenn alle paar Meter ei-ne Sitzecke wäre, sodass sich Patien-ten, die über den Flur laufen, auch mal hinsetzen können. Sinnvoll wäre auch ein großer Essensraum, damit die Patienten zum Essen aufstehen, in einen anderen Raum gehen und sich dort an den Tisch setzen müs-sen. Aber dafür gibt es keine Räum-lichkeiten. Ich würde auch für eine zentrale Medikamentenverteilung

plädieren. Es ist wichtig, nicht alles ans Bett zu bringen, zumindest bei Patienten, die noch aufstehen kön-nen.Was muss sich sonst noch ändern?Bewegung ist für mich die zentrale ATL, von der viele weitere abhän-gen. Sie ist lange als Stiefkind be-handelt worden und muss viel stär-ker als Schwerpunkt betrachtet wer-den. Bewegung ist zentral für die Stimmung, die Kommunikation, das Denken. Gerade Denken und Bewe-gen hängen eng zusammen, und es deutet alles daraufhin, dass Immobi-lität zu einem kognitiven Abbau führt. Diese Zusammenhänge soll-ten allen, die in der Pflege arbeiten, klar sein. Raussetzen allein reicht nicht. Jeder Bewohner und jeder Patient sollte wenigstens ein paar Schritte am Tag gehen. Gerade im Krankenhaus gibt es viel Nachholbe-darf, was die Bewegungsförderung betrifft. Allerdings weiß ich auch nicht, wie das besser werden soll, wenn im Frühdienst gerade mal drei Pflegende für 40 Patienten zuständig sind.Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Professor Zegelin.

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Motiviert zur BewegungAm Tiergatter blühen die Bewohner auf

Ein Miauen hier, ein Quaken dort – Katzen, Enten, Hunde, Schafe, Hühner, Vögel, Hasen und viele weitere Kleintiere gehören zum Alltag im Seniorenstift Kronthal und sind fester Bestandteil des Projekts „Kronthaler-Bewegungs-Memory“. An insgesamt 34 Orten im Innen- und Außenbereich der Einrichtung werden die Bewohner zu verschie- denen Bewegungsübungen angehalten – sei es im Kräutergarten, im Tan-te-Emma-Laden, im Näh- und Hobbyraum oder im Tiergatter. Ein Handlauf etwa, der um das Gatter in Höhe der meist im Rollstuhl sitzenden Bewohner angebracht ist, soll die Senioren anregen, sich auf-zurichten und die Tiere zu streicheln oder zu füttern.

„Wir haben uns bewusst angeschaut, welche Orte reizvoll für die Be-wohner sind und wie wir ihr Interesse daran betonen können“, so Sabine Hindrichs, Projektbegleiterin für das Seniorenstift Kronthal. Denn de-menzielle Erkrankungen führten oft zu Unrecht zu einer zunehmenden Immobilität. Deshalb startete sie 2014 das Mobilitätsprojekt. Dabei ging es dem Seniorenstift nicht um ein „Sonderprogramm“ Mobilität, son-dern vielmehr sollten alltägliche Abläufe hin zu mehr Mobilität verän-dert und innerhalb dieser Abläufe Mobilitätsanreize geschaffen werden.

Mit einem begleitenden Fotoband unterstützt das Seniorenstift bewusst Angehörige, Besucher und Bewohner, um sie zu motivieren, gemeinsam die unterschiedlichen Stationen aufzusuchen und auszupro-bieren. „Es war ein langer und mitunter nicht immer einfacher Prozess, alle Beteiligten von dem Mobilitätskonzept zu überzeugen, und bedurfte einer kontinuierlichen Prozessbegleitung in Form von Fortbildungen und Workshops“, verrät Hindrichs.

Mittlerweile aber stünden alle hinter dem Projekt. „Auch wenn es regnet, gehen wir jetzt raus.“ Wichtig sei, die Bewohner neugierig zu ma-chen, ihnen aber gleichzeitig einen geregelten Tagesablauf zu bieten.

Mit dem Kronthaler-Bewegungs-Memory scheint dies gelungen zu sein. Denn mittlerweile haben sogar andere Einrichtung Interesse an dem Projekt bekundet und wollen es adaptieren, verrät Hindrichs.

Körperlich und geistig fit bleibenBest-Practice-Beispiele zur Mobilitätsförderung. Einige Einrichtungen unterstützen nicht nur die Mobilität ihrer Patienten, sondern setzen bewusst auf kreative Konzepte, um ihre Agilität zu fördern. Wir stellen drei gelungene Projekte vor.

Von Nadine Millich

Tiere als Mobilitätsanreiz

POSTER MOTIVIERTAcht Gründe, warum Patienten im Krankenhaus in Bewegung bleiben sollten, fasst ein von Prof. Dr. Angelika Zegelin entwickeltes Poster zusammen. Es soll Hilfe- stellung sowie Ansporn zugleich sein und verdeutlicht, dass Bewegung die Muskulatur stärkt, den Kreislauf in Schwung bringt, die Selbstständigkeit erhält und die Geselligkeit fördert. Das Poster im A2-Format eignet sich für alle Klinikstationen und kann über den Pflege e. V. angefordert werden. Die Kosten belaufen sich auf vier Euro zuzüglich zwei Euro Porto. Ein Rabatt bei Mehrfachbestellung ist möglich. www.stiftung-pflege.de

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Seit Mitte 2015 forciert Martin Motzkus eine Mobilitätsoffensive am Evangelischen Krankenhaus Mülheim an der Ruhr. „Viele Patien-ten bekommen pauschal mehr Be-wegung verordnet. In den meisten Fällen wissen sie aber gar nicht ge-nau, wie sie das konkret umsetzen sollen“, weiß der Leiter für das Wundmanagement. Deshalb hat er gemeinsam mit Kollegen aus der Pflege, Ärzteschaft, Physiotherapie und anderen Bereichen verschiedene Ideen entwickelt, wie Patienten zu mehr Bewegung animiert werden können. „Wir wollen Motive schaf-fen, um die Patienten aus ihren Zim-mern und vom Fernseher weg zu lo-cken“, sagt Motzkus.

Kurz vor dem Start steht aktuell einer von drei Pfaden, der auf den Ansatz der Klinikspaziergänge von Prof. Dr. Angelika Zegelin zurück-geht. In Kooperation mit dem Mülheimer Sportbund soll im Früh-jahr „Sport im Park“ stattfinden. Die Aktion knüpft an das bereits seit längerem in Mülheim an der Ruhr bestehende Projekt „Bewegt älter

werden“ an und erweitert es um kos-tenfreie, niedrigschwellige Bewe-gungsangebote im Außengelände der Klinik. Darüber hinaus sind ein spiritueller und fachlicher Pfad ge-plant. Auf letzterem können sich die Patienten über verschiedene Berufs-bilder im Krankenhaus informieren und mehr über die einzelnen Tätig-keitsfelder erfahren. Der spirituelle Pfad soll helfen, Mobilität von ver-schiedenen Perspektiven aus wahr- zunehmen: „Körperliche Immobili-tät kann sich durchaus auch negativ auf die geistige Fitness auswirken. Beidem wollen wir gezielt mit unse-ren Pfaden entgegenwirken“, so Motzkus.

Damit das Projekt langfristig Er-folg hat, soll es noch in diesem Jahr im Curriculum der hauseigenen Pflegeschule integriert werden. „Die Schüler sollen das Projekt weiterent-wickeln, hin zu einem bewegten Krankenhaus“, so die Vision von Motzkus. Denn oft würden Projekte wieder einschlafen, wenn das Perso-nal wechsele. Dem will er von An-fang an entgegenwirken. „Neben der

medizinischen Leistung der Ärzte ist die pflegerische Kompetenz ein maßgeblicher Faktor im Heilungs-prozess. Die Krankenhausleitung sieht die motivierende Leistung der Pflege als so wichtig an, dass es nicht mehr um die Frage geht, ob bewegungsfördernde Konzepte um-gesetzt werden, sondern wie es getan wird“, verdeutlicht der Pro-jektleiter.

Das sei aber ein zeitintensiver Prozess und dürfe nicht unterschätzt werden. Außerdem appelliert der Wundmanager an das Eigenengage-ment von Patienten und ihren Ange-hörigen. „Wir setzen Anreize, damit sie auch selbst aktiv werden können.“ Künftig solle auch jeder Arzt, der einem Patienten mehr Be-wegung verordne, auf die neuen Angebote aufmerksam machen. Da-zu werden zusammen mit der Unternehmenskommunikation Fly-er, Wegweiser und weitere Kommu-nikationsmaßnahmen umgesetzt.

Abwechslungsreich gestaltetDer Patientengarten am Evangelischen Krankenhaus Mülheim wird eine der Anlaufstellen bei den Klinikspazier-gängen werden

Pflegeschüler einbinden

Top-Thema

Foto: Ev. Krankenhaus Mühlheim

26 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 3|16

Bewusster pflegen, Patienten einbinden – nach diesem Credo handelt das Pflegeteam um Gabriele Königer im Herz-Gefäß-Zentrum des Klinikums Nürnberg, wenn es darum geht, Pa-tienten nach einer OP schnell wieder fit zu bekommen. „Und das erfordert nicht einmal mehr Ressourcen“, sagt die pflegewissenschaftliche Mit-arbeiterin. Denn: Patienten beispielsweise am Waschbecken und nicht am Bett zu waschen, dauere gegebenenfalls einige Minuten länger, dafür aber würden sie schneller agiler, seien weni-ger deliranfällig und könnten das Krankenhaus eher wieder verlassen. Schon fünf Minuten Bewe-gung bewirkten wahre Wunder. „Entscheidend dabei ist, einzelne Bewegungsübungen bedarfs- gerecht mit dem Patienten abzustimmen und ihm genau zu erklären, warum er was wie machen sollte“, so Königer.

Damit Patienten besser nachvollziehen kön-nen, warum Bewegung für ihre Wundheilung und Genesung so wichtig ist, wird seit Mitte 2015 in der Klinik für Herzchirurgie an verschiedenen Konzepten gearbeitet. „Mobilität haben wir natürlich immer schon gefördert. Jetzt machen wir das einfach noch bewusster“, sagt Königer.

Anstoß dazu gab der aktuell in Überarbeitung befindliche Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“. Neben einer Fotostrecke „Wie bewege ich mich richtig in der Herzchirurgie“ wird aktuell gemeinsam mit Physiotherapeuten des Klinikums ein Trimm-dich-Pfad für Patienten entwickelt. Anhand an-

schaulicher Poster neben den einzelnen Übungs-stationen können verschiedene Atem- und Be- wegungsübungen entlang des Pfads absolviert werden.

Verantwortlich für die konkrete Umsetzung auf der Station ist die fachverantwortliche Pflege-person Andrea Ulscht. Das Ziel: Patienten zu mehr eigenständiger Bewegung zu aktivieren, sie zu in-formieren, was sie für ihre Mobilitätsförderung tun können, und ihnen aufzuzeigen, welche Folgen Immobilität hat, die bis zur Bettlägerigkeit führen kann.

Es soll aber nicht nur die körperliche Mobilität gefördert werden, sondern auch die geistige. Daher gibt es ebenso Übungen zum Denken wie die „Blumenwiese“. Bei dieser Übung ist der Patient aufgefordert, Pusteblumen zu suchen, zu zählen und sich an einem entfernten Platz die Lösung ab-zuholen. „Die Patienten werden angeregt, sich zu mobilisieren, sich geistig zu bewegen und sich nicht aus Langeweile ins Bett zu legen“, verdeut-licht Königer. Der Trimm-dich-Pfad solle dabei Patienten und Angehörige gleichermaßen moti-vieren und die Notwendigkeit von Mobilitätsför-derung aufzeigen. „Wir appellieren an die Eigen-verantwortung eines jeden, denn ohne die Einsicht des Patienten, lässt sich wenig bewegen, fördern oder erhalten“, so ihre Erfahrungen.

Weil die Konzepte zudem von den Mitarbei-tern erarbeitet und nicht von „oben“ vorgegeben würden, sei das Projekt langfristig erfolgreich, ist sich Königer sicher.

Auch geistig fit bleibenDie Übung „Blumenwiese“ kombiniert körperliche und geistige Mobilität

Schnell wieder fit dank Trimm-dich-Pfad

„Blumenwiese”

Bewegung ist gesund. Sie fördert die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung.

Übung: Suchen Sie die Blumenwiese, gehen Sie 2 – 3 x herum, zählen Sie wie viele „Pusteblumen” es gibt.

Die richtige Lösung finden Sie an der Tür zur „Teeküche”

Fotos: iStock.com/bgfoto/7io

Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 11|17 45

Bewegung im Pflegealltag fördern

Das Konzept Kinaesthetics hilft, Bewegungsaktivitäten anderer Menschen zu unterstützen. Die Grundlage hierfür bildet die Fähigkeit zu einer achtsamen Interaktion über Berührung und Bewegung. Damit kann es gelingen – wie im Expertenstandard gefordert –, die Mobilität von Patienten und Bewohnern zu erhalten und zu fördern.

Von Maren Asmussen und Martina Huth

K inaesthetics – ein Begriff, der sich mit „Kunst von der Be-

wegungsempfindung“ übersetzen lässt – hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fest im Gesund-heitswesen etabliert. In Grund- und Aufbaukursen lernen Pflegende, ih-ren Patienten ein schonendes und schmerzfreies Bewegungsangebot zu machen und damit ihre Selbststän-digkeit zu fördern. Auf rückenschä-digendes Tragen wird dabei weitest-gehend verzichtet.

In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Kinaesthetics bei Patien-ten Schmerzen reduzieren, die Liege-dauer verkürzen, funktionale Fähig-keiten verbessern sowie zu mehr Eigenständigkeit beitragen kann (Christen et al. 2002, Eisenschink et al. 2003, Hantikainen et al. 2006, Frey 2003, Haasenritter et al. 2009, Huth et al. 2013). Pflegende profitieren ebenfalls, weil die Anwendung des Konzepts die körperliche Belastung reduziert (Hantikainen et al. 2005).

Teilnehmer von Basiskursen möchten anfangs häufig vorrangig neue Bewegungs- und Transfermög-lichkeiten erlernen. Das Konzept zielt jedoch primär darauf ab, sich mit der eigenen Bewegung zu be-schäftigen und eine höhere Kompe-tenz in der Interaktion mit anderen Menschen zu erlangen. Durch zu-nehmende Reflexion und die Fähig-

keit, sich auf die individuelle Situa-tion des Patienten einzulassen, kommt es zu einer größeren Acht-samkeit für die spezifischen Res-sourcen. Zudem entwickeln Pfle-gende in Kinaesthetics-Kursen die Fähigkeit, ihre Unterstützungsange-bote im Praxisalltag zu verfeinern (Fringer et al. 2015).

Wie Bewegungsaktivitäten unterstützt werden können

Mithilfe von Kinaesthetics können Bewegungskompetenzen in unter-schiedlichen Aktivitäten umfassend ergründet und beschrieben werden. Sechs Kinaesthetics-Konzepte stel-len die Basis. Diese liefern kein Pa-tentrezept, was in einer Situation zu tun ist. Sie ermöglichen den Pfle-genden vielmehr – durch die Auf-merksamkeit auf verschiedene Blick-winkel –, ihr Verhalten und ihr An-gebot an die jeweilige Situation ihrer Klienten anzupassen. n 1. Interaktion: Qualität des Aus-tausches zwischen Klient und Pfle-geperson,n 2. Funktionale Anatomie: Ana-tomische Grundlagen für die Bewe-gung sowie den Gewichtsverlauf in der Schwerkraft,n 3. Menschliche Bewegung: Be-wegungsrichtung und Bewegungs-muster,

Kinaesthetics

n 4. Anstrengung: Reduktion von Anstrengung und Förderung der Ei-genaktivität durch ein effektives Ge-stalten von Ziehen und Drücken,n 5. Menschliche Funktion: Posi-tionen, welche eingenommen, und Art und Weise, wie die jeweiligen Aktivitäten durchgeführt werden können, n 6. Umgebung: Fördernde und be-hindernde äußere Faktoren für die Bewegung.

Oftmals ist es vor einer Aktivität notwendig, dem Patienten durch ei-ne Kontaktaufnahme über Berüh-rung Ruhe zu vermitteln und eine Orientierung anzubieten. Durch Schulung des kinästhetischen Sin-nessystems wird Pflegekräften eine berührungsgelenkte Kommunikati-on mit den Patienten über gemeinsa-me Bewegungsprozesse ermöglicht. Werden Patienten in ihren Bewe-gungsaktivitäten angepasst unter-stützt, kann dies Ängste, Unruhe, Schmerzen oder eine hohe Körper-spannung reduzieren (Asmussen, 2016).

Den Patientenkontakt als Lernangebot gestalten

Pflegende stehen oft vor der Heraus-forderung, neben den Anforderun-gen des Stationsalltags auch den in-dividuellen Bedürfnissen der Patien-

Praxis

46 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 11|17

Aufstehen aus dem Bett

Die Möglichkeiten der postoperativen Mobilisation können mit dem Patienten bereits im Vorfeld erarbeitet werden, etwa um Schmerzen besser zu regulieren und Selbstständigkeit zu fördern. Erfahrungsberichte zeigen, dass Patienten sich dann besser an eine Situation anpassen können. Aber auch postoperativ kommt der Qualität der Anleitung eine Bedeutung zu, um Eigenaktivität zu fördern und Ängste zu vermindern. Aufgrund der individuellen Unterschiede der Situationen und beteiligten Akteure kann keine allgemeingültige Handlungs- anweisung vorgegeben werden. Die gegenseitige Bewegungsanpassung der Beteiligten ergibt sich immer erst innerhalb der Interaktion, sodass einzelne Bewegungsabläufe nicht im Detail planbar sind. Die folgende Darstellung stellt daher lediglich einen Anhaltspunkt für einen möglichen Ablauf dar. Erarbeitet wird hier die Kompetenz, die Arme und Beine gezielt für einen Bewegungsablauf einzusetzen.

Die Pflegekraft bespricht mit der Patientin die Situation und das Vor- gehen. Sie schlägt vor, dass langsam und schrittweise vorgegangen wird und dass zunächst noch im Liegen die Bewegungsmöglichkeiten erfasst werden.

Die Patientin erfährt, wie sie ein Bein nach dem anderen aufstellen kann, so-dass die Anstrengung nicht zu groß ist und keine Schmerzen auftreten. Wenn die Pflegende die Bewegung begleitet, bietet sie kleine Impulse und wartet, was die Patientin mit ihrer Unterstützung selbst tun kann.

Die Patientin kann verschiedene Möglich-keiten ausprobieren, was sie mit den Beinen tun kann – wie sie zum Beispiel die Füße über Vorfuß und Ferse ver- setzen kann, ohne sie anzuheben, oder wie sie das Gewicht auf die Beine geben kann, um das Becken zur Seite zu bewe-gen.

Die Patientin kann auch ausprobieren, welche Möglichkeiten sie mit den Armen hat – wie sie zum Beispiel mit den Ellbogen drücken kann oder wie sie sich auf der Seite liegend mit dem Armen abstützen kann.

Wenn die Patientin auf der Seite liegt, kann sie ausprobieren, wie sie nach- einander die Unterschenkel aus dem Bett gleiten lassen kann, während die Oberschenkel noch sicher im Bett liegen. Sie kann ihre Arme zum Abstüt-zen benutzen, um sich aufzusetzen.

Im Sitzen kann die Patientin sich mit den Händen oder Fäusten abstützen, bis sie die Beine am Boden hat und zum Stehen gelangt.

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ten nachzukommen, etwa bei der Mobilisation und der Unterstützung bei Alltagshandlungen. Zeitdruck kann einen negativen Einfluss auf die Interaktion mit dem Patienten haben und dazu führen, dass Aktivi-täten voreilig übernommen werden, die der Patient womöglich hätte selbst ausführen können. Auch man-gelnde Erfolgserlebnisse in der prak-tischen Umsetzung des Konzepts Kinaesthetics führen schnell zu Re-signation auf beiden Seiten (Fringer et al. 2014, 2015). In der Bilderstre-cke (s. S. 46) wird am Beispiel der postoperativen Mobilisation gezeigt, wie eine berührungsgelenkte Inter-aktion mit dem Patienten gelingen kann.

Um Patienten in ihrer Bewegung anzuleiten, ist eine offene und „nicht-wissende“ Haltung bezüglich des Ablaufs notwendig. Dieser darf sich entwickeln. Folgende Aspekte haben sich als nützlich erwiesen: n �Fragen Sie den Patienten nach seiner Vorgehensweise: „Wie steigen Sie normalerweise aus dem Bett?“ oder „Worauf achten Sie?“ Dabei ist es sinnvoll, immer nur eine Frage zu stellen und die Antwort abzuwarten.n �Geben Sie Hinweise zur Art der Begleitung: „Ich begleite Sie“ oder „Ich leite Sie ein wenig an, damit es leicht geht.“ Oder „Ich begleite Sie, damit Sie gut auf sich achten kön-nen.“ Oder: „Ich unterstütze Sie da, wo Sie nicht weiterkommen. Sie versuchen, langsam zu beginnen.“n �Es ist hilfreich, die eigene Wort-wahl bei Bewegungsaufforderungen zu reflektieren und anzupassen, zum Beispiel „Winkeln Sie das Bein an“, statt: „Heben Sie das Bein an“.n �Haben Sie den Patienten zur Be-wegung aufgefordert, sollten Sie für einige Sekunden seine Reaktion ab-warten. Werden bestimmte Bewe-gungsanteile zu früh übernommen, nehmen Sie dem Patienten die Möglichkeit, seine eigene Ressour-cen zu entdecken und zu nutzen. n �Sich auf die eigene Bewegung zu konzentrieren, gelingt besser, wenn man währenddessen wenig spricht.n �Gönnen Sie dem Patienten kurze Pausen nach Erläuterungen. Diese helfen ihm, sich auf seine Bewegungs-wahrnehmung zu konzentrieren.

Die Kompetenzen der Teams stärken

Die Grundprinzipien einer berüh-rungsgelenkten Interaktion lassen sich auf nahezu alle Aktivitäten der Pflege übertragen – die Mobilisati-on, die Körperpflege, das An- und Auskleiden. Sie haben somit einen hohen Stellenwert für die berufliche Handlungskompetenz von Pflegen-den, die zu kompetenten Lernbeglei-tern werden.

Um Kinaesthetics-Kompetenz in einer Einrichtung nachhaltig zu im-plementieren, reicht jedoch eine ein-malige Grundkursschulung von Ein-zelpersonen nicht aus (Badke 2001). Es bedarf vielmehr der Vertiefung durch Aufbaukurse sowie der Schu-lung ganzer Teams. Eine kontinuier-liche Praxisbegleitung durch Mitar-beiter mit einer weiterführenden Qualifikation und Einzelcoaching oder Themenworkshops durch Ki-naesthetics-Trainer stärken die nach-haltige Umsetzung der Bewegungs-förderung.

Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Expertenstandards „Erhaltung und Förderung der Mo-bilität in der Pflege“ wichtig. Durch das Kennen und Anwenden der kin-ästhetischen Grundprinzipien wer-den die Kompetenzen der Teammit-glieder im Hinblick auf Beratung, Einschätzung, Durchführung und Evaluation der Bewegungsförderung gestärkt.

Asmussen, M. (2016). „Wie ein gemeinsamer Tanz“. Berührung und Bewegung in der Pfle-ge. Mabuse, 223. S. 29–31Badke, V. (2001). Welche Erfahrung machen Pflegende mit ersten Umsetzungsversuchen der Kinästhetik? Pflegezeitschrift, 6. S. 1–12Christen, L., Scheidegger, J., Grossenbacher, G., Christen, S. & Oehninger, R. (2002). Quali-tativer und quantitativer Vergleich des Befin-dens bei der Pflegearbeit vor und nach Kinäs-thetik-Grundschulung in einer nuklear- und radiotherapeutischen Klinik. Pflege, 15. S. 103–111Eisenschink, A.-M., Kirchner, E., Bauder-Missbach, H., Lay, S. & Kron, M. (2003). Aus-wirkungen der kinästhetischen Mobilisation im Vergleich zur Standardmobilisation auf die Atemfunktion bei Patienten nach aorto-coro-narer Bypass-Operation. Pflege, 16. S. 205–215European Kinaesthetics Association (EKA) (2016). Kinaesthetics Konzeptsystem. Linz: EKA Frey, C. (2003). Auswirkungen kinästheti-scher Unterweisungen auf die Körpererfah-

rung querschnittgelähmter Menschen. Mas-terarbeit am Institut für Pflegewissenschaf-ten, Witten Herdecke. UnveröffentlichtFringer, A.; Huth, M. & Hantikainen, V. (2014). Nurses‘ experience with the implementation of the Kinaesthetics movement competence training into elderly nursing care: a qualitative focus group study. Scandinavian Journal of caring Sciences, doi: 10.1111/scs.12108Fringer, A.; Huth, M. & Hantikainen, V. (2015). Nurses‘ learning experiences with the Kinaes-thetics care concept training in a nursing home: a qualitative descriptive study. Educa-tional Gerontology, doi: 10.1080/03601277. 2015.1065684 Hantikainen, V.; Tamminen-Peter, L.; Sten-holm, S. & Arve, S. (2005). Does nurses` skills in Kinaesthetics influence to the physical strain on the nurses? Primary results. Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung, 1, S. 150–152Hantikainen, V.; Riesen-Uru, S.; Raemy-Röthl, B. & Hirsbrunner, T. (2006). Die Bewegungs-unterstützung nach Kinästhetik und die Ent-wicklung und Förderung von Körperwahrneh-mung, Bewegungsfähigkeit und funktioneller Unabhängigkeit bei alten Menschen. Eine Fallstudie. Pflege, 19, S. 11–22Haasenritter, J.; Eisenschink, A.-M.; Kirchner, E.; Bauder-Missbach, H.; Brach, M; Veith, J.; Sander, S. & Panfil, E.-M. (2009). Auswirkun-gen eines präoperativen Bewegungsschu-lungsprogramms nach dem für kinästheti-sche Mobilisation aufgebauten Viv-Arte- Lernmodell auf Mobilität, Schmerzen und postoperative Verweildauer bei Patienten mit elektiver medianer Laparatomie. Eine pro-spektive, randomisierte und kontrollierte Pi-lotstudie. Pflege, 22, 1. S. 19–28Huth, M.; Schnepp, W. & Bienstein, Ch. (2013). Nutzen von Kinaesthetics-Schulungen für die Bewältigung der häuslichen Pflege -situation – die Sichtweise von Angehörigen. Pflegewissenschaft 11/13, S. 586–599

Maren Asmussen ist Diplom-Pädagogin, Kinaesthetics-Ausbilderin sowie Kranken-

schwester und arbeitet als Geschäftsführung bei Kinaesthetics Deutschland.

Mail: [email protected]

Martina Huth ist Pflegewissenschaftlerin (M.Sc.), Dipl.-Berufspädagogin (FH) sowie

Kinaesthetics-Trainerin und arbeitet als Lehrkraft und Kursleitung am Institut für

Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung (IfGK) der Gesundheitsholding

Werra-Meißner GmbH.Mail: [email protected]

Praxis

34 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 11|16

So mobil wie möglichBewegungsförderung bei Adipositas. Heute werden immer mehr übergewichtige Menschen im Krankenhaus versorgt. Für die Pflege bedeutet die Mobilisierung und Positionierung dieser Patienten eine Herausforderung. Pflegende benötigen dazu gute Hilfsmittel und ein fundiertes Wissen über unterschiedliche Bewegungskonzepte.

Von Dominik Zergiebel

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Pflegen + Unterstützen

E ine wichtige Regel für Pfle-gende im Kontakt mit adipö-

sen Menschen ist der achtsame Um-gang. Oft sind die Menschen durch die Vorurteile in der Gesellschaft oder eigene negative Erfahrungen verletzbarer. Sie können im Krank-heitserleben mit depressiven Episo-den konfrontiert sein.

Die Deutsche Angestellten Krankenkasse hat die Wahrneh-mung adipöser Menschen im „XXL-Report: So werden dicke Menschen ausgegrenzt“ untersucht (2016). Er-gebnisse waren negative Zuschrei-bungen und verbreitete Vorurteile gegenüber Übergewichtigen. Daraus abgeleitet findet zurzeit eine Kam-pagne mit dem Titel „Schwere[s]los“ statt, die zu mehr Akzeptanz und Wissen in der Gesellschaft bezüglich Adipositas führen soll (1).

Risiko Immobilität

Besondere Probleme durch das Übergewicht entstehen bei einer Krankenhausbehandlung durch Be-wegungseinschränkung und Inakti-vität. Diese führen zu Kraftverlust mit einer weiter fortschreitenden Immobilisierung. Die Nebenwirkun-gen, die damit einhergehen, sind Thrombosen, Dekubitus, eine einge-schränkte Atmung, ein verlängerter Krankheitsverlauf und eine langsa-mere Genesung.

Pflegende sehen durch das Ge-wicht und die Größe, zum Beispiel des Abdomens, von Beginn an die Beweglichkeit eingeschränkt. Diese Sichtweise kann dazu führen, dass keine Mobilisationsangebote gege-ben oder aktive Bewegungsüber-gänge nicht in die Pflege integriert werden.

Allerdings ist ein hohes Körper-gewicht auch eine Ursache für eine stärkere Belastung der Pflegenden. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsphysiologie in Dortmund ha-ben kritische Werte für verschiedene Pflegetätigkeiten mit schwergewich-tigen Patienten ergeben. Diese ho-hen Belastungen der Wirbelsäule können zu Erkrankungen des Mus-kel-Skelett-Systems führen. Solche Erkrankungen treten in der Pflege

deutlich häufiger auf als in anderen Berufen und bedeuten lange Ausfall-zeiten und einen großen volkswirt-schaftlichen Schaden.

Angepasste gute Techniken, der Einsatz vielfältiger Hilfsmittel sowie eine aktivierende Pflege können die-se gefährliche Überlastung redu- zieren und dem Team gemeinsam Erfolge ermöglichen. Eine wichtige Basis ist ein grundlegendes Wissen über die verschiedenen Bewegungs-konzepte und deren konsequente Anwendung.

Dazu gehört bei der Pflege schwergewichtiger Patienten auch eine belastungsreduzierende Ar-

beitsweise, das heißt ein konsequen-tes Anwenden der optimierten Ar-beitsweise verbunden mit dem Ein-satz kleiner Hilfsmittel. Deutlich ist aber auch, dass ohne technische Hilfsmittel wie Patientenlifter keine Pflege adipöser Menschen möglich ist, ohne dauerhaft das Muskel- und Skelettsystem der Pflegekräfte zu schädigen (2).

Hilfsmittel – genau auf das Gewicht abgestimmt

Verschiedene Hilfsmittel werden in der bariatrischen Pflege eingesetzt. Dazu gehören auch elektronische

ADIPOSITAS – EIN ZUNEHMENDES PROBLEMDie Anzahl der adipösen Menschen ist in den letzten Jahren angestiegen. Heute sind in Deutschland 20 Millionen Menschen übergewichtig und rund zehn Millionen Menschen gelten als adipös (3).

Die Versorgung dieser Menschen wird in dem Fachbereich der Bariatrie geleistet. Bariatrie stammt aus dem griechischen Wort für Schwere und bezeichnet als medizinisches Teilgebiet die Beschäftigung im Sinne von Behandlung, Vorbeugung und Erforschung des Übergewichtes.

In der interdisziplinären S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipo-sitas“ wird auf die Gefahren durch das Übergewicht eingegangen (Abb. 1). Mit einer Adipositas Grad III erhöht sich das Risiko für Folgeerkrankungen. Das sogenannte Metabolische Syndrom beinhaltet kardiovaskuläre und metabolische Anteile (4).

Kategorie

Normalgewicht

Übergewicht

Adipositas Grad I

Adipositas Grad II

Adipositas Grad III

Body-Mass-Index – BMI (kg/m2)

18,5–24,9

25–29,9

30–34,9

35–39,9

> 40

Risiko für Folgeerkrankungen

durchschnittlich

gering erhöht

erhöht

hoch

sehr hoch

Risiko für Morbidität bei Adipositas

Risiko> 3-fach erhöht

n Diabetes mellitusn Cholezystolithiasisn Dyslipidämien Insulin Resistenzn Fettlebern Schlaf-Apnoe-

Syndrom

Risiko2–3-fach erhöht

n Koronare Herzkrankheit

n Hypertonien Dyslipidämienn Gonarthrosen Gichtn Refluxösoophagitis

Risiko1–2-fach erhöht

n Carcinomen Polyzystisches Ovar

Syndromn Koxarthrosen Rückenschmerzenn Infertilitätn Fetopathie

DAG/WHO Abb. 1

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36 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 11|16

Betten. Der Einsatz leistungsstarker Motoren bewegt die Patienten auf eine angemessene Arbeitshöhe, auf Knopfdruck lassen sich vielfältige Lagerungen einstellen, wie Ober- körperhochlagerungen, Stufenbett, Trendelenburg- und Anti-Trende-lenburg-Lagerungen. Für die Aus-wahl eines Pflegebettes ist die Ein-schätzung des Patientengewichtes wichtig. So sind die aktuell verwen-deten Klinikbetten (je nach Fabri-kat) bis zu einer Last von ungefähr 180 Kilogramm Körpergewicht zu-gelassen. Nachlesbar ist dies an dem Typenschild oder in der Gebrauchs-anweisung. Das Typenschild befin-det sich an einer zentralen Stelle des Bettes. Aufgeführt sind neben der genauen Typen-Bezeichnung, der Zulassung durch eine Prüfstelle (TÜV etc.) auch die maximale siche-re Arbeitslast und das maximale Pa-tientengewicht.

Für adipöse Patienten Grad III gibt es verschiedene bariatrische Kli-nik-Betten, die Patienten bis zu 500 Kilogramm Körpergewicht sicher tragen können. Diese Betten sind häufig mit Weichlagerungssystemen ausgestattet und haben verschiedene Funktionen integriert, wie Wechsel-druck oder Perkussion und eine inte-grierte Waage. Dabei ist es wichtig, immer auch die möglichen negativen Folgen einer Weichlagerung zu be-rücksichtigen. Dazu gehören die Immobilisierung, der Verlust des Körperschemas sowie eine geringere Stabilität bei Bewegungsübergän-gen. Liegt das Körpergewicht eines Patienten unterhalb des maximal zu-lässigen Gewichtes des Bettes, kann es gute Argumente für ein normales Klinikbett geben. Die übliche Schaumstoffmatratze dieses Bettes fördert und erleichtert die Eigenakti-vität des Patienten und führt im Er-gebnis zu einer schnellen Steigerung der Mobilität und Selbstständigkeit.

Ein weiteres wichtiges Hilfsmit-tel sind Lifter. In den bariatrischen Ausführungen werden über 300 Ki-logramm Körpergewicht sicher ge-tragen. Sie unterstützen beim Trans-fer, wenn der Patient diesen nicht ei-genmobil gestalten kann. Der Trans-fer vom Bett in einen Stuhl, Pflege-

rollstuhl oder Toilettenstuhl ist da-mit möglich.

Toilettenstühle gibt es in extra stabilen Ausführungen. Ein norma-ler Toilettenstuhl ist meist bis 120 Kilogramm Körpergewicht zulässig. Ab diesem Gewicht ist nicht nur die Benutzung Patienten-gefährdend, häufig reicht auch die Auflageflä-chen nicht aus, sodass Mazerationen und Hautdefekte entstehen können. Solche Folgen können als Pflegefeh-ler Folgen für die verantwortliche Pflegekraft haben. Die Ausführun-gen der Schwerlast-Toiletten- und Duschstühle sind mit breiteren Sitz-flächen ausgerüstet. Sie umfassen teilweise erhöhte Griffleisten und erlauben eine Höchstbelastung bis zu 300 bis 320 Kilogramm. Gleiches gilt für die Pflegerollstühle.

Ein wichtiges kleines technisches Hilfsmittel ist die Gleitfolie. Die Gleitfolie reduziert die Reibung und Scherkräfte bei Bewegungen des Pa-tienten im Bett, zum Beispiel kopf-wärts. Sie kann als Rollenware auf verschiedene Körperlängen ange-passt werden und individuell durch mehrere Stücke nebeneinander auch breitere Auflageflächen problemlos abdecken. Unter die Auflagefläche des Patienten ist die Folie mit gerin-gem Kraftaufwand zwischen die Un-terlage und das Bettlaken einzubrin-gen. Dabei drückt die Pflegekraft mit ihrer Hand in die Matratze und schiebt dabei die Folie weiter vor. Ziel ist es, die Folie unter die Haupt-auflageflächen, den Schulterbereich und den Becken-Gesäß-Bereich zu positionieren.

Kann der Patient aktiv oder mit Unterstützung der Pflegenden die Beine in Rückenlage aufstellen, wird die Funktion der Gleitfolie unter-stützt durch Anti-Rutschmatten un-ter den Füßen des Patienten. Dieser Effekt kann auch erreicht werden durch gefaltete Decken vor den Fü-ßen, um die Füße gewickelte Hand-tücher oder eine weitere Pflegekraft, die die Füße in die Matratze stabili-siert. Auch der Einsatz von Schaum-stoffquadern zur Abnahme des Beingewichtes ist hilfreich. Die Be-wegung kopfwärts im Bett kann durch Rotation erleichtert werden.

Dabei unterstützt eine Pflegekraft die Hüft- und Schulterbewegung ei-ner Seite und darauf eine zweite Pflegekraft die andere Seite. Mit diesem „Schlängeln“ werden mit je-dem Teilschritt mehrere Zentimeter kopfwärts zurückgelegt.

Eingeschränkte wache Patienten erfahren den Transfer dadurch akti-ver. Sie können durch den Einsatz der Arme ziehend aktiv werden, Fer-senschubkraft über die Muskulatur der Oberschenkel und des Rücken-Bauch-Bereiches entwickeln und ins-besondere die Muskulatur trainieren. Werden die Bewegungsübergänge schrittweise, interaktiv und wieder-holt mit dem Patienten gestaltet, wer-den Bewegungen gelernt und führen zu Erfolgserlebnissen durch eigenes Tun.

Mobilisierung braucht Begleitung

Bei der Positionierung der adipösen Patienten sind die negativen Auswir-kungen der Schwerkraft zu berück-sichtigen und ausreichend Unter-stützungsangebote anzubieten. Die Schwerkraft wirkt 24 Stunden auf den Körper. Besonders in Rückenla-gen sind die Folgen negativ: Der Zug an den Extremitäten (Arme und Beine) kann Gelenke schädigen, zu Subluxationen und Fehlhaltungen führen. Durch den Zug der ausge-streckten Beine am Becken entsteht eine Hyperlordose und eine folgende Überstreckung im Nacken, dadurch sind die Atmung und der Schluckakt erschwert. Dies kann zu einer Aspi-ration führen und in der Folge zu ei-ner Pneumonie. Das Aufstellen des Kopfteils in eine sehr hohe Position verhindert nicht die Überstreckung des Kopfes und damit nicht die be-schriebenen Schluckprobleme und führt zusätzlich zu einem erhöhten Druck im Steißbereich (5).

Zu Beginn einer jeden Pflege- tätigkeit gehört neben der ausrei-chenden Information eine gründli-che Bewegungsvorbereitung, ähnlich dem Aufwärmen im Sport. Die Pfle-gende erspürt Aktivitäten und leitet Bewegungen in den einzelnen Ge-lenken schonend an. Dieses soll die

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Bewegung einfacher und neben- wirkungsärmer gestalten, und der Patient erhält wichtige Informatio-nen über seine Körpergrenzen. Es können auch schon Einschränkun-gen erkannt werden. So kann ein außenrotierter Fuß wieder „in die Spur“ gebracht werden. Ohne solch eine physiologische Grundposition können im weiteren Verlauf oft kei-ne Kraft und Aktivität vonseiten des Patienten aufgebaut werden.

Benötigt werden für die Gestal-tung der Bewegungsübergänge je nach Inaktivität zwei bis drei Pflege-kräfte. Mehr Unterstützung durch ein ganzes Team (vier oder mehr) führt in der Regel nicht zu besseren Ergebnissen – wird doch dann häu-fig auf Hau-Ruck-Methoden zu-rückgegriffen. Eine Pflegende unter-stützt die Bewegung der Extremi- täten des Patienten, gegebenenfalls unterstützt die dritte Pflegende da-bei zum Beispiel die Führung des Beines. Die weitere Pflegekraft hilft bei der Verlagerung des Beckens und der Schultern. Die abschnittsweise Bewegung – Aufstellen der Beine, Rotation über Beckenkippen und Schulter – erleichtert die Bewe-gungsübergänge. Dieses Wissen wird in den Grundkursen des Bobath-Konzeptes und den Basiskursen der Kinästhetik vermittelt, zum Beispiel Viv-Arte oder Kinaesthetics.

Wichtig ist, bei der Drehung auf die Seite auf ausreichend Fläche neben dem Patienten zu achten. Sonst führt eine mögliche Angst vor einem Sturz zu Stress und Verspan-nungen und dadurch einer höheren Belastung der Pflegekräfte. Also zuerst eine Seitwärts-Bewegung ini-tiieren, auch in den breiteren bari-atrischen Pflegebetten und dann mit Sicherheit für den Patienten auf die Seite. Die Führung der Hand mit Druck auf die Matratze bei der Drehbewegung unterstützt das Sicherheitsgefühl. Den Patient zu einem Greifen oder Festhalten zu animieren, kann durch einen erhöh-ten Muskeltonus sperrend wirken und kontraproduktiv sein. Es sollte nur bei sehr wachen und kontakt- fähigen Patienten unterstützend ein-gesetzt werden.

Hilfreiche Positionierungen

Eine gute Position kann die ange-passte Seitenlage (90 Grad-Seitenla-gerung) darstellen (6), bis hin zu ei-ner inkompletten Bauchlage. Durch die große Unterstützungsfläche kann die Wirbelsäule entlastet werden. Bei einer fehlenden Haltungskon-trolle kann in dieser Position (90 Grad) die Körperpflege durchge-führt werden: Der obenliegende Arm ist hier aktiv, Gesicht, Bauch, unten liegender Arm, Teile des Rü-ckens, der Beine, der Intimbereich – bei aufgestelltem Bein – und das Ge-säß können selbstständig gewaschen werden.

Auch die Zahnpflege ist sicher möglich, da in dieser Position besser als in Rückenlagen ausgespuckt wer-den. Bei Mazerationen und Ulzera

in der Steißregion eignet sich die Position zur Prophylaxe und Entlas-tung. Die angepasste Seitenlagerung ist auch als atemtherapeutische La-gerung nutzbar. Bei einer einseitigen Lungenschädigung sollten die besse-ren Lungenabschnitte unten liegen (7).

Eine aufrechte Position, bei feh-lender Stabilität für einen Sitz auf der Bettkante, kann ein stabiler Sitz (8) im Bett sein. Diese Position ver-bessert verschiedene Mängel der Stufenbett-(Cardiac-)Position der Klinikbetten. Durch eine forcierte Unterstützung unter den Ober-schenkeln wird mehr Auflagefläche erreicht, eine gefaltete Decke längs unter der Lendenwirbelsäule sorgt für Aufrichtung und Stabilität (durch seitliches Einrollen) und die Aufrichtung der Wirbelsäule für ei-ne gute Schluck- und Sitzposition.

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Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 11|16

Für den Bettkantensitz empfiehlt sich der Quer-bettsitz (9). Die Bewegung wird von einer 90-Grad-Lagerung gestartet: Rotation mit Blickrichtung in die Matratze, viel Auflagefläche des Unterarmes und der Hand zum Abdrücken. Durch ein langsames Hoch-fahren und die Aufrichtung des Kopfteiles kann die Bewegung in die Sitzposition unterstützt werden. Da-bei werden die Beine mit der Beckenbewegung lang-sam aus dem Bett geführt. Unter das Gesäß und die Oberschenkel lässt sich von dorsal ein Keil aus einem großen Handtuch oder einer Decke (U-förmig) für ei-ne größere Unterstützungsfläche einbringen. Den Un-terarmen wird auf stabil gerollten Decken eine Ablage-möglichkeit geschaffen, und im Rücken gibt ein großer Würfel Halt.

Die Mobilisation in den Stand kann von dieser Po-sition starten. Ein stabiler Stuhl dient der Unterstüt-zung. Er kann zur Ablage der Hand genutzt werden und bietet die Möglichkeit, sich etwas hochzudrücken. Ein bis zwei Pflegekräfte unterstützen von vorne. Die Vorbeugung des Oberkörpers des Patienten, bis das Gesäß die Matratze verlassen kann, ist entscheidend, um die Gewichte des Patienten auf seine Füße zu brin-gen. Eine Pflegekraft unterstützt die Aufrichtung aus dem Rücken des Patienten. Bei Einsatz von einem Gehwagen und Rollatoren müssen diese vorher auf ih-re Zulassung (maximales Patientengewicht) überprüft werden.

Das freudige Gesicht und der Stolz eines Patien-ten, der zusammen mit Ihnen diese Mühen gemeistert hat, entschädigt für die vielfältigen Vorbereitungen und eingesetzten Personalressourcen.

(1) DAK: XXL-Report: So werden dicke Menschen ausgegrenzt. 2016, https://www.dak.de/dak/bundes-themen/XXL-Report_So_werden_dicke_Menschen_ausgegrenzt-1846124.html(2) Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrts-pflege. Prävention von Rückenbeschwerden. TOPAS_R – Das Kon-zept der BGW für Pflege und Betreuung. 2012(3) https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/GesundheitszustandRelevantesVerhalten/Tabellen/Koerper masse.html(4) DAG e.V.: Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Präven -tion und Therapie der Adipositas“, 2014(5) Friedhoff, M.; Schieberle, D.: Bobath-Konzept in der Praxis. Grundlagen – Handlings – Fallbeispiele. 3. überarbeitete und ergänz-te Auflage, Thieme, Stuttgart 2014. S. 116 ff.(6) http://www.bika.de/fileadmin/user_upload/Dateien_Instruktoren/user_upload/Leitlinie_-_Position_auf_der_mehr_betroffenen_Sei te.pdf (7) Bein, T.; Bischoff, M.; Brückner, U. et al.: S2e-Leitlinie – Lage-rungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen. 2015. Anaesthesist 64: 596(8) http://www.bika.de/fileadmin/user_upload/Dateien_Instruktoren/user_upload/Leitlinie_-_Stabiler_Sitz_im_Bett.pdf(9) Jacobs, G.; Urbas, L.: Sicher im Bett sitzen. Frühmobilisierung im Querbettsitz. Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 8|16. S. 40–42

Dominik Zergiebel, M. A., ist Pflegespezialist Mobilität (Lagerung und Bewegung mit Schwerpunkt Bobath-Konzept) und Fach- gesundheits- und Krankenpfleger für Intensiv-pflege und Anästhesie am Universitätsklinikum

Münster. Im Moment befindet er sich in Weiterbildung zum Praxisbegleiter Bobath BIKA®.

Mail: [email protected]

Das neue Begutachtungs- instrument im Überblick Ab 1. Januar 2017 müssen der neue Pflegebedürftig-keitsbegriff und ein neues Begutachtungsinstrument umgesetzt werden. Der DBfK bietet an zwei Standorten je von 13:00 bis 17:00 Uhr ein kompaktes Programm dazu an:

16.11.2016: BerlinDBfK Bundesgeschäftsstelle

28.11.2016: HannoverKultur- und Kommunikationszentrum Lister Meile

Die Fortbildung richtet sich an Pflegefachpersonen, Lei-tungen und Qualitätsbeauftragte aus stationärer und ambulanter Pflege sowie Lehrende.

l „Selbständig – Unselbständig“ – Bedeutung für die Praxis

l Begutachtungsrichtlinie – Inhalte der Module

l Bewertungsbereiche/Bewertungssystematik

Mehr Infos und Anmeldung unter www.dbfk.de => Besondere Termine

Tagungssekretariat DBfK Bundesverband:Tel.: 030/2191570E-Mail: [email protected]

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Bibliomed Medizinische Verlagsgesellschaft mbH | Postfach 1150 | 34201 Melsungen | www.bibliomed.de | Herausgeber: Pflege e.V. | ISSN 2192–5488

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RAUS AUS DEM BETTBauchdeckenentlastende Mobilisation nach Abdominalchirurgie. Nach einer Bauch-OP sollte die abdominelle Muskulatur möglichst nicht beansprucht werden. Für die Mobilisation steht deshalb – gerade in den ersten Tagen – die Entlastung der Wundnaht an erster Stelle.

Von Monika Kerscher

N ach abdominalchirurgi-schen Eingriffen gilt als

Grundprinzip der Mobilisation, Be-wegungsabläufe mit dem Patienten einzuüben beziehungsweise durch-zuführen, die die Bauchdecke ent- lasten. Zusätzliche Schmerzen oder andere Komplikationen können damit vermieden werden.

Die Narbenhernie als typische Komplikation

Eine häufige Früh- oder Spätkom-plikation sind Herniationen von Bauchwunden oder Bauchnarben (Steffens/Langen 2002). Eine Nar-benhernie ist im Bereich von Opera-tionsnarben ein Eingeweidebruch der Bauchdecke. Die Narbenhernie tritt als Folge einer nicht unzurei-chenden Festigkeit von Bauchwand und Operationsnarbe nach vorange-gangenen Bauchoperationen auf.

Klinisch zeigt sich eine Narben-hernie durch Vorwölbung in der vorderen Bauchwandregion nach körperlicher Anstrengung, beim Sport oder Husten. Diagnostisch ist sie darstellbar durch Kernspin- und Computertomographie.

Ob es zu einer Narbenhernie kommt, hängt von chirurgisch-techni-schen Faktoren ab, wie der Operati-onsmethode oder der Naht- und Knotentechnik. Aber auch individu-elle Ursachen können eine Rolle spielen, zum Beispiel die Qualität

des Bindegewebes (van den Berg 2010). Zudem kann ein Narben-bruch mit ausgelöst werden durch n eine postoperative Infektion mit Ausbildung eines Seroms, n eine Nekrosenbildung bei zu ho-her Nahtspannung, n ein Lebensalter von über 45 Jah-ren, n eine Adipositas per magna oder n eine Dialysepflichtigkeit.

Negativ auswirken können sich zudem ein reduzierter Ernährungs- und Allgemeinzustand, eine Anämie, ein malignes Grundleiden, Diabetes mellitus, Nikotin- und Alkoholkon-sum sowie bestimmte Medikamente wie ACE-Inhibitoren, Corticoste-roide oder Chemotherapeutika.

Mobilisation nach Wundphasen

Bei der Mobilisierung des Patienten sollten die einzelnen Wundstadien der Wundheilung mitbedacht wer-den. Die Wundheilung der meisten Gewebe durchläuft drei Phasen: 1. Entzündungsphase mit vaskulärer und zellulärer Phase, 2. Proliferati-onsphase sowie 3. Umbauphase mit Konsolidierungs- und Reifungspha-se (van den Berg 2010, Diemer/Su-tor 2007). Während aller Phasen ist es wichtig, das verletzte und regene-rierende Gewebe des Patienten rich-tig zu ent- und belasten (ebd.). Auf

Die bauchdeckenentlastende Mobilisation an die Bettkante

1 Die Therapeutin erklärt und leitet zum Bewegungsablauf an. Die Beine der Patientin sind angestellt

2 Die Therapeutin gibt einen mecha- nischen Impuls für das Anheben des Beckens mit dem Ziel, es zur rechten Seite zu verlagern. Die Patientin drückt sich dabei mit beiden Füßen ab. Danach wird der Oberkörper mit Hilfe der Ellbogen ebenfalls zur rechten Seite ver- lagert, damit zur linken Seite hin mehr Platz entsteht.

3 Die Therapeutin unterstützt das en bloc-Drehen zur Seite mit dem Ziel, dass die Patientin mit der rechten Hand an die Bettkante kommt.

4 Die Therapeutin setzt mechanische Reize durch Handreichung und taktile Reize für die Bewegungs- richtung

5 Die Bewegung aus dem Bett heraus wird durch eine leichte Bewegung unterstützt

6 Die Patientin drückt sich mit der rechten Hand und dem linken Ellbogen ab, die Beine gehen gleichzeitig in einer Hebelwirkung aus dem Bett

7 Durch die Hebelwirkung der Beine und die Arbeit der Arme richtet sich der Oberkörper auf, die Therapeutin unterstützt dabei.

8 Wichtig ist, der Patientin jederzeit Sicherheit während des Bewegungs- ablaufes zu geben und sie, wo notwendig, zu unterstützen.

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eine frische Operationsnarbe sollte wenig Zug, Druck oder Dehnung ausgeübt werden. Während der Ent-zündungsphase – bis zum fünften postoperativen Tag – muss die Ent-lastung prioritär sein.

Für einen bauchdeckenentlasten-den Bewegungsablauf sollte es wei-testgehend vermieden werden, die abdominelle Muskulatur zu bean-spruchen. Das Sitzen am Bettrand und das Aufstehen aus dem Bett sollten daher ausschließlich über die Seite erfolgen. Die Beine haben hier eine Hebelwirkung. Vor Beginn der Mobilisation sollte eine ausreichen-de Schmerzmittelgabe erfolgen, um den Erfolg der Bewegungsabläufe mit zu unterstützen (DNQP 2011).

Für die unmittelbaren postopera-tiven Tage ist eine Mobilisation mit Physiotherapeuten und/oder Pfle-genden von Bedeutung. Hier stehen nicht nur das schrittweise Erklären und Einüben von Bewegungsabläu-fen im Vordergrund, sondern auch die Vermittlung von Sicherheit für den Patienten (siehe Bilderabfolge S. 37).

In der Proliferationsphase, die etwa vom sechsten bis zum 21. post-operativen Tag dauert, haben die Patienten in der Regel keinen Ruhe-

beziehungsweise Nachtschmerz mehr. Wenn Schmerzen auftreten, sind diese intermittierend mechanisch aus-gelöst (Diemer/Sutor 2007).

Die Bauchdecke des Patienten kann mittlerweile dosiert belastet werden. Vermieden werden sollten schnelle und endgradige Bewegun-gen, also jene, die bis zur äußersten Beugung und Streckung eines Ge-lenks gehen. Wichtig ist eine regel-mäßige physiologische Belastung während der gesamten Wundhei-lung, um so die Bildung von Gewebe zu stimulieren (van den Berg 2010).

In der Konsolidierungsphase – etwa bis zum 60. postoperativen Tag – ist die Belastbarkeit des Gewebes deutlich erhöht (van den Berg 2010). In der Umbauphase bis zum 360. Tag verändert sich der ursprünglich „verletzte“ Bereich von einem größ-tenteils zellulären Gewebe zu einem normalen kollagenen Bindegewebe (ebd.). Es bestehen keine Einschrän-kungen mehr bei der Ausdauer. End-gradige sowie schnelle Bewegungen sind erlaubt. Je nach Anamnese, kli-nischem Verlauf sowie individuellem Befinden kann die Belastung gestei-gert werden. Erst ab drei Monaten ist eine maximale Belastbarkeit der Narbe vorhanden.

Diemer, F.; Sutor, V. (2007): Praxis der medizi-nischen Trainingstherapie. Stuttgart/New York: Thieme VerlagDNQP (Hrsg.) (2011): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei aku-ten Schmerzen. 1. Aktualisierung. Fachhoch-schule OsnabrückSteffens, J.; Langen, P.-H. (Hrsg.) (2002): Komplikationen in der Urologie. Berlin/Heidel-berg: Springer VerlagVan den Berg, F. (2010): Angewandte Physio-logie, Band 1. 3., überarbeitete Auflage. Stutt-gart/New York: Thieme Verlaghttp://www.operation-hernien.de/hernien- arten/narbenbruch-narbenhernie

Weiterführende Literatur über die Autorin.

Monika Kerscher ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat einen BSc in

Angewandte Gesundheitswissenschaften und einen MA in Personalentwicklung. Sie arbeitet als Pflegeexpertin/APN im

Department Chirurgie, Kliniken für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Urologie und

Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg.

Mail: [email protected]

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Mobilität im Fokus Am Universitätsklinikum Freiburg

hat eine pflegerische Projektgruppe einen Leitfaden zum Erhalt und zur Förderung der Mobilität erstellt. Die Implementierung auf zwei Pilotstationen zeigte: Mit dem Leitfaden kann die Sensibilität der Mitarbeiter für das Thema deutlich gesteigert werden.

Von St. Pauen, J. Thoma und Dr. J. Feuchtinger

I ch habe meinen letzten Kranken-hausaufenthalt so lange hinausge-

schoben, weil ich immer das Gefühl hatte, wenn ich jetzt ins Krankenhaus gehe und es beginnen die Behand-lungen, dann komm ich ans Liegen, und genauso war’s“ (Zegelin 2013) – dieses Zitat einer Krankenhauspa-tientin, die an der bekannten Studie „Festgenagelt sein – Der Prozess des Bettlägerigwerdens“ der Dortmunder Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin teilnahm, verdeutlicht die besondere Relevanz des Themas Mobilität. Denn ein Krankenhaus-aufenthalt kann vielfältige Auswir-kungen auf den Bewegungsapparat der Patienten haben und – bei ent-sprechender Disposition – eine Ne-gativspirale in Gang setzen, die zu verminderter Mobilität und sogar zu Bettlägerigkeit führen kann (Zegelin 2013, King et al. 2016, Püllen 2016).

Klinikinterner Leitfaden entwickelt

Aufgrund der Wichtigkeit des The-mas hat das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) im Jahr 2013 den Exper-tenstandard „Erhaltung und Förde-rung der Mobilität“ entwickelt. Die-se pflegerische Leitlinie fokussiert auf die stationäre und ambulante Al-tenpflege. Doch auch im Kranken-haus ist das Thema Mobilitätsförde-rung enorm wichtig. Aus diesem Grund hat sich das Universitäts-

klinikum Freiburg (UKF) dazu ent-schlossen, einen klinikeigenen Leit-faden zum Thema zu erstellen. Die-ser soll das große Ziel des Mobili-tätserhalts und der -förderung unter-stützen. Der erste wichtige Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist die Erfassung der Mobilität zu verschie-denen Zeitpunkten. Der Leitfaden gibt hierfür den Rahmen und die Struktur vor.

Startschuss des Projekts war im September 2016. Die UKF-Arbeits-gruppe – bestehend aus der Leiterin der Stabsstelle für Qualität und Ent-wicklung in der Pflege, zwei Pflege-expertinnen APN und einer Studie-renden im Praxissemester – führte zunächst eine umfassende Literatur- recherche durch und erstellte auf dieser Grundlage einen fünfseitigen Leitfaden.

Dieser war wie folgt strukturiert: Definition des Begriffs Mobilität, Relevanz der Mobilitätsförderung, Assessment zur Erfassung der Mo-bilität, Interventionen, Evaluation und Dokumentation.

Im Leitfaden ist eindeutig festge-legt, dass der erste Schritt im Prozess der Mobilitätsförderung das Assess-ment ist, um aus der Erfassung des jeweiligen Mobilitätsstatus zielfüh-rende Interventionen ableiten zu können und Verläufe der Mobilitäts-fähigkeit darzustellen. Im Assess-ment zu berücksichtigende Faktoren sind die Anamnese, die Diagnose, die Therapie, der aktuelle kognitive

Praxisprojekt

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Management

Zustand und die Wahrnehmungsfä-higkeit sowie die Vitalparameter. Die Zeitpunkte des Assessments sind die Aufnahme des Patienten, bei Verän-derungen des klinischen Verlaufs und die Entlassung. Die Patienten sollen hierbei hinsichtlich ihrer Fähigkeiten im Bereich der Mobilität einge-schätzt werden. Dies erfolgt über die Überprüfung der Fähigkeiten, ob der Patient gehen kann, ob er Bewe-gungstransfers und ob er druckent-lastungsrelevante Bewegungen im Bett durchführen kann.

Auf zwei Stationen pilotiert

Der Leitfaden wurde im Dezember 2016 auf zwei Stationen des UKF pilotiert: in der Orthopädie und in der chirurgisch-onkologischen Gy-näkologie. Die Einführung erfolgte EDV-gestützt mithilfe eines Pla-nungstools innerhalb der elektroni-schen Patientendokumentation, das extra für das Projekt erstellt wurde. Dieses enthielt unter anderem Text-bausteine, die von den Pflegenden für die Erfassung der Mobilität ver-wendet werden konnten.

Diese Textbausteine und die Pflegeplanung gehen auf die im Leitfaden beschriebenen, mobilitäts-relevanten Pflegediagnosen der NANDA (North American Nursing Diagnosis Association) „Beeinträch-tigte Gehfähigkeit“, „Beeinträchtigte Transferfähigkeit“ und „Beeinträch-tigte Bettmobilität“ (Doenges/Moorhouse/Murr 2015) zurück. Die Einschätzung der Mobilität sollte im Rahmen der Pflegediagnosen unter Anwendung folgender Kategorien erfolgen, die auch mit den Begriffen aus der Physiotherapie abgeglichen wurden: selbstständig mobil, mit Hilfsmittel mobil, mit Hilfe, Über-wachung oder Anleitung einer Per-son mobil, braucht Hilfe einer Per-son und eines Hilfsmittels und Ab-hängigkeit, kann sich nicht aktiv be-teiligen.

Die Pilotphase erfolgte über ei-nen Zeitraum von drei Wochen. Die Pflegenden wurden von Mitgliedern der Arbeitsgruppe täglich stunden-weise begleitet und in der Umsetzung des Leitfadens unterstützt. Rückmel-

dungen der Pflegenden wurden im Rahmen von spontanen Einzelinter-views und Gruppengesprächen im Rahmen der Übergabe erfasst.

Im Anschluss an die Pilotphase fand eine erste Ergebniszusammen-fassung und Evaluation statt. Insge-samt wurde die Anwendung des Leitfadens durch die Pflegenden als sinnvoll empfunden. Viele Mitarbei-ter gaben an, dass die Mobilität der Patienten durch das Projekt stärker in den pflegerischen Fokus rückte. Weiterhin empfanden viele den Ein-satz der NANDA-Pflegediagnosen als strukturelle und sprachliche Un-terstützung.

Projekt wird weitergeführt

Der Leitfaden ist bewusst allgemein gehalten und fokussiert nicht auf ei-ne bestimmte medizinische Fachab-teilung. Er kann somit sukzessive auf weitere Bereiche des UKF expan-diert und möglicherweise inhaltlich diszplinspezifisch erweitert werden. Überlegungen hierzu laufen derzeit. Sicher ist, dass der Erhalt und die Förderung der Mobilität auch im Akutkrankenhaus einen wichtigen Stellenwert haben muss.

DNQP (2014): Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“. Osnabrück: Eigenpublikation des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)Doenges, M. E.; Moorhouse, M. F.; Murr, A. C. (2015): Pflegediagnosen und Maßnahmen. Bern: HuberKing, B. J. et al. (2016): Getting Patients Wal-king: A Pilot Study of Mobilizing Older Adult Patients via a Nurse-Driven Intervention. J Am Geriatr Soc. DOI: 10.1111/jgs.14364Püllen, R. (2016): Bewegung im Krankenhaus. Z Gerontol Geriatr. DOI: 10.1001/ Zegelin, A. (2013): Festgenagelt sein – Der Prozess des Bettlägerigwerdens. Bern: Huber

Das Autorinnenteam: Stefanie Pauen; Jorun Thoma, Stabsstelle für Qualität und Entwick-lung in der Pflege, Universitätsklinikum Frei-burg; Dr. Johanna Feuchtinger, Stabsstelle für Qualität und Entwicklung in der Pflege am Universitätsklinikum Freiburg

Stefanie Pauen studiert „Pflegemanage-ment“ an der Hochschule Esslingen.

Mail: [email protected]

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Bewegung strukturiert fördernAm UKF soll ein klinikinterner Leitfaden

ein Bewusstsein für die Relevanz der Mobilitätsförderung schaffen

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SICHER IM BETT SITZENFrühmobilisierung im Querbettsitz. Das einfache Sitzen an der Bettkante kann einen Menschen mit erworbenem Hirnschaden leicht überfordern. Der Querbettsitz hingegen bietet maximale Stabilität. Er ermöglicht viele Aktivitäten, aber auch notwendige Ruhepausen.

Von Gabi Jacobs und Lothar Urbas

D as normale Sitzen an der Bettkante erfordert ein ho-

hes Maß an Gleichgewicht und kann bei schwerbetroffenen Patienten Angst auslösen. Die Weichheit der Matratze erfordert einerseits einen guten eigenen Haltungshintergrund und bietet andererseits keine stabile Referenz beim Bewegen.

Beim knappen Sitzen dicht an der Bettkante wird der Matratzen-rand so zusammengedrückt, dass er abschüssig wird. Patienten mit Ba-lanceschwierigkeiten reagieren in der Regel darauf mit einer Gleich- gewichtsreaktion nach hinten. Da-durch vergrößert sich die Abrutsch-gefahr. Zugleich kann eine exten- sorische Massensynergie, das heißt eine gleichzeitige Aktivierung vieler Streckmuskeln, getriggert werden.

Querbettsitz gibt Sicherheit

Bei schwerstbetroffenen Patienten der neurologischen Frührehabilitati-on bietet der Querbettsitz eine sehr stabile und vor allem sichere Mobili-sation für ein normales, aufrechtes Sitzen an der Bettkante. Er ist nutz-bar für Aktivitäten wie Nahrungs-aufnahme, Körperpflege, Therapie, lässt sich aber auch leicht abwan-deln, sodass der Patient sich ausru-hen kann. Damit bietet der Quersitz eine Alternative zum „stabilen Sitz im Bett“ oder zum „asymmetrischen Sitz“. Bei adipösen Patienten, bei denen Pflegende durchaus vor einem Transfer in den Rollstuhl zurück-schrecken, ist er eine sichere Alter-native für aufrechtes Sitzen.

Im Rollstuhl sitzend fehlt schwerstbetroffenen Patienten viel-fach die Kapazität für eine weitere Aktivität wie Nahrungsaufnahme oder Körperpflege. Mit dem Sitzen und der eventuellen Beobachtung ihrer Umgebung sind sie oft bereits an ihrer Leistungsgrenze. Der Quer-bettsitz hingegen gibt maximale Stabilität und das Gefühl der Sicher-heit, sodass eine zusätzliche Akti- vität möglich wird. Je nach Rumpf-stabilität sollte vor dem Aufrichten ein Rumpfwickel angelegt werden.

Auch für die Körperpflege lässt sich der Querbettsitz nutzen. Viel-fach sind die Badezimmer so eng, dass die Pflegeperson ohne eigene „Verrenkungen“ keinen Raum fin-det, den im Rollstuhl sitzenden Pa-tienten bei seiner Körperpflege zu unterstützen. Die bessere Alternative bietet dann der Querbettsitz.

Darüber hinaus bietet sich die Position für Ruhepausen an – auch für Patienten ohne Kopfkontrolle. Die Beine werden dabei unter-schiedlich positioniert. Vor allem wenn abwechselnd das rechte oder das linke Bein auf dem Boden plat-ziert werden, kann der Kontraktur-prophylaxe ein Stück weit Sorge ge-tragen werden. Das auf dem Stuhl mit Hüftbeugung gelagerte Bein sta-bilisiert das Becken nach hinten. Das auf dem Boden gestellte Bein erfor-dert, dass die Hüfte sich streckt. Im Wechsel werden so von den Hüft-

Positive Aspekte des Querbettsitzes – Kreislaufstabilisierung– Schnelles Zurücklegen ins Bett, auch in Kollapssituationen– Aufbau von Kernstabilität – Lernen von Kopfkontrolle– Dissoziation der Beinstellung – Nachlassen von verspannter ischiokruraler Muskulatur und Hüftbeugemuskulatur – Ausreichend Stabilität für Anbahnung von Bewegung– Günstige Rumpf- und Kopfhaltung für das Schlucken und die Schlucktherapie– Günstige Ausgangsstellung für eine Aktivierung bei der Körperpflege– Möglichkeit für Therapie

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Pflegen + Unterstützen

1 Der gebremste Tisch vor dem Bett ermöglicht dem Patienten die drehende Gewichts- verlagerung, um seinen paretischen Arm zu waschen

2 Der Patient ist von allen Seiten stabilisiert, sodass er seine weniger betroffene Hand frei einsetzen kann

3 Der Patient sitzt weit hinten (große Unter- stützungsfläche), die Matratzenkante ist in der Kniekehle. Beide Beine stehen vollflächig auf dem Boden

4 Patient hat sich nach hinten abgelegt. Die Beine sind dissoziiert positioniert

5 Mit stabilisierendem Material vor dem Rumpf, kann der Patient sich nach vorne für eine Ruhepause ablegen

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beugern wie auch von der oberschen-kelrückseitigen (ischiokruralen) Mus-kulatur immer wieder verschiedenen Längen abverlangt. Der gebremste Rollstuhl vor dem Knie stellt sicher, dass der Patient nicht aus dem Bett rutscht.

Zum Ausruhen kann der Rumpf nach vorn auf einen stabilen Tisch abgelegt werden. Bauch und Brust-korb werden dabei von vorne stabil mit festen Lagerungsmaterialien (Packs, Bettdecken) unterstützt. Die Rückenmuskulatur bekommt da-durch Länge und hat die Möglich-keit loszulassen und zu entspannen. Viele Patienten nach Langzeitbeat-mung beziehungsweise langfristig bestehender Tracheotomie weisen eine angespannte Nackenmuskulatur auf. Ihr Kopf drückt in Rückenlage nach hinten in die Matratze. Die verkürzte oder stark angespannte Nackenmuskulatur behindert den reibungslosen Schluckakt und die Gewichtsverlagerung nach vorn über die Füße beim Transfer.

Bei dieser Positionierung wird der Kopf mit festen Materialien un-terstützt und zu der Seite abgelegt, zu der er leichter dreht. Die Nacken-muskeln können sich dabei entspan-nen.

In dieser Position gelingt es dem Patienten, mit seinem Körper-schwerpunkt etwas vor seinen Sitz-beinhöckern zu sitzen. Auf diese Weise wird die für einen Transfer oder für das spätere Aufstehen zum Stand notwendige Rumpfvorlage und Gewichtsverlagerung des Kör-

perschwerpunktes über die Füße in einer für den Patienten als sicher und stabil erlebten Situation erarbeitet.

Fachgerecht positionieren

Für den Quersitz wird folgendes Material benötigt:– zwei bis drei Packs,– zwei Bettdecken,– zwei Handtücher,– ein bis zwei Kissen,– ein höhenverstellbarer, fahrbarer Tisch oder Rollstuhl.

Der Bewegungsübergang zum Sitz empfiehlt sich über die bessere Seite. Der Patient sollte mit den Kniekehlen auf der Matratzenkante sitzen. Zur Verstärkung des Matrat-zenrands wird ein gerolltes Hand-tuch unter die Matratze knapp vor den Kniekehlen gelegt. Mit einer in U-Form gelegten längsgerollten Bettdecke werden das zur Rumpf-aufrichtung nach vorne gekippte Be-cken und die Oberschenkel bis zum Knie stabilisiert. Das Gewicht soll auf den Sitzbeinhöckern ruhen. Al-ternativ zur längsgerollten Bettdecke kann auch ein Badehandtuch ge-nutzt werden.

Die Unterarme werden rumpf-nah mit Material so unterstützt, dass sie wie Schienen zur Stabilisierung des Rumpfes beitragen. Die Ellbo-gen liegen dabei unter dem Schulter-gürtel. Eine Beckenasymmetrie wird durch ein Handtuch unter der tiefer-liegenden Seite ausgeglichen.

Zwischen das Bettgitter und dem Rücken wird ein großes Pack einge-bracht und noch etwas Weiches ge-legt, zum Beispiel ein Kissen. Auf der mehrbetroffenen Seite wird ein Pack so eingebracht, dass die einge-brachten Materialien nicht wegrut-schen können und zusätzlich der Arm eine stabile Referenz bekommt. Um Material zu sparen, kann das Kopfteil ganz hochgefahren werden. Die Füße sollten vollflächig auf dem Boden stehen, alternativ wird ein Schemel untergestellt. Die Kniebeu-gung sollte aber auf keinen Fall mehr als 90 Grad betragen, damit das Be-cken nicht nach hinten kippt und so die Rumpfaufrichtung verloren geht. Bei schwerstbetroffenen Patienten jedoch sollten die Kniegelenke etwas höher als die Hüftgelenke sein, um zu verhindern, dass der Patient nach vorne rutscht.

Der Patient ist auf jeden Fall so zu verlassen, dass er nicht aus dem Bett rutschen kann. Dazu kann bei-spielsweise ein gebremster Tisch oder gebremster Rollstuhl, der idea-lerweise vor den Knien steht, genutzt werden.

Gabi Jacobs ist Pflegeinstruktorin Bobath BIKA® für Grund- und Aufbaukurse.

Mail: [email protected]

Lothar Urbas ist Pflegeinstruktor Bobath BIKA® für Grund- und Aufbaukurse.

Mail: [email protected]

TIPPDie Bobath-Initiative fü Kranken- und Altenpflege (BIKA) hat eine Leitlinie zum Querbettsitz erstellt. Sie ist kostenfrei downloadbar unter: www.bika.de/leitlinien.html