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S Nachrichten aus der Chemie: Herr Pohl, wenn Sie im Elektronik- markt reihenweise LCD-Fernseher sehen, sind Sie dann stolz, dass Sie an der Entwicklung dieser Technik beteiligt waren? Ludwig Pohl: Sagen wir: Ich freue mich, was daraus geworden ist – aus so kleinen Anfängen, die im Unternehmen ursprünglich ab- gelehnt wurden. Zu denen wir alle gekommen sind wie die Jungfrau zum Kinde. Nachrichten: Wie kamen Sie denn zu Ihrem Kind? Pohl: Am Anfang kleine Anzei- gensysteme und Uhren. Es kamen damals auch die ersten Taschen- rechner auf. Und es gab bereits die Vision vom Flachbildfernseher, aber ganz fern. Hoechst hat im Jahr 1971 eine Werbung herausgebracht mit dem Slogan: „Warum hängen Sie Ihren Fernseher nicht an die Wand? Wir haben die Materialien dafür.“ Das wurde aber als unlauter stark angegriffen. Die Flüssigkristall-Mafia S Nachrichten: Wie war die Stim- mung in Ihrer Arbeitsgruppe, als Sie mit der Forschung an Flüssigkristal- len begannen? Pohl: Arbeitsgruppe? (lacht) Die gab es nicht! Ich hatte einen Labo- ranten, außerdem gab es den Che- miker Ralf Steinsträsser , der 1968 auf das Gebiet angesetzt wurde, und der hatte auch einen Laboran- ten. Das wars. Nachrichten: Sie erwähnten eben bereits, dass das Unternehmen nicht hinter Ihnen stand ... Pohl: Ja, unsere Arbeiten an Flüssigkristallen wurden abge- lehnt. Nachrichten: V on wem? Pohl: Von vielen Entscheidungs- trägern. Auch der technische Ver- trieb lehnte jede Aktivität ab und sprach von „überflüssigen Kristal- len“. Zwar haben uns der V orstand für die chemische Forschung, Kurt V or 125 Jahren entdeckte Friedrich Reinitzer d den flüssigkristallinen Zustand. Aber es dauerte über 80 Jahre, bis die Industrie realisierte, welches Potenzial in ihm steckt. Zu den Flüssigkristallforschern der ersten Stunde bei Merck hlte Ludwig Po ohl. Er berichtet den Nachrichten aus der Chemie , wie alles begann und warum seine Forschung zunächst als überflüssig galt. „Wir waren im kurz v orm Absc BFlüssigkristalleV Für Ludwig Pohl war die „Flüssigkristallforschung immer eine angewandte Forschung.“ (Fotos: Ernst Guggolz) Pohl: Ich fing im Jahr 1966 in der chemischen Forschung von Merck an. Meine Aufgabe war die Strukturaufklärung von Pharma- wirkstoffen. Daneben betreute ich Lösungsmittel für die Spektrosko- pie. Angeregt durch meinen Vorge- setzten Bruno Hampel beobachtete ich Literatur über anisotrope Lö- sungsmittel, um richtungsabhängi- ge Moleküleigenschaften zu unter - suchen. Dabei stieß ich auf Flüssig- kristalle. Weil in dieser Zeit eine sehr geteilte Meinung darüber herrschte, fuhr ich im August 1968 zu einer Flüssigkristalltagung nach Kent, Ohio. Da waren gerade mal 100 Teilnehmer aus aller Welt. Nachrichten: Und was haben Sie auf der Tagung erfahren? Pohl: Ein junger Physiker, George Heilmeier von der Radio Corporation of America, stellte dort ein nur quadratzentimetergro- ßes Mini-Display vor, das er mit wenigen Volt von transparent nach trüb schalten konnte – und zwar reversibel. Ich empfahl daher in meinem Tagungsbericht, dass Merck in die Flüssigkristallfor - schung einsteigen sollte. Denn wenn es möglich wäre, mit Flüssig- kristallen größere, flache Bildanzei- gesysteme zu verwirklichen, dann wäre das vielleicht ein großer Markt. Nachrichten: Welche Anwendun- gen hatten Sie und Ihre Kollegen hauptsächlich im Sinn? Nachrichten aus der Chemie| 61 | Juli I August 2013 | www.gdch.de/nachrichten 758

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S Nachrichten aus der Chemie:Herr Pohl, wenn Sie im Elektronik-markt reihenweise LCD-Fernseher sehen, sind Sie dann stolz, dass Sie an der Entwicklung dieser Technik beteiligt waren?

Ludwig Pohl: Sagen wir: Ichfreue mich, was daraus geworden ist – aus so kleinen Anfängen, die im Unternehmen ursprünglich ab-gelehnt wurden. Zu denen wir alle gekommen sind wie die Jungfrau zum Kinde.

Nachrichten: Wie kamen Sie denn zu Ihrem Kind?

Pohl: Am Anfang kleine Anzei-gensysteme und Uhren. Es kamen damals auch die ersten Taschen-rechner auf. Und es gab bereits die Vision vom Flachbildfernseher, aber ganz fern. Hoechst hat im Jahr 1971 eine Werbung herausgebracht mit dem Slogan: „Warum hängen Sie Ihren Fernseher nicht an die Wand? Wir haben die Materialien dafür.“ Das wurde aber als unlauter stark angegriffen.

Die Flüssigkristall-Mafia

S Nachrichten: Wie war die Stim-mung in Ihrer Arbeitsgruppe, als Sie mit der Forschung an Flüssigkristal-len begannen?

Pohl: Arbeitsgruppe? (lacht) Die gab es nicht! Ich hatte einen Labo-ranten, außerdem gab es den Che-miker Ralf Steinsträsser, der 1968 auf das Gebiet angesetzt wurde, und der hatte auch einen Laboran-ten. Das war’s.

Nachrichten: Sie erwähnten eben bereits, dass das Unternehmen nicht hinter Ihnen stand ...

Pohl: Ja, unsere Arbeiten an Flüssigkristallen wurden abge-lehnt.

Nachrichten: Von wem? Pohl: Von vielen Entscheidungs-

trägern. Auch der technische Ver-trieb lehnte jede Aktivität ab und sprach von „überflüssigen Kristal-len“. Zwar haben uns der Vorstand für die chemische Forschung, Kurt

Vor 125 Jahren entdeckte Friedrich Reinitzer dden flüssigkristallinen Zustand. Aber es dauerte über

80 Jahre, bis die Industrie realisierte, welches Potenzial in ihm steckt. Zu den Flüssigkristallforschern

der ersten Stunde bei Merck zählte Ludwig Poohl. Er berichtet den Nachrichten aus der Chemie, wie

alles begann und warum seine Forschung zunächst als überflüssig galt.

„Wir waren imkurz vorm Absc

BFlüssigkristalleV

Für Ludwig Pohl war die „Flüssigkristallforschung immer eine

angewandte Forschung.“ (Fotos: Ernst Guggolz)

Pohl: Ich fing im Jahr 1966 inder chemischen Forschung vonMerck an. Meine Aufgabe war die Strukturaufklärung von Pharma-wirkstoffen. Daneben betreute ich Lösungsmittel für die Spektrosko-pie. Angeregt durch meinen Vorge-setzten Bruno Hampel beobachteteich Literatur über anisotrope Lö-sungsmittel, um richtungsabhängi-ge Moleküleigenschaften zu unter-suchen. Dabei stieß ich auf Flüssig-kristalle. Weil in dieser Zeit einesehr geteilte Meinung darüberherrschte, fuhr ich im August 1968 zu einer Flüssigkristalltagung nachKent, Ohio. Da waren gerade mal 100 Teilnehmer aus aller Welt.

Nachrichten: Und was haben Sieauf der Tagung erfahren?

Pohl: Ein junger Physiker, George Heilmeier von der Radio Corporation of America, stelltedort ein nur quadratzentimetergro-ßes Mini-Display vor, das er mit wenigen Volt von transparent nach trüb schalten konnte – und zwar reversibel. Ich empfahl daher inmeinem Tagungsbericht, dassMerck in die Flüssigkristallfor-schung einsteigen sollte. Denn wenn es möglich wäre, mit Flüssig-kristallen größere, flache Bildanzei-gesysteme zu verwirklichen, dannwäre das vielleicht ein großerMarkt.

Nachrichten: Welche Anwendun-gen hatten Sie und Ihre Kollegenhauptsächlich im Sinn?

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von Kessel, und der Leiter Indus-triechemikalien, Dietrich Erd-mann, Rücken deckung gegeben.Aber trotzdem: Wir waren immerkurz vorm Abschuss.

Nachrichten: Warum denn?Pohl: Als ich erzählte, mit den

Materialien könne man Armband-uhren machen, da kam die Frage:„Wie viel Flüssigkristall passt dennin so eine Armbanduhr?“ Und alsich sagte, „so ein bis zwei Milli-gramm“, da war man im Marketingder Ansicht, der Aufwand lohnesich nicht, da Merck dann niemals auch nur einen Zentner Flüssig-kristalle verkaufen könne.

Nachrichten: Sie hatten gerade erst angefangen bei Merck und woll-ten noch Karriere machen. Warumhaben Sie sich dann für dieses um-strittene Forschungsthema stark ge-macht?

Pohl: Ich arbeitete in einem Be-reich, in dem es sehr viel um Routi-ne ging. Aber ich wollte kein Dienst-leister für andere sein. Da hat mich das Neue viel mehr gereizt. Wir wa-

ren am Anfang alles jüngere Leute,und wir hatten keine Angst vor demFlop. Wir waren von dem Themaüberzeugt und haben, obwohl es ab-gelehnt wurde, einfach weiterge-macht. Wir waren eine Flüssigkris-tall-Mafia – im guten Sinne.

Nachrichten: Finanziert hatMerck Ihre Forschung aber?

Pohl: Am Anfang nicht wirklich. Es war nur wenig Geld da, daher haben wir alte Geräte für unsereArbeiten von überall zusammenge-sucht. Erhalten blieben wir nur da-durch, dass uns das Bundesvertei-digungsministerium unterstützteund später das Bundesforschungs-ministerium.

Nachrichten: Wie bitte?Pohl: Ja, denn das war nichts

Ungewöhnliches: Auch in Großbri-tannien und in den USA fördertendie Militärs der Airforce und Navy die Arbeiten an Flüssigkristallen.Sie hatten großes Interesse an den neuen netzunabhängigen, platz- und gewichtssparenden Anzeige-systemen.

Phenylcyclohexane bringen den Durchbruch

S Nachrichten: Standen Sie bei der Entwicklung neuer Flüssigkristall-moleküle im Kontakt mit Elektronik-unternehmen?

Pohl: Ja. Weil der Vertrieb es ab-gelehnt hatte, mitzumachen, sind wir Forscher zu den Kunden gefah-ren, durch Europa, in die USA, nach Japan. Ungefähr 60 Elektro-nikunternehmen entwickelten da-mals Flüssigkristalldisplays. Im deutschsprachigen Raum waren es unter anderem Siemens, AEG, Phi-lips, Brown Boveri & Cie sowie VDO.

Nachrichten: Und dabei standen Sie immer unter Erfolgsdruck?

Pohl: Ja. Zum einen hatten wir chemische Konkurrenten: etwa 20 Unternehmen, die ebenfalls Flüs-sigkristalle entwickelten. Zum an-deren forderten die Displayprodu-zenten bestimmte physikalische, elektrooptische Eigenschaften. Die Displaybauer wollten immer sehr

W Angewandte Forschung

Peer Kirsch, Merck,

organisiert auf

dem GDCh-Wis-

senschaftsforum

das Sondersympo-

sium „Merck: 125

Jahre Flüssigkristallforschung“.

Nachrichten aus der Chemie: Was

erwartet die Teilnehmer bei Ihrer

Veranstaltung?

Peer Kirsch: Sowohl die spannen-

de Historie hinter der Erfolgsge-

schichte der Flüssigkristalle als

auch neueste Entwicklungen. Mi-

chael Heckmeier von Merck be-

richtet über die aktuelle Flüssig-

kristallforschung im Unterneh-

men. Carsten Tschierske (Universi-

tät Halle) und John Goodby (Uni-

versity of Hull, UK) geben Überbli-

cke über Historie und Trends in

Deutschland und Großbritannien.

Hirotsugu Kikuchi von der Kyushu

einen leichten Flachbildschirm mit

geringem Energieverbrauch tech-

nisch nicht realisierbar. Auch wei-

sen die meisten halbleitenden Po-

lymere in der organischen Photo-

voltaik flüssigkristalline Phasen

auf, und Flüssigkristalle beginnen

sich in schaltbaren Fenstern zu

etablieren, die bei starker Sonnen-

einstrahlung den Energieeintrag in

Glasfassaden reduzieren.

Nachrichten: Warum ist dieser Bei-

trag wichtig?

Kirsch: Die Flüssigkristallfor-

schung demonstriert ein erfolgrei-

ches Zusammenspiel zwischen

akademischer Grundlagenfor-

schung und angewandter indus-

trieller Forschung. Auch exotische

Phänomene wurden zur Grundla-

ge neuer Displaytechniken.

Universität in Fukuoka, Japan, prä-

sentiert eine der neuesten Ent-

wicklungen in der Displaytechnik:

„Blaue Phasen“. Klaus Müllen (MPI

für Polymerforschung, Mainz) be-

richtet über diskotische Flüssig-

kristalle auf Basis von Graphen-

fragmenten für die organische

Elektronik, und Matthias Lehmann

(Universität Würzburg) über un-

konventionelle flüssigkristalline

Systeme.

Nachrichten: Welchen Beitrag leis-

ten Ihr Fachgebiet zum Wifo-Motto

„Chemie – Element unseres Le-

bens“?

Kirsch: Flüssigkristalle haben

längst eine zentrale Rolle in unse-

rem täglichen Leben eingenom-

men: Kaum ein Fernsehgerät oder

PC-Monitor kommt noch ohne

LCD aus, und Notebooks, Tablet-

PCs und Smartphones wären ohne

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schnell Ergebnisse haben, also ver-besserte Materialien.

Nachrichten: Womit kam der Durchbruch?

Pohl: Bis in die 1970er Jahre hi-nein hieß es, nur Moleküle, die über eine funktionelle Gruppe mit zwei para-disubstituierten Phenylringen gekoppelt sind, hätten flüssigkristal-line Eigenschaften. Aber 1973 zeigte der englische Chemiker George W.

Gray von der Universität Hull, dass nematische Flüssigkristalle auch dann entstehen, wenn man zwei Phenylringe direkt miteinander zu Biphenylen verbindet. Diese Flüs-sigkristalle waren im Gegensatz zu den vorherigen Substanzen che-misch einigermaßen langzeitstabil und auch recht niedrig viskos, was wichtig war für schnelle Schaltzei-ten. 1975 zeigte eine Gruppe aus

Halle an der Saale dann, dass man niedrig viskose Flüssigkristalle auch bekommt, wenn man einen Phenyl-ring durch ein Cyclohexan ersetzt, also Cyclohexylcarbonsäurephenyl -ester synthetisiert.

Nachrichten: Und was war dann die zündende Idee?

Pohl: Mein Merck-Kollege Ru-dolf Eidenschink kombinierte bei-de Ansätze miteinander und wir kamen im Jahr 1976 zu den Phe-nylcyclohexanen.

Nachrichten: Und das wurde die Molekülklasse, mit der Merck das große Geld gemacht hat?

Pohl: Ja, genau. Wir hatten im Jahr 1970 einen Flüssigkristallum-satz von 27 000 DM. Als wir die Phenylcyclohexane auf den Markt brachten, da schnellte der Jahres-umsatz hoch auf eine Million.

Nachrichten: Und dann wollten plötzlich alle bei Merck doch mit den Flüssigkristallen zu tun gehabt ha-ben?

Pohl: Ja, klar. Dann waren alle mal dafür gewesen. Das ist immer so: Der Misserfolg ist ein Waisen-kind, der Erfolg aber hat viele Väter.

Die Mischung macht’s

S Nachrichten: Was genau hat Merck zum Weltmarktführer bei Flüssigkristallen gemacht?

Pohl: Ein Einzelmolekül hat nie alle Eigenschaften, die ein Display oder Anzeigensystem braucht, man benötigt immer eine Mischung. Heutige Mischungen bestehen aus 15 und mehr unterschiedlichen Flüssigkristallen. Es gibt auch in Deutschland Hersteller von flüssig-kristallinen Einzelsubstanzen, aber nur Merck bietet weltweit neben wenigen Konkurrenten fertige, maßgeschneiderte Mischungen an. Und darin sitzt das eigentliche Knowhow. Einzelmoleküle kann jeder synthetisieren.

Nachrichten: Dann ist die Produk-tion und das Scale-up heute wichtiger als die Erforschung neuer Moleküle, oder?

Pohl: Ja, das Scale-up spielt eine große Rolle. Denn das Unterneh-men muss schnell liefern können

„Natürlich gehörte auch ein bisschen Glück dazu.“ Ludwig Pohl im Gespräch mit Brigitte Osterath.

S Geschichte der Flüssigkristalle

1888: Der österreichische Botani-

ker Friedrich Reinitzer entdeckt,

dass Cholesterylbenzoat beim

Schmelzen zunächst in eine trübe

Flüssigkeit übergeht. Erst bei hö-

heren Temperaturen wird die

Schmelze klar.

1889: Der deutsche Physiker und

Kristallograph Otto Lehmann be-

schreibt Reinitzers trübe Flüssig-

keit als vierten Aggregatzustand

und nennt ihn „flüssigkristallin“.

1968: George Heilmeier entwi-

ckelt das erste Flüssigkristalldis-

play. Es arbeitet bei einer Betriebs-

temperatur von 80 °C.

1971: Martin Schadt und Werner

Helfrich sowie James Fergason er-

finden zeitgleich die nematische

Drehzelle (twisted nematic cell,

TN-Zelle). Sie macht die LCD-Tech-

nik erstmals praktikabel.

1973: George W. Gray syntheti-

siert Cyanobiphenyle und -ter phe -

nyle; Substanzen, die bei Raum-

temperatur flüssigkristallin sind.

1976/78: Merck patentiert Phenyl-

cyclohexane und Cyclohexylcyclo-

hexane für Flüssigkristalldisplays.

1995: Die In-plane-switching-

Technik verbessert die Lesbarkeit

von Flüssigkristallbildschirmen

und macht den Kontrast weniger

abhängig vom Blickwinkel des Be-

trachters.

1997: Die Vertical-alignment-Tech-

nik macht Flüssigkristallbildschir-

me kontrastreicher.

2012: Merck erzielt mit Flüssig-

kristallen einen Umsatz von

1,2 Milliarden Euro. Der Welt-

marktanteil bei Flüssigkristallen

liegt bei über 60 %.

760 BMagazinV Flüssigkristalle

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Page 4: „Wir waren im kurz vorm Absc - writingscience.de · S Nachrichten aus der Chemie: Herr Pohl, wenn Sie im Elektronik-markt reihenweise LCD-Fernseher sehen, sind Sie dann stolz, dass

und daher die ganze Palette an Ein-zelsubstanzen vorrätig haben. Die Mischung wird meistens ganz kurzfristig hergestellt, und zwar vor Ort in Japan, Südkorea, Taiwan oder demnächst auch in China. Die Produktion der Einzelkomponen-ten findet in Deutschland statt, in Darmstadt und in Gernsheim. Und zwar nicht mehr im Zentnermaß-stab, sondern mit mehreren hun-dert Tonnen pro Jahr.

Nachrichten: Passiert in der Flüs-sigkristallforschung denn heute noch viel?

Pohl: Es werden nach wie vor neue Moleküle entworfen und auf ihre physikalischen Eigenschaften untersucht. Und es werden laufend neue Mischungen für die verschie-denen Displaytypen entwickelt.

Nachrichten: Über hundert Paten-te laufen auf Ihren Namen. Warum, glauben Sie, war Ihre Gruppe bei Merck so erfolgreich?

Pohl: Zum einen hatten sich die richtigen Leute gefunden, die ohne Karrieredenken harmonisch zu-sammenarbeiteten, auch wenn sie, bis zum Chemikanten, unter-schiedlichen Hierarchieebenen an-gehörten. Und wir waren wirklich von dem Thema überzeugt. Natür-lich gehörte auch ein bisschen Glück dazu.

Wir haben sehr viele neue Mole-kültypen entwickelt. Wir hatten gu-te Organiker und gute Leute in der Produktion für die Verfahrensent-wicklung zu größeren Pro duk tions -char gen. Und wir hatten gute Physi-ker, die die komplizierten Mischun-gen berechneten und testeten.

Nachrichten: Eine letzte Frage noch: Ich sehe hier in Ihrem Wohn-zimmer nirgendwo einen Fernseher stehen. Haben Sie etwa keinen Flüs-sigkristallfernseher?

Pohl: Doch, der steht im Keller. Aber der taugt nichts, ich habe ihn

jemandem gebraucht abgekauft. Der hat übrigens eine normale Größe. Die Bilder so quadratmetergroßer Riesenfernseher verwirren mich.

Mit Ludwig Pohl sprachen Brigitte Osterath

und Ernst Guggolz.

VV Ludwig Pohl, Jahrgang 1932, studierte Chemie in

Hannover und Würzburg und promovierte 1962

in physikalischer Chemie an der Universität Han-

nover. Von 1962 bis 1966 arbeitete er bei Heinz-

Helmut Perkampus in Hannover und bei Hans

Herloff Innhoffen in Braunschweig.

VV 1966 stieg er bei Merck in Darmstadt ein und

wurde im Jahr 1970 Leiter der Abteilung Physika-

lische Chemie. Später leitete er im Zentrallabor

Industriechemikalien die Abteilung Physik und

Anorganische Chemie.

VV 1990 wechselte er in die Zentrale Geschäftsent-

wicklung von Merck. Seit 1996 ist er im Ruhe-

stand.

S ZUR PERSON

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