Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung

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WIRKUNGEN DES TV-DUELLS IM VORFELD DER BUNDESTAGSWAHL 2005 AUF DIE WAHLENTSCHEIDUNG Eine empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Medieneinflüssen auf die Siegerwahrnehmung und subjektiven Erwartungshaltungen an die Debattenperformance der Kandidaten Markus Klein und Ulrich Rosar Zusammenfassung: Während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2005 trafen der amtierende Kanzler Gerhard Schröder und seine Herausforderin Angela Merkel im Rahmen einer TV-Debatte aufeinander, dem sogenannten „TV-Duell“. Diese Debatte wurde von ungefähr einem Drittel der Wahlberechtigten verfolgt. Es wird untersucht, ob die Wahrnehmung des TV-Duell-Gewinners ei- nen Einfluss auf die Wahlentscheidung ausgeübt hat. Im Rahmen der empirischen Analysen wird besondere Aufmerksamkeit auf die Stabilität der Siegerwahrnehmung bis zum Wahltag sowie die subjektiven Erwartungen an die Debattenperformance der Kandidaten gerichtet. Die analysierten Daten wurden mittels einer neuartigen Befragungstechnologie über den Fernsehschirm der Befrag- ten erhoben. Es wird gezeigt, dass die Siegerwahrnehmung weitgehend stabil war und nur gering- fügig durch die dem TV-Duell nachfolgende Medienberichterstattung beeinflusst wurde. Die sub- jektiven Erwartungshaltungen an die Debattenperformance der Kandidaten erwiesen sich als ohne Bedeutung für die Wahlentscheidung. Der Effekt der Siegerwahrnehmung auf die Wahlentschei- dung war vermittelt über veränderte Kandidatenorientierungen. I. Einleitung und Problemstellung* Den beiden TV-Duellen im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 war seinerzeit von den Wählern und den Medien große Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Die empi- rische Sozialforschung konnte im Nachgang der Wahl außerdem zeigen, dass von die- sen Duellen Effekte auf die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger ausge- gangen waren: Mit der Wahrnehmung eines der beiden Kontrahenten als Sieger eines Duells ging – auch bei gleichzeitiger Kontrolle anderer wichtiger Einflussfaktoren der Wahlentscheidung – eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe zugunsten sei- ner Partei einher (Faas und Maier 2004b; Klein 2005a, 2005b; Klein und Pötschke 2005; Maier und Faas 2005). Da Gerhard Schröder bei beiden TV-Duellen häufiger als Sieger gesehen wurde als Stoiber, konnte insbesondere die SPD von diesen neuarti- gen Wahlkampfinszenierungen profitieren. Vor diesem Hintergrund war es nicht weiter Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 59, Heft 1, 2007, S. 81–104. * Wir danken sehr herzlich Manfred Güllner (forsa), ohne dessen großzügige Unterstützung wir die vorliegende Studie nicht hätten durchführen können. Dank geht auch an Hermann Dül- mer, Dieter Ohr und Markus Quandt, die zusammen mit uns die in diesem Aufsatz analysier- ten Umfragen konzipierten.

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WIRKUNGEN DES TV-DUELLS IM VORFELD DER BUNDESTAGSWAHL2005 AUF DIE WAHLENTSCHEIDUNG

Eine empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Medieneinflüssenauf die Siegerwahrnehmung und subjektiven Erwartungshaltungen an die

Debattenperformance der Kandidaten

Markus Klein und Ulrich Rosar

Zusammenfassung: Während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2005 trafen der amtierendeKanzler Gerhard Schröder und seine Herausforderin Angela Merkel im Rahmen einer TV-Debatteaufeinander, dem sogenannten „TV-Duell“. Diese Debatte wurde von ungefähr einem Drittel derWahlberechtigten verfolgt. Es wird untersucht, ob die Wahrnehmung des TV-Duell-Gewinners ei-nen Einfluss auf die Wahlentscheidung ausgeübt hat. Im Rahmen der empirischen Analysen wirdbesondere Aufmerksamkeit auf die Stabilität der Siegerwahrnehmung bis zum Wahltag sowie diesubjektiven Erwartungen an die Debattenperformance der Kandidaten gerichtet. Die analysiertenDaten wurden mittels einer neuartigen Befragungstechnologie über den Fernsehschirm der Befrag-ten erhoben. Es wird gezeigt, dass die Siegerwahrnehmung weitgehend stabil war und nur gering-fügig durch die dem TV-Duell nachfolgende Medienberichterstattung beeinflusst wurde. Die sub-jektiven Erwartungshaltungen an die Debattenperformance der Kandidaten erwiesen sich als ohneBedeutung für die Wahlentscheidung. Der Effekt der Siegerwahrnehmung auf die Wahlentschei-dung war vermittelt über veränderte Kandidatenorientierungen.

I. Einleitung und Problemstellung*

Den beiden TV-Duellen im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 war seinerzeit von denWählern und den Medien große Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Die empi-rische Sozialforschung konnte im Nachgang der Wahl außerdem zeigen, dass von die-sen Duellen Effekte auf die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger ausge-gangen waren: Mit der Wahrnehmung eines der beiden Kontrahenten als Sieger einesDuells ging – auch bei gleichzeitiger Kontrolle anderer wichtiger Einflussfaktoren derWahlentscheidung – eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe zugunsten sei-ner Partei einher (Faas und Maier 2004b; Klein 2005a, 2005b; Klein und Pötschke2005; Maier und Faas 2005). Da Gerhard Schröder bei beiden TV-Duellen häufigerals Sieger gesehen wurde als Stoiber, konnte insbesondere die SPD von diesen neuarti-gen Wahlkampfinszenierungen profitieren. Vor diesem Hintergrund war es nicht weiter

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 59, Heft 1, 2007, S. 81–104.

* Wir danken sehr herzlich Manfred Güllner (forsa), ohne dessen großzügige Unterstützung wirdie vorliegende Studie nicht hätten durchführen können. Dank geht auch an Hermann Dül-mer, Dieter Ohr und Markus Quandt, die zusammen mit uns die in diesem Aufsatz analysier-ten Umfragen konzipierten.

überraschend, dass anlässlich der vorgezogenen Bundestagswahl des Jahres 2005 nebenden Medien vor allem Gerhard Schröder und die SPD die erneute Durchführungzweier TV-Duelle forderten. Angela Merkel konnte sich dieser Forderung nicht völligentziehen, stimmte aber unter Verweis auf terminliche Zwänge letztlich nur der Teil-nahme an einem TV-Duell zu.1

Das TV-Duell zur Bundestagswahl 2005 wurde am 4. September, also zwei Wo-chen vor der Wahl, in der Zeit von 20:30 Uhr bis 22:00 Uhr parallel bei ARD, ZDF,SAT 1 und RTL ausgestrahlt. Es wurde von insgesamt 21 Millionen Zuschauern liveverfolgt (Dehm 2005: 628). Dies entspricht ungefähr einem Drittel der wahlberechtig-ten Bevölkerung. Das TV-Duell war damit das zentrale Wahlkampfereignis im Vorfeldder Bundestagswahl. Die im Auftrag der Fernsehanstalten im direkten Anschluss an dasTV-Duell durchgeführten Blitzumfragen sahen Gerhard Schröder mit einem Vorsprungvon jeweils mindestens 15 Prozentpunkten als Sieger (Spiegel-Online 2005). Die Um-fragen zeigten aber auch, dass Angela Merkel sich in den Augen der Zuschauer deut-lich besser präsentierte, als im Vorfeld erwartet worden war.

Im vorliegenden Aufsatz wird untersucht, welche Wirkungen von dem TV-Duellzur Bundestagswahl 2005 auf die Stimmabgabe der Zuschauerinnen und Zuschauerausgegangen sind. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob sich auch bei dieser Bun-destagswahl Effekte der Wahrnehmung und Bewertung des Auftretens der beidenKanzlerkandidaten während des TV-Duells auf die individuelle Wahlentscheidungnachweisen lassen: Scheint es doch zumindest möglich, dass die bei der Bundestags-wahl 2002 festgestellten Effekte der TV-Duelle darauf zurückzuführen waren, dass sol-che Debatten erstmals durchgeführt wurden und daher in besondere Weise die Auf-merksamkeit der Wählerschaft auf sich zogen, während das TV-Duell zur Bundestags-wahl 2005 möglicherweise bereits als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde.

Im Unterschied zu den bislang vorliegenden empirischen Analysen der Wirkungenvon TV-Duellen in Bundestagswahlkämpfen wird außerdem neben der Wahrnehmungdes Siegers auch die Bewertung der Debattenperformance von Schröder und Merkeldurch die Rezipienten relativ zu den vorab existierenden Erwartungen berücksichtigt.Dies geschieht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in vielen Medienkommentarenaus Anlass solcher TV-Debatten die Vermutung formuliert wird, dass es für den vorabschlechter eingestuften Kandidaten nicht notwendigerweise darauf ankomme zu gewin-nen, als vielmehr darauf, die Erwartungshaltung des Publikums zu übertreffen. Darü-ber hinaus wird im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes erstmals untersucht, wie stabildie Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells bis zum Wahltag – der in Deutschlandbisher mindestens zwei Wochen nach einem Duell lag – ist und wie stark das von denRezipienten im unmittelbaren Anschluss an das TV-Duell gebildete Urteil noch vonder nachfolgenden Berichterstattung der Medien beeinflusst wird. Die bislang vorlie-

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1 Gerhard Schröder und Angela Merkel trafen vor der Bundestagswahl 2005 im Rahmen der am12. September 2005 ausgestrahlten ARD-Sendung „Wahl 05: Die Favoriten. Spitzenpolitikerim Kreuzverhör“ noch ein zweites Mal im Fernsehen aufeinander. Bei dieser Sendung handeltees sich aber nicht um ein TV-Duell, sondern um die Fortschreibung der Tradition der so ge-nannten „Elefantenrunden“ (vgl. hierzu u.a. Weiß 1976; Schrott 1990): Teilnehmer waren indiesem Fall die Spitzenkandidaten aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. DieseSendung ist dementsprechend auch nicht Gegenstand der Analysen dieser Abhandlung.

genden empirischen Analysen decken nur einen Zeitraum von jeweils drei bis siebenTagen nach den beiden TV-Duellen im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 ab (Dons-bach und Jandura 2005) und stützen sich im Falle der Analysen von Maurer und Rei-nemann (2003) sowie von Maier und Faas (2003) außerdem auf derart kleine Fallzah-len (68 bis 75 Personen), dass man die in ihrem Rahmen erzielten Befunde mit aller-größter Skepsis betrachten sollte. Dies gilt umso mehr, als die Probanden der beidenletztgenannten Studien die TV-Duelle unter Laborbedingungen verfolgten und es sichaußerdem nicht um Zufallsstichproben handelte.

Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich in vier Abschnitte: Zunächst wirdein Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse und Vermutungen bezüglich der Wir-kungen von TV-Duellen auf die Wahlentscheidung bei Bundestagswahlen gegeben(Abschnitt II). Nach einer kurzen Beschreibung der Datenerhebung (Abschnitt III)folgt die Darstellung der Ergebnisse der empirischen Analysen (Abschnitt IV). Abge-schlossen wird der Aufsatz durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Untersu-chungsergebnisse sowie einige inhaltliche Schlussfolgerungen (Abschnitt V).

II. Erkenntnisse und Vermutungen über die Wirkungen von TV-Duellenauf die Wahlentscheidung bei Bundestagswahlen

TV-Duelle – so eine schöne Metapher von Faas und Maier (2004a) – sind Wahlkämp-fe im Miniatur-Format, die wie unter einem Brennglas stattfinden. Die Kandidaten derbeiden großen Volksparteien für das höchste Amt der politischen Exekutive treffen un-mittelbar aufeinander und streiten über politische Zukunftsentwürfe und Problemlö-sungsstrategien. Die Zuschauer können sich so ein Urteil über die Kanzlerkandidaten,aber auch über das programmatische Angebot und die Problemlösungskompetenzen ih-rer jeweiligen Parteien bilden. Dass von diesen Urteilen Einflüsse auf die Wahlentschei-dung der Zuschauerinnen und Zuschauer ausgehen, ist dabei eine durchaus nahe lie-gende Vermutung: TV-Duelle finden kurz vor der Wahl statt, erreichen ein große Zahlvon Wahlberechtigten und stellen für nicht wenige von diesen den wichtigsten Kontaktmit dem Wahlkampfgeschehen dar.

Die meisten empirischen Analysen zu den Wirkungen von TV-Duellen auf dieWahlentscheidung bei Bundestagswahlen gehen von der Annahme aus, dass sich dieZuschauer ein Urteil über den Sieger des TV-Duells bilden und dieses dann ihre Wahl-entscheidung beeinflusst (Maurer und Reinemann 2003: 134–155; Faas und Maier2004b; Klein 2005a, 2005b; Klein und Pötschke 2005; Maier und Faas 2005). Diesentspricht sowohl der Metapher des „Duells“ zwischen zwei Kontrahenten, das nur ei-nen Sieger kennt, als auch der Herangehensweise vieler empirischer Studien zu denUS-amerikanischen Presidential Debates, die das Vorbild der deutschen TV-Duelle bil-den (vgl. z.B. Lang und Lang 1978; Lanoue 1992). Ein zentraler Befund der empiri-schen Studien über die Wirkungen von TV-Duellen ist, dass Zuschauer, die eine lang-fristige politische Bindung an eine der beiden großen Volksparteien besitzen (so ge-nannte Parteiidentifikation), den Kanzlerkandidaten dieser Partei auch mit einer sehrhohen Wahrscheinlichkeit als den Sieger des Duells sehen (Faas und Maier 2004a,2004b, 2005b; Maier und Faas 2005). Die Wahrnehmung eines TV-Duells wird also

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nicht unmaßgeblich durch die langfristigen politischen Prädispositionen der Zuschauergeprägt.

In allen bislang vorliegenden Studien über die Wirkungen von TV-Duellen beiBundestagswahlen lassen sich aber auch bei Kontrolle langfristiger politischer Prädispo-sitionen signifikante Effekte der Siegerwahrnehmung auf die Wahlentscheidung nach-weisen. Dies gilt sowohl für die im unmittelbaren Anschluss an das TV-Duell erhobeneSiegerwahrnehmung der Zuschauer (Klein 2005a, 2005b; Klein und Pötschke 2005)als auch für eine mit einigen Tagen Abstand erhobene Siegerwahrnehmung (Faas undMaier 2004b; Maier und Faas 2005). Diese unterscheiden sich dadurch, dass erstge-nannte im Wesentlichen auf dem subjektiven Urteil der Zuschauer gründet, währendin letztere auch die von den Zuschauern wahrgenommenen Kommentierungen undBewertungen des TV-Duells im Rahmen der nachgelagerten Medienberichterstattungsowie der Tenor der mit den jeweiligen Peers geführten Gespräche über die TV-DuelleEingang finden können.

In der amerikanischen Literatur finden sich Hinweise darauf, dass die Siegerwahr-nehmung der Zuschauer maßgeblich von der nachfolgenden Medienberichterstattungbeeinflusst wird (vgl. u.a. Atkin et al. 1978; Lang und Lang 1978; Lowry et al. 1990;Lemert et al. 1991; Tsfati 2003). Die für Deutschland vorliegenden Befunde relativie-ren eine solche weit reichende Deutung allerdings erheblich: Nach den bislang vorlie-genden Ergebnissen ändert nur gut ein Drittel der Zuschauer ihre Siegerwahrnehmung,während knapp zwei Drittel bei ihrer ursprünglichen Einschätzung bleiben (Maurerund Reinemann 2003: 144; Donsbach und Jandura 2005: 153). Als bedeutsam für dieÄnderung der Siegerwahrnehmung erweist sich dabei die wahrgenommene Medienbe-richterstattung über das TV-Duell sowie die Nutzungshäufigkeit der Fernsehnachrich-ten. Der Tenor der Gespräche mit Freunden und Bekannten hingegen ist für die Ver-änderung der Siegerwahrnehmung nicht von Bedeutung (Donsbach und Jandura 2005:153f.). Wie in der Einleitung bereits ausgeführt, decken die bislang vorliegenden Stu-dien allerdings nur den Zeitraum von 3 bis 7 Tagen nach einem Duell ab. Zu untersu-chen bleibt folglich, welche Veränderungen sich in der Siegerwahrnehmung bis zumWahltag ergeben und inwieweit diese Veränderungen mit der wahrgenommenen Me-dienberichterstattung zusammenhängen.

Keine Aufmerksamkeit haben in der wissenschaftlichen Begleitforschung bislangWirkungsvermutungen gefunden, die häufig in der journalistischen Berichterstattungüber TV-Duelle formuliert werden. Demnach komme es für die Kontrahenten nichtnotwendigerweise darauf an, das Duell zu gewinnen. Dies gelte nur für denjenigen vonbeiden, der als Favorit in eine solche Auseinandersetzung geht. Für den im Vorfeldschlechter eingeschätzten Kandidaten könne es hingegen schon nützlich sein, die Er-wartungen des Publikums zu übertreffen, auch wenn er es letztlich nicht schafft, dasDuell zu gewinnen.2 Diesen Wirkungsvermutungen liegen – zumindest implizit – Me-

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2 Auch im Nachgang des TV-Duells zur Bundestagswahl 2005 wurden in vielen Medien solcheDeutungen angeboten. So schrieb beispielsweise die WELT in ihrer Ausgabe vom 6. September2005: „Am Tag nach dem Duell schweben, nicht gerade unerwartet, gleich zwei Sieger durchdas politische Berlin. Schröder, weil er in den Umfragen der vier beteiligten Sender durchwegbesser wegkommt als seine Herausfordererin. Und Merkel, weil sie sich – nach Aussage reprä-sentativ befragter Zuschauer – besser gegen den Medienkanzler gehalten hat, als man ihr das zu-

chanismen zu Grunde, die aus der kognitionspsychologischen Forschung wohlbekanntsind: So wird nach der Präsentation einer Reihe von schwachen Reizen (schwachesAuftreten eines Kandidaten in der Vergangenheit) ein dann folgender stärkerer Reiz(ein die auf der Grundlage vergangener Erfahrungen gebildeten Erwartungen übertref-fender Auftritt des Kandidaten im TV-Duell) besonders positiv bewertet (sukzessiverKontrast-Effekt; Fröhlich 1991: 214). Hinzu kommt, dass das Gesamturteil über einePerson besonders stark von aktuellen bzw. nur kurz zurückliegenden Eindrücken be-stimmt wird (Recency-Effekt; Bänsch 2002: 63; Bredenkamp und Wippich 1977: 31–35; Trommsdorff 1993: 267). Diese beiden Effekte zusammen können im Ergebnisdazu führen, dass ein die Erwartungen übertreffender Auftritt beim TV-Duell die Be-wertung eines Kandidaten verbessert, selbst wenn er in der vergleichenden Gesamt-schau seinem Konkurrenten unterliegt.

Ähnliche Argumentationsmuster finden sich auch in der Marketing- und Konsu-mentenforschung. Hier wird unterstellt, dass das Urteil über ein Beurteilungsobjektdurch einen Soll-Ist-Vergleich der Erwartungen mit den erbrachten Leistungen zustan-de kommt. Übertrifft das Ist das Soll, dann kommt es zu einer positiven Nicht-Be-stätigung der Erwartungen, die Zufriedenheit generiert und eine verbesserte Bewertungdes Beurteilungsobjekts nach sich ziehen kann (Gierl 1995: 233–238). Übertragen aufdie TV-Duelle bedeutet dies, dass – neben dem direkten Vergleich – ein wesentlicherAspekt der Bewertung des Auftretens der beiden Kontrahenten in einem jeweils isolier-ten Vergleich ihrer Leistung mit den vorab existierenden Erwartungen besteht. Da derals Favorit eingeschätzte Kandidat die Erwartungen kaum übertreffen kann, ist die Ver-besserung der eigenen Bewertung durch eine positive Nicht-Bestätigung der Erwartun-gen vor allem für den im Vorfeld schlechter eingeschätzten Kandidaten von potentiellerBedeutung.

Praktisch-politische Relevanz gewinnen die eben beschriebenen Wirkungsmechanis-men dadurch, dass der empirische Nachweis ihrer Gültigkeit die strategischen Überle-gungen von Parteien und Politikern verändern kann: Ein wenig fernseh- und debatten-tauglicher Kandidat müsste dann nicht unbedingt versuchen, eine direkte Konfronta-tion mit einem in diesen Aspekten überlegenen Konkurrenten zu vermeiden (wie esAngela Merkel im Vorfeld der Bundestagswahl unterstellt wurde). Solange ein solcherKandidat – zum Beispiel durch intensive Vorbereitung – sicherstellt, dass er besser auf-tritt als in der Vergangenheit, kann er durchaus Vorteile aus einer solchen Konfronta-tion ziehen. Dies gilt aber nur dann, wenn diese Vorteile im Vergleich zu den Nachtei-len aus einer Niederlage im Duell stärker wiegen, was bislang empirisch nicht erforschtist. Aber auch bezüglich des zu bevorzugenden Debattenstils und des taktischen Debat-tenverhaltens könnten sich aus den behaupteten Wirkungsmechanismen Konsequenzenergeben: Wenn die Bewertung der Kontrahenten eines TV-Duells schwerpunktmäßigmit Bezug auf die jeweils vorab existierenden Erwartungen erfolgt und sich nur nach-

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vor zugetraut hatte“. Noch deutlicher brachte es bereits einen Tag zuvor die Financial TimesDeutschland auf den Punkt: „Erste Umfragen signalisieren, dass Schröder das Duell gewann,doch entscheidend für die politische Wirkung ist eben auch, wie der Auftritt im Vergleich zuden Erwartungen ausgefallen ist. Da war der Kanzler ohnehin als wahrscheinlicher Sieger ge-handelt worden. Angela Merkel hingegen konnte die rhetorische K.O.-Niederlage vermeidenund übertraf die bescheidenen Erwartungen eher ein bisschen“.

rangig aus dem direkten Vergleich ergibt, dann ist möglicherweise ein weniger aggressi-ver und konfliktärer Argumentationsstil ratsam.

III. Datenbasis

Die im Folgenden berichteten empirischen Analysen beruhen auf den Daten einer drei-welligen Befragung, die in den letzten beiden Wochen vor und der Woche nach derBundestagswahl 2005 durchgeführt wurde. Die Datenerhebung erfolgte dabei über einWeb-TV-Panel, das so genannte forsa.omninet (vgl. ausführlich Güllner und Schmitt2003; Krause 2005). Bei einem Web-TV-Panel handelt es sich um ein Access Panel,also einen Pool von Personen, die sich dazu bereit erklärt haben, wiederholt an Befra-gungen teilzunehmen. Im Falle des forsa.omninet erfolgt die Rekrutierung der Panel-mitglieder im Rahmen von bevölkerungsrepräsentativen Telefonumfragen, wobei ver-sucht wird, sämtliche Haushaltsmitglieder – bis zu einem Alter von maximal 69 Jahren– als Panelmitglieder zu werben (Krause 2005: 226). Ist in einem Haushalt mindestenseine Person als Panelmitglied rekrutiert worden, so stellt das Befragungsinstitut eineSet-Top-Box zur Verfügung, die an den heimischen Fernsehapparat angeschlossen wird(vgl. Abbildung 1). Diese Set-Top-Box kann über ein Modem und den Telefonan-schluss des Befragungshaushalts eine Internetverbindung zum Server des Befragungsin-stituts herstellen. Den Panelmitgliedern wird beim Einschalten ihres Fernsehers ange-zeigt, ob eine Befragung vorliegt, bei der ihre Teilnahme erwünscht ist. Entscheiden siesich für die Teilnahme, so wird der Fragebogen Frage für Frage auf dem Fernsehschirmangezeigt. Die Antworten der Befragten werden über eine drahtlose Tatstatur mit Joy-stick erfasst und online an das Befragungsinstitut übermittelt. Zum Zeitpunkt derDurchführung unserer Umfrage umfasste das forsa.omninet 7.500 Haushalte mit15.000 Teilnehmern (Dehm 2005: 637).

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Abbildung 1: Die Datenerhebung im Rahmen des forsa.omninet

Fernsehgerät

Set-Top-Box

drahtlose

Tastatur

Telefon-anschluss

Fragebogen

Daten

Fragen

AntwortenzentralerServer

Die erste Befragung fand am Abend des TV-Duells im unmittelbaren Anschluss andessen Ausstrahlung statt (vgl. Abbildung 2). Befragt wurden dabei nur solche Panel-mitglieder, die zuvor angegeben hatten, das TV-Duell sehen zu wollen und dies danntatsächlich auch taten. Insgesamt wurden am Abend des TV-Duells 1.478 vollständigeInterviews realisiert (vgl. Tabelle 1). In diesen Interviews wurden unter anderem derwahrgenommene Sieger des TV-Duells sowie die Bewertung des Auftretens der beidenKontrahenten relativ zu den Erwartungen des Befragten erhoben.

Darüber hinaus wurde in der Woche vor der Wahl eine umfassende Wahlstudie durch-geführt, die in der Woche nach der Wahl um eine kurze Panelkomponente ergänztwurde (vgl. Abbildung 2). In der Vorwahlstudie wurden dabei die wichtigsten Einfluss-faktoren der Wahlentscheidung sehr differenziert abgefragt, darunter die Parteiidentifi-kation, die Kandidaten- und die Themenorientierungen. In der Nachwahlbefragungwurde unter anderem die Wahlentscheidung sowie erneut die Wahrnehmung des Sie-gers des TV-Duells erhoben. In der Woche vor der Wahl wurden 1.084 Personen be-fragt, von denen 744 nach der Wahl erneut befragt werden konnten (vgl. Tabelle 1).Um die Befragung am Abend des TV-Duells mit der umfassenden Wahlstudie zu ver-knüpfen, wurden 482 Teilnehmer dieser Befragung im Rahmen der Vorwahlstudie er-neut befragt, von denen 398 dann auch in der Woche nach der Wahl noch einmal in-terviewt werden konnten. Eine Besonderheit der hier analysierten Daten besteht folg-lich darin, dass nicht alle Teilnehmer der ersten Befragungswelle erneut kontaktiertwurden, sondern nur ein Teil dieser Befragten der eigentlichen Hauptstudie zufälligbeigemischt wurde. Das beschriebene Vorgehen war notwendig, um in der Wahlstudieeine ausgewogene Mischung zwischen Zuschauern und Nicht-Zuschauern des TV-Duells herzustellen und gleichzeitig die Gesamtzahl der Befragten der Wahlstudie in ei-nem finanzierbaren Rahmen zu halten.3 Informationen zur sozialstrukturellen Zusam-mensetzung der wichtigsten (Teil-)Stichproben finden sich in Tabelle A1 im Anhangdieses Aufsatzes.

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Abbildung 2: Die Erhebungszeitpunkte der drei Befragungswellen

36. KWTV-Duell BTW

Zeit

1. Welle

37. KW

2. Welle

38. KW

3. Welle

3 Wären wir nur daran interessiert gewesen, die Wirkungen des TV-Duells zu untersuchen, sowäre sicherlich eine normale Panelstudie vorteilhaft gewesen, die ausschließlich Zuschauer desTV-Duells erfasst. Da die Daten unserer Studie aber auch für andere wahlsoziologische Frage-stellungen nutzbar sein sollten, kam ein solches Vorgehen leider nicht in Betracht.

IV. Empirische Analysen4

1. Die Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells, ihre Stabilitätund deren Abhängigkeit von der Mediennutzung

Am Abend des 4. September 2005 gaben 49 Prozent der Befragten, die auch in derWoche nach der Wahl interviewt wurden, an, Schröder sei als Sieger aus dem TV-Duell hervorgegangen (vgl. Tabelle 2). Weitere 23 Prozent sahen Merkel als Siegerin,27 Prozent konnten sich für keinen der beiden als Sieger entscheiden und ein Prozentder Befragten machte keine Angaben. Gut zwei Wochen später gaben dann nur noch40 Prozent dieser Befragten zu Protokoll, Schröder sei der Sieger des TV-Duells gewe-sen (minus 9 Prozentpunkte), während der entsprechende Anteil für Merkel weitge-hend stabil blieb (plus 1 Prozentpunkt). Dass keiner von beiden gewonnen habe, ga-ben nunmehr 36 Prozent an (plus 9 Prozentpunkte). Die Wahrnehmung des Siegersdes TV-Duells hat sich folglich im Zeitablauf deutlich zu Ungunsten von Schröderentwickelt.

Aus Tabelle 2 lassen sich allerdings nur Nettoveränderungen ersehen, so dass zu-nächst nicht klar ist, wie viele Befragte ihre Siegerwahrnehmung tatsächlich veränderthaben. In Tabelle 3 ist daher im Rahmen einer einfachen Kreuztabelle die Siegerwahr-nehmung in der Woche nach der Wahl in Abhängigkeit von der Siegerwahrnehmungim unmittelbaren Anschluss an die Ausstrahlung des TV-Duells abgetragen. In den

88 Markus Klein und Ulrich Rosar

Tabelle 1: Fallzahlen der drei Befragungswellen und Ausmaß der wechselseitigen Über-schneidungen

Befragungszeitpunkt

Welle 1(Abend desTV-Duells)

Welle 2(Woche vorder Wahl)

Welle 3(Woche nach

der Wahl)

zu allen drei Erhebungszeitpunktenbefragt

398

nur am Abend des TV-Duells und in derWoche vor der Wahl befragt

84

nur in der Woche vor der Wahl und in derWoche nach der Wahl befragt

346

nur am Abend des TV-Duellsbefragt

996

nur in der Woche vor der Wahlbefragt

256

Zahl der Befragten 1478 1084 744

4 Für die Zwecke der empirischen Analyse wurden die Daten einer Recall-Gewichtung unterzo-gen, da Anhänger der SPD in den Daten leicht überrepräsentiert waren. Das von den Befragtender 3. Welle berichtete Wahlverhalten wurde dabei dem amtlichen Endergebnis der Bundestags-wahl 2005 angeglichen. Dies gilt sowohl für den Anteil der Nichtwähler als auch für die Anteileder verschiedenen Parteien an den abgegebenen Stimmen. Für die empirischen Analysen stehendamit maximal die 744 Fälle der dritten Panelwelle zur Verfügung.

Zellen der Kreuztabelle sind dabei links oben jeweils die totalen Prozente und rechtsunten die Spaltenprozente angegeben. Die wichtigste Erkenntnis aus Tabelle 3 bestehtdarin, dass 70 Prozent der Befragten ihre Siegerwahrnehmung im Untersuchungszeit-raum nicht verändert haben. Weitere 18 Prozent haben sich am Abend des TV-Duellsfür Schröder oder Merkel entschieden und geben dann nach der Wahl an, keiner vonbeiden habe das TV-Duell für sich entscheiden können. Von Schröder zu Merkel oderumgekehrt hat nur jeweils ein Prozent der Befragten seine Siegerwahrnehmung verän-dert. 10 Prozent der Befragten haben am Abend des 4. September keinen Sieger desDuells angeben können, benennen nach der Wahl aber einen solchen.

Die Aggregatveränderung in der Siegerwahrnehmung zu Ungunsten Schröders erklärtsich also letztlich dadurch, dass deutlich mehr Befragte eine ursprüngliche Siegerwahr-nehmung zu seinen Gunsten in ein indifferentes Urteil abwandeln (13 Prozent) alsumgekehrt (4 Prozent). Angela Merkel hingegen gewinnt 6 Prozent der Befragten aus

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Tabelle 2: Die Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells im unmittelbaren Anschluss anseine Ausstrahlung und in der Woche nach der Wahl (Angaben in Prozent)

Abend des TV-Duells Woche nach der Wahl (Netto-)Veränderung

Gerhard SchröderAngela Merkelkeiner von beidenweiß nicht

492327

1

402436

0

–9+1+9–1

N 355 355

Anmerkung: Die Auswertung beschränkt sich auf diejenigen Befragten, die sowohl am Abend des TV-Duellsals auch in der Woche nach der Bundestagswahl befragt wurden. Die Fallzahlen fallen im Vergleich zu Tabelle1 geringer aus, da 33 Personen, die im unmittelbaren Anschluss an das TV-Duell an der Befragung teilnah-men, in der Nachwahlbefragung angaben, das TV-Duell nicht gesehen zu haben bzw. sich nicht mehr daranerinnern zu können, ob sie es gesehen haben. Für diese Personen wurde in der Nachwahlbefragung keine Sie-gerwahrnehmung erhoben. Die darüber hinausgehenden Abweichungen in der Fallzahl sind das Ergebnis dervorgenommenen Gewichtung, die zwar die Befragtenzahl der dritten Welle insgesamt reproduziert, nicht abernotwendigerweise die Fallzahlen jeder Subgruppe.

Tabelle 3: Die Siegerwahrnehmung in der Woche nach der Wahl in Abhängigkeit vonder Siegerwahrnehmung im unmittelbaren Anschluss an die Ausstrahlung desTV-Duells (Angaben in Prozent)

Siegerwahrnehmung in derWoche nach der Wahl

Siegerwahrnehmung am Abend des TV-Duells

ΣGerhard Schröder Angela Merkel keiner von beiden

Gerhard Schröder36

721

44

1641

Angela Merkel1

217

746

2224

keiner von beiden13

265

2217

6235

Σ

Σ50

10023

10027

100100

(N=351)

Anmerkung: In den Zellen der Kreuztabelle sind links oben jeweils die totalen Prozente und rechts unten dieSpaltenprozente angegeben.

dem Lager der ursprünglich Indifferenten hinzu, während nur 5 Prozent der Befragteneine ursprüngliche Siegerwahrnehmung zugunsten Merkels ablegen und nunmehr einindifferentes Urteil abgeben.

Insgesamt erscheint die Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells aber weitgehendrobust: Befragte, die sich am Abend des Duells für einen der beiden Kandidaten alsSieger entschieden haben, ändern ihr Urteil in der Folgezeit nur mit sehr geringerWahrscheinlichkeit zugunsten des jeweils anderen Kandidaten (2 bzw. 4 Prozent).Deutlich häufiger geben solche Befragte in der Woche nach der Wahl an, das TV-Duell habe keinen Sieger hervorgebracht (26 bzw. 22 Prozent). Ein solcher „Verlust“der ursprünglichen Siegerwahrnehmung kann dabei prinzipiell aus zwei Prozessen re-sultieren: Entweder verblasst im Zeitablauf schlicht die Erinnerung an das TV-Duellund damit auch die Erinnerung an den ursprünglich wahrgenommen Sieger oder aberdie Befragten werden mit zu ihrem ursprünglichen Urteil dissonanten Informationenund Bewertungen konfrontiert, was sie dazu veranlasst, ihr zunächst eindeutiges Urteilin die Wahrnehmung einer Pattsituation abzuwandeln. Quellen solcher dissonanter In-formationen können dabei Gespräche mit anderen Zuschauern des TV-Duells oderaber die nachfolgende Medienberichterstattung über das TV-Duell sein.

Persönliche Kontakte und Medienbotschaften sind aller Wahrscheinlichkeit nachauch dafür verantwortlich, dass 38 Prozent der Befragten, die am Abend des TV-Duellskeinen Sieger angeben konnten oder wollten, in der Woche nach der Wahl einen derbeiden Kontrahenten als Sieger sahen. Eine solche nachträglich herausgebildete Sieger-wahrnehmung fiel etwas häufiger zu Gunsten von Merkel (22 Prozent) als zu Gunstenvon Schröder (16 Prozent) aus. Die dem TV-Duell nachfolgenden Beurteilungsprozessescheinen damit für Merkel positiver ausgefallen zu sein als die unmittelbare Wahrneh-mung und Bewertung ihres Auftretens am Abend des Duells selbst. Dies ist aller Wahr-scheinlichkeit nach auf eine entsprechende Deutung und Kommentierung in den Mas-senmedien zurückzuführen. Entsprechend der in Tabelle 2 berichteten Befunde sollteman nämlich im Rahmen persönlicher Kommunikationsprozesse eher in Richtung derWahrnehmung eines Debattensiegs von Gerhard Schröder beeinflusst worden sein, daein zufälliger Gesprächspartner Schröder im Vergleich zu Merkel mit einer doppelt sohohen Wahrscheinlichkeit als den Gewinner des TV-Duells sah.

Im Folgenden soll im Rahmen einer logistischen Regressionsanalyse untersucht wer-den, welcher Einfluss von der Mediennutzung auf die Stabilität der Siegerwahrneh-mung ausgeht (Tabelle 4). Die Zielgröße bildet dabei eine dichotome Variable, die da-rüber Auskunft gibt, ob ein Befragter seine Siegerwahrnehmung geändert hat odernicht. Dadurch können Medien mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung simultanuntersucht werden, da nicht die Richtung der Veränderung der Siegerwahrnehmunguntersucht wird, sondern nur, ob eine solche Veränderung erfolgt ist oder nicht. Alsunabhängige Variablen dienen in Modell (1) zunächst sechs Dummy-Variablen, die an-geben, ob ein Befragter bestimmte Medientypen regelmäßig nutzt oder nicht. Dabeizeigt sich, dass kein Einfluss der Nutzung von diversen Printmedien auf die Stabilitätder Siegerwahrnehmung des TV-Duells nachgewiesen werden kann. Dies gilt für dieregelmäßige Lektüre der BILD-Zeitung, einer regionalen Tageszeitung, einer überregio-nalen Qualitätszeitung sowie einer Wochenzeitung bzw. eines Wochenmagazins. Etwasanders stellt sich der Befund im Hinblick auf die Nutzung des Fernsehens dar. Regel-

90 Markus Klein und Ulrich Rosar

mäßige Zuschauer der Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verändernihre Siegerwahrnehmung signifikant häufiger als Nicht-Zuschauer. Hier nicht doku-mentierte Detailanalysen zeigen, dass die Veränderung der Siegerwahrnehmung bei denregelmäßigen Zuschauern der Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens deut-lich zu Ungunsten von Schröder ausfiel. Kein Einfluss auf die Stabilität der Sieger-wahrnehmung geht hingegen von der Nutzung der Nachrichten des Privatfernsehensaus.

Diese Befunde sind insofern plausibel, als sich die Menschen bevorzugt solchenPrintmedien zuwenden, die mit ihren eigenen politischen Vorstellungen weitgehendkonform gehen. Die Wahrscheinlichkeit, in der Berichterstattung solcher Medien mitzum eigenen Urteil dissonanten Bewertungen des Auftretens von Schröder und Merkelwährend des TV-Duells konfrontiert zu werden, ist dann aber eher gering. Anders imFalle der Berichterstattung des Fernsehens: Hier ist eine eindeutige „politische Linie“der verschiedenen Sender häufig nicht zu erkennen und im Falle der öffentlich-recht-lichen Fernsehanstalten aufgrund des Gebots der politischen Ausgewogenheit auchnicht erwünscht. Die Wahrnehmung der Berichterstattung des Fernsehens wird folglichweniger durch Mechanismen der selektiven Medienzuwendung gefiltert als dies bei den

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 91

Tabelle 4: Die Stabilität der Siegerwahrnehmung in Abhängigkeit von der Mediennut-zung, dem politischen Interesse und der Parteiidentifikation (binäre logisti-sche Regression)

Modell

(1) (2)

Konstante 2,39**(0,70)

1,84**(,84)

Regelmäßige Nutzung ...der BILD-Zeitung –,27

(,29)–,30(,30)

einer regionalen Tageszeitung ,61(,34)

,54(,35)

einer Qualitätszeitung ,37(,38)

,33(,39)

einer Wochenzeitung/eines Wochenmagazins ,25(,31)

,16(,31)

der Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens –2,10**(,65)

–2,28**(,66)

der Nachrichten des privaten Fernsehens –,20(,70)

–,09(,30)

Politisches Interesse ,08(,15)

Parteiidentifikation vorhanden ,69*(,28)

Pseudo-R² in % (Cox & Snell)N

5,9340

7,8340

Anmerkung: *: p < 0,05; **: p < 0,01, Eintragungen sind unstandardisierte Logitkoeffizienten. Standardfehlersind in Klammern angegeben. Unter regelmäßiger Nutzung wird eine mindestens einmal pro Woche erfolgen-de Nutzung verstanden.

Printmedien der Fall ist. Dass die Nutzung der Informationsangebote der Privatsenderkeinen Einfluss auf die Stabilität der Siegerwahrnehmung aufweist, lässt sich allerWahrscheinlichkeit nach schlicht dadurch erklären, dass der Politikberichterstattungbei den Privatsendern (selbst in den Nachrichtensendungen und in Wahlkampfzeiten)deutlich weniger Gewicht zukommt als bei den öffentlich-rechtlichen Sendern (vgl.hierzu Krüger et al. 2005).

Welche Bedeutung den politischen Prädispositionen eines Individuums für die Sta-bilität seiner Siegerwahrnehmung zukommt, lässt sich an Modell (2) in Tabelle 4 able-sen. In diesem Modell sind über die sechs Mediennutzungsvariablen hinaus außerdemnoch das politische Interesse und das Vorhandensein einer Parteiidentifikation als un-abhängige Variable berücksichtigt. Während vom politischen Interesse kein Effekt aufdie Stabilität der Siegerwahrnehmung ausgeht, zeigt sich ein solcher für die Partei-identifikation: Personen mit Parteiidentifikation weisen häufiger eine stabile Sieger-wahrnehmung auf als Personen ohne Parteiidentifikation. Es liegt die Vermutung nahe,dass die Siegerwahrnehmung von Personen ohne Parteiidentifikation auch stärker vonder dem TV-Duell nachfolgenden Medienberichterstattung beeinflusst wurde. Dieskonnte aufgrund zu geringer Fallzahlen empirisch allerdings nicht überprüft werden.

Insgesamt erweist sich die Erklärungsleistung der in Tabelle 4 berichteten Modelleallerdings als eher gering. Die Stabilität der Siegerwahrnehmung kann folglich nur zueinem geringen Teil durch die Mediennutzung der Befragten bzw. durch ihr politischesInteresse oder das Vorhandensein einer Parteiidentifikation erklärt werden. Wie obenbereits erwähnt, besteht die Hauptveränderung der Siegerwahrnehmung darin, dasseine ursprünglich existierende Siegerwahrnehmung in die Wahrnehmung einer Patt-situation abgeändert wird. Vor dem Hintergrund dieser Befunde ist es dann aber einenahe liegende Vermutung, dass die Veränderung der Siegerwahrnehmung zu einemnicht unerheblichen Teil schlicht die verblassende Erinnerung an das TV-Duell reflek-tiert und keine Einflüsse der nachfolgenden Medienberichterstattung über das TV-Duell.

2. Effekte des Gewinnens und Effekte einer die Erwartungen übertreffendenDebattenperformance auf die Wahlentscheidung

Wie in Abschnitt II dargestellt, wird in Pressekommentaren zuweilen die Vermutunggeäußert, dass es bei TV-Duellen nicht notwendigerweise darauf ankomme zu gewin-nen. Vielmehr könne der im Vorfeld schlechter eingeschätzte Kandidat bereits dannNutzen aus einem solchen TV-Duell ziehen, wenn er oder sie nur die bestehenden Er-wartungen des Publikums deutlich übertrifft. Diese Vermutung soll im Folgenden ei-nem empirischen Test unterzogen werden. In Tabelle 5 ist zunächst die Bewertung desAuftretens von Schröder und Merkel während des TV-Duells relativ zu den persönli-chen Erwartungen der Zuschauer dargestellt. Diese Urteile wurden am 4. September2005 im unmittelbaren Anschluss an das TV-Duell erhoben. Nur 17 Prozent der Be-fragten gaben dabei an, dass Schröder besser als erwartet aufgetreten sei, während dies55 Prozent von Merkel sagten. Knapp zwei Drittel der Befragten gaben für Schröderan, dass dieser den Erwartungen entsprochen habe, während dies nur knapp ein Drittel

92 Markus Klein und Ulrich Rosar

von Merkel sagt. Schlechter als erwartet sahen 15 Prozent der Befragten Schröder und12 Prozent Merkel.

Um die Effekte des Gewinnens des TV-Duells und einer die Erwartungen übertref-fenden Debattenperformance miteinander vergleichen zu können, wurden die beidenVariablen simultan im Rahmen zweier einfacher Erklärungsmodelle der Wahlentschei-dung berücksichtigt (vgl. Tabelle 6). Als abhängige Variable dient dabei zum einen eineDummy-Variable, die eine Wahlentscheidung zugunsten der CDU/CSU indiziert undzum anderen eine Dummy-Variable, die eine Wahlentscheidung zugunsten der SPD in-diziert.5 Dadurch können die Effekte von Debattengewinn und Debattenperformancefür Schröder und Merkel getrennt analysiert werden. Dies ist wichtig, weil bei dem imVorfeld als Favorit geltenden Kandidaten keine Effekte der Debattenperformance er-wartet werden. Als unabhängige Variable gehen in die Modellvariante (1) zunächstzwei Dummy-Variablen ein, die angeben, ob Merkel bzw. Schröder das TV-Duell ge-wonnen hat und ob Merkel bzw. Schröder besser als erwartet abgeschnitten hat odernicht. Verwendung findet dabei die in der Woche nach der Wahl erhobene Siegerwahr-nehmung, um die Dynamik der Siegerwahrnehmung im Laufe des Wahlkampfs zu be-rücksichtigen.

Im Falle Angela Merkels zeigt sich, dass sowohl vom Gewinnen des Duells als auchvon einem unerwartet guten Auftreten während des Duells positive Effekte auf eineWahlentscheidung zugunsten der Union ausgehen. Im Falle Gerhard Schröders giltAnaloges nur für das Gewinnen des TV-Duells, nicht aber für ein unerwartet gutesAuftreten. Dies ist insofern plausibel, als Schröder weithin als Favorit galt und dasTV-Duell in der Wahrnehmung der Zuschauer auch deutlich für sich entscheidenkonnte. In seinem Fall war es folglich hinreichend, der Erwartung des Publikums zugenügen und zu gewinnen. Im Falle Merkels hingegen waren die Erwartungen niedrigund sie konnte sie übertreffen, auch wenn sie Schröder letztlich unterlag.

Kontrolliert man in einer Modellvariante (2) allerdings die Parteiidentifikation derBefragten, dann gehen im Falle Merkels vom Übertreffen der Publikumserwartungennicht länger signifikante Effekte auf die Wahlentscheidung aus. Der Effekt des Gewin-nens des TV-Duells aber bleibt sowohl im CDU/CSU-Modell als auch im SPD-Mo-dell statistisch signifikant. Es kommt also letztlich sehr wohl darauf an, ein TV-Duell

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 93

Tabelle 5: Die Bewertung des Auftretens von Schröder und Merkel während des TV-Duells im Vergleich zu den persönlichen Erwartungen der Zuschauer (Anga-ben in Prozent)

Gerhard Schröder Angela Merkel

besser als erwartethat den Erwartungen entsprochenschlechter als erwartetweiß nicht

176415

4

553112

2

N 355 355

Anmerkung: Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, gehen in die Auswertung nur diejenigen Befragten ein,die den in Tabelle 2 berichteten Auswertungen zu Grunde liegen.

5 Die Wähler der entsprechenden Partei wurden dabei jeweils auf „1“, die Wähler der anderenParteien sowie die Nichtwähler auf „0“ gesetzt.

zu gewinnen. Dass der Effekt der Debattenperformance von Merkel auf die Wahlent-scheidung zugunsten der CDU/CSU bei Kontrolle der Parteiidentifikation verschwin-det, deutet darauf hin, dass Merkel vor allem in den Augen von Unionsanhängern bes-ser als erwartet abgeschnitten hat. Ein solcher Prozess der selektiven Wahrnehmungder Leistung Merkels vermag aber natürlich keinen eigenständigen Effekt der Debat-tenperformance auf die Wahlentscheidung zu generieren. Deswegen findet im Folgen-den die Debattenperformance auch keine weitere Berücksichtigung in den umfassen-den Erklärungsmodellen der Wahlentscheidung.

3. Die Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells im Rahmen umfassenderErklärungsmodelle der Wahlentscheidung

Das zentrale Anliegen dieser Abhandlung besteht in der Untersuchung der Effekte, dievon der Wahrnehmung und Bewertung des Auftretens der beiden Kanzlerkandidatenwährend des TV-Duells auf die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2005 aus-

94 Markus Klein und Ulrich Rosar

Tabelle 6: Die Effekte des Gewinnens des TV-Duells und einer die Erwartungen über-treffenden Debattenperformance auf das Wahlverhalten bei der Bundestags-wahl 2005 (binäre logistische Regression)

Modell

(1) (2)

abhängige Variable: Wahl der Union

Konstante –2,02**(,25)

2,64**(,31)

Sieger TV-Duell: Merkel (38. KW) 2,11**(,30)

1,37**(,39)

Merkel in TV-Duell besser als erwartet 1,06**(,29)

,48(,37)

Parteiidentifikation zugunsten der Union 3,30**(,36)

Pseudo-R² in % (Cox & Snell)N

22,6346

43,0346

abhängige Variable: Wahl der SPD

Konstante –1,93**(,22)

–2,68**(,29)

Sieger TV-Duell: Schröder (38. KW) 1,69**(,27)

1,30**(,33)

Schröder in TV-Duell besser als erwartet ,59(,33)

,67(,39)

Parteiidentifikation zugunsten der SPD 3,09**(,36)

Pseudo-R² in % (Cox & Snell)N

13,9348

35,2348

Anmerkung: *: p < 0,05; **: p < 0,01, Eintragungen sind unstandardisierte Logitkoeffizienten. Standardfehlersind in Klammern angegeben.

gingen. Wie die vorangegangenen Analysen gezeigt haben, kommt dabei der Wahrneh-mung des Siegers des TV-Duells entscheidende Bedeutung zu. Da die Siegerwahrneh-mung nicht unabhängig ist von den politischen Prädispositionen und Einstellungender Zuschauer, soll ihr Effekt im Folgenden nun im Rahmen umfassender Erklärungs-modelle der Wahlentscheidung untersucht werden (vgl. Tabelle 7). In die Analyse ge-hen dabei nur die Zuschauer des TV-Duells ein. Als abhängige Variablen dienen er-neut die beiden Dummy-Variablen, die eine Wahlentscheidung zugunsten der CDU/CSU bzw. der SPD indizieren. Als unabhängige Variable wird im Ausgangsmodell (1)nur eine Dummy-Variable berücksichtigt, die angibt, ob Merkel bzw. Schröder von ei-nem Befragten als Gewinner des TV-Duells gesehen wurde oder nicht. Hierbei fandaus den oben genannten Gründen erneut die in der Woche nach der Wahl zeitgleichmit dem erinnerten Wahlverhalten erhobene Siegerwahrnehmung Berücksichtigung(was außerdem die Einbeziehung aller in der dritten Welle befragten TV-Duell-Zu-schauer in die empirischen Analysen ermöglicht).

In Modell (2) wird dann eine Dummy-Variable hinzugefügt, die Auskunft darübergibt, ob ein Befragter eine affektive Parteibindung zugunsten der CDU/CSU bzw. derSPD besitzt oder nicht.6 Modell (3) enthält zusätzlich zwei Variablen, die sich auf dieIssueorientierungen eines Befragten beziehen. Die erste dieser Variablen gibt Auskunftdarüber, welche Problemlösungskompetenz ein Befragter der CDU/CSU bzw. der SPDin Bezug auf drei wichtige Politikfelder zuschreibt.7 Die zweite Variable enthält die In-formation, zu welchem Grad das von einem Befragten wahrgenommene Wahlpro-gramm der Union bzw. der SPD mit seinen persönlichen Idealvorstellungen überein-stimmt.8

In Modell (4) kommt schließlich eine Variable hinzu, die Auskunft über die Bewer-tung von Merkel bzw. Schröder in Bezug auf jeweils insgesamt dreizehn politische undunpolitische Persönlichkeitseigenschaften gibt.9 Mit dieser Variablen finden die – nichtnur auf das Auftreten während des TV-Duells beschränkten – Kandidatenorientierun-gen der Befragten im Erklärungsmodell Berücksichtigung. Das Endmodell (4) stellt fürden Effekt des wahrgenommenen Siegers des TV-Duells insofern einen besondersstrengen empirischen Test dar, als die Souveränität des Auftretens und die sprachlichePrägnanz zu den Eigenschaften der beiden Kandidaten gehören, die bei der Erhebungder Kandidatenorientierungen Berücksichtigung finden. Da die umfassende Bewertungvon Merkel und Schröder zudem in der Woche vor der Bundestagswahl, also nach demTV-Duell erhoben wurde, mag der Eindruck, den die beiden Kandidaten beim Duellhinterlassen haben, bereits in die allgemeine Bewertung ihrer Person Eingang gefunden

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 95

6 Die genaue Frageformulierung findet sich im methodischen Anhang.7 Die genaue Frageformulierung findet sich im methodischen Anhang. Für die Zwecke der empi-

rischen Analyse wurde für beide Parteien jeweils der Mittelwert der Kompetenzzuschreibungenauf den drei abgefragten Politikfeldern berechnet. In die Berechnung gingen dabei jeweils nurVariablen mit gültigen Werten ein.

8 Die genaue Frageformulierung findet sich im methodischen Anhang. Für die Details der Kon-struktion der hier verwendeten Variablen vergleiche Klein (2006).

9 Die genaue Frageformulierung findet sich im methodischen Anhang. Für die Zwecke der empi-rischen Analyse wurde für beide Kandidaten jeweils der Mittelwert der Bewertungen der ver-schiedenen Persönlichkeitseigenschaften berechnet. In die Berechnung gingen dabei jeweils nurVariablen mit gültigen Werten ein.

haben, was in der Konsequenz die Chance senkt, einen eigenständigen Effekt des TV-Duells nachweisen zu können.

Empirisch zeigt sich erwartungsgemäß, dass der Effekt der Siegerwahrnehmung aufdie Wahlentscheidung mit einer steigenden Zahl von Kontrollvariablen immer schwä-cher wird. Im Rahmen der Modelle (1) bis (3) ist dieser Effekt sowohl für die SPD-als auch für die CDU/CSU-Wahl statistisch signifikant. Nach Kontrolle der BewertungMerkels bzw. Schröders gilt dies in beiden Fällen allerdings nicht mehr. Nun weisennur noch die Kandidatenorientierungen, nicht aber die Wahrnehmung des Siegers desTV-Duells signifikante Effekte auf die Wahlentscheidung auf. Daraus kann allerdings

96 Markus Klein und Ulrich Rosar

Tabelle 7: Ein umfassendes Erklärungsmodell des Wählerverhaltens bei der Bundestags-wahl 2005 (binäre logistische Regression)

Modell

(1) (2) (3) (4)

abhängige Variable: Wahl der Union

Konstante –1,56**(,13)

–2,42**(,19)

–4,70**(,57)

–5,84**(,71)

Sieger TV-Duell: Merkel (38. KW) 2,40**(,24)

1,57**(,31)

1,00**(,33)

,64(,35)

Parteiidentifikation zugunsten der Union 3,19**(,29)

2,47**(,31)

2,29**(,32)

Problemlösungskompetenz der Union ,78**(,19)

,48*(,21)

Bewertung des Wahlprogramms der Union ,89(,50)

,86(,50)

Bewertung von Merkel ,68**(,22)

Pseudo-R² in % (Cox & Snell)N

19,5531

39,6531

42,7531

43,7531

abhängige Variable: Wahl der SPD

Konstante –1,77**(,16)

–2,54**(,21)

–5,31**(,58)

–6,78**(,80)

Sieger TV-Duell: Schröder (38. KW) 1,66**(,21)

1,23**(,26)

,58*(,29)

,33(,31)

Parteiidentifikation zugunsten der SPD 3,10**(,28)

2,60**(,29)

2,52**(,30)

Problemlösungskompetenz der SPD 1,03**(,19)

,56**(,23)

Bewertung des Wahlprogramms der SPD ,31(,44)

,34(,45)

Bewertung von Schröder ,83**(,25)

Pseudo-R² in % (Cox & Snell)N

12,0531

34,7531

39,7531

41,1531

Anmerkungen: *: p < 0,05; **: p < 0,01, Eintragungen sind unstandardisierte Logitkoeffizienten. Standardfeh-ler sind in Klammern angegeben. In die Analysen gehen nur diejenigen Befragten ein, die angeben, dasTV-Duell gesehen zu haben.

nicht geschlossen werden, dass die TV-Duelle für die Wahlentscheidung unbedeutendsind. Da die Kandidatenorientierungen nach dem TV-Duell erhoben wurden, kannnämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Effekt der Siegerwahrnehmung maßgeb-lich über veränderte Kandidatenbewertungen vermittelt ist.

Um diese Vermutung empirisch zu testen, wurde im Rahmen eines linearen Regres-sionsmodells untersucht, inwieweit die Bewertung von Merkel und Schröder durch dieSiegerwahrnehmung am Abend des TV-Duells beeinflusst wird (Modell (1) in Tabelle8). Dabei zeigt sich sowohl für Merkel als auch für Schröder ein signifikanter Effekt.Die Wahrnehmung als Sieger des TV-Duells erhöht die durchschnittliche Persönlich-keitsbewertung um 1,25 bzw. 1,35 Skalenpunkte. Um den reinen Effekt der Sieger-wahrnehmung identifizieren zu können, wurde in einer zweiten Modellvariante außer-dem statistisch für den Einfluss der Parteiidentifikation kontrolliert (Modell (2) in Ta-belle 8). Selbst im Rahmen dieser strengeren Modellvariante erhöht sich die durch-schnittliche Bewertung von Merkel um 0,74 Skalenpunkte, wenn sie als Gewinnerindes TV-Duells gesehen wird. Im Falle Gerhard Schröders verbessert sich die Bewertunggar um 1,16 Skalenpunkte. Der Einfluss der Wahrnehmung des Siegers des TV-Duellsauf die Wahlentscheidung ist folglich tatsächlich über veränderte Kandidatenbewertun-gen vermittelt.

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 97

Tabelle 8: Der Einfluss der Siegerwahrnehmung am Abend des TV-Duells und der Par-teiidentifikation auf die Bewertung von Merkel und Schröder (lineare Regres-sion)

Modell

(1) (2)

abhängige Variable: Bewertung von Merkel

Konstante 2,75**(,05)

2,57**(,05)

Sieger TV-Duell: Merkel (4.9.2006) 1,25**(,11)

,74**(,11)

Parteiidentifikation zugunsten der Union 1,03**(,10)

R² in %N

25,9383

42,0383

abhängige Variable: Bewertung von Schröder

Konstante 2,58**(,06)

2,55**(,06)

Sieger TV-Duell: Schröder (4.9.2006) 1,35**(,09)

1,16**(,10)

Parteiidentifikation zugunsten der SPD ,54**(,11)

R² in %N

38,6383

42,2383

Anmerkung: *: p < 0,05; **: p < 0,01, Eintragungen sind unstandardisierte Regressionskoeffizienten. Standard-fehler sind in Klammern angegeben.

V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der vorstehend berichteten empirischen Analysen lassen sich wie folgtzusammenfassen:

1. Auch bei der Bundestagswahl 2005 gingen von der Wahrnehmung und Bewertungdes Auftretens der beiden Kanzlerkandidaten während des TV-Duells Effekte aufdie individuelle Wahlentscheidung aus: Personen, die einen der beiden Kandidatenals Sieger des TV-Duells sahen, haben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auchdessen Partei gewählt. Dies gilt auch bei Kontrolle anderer wichtiger Einflussfakto-ren der Wahlentscheidung.

2. Der Einfluss der Siegerwahrnehmung auf die Wahlentscheidung ist vermittelt überdie allgemeine Bewertung der Kanzlerkandidaten Merkel und Schröder. Überra-schenderweise wirkt sich die Wahrnehmung Schröders als des Siegers des TV-Duellsstärker auf seine Bewertung aus, als dies bei Angela Merkel der Fall ist. Obgleichdie Wählerinnen und Wähler von Schröder bereits ein sehr festgefügtes Bild besit-zen und seine herausragende Kompetenz im Umgang mit dem Medium Fernsehenbekannt ist, konnte Schröder durch sein Auftreten während des TV-Duells seinepersönliche Bewertung und vermittelt darüber auch die Wahlchancen der SPD ver-bessern.

3. Die Wahrnehmung des Siegers des TV-Duells wird durch die nachfolgende Medien-berichterstattung über das TV-Duell beeinflusst. Allerdings beschränken sich dieseEffekte auf die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, deren Nutzungdie Siegerwahrnehmung tendenziell zu Ungunsten Schröders beeinflusst. Von derNutzung der Printmedien und der Nutzung der Nachrichten des Privatfernsehensgingen hingegen keine Effekte auf die Stabilität der Siegerwahrnehmung aus. DieEffekte der nachfolgenden Medienberichterstattung auf die Siegerwahrnehmungsind aber moderat: Siebzig Prozent der Befragten behalten ihre am Abend des TV-Duells gebildete Siegerwahrnehmung bis nach der Wahl bei. Ein Großteil der zubeobachtenden Veränderung ist außerdem aller Wahrscheinlichkeit nach auf die ver-blassende Erinnerung an das TV-Duell und seinen Gewinner zurückzuführen.

4. Auch für den im Vorfeld schwächer eingeschätzten Kandidaten kommt es letztlichdarauf an, im TV-Duell zu obsiegen. Die Bewertung der DebattenperformanceMerkels im Vergleich zu den Erwartungen der Rezipienten weist bei Kontrolle derParteiidentifikation keinen signifikanten Effekt auf die Wahlentscheidung zugunstender CDU/CSU auf.

Nachdem TV-Duelle einmal Eingang in die deutsche Wahlkampfkultur gefunden ha-ben, werden sie wohl auch künftig einen festen Bestandteil von Bundestagswahlkämp-fen bilden. Manche wissenschaftliche Beobachter bedauern diese Entwicklung (Dons-bach 2002). Sie verweisen unter anderem darauf, dass viele Zuschauer gar nicht in derLage seien, sich ein eigenständiges Urteil über den Gewinner eines TV-Duells zu bil-den (Donsbach und Jandura 2005: 161–163). Vielmehr würde dieses Urteil massiv vonden Massenmedien beeinflusst, die im Rahmen der nachfolgenden Medienberichter-stattung den Menschen gewissermaßen vorgeben, wen sie als Sieger zu sehen haben.Eine solche Kritik ist vor dem Hintergrund unserer empirischen Befunde allerdings

98 Markus Klein und Ulrich Rosar

weit überzogen (übrigens ebenso vor dem Hintergrund der von Donsbach und Janduraselbst erzielten Befunde). Die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst sprechen ein ge-mäßigt positives Urteil über die TV-Duelle: 33 Prozent geben an, das TV-Duell imVorfeld der Bundestagswahl 2005 habe ihnen neue Erkenntnisse gebracht (Dehm2005: 630). 42 Prozent der Zuschauer fühlten sich durch das TV-Duell gut oder sehrgut über die bevorstehende Bundestagswahl informiert (Geese u.a. 2005: 616). Und somögen – wie es einer Demokratie auch angemessen ist – die Bürgerinnen und Bürgerselbst darüber entscheiden, ob sie sich künftig durch TV-Duelle informieren lassenwollen oder nicht.

Methodischer Anhang

Operationalisierung der im Rahmen der empirischen Analysen verwendeten Variablen:

Zu Tabellen 2 und 3:

Siegerwahrnehmung am Abend des TV-DuellsFrage: Und wer ist Ihrer Ansicht nach alles in allem als Gewinner aus der Fernsehdebatte hervorge-gangen?Antwortkategorien: Gerhard Schröder, Angela Merkel, keiner von beiden

Siegerwahrnehmung in der Woche nach der BundestagswahlFrage: Haben Sie die Fernsehdebatte von Gerhard Schröder und Angela Merkel gesehen?Antwortkategorien: Ja, Nein

(Falls Ja)Frage: Wer war für Sie persönlich der Gewinner der Fernsehdebatte?Antwortkategorien: Gerhard Schröder, Angela Merkel, keiner von beiden

Zu Tabelle 4:

BILD-ZeitungFrage: An wie vielen Tagen pro Woche lesen Sie im Durchschnitt die BILD-Zeitung?

Regionale TageszeitungFrage: Lesen Sie eine lokale oder regionale Tageszeitung mindestens an einem Tag pro Woche?Antwortkategorien: Ja, Nein, weiß nicht

(Falls Ja)Frage: Und welche Tageszeitung ist das? Und an wie vielen Tagen pro Woche lesen Sie diese Tages-zeitung im Durchschnitt?

QualitätszeitungenFrage: Welche der folgenden überregionalen Zeitungen lesen Sie im Durchschnitt mindestens ein-mal pro Woche? Bitte geben Sie alle Zeitungen an, auf die das zutrifft.Antwortkategorien: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland,Süddeutsche Zeitung, Die Tageszeitung (taz), Die Welt, keine davon

(Für jede genannte Zeitung)Frage: An wie vielen Tagen pro Woche lesen Sie im Durchschnitt die [Name der Zeitung]?

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 99

Wochenzeitungen/-magazineFrage: Welche der folgenden Magazine bzw. Wochenzeitungen lesen Sie zumindest fast jede Wo-che? Bitte geben Sie alle diejenigen an, auf die das zutrifft.Antwortkategorien: Focus, Der Spiegel, Die Zeit, Stern, keines davon

Nachrichten des öffentlich-rechtlichen FernsehensFrage: Im Folgenden geht es um verschiedene Nachrichtensendungen im Fernsehen. Geben Siebitte an, an wie vielen Tagen pro Woche Sie die jeweilige Sendung im Durchschnitt sehen.a) Tagesthemen im Ersten um 22:30 Uhrb) Tagesschau im Ersten um 20 Uhrc) heute journal im ZDF um 21:45 Uhrd) heute im ZDF um 19:00 UhrAntwortkategorien: an keinem Tag, an 1 Tag, an 2 Tagen, ..., an 7 Tagen

Nachrichten des privaten FernsehensFrage: Im Folgenden geht es um verschiedene Nachrichtensendungen im Fernsehen. Geben Siebitte an, an wie vielen Tagen pro Woche Sie die jeweilige Sendung im Durchschnitt sehen.a) Pro Sieben Nachrichten um 19:55 Uhrb) RTL aktuell um 18:45 Uhrc) SAT1 Nachrichten um 18:30 UhrAntwortkategorien: an keinem Tag, an 1 Tag, an 2 Tagen, ..., an 7 Tagen

Politisches InteresseFrage: Manche Leute interessieren sich gar nicht für Politik, andere sehr stark. Wie ist das bei Ih-nen? Wie sehr interessieren Sie sich für Politik?Antwortkategorien: gar nicht (1), wenig (2), mittel (3), stark (4), sehr stark (5)

Parteiidentifikation vorhandenFrage: Viele Leute neigen in der Bundesrepublik längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohlsie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemeingesprochen – einer bestimmten Partei zu?Antwortkategorien: Ja, Nein

Zu Tabelle 5:

Bewertung des Auftretens von Merkel und Schröder relativ zu den eigenen ErwartungenFrage 1: Einmal abgesehen davon, wer die Fernsehdebatte letztlich gewonnen hat: War GerhardSchröder besser als erwartet, schlechter als erwartet, oder hat er den Erwartungen entsprochen?Frage 2: Und wie ist das mit Angela Merkel? War Angela Merkel besser als erwartet, schlechter alserwartet, oder hat sie den Erwartungen entsprochen?Antwortkategorien: besser als erwartet, schlechter als erwartet, hat den Erwartungen entsprochen

Zu Tabelle 6:

WahlabsichtFrage: Haben Sie am 18. September 2005 an der Bundestagswahl teilgenommen?Antwortkategorien: Ja, Nein

(Falls Ja)Frage: Sie sehen hier einen Stimmzettel, so wie er bei der Bundestagswahl am 18. September ver-wendet wurde. Bitte geben Sie anhand dieses Stimmzettels an, wie Sie bei der Bundestagswahl ab-gestimmt haben. (Erst- und Zweitstimme!)Antwortkategorien: SPD, CDU/CSU, Bündnis90/Die Grünen, FDP, Linkspartei, sonstige

100 Markus Klein und Ulrich Rosar

Parteiidentifikation zugunsten der Union bzw. der SPDFrage: Viele Leute neigen in der Bundesrepublik längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohlsie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemeingesprochen – einer bestimmten Partei zu?Antwortkategorien: Ja, Nein

(Falls Ja)Frage: Und welche Partei ist das?

Zu Tabelle 7:

Problemlösungskompetenz der Union bzw. der SPDFrage 1: In Deutschland gibt es gegenwärtig eine Reihe ungelöster Probleme. Wir möchten gernevon Ihnen wissen, wie hoch Sie die Fähigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien einschätzen,die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. 1 bedeutet, dass Sie die Fähigkeit sehr gering einschätzen und5, dass Sie die Fähigkeit sehr hoch einschätzen. Mit Werten dazwischen können Sie Ihre Einschät-zung abstufen.Frage 2: Und wenn es um die Förderung des Wirtschaftswachstums geht. Wie schätzen Sie da dieFähigkeiten der einzelnen Parteien ein?Frage 3: Und wenn es darum geht, die soziale Gerechtigkeit zu garantieren. Wie schätzen Sie da dieFähigkeiten der einzelnen Parteien ein?Abgefragte Parteien: SPD, B90/Die Grünen, CDU, CSU, FDP, Die Linke (PDS und WASG)Antwortkategorien: 1 = sehr gering bis 5 = sehr hoch

Bewertung des Wahlprogramms der Union bzw. der SPDFrage: Bei den Bundestagswahlen kann man ja nie über einzelne Sachfragen entscheiden, denn dieParteien stellen mit ihren Programmen immer ein ganzes „Paket“ zur Auswahl. Wenn Sie sich bei-spielsweise für eine Partei wegen Ihrer Positionen in der Steuerpolitik entscheiden, entscheiden Siesich gleichzeitig auch für die Standpunkte dieser Partei in anderen Bereichen. Im Folgenden sehenSie zunächst einen kurzen Überblick über einige wichtige Streitfragen, die bei der Bundestagswahl2005 diskutiert werden. Anschließend geben Sie bitte für unterschiedliche Wahlprogramme an, in-wieweit sich diese mit ihren persönlichen Wünschen decken.

Wichtige Streitfragen der Bundestagswahl 2005 im Überblick:Reform der Krankenversicherung:– Bürgerversicherung: einkommensabhängiger Beitrag unter Einbeziehung von Beamten und

Selbständigen oder– Gesundheitspauschale: einheitlicher Beitrag für alle und steuerfinanzierte Zuschüsse für Gering-

verdienerInnenpolitik:– Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Abwehr terroristischer Gefahren oder– kein Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Abwehr terroristischer GefahrenUnternehmensbesteuerung:– weitere Senkung des Steuersatzes für Unternehmensgewinne oder– keine weitere Senkung des Steuersatzes für UnternehmensgewinneEinkommensteuer:– stärkere Belastung hoher privater Einkommen oder– weitere Senkung des SpitzensteuersatzesPendlerpauschale:– deutliche Senkung der Pendlerpauschale oder– keine Senkung der Pendlerpauschale

Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 101

Mehrwertsteuer:– Erhöhung auf 18 Prozent zur Senkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung oder– keine Erhöhung auf 18 Prozent zur Senkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung[Es folgen acht hypothetische Wahlplattformen, die auf einer elfstufigen Skala mit den beiden Po-len „entspricht meinen Vorstellung überhaupt nicht“ und „entspricht meinen Vorstellungen vollund ganz“ bewertet werden]

Frage: Welche Positionen vertreten Ihres Wissens nach die Parteien bezüglich der verschiedenenStreitfragen der Bundestagswahl? Markieren Sie bitte, welche Position die jeweilige Partei IhrerMeinung nach vertritt (pro Spalte eine Antwort)

Bewertung von Merkel bzw. von SchröderFrage: Bei der Bundestagswahl kandidieren Gerhard Schröder und Angela Merkel für das Amt desBundeskanzlers. Geben Sie im Folgenden bitte jeweils an, inwieweit Sie den Aussagen mit Bezugauf den jeweiligen Kandidaten zustimmen.Gerhard Schröder / Angela Merkel ...– kann gegensätzliche Interessen ausgleichen– hat Führungsqualitäten– ist tatkräftig– ist ein gutaussehender Mann / eine gutaussehende Frau– spricht eine Sprache, die die Menschen verstehen– führt ein geordnetes Privatleben– hat eine angenehme Ausstrahlung– hat einen guten Charakter– tritt überzeugend auf– hat stets das Wohl der Allgemeinheit im Blick– ist vertrauenswürdig– kann nationale Krisensituationen erfolgreich meistern– gibt der Politik einen klaren KursAntwortkategorien: 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu

Tabelle A1: Sozialstrukturelle Zusammensetzung der verschiedenen verwendeten Stich-proben (ungewichtet, alle Angaben in Prozent)

Welle 1 Welle 2 Welle 2+3 Welle 1+2+3

Geschlechtmännlichweiblich

52,747,3

52,247,8

53,646,4

55,344,7

Alter18–2425–3435–4950–6465+

5,912,231,530,020,4

7,113,436,227,815,6

7,311,834,530,416,0

5,39,5

29,135,720,4

BildungHauptschuleRealschule, POS, FH-ReifeAbitur, Studium

35,240,624,2

36,143,520,4

36,842,820,3

37,441,621,1

102 Markus Klein und Ulrich Rosar

Welle 1 Welle 2 Welle 2+3 Welle 1+2+3

Haushaltsnettoeinkommen pro Monatbis unter 1.000 €

1.000 € bis unter 2.000 €

2.000 € bis unter 3.000 €

3.000 € bis unter 4.000 €

mehr als 4.000 €

keine Angabe

15,536,826,6

9,55,46,2

13,637,228,0

9,85,16,5

16,038,224,9

8,65,27,1

20,937,423,1

7,56,05,0

RegionWestOst

74,825,2

77,422,6

76,723,3

75,624,4

Ortsgrößebis unter 5.0005.000 bis unter 10.00010.000 bis unter 50.00050.000 bis unter 100.000100.000 und mehr

17,513,432,0

8,828,3

20,212,534,5

8,024,7

20,613,033,2

8,125,1

19,313,134,910,122,6

Fallzahlen (ungewichtet) 1478 1084 744 398

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Wirkungen des TV-Duells im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Wahlentscheidung 103

Fortsetzung Tabelle A1

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Korrespondenzadressen: PD Dr. Markus Klein, Zentralarchiv für empirische Sozialforschung derUniversität zu Köln, Postfach 410960, 50869 Köln

E-Mail: [email protected]

Dr. Ulrich Rosar, Forschungsinstitut für Soziologie der Universität zu Köln, Greinstraße 2, 50939Köln

E-Mail: [email protected]

104 Markus Klein und Ulrich Rosar