Wirtschaftliche, technische und soziale Probleme im neuen Indien: Vortr¤ge zur Er¶ffnung der...
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FORSCHUNGSBERICHTE
DK 3(540) DK 62(540)
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Herausgegeben durm das Kultusministerium
Nr.729
Forsmungsinstitut für Internationale Temnische Zusammenarbeit
an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, Aachen
(F.I.Z.)
Wirtschaftliche, technische und soziale Probleme
im neuen Indien
Vorträge zur Eröffnung der Deutsch-Indischen Ausstellung
in Aachen am 14. November 1958
Als Manuskript gedruckt
WESTDEUTSCHER VERLAG / KOLN UND OPLADEN
1959
ISBN 978-3-663-04148-1 ISBN 978-3-663-05594-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05594-5
Vor w 0 r t
Das Forschungsinstitut für internationale technische Zusammenarbeit an
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen hat neben sei
nen Forschungsaufgaben über Anwendung und Verbesserung der Technik in
den Entwicklungsländern auch die Aufgabe, die interessierten deutschen
Stellen über die auftretenden technisch-wissenschaftlichen Probleme zu
informieren und dadurch zur Mitarbeit an ihrer Lösung anzuregen.
Ein erster Schritt zur Erfüllung dieser Aufgabe war die Deutsch-Indische
Ausstellung mit den zur Eröffnu~g gehaltenen Vorträgen.
Indien wurde gewählt als eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Schwie
rigkeiten in allen Entwicklungsländern auf dem Gebiet der Ausbildung,
Ernährung, des Gesundheitswesens, der Landwirtschaft, Industrie und Ver
waltung zu überwinden sind. Die gewaltigen Anstrengungen des indischen
Volkes auf allen diesen Gebieten wurden ebenso eindringlich wie der An
teil der deutschen Industrie an diesen technischen Einzel- und Großpro
jekten dargestellt.
Für das Verständnis der nicht immer einfachen, aber so erfolgreichen
technisch-wirtschaftlichen Zusammenarbeit - behandelt in den Vorträgen
der Herren Dr.HEINRICH, Dr.HUNCK, von MITTERWALLNER und TOPPE - waren
die Darstellung der Lebensgewohnheiten und sozialen Verhältnisse durch
Miss BISWAS und Herrn von POCHHAMMER eine lebendige Ergänzung.
D. H. SCHWENCKE
Leiter des Forschungsinstitutes
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort • • • . . . . . . . . . . . . . S. 3
Generalkonsul a.D. W. von POCHHAMMER
Der Aufbruch Indiens in poli.tischer, soziologischer und sozia-ler Hinsicht. • • • •• •• • • • • • • • • •• •••• S. 1
S.A. BISWAS, Direktorin des Indischen Verkehrbüros, Frankfurt/M.
Die soziale Stel~ung der Frau in Indien • • • • • •
Dr.-Ing. habil. H. HEINRICH, Geschäftsführer der IndienGemeinschaft Krupp-Demag GmbH.
Der Anteil Deutschlands an der Entwicklung der indischen Eisen-
S. 21
und Stahlindustrie im zweiten Fünfjahresplan. • • • • • • s. 35
A. TOPPE, Geschäftsführer der Indien-Gemeinschaft KruppDemag GmbH.
Transportprobleme beim Bau des Hüttemlerkes Rourkela .••
Dipl.-Ing. P.H. von MITTERWALLNER, Vorstandsmitglied der Krauss-Maffei AG.
Die Entwicklung der technischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Lokomotivbaues zwischen Tata Locomotive Works Jamshedpur und Krauss-Maffei AG München. •.•••.•.•••••
Dr. J.M. HUNCK, Chefredakteur vom "Handelsblatt" Düsseldorf
Deutsch-indische Zus amme narbe i t in Vergangenheit, Gegem1art und Zukunf t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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S. 69
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Der Aufbruch Indiens in politischer, soziologischer
und sozialer Hinsicht
Von Generalkonsul a.D. W.von POCHHAMMER (früher Bombay)
Eine Menschengruppe von fast 400 Millionen Menschen bildet heute die
Bevölkerung eines nunmehr einheitlich geführten indischen Staats, des
zweitgrößten an Volksreichstum in Asien und der ganzen Erde. Als dieses
Gebiet noch unt·er britischer Herrschaft stand, pflegten die Staatsmänner
Europas zu sagen: "Wer Indien hat, beherrscht die Welt." So groß 'wurde
der Wert und das natürliche Potential dieses Subkontinents damals' einge
schätzt. Nach einem Ringen von über fünfzig Jahren, das mit geistigen,
sittlichen Kräften durchgeführt worden ist, hat dieses Indien heute
seine Unabhängigkeit wiedergewonnen und seinen Platz ~nter den Völkern
als ein selbständig handelnder Faktor wieder eingenommen. Die erste
Frage, die uns hier heute angeht, ist die: welche Kräfte haben diesen
Aufbruch zu einem neuen Abschnitt der Existenz Indiens ermöglicht und
woher stammen sie? Welches waren die angewandten Methoden? Welche Wand
lungen haben in Indien selbst Platz gegriffen, die sein Verhältnis zur
Welt und zu uns beeinflussen?
Lassen Sie mich zunächst ein paar geschichtliche Zahlen in unser Ge
dächtnis zurückrufen. Die indische Nationalbewegung, ebenso wie die
deutsche des 19.Jahrhunderts, hatte zwei Ziele zu verwirklichen: Einheit
und Freiheit, Unabhängigkeit. Die politische Einheit hat Indien in einer
vielhundertjährigen Geschichte und einem langen Leidensweg erlangt. Die
indische Kulturwelt hat sich ganz ähnlich wie die abendländische aus
Wanderung und kulturellen Symbiosen in der Art entwickelt, daß sich
mehrere selbständige Völker gebildet haben, mit eigenen Bräuchen, eige
ner Geschichte und eigenen Sprachen. Sie haben während langer Zeit durch
aus nicht das Bedürfnis empfunden, sich staatlich zusammenzuschließen,
ebensowenig wie die Völker Europas. Aber sie haben in der gemeinsamen
Kultur, in ihrem Religions- und Gesellschaftssystem, das wir Hinduismus
nennen, eine sehr stark verbindende Basis entwickelt, die um alle Ange
hörigen Indiens, unbeschadet kastenmäßiger Spaltung, ein sehr starkes
Band der Gemeinschaft seit jeher geschlagen hat. Dann haben sie, lode
jedes reifende Kulturvolk, das auf eine höhere Stufe gelangt, doch den
Wert erkannt, den größere Staatszusammenfassungen haben: wenn ständige
Kämpfe und Streitigkeiten unter den einzelnen nationalen Staaten auf
hören und ersetzt werden durch Schaffung grösserer Reiche - im Interesse
der friedlichen Arbeit und der Pflege geistiger und kultureller Werte.
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Das alte Indien hat in dem Begriff des "Tschakravartin", des Weltkaisers,
ein ganz ähnliches Herrscherideal geprägt, wie wir es im Abendlande mit
dem Kaiser des Abendlandes gehabt haben. Und das hohe Ansehen, das in
Indien stets das Geistige gehabt hat - wir können Indien mit mehr Recht
als uns das "Volk der Dichter und Denker" nennen - dieses Übergewicht
hat dazu geführt, daß diese imperiale staatszusammenfassende Tendenz,
diese Überwindung nationaler Besonderheiten und nationaler Eigeninter
essen schon sehr früh erstarkt ist. Schon im 4.Jahrhundert v.Chr. ist
im Gangestal das erste Großreich dieser Art entstanden, von dem wir den
Namen des Kaisers ASHOKA kennen, und in der Zeit vom 2. bis 5.Jahrhun
dert n.Chr. ist dieses Reich als GUPTA-Reich erneuert worden und hat
damals der höchsten Blüte der alt-indischen Kultur als Schirm und Schutz
gedient. Aber beides, die gemeinsame Kultur und diese imperiale Tendenz,
wären nie stark genug ge~esen, eine wirkliche poltische Einheit zuwege
zu bringen: das hat die Fremdherrschaft vermocht. Schon die Eroberung
Indiens durch mohammedanische Dynastien türkisch-mongolischer Abkunft
seit etwa 1200 n.Chr. hat damals zwar die Einheit der alt-indischen
Kultur insofern gesprengt, als ja ein neues landfremdes Element, der
Islam, eingeführt wurde; aber diese Eroberung hat unter den Hindus das
Gefühl der Einigkeit durch das gemeinsame Schicksal der Unterwerfung
bedeutend gestärkt. Und noch mehr gilt dies für die Eroberung Indiens
durch die Europäer, durch die Engländer. Zwar sahen sie die Uneinigkeit
zwischen den beiden antagonistischen Gruppen nicht ungern; aber diese
beinahe zweihundert jährige Herrschaft hat auf Indien einen starken Druck
ausgeübt - der Gegendruck,der dadurch in der ganzen Bevölkerung entstand,
ist zum ecbten Ausgangspunkt der Einheit des modernen Indiens geworden.
Und die britische Zeit hat diese Tendenz zur Einigkeit dadurch erheb
lich erleichtert, daß sie zum ersten Mal den ganzen Subkontinent, das
ganze geographische Gebiet Indiens staatlich unter eine Ver~altung
brachte, gleichzeitig der Bevölkerung das Englische als Amtssprache auf
zvang und ihr dadurch eine gemeinsame Sprache gab, die der indischen
Freihei tsbe 1•regung als ein willkommenes Werkzeug bei ihrer Tätigkeit ge
dient hat, und die noch heute den staatlichen Apparat Indiens zusammen
hält. Im Kampf gegen Fremdherrschaft sind die Inder zu einer so festen
Nation zusammengewachsen, wie wir sie heute sehen - ähnlich wie das
deutsche Nationalgefühl seine stärksten Impulse der Freiheitsbewegung
gegen Napoleon seinerzeit verdankt hat. Der Kampf um die Rückgewinnung
der politischen Unabhängigkeit hat nun nicht mit jenem großen Aufstand
begonnen, der "great mutiny" von 1856/57 - obwohl im vorigen Jahre bei
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der Hundertjahrfeier manche Reden auf diesen Ton gestimmt waren. Das
war lediglich ein Aufstand meuternder indischer Soldaten ohne politische
Führung, und der einzige poltische Gedanke damals, den letzten Mogulkai
ser, einen Schattenfürsten, wieder auf den Thron zu setzen, war ein
Anachronismus, der selbst dann keine konstruktiven Folgen gehabt hätte,
wenn die' ganze Bewegung erfolgreicher verlaufen wäre. Trotz einiger
wundervoller Heldentaten wi~ die des berühmten Heldentodes der jungen
Fürstin von JEANS I , die heute noch in der Phantasie der Inder fortlebt
wie die Jungfrau von Orleans in Frankreich, schließt dieses Ereignis
mehr die ältere indische Geschichte ab; und die neue indische Geschichte
beginnt ganz anders. Sie beginnt in den achtziger Jahren mit der Grün
dung des bürgerlichen indischen Nationalkongresses. Indien war seit
Jahrtausenden nur monarchisch regiert worden. Die Radschas und Maharad
schas waren der Inbegriff des staatlichen Lebens - wobei übrigens das
Wort "Radsch" sowohl Herrschaft wie Fürstenherrschaft bedeutet und nicht
nur dem Sinn, sondern auch dem Inhalt nach unserem Wort "Reich" anklingt.
Die Unabhängigkeitsbewegung Indiens ist nicht von den Fürsten ausgegan
gen. Denn nur solche Fürsten waren ja auf ihrem Thron geblieben, die
sich rechtzeitig der britischen Herrschaft unterworfen und mit England
entsprechende Verträge abgeSChlossen hatten. Die Unabhängigkeit ist von
der neuen Schicht des indischen Bürgertums erkämpft wor.den, das zu Wohl
stand und Besitz gelangt war und die Ideen der Nation und des Selbst
bestimmungsrechts der Völker begeistert aufgriff; dem es gelang, den
kleinen Mittelstand mit sich zu ziehen und selbst bei den ärmsten Schich
ten ein Interesse am Staat mit der Verheißung zu wecken, daß die Ver
treibung der Briten, die als kapitalistische Ausbeuter hingestellt wur
den, auch ihr materielles Wohl, das materielle Wohl jedes einzelnen,
fördern würde. In diesem Kampf, in dem die Fürsten überwiegend abseits
standen, hat die Bürgerschicht als Träger des nationalen Willens ganz
logisch den Gedanken entwickelt, daß die Absetzung des Königs von Eng
land und Kaisers von Indien zur Republik führen müßte. Und ebenso lo
gisch war es, daß Indien bald nach der Unabhängigkeitserklärung auch
den letzten monarchischen Faden abschnitt, indem es seine Stellung als
Dominion mit einem Generalgouverneur, der bereits ein Inder war, auf-
hob und sich zur echten, ganz unabhängigen Republik erklärte; und eben
so logisch, daß Indien heute als wichtigsten Nationalfeiertag nicht den
Tag feiert, an dem die Engländer das Land verlassen haben, sondern den
Tag, an dem Indien sich zur Republik erklärt hat, den 26.Januar. Und
ebenso logisch ist es endlich, daß dieses neue Indien als erste
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politische Aufgabe erhielt, die zahlreichen Fürstenstaaten, die ihnen
die Engländer ja nicht übertragen konnten, in seinen Rahmen einzufügen;
denn die Engländer konnten ihnen nur Britisch-Indien geben; die Fürsten
staaten gehörten nicht dazu. Und der große Staatsmann, der diese Aufgabe
vollbracht hat, VALABHAI PATEL, den manche den "indischen Bismarck"
nennen, hat mit Energie und klarem Blick von vornherein erkannt, daß
nicht der Beitritt der Fürsten in den indischen Bundesstaat, sondern
nur ihr Thronverzicht die einzig annehmbare Lösung sein könnte. Daß er
dies in kurzer Zeit, im Laufe von anderthalb Jahren, ganz überwiegend
in friedlichen Verhandlungen erreicht hat, ist sozusagen eins der ersten
Wunder der indischen Staatswerdung. Es erklärt sich auch daraus, daß
die Fürsten selbst an der Fortdauer ihrer geschichtlichen Aufgabe zwei
felten und gern die guten Pensionen annahmen, die das neue Indien ihnen
als Abfindung bis zu ihrem Tod versprach.
Minder glücklich verlief die Auseinandersetzung mit der mohammedanischen
Gruppe. Im Kampf gegen England waren beide Bekenntnisse vorübergehend
geeint gewesen. GANDHI selber hatte sie im Jahre 1915 zu einem richti
gen Bündnis zusammengebracht. Aber in der Entscheidungsstunde traten
die trennenden Momente zwischen beiden Gemeinschaften so stark in den
Vordergrund, daß ein eigener mohammedanischer Staat aus dem altindischen
Gebiet abgetrennt wurde. Englische Klugheit, ein rechtzeitiger Verzicht
der Fürsten, die große Energie und das große Geschick der indischen
Politiker, die den Staat aufbauten: das waren die Faktoren, die es er
möglicht haben, in so kurzer Zeit aus diesem Subkontinent einen einigen,
festgefügten Staat zu schaffen. Dies waren die äußeren Ereignisse, die
ich ins Gedächtnis zurückrufen wollte, damit das Folgende verstanden
werden kann.
Die Kraft, die die heutigen Inder befähigt hat, dieses große staatliche
Werk zu vollbringen, stammt, wie alle großen Bewegungen in der Geschich
te und namentlich wie alls großen Bewegungen in Indien, aus einer
geistigen Erneuerungsbewegung, die schon unter dem Druck der mohammeda
nischen Herrschaft begonnen hatte. Schon damals, als die Religion, der
Hinduismus, die einzige Trostquelle des unterworfenen Volkes bildete,
als der Rückhalt an seiner Kaste für den Hindu die einzige Zuflucht war,
in der er Rettung finden konnte, hatte die Gläubigkeit des Volkes in
allen Schichten zu einer Verinnerlichung des religiösen Lebens geführt,
die wir etwa seit dem 16.Jahrhundert in zahlreichen Sekten und dem Auf
treten neuer Propheten verfolgen können und die im 19.Jahrhundert zu
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voller geistiger Reife gelangte. Ich nenne die inzwischen ' ... el tbekannt
gewordenen Namen der großen Denker und religiösen Erneuerer:RAMAKRISHNA,
VIVEKANANDA und AUROBINDO GHOSH; neben ihnen die ungewöhnlich zahlreiche
Schicht großer Staatsmänner und Politiker, beginnend mit TILAK und
C.R. DAS bis zu GANDHI und dem Ministerpräsidenten NEHRU. G~eichzeitig
wirkte die erzwungene politische Untätigkeit, die dem indischen Volk
jahrhundertelang auferlegt wurde, wie eine Brache, bei der der nichtge
nutzte Boden neue Kraft sammelte, die nun plötzlich zur Verfügung stand.
Weiterhin bewirkte die natürliche Reaktion auf die Demütigungen, denen
man einst durch die fremden Herren ausgesetzt war, ein neuartiges Auf
flammen des Stolzes auf die eigene Vergangenheit, auf die eigene Lei
stung, die eigene Größe, woraus der heutige indische Nationalstolz er
wachsen ist. Und diese geistige Bewegung verband sich nun mit dem Ein
dringen westlicher Ideen, mit den Ideen der Freiheit und dem Selbst
bestimmungsrecht der Völker, der Gleichberechtigung aller Menschen und
der inneren staatlichen Freiheit, wie sie den Indern im Vorbild des
englischen Staates rasch geläufig wurden. Das alles erreichte einen
Siedepunkt, als man sah, daß die vielbewunderten europäischen Großmächte
durchaus nicht unbesiegbar waren. Das erste große Erlebnis war die Tat
sache, daß Rußland von einer asiatischen Macht, nämlich 1904 von Japan,
niedergeworfen wurde. Und verhundertfacht wiederholte es sich in den
beiden Weltkriegen, als das herrschende England schwerste Niederlagen
einstecken mußte und in sch\·rerste Krisen geriet. So, aus mannigfaltigen
Quellen und gespeist durch die Ereignisse der Tagesgeschichte, hat sich
die Kraft in Indien gebildet, die sich gegen die Fremdherrschaft auf
bäumte.
Hand in Hand damit ging eine andere Entwicklung. Jede Erhebung, jede
Revolution, wirkt irgendwie illegal. Es kam aber den Indern von Anfang
an entscheidend darauf an, ihren Anspruch auf Unabhängigkeit als sitt
lich gerechtfertigt vor sich und vor der Welt zu erweisen, ferner, dieses
Ziel ohne Gewalt, ohne Blutvergießen zu erreichen. Als ich zum ersten
Mal in den zwanziger Jahren nach Indien kam, wurde noch mitunter mit
terroristischen Methoden, namentlich bei der bengalischen Jugend, gear
beitet. Seitdem aber Gandhi die Führung der Bewegung übernahm, wurde
jede derartige Anwandlung verdammt. Die Gewaltlosigkeit, die AHIMSA,
ist das alt-indische Ideal, das schon vom Kaiser ASHOKA an seine berühm
ten Felssäulen gemeisselt worden war, und mit Recht bildet Ashokas
Symbol heute das Staatswappen Indiens. Dieses Ideal erwies sich nicht
nur als die beste Kampfmethode für ein waffenloses und kriegsungeübtes
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Volk unter Führung eines städtischen Bürgertums, sondern entsprach auch
dem indischen Genius. Und diese Methode hat ihm rasch die Sympathie der
ganzen Welt eingebracht, eine Sympathie, die schon früh weit in ideolo
gisch eingestellte Kreise Englands übergriff. Diese Methode bestand im
Boykott britischer Waren, im Boykott der Schulen, in passivem Widerstand
gegen harte Unterdrückung, schließlich in bürgerlichem Ungehorsam bis
zur Steuerverweigerung und in parlamentarischen Kämpfen, die aber nach
festen Spielregeln geführt wurden. Wir müssen uns daran erinnern, daß
dieser jahrzehntelange Freiheitskampf des indischen Volks geführt worden
ist, ohne daß, mit ganz geringen Ausnahmen, diese Spielregeln verletzt
wurden, ohne daß den Europäern ein Haar gekrümmt ~lrde. Es kamen damals
in Indien auf jeden Europäer etwa 200 Inder. Man hätte gegen sie eine
"Bartholomäusnacht" veranstalten können. Niemand hat auch nur daran ge
dacht! Noch heute ist britisches Eigentum unangetastet geblieben. So hat
sich nach Beendigung dieses Ringens ein Verhältnis zwischen diesen bei
den Völkern, zwischen den Engländern und den Indern, herausbilden können,
das die Bitterkeit der früheren Zeit vergessen ließ und das den Boden
bereitet hat für eine politische Freundschaft, die heute eine der wich
tigsten Grundlagen der außenpolitischen Stellung Indiens ist. Und sie
dient nicht nur dem Verhältnis Indiens zu England, sie erklärt nicht
nur Indiens Verbleiben im Commonwealth und im Sterling-Block, sondern
sie dient auch als Boden und Brücke für sein Verhältnis zu allen übri
gen europäischen Staaten, die ja heute mehr oder weniger zu Bundesge
nossen Englands geworden sind, und sie dient damit auch Indiens Verhält
nis zu uns. Sie läßt uns rückblickend den tieferen Grund erkennen, wes
wegen England freiwillig aus Indien herausgegangen ist. Es war die
Bestürzung vor einer solchen geschlossenen Front von Millionen Indern.
Es war die Erkenntnis, daß die Nationalbewegung so stark geworden war
und so weite Kreise erfaßt hatte, daß sie imstande war, die britisch~
Herrschaft lahmzulegen, daß jedenfalls die politische Beherrschung
Indiens mit den bisherigen Mitteln unmöglich geworden war, und daß man
vor der Wahl stand, entweder politisch zu verzichten oder derart riesige
Machtmittel dort festzulegen, daß es auf die Dauer für das Empire zu
einer untragbaren Bürde werden würde.
Es ist das weltgeschichtliche Verdienst GANDHIS, dies geahnt, erkannt
und formuliert zu haben. Er hat die gewaltlose Methode nicht nur zum
obersten Gesetz erhoben; er hat sie so formuliert und in die Praxis
übersetzt, daß sie jedem Inder, auch dem kleinsten Bauern, verständlich
wurde, und er hat es vermocht, sie breitesten Schichten des Volkes
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lnd der Ärmsten, denen er als Prophet, als der "Mahatma" galt, hinter
sich zu stellen. Er hat dadurch die Nationalbe1oJegung aus einer bürger
lichen zu einer Massenbewegung gemacht, hat ihre Kraft den fremden Be
lerrschern vor Augen geführt und hat gleichzeitig dadurch die bisher
~oli tisch schlummernden Massen zum ersten Mal aufge 1'leckt. Aber der Ein
cluß dieses Ringens ist noch weitergegangen. Übersehen loJir nicht, daß
Ln der indischen Ideologie das kosmopolitische Element eine große Rolle
3pielt. Was hier ein großes Genie dem indischen Volk predigte, das waren
3ittliche Ideen, die auch allgemeine Gültigkeit beanspruchen konnten.
3ie quollen aus einer tiefen Auffassung des Menschentums. Sie waren Aus
lruck einer neuen Form der Humanität, die als solche eine Brücke zum
Hesten herüberschlug und dort sehr früh als solche verstanden worden
Lst. Ich erinnere daran, daß einer der ersten, der dies erfaßte, der
cranzösische Schriftsteller Romain ROLLAND war, der schon , ... ährend des
~rsten Weltkrieges das erste verständnisvolle Buch über Gandhi und
3eine Rolle in der Welt schrieb. Wenn heute die indische Staatsführung
Lm Zeichen des Friedens steht und dieses Ziel als das Kardinalziel der
Lndischen Politik bezeichnet; wenn heute Ministerpräsident Nehru sagt,
laß "Gewaltlosigkeit und Frieden ihm als der einzige Weg erscheinen, um
lns alle vor Selbstvernichtung zu retten", dann folgt er nur den Maximen,
nit denen Indiens Unabhängigkeitskampf zum Erfolg geführt wurde. Als
301che friedensbejahende Macht steht Indien zwischen den beiden Blöcken;
las erklärt das große Ansehen, das ihm vor allem bei den übrigen farbi
?;en Völkern in Asien wie in Afrika zugefallen ist. Sie alle blicken mehr
)der 10Teniger bewußt auf Indien als das klassische Musterbeispiel einer
Gösung von der kolonialen Fremdherrschaft in vorbildlicher Form. Einige
Ton ihnen haben es so nicht fertiggebracht, wie z.B. Indonesien; aber
3ie alle verspüren Achtung vor dem Staat, dem es in dieser Form gelungen
Lst, und der jetzt für den Frieden in aller Interesse eintritt. So den
ten die asiatischen Staaten, die zum engeren Kulturkreis Indiens gehören,
lie einst von Indien Religion und Kultur empfangen und mit indischer
Iilfe die Grundlagen ihrer Zivilisation gelegt haben: Ceylon, Burma,
I1a.laya, Thailand, Indonesien, die ganze Welt, die wir einst "Holländisch
md Französisch-Indien" genannt haben. Und nicht viel anders ist es im
Terhältnis zur arabischen Welt. Ob sie noch unter kolonialer Herrschaft
3teht oder schon de facto eine Unabhängigkeit erlangt hat: sie empfin
let es als besonders verheißungsvoll, daß Indien auf religiösem Gebiet
3treng tolerant geblieben ist. Ungleich Pakistan hat Indien den Weg
rermieden, seinen Staat auf die Relgion zu gründen. Indien ist kein
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hinduistisoher Staat geworden, sondern ein 14eltlioher, in dem die Be
kenner aller Konfessionen gleichberechtigte Bürger sind. Und so kann
auch die arabische, also mohammedanische Welt, auf Indien als eine füh
rende Macht der farbigen Welt blicken und Ähnliches gilt für die farbi
gen Völker in Afrika, für die schwarze Rasse, die das Beispiel Indiens
bewundert, die Führung seiner Politik aufmerksam verfolgt und oft seinen
Rat einholt. Dieser Sieg mit sittlichen Mitteln hat Indien in der ganzen
nicht-kommunistischen farbigen Welt eine Stellung gegeben, die beinahe
an die eines Sprechers ihrer Interessen heranreicht.
So hat sich der politische Aufbruch Indiens vollzogen: aus einer geistig
religiösen Erneuerungsbewegung heraus, getragen von der Energie und dem
Elan der neuen bürgerlichen Schicht, inspiriert durch das Eindringen
westlicher Gedanken und geführt von einer Reihe von großen Staatsmännern
und Politikern, wie sie wenige Völker der Erde in dieser Zahl besessen
haben.
Soziologischer Teil
Wer heute einen modernen Inder, namentlich ein Mitglied der jüngeren
Generation fragt, welcher Kaste er angehöre, wird mitunter ein leises
Lächeln bemerken, das zu besagen scheint, daß diese Frage heute unzeit
gemäß klänge. Aber wir, die wir aus Büchern gelernt haben, daß das
Kastensystem eisern die indische Gesellschaft beherrsche und noch heute
die Gesellschaft in luftdicht abgeschlossene Abteilungen spalte, fragen
uns, wie denn der geschilderte Aufbruch und die Entstehung eines gemein
samen Nationalgefühls möglioh gewesen ist. Das alt-indische Kastenwesen
ist - ähnlich wie unsere mittelalterliche Gesellschaftsordnung - aus
der Tatsache entstanden, daß eine erobernde Oberschicht eine rassisch
andersartige Bevölkerung beherrschte, sich die drei Stände: Adel, Geist
lichkeit und Bürgertum, vorbehielt, und die unterworfene Masse in die
Rolle des "Nicht-Stands" herabdrückte, um einen Ausdruck SPENGLERS zu
gebrauchen. Indem dann die ziffernmäßig weit überlegene Schicht der
dunkelhäutigen Unterworfenen allmählich die absterbende Überschicht
durchdrang und ersetzte, erhob sie ihre Götter auf den Thron, die nicht
den vedischen Göttern entsprachen, ohne aber diese abzusetzen. Auch
übernahmen sie die als sakrosankt angesehene Ständeordnung; nur führte
sie das Prinzip der Erblichkeit für alle Berufsgruppen durch, im Gegen
satz zum Abendland, wo sich das Prinzip der Erblichkeit nur für die
ritterlich-fürstliche Schicht durchgesetzt hat, und wo die Geistlichkeit
durch das Zölibat jeder Erblichkeit entkleidet 'lurde. Diese Entwicklung,
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die in der Blütezeit der indischen Kultur durchaus noch im Flusse war,
führte während der Fremdherrschaft zu einer gewissen Erstarrung. Damals,
im Kampf um die Erhaltung der Art, wurde die Kaste zum einzigen Zufluchts
ort für die desorganisierte Masse. In Zeiten, wo dauernde Invasionen,
blutige Unterdrückung, Vergewaltigung der Frauen das Leben der Völker
Indiens und ihre Kultur von Tag zu Tag in Frage stellten, haben die Ka
sten die große Aufgabe gelöst, die in ihr zusammengeschlossenen Gruppen
blutsmäßig rein zu erhalten und die in ihnen gepflegte Kultur, Religion,
Brauchtum zu bewahren und von Generation zu Generation weiterzugeben.
Das ist der positive Wert des Kastenwesens; und in britischer Zeit, wo
man dies durchaus respektierte, hat die mühselige und pedantisch genaue
Statistik der Kasten noch zu einer weiteren Versteinerung der Verhält
nisse geführt. Zu keiner Zeit hat es in Indien an starken Bel·regungen
gegen das Kastenwesen gefehlt. Die erste, beinahe stärkste, war die des
BUDDHA, der die Kasten abschaffen wollte; und das ist mit einer der
Gründe, l~eswegen seine Religion später in Indien so gut wie verschwun-
den ist. Unter den neue ren Anläufen im 19.Jahthundert erwähne ich den
bekannten Orden der SIKHS und die freireligiöse Gemeinde des BRAHMO
SAMAJ, der z.B. der bekannte Dichter TAGORE angehörte. Das Zusammenleben
mit den beiden-großen Universalreligionen, dem Islam und dem Christen
tum, hat weniger stark gewirkt als man erwarten könnte. Der natürliche
Gegensatz des Hindus zu diesen beiden landfremden Bekenntnissen war
stärker als die Neigung, ihr Beispiel nachzuahmen, zumal wir bekennen
müssen, daß auch das indische Christentum in seinen Reihen die Kasten
trennung durchaus nicht überwunden hat.
Nun treten zwei Fakten auf: Die Nationalbewegung und die moderne Wirt
schaft. Beide tragen dazu bei, den Gegensatz, die Härte des Kastenwe
sens zu mildern. Die Nationalbewegung mußte sich, als sie begann, mit
der Teilaufgabe begnügen, die schlimmsten Auswüche'und Schäden, die sich
eingebürgert hatten, zu bekämpfen, nämlich die unglückliche Lage der
sogenannten Unberührbaren. Auch hier war es Gandhi, der bahnbrechend
wirkte, indem er erklärte, daß kein Volk seine Freiheit verdiene, so
lange es noch solche "Parias" in seinen eigenen Bezirken dulde. Er hat
die Rettung, die Befreiung dieser Schicht zu einem seiner Hauptanliegen
gemacht und diesen Aufgaben mehrere seiner berühmt gewordenen Fasten
zeiten bis zum Tode gewidmet. Und die heutige Regierung des freien
Indiens hat mit allen Mitteln sein Werk fortgeführt, soweit es eben
einer Regierung möglich ist, ein gesellschaftliches Problem mit gesetz
geberischen Maßnahmen zu lösen. Was mit gesetzgeberischen Mitteln
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geschehen konnte, ist geschehen; ja, man ist in Indien sogar so weit ge
gangen, daß die Benachteiligung eines Unberührbaren zum strafrechtlichen
Delikt erklärt worden ist. Trotzdem ist die Aufgabe noch nicht vollendet;
denn mit noch so drakonischen Maßnahmen lassen sich Wandlungen gesell
schaftlicher Natur nicht erzwingen, zumal die Unglücklichen selbst in
folge ihrer jahrhundertelangen Unterdrückung an derartigen Inferiori
tätskomplexen leiden, daß sie erst allmählich von ihnen geheilt werden
müssen. Hier wird nur die Zeit helfen und wir werden noch ein bis z'''ei
Generationen zu warten haben, bis auch dieses Übel wirklich verschwun
den ist. Gleichzeitig wurden in der modernen Wirtschaft Leute aus allen
Kasten eingesetzt: der Brahmane trat in die Bank ein, der Angehörige
der Kaufmannskaste in die Industrie, und die großen neuen Arbeiterscha
ren setzten sich aus mannigfaltigen Kasten zusammen. So entstand ein
Prozeß, den man das"Abbröckeln des Kastenwesens" nennen könnte. In Poli
tik und im Parlament, in Wirtschaft, Verkehr und Technik, kurz überall,
wo das neue Leben die Menschen anspricht und seine Anforderungen stellt,
spricht man vom Kastenwesen möglichst wenig. In einer Weltstadt wie
Bombay verkehren Angehörige aller Kasten und Religionen miteinander,
selbst Heiraten aus der Kaste heraus sind häufig, und die Familie Nehrus
selbst hat ja hier ein schlagendes Beispiel geliefert, indem sowohl seine
jüngere Schwester wie seine Tochter aus der Kaste, ja aus der Religion
heraus geheiratet haben. Der nationale Kampf und die moderne Wirtschaft
sind zum Schmelztiegel geworden, in dem sich nach und nach die Kasten
vorurteile abschleifen. Lassen Sie mich statt vieler Einzelheiten ein
bezeichnendes Beispiel geben, wie die Dinge sich heute praktisch aus
wirken: Der gesamte Nachwuchs an Offizieren für die drei Waffengattun
gen der indischen Wehrmacht wird in einer großen Kadettenanstalt ausge
bildet. Dort werden selbstverständlich Angehötige aller Kasten, auch
Unberührbare, angenommen. Sie alle essen zusammen in einem großen Ess
raum, wobei sie sich ihre Kost bis zu einem gewissen Grade wählen dür
fen. Aber jeder schläft in einem eigenen Zimmer! So haben wir hier,
ich glaube, die einzige Kadettenanstalt der Erde, in der jeder Kadett
zum eigenen Zimmer gekommen ist.
Ich darf hier ein Wort anschließen über die Stellung der indischen Frau,
obwohl ihr ein eigener Vortrag unserer verehrten Miss BISWAS vorbehal-
ten ist. Auch ihre Stellung wurde durch die Nationalbewegung grundlegend
geändert. Indem Gandhi für seinen letzten Feldzug, die "Quit-India
Campagne", während des zweiten Weltkrieges, ausdrücklich alle, auch die
Frauen aufrief, und indem die indischen Frauen in einer niemals erwarteten
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Zahl kamen und sich an den großen Demonstrationen und Kämpfen beteilig
ten, ja sich förmlich in die Gefängnisse hineindrängten, konnte ihnen
die Zulassung im öffentlichen Leben nun nicht länger verweigert werden.
11an kann nicht sagen, daß das Kastenpesen in Indien nun versch,.,runden
sei. Solche uralt eingewurzelten Zustände lösen sich nicht i'n einem
Menschenal ter auf. Vor allen Dingen hält sich s eine wichtigste Grundlage
noch: der Glauben an Wiedergeburt und an KARI1A. Der Inder ist durch
jahrtausendelange geistige Erziehung gewohnt, sich Unsterblichkeit in
der Form vorzustellen, daß die Seele hier auf dieser Erde wiedergeboren
wird. Er hat weiterhin den Glauben entwickelt, daß das Schicksal des
heutigen Lebens die gerechte Vergeltung oder die gerechte Belohnung
für Taten darstellt, die jeder in seinem ~rüheren Leben begangen hat.
Das ist natürlich für die gesamte Sozialverfassung eine entscheidende
Auffassung, die den sozialen A~pekt umstürzt und die alle Ungleichhei
ten als sittlich gerechtfertigt erklärt. Diese Auffassung stützt das
Kastensystem. Auch bildet die Kaste noch heute für einen großen Teil
der Bevölkerung eine natürliche Zufluchts- und Hilfsorganisation, eine
Art Versicherung gegen Krankheit, Unglücksfälle, Arbeitslosigkeit, eine
Art Sterbekasse, selbst eine Art Kreditinstitut. Und von unserem abend
ländischen Standpunkt aus sollten wir nicht übersehen, daß diese Fort
dauer der alten Gesellschaftsordnung, daß dieser Glaube an KARMA, zu
den festesten Pfeilern für die alte indische Kultur gehört und damit
eine der festesten Bollwerke gegen das Eindringen bolschewistischer
Ideen bildet. So überraschend es klingen mag, ist das Fortbestehen die
ser alten Kulturwerte auf sozialem Gebiet eine der Klammern, die Indien
so stark an die freie Welt binden.
Sozialer Teil ,
Wer aufgefordert würde, in Europa über noch bestehende Kastenvorurteile
zu sprechen, wäre sich vermutlich bewußt, daß er einen heiklen Gegen
stand zu behandeln hätte, der unsichtbar oder schwer erfassbar bleibt
- meistens nur innerhalb der Familie erkennbar, beispielsweise wenn die
Tochter heiratet oder wenn gesellschaftliche Einladungen ergehen sollen.
Ähnlich ist es auch in Indien. Diese Frage gehört zu denen, die sich
hinter einem Vorhang abspielen, und viele Europäer leben jahrelang in
Indien, ohne zu wissen, zu welcher Kaste ihre engsten Geschäftsfreunde
gehören. Anders liegt das bei der sozialen Zusammensetzung eines Volkes.
Sie ist im wesentlichen wirtschaftlich begründet, also ist sie stati
stisch erfaßbar, und ihre Wandlungen vollziehen sich im Lichte der
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Öffentlichkeit. Die wichtigste Tatsache auf diesem Gebiet ist die Stel
lung, die das neue indische Bürgertum einnimmt. Neu ist nicht die Tat
sache, daß Indien ein Bürgertum hat; das hat es schon 500 Jahre v.ehr.
gegeben, und aus der Lebensgeschichte des Buddhas wissen wir, daß es
damals schon ein sehr reiches Groß-Bürgertum gegeben hat, das in den
großen Weltstädten des alten Indiens mit Fürsten und Großen auf gleichem
Fuße verkehrte. Das Neue der heutigen BürgerschiGht liegt einmal darin,
daß diese Schicht sich aus allen Kasten und Religionsgruppen zusammen
setzt, und daß sie sich daher als Klasse fühlt; und zweitens, daß diese
Klasse zum Träger der Nationalbewegung und des politischen Willens der
Nation geworden ist. Eigentlich haben wir damit schon die Grundlage
bezeichnet, weswegen in Indien demokratische, freiheitliche Verfassungs
und Verwaltungsmaximen möglich und nötig sind. Versetzen Sie sich bitte
einmal in die Lage des deutschen Bürgertums in der Zeit der Paulskirche:
wenn damals plötzlich alle Fürsten und Generale aus Deutschland ver
schwunden wären, und dieses Bürgertum, auf sich selbst gestellt, den
Kampf gegen Frankreich und die Reichsgründung hätte durchfechten müssen
- dann haben Sie ein Bild von der Aufgabe, die dem indischen Bürgertum
gestellt worden ist und was es geleistet hat.
Dieses Bürgertum hat seine Basis in Handel und Industrie, in den freien
Berufen, im Verwaltungsdienst. Kastenmäßig finden wir natürlich Brahma
nen in großer Zahl als Universitätsprofessoren, Anwälte und Ärzte; denn
geistige Berufe waren ihr erblicher Anteil. Im Wirtschaftsleben über
IViegen noch die alten Kaufmannskasten. Aber überall treten die Angehö
rigen anderer Kasten hinzu und auch die Angehörigen anderer Religions
gemeinschaften. Es gibt große und sehr bedeutende mohammedanische Kauf
mannsgilden, und es gibt die zahlenmäßig kleine, aber sehr wichtige
Gruppe der PARSEN, meist in Bombay, die in der Wirtschaft, verglichen
mit ihrer geringen Zahl, eine enorme Rolle spielen. Es war ein genialer
Parse, der Indien das erste WasserkraftHerk und das erste StahlHerk be
scherte, und ein Großneffe von ihm eröffnete die zivile Luftfahrt durch
eigenen Flug. Und ein Parse war's, der ohne fremde Hilfe in Bombay den
ersten Atomreaktor selbständig vor zwei Jahren gebaut hat, der vortreff
lich funktioniert. Dieses Bürgertum hat sich in Unternehmerverbänden,
Handelskammern und berufsständischen Organisationen zusammengeschlossen,
ähnlich wie ihre Berufsgenossen in Europa dies tun. Und neben ihm wächst
ein kleiner Mittelstand heran, der sich aus den zahllosen kleinen Gewer
betreibenden, den Angestellten in Firmen, Behörden und städtischen Ver
Haltungen rekrutiert. Wie stark ziffernmäßig die Gruppen im einzelnen
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sind, ist nicht leicht zu sagen. Bei uns würden wir als nächstliegende
Quelle die Einkommensteuerregister einsehen. Aber das funktioniert in
Indien nicht, weil die Inder die Einkommensteuer nicht sehr lieben. Vor
allen Dingen gibt es in Indien das ingeniöse System der "Gesamtfamilie",
der Großfamilie, die als Gesamteigentümer einer Firma oder eines Indu
striebetriebes auftreten kann und dann nur als eine Gesamtpersönlich
keit Steuern zahlt. So ist zu erklären, daß in Indien bei einer Bevöl
kerung von 380 Millionen nur etwa 300 000 Menschen zur Einkommensteuer
veranlagt werden. In ihren wirtschaftlichen Anschauungen stehen diese
indischen Kreise den europäischen sehr nahe. In ihrer geistigen Welt
sind sie sehr verschieden. Wir haben ganz westlich eingestellte Kreise
und ganz orthodoxe. Nehmen wir die beiden bekanntesten großen Industrie
unternehmungen Indiens, so sind die einen - die Tatas - Parsen, sehr
westlich eingestellt, sie heiraten gern Europäerinnen; während die ande
ren - die Birlas - streng orthodoxe Hindus alten Glaubens sind. Und der
Unterschied geht durch alle Schichten, wobei natürlich der kleine Mittel
stand und die Massen noch überwiegend in überkommenen Anschauungen leben,
mit Ausnahme der akademischen Jugend, die auch in Indien radikalen Ten
denzen offensteht.
Ein neues Gebilde in Indien ist die Arbeiterklasse. Schon vor einigen
dreißig Jahren zählte das Internationale Arbeitsamt in Genf Indien nach
der Zahl seiner Industriearbeiter unter die sechs größten Industriestaa
ten der Erde. Seitdem ist der Aufbau der indischen Industrie mit großen
Schritten vorwärtsgegangen, und ein weiterer großer Ausbau ist geplant,
wie andere Redner darstellen werden. Die Arbeitsleistung des indischen
Arbeiters entsprach damals vor dreißig Jahren gewiß nicht der deS euro
päischen. Das hat sich sehr ge1.Tandel t. Im Tata-Stahhlerk erzählte man
mir, daß man heute im allgemeinen mit eineinhalb Arbeitern rechnet, wo
bei uns ein Arbeiter erforderlich ist. Und in einigen Abteilungen sprach
man schon von einem Verhältnis von 1:1! Das ist ein Werk, das schon seit
50 Jahren Stahl produziert. In Betrieben, die neu begonnen werden, vor
allen Dingen in den zahlreichen großen Regierungsunternehmungen, zu
denen ja auch das Stahlwerk in Rourkela gehört, ist man auf ungelernte
Arbeitermassen angewiesen; dort findet man noch die alte Formel: drei
Inder für einen Europäer. Immerhin hat Indien schon die Grundlage eines
Facharbeiterstamms, und an seiner Vergrößerung wird mit allen Mitteln
gearbeitet, namentlich durch die vielen technischen Schulen, die gegrün
det worden sind. Diese indische Arbeiterschaft hängt zum Teil noch mit
ihren Familien auf dem Lande eng zusammen. Es ist noch gar nicht lange
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her, daß bei einem Streik in Bombay die meisten Arbeiter aus der Fabrik
gegend verschwanden, um in ihren Dörfern unterzutauchen. Je übervöl
kerter aber diese Dörfer werden, desto mehr hat sich das geändert, und
dann wird der Arbeiter in den Arbeitervierteln der Großstädte, die oft
wirkliche Elendsquartiere sind, rasch entwurzelt und zu einer guten Beute
radikaler Demagogie. Sie sind gewerkschaftlich organisiert, obwohl die
wirklich zahlenden Mitglieder auch in Indien in der Minderzahl sind.
Indien hat vier Gewerkschaften, denn jede der politischen Parteien hat
sich eine eigene Ge"rerkschaft geschaffen. Die größte ist die des Kon
gresses, der Regierungspartei. Im ' ... ei t-en Abstand die zweitgrößte ist
die der kommunistischen Partei. Diese Rivalität z1dschen den Gewerkschaf
ten führt oft dazu, daß sich die kleineren durch radikale und übertrie
bene Forderungen hervortun wollen. Zu den schlimmsten gehören die sozia
listisch-kommunistischen Gewerkschaften der Hafenarbeiter. Sie haben es
dahin gebracht, daß sich der Betrieb in den großen Häfen sehr verschlech
tert hat, und die Abfertigung der Schiffe zu einem Engpaß geworden ist,
der manchmal die Durchführung der großen Projekte gefährdet.
Die Haltung der indischen Unternehmer ist sehr verschieden; wir finden
Vertreter aller Richtungen, solche, die den Standpunkt "Herr im eigenen
Haus" recht frühkapitalistisch hervorkehren und solche, die mehr tun,
als gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Stahhlerk der Tatas hat von sich
aus das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter eingeführt. Die indische Re
gierung betrachtet es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, den Kontakt
zu den Gewerkschaften zu pflegen, das Vertrauen der Arbeiter zu gewinnen,
und im Interesse des Arbeitsfriedens zu vermitteln. (Zu meiner Zeit war
der indische Arbeitsminister ein ehemaliger Arbeiter.) Im allgemeinen
hat die Regierung mit diesen Bemühungen Erfolg, ob' ... ohl natürlich Störun
gen nicht zu vermeiden und Streiks nicht selten sind. Im Jahre 1956
haben wir 1200 Streiks gehabt mit 700 000 an ihnen beteiligten Arbeitern
Qnd über 7 Millionen verlorengegangenen Arbeitstagen.
Neben diesen beiden Klassen, die wir als die "Neuen" bezeichnen können,
steht nun die große breite Masse der ländlichen Bevölkerung Indiens,
die noch über 75% des Ganzen ausmacht. Einen echten Großgrundbesitzer
stand im Sinne von landwirtschaftlichen Betriebsherren, die auf dem
Lande selber arbeiten, hat Indien seit langem nicht mehr besessen. Die
überwiegende Mehrheit aller Betriebe ist in kleine und mittlere Pachtun
gen vergeben worden, so daß die rechtliche Absetzung aller dieser Grund
herren, der Fürsten - ZAMINDARS, JAGIDARS usw. - das faktische Bild auf
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dem Land nicht wesentlich geändert hat. Die Pächter und die kleinen Be
sitzer haben behalten, was sie bewirtschafteten, nur zahlen sie jetzt
nicht mehr an den Grundherrn, sondern direkt an den Fiskus. Von den in
der Landwirtschaft tätigen Menschen werden 250 Millionen einschließlict
Familienangehörigen als solche registriert, die eigenes Land bebauen;
30 Millionen einschließlich Familienangehörigen als landwirtschaftliche
Hilfsbetriebe und 45 Millionen als Landarbeiter. Diese große Masse ist
das eigentliche Problem Indiens. Indien hat den Begriff der Leibeigen
schaft in unserem Sinn z~.rar nicht gekannt, praktisch aber war die Lage
der Bauern in vielen Teilen Indiens nicht viel anders. Ihre mater'ielle
Not war riesengroß und ist heute immer noch sehr groß. Der tiefste und
letzte Grund liegt in dem Mißverhältnis zwischen anbaufähigem Boden und
der rasch wachsenden Bevölkerung. Es kommen in Indien auf 1 qm anbau
fähigen Boden 240 Menschen, bei uns in der Bundesrepublik 210. Und so
kommt es, daß das Durchschnittseinkommen der indischen Bevölkerung im
Jahr pro Kopf nur 240,- DM beträgt, also etwa 20,- DM im Monat, wobei
natürlich das Einkommen der Massen auf dem Land noch erheblich unter
dieser Ziffer liegt. Auf verschiedenen Wegen wird hier versucht, Besse
rung zu schaffen. Die erste Frage war eine Neuverteilung des Bodens:
eine Agrarreform, die dich nicht damit begnügte, alte Grundherrenlasten
abzuschaffen, sondern jedem Land zu geben. Die gro,ße Sc-hwierigkei t aber
ist, daß keine Bodenreserve vorhanden ist. Auch würde die Auf teilung
der größeren bäuerlichen Wirtschaften gerade die Leute treffen, welche
die treuesten Anhänger des Kongresses auf dem Lande sind und die ver
hältnismäßig am meisten für die Ernährung beitragen. So entstand das
Problem einer neuen Landverteilung. Da rief VINOBRA BRAVE, eine der
interessantesten Gestalten des heutigen Indiens, ein Idealist vom Schla
ge Gandhis, alle Bauern auf, freiwillig Land zu schenken. Und mit die
ser Landschenkungsaktion, bei welcher der alte Mann barfuß von Dorf zu
Dorf zieht, hat er einen großen unmittelbaren Erfolg erzielt und einen
noch größeren moralischen; denn er hat das Problem der Landverteilung
zum lebendigen Inhalt der Gespräche auf dem Lande wie in den Regierungs
kreisen gemacht. Aber selbst, ~.renn er dem landlosen Arbeiter nun ein
Stück Land gibt, ist dem damit nicht viel geholfen, ,.renn es ihm an dem
Betriebskapital fehlt, um das Land auch wirklich zu bewirtschaften. Und
so kommen wir zur Hauptaufgabe der Regierung, zu den großen Plänen, die
Dörfer zu erwecken, aufzurütteln und zu besseren Methoden und zu größe
rer Selbsthilfe zu veranlassen. Man nennt das in Indien "Community
Development Scheme" oder "National Extension Service" - beides ist
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ziemlich dasselbe. Man nimmt einen bestimmten Bezirk, sagen wir von
50 Dörfern mit einigen 50 000 bis }GO 000 Einwohnern. Man setzt hinein:
geeignetes Lehrpersonal, Traktoren, ein paar Landmaschinen, Saatgut
- und dann geht man zu den Dörflern und sagt ihnen: wenn ihr mithelft,
eine Schule, ein Hospital, eine Veterinärstation zu bauen, wenn ihr
freiwillig Mittel gebt oder eure Arbeitskraft, dann wird euch der Staat
das und das dazutun. Das Echo ist hocherfreulich.; der indische Bauer
ist gar nicht schwerfällig, wie viele dachten, und er begreift durchaus,
wenn einer ihm wirklich uneigennützig helfen will. So ist vieles ent
standen, nicht nur die sogenannten Musterdörfer, nein, hunderte von
Dörfern und Bezirken sind in dieser Weise bereits "er\Veckt" und refor
miert wQrden. So sind gute Ansatzpunkte zu neuem Leben auf dem Lande
geschaffen. Aber die Sache geht langsamer voran als die Kolchosen in
China. Wenn man zweihundert solcher Projekte mit je 100 000 Menschen
bearbeitet, dann wird es etwa zwanzig Jahre dauern, bis man durch's
ganze Land kommt. Und dabei ist der Hauptengpaß nicht Mangel an Geld,
was die Regierung liberal zur Verfügung stellt, sondern Mangel an Lehr
personal. Die Schulung dieser Leute, das ist es, worauf es hier ankommt.
Und dieses Unternehmen ist das zukunftsträchtigste und wichtigste von
allem, was sich im heutigen Indien abspielt.
Der dritte Weg ist die Neuerweckung des bäuerlichen Hausfleißes. Seit
Jahrhunderten ist der indische Bauer gewohnt, auch in den langen Mona
ten seiner Mußezeit an irgendetwas zu arbeiten. Wir haben in 6en indi
schen Dörfern einen sehr hohen Stand von Hausfleiß, der mitunter an das
beste Kunsthand",erk heranreicht. In den gelegentlichen Ausstellungen
dieser "Khadi"-Industrie, wie man sie nennt, zeigt sich ein überraschend
hoher Standard solcher kunsthand",erklichen Erzeugnisse. Daneben bemüht
man sich, Industrie auf das flache Land zu verlagern, sei es, um Zu
bringerindustrien aufzuziehen, sei es, um neue Haus- oder Heimindustrien
zu schaffen. Wir nennen das in Indien die Förderung von "Small Scale
and Village Industry". Auch hier ist manch schöner Anfangserfolg erzielt
"'orden, besonders, seit die Statebank of India mit einer großen Aus
dehnung ihres Filialnetzes den ländlichen Kredit wesentlich erleichtert
hat. So entsteht langsam aber stetig die Grundlage für einen klassen
bewußten, aufgeweckten Bauernstand. Und nach dem festen Willen der in
dischen Regierung soll diese neue Ordnung nicht durch Kolchosen nach
russischem und chinesischem Vorbild erreicht werden, sondern unter Be
lassung der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung und des Privateigen
tums. Wir stehen am Beginn einer Neuordnung der indischen Gesellschaft;
Sei te 22
eine neue Initiative erfüllt das Volk in allen Schichten und dringt lang
sam von den Brennpunkten des politischen Lebens hinaus in das flache
Land. Der Nationalkongreß, die Regierungspartei, die Angehörige aller
Kasten und Berufe, aller Klassen umschließt, wird zum eigentlichen
Schmelztiegel, der die sozialen Spannungen mildert und Gegen$ätze aus
gleicht. Es wird an dieser Partei viel Kritik geübt, da jede Regierungs
partei, wenn sie an die Macht kommt und lange an der Macht bleibt, ge
wisse bedenkliche Anzeichen von Sterilität aufweist. Aber der Kongreß
hat als großes Aktivum einmal die Tatsache, daß er die Unabhängigkeit
des Landes erreicht hat und daß er sich offensichtlich und mit Erfolg
bemüht, die wirtschaftliche Lage aller und gerade der ärmsten Schichten
zu heben. Er hat große Popularität mit dem sozialistischen Wirtschafts
programm erlangt, das die Regierung im Jahre 1956 verkündet hat, und
mit dem er, ohne sich an Doktrinen von Marx und anderen zu binden, eine
sozialistische Gesellschaftsordnung eigener Prägung anstrebt, die zum
Wohle des Ganzen, aber unter Be~ahrung der bisherigen Tradition durch
geführt werden soll. Und endlich verfügt die Kongreßpartei über das
Ansehen seines Führers, des Ministerpräsidenten NEHRU, in seiner eigen
artigen Doppels·tell ung: er ist einmal der Erbe GANDHIS, denn GANDHI
ernannte ihn zu seinem Nachfolger, und sein Ruf und sein Vertrauen be
fähigten ihn, zum Hüter des Gandhischen Verhältnisses zwischen Kongress
und Masse zu werden; und er ist auf der anderen Seite der fortschritt
lich gesinnte Neuerer und Reformer, der überall und oft spontan bereit
ist, neue Wege aufzuzeigen und einzuschlagen. In seiner Person gleicht
sich beinahe täglich der Zwiespalt aus, der das ganze Leben Indiens
noch beherrscht: der Drang, Altes zu bewahren und Neues einzuführen.
Noch hängen unzählige Familien Indiens, ganze Volksschichten am über
lieferten Alten. Noch sind erst wenige Jahrzehnte vergangen, seit die
ersten großen Führer der Unabhängigkeitsbewegung unt.er der Devise
"zurück zum Alten" ihre Tätigkeit begannen, als der große TILAK (der
1922 gestorben ist) in der Wiedererweckung de~ alten Hinduglaubens den
ersten Schritt zur nationalen Befreiung erblickte. Auch GANDHI war vor
wiegend auf die Bewahrung des Alten eingestellt. Am liebsten hätte er
die Maschinen abgeschafft. Im Handspinnrad erblickte er damals nicht
nur das Symbol, das jeden an die nationale Sache band, sondern ernst
haft den ersten Schritt zur Lösung aller Wirtschaftsprobleme. Und diese
Anschauungen sind auch heute noch politisch organisiert. Ich denke an
die Partei der HINDU - MAHASABHA, der einflußreichen ~ertretung aller
orthodoxen Kreise. Auf kulturellem Gebiet sehen wir ein bewußtes,starkes
Sei te 23
Wiedererwachen des Interesses an der alt-indischen Kultur. Wir haben in
Bombay das ausgezeichnete Zentrum, die BHARATYA VIDYA BHAVAN, das Insti
tut für alt-indische Kultur, das sich systematisch zur Aufgabe macht,
ganze Bevölkerungsschichten wieder vertraut zu machen mit der Kenntnis
des Sanskrit, mit alt-indischem Tanz und alt-indischer Musik, von denen
wir in letzter Zeit auch hier in Deutschland ausgezeichnete Proben ge
sehen haben; durch dramatische Behandlung epischer mythologischer Stoffe,
durch billige Volksausgaben der alten Epen, der alten geistigen Schrif
ten Indiens. Wir müssen sehr vorsichtig sein mit Ausdrücken wie "rück
schrittlich oder reaktionär", wie sie von der indischen Jugend und auch
manchmal von deutschen Journalisten angewandt werden. Denn natürlich
wandelt sich auch diese alt-indische Kultur, wenn sie daran geht, im
heutigen Menschen wieder lebendig zu ",erden. Schon die letzten großen
Denker Indiens, die im 19.Jahrhundert lebten, haben bewußt und kühn den
Weg zu einer neuen Deutung des alt-indischen Denkstoffes eingeschlagen,
RAMAKRISHNA z.B. von der praktisch-sozialen Seite aus. Sein Schüler,
V IVEKANANDA, ging von der Idee aus, daß der Hinduismus nicht mehr allein
den Indern als Religion dienen solle, sondern daß er neuen lebendigen
Kontakt auch mit der übrigen Welt suchen müsse, daß er der übrigen Kul
turwelt etwas zu sagen habe, und der große Erfolg, den VIVEKANANDA
schon um 1900 in Amerika gehabt hat, belegt, wie aufgeschlossen die Welt
sich hierfür zeigte. Hier spricht ein Sendungsbewußtsein, das die gei
stige Überschicht Indiens neu entwickelt und über alle Grenzen hinaus
trägt; und einer der Vertreter dieser Richtung ist der Vizepräsident
der Republik, Herr RADHAKRISHNAN, der in seinen Schriften Ähnliches ver
folgt. Fast die wichtigste Tatsache auf diesem Gebiet ist die, daß
Indien einen großen Denker hervorgebracht hat, der eine klare geistige
Synthese zwischen östlichem und westlichem Denken schuf, den großen
AUROBINDO mit seinem "Ashram in Pondicherry". Er gibt eine geniale Deu
tung des indischen Geistesguts, die als Brücke zur westlichen Welt dient.
Und diesen Meistern einer neuen Synthese entsprechen auf politischem
Gebiet die Gestalten all der Führer, die, fest im indischen Wesen ver
wurzelt, doch klar erkannten, d~ß nur Hestliche Ideen und Kampfmethoden
zur Freiheit führen würden: der große C.R. DAS, der früh Verstorbene;
sein engster Freund, NEHRU der Vater, beide zu ihrer Zeit zwei der er
folgreichsten Anwälte vor den höchsten Gerichten Englands. Zu ihnen
gesellen sich die lebenden Führer, wie der Ministerpräsident NEHRU,
und auf wirtschaftlichem Gebiet Persönlichkeiten wie der alte TATA, der
dem Konzern den Namen gegeben hat, und sein Großneffe, J.R.D. TATA.
Sei te 24
Hier haben wir in lebendigen Gestalten eine Synthese vor uns, die mög
lich ist, und die erreicht wird, wo immer alt-indischer Geist sich ver
bindet mit dem ernsten Willen, unter den heutigen Umständen dem indi
schen Volk eine neue bessere Zukunft zu bauen. Hier wurzelt die Überzeu
gung, daß nur der Ausbau einer starken Industrie die wirtschaftlichen
Probleme zu lösen vermag. Denn nur die Industrie gibt auf die Dauer neue
Arbeitsplätze für die fünf Millionen Geburtenüberschuß, die Indien jähr
lich hat. Und in dieser Synthese wurzelt die tiefe Erkenntnis, daß eine
freiheitliche Verwaltung Indiens nötig ist und nur erreicht wird' mit
Hilfe demokratischer Methoden: mit Wahlen zum Parlament, mit demokrati
schen Vertretungen bis ins letzte Dorf, wo der alte traditionelle
Dorfrat überall wieder in Tätigkeit getreten ist. Oft geht die Grenze
zwischen alt und neu durch die Menschen hindurch: Wie wir es bei Gandhi
sahen, der wirtschaftlich ganz im Alten, Bewahrenden stand und doch
mit bahnbrechender Energie die Reform des Kastenwesens vorantrieb. Und
das beste Beispiel der Synthese ist der Premierminister Nehru selbst,
den man gewiß mit Recht als den "westlichsten Staatsmann Asiens" be
zeichnen darf, und der doch dem Volk als der Erbe und Inbegriff des
Gandhismus, also des überlieferten Erbes, erscheint. Aus diesem Neben
und Gegeneinander der Tendenzen ist in Indien eine geistige Spannung
erwachsen, die im höchsten Maße befruchtend wirkt. Auch hier müssen
wir vorsichtig sein mit unserem Urteil. Wir wollen nicht übersehen, daß
der Drang zu westlichen Formen und Lehren selbstverständlich auch den
Weg öffnet zu der radikalsten Lehre des Westens, zum Kommunismus. Und
wir wollen nicht vergessen, daß das beste Bollwerk dagegen immer noch
in dem starken Schwergewicht des Alten liegt. Wir erkennen, daß bei
einer so hektischen Industrialisierung, wie sie Indien nicht aus Ehr
geiz, sondern getrieben von der bitteren Not der Massen jetzt vorzu
nehmen hat, die eigentliche Gefahr nicht so sehr in den vorübergehenden
finanziellen Schwierigkeiten liegt - das sind Nachteile, die durch An
leihen, durch Kredite behoben werden können - sondern daß die Haupt
gefahr darin zu suchen ist, daß der Mensch als Träger und Gegenstand
einer so raschen Wandlung nicht mitkommt; daß er entweder innerlich wie
zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird, oder daß er allzu rasch das
Alte von sich wirft und dadurch ein leichtes Objekt der Entwurzelung
und des Radikalismus wird. Was Indien braucht, ist eine breite Schicht,
die von dieser Synthese geprägt wird, die ich darzustellen versucht
habe: die bewußt das Neue bejaht, aber die Grenze erkennt, bis zu der
es getrieben werden kann. Hier helfen keine Anleihen. Wohl aber kann
Sei te 25
hier ein lebendiger Kontakt mit geistig verwandten Kreisen im Westen
helfen, zu denen die Inder Vertrauen haben wie hier zu uns Deutschen,
und die sich bemühen, Indien in seiner heutigen Lage zu verstehen. Ein
solcher Kontakt kann den Indern menschlich helfen und kann dadurch die
ses Land in seiner Aufgabe stärken, die es in Asien zu lösen hat: das
Ziel, das andere mit Massenmorden, Terror und Unterdrückung aller mensch
lichen Freiheiten erreicht haben, in Indien unter Bewahrung der alten
wertvollen Kulturwerte zu erreichen und eine Wirtschaft und eine neue
Gesellschaftsordnung aufzubauen, die Indien geistig und politisch zu
dem machen wird, was seine nächste Zukunft von ihm verlangt.
Sei te 26
Die soziale Stellung der Frau in Indien
Von S.A. BISWAS, Direktorin des Indischen Verkehrsbüros, Frankfurt a.M.
Umgeben und fast isoliert vom Himalaya, der größten Gebirgskette der
Welt, findet man in Indien die verschiedensten klimatischen Bedingungen.
r~n nimmt an, daß diese viel zur Charakterbildung eines Volkes beitra
gen, und daher rührt wahrscheinlich auch der passive Gleichmut den Freu
den und Leiden des Lebens gegenüber. Wahrscheinlich hat diese Eigenschaft
in noch weit größerem Maße Gültigkeit bei der Erklärung des Verh~ltens
der indischen Frau. Ein bedeutender Schriftsteller sagte einmal, daß
die Hand, die die Wiege bewegt, die Nation formt. Ein anderer Autor,
ein Franzose, empfiehlt, die Gesellschaftsstellung der Frau zu betrach
ten, um über eine Nation urteilen zu können. Hält man sich diese Be
trachtungsmaßstäbe vor Augen, so darf man in bezug auf Indien sagen,
daß der Beitrag der Frau zum nationalen Einheitsgefühl in seinem Auf
und Ab trotz mancher Veränderungen und Wechselfälle und unter dem Zwang
verschiedenartiger Sitten und Bräuche fremder Ansiedler, die immer
wieder in Abständen das Land überschwemmten, durch eine milde, mütter
liche Einwirkung gekennzeichnet ist. Am Anfang des historischen Indiens
steht die Rigveda1 ), die Quelle und der Ursprung aller nachfolgenden
Richtungen der Hindu-Philosophie. Dieses verehrungswürdige Buch bietet
uns einen interessanten Einblick in die Stellung der Frau im vedischen
Zeitalter. Die traditionelle Einstellung der Hindus erlaubte den Frauen,
eine hochgeachtete Stellung innerhalb des Hauses einzunehmen, gestatte
te ihnen alle Möglichkeiten einer guten Erziehung und darüber hinaus
die Entfaltung der Persönlichkeit in allen Bereichen der Kunst und
Kultur. Es versteht sich, daß bei der individuellen Ausbildung die
typisch weiblichen Kunstbereiche, wie Tanz, Gesang und Musik bevorzugt
wurden. Eine Gleichberechtigung jedoch in materieller, politischer
oder verwaltungstechnischer Hinsicht wurde nie anerkannt. Und so ist
es auch zu erklären, ~aß das alte Indien außerordentlich geistreiche
und weise Frauen, wie V ISAVARA, GHOSHA und APALA, hervorbrachte, daß
es jedoch keine Frau gab im öffentlichen Leben, die in der VerHaltung
oder in irgendeinem Beruf hätte tätig sein können. Weil die indische
Frau durch den Ausweg in die geistige Tätigkeit die alltägliche Haus
arbeit kompensieren konnte und - wir sprechen immer noch vom Zeitalter
1. RIGVEDA: Der größte Teil der Rigveda wurde 1500 bis 1000 v.ehr. geschrieben, der letzte Teil wurde vermutlich ein bis zwei Jahrhunderte später beendet
Sei te 21
der Veden - mit ihrem Schicksal zufrieden war, gab es keinerlei Rich
tungen von Frauenrechtlerinnen oder ähnliche Bel..regungen, die um Gleich
berechtigung und Unabhängigkeit kämpften.
Der Ritus Sati - man versteht darunter die Verbrennung und Selbstopfe
rung der Frau auf dem Scheiterhaufen des toten Gemahls - wurde bereits
im Zeitalter der Veden ausgeübt, übrigens in jedem Fall freiwillig; denn
gemäß dem Gesetz der Hindu-Ehe, die unter dem Ritus der sieben gemein
samen Schritte geschlossen wurde, war sie ein Sakrament, das Leben und
Tod zugleich umschloß. Deshalb auch war eine Scheidung unbekannt. Ur
sprünglich war die Einehe üblich; allerdings war die Vielweiberei unter
den Besitzenden, die es sich also leisten konnten, nicht unbekannt. In
diesem Zusammenhang mag es interessant sein, daß die Gesetzesabschnitte
des Dharma Sutra, die die soziale Stellung und das soziale Verhalten be
treffen, die Heirat mit einer zl..rei ten Frau verbieten, wenn die erste
einen guten Charakter besitzt und dem Gatten Söhne geboren hat. Zu die
sem ethisch-moralischen Grund tritt noch ein anderer Aspekt hinzu: Durch
das Gesetz kamen die F~auen wertmäßig versiegeltep Depositen oder gar
Haushaltsgegenständen gleich, was übrigens aber nicht die Möglichkeit
ausschloß, daß die Frauen einen gewissen Betrag an "Stridhana" in Form
von Juwelen oder Wertgegenständen besitzen durften, die sie auf die
Töchter weitervererben konnten. Immerh~n hatten sich zugunsten der Frauen
gewisse Schutzmaßnahmen als unbedingt erforderlich erwiesen.
Es war eine Form der Erstarrung der brahmanischen Gesellschaft zur Zeit
der Upnischades, daß die Frauen nunmehr als Wirtschaftsgut betrachtet
wurden. Eine Periode der Entrechtung begann; sie durften weder am
Stammesrat noch an Versammlungen teilnehmen und hatten keinen Anspruch
auf Unterhalt. Vielweiberei wurde nun ein oft geübter Brauch in den
höheren Gesellschaftsklassen und sogar Kinderehen wurden geSChlossen.
Das klassische Beispiel für die Polyandrie ist das "Mahabharat der
fünf Pandava-Brüder und Draupadi,,2).
Diese Periode wurde abgelöst vom Zeitalter des frühen Buddhismus mit
seiner liberaleren Einstellung. Jetzt fanden die Frauen Aufnahme in
Nonnenorden, wo sie Gelegenheit zu caritativer und sozialer Tätigkeit
fanden. Heute noch erzählen uns alte buddhistische Schriften von
2. MAHABHARATHA, bedeutendstes Epos der Hindus, enthält über 9000 Strophen und ist wahrscheinlich das längste Einzelgedicht der Weltliteratur, geschrieben in dem noch wenig erforschten Zeitalter der Maurya- und Guptareiche, zwischen 200 v.Chr. und 300 n.Chr.
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Prinzessinnen, die Gedichte schrieben und Missionsarbeiten übernahmen
Ein Beispiel ist die Erzählung von König ASHOKE's Kindern Mahindra und
Sanghamitra, die den Zweig des heiligen Bodhi-Baumes nach Ceylon trugen.
In einigen epischen Erzählungen des Hinduismus finden wir sogar Hinwei
se auf "Swayamvaro", d.h. die Gattenwahl durch die Braut.
Obwohl auch noch im Gupta-Zeitalter3 ) die Königin eine bedeutendere
Stellung einnahm, waren die oben geschilderten Bräuche und Sitten im
allgemeinen nur für das Indo-Gangetic-Tal bezeichnend. Alte Münzen von
Chandra Gupta zeigen uns die Bilder des Königs und seiner Gemahlin,
Königin KUMARADEVI. Späterhin finden wir eindeutige BeHeise für herr
schende Königinnen, z.B. in der Person der Königin DIDDA, der Herrseherin
von Kaschmir. In Kanarese nahmen Frauen sogar die Stellungen von Pro
vinzstatthaltern und Dorfvorstehern ein. Ja, die Entwicklung drängte
bald dahin, daß religiöse Zeremonien und Opf&rdienste als unvollständig
betrachtet wurden, wenn keine Frau anwesend war. Eine Legende um den
gütigen Rama besagt, daß, als er dem "Ashyamdha Jagya,A\eiwohnte, eine
goldene Statue der verbannten Si ta an seiner Seite errichtet wurde,so
daß sie symbolisch an der Zeremonie teilnahm. Weitere Beweise für die
Stellung der Frau finden sich in den Aufzeichnungen von MEGASHEVES
über Chandragupta Maurya's Amazonen-Leibwache und Fahnenträgerinnen.
Nach dem Verfall des Gupta-Reiches breiteten sich Lethargie und Dekadenz
aus, die, wenn man von den frühen arabischen Einflüssen in der Provinz
Sind absieht, bis zur ersten Berührung mit den Mohammedanern anhielten.
Durch fortgesetzte fremde Agressionen und Invasionen wurde der indische
Geist gelähmt, und, ich zitiere ALBERON, "die Hindus glaubten, daß es
kein anderes Land gäbe als das ihre. Ihre Vorfahren waren nicht so eng
stirnig wie die jetzige Generation". So geschah es, daß dem Frauentum
wiederum viele vernunftwidrige Gesetze auferlegt wurden, wie z.B. die
strenge Einhaltung des Witwentums ohne jede Rücksicht auf das Alter
der Frau.
3· GUPTA-ZEITALTER ist die Zeit zwischen 320 - 600 n.Chr., auch das "goldene Zeitalter des Hinduismus"genannt, der zu dieser Zeit seine größte Macht erreichte. Es brachte die politische Oberhoheit der Hindus und zeugt von künstlerischer und geistiger Regsamkeit
4· ASHYAMDHA JAGYA, eine Zeremonie, bei der indische Könige den mächtigsten unter sich als obersten Herrscher anerkannten
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Einen weiteren Rückgang des sozialen Gefüges und des sozialen Lebens
brachten die unsteten Lebensbedingungen mit sich, die aus der turko
afghanischen Invasion resultierten. Strenger als je wurde die Frau ab
geschieden, sie litt unter dem Purdah oder Schleiersystem einerseits,
das nur unter den Moslems üblich war, und unter der allgemeinen Unsicher
heit dieser Epoche andererseits, die durch fremde Agressoren verursacht
wurde. Die Kultur der Frauen war, gemäß den verschiedenen Herkunftsklas
sen, verschieden. Gute Beispiele für Frauen der oberen Klassen, die sich
in Kunst und Wissenschaft übten, sind RUPAMATI 5) und PADMAMATI. Wieder
wurden Kinderehen üblich sowie der Sati-Rituso), der in einigen Schich
ten - vor allem im Stamm der Rajputs - weit verbreitet war. Dafür gab
es mancherlei Gründe: Die Eindringlinge zentralasiatischer Stämme hatten
gleiches oder doch ähnliches Brauchtum, und in den oberen Gesellschafts
schichten, wie in der Kaste der Krieger, sah man solches Brauchtum als
Ehrensache und soziale Verpflichtung an. Als weiterer Grund kann hier
auch noch die sich immer weiter verbreitende Vielweiberei genannt wer
den; denn der Freitod wurde oftmals von vielen Frauen dem harten Schick
sal einer kinderlosen Witwe vorgezogen.
Da Südindien von Invasionen nahezu verschont geblieben ist, verlief dort
die soziale Entwicklung folglich auch viel ungestörter. Im Vijayenagar
Reich7) nahmen Frauen oftmals hohe Positionen in der Gesellschaft ein.
Sowohl im literarischen und sozialen als auch im politischen Leben des
Landes spielten sie eine bedeutende Rolle. Die Schriften des zeitgenös
sischen portugiesischen Reiseschriftstellers Nuniz sagen darüber: "Der
König von Vijayenagar besitzt Frauen, die ringen, und andere, die Astro
logen und Wahrsager sind; und er besitzt Frauen, die Buch führen über
die täglichen Ausgaben und andere, deren Pflicht es ist, alle Begeben
heiten im Königreich aufzuschreiben und ihre Bücher zu vergleichen mit
Schriften von außerhalb; desgleichen besitzt er Frauen, die Instrumente
spielen und singen. Sogar die Gemahlinnen der Könige sind gut unterrich
tet in Musik. Er hat Richter und Amtsmänner und Wächter, die Nacht für
Nacht den Palast bewachen, und diese sind Frauen".
5. RUPAMATI, eine sehr schöne und gebildete Sängerin am Hofe von Bas Bahadur, dem berühmten König von Malwa im 16.Harhundert n.Chr.
6. SATI-RITUS, Verbrennung und Selbstopferung der Frau auf dem Scheiterhaufen des toten Gemahls
7. VIJAYENAGAR-REICH, 14. - 16.Jahrhundert n.Chr.
Sei te 30
Aus der Mughal-Zeit wird uns gleich eine ganze Galerie wohlerzogener
und gelehrter Frauen aus höfischen Kreisen überliefert. Beispiele fin
den wir in GULBADAN BEGU!f), Autorin des "Humayunnamah", SALIMA SULTANA9),
Autorin mehrerer persischer Gedichte, Kaiserin NUR JAHAN10 ), MUMTAZ
M4HAL11 ), JAHANARA BEGUM12 ) und ZEB-UN-NISA13 ).
Auf verwaltungstechnischem Gebiet sind zu nennen RUDRAMABA, die Kaka
teya-Königin, RAZIA BEGUM14 ) und CHANDBIBI von Abmednagar15 )) die die
Stadt vor Akbar's Angriff verteidigte, und AHAYABAI HOLKAR16 , die die
Grundsteine zu dem Maratha-Staat von Indore legte.
Im Volke selbst aber war,trotz Abkar's großer Bemühungen, das soziale
Los der Frauen zu erleichtern, eine spürbare Verbesserung nicht zu be
merken. Die Abgeschlossenheit der Frauen war in den meisten Famil~en
gebräuchlich. Allerdings künden manche epischen Erzählungen von einem
8. GULBADAN BEGUM, Tochter von Balur, dem Gründer des Mugal-Reiches im 16.Jahrhundert n.Chr., sehr gebildet und begabt
9. SALlMA SULTANA, Tochter des berühmten Königs Akbar, lebte Ende des 16. bis Anfang des 17.Jahrhunderts n.Chr.
10. NUR JAHAN, Kaiserin (der Name bedeutet "Licht der Welt"), berühmte Gemahlin des Kaisers Jahangiri, Anfang des 17.Jahrhunderts, war von großer Schönheit und besaß sehr guten Geschmack; vor allem in der persischen Literatur, Poesie und Künsten bewandert
11. MU~AZ MAHAL, Gemahlin des Sha Jahan, Regierungszeit 1628 - 1658, sehr gebildet, starb schon 1631. Um ihrem Namen Unsterblichkeit zu verleihen, baute Sha Jahan über ihrem Grab das berühmte Taj Mahal in Agra, das unerreichte Denkmal ehelicher Liebe
12. JAHANARA BEGUM, Tochter des Kaisers Sha Jahan, sehr gebildet und belesen in der persischen und arabischen Literatur
13. ZEB-UN-NISA, Tochter des Aurangzeb, Regierungszeit 1658 - 1707, sprach arabische und persische Sprachen, Meisterin der Kalligraphie, nannte eine große Bücherei ihr eigen
14. RAZIA BEGUM, mohammedanische Königin, Regierungszeit 1236 - 1240, besaß beachtenswerte Talente, bewundernswerte Eigenschaften und alle für einen Herrscher nohrendigen Fähigkeiten. Der stolze mohammedanische Adel wollte sich jedoch keinem Feiblichen Herrscher unterordnen und führte ihre Absetzung in einer sChimpflichen Weise herbei
15. CHANDBIBI war die berühmte Dawagiar-Königin von Ahmed Nagar, eines der mittelalterlichen mohammedanischen Königreiche Dekkans am Ende des 16.Jahrhunderts, berühmt durch den Widerstand gegen die MugalArmee
16. AHAYABAI HOLKAR, berühmte Königin des Maratha-Staates von Holkar im 18.Jahrhundert, eine fähige Herrseherin vor allem auf dem Verwaltungsgebiet
Seite 31
freieren Leben, in dem die Frauen ihre Schleier ablegten und aus der
Abgeschiedenheit und der Einsamkeit ihrer Gemächer hervorkamen. Die
Einführung der englischen Erziehung und der Kontakt mit den freien
Ideen des Westens brachten im 19.Jahrhundert eine fühlbare Belebung auf
dem Gebiet des Geisteslebens mit sich und eine radikale Veränderung des
bisherigen sozialen und religiösen Lebens. Der wiedererwachte Geist der
indischen Frau war verkörpert in den mächtigen Reformatorinnen wie RAJA
RAI1 110HAN ROY, JUSTICE RANADE, SWAMI DAYANANDA SARASWATI, um nur einige
zu nennen. RAH MORAN ROY spielte im 19.Jahrhundert eine bedeutende Rolle
in der Bewegung, die die Aufhebung der Witwenverbrennung zum Ziele hatte.
Er half ihnen nicht nur weiterzuleben, sondern versuchte, ihre Stellung
ganz allgemein zu verbessern und trachtete darüber hinaus besonders da
nach, ein günstigeres Erbrecht in der Hindugesetzgebung für sie zu er
reichen. Energisch widersetzte er sich der Vielpeiberei und unterstütz
te, wo er nur konnte, die Wiederverheiratung der Witwen. Die spätere
mächtige Bewegung, die die Emanzipation des indischen Frauentums in
vielen Bereichen zum Erblühen und zum Erfolg brachte, war die Folge sei
ner Ideen.
So war die soziale und gesellschaftliche Änderung der Stellung der Frau
eng mit dem Erwachen des Landes zu Beginn des 20.Jahrhunderts verknüpft.
Wieder standen Frauen im öffentlichen Leben und traten, gestützt durch
ihre Organisationen, gegen die Machenschaften der vernunftwidrigen
Rechtgläubigkeit, Ungerechtigkeit und Diskriminierung auf. Die "Arya
Mahila Samaj,,1 7 ) schuf Bedeutendes und leistete echte Pionierarbeit
bei der Verbesserung des Loses der Frauen.
Der größte Inspirator indischen Frauentums in unserer Zeit war Mahatma
GANDHI, der die Frauen eindringlich aufforderte, am Aufbau der Nation
mitzuwirken. Kurze Zeit später veranlaßte die gegenwärtige Regierung
bemerkenswerte Fortschritte bei der Verbesserung der Hindu-Gesetznoten
und verkündete sie in ihren wesentlichen Punkten als Gesetze. Die Ver
fassung Indiens sichert und anerkennt die Gleichheit aller, ungeachtet
des Geschlechts, der Religion, der Klasse oder des Glaubensbekenntnisses
in sozialer und anderer Hinsicht und enthält gleichzeitig besondere Be
stimmungen für Frauen und Kinder. Das Hindu-Ehegesetz aus dem Jahre 1955
erlaubt nur die Einehe und untersagt die Heirat für Jungen vor dem 18.
17· ARYA MAHILA SAMAJ, eine Frauenorganisation, gegründet von Ramabai Ranade, die die Verbesserung des Loses der Frauen zum Ziele hatte
Sei te 32
und für Mädchen vor dem 15.Lebensjahr. Das Gesetz gestattet weiterhin
gesetzliche Trennung und Scheidung und, als vielleicht bedeutendsten
Fortschritt, ermöglicht ein besonderes Ehegesetz auch die Heirat zwischen
Partnern verschiedener Konfessionen, ohne Übertritt zu dem Glauben des
anderen oder die Abwendung vom eigenen Glauben.
Ein bedeutender Fortschritt in der Bestrebung nach Emanzipation und
Gleichberechtigung der indischen Frau war die Genehmigung des Hindu
Erbfolgegesetzes, das die Erbberechtigung von Töchtern vorsieht. Das
Hindu-Adoptions- und Unterhaltsgesetz von 1956, das nunmehr auch die
Adoption eines Kindes für Frauen gestattet, regelt zugleich auch den
Unterhaltsanspruch für Frauen, die getrennt von ihren Männern leben.
Die Bedeutung der politischen Verantwortung der Frauen wurde durch den
Erfolg des Frauenstimmrechtes gerechtfertigt. Die Durchsetzung des
Frauenstimmrechtes begann im Jahre 1917 unter der geistigen Führung von
Mrs. SAROJINI NAIDU. Der Erfolg ihrer unermüdlichen Bemühungen zeigte
sich im Jahre 1935, als alle Frauen über 21 Jahre wahlberechtigt wurden.
Gewiß ein bedeutender Erfolg, wenn man bedenkt, daß England dieses Ge
setz 1918 und Deutschland 1919 verabschiedeten und die Beteiligung an
den allgemeinen Wahlen groß ist.
Nun, da den indischen Frauen alle Berufe in voller Gleichheit mit den
Männern zugänglich sind, haben wir viele prominente und bedeutende Frauen
in den verschiedensten Bereichen des Lebens. Die indischen Frauen sind
stolz auf Persönlichkeiten wie VIJAYALAKSHMI PANDIT und RAJKUMARI AMRIT
KAUR, die als Repräsentantinnen unsere.s Landes bei internationalen Kon
ferenzen präsidieren. Es gibt viele weibliche Minister bei der Zentral
und Staatsregierung, und die Zahl der Frauen in der Ver1,'al tung und im
öffentlichen Dienst des Landes nimmt ständig zu.
Mit der Erweiterung des Erziehungsprogramms für die indische Frau wurde
u.a. angestrebt, auch indische Krankenschwestern auszubilden, um die
Not der Armen, Kranken und in Not Geratenen zu meistern. Das Lady
Hardinge Medical College in Delhi bildet indische Frauen in medizini
schen Wissenschaften aus. Das Entbindungs- und Kinderwohlfahrtsbüro
arbeitet eng mit der indischen Rote-Kreuz-Organisation zusammen und
leistet wertvolle Dienste bei der Ausbildung der indischen Frau.
In der Literatur ist die Kurzgeschichte und die Novelle schöpferischer
Ausdruck indischen Frauentums unserer Zeit, sie werden in allen indi
schen Sprachen geschrieben. LILA MAJUMDAR in Bengali, BASANTA KUMARI
Seite 33
PUTNAYAK in Oriya, KRISHNA SAHATI in Hindi, SUBRAMANIAM GUHAPRIYA in
Tamil und RASHID JEHAN in Urdu nehmen neben RADllARANI DEVI, AMRITA
PRITAM und BALAMAN NAIR ihren Platz unter den ersten zeitgenössischen
Dichterinnen ein. Sogar in Englisch haben SAROJINI NAIDU und TORU DUTTA
sowie BHARATI SARABHAI rhapsodische Dichtungen verfasst. Eine berühmte
Prosa-Schriftstellerin ist Santha RAMA RAU, während KAI1ALA I~RKANDAYAS
Novellen in Englisch sogar im Ausland viel Erfolg gefunden haben.
In der Hindu-Theologie ist die Göttin ANNAPURNA die Geberin des tägli
chen Brotes. Die Spenderin der Kraft ist SHAKTI MURTI-KALI (eine andere
Form von Durga, Sivas Gemahlin).
Der epische Dichter singt: "Wann immer wir Leid und Trauer empfinden
gleich den Müttern bringen sie Erleichterung". Bis zu einem gewissen
Grade sprechen aus den Eigenschaften der indischen Frauen und Mütter
sowohl die Göttin Annapurna als auch Shakti Murti Kali. Durch Jahrhun
derte wurden sie weitergegeben und vererbt. Und so ist die Verehrung
der Frau im Heim verständlich und natürlich.
Abschließend darf man sagen, daß das Zeitalter der völligen Emanzipation
der indischen Frau bis zu einem Grade, den selbst kühne Geister nicht
erwarteten, angebrochen ist. Sie kann sich in allen Bereichen des Lebens
bewegen und sich zu allen Berufen entscheiden, sei es zu einer Minister
stellung, zu der Leitung eines Heimes oder sogar zu einer männlichen
Aufgabe. Dieser Wechsel hält Schritt mit der gesamten wirtschaftlichen
und menschlichen Entwicklung. Ob diese Vorteile die zum Teil noch vor
handenen Hindernisse überwinden werden, wird uns die Zukunft zeigen.
(Aus dem Engl. übertragen)
Seite 34
Der Anteil Deutschlands an der Ausweitung der indischen Eisen- und Stahl
Industrie im zweiten Fünfjahresplan
Von Dr.-Ing. habil. H. HEINRICH, Geschäftsführer der Indien-Gemeinschaft
Krupp-Demag GmbH
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Indien und Deutschland sind
schon sehr alt. Jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie besonders
eng. Nachdem Indien selbständig geworden war, ging die Regierung daran,
die Bodenschätze des Landes systematisch zu aktivieren und der Bevölke
rung zugänglich zu machen. Der erste Fünfjahresplan lief von 1951 bis
1956 und diente hauptsächlich dazu, die Landwirtschaft zu fördern und
durch Entwicklung der Bewässerungsanlagen die Anbauflächen zu vergrößern,
um das Land von Lebensmitteleinfuhren unabhängig zu machen. Nebenher
liefen allgemeine Verbesserungen der Transportmöglichkeiten, der Sozial
fürsorge, des Gesundheits- und Erziehungswesens. Dieser Aufbau wurde im
wesentlichen aus landeseigenen Mitteln bestritten. Das Ausland war an
den Kosten nur zu ca. 10% beteiligt. Das nationale Einkommen wurde durch
diesen Plan um ca. 11% erhöht. Es ist aber allgemein bekannt, daß wesent
liche Verbesserungen des Lebensstandards nur durch eine gut entwickelte
Produktionsindustrie hervorgerufen werden. Deshalb legte man den Schwer
punkt des zweiten Fünfjahresplanes auf den Ausbau der Rohstoff- und
Schwerindustrie, zumal hoch"rertige eigene Rohstoffe zur Verfügung stehen
(Abb. 1), deren Lagerstätten meistens kaum aufgeschlossen waren.
Indien ist reich an Eisen- und Manganerzen. Das Gesamtvorkommen an Eisen
erzen mit über 60% Eisengehalt wird auf 6 Mrd. t geschätzt. Hinzu kommen
noch ungeschätzte Mengen mit einem Eisengehalt von unter 60%. Die Lager
stätten befinden sich in der Hauptsache in Orissa und Bihar, also im
nordosten des Landes und bilden dort den sogenannten "iron belt". Weitere
Vorkommen sind in Zentralindien, und zwar in den Provinzen Madhya Pradesh
und Rajasthan sowie in Südindien in den Provinzen Madras, Mysore und
Andra Pradesh. Die bisherigen Hauptfördergebiete liegen im Bereich des
iron belt und in Südindien. Der iron belt selbst hat ein sicheres Vor
kommen von über 3 Mrd. t mit einem Eisengehalt von über 60%. Unter Be
rücksichtigung der Eisenerze unter 60% Eisengehalt erhöhen sich die Vor
kommen auf mindestens 20 Mrd. t. Es handelt sich hier bei den hochwerti
gen Erzen hauptsächlich um reine Hämatite mit Einsprengungen von Magnetit
und Marti t sowie um Lateri t.e und Jaspeti te mit einem EisengehaI t unter
60%. Die erzführenden Schichten treten in einem Gebiet von ca. 60 km
Sei te 35
O /f.II I , .. ........ 111 .
"' C"""6 N il · 1It ......... ~r oe ... . CrqfHH' C' . , ....... ".
A b b i 1 dun g 1
Länge und ca. 20 km Breite auf. Der Hauptzug erreicht Mächtigkeiten bis
über 300 m. Man hat Bohrungen bis zu einer Tiefe von ca. 250 m durch
geführt, ohne die Erzschicht zu durchstoßen. Die tatsächlichen Vorkommen
können also bei einer genauen Aufschließung noch erheblich größer sein.
Die übrigen zentral- und südindischen Erzvorkommen bestehen ebenfalls
in der Hauptsache aus Magnetiten und Hämatiten. Die Förderung Indiens
geht aus der Tabelle (Abb. 2) hervor. Die Eisenerzförderung betrug 1950 ca. 3 Mill. t entsprechend 100% und steigerte sich bis zum Jahre 1957 auf 4,5 Mill. t, also um 50%. Das Förderziel des zweiten Fünfjahres
planes beläuft sich auf 12,5 Mill. t. Die Erzausfuhr stieg von 900 000 im Jahre 1955 auf insgesamt 1,4 Mill. t im Jahre 1956. Das Ziel des
zweiten Fünfjahrespla~es ist es, eine zusätzliche Ausfuhr zu erzielen,
so daß insgesamt 2 Mill. t erreicht werden, die hauptsächlich nach Japan
gehen.
An Manganerzen besitzt Indien die zweitgrößten Vorkommen der Welt nach
der Sowjetunion. Sie Herden auf ca. 1,12 Mrd. t geschätzt mit einem Man
gangehalt von 40 bis 50% und höher. Die Manganerze liegen in den Provin
zen Madhya Pradesh, Mysore, Orissa und Andra Pradesh, also in denselben
Provinzen wie die Eisenerze. Die Förderung stieg von 883 000 t im Jahre
1950 auf 1 687 Mill. im Jahre 1956 an. Das ist eine Steigerung von 91%.
Seite 36
Produktionszahlen der indischen ~rundstoffindustrie
Nr. Rohstoff Einheit t950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 Produktions-ziel des 2.Fünfjahres-Iplanes 1960/6 1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
1.) Eisenerz Mill.metr. 3,005 3,700 3,998 3,907 4,000 4,328 4,272 4,500 12,500 t % 100 123 132 130 134 144 142 150 416
2.) Manganerz Mill.metr. 0,883 1,292 1,462 1,902 1,414 1,584 1,687 2,000 t % 100 146 166 215 160 180 191 227
3· ) Steinkohle !till.metr. 32,510 34,860 36,800 36,560 37,360 38,830 40,090 42,600 60,000* t % 100 101 113 113 115 119 1-23 131 184
4. ) Roheisen Mill.metr. 1,104 1,850 1,819 1,804 1,993 1,965 1,986 1,900 5,500 t % 100 109 110 106 111 116 111 112 324
5.) Rohstahl Mill.metr. 1,461 1,524 1,604 1,531 1 ,712 1,728 1,764 1,720 6,000 t % 100 104 1-10 105 117 118 120 118 410
*Hiervon ca.
16,5 Mill. t Kokskohle
A b b i 1 dun g 2
Das Ziel des zweiten Fünfjahresplanes ist es, 2 Mill. t zu fördern. Die
Ausfuhr lag 1955 bei 940 000 t, und das Ziel des zweiten Fünfjahrespla
nes ist ein Export von rund 1,5 tüll. t, womit Indien der größte Mangan
erz-Exporteur werden wird. An sonstigen Erzen sind nur noch Chrom- und
Kupfererzvorkommen zu erwähnen.
Um nun diese Erze zu verhütten, benötigt man bekanntlich Kohle. Auch
diese ist in Indien vorhanden (Abb. 1), wenn auch nicht in den für das
Eisenerz aequivalenten Mengen. Die Schätzungen über das Gesamtvorkommen
gehen jedoch \ .. ei tauseinander.
Wahrscheinlich liegen sie bei 60 Mrd. t, wobei leider der größte Teil
nicht verkokbar ist. Die Vorräte an Kokskohle werden auf 3 Mrd. t ge
schätzt, sollen jedoch nach Angaben des Indian Bureau of Mines noch ,.le
sentlich größer sein. Geographisch liegt die Kohle in denselben Provin
zen wie die Erze, also transporttechnisch sehr günstig. Die Vorkommen
in West-Bengal und in Bihar sind die wichtigsten. Die Kokskohle (Abb.1)
kommt in West-Bengal und Bihar vor. Die übrigen Vorkommen, z.B. in
Madhya Pradesh, Rajasthan, Madras und Orissa bestehen größtenteils aus
nicht verkokbarer Kohle, Braunkohle und Ligniten.
Die bisherige Förderung geht ebenfalls aus der Tabelle (Abb.2) hervor.
Die Ausfuhr betrug bisher 2,5 Mill. t im Jahr an guter Kokskohle. Diese
wird wahrscheinlich bei der Ausweitung der indischen Industrie in Fort-
Sei te 37
fall kommen, und das Ziel des zweiten Fünfjahresplanes ist eine Steige
rung der Förderung auf 60 Mill. t, das sind 184% bezogen auf den Stand
von 1950.
Auf diesen Rohstoffen basierend, hat sich in den letzten 50 Jahren be
reits eine Eisen- und Stahlindustrie entwickelt (Abb. t), und zwar mit
Schwerpunkt:
1. Jamshedpur in der Provinz Bihar - Tata Iron & Steel Works,
2. Burnpur in der Provinz West-Bengal - Indian Iron & Steel Comp.,
3. Bhadravati in der Provinz Mysore - Mysore Iron & Steel Comp.
Die Rohstahlerzeugung dieser Werke (Abb. 2) betrug 1954 insgesamt 1,63 Mill. t pro Jahr, wovon allein 1,2 Millionen auf Tata entfielen. Einige
kleinere Eisen- und Stahlwerke haben sich zusätzlich noch in der Nähe
der Hauptverbraucherorte, nämlich der Großstädte Calcutta, Bombay und
Madras etabliert, so daß die gesamte Rohstahlerzeugung im Jahre 1954 bei
1,712 Mill. t gelegen hat. Diese Mengen haben sich in den folgenden Jah
ren bis jetzt nicht wesentlich erhöht. Das Ziel des zweiten Fünfjahres
planes ist es jedoch, die Rohstahlerzeugung auf 6 Mill. t zu steigern.
Das Erzeugungsprogramm der bisherigen Werke umfaßte alle Arten von Walz
stahlprodukten einschließlich Edelstählen. Der Bedarf der eisenverarbei
tenden Industrie und der Bauindustrie war aber der Erzeugung weit vor
ausgeeilt, so daß zusätzlich ca. 1 Mill. t Fertigstahl jährlich einge
führt werden mußten.
Der zweite Fünfjahresplan soll aber nicht nur diese Unterbilanz abdecken,
sondern darüberhinaus durch Schaffung von jährlich zwei Millionen Arbeits
plätzen den Lebensstandard um je 5 x 5% pro Jahr, also um 25% insgesamt
heben. Wie bereits erwähnt, kann aber die Erhöhung des Lebensstandards
nur durch den Ausbau der Produktionsindustrie, und zwar zuerst der Grund
stoffindustrie verwirklicht werden. Die Rohstahlerzeugung soll, Hie be
reits gesagt, auf 6 Mill. t jährlich gesteigert werden, entsprechend
4,2 bis 4,5 Mill. t Walz1.,rerkerzeugnissen bzw. Fertig1"aren. Die Steigerung
sollte erreicht werden einmal durch den Ausbau der bestehenden Kapazitä
ten auf insgesamt 3 Mill. t Stahl, und zum anderen faßte die Regierung
den Entschluß, selbst drei Stahlverke mit einer Kapazität von jährlich
1 Mill. t Rohstahl zu errichten, da die Investitionskosten so erheblich
und die erwartete Produktion so einschneidend für die Wirtschaft des
Landes sein würden, daß man die gesamte Ausweitung nicht dem privaten
Sektor allein zumuten konnte.
Seite 38
Die Ausweitung der bestehenden Werke ging relativ einfach vor sich. Die
Firma Tata in Jamshedpur erweiterte in den Jahren 1955 bis 1958 ihre
Kapazität auf 2 Mill. t Rohstahl. Sie bediente sich der amerikanischen
Firma Kaiser Engineering als Consul tants. Die Kosten der Aus 1•1ei tung be
liefen sich auf rund 84,9 Crores Rupees, das sind 750 Mill. DM. Darin
sind allein 50 Mill.$ oder 250 Mill. Rupees deutsche Lieferungen, im
wesentlichen von den Firmen Demag, Schloemann, Sack, Didier, Lurgi,
Collins, Ferrostahl und der Siemens-Schuckert-Werke enthalten. Die In
dian Iron & Steel Company in Burnpur erweiterte ihre Kapazität auf ca.
800 000 t Rohstahl mit einem Kostenaufwand von 42,5 Crores = 375 Mill.DM.
Sie wurde beraten von der englischen Consulting Firma International
Construction Company. Der deutsche Lieferanteil beläuft sich auf rund
30 Mill. DM, woran ebenfalls die Firmen Demag, Siemag und Sack vornehm
lich beteiligt sind. Für die Aus"eitung des Werkes der Mysore Iron & Steel Works in Bhadravati lieferte die Gutehoffnungshütte Sterkrade An
lagen im Werte von mehreren Millionen DM und beriet die Firma im Ausbau
einer Röhrengießerei und im Ausbau ihrer Sinteranlage. In diesem Zusam
menhang muß auch die Erstellung der Kokerei in Durgapur durch die Firma
Still in Recklinghausen mit einem deutschen Anteil von 25 bis 30 Mill.DM
erwähnt werden. Die Kokerei soll im nächsten Jahr fertiggestellt werden.
Erheblich sch,deriger als der Ausbau der vorhandenen Werke gestaltete
sich jedoch der Bau der drei neuen Stahlwerke. Vor allen Dingen war die
Standortwahl nicht einfach, weil jede Provinz mit Rohmateriallagerstät
ten ein eigenes Hüttenwerk in Vorschlag brachte und auch beanspruchte.
Der Kampf ging besonders um den Standort des ersten Hütten1•rerkes, bei
dem dann die Wahl auf Rourkela im Staate Orissa fiel. Ich muß hier vor
ausschicken, daß die Vorarbeiten für dieses Werk bis in das Jahr 1953,
also bis in den ersten Fünfjahresplan zurückreichen. 1953 schloß die in
dische Regierung mit den Firmen Krupp und Demag einen Beratungsvertrag
über den Bau eines Hüttenwerkes von 500 000 t Kapazität pro Jahr ab. Die
Firmen Krupp und Demag gründeten zur Abwicklung dieses Vertrages die
Indien-Gemeinschaft Krupp-Demag GmbH in Duisburg. Bei der Planung des
zweiten Fünfjahresplanes im Jahre 1955 wurde die Kapazität dieses Wer
kes auf 1 Mill t Rohstahl verdoppelt. Das Werk sollte auf Grund des
vorhandenen Bedarfes ausschließlich auf Flachprodukte ausgelegt werden,
und zwar auf Grob-, Mittel- und Feinbleche. Auf Grund verschiedener in
ternationaler Gutachten wurden damals von der indischen Regierung drei
Vorschläge für den Standort des ersten Hüttenverkes gemacht. Es handelte
sich hierbei um
Sei te 39
1. Durgapur in West-Bengal
2. Rourkela in Orissa und
3. Bhilai in Madhya Pradesh.
Die Standortvorschläge Rourkela und Bhilai beruhten auf der Erzbasis und
Durgapur auf der Kohlebasis. Außerdem war bei dem letzteren die Nähe von
Calcutta als größtem Verbraucherort wichtig. Die Indien-Gemeinschaft ent
schloß sich, Rourkela in Orissa, 22° nördliche Breite, 85 0 Länge, als
Standort für das neue Hüttenwerk vorzuschlagen, da dieser Ort nicht nur
günstig für Rohstoffe, wie Erz, Kalk und Dolomit war, sondern weil auch
durch den Brahmani-Fluß die wichtige Wasserversorgung in der trockenen
Jahreszeit als gesichert angesehen werden konnte. Die notwendige Koks
kohle muß allerdings 320 km transportiert werden. Sie sehen aus der Ab
bildung 3, daß Rourkela an der Haupteisenbahnlinie Calcutta-Bombay liegt,
A b b i 1 dun g 3
verkehrstechnisch also erschlossen ist. Der Brahmani-Fluß wird durch
seine beiden Quellflüsse Koel und Sankh gebildet und führt ganzjährig
Wasser. Das Werksgelände umfaßt ca. 5 km2 und liegt auf einer Hochebene
235 m über dem Meeresspiegel mit Neigung zum Brahmani-Fluß. Neben dem
Werk mußte selbstverständlich auch eine entsprechende Stadt neu erbaut
werden.
Seite 40
Um Stadt und Werk räumlich zu trennen, wurde die Stadt hinter eine Hügel
kette gelegt, so daß sie vor evtl. Staubbelästigung durch das Werk ge-•
schützt ist. Über die dortige Landschaft, wie wir sie bei der Wahl des
Standortes vorfanden, geben Ihnen die Abbildungen 4 und 5 Aufschluß.
Nachdem der Standort Rourkela nunmehr festlag, war die Wahl der Stand
orte für die beiden anderen Hüttenwerke nicht sehr schwer. Sie mußte
nach den vorliegenden Gutachten beinahe zwangsläufig auf Bhilai und
Durgapur fallen. Das Werk Bhilai wird mit Hilfe der UDSSR und das Werk
Durgapur mit Hilfe von englischen Firmen aufgebaut.
Die Erzbasis für Rourkela ist ebenfalls der iron belt, und zWar das
Taldih-Dandrahar-Vorkommen im Bonai-Gebiet. Abbildung 3 zeigt den süd
lichen Teil des iron bel t '. welcher für Rourkela vorgesehen ist. Die
hauptsächlich vorkommenden Erze bestehen aus sechs Sorten, wie sie in.
der Tabelle (Abb. 6) aufgeführt sind. Die Analysen zeigen, daß das hart.e
Analysen des Dandrahar Blocks
Probe Nr. 1 2 3 4 5 6
Erzart Hartes Erz Hartes ge- Geschichte- Geschichtetes Weiches ge- Feinerz schicht.lj:rz tes Erz Erz (lateri- schicht. Erz
Massive Ore Compact Laminated tisch) Soft lamina- Blue dust laminated ore Laminated ore ted ore ore (lateritic)
Fe% 67.35 64.27 60.20 61.73 60.70 65.42
Si02% 1.66 2·31 1. 23 1.98 10·38 3·54
AL203% 1.67 3·22 6.49 4·89 1.90 1.87
Ti02% 0.007 0.052 0.215 0·320 0.047 0.038
MnO% 0.021 0.129 0.030 0.041 0.006 0.023
MgO% Spuren Spuren Spuren Spuren Spuren Spuren
Cao% 0.08 0.03 0.07 0.10 0.06 0.02
Cr203% 0.0082 0.0053 0.0100 0.0082 0.0037 0.0031
v2°lo Nil Nil Nil Nil Nil Nil
P% 0.038 0.017 0.037 0.039 0.026 0.028
S% 0.008 Spuren Spuren Spuren 0.010 0.008
A b b i 1 dun g 6
Erz reinster Hämatit in Fe 203-Gehalten von 96 bis 97% ist. Daneben gibt
es auch sog. gestreiftes Erz, das laminated ore, welches mehr Kiesel-
säure und Tonerde enthält, dessen Eisengehalt aber immer noch sehr hoch
prozentig ist. Die an der Oberfläche liegenden Schichten zeigen mehr und
mehr Spuren der Verwitterung und damit Anreicherung von Tonerde und Kie
selsäure. Die Erze sind sämtlich schHefel- und phosphorarm. Der in Ab
bildung 6 zuletzt genannte blue dust ist Feinerz (hochprozentiger Hämatit),
Seite 41
das nur in Form von Sinter dem Hochofenprozess zugeführt werden kann. Da
dieses Erz in ziemlichen Mengen vorkommt, ist eine Sinteranlage von
3 000 bis 4 000 t Produktion pro Tag für den späteren Ausbau des Hütten
werkes vorgesehen. Das für das Hüttenwerk Rourkela vorgesehene Erzgebiet
erstreckt sich insgesamt auf eine Länge von über 20 km von der Grenze
Orissa/Bihar im Norden bis in das Bonai-Gebiet im Süden (Abb. 3).
Auf einer untersuchten Strecke von 3,5 km Länge mit einer Gesamtfläche
von 1,25 km2 wurden bis zu einer Tiefe von ca. 30 m - ohne daß die erz
führende Schicht durchstoßen wurde - 76 Mill. t Eisenerz mit einem Eisen
gehalt von 53 - 64% als sicher festgestellt. Hinzu kommen noch ungeschätz
te Mengen von Erzen mit einem Eisengehalt unter 53%. Die Landschaft be
steht größtenteils aus Dschungel und Wäldern, in denen wilde Elefanten,
Tiger, Leoparden, Bären und Büffel zu Hause sind. Die spärliche Bevöl
kerung wird von den indischen Urbewohnern, den Tribes, gebildet die auch
heute noch mit Pfeil und Bogen als Jäger oder mit dem primitiven Holz
pflug als Bauern ihren Unterhalt bestreiten. Durch den Aufschluß der
Minen und die Industrialisierung überspringt diese Bevölkerung eine Zi
vilisation von fast zwei Jahrtausenden. Der Standort, von dem aus die
Erzminen erschlossen werden, ist Barsua am Kuhadi Nalla im Kurhadital.
Tensa weiter nördlich (Abb. 3) soll zur Bergarbeiterstadt ausge'bildet
werden. Für den Abtransport der Erze wird eine besondere Bahn von ca.
50 km Länge gebaut.
Für die Kokskohle wurden die Felder von Kargali, Bokaro, Giridih und
Korba zur Verfügung gestellt. Das Korba-Vorkommen liegt in Madhya Pra
desh und wird gerade erst erschlossen. Inwieweit die Kohle verkokbar
ist, muß noch festgestellt werden. Sie scheidet für Rourkela jedoch vor
erst aus. In Bokaro, einem der zur Verfügung stehenden Felder, steht
die Kohle in 30 m Dicke an (Abb. 7). Sie ist aschereich und muß auf
einen Aschegehalt von 14 bis 15% gewaschen werden, damit ein Koks mit
ca. 20% Asche daraus hergestellt werden kann. Die Abbaubedingungen im
Tagebau sind sehr einfach. Die Kohle wird, nachdem sie mit der Handhacke
abgehackt worden ist, zum Teil mit Hand bis zu den Wagen befördert. Die
selben einfacnen Abbaubedingungen gelten für die ebenfalls im iron belt
gelegenen Erzgruben der Firma Tata. Die Klassierung der Erze erfolgt mit
Handsieben. Für die Rourkela-Anlage ist jedoch eine moderne Brech- und
Siebanlage im Bau. Es wird sich aber wohl nicht verhindern lassen, vor
erst die alten primitiven Abbaumethoden anzuwenden. Die gleichen Verhält
nisse wie in Bokaro gelten auch für die Grubenfelder von Kargali. Die
Sei te 42
Kohle von Kargali ist ebenfalls aschereich und muß gewaschen werden.
Eine entsprechende Kohlenwäsche befindet sich zur Zeit noch im Bau. Die
beste Kokskohle liegt jedoch eindeutig bei Giridih im Bihar-Gebiet. Sie
wird im Untertagebau aus einer Tiefe von ca. 200 bis 300 m gefördert.
Sie braucht nicht gewaschen zu werden. In Rourkela wird voraussichtlich
ein Gemisch aus diesen Kohlevorkommen zur Verkokung gebracht werden.
Kalk- und Dolomitvorkommen befinden sich rund um Rourkela in einer Ent
fernung bis zu 20 km in ausreichender 11enge.
Nachdem nun der Standort und die Rohstoffbasen für das IIütten1.rerk Rour
kela geklärt waren, wurden die "'ei teren Arbeiten der technischen Beratung
durchgeführt. Entsprechend der verlangten Produktion von 1 Mill. t Roh
stahl im Jahr wurden die Hauptkapazitäten der einzelnen Betriebe fest
gelegt und zuerst die Erdarbeiten in Angriff genommen. Abbildung 8 zeigt
ein amerikanisches Gerät, welches eingesetzt wurde, um das Werksgelände
zu planieren. Der Einsatz dieser Geräte eignet sich jedoch nicht überall,
sondern es mußte zum Teil nach alter indischer Sitte ausschließlich mit
Menschenkraft gearbeitet werden. Aus der Abbildung 9 kann man ersehen,
wie mühselig mit Handarbeit der Fels losgebrochen werden muß und wie es
bei weicherem Erdreich schon erheblich besser geht. Der Abtransport des
losgebrochenen Materials findet in Körben, meistens auf dem Kopf, statt
und wird größtenteils von Frauen durchgeführt. Die Kinder werden dann
einfach in einem um Hals und Schulter gebundenen Tuch mitgeführt. Sämt
liche Erdarbeiten, Straßenbau- und auch Betonarbeiten werden nach diesen
uralten Methoden ausgeführt.
Die Erd-, Bau- und Betonarbeiten werden von indischen Contractoren nach
Zeichnungen, die aus Deutschland beigestellt werden, ausgeführt. Die
entsprechenden Arbeiten für das Walzwerk werden von einer indisch-deut
schen Tiefbaufirma, nämlich der indischen Firma Gammon und der deutschen
Firma Hochtief, erstellt. Die Ausführung erfolgt in jedem Fall durch
indische Arbeitskräfte, die aus dem ganzen Land angeworben werden und
zum Teil mit den Familien zur Arbeitsstätte kommen. Diese bauen sich in
der Nähe der Arbeitsstätte eine Laubhütte, um dort '~ährend dieser Zeit
zu leben. Rund um Rourkela und auf der Baustelle befinden sich solche
Ansiedlungen, die nach Erstellung des Werkes wieder verschwinden.
Im einzelnen kommen in Rourkela folgende Betriebe zur Ausführung:
Die Kokerei ist für einen Durchsatz von 1,64 Mill. t Kohle pro Jahr aus
gelegt; sie besteht aus sechs Gruppen zu je 35 Kammern und wird von der
Firma Dr.C. Otto in Bochum geliefert. Zusätzlich zu der Kokerei gehört
Sei te 43
ein Gasbehälter von 50 000 cbm Inhalt, der von der Firma Klönne erstellt
wird. Die Abbildung 10 zeigt Ausschnitte aus der Montage der Kokerei.
Die erste Gruppe von 35 Kammern wurde am 8. September und die z, ... ei te Grup
pe am 22.September angeheizt. In den ersten Dezembertagen wird der erste
Koks gedrückt werden.
Die Nebengewinnungsanlagen sind entsprechend ausgelegt und werden von der
Firma Heinrich Koppers in Essen erbaut. Abbildung I I zeigt Ausschnitte
aus dem Baustadium September t958.
Die nächste größte Betriebseinheit bilden drei Hochöfen zu je 1 000 t
Tagesproduktion. Der Erbauer der Hochofenanlage ist die Gutehoffnungs
hütte in Sterkrade. Die dazugehörige Gichtgasreinigung mit einer Kapazi
tät von 500 000 cbm/h wird von der Firma Lurgi geliefert. Für das Hoch
ofenvTerk wurde bisher noch kein Gasometer vorgesehen, da das ausgedehnte
Leitungsnetz eine gute Speichermöglichkeit bietet. Die Abbildungen 12
und 13 zeigen Ausschnitte der Montage der Hochofenanlage sowie der Gicht
gasreinigung. Hieraus kann man den gewaltigen Baufortschritt von April
bis September 1958 erkennen. Die Bunkeranlagen für den ersten Hochofen
sind fertig, und die Winderhitzer, der Schrägaufzug und das Windenhaus
ebenso wie das Gießhaus für den ersten Hochofen sind im Bau. Die Montage
des zweiten Hochofens ersieht man aus Abbildung 14.
Neben dem eigenen Verbrauch zur Aufheizung der Winderhitzer wird das
Gichtgas auch zur Beheizung der Koksofenbatterien und im Kraft"'erk zur
Beheizung der Kessel verwendet. Den für die Hochofenanlage erforderli
chen Gebläsewind liefern Dampfturbinengebläse, welche in dem von der
Firma Siemens-Schuckert-Werke erbauten Dampfkraftwerk aufgestellt werden.
Das Kraftwerk hat eine Leistung von 75 MW, die durch drei Turbogenera
toren von je 25 MW erzeugt werden. Die Gesamtenergie, welche für den
Vollbetrieb des HüttenHerkes benötigt Hird, beträgt 125 MW. Die Differenz
zur Eigenerzeugung in Höhe von 50 MW wird durch das nahegelegene Wasser
kraftHerk Hirakud sichergestellt.
In dem Dampfkraftwerk sind vier Hochdruckdampfkessel mit einer Kapazität
von je 125 - 150 t Dampf pro Stunde und einem Druck von 67 atü von den
Firmen Steinmüller und Babcock als Unterlieferanten der Firma Siemens
Schuckert-Werke aufgestellt worden. Die Abbildung 15 zeigt Ausschnitte
aus der Montage des Kraftwerkes.
Es ist nun das Bestreben der indischen Regierung, möglichst schnell ein
verkaufsfähiges Produkt zu erzeugen. Deshalb wird die Fertigstellung der
Seite 44
ersten Koksofenbatterien, des Kraftwerkes und des ersten Hochofens vor
wärtsgetrieben, da mit diesem Teil,durch die Erzeugung von Roheisen, be
reits das erste verkaufsfähige Produkt erzeugt werden kann. Wie bereits
erwähnt, sind zwei Koksofengruppen mit 70 Kammern, das ist ein Drittel
der Gesamtanlage, im September angeheizt worden und werden iQ den ersten
Dezembertagen den ersten Koks erzeugen. Das KraftFerk und der erste Hoch
ofen werden voraussichtlich Ende Dezember bzw. im Januar 1959 so weit
fertig sein, daß sie den Betrieb aufnehmen k~nnen. Dieses Vorwärts treiben
des ersten Bauabschnittes bedeutet jedoch nicht, daß die anderen Anlagen
hinsichtlich ihrer Dringlichkeit in der Fertigstellung vernachlässigt
werden.
Der erste Siemens-Martin-Ofen des Stahlwerkes wird Mitte nächsten Jahres
in Betrieb genommen. Die Stahlerzeugung ist zu 75% auf Sauerstoff-Blas
stahl nach dem LD-Verfahren und zu 25% auf SM-Stahl abgestellt. Die Er
bauer des Stahlwerkes sind in Arbeitsgemeinschaft die Firmen Fried.Krupp
in Essen und die Vereinigten Österreichischen Stahlwerke (VOEST) in Linz.
Die Kapazität der vier SM-Öfen beträgt je 80 t, die drei Konvert.er haben
ein Fassungsverm~gen von je 40 t. Als Roheisenspeicher besitzt das Stahl
werk zwei Mischer von je 1 100 t. Den Sauerstoff für das LD-Verfahren
liefert eine von der Firma Linde erbaute Anlage. Der Lieferanteil kommt
zu 50% aus England und zu 50% aus Deutschland. Die Montage des Stahlwer
kes wird in den Abbildungen 16 und 17 gezeigt. Auch hier ist der große
Baufortschritt von April bis November 1958 zu erkennen.
Den gr~ßten Komplex auf der Baustelle bildet jedoch das Walzwerk. Es be
steht aus:
1. einer 1200er Block- und Brammenstraße von der Firma Sack, Düsseldorf,
2. einer halbkontinuierlichen Breitbandstraße 66" mit zwei Vorgerüsten,
von denen eines reversierbar ist und sechs Fertig~erüsten sowie dazu
geh~rigen Scherenanlagen und Bundwicklern von der Firma Demag, Duis
burg,
3. einer 3,1 m Quarto-Grobblechstraße mit Stützwalzen von 1 500 mm
Ballendurchmesser und Arbeitswalzen von 1 000 mm Ballendurchmesser,
Lieferant Fried.Krupp, Essen.
Die Adjustageeinrichtung hinter der Grobblechstraße und hinter der Brei't
bandstraße werden von der Firma Schloemann, Düsseldorf geliefert. Die
40 000 Tonnen Eisenkonstruktion, welche für die Hallen der Walzwerke
ben~tigt werden, liefert ein Consortium deutscher Stahlbaufirmen, beste
hend aus den Firmen Demag AG., Duisburg; Fried.Krupp, Rheinhausen;
Sei te 45
Rheinstahl-Union-Brückenbau, Dortmund; C.H. Jucho, Dortmund; Hein Leh
mann, Düsseldorf und Siegener AG. in Siegen. 42 Kräne werden für das
Walzwerk von den Firmen Krupp-Ardelt, Wilhelmshaven; Demag AG. in Duis
burg und Kampnagel AG. in Hamburg beigestellt. Die Ofenanlagen des Warm
\Valzwerkes werden von drei Firmen geliefert. Die Firma Westofen in Wies
baden baut die Tiefofenanlage , die Firma OFU in Düsseldorf liefert d-ie
Stoßöfen und die Firma OFAG in Düsseldorf liefert einen Normalisierofen.
Die elektrischen Einrichtungen liefern die Firmen Siemens-Schuckert
\Jerke in Erlangen und AEG in Berlin. Die Beleuchtung für das gesamte
Walzwerk ist bei der Firma BBC in Mannheim in Auftrag gegeben worden.
Das Kaltwalzwerk besteht aus je zwei Arbeits- und zwei Dressiergerüsten
von 1 700 und 1 200 mm Ballenlänge und soll Karosserie- und Weißbleche
herstellen. Der Lieferant der Durchlaufbeize ist die Firma Siemag in
Dahlbruch mit Unterlieferanten Dr. Otto Säurebau. Die Kaltwalzeinrich
tungen werden von der Firma Siemag selbst geliefert, die elektrischen
Antriebe dazu von der Firma BBC in Mannheim und die Glüheinrichtungen
liefert die Firma Matthias Ludwig, Ofenbau, Essen. Die Verzinnungsanlage
für die Weißbleche im Kaltwalzwerk wird von der Firma Demag gebaut.
Die Walzendreh- und Walzenschleifbänke für das gesamte Walzwerk liefert
die Firma Waldrich in Siegen.
Abbildungen 18 und 19 geben Ihnen Aufschluß über den Fortgang der Bau
und Montagearbeiten im Walzwerk.
Es werden wöchentlich 500 bis 700 t Stahlkonstruktion mit Mobilkranen
montiert. Dadurch ist auch dieser gewaltige Montagefortschritt in der
kurzen Zeit und bei den klimatischen Verhältnissen nur möglich.
Die Montage der Tiefofenhalle geht über die Tieföfen selbst him~eg. An
den Menschen, die unten in der Grube tätig sind, kann man die Ausmaße
der Hallen und Fundamente erkennen (Abo. 19).
Neben diesen Hauptanlagen gehört zum Betrieb eines Hüttemlerkes bekannt
lich noch eine Unmenge von anderen Einrichtungen • U~ter diesen sind
die Transporteinrichtungen noch als wichtigste zu nennen. Das umfang
reiche Eisenbahnnetz besteht aus rund 110 km Gleislänge und wurde von der
Indien-Gemeinschaft geplant und zum Teil mit indischen Schienen von den
Indern selbst verlegt. Die Kreuzungen und Weichen sowie ein Großteil des
rollenden Materials werden von der Firma Krupp geliefert.Außerdem ist die
Firma Brüninghaus, Hesthofen i.Westf. an der Waggonlieferung beteiligt.
Den Hauptanteil der Rohranlagen liefert die Firma Mannesmann-Rohr}eitungs-
Sei te. 46
bau in Düsseldorf. Meß- und Regeleinrichtungen sind bei den Firmen
Siemens & Halske in Karlsruhe sowie bei Hartmann und Braun in Frankfurt
und Askania in Berlin bestellt worden. Es würde zu weit führen, sämtli
che Firmen namentlich zu nennen, die am Aufbau des Hütten~·rerkes beteiligt
sind. Wir können nur eins sagen: daß 35 deutsche Großfirmen Direktauf
träge mit einem F.O.B.-Lieferwert von 850 Mill. DM insgesamt abgeschlos
sen haben. Mit Unterlieferanten sind ca. 3 000 bis 4 000 deutsche Fir
men an der Lieferung für Rourkela beteiligt.
Abbildung 20 zeigt einen Stofflußplan. Hieraus ist zu ersehen, daß aus
rund 1,39 Mill. t Erz und rund 813 000 t Koks zusammen mit den anderen
Zuschlägen 918 000 t Roheisen erschmolzen werden. Dieses Roheisen wird
im Stahlwerk einschließlich des Umlaufschrotts aus dem Walzwerk zu
1 Mill. t Rohbrammen verarbeitet. Die Brammen werden im Walzwerk zu
720 000 t Fertigprodukten gewalzt, und zwar zu
200 000 t Grobblechen wovon 30 000 t auf der Breitbandstraße gefertigt werden
300 000 t Mittel- und Breitbandblechen in Form von Bunden
170 000 t Karosserie- und Feinblechen, sowie
50 000 t Weißblechen, diese werden im Kaltwalzwerk gefertigt.
Abbildung 21 zeigt, wie das Werk demnächst einmal nach der Fertigstel
lung aussehen soll, und zWar mit Blick von der Hügelkette, welche das
Werk von der Stadt trennt. Links im Bild liegt die Kokerei und Kohlen
wertstoffanlage, die Mitte wird von den drei Hochöfen, dem Kraftwerk
und dem Stahlwerk beherrscht. Rechts liegt der große Walzwerkskomplex,
davor die Reparatur1rerkstatt und eine Eisengießerei. Selir gut ist- auf
diesem Bild die Lösung des Transportproblems zu erkennen. Der Rohstoff
transport führt in einer großen Schleife zu den Bunkeranlagen des Hoch
ofenbetriebes und zu den Bunkeranlagen der Kalk- und Dolomitbrennerei,
ohne die übrigen Verkehrswege im Werk zu stören. Die Schrottzufuhr er
folgt über einen Hochlauf direkt auf die Bühne des Stahlwerkes. Sehr
klar ersieht man auf dem Bild den Kreisverkehr rund um das Werk mit den
Anschlüssen zu den einzelnen Betrieben.
Zu der technischen Beratung, die, wie bereits oben geschildert, in der
Planung des Werkes, in der Auswahl der Rohstoffe und des Standortes,
in den Ausschreibungen, in der Hilfe bei der Auftragsvergabe sowie der
Abnahme der zu liefernden Einrichtungen beim Hersteller, besteht, gehört
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auch die Bauaufsicht auf der Baustelle. Ein Resident Engineer mit einem
Stab von deutschen und indischen Mitarbeitern beaufsichtigt auf der Bau
stelle den Fortgang der Bau- und Montagearbeiten.
Zum Bau des Werkes gehört auch der Ausbau einer entsprechend großen Wohn
siedlung. Die Stadt Rourkela liegt vom Werk 6 - 7 km entfernt, und zwar,
wie bereits erwähnt, zwischen einer Hügelkette und dem Koel-Fluß. Sie
i~rde im Rahmen des Beratungsvertrages von der Indien-Gemeinschaft zu
sammen mit dem Kruppschen Kleinwohnungsbau für 100 000 Einwohner geplant.
Der Gedanke der räumlichen Trennung von der Arbeitsstätte war für die
Wahl der Lage des 12 km2 großen Geländes ausschlaggebend. Das Verkehrs
problem wurde durch den Bau einer Ringstraße mit Anschlüssen an die zwan
zig Wohnbezirke gut gelöst. Fünf verschiedene Typen von Einfamilien
häusern mit Gärten werden bevorzugt gebaut. Insgesamt werden 7 500 Häuser,
von denen bereits 2 300 fertig sind und 4 000 sich im Bau befinden, er
stellt. Monatlich werden 100 - 150 Häuser bezugsfertig. Im Zentrum der
Stadt befinden sich die Verwaltungs- und Geschäftshäuser. Aus der Menge
der Häuser ragen das Fitters Hostel, in deo die Monteure zur Zeit unter
gebracht sind, sowie die Gebäude des deutschen und indischen Kranken
hauses hervor. Zur Zeit leben etwa 800 bis 1 000 Deutsche teilweise mit
ihren Familien in Rourkela. Abbildung 22 zeigt einige Bungalows mit
Grünanlagen. Die Abbildung 23 zeigt das sogenannte Fitters Hostel, im
Hintergrund ist die Hügelkette zu sehen. Dort wurde im Härz 1957 noch
der letzte in Freiheit lebende Bär getötet.
Mit diesen Ausführungen und den gezeigten Bildern hoffe ich, einen Über
blick über den deutschen Einsatz in den letzten Jahren sowohl auf der
Baustelle als auch in der Stadt Rourkela gegeben zu haben. Die Beratung
wäre aber nicht vollständig, wenn sie nicht auch die Ausbildung von
Führungskräften und Arbeitern umfassen würde. Seit 1954 sind bisher in
ein- bzw. mehrjährigen Programmen jüngere und auch bereits erfahrene
ältere indische Ingenieure in Deutschland mit den modernsten Arbeitsme
thoden vertraut gemacht worden. In den nächsten Monaten werden weitere
Führungskräfte in Deutschland erwartet, welche als Vorarbeiter und erste
Leute im Hüttenv7erk Rourkela arbeiten sollen. Insgesamt sollen 250 bis
300 indische Ingenieure und Facharbeiter in Deutschland ausgebildet
werden.
Es wurde bereits gesagt, daß die F.O.B.-Kosten der deutschen Lieferungen
für das Hüttem.rerk Rourkela sich auf 850 Mill. DM belaufen. Die Montage
beträge belaufen sich zusätzlich auf 110 Mill. DM. Die Gesamtkosten
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werden auf ca. 1,5 Mrd. DM geschätzt. Sie liegen durchaus im Rahmen, da
für Werke in dieser Größe 350 bis 400 $ pro Jato (Tonnen pro Jahr) Roh
stahl als Investitionskosten in Ansatz zu bringen sind. Für die Finan
zierung dieses Objektes allein hat die deutsche Regierung einen Kredit
von 660 Mill. DM für drei Jahre zur Verfügung gestellt. Für andere Ob
jekte des zweiten Fünfjahresplanes hat der Vizekanzler, Herr Prof.Erhard,
bei seinem kürzlichen Besuch in Indien die Möglichkeit eines weiteren
deutschen Kredites in Höhe von 100 Mill. t in Aussicht gestellt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Deutschland durch das zur Ver
fügung gestellte technische Wissen, durch den Einsat.z fast der gesamten
Fertigungsindustrie für die Herstellung und Montage des Hüttenwerkes und
seiner Einrichtungen, durch die Ausbildung von Ingenieuren und Arbeitern
für das Hütten1"erk Rourkela und anderer Objekte und nicht zuletzt durch
die Gewährung von Krediten an der Erfüllung des zHeiten indischen Fünf
jahresplanes und damit zur Hebung des Lebensstandards des gesamten uns
befreundeten indischen Volkes einen wesentlichen Beitrag leistet.
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Transportprobleme beim Bau des Hüttenwerkes Rourkela
Von A. TOPPE, Geschäftsführer der Indien-Gemeinschaft Krupp-Demag GmbH
Mit dem Begriff "Problem" ist im allgemeinen eine Fragestellung verbun
den, auf die eine genaue , hierauf bezogene Anhlort verlangt wird und mit
dem sich fast immer die Vorstellung von Schwierigkeiten verschiedener
Arten und Grade verbindet. In dem Maße, in welchem diese überwunden wer
den, wird das Problem einer Lösung näher geführt. Unter Zeitdruck stehend,
muß häufig das empirische Verfahren teilweise übersprungen und nach
weiteren Mitteln und Wegen für Lösungen gesucht werden. Solche liegen
hier im Bereich der Improvisationen und des Mutes zum kühnen Wagen,
fußend auf sorgfältigem Abwägen und auf dem festen Willen, die Aufgabe
zu meistern.
Wenn im folgenden von den 1~esentlichen Schwierigkeiten als dem Problem
schlechthin gesprochen wird, die unsere indischen Freunde und wir ein
zeln und beide gemeinsam hier und drüben auf dem Gebiete des Transportes
zu überwinden hatten und noch haben werden, so sind das Feststellungen
von Tatsachen, frei von jeder kritischen Wertung.
Worin besteht nun das Hauptproblem? Einfach darin, daß in einem Zeit
raum von zweieinhalb bis drei Jahren ein Transportvolumen von ca.350 000 t
Anlagenmaterial und ca. 6 000 t 110ntagegerät von Europa nach Rourkela
auf die Baustelle befördert werden muß. Dazu sind aus Indien selbst noch
ca. 250 000 bis 300 000 t Bau- und Zuschlagstoffe auf der Schiene nach
Rourkela zu bewegen. Somit stellt sich das Gesamtvolumen auf ca. 600 000 t.
Erhöhungen, die sich erfahrungsgemäß bei jedem Neubau ergeben, können
bis zu 10% eintreten. Innerhalb dieses Problems ist die Aufgabe zu lösen,
das Anlagenmaterial im einzelnen so auf den langen Weg zu bringen, daß
es möglichst ohne Zwischenlagerung zur Montage rechtzeitig auf der Bau
stelle eintrifft. Somit stehen Abgang und Empfang in engster Wechselbe
ziehung. Hieraus folgt, daß der zur Verfügung stehende Transportraum
jeweils anteilmäßig so ausgenutzt werden muß, daß alle Lieferfirmen in
die Lage versetzt werden, ihre vertraglichen Verpflichtungen zeitlich
sowie art- und mengenmäßig erfüllen zu können.
Ein weiteres Problem liegt in dem Tr~nsport von überdimensionierten und
Schwerstgütern. Der Abtransport aus Europa einschließlich Schiffsverla
dung bereitet im allgemeinen keine besonderen Schwierigkeiten. Dagegen
mußten für Indien Vorkehrungen getroffen werden, die bei einem ausrei
chenden Grad von Transportsicherheit, unter Berücksichtigung von Art und
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Anzahl der vorhandenen Spezialfahrzeuge sowie unter Beachtung der indi
schen Bestimmungen für Eisenbahntransporte, die Durchführung sicher
stellen. Für 284 einzelne Werkstückarten mit insgesamt 1171 Einzelstücken
mußten in sehr mühseliger Kleinarbeit für jede Stückart die Transport
genehmigung für Profilüberschreitungen bei mehreren indischen Dienststel
len eingeholt werden. Hierbei m5ge nicht unerwähnt bleiben, daß erst vbr
kurzer Zeit das metrische System eingeführt wurde. Bis dahin waren durch
das Umrechnen auf den verschiedenen Bearbeiterebenen Fehlerquellen nie
zu vermeiden gewesen. Rückfragen und Verz5gerungen sind dann die nicht
angenehmen Folgen. Die große Anzahl der zu prüfenden Anträge erforderte
ein für alle Firmen verbindliches Meldesystem mit entsprechenden Unter
lagen, die von der Indien-Gemeinschaft Krupp-Demag GmbH. zusammengestellt
und über die Hindustan Steel Private Ltd. - abgekürzt HSPL - an die be
troffenen indischen Eisenbahngesellschaften, nicht eine, sondern mehrere,
weitergeleitet wurden. In umgekehrter Reihenfolge waren die Firmen über
die von den Eisenbahngesellschaften ausgesprochenen Genehmigungen zu
unterrichten. In einigen Ausnahmefällen ergaben sich dabei Schwierigkei
ten, die entweder durch Umbau von Spezialwagen, Konstruktionsänderungen
des betreffenden Werkstückes, Zerlegen des Gesamtstückes, soweit dies
vom technischen Standpunkt vertretbar war, oder durch andere Hilfsmaß
nahmen behoben werden konnten.
Der Transport von Schwerstgütern, wie z.B. den Walzenständern mit einem
Eigengewicht von 125 - 165 t, bildete ein ganz besonderes Problem, das
erst durch einen eigens hierfür gelieferten Tieflader behoben werden
konnte.
Die Abbildung 1 zeigt einen solchen Walzenständer bei Übernahme an Bord
in Bremen mit schiffseigenem Ladegeschirr. Zu beachten ist die Neigung
des Schiffes beim Anheben der schiJeren Last von dem Tieflader der Bundes
bahn. Es gilt, den Walzenständer so im Laderaum zu verstauen, daß der
SchHerpunkt m5glichst tief liegt.
Bisher sind ca. 1 000 Stück an überdimensionierten und Schwerstgütern
in Indien angekommen und werden laufend auf die Baustelle weiterbef5r
dert. Mit dem Abtransport der SchHerstgüter über 40 bis 165 t Einzelge
wicht wurde im Oktober begonnen.
Neben den Problemen der überdimensionierten und Schwerstgüter sind die
klimatischen Bedingungen des Landes zu berücksichtigen, wobei der in den
11:onaten Mai bis September auftretende Monsun eine entscheidende Rolle
spielt. Hierdurch können Transportverzögerungen oder gar Unterbrechungen
en.:tstehen.
Sei te 60
So wurde während des letzten Monsuns die einzige Eisenbahnbrücke am Ein
gang zum Werksgelände unterspült und fortgerissen (Abb. 2), womit die
Zulieferung zum Werk um knapp zwei Wochen unterbrochen wurde. Eine andere
Verbindung in das Werksgelände bestand zu der damaligen Zeit noch nicht.
Bezüglich der Empfindlichkeitsgrade des zu befördernden Materials schäl
ten sich drei Kategorien heraus, nämlich:
1. Unempfindliches Material wie z.B. Stahlkonstrtlktionen, unbearbeitete
bzw. grobbearbeitete Gußteile, Behälter ohne Ventile, Rohrleitungen,
Kabel und Schwungräder,
2. empfindliches Material wie z.B. Getriebe, bearbeitete Maschinenteile,
Elektromotore, Lager und Walzen und
3. hochempfindliches Material, wie beispielsweise Gleichrichter, Schalt
schränke, Meß- und Regelanlagen.
Abgesehen von der in aller Welt praktizierten see- und tropenfesten Ver
packung, durch die im allgemeinen ein Schutz bis zu sechs Monaten gewähr
leistet ist, mußte im Hinblick auf die Möglichkeit einer längeren Trans
portdauer besonders für hochempfindliche Güter eine gewisse Konservierung
erwogen werden. Für solche Teile bietet das sogenannte Einspinnen eine
besonders gute Sicherheit. Dieses Verfahren besteht darin, daß die zu
verpackenden Teile nach Abpolsterung scharfer Kanten mit einer Flüssig
keit bespritzt werden, die an der Luft sofort zu einem zähen Gewebe er
starrt und nach mehrmaligem Spritzen eine nahezu gasundurchlässige Haut
bildet. Diese Kokonhaut ist unempfindlich gegen aggressive Bestandteile
der umgebenden Atmosphäre und ist stoß- und Bchlagfest, sofern nicht
Eindrücke mit spitzen Gegenständen erfolgen. Gegenüber den einfachen
Korrosionsschutzmitteln ist das Kokonverfahren mit 1Veit größeren Aus
gaben verbunden.
Von dem Transportgut her darf der Blick nur auf die Transport1Vege und
-zeiten gerichtet werden. Während der Suezkrise gingen die Transporte um
das Kap der Guten Hoffnung. Die durchschnittliche Reisedauer betrug hier
etwa vier Monate. Nach der Krise erfolgte die Verschiffung wieder durch
den Suezkanal, wodurch eine erhebliche Verkürzung des Seeweges und eine
Reduzierung der Reisedauer auf durchschnittlich zwei Monate erreicht
wurde, bezogen auf Calcutta. Für Schnell transporte von Einzelstücken
mit geringem Gewicht wurde außerdem der Passagierdienst von Genua bzw.
Triest nach Bombay vorgesehen, wobei die Reisedauer mit ungefähr z'''ei
bis drei Wochen nach den bisherigen Erfahrungen in AnsaMI zu bringen ist.
Sei te 61
Und letzten Endes ist der Lufttransport zu erwähnen. Jedoch kommt er, da
mit erheblichen oder sogar sehr beträchtlichen Kosten verbunden, nur in
ganz dringenden Fällen in Frage, wie z.B. für eilige Ersatzlieferungen
oder wichtige Einzelteile, von deren rechtzeitigem Eintreffen auf der
Baustelle die Inbetriebnahme einer Anlage abhängig sein kann. Grundsätz
lich hat man sich in Indien für den Hafen Calcutta als für die Anlandung
des Anlagenmaterials entschieden, und zwar für die beiden Werke Rourkela
und Durgapur. Aber auch die für das- Werk Bhilai bestimmten Schwerstgüter
werden über Calcutta geleitet. Der kürzere Eisenbahnweg vom Hafen Cal
cutta zum Standort der Werke hat dabei den Ausschlag gegeben, da Bombay
etwa 1 000 km entfernt ist. Die Entfernung zwischen Calcutta und Rourkela
beträgt insgesamt 277 Meilen. Die Strecke war bisher an mehreren Stellen
eingleisig. Der Ausbau im Rahmen des zweiten Fünfjahresplanes ist jetzt
so weit gediehen, daß nur noch das Teilstück zwischen Tatanagar und
Khargpur mit etwa 100 Meilen eingleisig ist. Die Planung ist fertig,
und mit dem Ausbau dieser Strecke wurde begonnen.
Bei der Betrachtung der überdimensionierten und der Schwerstgüter wurden
bereits die Transportmittel erwähnt. Hier stellen die Spezialwaggons in
Indien nach Verfügbarkeit und Art einen Engpaß dar. Für den Transport
einzelner Werkstücke wie z.B. einiger Walzenständer (Abb. 1), die keines
falls zerlegt werden konnten, war in Indien kein Eisenbahnfahrzeug vor
handen. Daher mußte wenigstens ein besonderer Tieflader für ein Nutzlast
gewicht von 180 t beschafft werden. Die Firma Fried.Krupp lieferte
dieses Fahrzeug, das seit Mitte des Jahres als bisher einziges seiner
Art in Indien, und wahrscheinlich sogar in ganz Asien, eingesetzt ist.
Einige Daten mögen hierbei vielleicht interessieren. Die Gesamtlänge be
trägt 34,9 m, das Eigengewicht 77,3 t, die Tragebrücke allein ist 22,1 m
lang und die Tragfähigkeit, wie schon gesagt, 180 t, mit zwei ZWischen
brücken zu je zwei Laufwerken mit drei- bzw. vierachsigem Drehgestell,
also insgesamt vierzehn Achsen. Der Wagen wurde in Bremen mit einem dort
stationierten Schwimmkran als Decklast auf den Dampfer "Indian Trader"
nach Calcutta verladen.
Abb~ldung 3 zeigt einen moderne~ Schiffstyp der Hansa-Linie, der durch
die neuartige Anordnung seiner besonders tragfähigen Ladebäume unabhängig
ist von örtlichen Hafenkranen und daher für den Transport von Schwerst
gütern nach Calcutta besonders geeignet ist.
Es wurde eingangs von den Wechselbeziehungen zwischen Abgang aus Europa
und Empfang auf der Baustelle gesprochen. Hierin liegt bei Entfernungen
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von über 8 000 km selbst bei Planung und Durchführung in einer Hand
schon eine erhebliche Problematik. Diese vergrößert sich zwangsläufig,
wenn, wie im vorliegenden Fall Rourkela, die Bereiche getrennt sind,
d.h. bis einschließlich Lieferung auf das Schiff die deutsche, von da ab
bis zur Baustelle die indische Seite und ab Übernahme auf der Baustelle
die deutsche Montagefirma verantwortlich ist. Es wird hierdurch verständ
lich, daß die Probleme der notl'endigen Koordinierung und Regulierung,
die von der Indien-Gemeinschaft Krupp-Demag GmbH. zu lösen sind, den
materiellen, regionalen und menschlichen Bereich treffen. Unsere indi
schen Freunde haben das Vertrauen zu uns, daß wir von hier die Kraft
quelle so speisen, wie es die Kraftäußerung, d.h. die Montage auf der
Baustelle erfordert. Wir wiederum mußten uns mit den Verhältnissen und
Gegebenheiten in Indien so vertraut und uns diese so 2U eigen machen,
daß ein möglichst genauer, gemeinsamer Nenner erreicht wurde. Das konnte
natürlich nicht mit dem Rechenschieber geschehen, sondern nur durch
ständige, gegenseitige Abstimmung und intensive Zusammenarbeit. Ein
Schema hierfür gibt es nicht. Imponderabilien treten immer auf, die je
nach ihrer Eigenart aufgelöst werden müssen. Daher wuchs diese Aufgabe
von Anbeginn tiber den einfachen wenn auch schwierigen Rahmen des reinen
Versandes hinaus, weil fast wöchentlich und monatlich auf Grund verän
derter neuer Lagen gemeinsam Dispositionen getroffen werden mußten und
vielleicht noch müssen.
Damit kommen wir in den Bereich der dem Versand übergeordneten Trans
portführung. Die Zusammenarbeit der einzelnen Stellen spielt sich wie
folgt ab: Aufgabe der Indien-Gemeinschaft ist es, die technische Abnahme
des Materials durchzuführen, ferner die Grundlage für die Errechnung des
benötigten Schiffsraumes, den Tonnagebedarf der Firmen, zusammenzustel
len, und zWar im groben im voraus ftir ein Jahr und in der Feineinstellung
für vier Monate, um die nötigen Buchungen dann auf dem Schiffsmarkt
durchführen zu können. Die Koordinierung der Transporte ist eine beson
ders schwierige Aufgabe und richtet sich selbstverständlich nach den Be
dürfnissen der Montage auf der Baustelle, wobei betont Herden darf, daß
bei den Entfernungen und den Laufzeiten der Schiffe selbstverständlich
eine heute gefällte Entscheidung sich auf der Baustelle erst in vier bis
fünf Monaten richtig oder falsch auswirkt. Daher ist Planung und Orga
nisation mit 1Jeit vorausschauendem Blick ein erstes und dringendes Er
fordernis gewesen. Aufgabe der High Commission in London, einer Stelle
der Hindustan Steel Private Ltd. und der indischen Regierung ist es,
durch die von ihr beauftragte Seespeditionsfirma in Deutschland, als
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Shipping Agent bezeichnet, den Schiffs transport im großen bereitzustel
len, die Tonnage im einzelnen zu buchen und den Abgang des Materials aus
Europa zu überwachen, d.h. festzustellen, daß es tatsächlich abgegangen
ist. Aufgabe der Hindustan Steel Private Ltd. ist es, die in Indien ein
treffenden Waren im Hafen zu löschen, sowie den Umschlag in Calcutta
und den Weitertransport nach Rourkela bis zum Montageplatz zu veranlas
sen. Hierzu stehen der HSPL verschiedene Speditionsfirmen in Calcutta
sowie von seiten unseres Resident Engineers und der Firmen Transportbe
rater in Calcutta und Rourkela zur Verfügung. Die Verantwortung der
HSPL beginnt mit der Übernahme der Ware im Schiff; auch die Seetrans
portversicherung fällt in ihre Zuständigkeit.
Eine horizontale Gliederung mit verschiedenen, eigenständigen Verant
wortungsbereichen enthält meistens von Haus aus schon einige Schwierig
keiten. Diese zu überwinden, verlangt eine besonders enge Zusammenarbeit
aller beteiligten Stellen und erfordert ein hohes Maß an gegenseitigem
Einfühlungsvermögen.
INDIAN RA/LWAYS ROUTE COlcvllO _ Rovrk. IO
-<i R,.~r Hooghll~ D. lto w, rh Sondh,ods
A b b i 1 dun g 4
Die Eisenbahnlinie von Calcutta nach Rourkela führt über Rourkela hinaus
nach Bombay (Abb. 4). Von dieser Bahnlinie führte, bei Rourkela abzwei
gend, bisher nur ein einziges Stichgleis zur Baustelle, dessen Unterbre
chung während des letzten Monsuns bereits erwähnt worden ist (Abb. 2).
Das Vorhandensein eines einzigen Stichgleises War natürlich ein
Sei te 64
unhaltbarer Zustand, der dem zu beHältigen Transportvolumen nicht ge
wachsen sein konnte.
Es war daher von Anfang an geplant, für Rourkela einen eigenen Verschiebe
bahnhof zu bauen, der über Bondamunda mit der Hauptstrecke verbunden
werden sollte. Das ist inzwischen in diesem Sommer geschehen. Die jetzt
in Betrieb genommenen Gleisanlagen erlauben unabhängig vom Bahnhof
Rourkela eine Zusammenstellung und Aufgliederung der Züge. Es ist hier
bei zu berücksichtigen, daß neben den noch &nzufahrenden Anlagenteilen
die Rohmaterialbevorratung des Werkes jetzt anläuft.
Noch ein Blick auf den Hafen Calcutta (Abb. 5). Als wesentliche Anlagen
sind hier zu erwähnen das King George Dock mit dem im August vergangenen
Jahres in Betrieb genommenen stationären Zweihundert-Tonnen-Hammerkran der
Firma Jucho.Einen Schwimmkran mit dieser Leistung gibt es in Calcutta nicht
Dieses Dock dient vornehmlich dem Umschlag der Sch",erstgüter der drei
\verke Rourkela, Durgapur und Bhilai. Dementsprechend uird man das Vor
recht des Lösehens und Abtransportes von übergeordneter Warte aus zu
bestimmen haben. Die beiden Kidderpur-Docks, die ausgedehnte Lösch- und
Liegeplätze haben, dienen dem Umschlag der übrigen Güter. Die indische
Regierung ist sich angesichts der industriellen Entwicklung ihres Landes
darüber im klaren, daß für fast alle Häfen Erweiterungen und Verbesse
rungen erforderlich sind. Der indische Transportminister sagte in diesem
Zusammenhang unlängst in Madras, daß man beabsichtige, geeignetes Gelände
für einen zweiten Uberseehafen in der Nähe von Calcutta zu suchen, offen
bar in der Erkenntnis, daß selbst ein Ausbau der vorhandenen Anlagen
den noch steigenden Anforderungen nicht geHachsen sein wird und auch
wahrscheinlich viel teurer ist, als wenn man neu und ganz modern baut.
Aber auch auf der Baustelle selbst sind noch Transportprobleme, und zwar
solche des Abladens und der Umfuhr auf dem Gelände zu oewältigen. Man
bedient sich ausrangierter Fahrgestelle ehemaliger Personenwagen als
einer Improvisation, um beispielsweise Konstruktionsteile innerhalb des
Werksgeländes zu den 110ntageplätzen usw. zu bringen. \Viederum verfügt
die HSPL auch über moderne Hilfsmittel wie Vierzig-Tonnen-Eisenbahnkrane,
die besonders dort notwendig sind und überall eingesetzt werden, wo man
anfangs noch nicht über die erforderlichen Hallenkrane verfügte.
Während des Monsuns sind die meisten Wege auf der Baustelle, so weit sie
nicht schon befestigt sind, so grundlos, daß auch die LKW-Transporte
selbst mit geringer Ladung zum Problem werden können. Wer außerhalb der
Sei te 65
Wege im Gelände zu tun hat, fährt zweckmäßigerweise mit einem Jeep, der
sich auch in Rourkela wieder als besonders tüchtig erwiesen hat.
Wenn heute schon eine Zwischenbilanz über die tatsächliche Lösung der
Probleme erlaubt ist, so darf dies mit der Feststellung geschehen, daß
es den gemeinsamen Anstrengungen aller beteiligten indischen und deut
schen Stellen gelungen ist, innerhalb der vergangenen 20 Monate rund
80% des Anlagenmaterials von Europa nach Indien abzutransportieren. Da
mit ist trotz aller Transportschwierigkeiten - von denen manche auch
nach Erledigung dieser Aufgabe noch weiterbestehen werden, wie z.B. die
klimatischen Einflüsse, die Leistungsfähigkeit des Hafens von Calcutta
und et'~aige Hafenstreiks - der Abtransport nach Rourkela im allgemeinen
flüssig, wenn auch nicht regelmäßig abgelaufen. Noch ist die Aufgabe
nicht bewältigt. Lange Transportwege sind immer anfällig gegen alle mög
lichen EinHirkungen, die niemand vorausahnen kann. Wir können jedoch
mit der Feststellung schließen, daß alle bisher notwendigen 11aterialien
auf der Baustelle bzw. in Calcutta eingetroffen sind, deren Fertigmon
tage uns den schönen Tag gemeinsam erleben läßt, an welchem das erste
Roheisen in Rourkela fließen wird.
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• , . , .
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Sei te 68
Die Entwicklung der technischen Zusammenarbeit auf dem Gebiete des
Lokomotivbaues zwischen Tata Locomotive & Engineering Company,Jamshedpur
und Krauss-Maffei AG. München
Von Dipl.-Ing. P.H. von MITTLERWALLNER, Vorstandsmi=tglied der Krauss-l-1affei AG.
Bevor ich auf das eigentliche Thema meines Vortrages eingehe, möchte ich
als Einführung einige Probleme Indiens streifen - selbst auf die Gefahr
hin, daß diese Themen schon in anderem Zusammenhang in den Aachen~r Vor
trägen behandelt wurdena
Zur politischen und wirtschaftlichen Situation Indiens
Indien, eine der ältesten Kulturnationen der Welt; Indien, fast so groß
wie Europa ohne Rußland, mit ca. 15 000 km Landesgrenze gegenüber West
pakistan, Tibet, China, Burma und schließlich Ostpakistan, mit fünfein
halbtausend Kilometer Seeküste; Indien, im Norden abgeschirmt durch den
Himalaja mit fast 2 000 km Länge von Gebirgszügen zwischen dem Indus im
Westen und dem Brahmaputra im Osten und südlich dieser Himalajak~tte
parallel dazu das fruchtbare Tal, durchzogen vom Ganges. Indien, mit
380 Millionen - weit mehr als Rußland - nach China mit 650 Millionen das
Land mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl , liegt praktisch z1..rischen
China und Rußland. Es ist daher verständlich, daß der große Prime Mini
ster Pandit NEHRU sich nicht nur nach der westlichen Politik ausrichten
kann, sondern auch auf seine asiatischen großen Nachbarvölker aus poli
tischen, nationalen und wirtschaftlichen Gründen Rücksicht nehmen muß.
Das indische Volk, beseelt von einem gesunden Nationalgefühl, bemühte
sich seit Jahrzehnten um seine Freiheit; gerade als Großbritannien als
Sieger aus dem Z,..rei ten Weltkrieg hervorging, zog sich diese Großmacht
England aus Indien zurück. Dadurch blieb im indischen Volk keine Bitter
nis gegenüber England zurück. Durch die Teilung Indi'ens und Pakistans
im Jahre 1948 verlor Indien dabei reiches Land im Westen und Osten mit
fast 80 Millionen Menschen an Pakistan. So wurde am 26.Januar 1950
Indien als souveräner Staatenbund ausgerufen. Aus den großen wirtschaft
lichen Problemen greife ich heraus:
1. Die Bevölkerungsfrage und den hohen Geburtenüberschuß,
die Ernährung dieser Menschen und das Problem, für ltillionen von
Menschen neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Sei te 69
2. Die Intensivierung der Landwirtschaft, um dieses große Volk möglichst
aus eigenen Kräften und unabhängig von den Witterungseinflüssen zu
ernähren.
Die Wasserkraft- und Bewässerungsfrage, einerseits, um Kraftwerke zu
erstellen und zum anderen, um die Felder zu bewässern.
3. Die Industrialisierung, um sich von den bisher notHendigen devisen
verschlingenden Importen von Maschinen und Investitionsgütern mög
lichst freizumachen und schließlich
4. das Transportproblem.
Dieses vierte Problem führt uns direkt zn dem Thema meines Vortrages:
Die Bedeutung des Transportproblems, vor allem auf der Schiene, aber
auch auf der Straße, zu Wasser und in der Luft, geht aus den Planungen
des ersten und zweiten Fünfjahresplanes der Indischen Regierung klar
hervor:
Wenn man schon im ersten Fünfjahresplan fast ein Viertel für "Transport
und Communications" verwendete, wurde der Transportposten in der Planung
des zweiten Fünfjahresplanes fast verdreifacht, mit ca. 15 Mrd.Rupees,
im Gesamtplan von 48 Mrd. Rupees (1 Rp. = 0,88 DM). So hat die indische
Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg weit über tausend Lokomotiven aus
dem Ausland eingeführt, um überalterte Lokomotiven außer Dienst zu
stellen und die notwendige Verdichtung, vor allem des Güterverkehrs, zu
fördern.
Es ist daher um so verständlicher, daß der Railway Board der indischen
Regierung mit seinem Sitz in New Delhi und mit seinem Central Standard
Office in Chi tt.aranjan immer seine größte Aufmerksamkeit dem Bau von
Waggons und Lokomotiven im Lande schenkte. Da keine Werksanlagen für den
Lokbau zur Verfügung standen, mußte eine vorhandene Waggonfabrik erwei
tert und eine neue Lokomotivfabrik erbaut werden. Die Fabriken mußten
aber auch mit Maschinen, zumeist aus dem Ausland, eingeric·htet werden,
und der Railway Board war sich klar darüber, daß diese Fabriken für
einen schnellen und wirtschaftlichen Anlauf Berater benötigen, sei es
an Ingenieuren, sei es an Facharbeitern und sei es schließlich die Kon
struktion und den Bau von Lokomotiven betreffend.
Ich begab mich aus freiem Entschluß, wohl als einer der ersten Deutschen
nach dem Zweiten Weltkrieg, im Herbst 1948 nach Indien - man vergesse
nicht: zu einer Zeit, in welcher durch die damalige USA-Militärregierung
noch Enbricklungs- und Bauverbot für Lokomotiven jeder Art bestand!
Seite 70
Wir durften nur Lok-Reparaturen betreiben. Allein auf mich als Ingenieur
gestellt, ohne Devisen, ohne diplomatische Vertretung, als Deutscher nach
dem Zweiten Weltkrieg mehr oder minder diskriminiert, war dies eine mei
ner schwierigsten Aufgaben. Ich erhielt in Indien in wenigen Wochen Ein
blick in das Eisenbahnwesen, insbesondere in das Lokomotivbeschaffungs
programm. Es war klar zu erkennen, daß es hier große Arbeit zu vollbrin
gen hieß. Ich schlug der indischen Regierung - in Verbindung mit einem
großen Lokomot~vauftrag - für den Anlauf und für den Ausbau einer natio
nalen Lokomotivfabrik ein technisches Hilfsabkommen vor, wobei wir uns
bereit erklärten, unsere Erfahrungen im Lokomotivbau zur Verfügung zu
stellen, technische Spezialisten zur Unterstützung nach Indien zu ent
senden und indisches Personal in Deutschland anzulernen - um so mehr,
als wir auf über hundertjährige Erfahrung im Lokomotivbau zurückblicken.
Ich erfuhr erst später, daß Berater aus anderen Ländern einen solchen
Plan nicht guthießen und dem Railway Board sogar abrieten, Lokomotiven
in Indien zu bauen, indem sie auf die großen Schwierigkeiten in der
Materialbeschaffung und auf die Notwendigkeit, über geschultes Personal
zu verfügen, hinwiesen. Ich machte dem Railway Board hingegen positive
Vorschläge für _diese Zusammenarbeit. Auf Einladung des damaligen Chief
Commissioner des Railway Boards wurde ich zu Weihnachten unter Beglei
tung eines Generaldirektors der Bahnverwaltung und einiger Ingenieure
mit einem Salonwagen von Calcutta nach Asansol gebracht. Von dort ging
es mit dem Auto ' ... ei ter auf eine große, leicht hügelige Steppe, wo die
ersten Spatenstiche für den Bau des staatlichen Lokomotivwerkes bereits
getan waren.
Am 6.Januar 1949 konnte mit dem Railway Board der indischen Regierung
ein Vertragsentwurf unterzeichnet 1~erden, der diese Zusammenarbeit fest
legte. Die erste Reaktion in der Heimat bestand aus Bedenken; auch in
Industriekreisen wurde mit Besorgnis befürchtet, daß die doutsche Loko
motivindustrie damit Risiken einginge und die zukünftigenLokomotiv-Ex
portgeschäfte gefährde. Ein solcher Vertrag wurde jedoch einige Monate
später aus politischen Gründen nicht mit uns, sondern mit einer engli
schen Lokfabrik abgeschlossen.
So wurde die staatliche Lokomotivfabrik, bei Gründung unter dem Namen
Mihijam, später mit dem Namen Chittaranjan, aufgebaut und zu einer der
größten und besteingerichteten Lokomotivfabriken entwickelt. Man darf
sagen, daß die damals fast kühnen Planungen schnell und \drtschaftlich
erfüllt wurden.
Sei te 71
Der Gedanke an diesen Plan der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
Indien ließ uns jedoch nicht ruhen. Schon ein halbes Jahr später lernte
ich J.R.D. TATA, den Chairman des größten indischen Industriekonzerns,
kennen, einen Mann, den ich im Laufe der Jahre näher kennen und schätzen
lernen durfte. Wer jemals Indien bereist hat, kennt den Namen TATA von
seinen großen Leistungen her, die Industrialisierung betreffend, mit
seiner besonderen Liebe für soziale Wohlfahrt und Hilfsbereitschaft für
seine Arbeiter und Angestellten. Er ist auch der Chef des bekannten,
bisher größten Stahlwerkes, der Tisco-\lerke in Jamshedpur, die in diesem
Jahr noch einen Ausstoß von 1,5 Mill. t Stahl erreichen. Im Tata-Konzern
arbeiten heute ca. 135 000 Menschen in mehreren l~schinenfabriken, in
chemischen- und Textil-Fabriken, in Wasserkraftwerken, in der Öl- und
Seifen-Industrie. Tata betreibt Forschungsinstitute und Laboratorien in
Indien, mehrere große Hotels, wie z.B. das bekannte TAJ MAHAL in Bombay
und schließlich gehören caritative Einrichrungen und Hospitäler zu dem
Konzern.
Mr. J.R.D. TATA war der erste Pionier der Luftfahrt mit der Pilot-Licence
Nummer 1, er hat seinerzeit die nationalen und internationalen Luftlinien
der Air India ins Leben gerufen und sie zu leistungsfähigen Luftlinien
mit internationalem Ruf gestaltet.
Im Sommer 1950 gelang es, mit Tata Industries Limited - mit Zustimmung
der indischen Regierung - ein Technical Help Agreement für den Bau von
Dampflokomotiven abzuschließen. Für die Fertigung von Lokomotiven wurde
die frühere Waggonfabrik bestimmt, mit dem Namen Tata Locomotive and
Engineering Company Jamshedpur (TELCO), in der gleichen Stadt, ca. 150
11eilen westlich von Calcutta, in der sich die Tisco-Stahlwerke befinden.
tlelche Gründe be,·regten beide Vertragspartner, so ein "Technical Help
Agreement" zwischen einer indischen und einer deutschen Privat fabrik
abzuschließen?
Die indischen Interessen liegen auf der Imnd:
Wie schon eingangs erwähnt, wußten die indischen Ingenieure,
- daß sie für den Bau von Lokomotiven ein mit Werkzeugmaschinen gut
eingerichtetes Werk benötigen,
- daß sie aber auch Konstruktionsunterlagen und Arbeitsplätze zur Hand
haben müssen,
- daß ihnen Betriebsmittel, Werkzeuge, Vorrichtungen, Gesenke, Modelle
an die Hand gegeben werden müssen.
Sei te 72
All das kann man schließlich kaufen und importieren!
Vor allem muß aber etwas - das Wichtigste - erreicht werden:
für diese Lokfabrik brauchte man Experten für die Beratung, um kostspie
lige und zeitraubende Versuche im Anlauf der Produktion zu vermeiden -
es müssen vor allem Arbeiter angelernt und zu Facharbeitern des Lokomo
tivbaues in Indien und im Partnerland ausgebildet werden.
Aber auch die Gründe von der deutschen Perspektive aus gesehen waren
naheliegend, wenn man die dortigen Verhältnisse und den enormen Bedarf
an Lokomotiven, Waggons und anderen Eisenbahnausrüstungen kannte.
Wir wußten, daß Indien zum Aufbau und Ausbau seines Schienentransportes
in den nächsten Jahren einige Tausend Lokomotiven benötigt. In Indien
ist der Schienenweg für den Transport der Massengüter über weite Strecken
vorhanden und daher viel wirtschaftlicher als der Transport mit dem
Lastwagen, wobei zu berücksichtigen ist, daß in Indien das Straßennetz
viel weitmaschiger ist als beispielsweise in Europa. Wir wußten, daß
bei dem großen Bedarf an Lokomotiven Indien mindestens in den ersten
zehn Jahren Hunderte von Lokomotiven pro Jahr importieren muß. So war
auch die Überlegung richtig, daß, wenn wir unsere technische Hilfe nicht
zur Verfügung stellen, eine andere Fabrik oder ein anderes Land sich
um diese technische Zusammenarbeit bewirbt. Die Verwirklichung von
Technical-Help-Abkommen wurde seit dieser Zeit oft wiederholt. Selbst
heute treten noch Firmen in der Welt an Indien heran, um Technical-Help
Abkommen mit anderen oder noch nicht erbauten Fabriken in Indien abzu
schließen. Heute, acht Jahre später, kann man wohl sagen, daß auch die
deutschen Interessen erfüllt werden konnten: haben wir doch im Verlauf
dieser Jahre ca. 450 Lokomotiven und viele Zulieferteile an Telco in
Auftrag erhalten und nach Indien exportiert - allerdings mußten diese
indischen Lokaufträge immer schl~er erkämpft werden, da es sich vor der
Auftragserteilung ausnahmslos um öffentliche Ausschreibungen handelte,
die von der Welt-Lokomotivindustrie, meist von 30 Lokomotivfabriken,
bedient wurden. Während wir anfangs mit scharfer Konkurrenz von USA
und England zu rechnen hatten, erwuchs in den späteren Jahren die stärk
ste Konkurrenz von seiten Japans, Österreichs und einiger Ostblockländer
gegenüber unseren Angeboten.
Die Werksanlagen bei Telco in Jamshedpur umfassen ein modernes, bestens
eingerichtetes, leistungsfähiges Werk mit ca. 60 000 qm überbauter Werk
statthallen-Fläche, davon steht etwas mehr als die Hälfte dem Lokomotiv
bau zur Verfügung.
Seite 73
Die Werkshallen sind in Shed-Xonstruktion errichtet bei sorgfältiger
Abhaltung der Sonnenbestrahlung. Natürlich braucht man dort keine Hei
zung, aber gute Lüftung in den Werkstätten und Air-Condition, also Klima
Anlagen in den Büros. Alle Hallen und Werkstraßen sind schienendurch
zogen für die hauptsächlichsten Spurweiten Indiens, der Breitspur mit
1616 mm und der Meterspur. Das Werk verfügt über eigene Dampferzeugung
durch Ölfeuerung. Der Strom wird zugeliefert wie bei Tisco.
Die Wasserversorgung erfolgt aus einem in der Nähe Jamshedpurs gelegenen
See mit Zwischenschaltung von Speicherreservoirs. Der Sauerstoff wird
flüssig zugeliefert. Pressluft wird im eigenen Werk erzeugt. Das Werk
Telco dürfte heute über einen durchweg modernen Werkzeugmaschinenpark
von ca. 2 000 Stück verfügen, der für die mechanische Bearbeitung für
alle Produktionsprozesse, für den Lokbau und für den später hinzugekom
menen Automobilbau ausreichend ist. Die Werkzeugmaschinenaufstellung
ist wohl durchdacht und nach Bearbeitungsgruppen aufgeteilt. Speziell
für den Lokbau, für den Kesselbau, Tenderbau, die Blechbearbeitung und
Schweißkonstruktionen sind gute Einrichtungen vorhanden. So werden auch
die Radsätze und Stangen und alle anderen Mechanteile bei Telco erstellt
bzw. bearbeitet, es steht eine Frei- und Formschmiede, eine Kümpelei
für die Kesselbleche und eine Federnwerkstätte zur Verfügung. Aufbau
und Beratung dieser Fabrik erfolgte durch deutsche, englische, amerika
nische und belgische Firmen. Die Lieferungen von Maschinen und Einrich
tungen erfolgten aus Deutschland, England und USA.
Wenn der Ingenieur durch das Werk geht, bekommt er sofort den Eindruck,
sich in eineT modernen Groß-Maschinenfabrik zu befinden, die sich mit
modernen europäischen und amerikanischen Fabriken messen kann. Später
wurde auch eine moderne Stahl- und Metallgießerei hinzugefügt, die heute
einen Ausstoß von 300 t pro Monat Stahlguß und 100 t Spezialgrauguß für
die eigene Produktion bewältigt.
Das Produktionsprogramm Telcos, dessen Lieferungen in erster Linie Be
dürfnisse des Staates für Schiene und Straße zu erfüllen hat, ist. sinn
voll gestaltet. Neben Lokomotiven wurden in den ersten Jahren Güterwagen
hergestellt. Einige Jahre später nahm Telco in dem gleichen Werk, im
Rahmen eines ähnlichen Technical Help Agreements, den Bau von Lastwagen
und Omnibussen in Gemeinschaft mit Mercedes auf, die unter der Firmierung
Tata-Mercedes-Benz seit Jahren überall im Lande zu treffen sind.
Seite 74
Für den später vorgesehenen Auslauf des Dampflokbaues wurde als sinn
volle Ergänzung der Behälterbau und der allgemeine Apparatebau aufge
nommen, vor allem, um die seinerzeit freiFerdende Kapazität für den
Kessel- und Tenderbau, die Kesselschmiede und die Schweißerei aufzu
fangen. Nach dem Kriege wurde kurze Zeit der Bau von Dampfstraßen1valzen
betrieben, der später in andere Fabriken verlegt wurde.
Der Anlauf der Arbeiten bei Telco im Lokomotivbau
Es war verständlich, daß man sich in der ersten Zeit mit Montagen von
fertiggelieferten Lokomotivbaugruppen begnügen mußte. Später Furde der
Teilebau, insbesondere im Tenderbau, in der SchFeißerei und im Kessel
bau aufgenommen. Relativ schnell lief die mechanische Bearbeitung bei
Telco an, wo sich jedoch aus Quantitätsgründen in den ersten Jahren
häufig Engpässe ergaben, die 1·Ji'ederum von dem deutschen Partner zu über
brücken waren. Die Zulieferungen von Teilen, insbesondere von bearbei
teten Zylindern, endeten erst vor kurzem. Als letzter erfolgreicher
Schritt der Selbständigkeit werden bei Telco nun auch die Dampfzylinder
und Radsätze in der eigenen Stahlgießerei erstellt und in den mechani
schen Werkstätten vollständig bearbeitet. \lährend der Überbrückungszei t
galt es jahrelang, die Kessel, insbesondere die Stehkessel und Feuer
büchsen, von Deutschland anzuliefern. Telco ist nun seit einigen Jahren
in der Lage, selbst schwerste Kessel mit 33 t Eigengewicht einschließ
lich der schHierigen Kümpelarbeit und der vollgeschweißten und geröntg
ten Feuerbüchsen im eigenen Werk zu bauen. Nebenbei sei ervähnt, daß
Telco auch über ein Lehrenbohrwerk aus der Schweiz mit optischer Ablesung
in einem Raum mit voller Klimaanlage mit einem Wert von dreiviertel
11illionen Sch\leizer Franken verfügt.
So ist Telco im Lokomotivbau seit zwei Jahren in der Lage, jährlich
100 große Dampflokomotiven und 40 Ersatzkessel zu fertigen - für den re
lativ kurzen Anlauf und für die dortigen Verhältnisse eine beachtliche
Leistung.
Bleche und Knüppel werden von der Sch"esterfirma Tisco angeliefert. An
deres Material und Ausrüstungsteile kommen aus anderen Werken Indiens,
und geringe Ausnahmen wie Geräte, Instrumente, Rollenlager sowie Eng
passteile werden noch von Europa zugeliefert. Es war für Telco sicher
lich eine große Hilfe, daß wir auch die Laufkarten, welche die Arbeits
prozesse und Arbeitszeiten festhalten und Unterlagen über Fabrikations
oethoden zur Verfügung stellten, und daß wir darüber hinaus Werkzeuge,
Sei te 75
Kümpelgesenke, Vorrichtungen, Gußmodelle und Spezialwerkzeuge, natürlich
gegen Bezahlung, anliefern konnten.
Es ist kein Geheimnis, daß dieses Technical Help Agreement zur Zufrie
denheit beider Partner seit acht Jahren läuft. Beide Teile haben daher
ins Auge gefaßt, ein zweites Technical Help Agreement über den Bau von
dieselhydraulischen Lokomotiven abzuschließen. Auch dieser Vertrag wird
die Zustimmung des Railway Boards voraussetzen. Für Telco wird es nach
meiner Auffassung ein leichtes sein, die Mechanteile unserer Dieselloko
motiven bald selbständig bauen zu können. Vorerst wird Telco wohl jahre
lang auf die Zulieferung von Lok-Teilen, von Motoren, hydraulischen
Getrieben, Achstrieben, Großzahnrädern und sonstiger Ausrüstung aus dem
Ausland angewiesen sein. Wir haben mit der Lieferung von dieselhydrau
lischen Rangierlokomotiven nach Indien bereits eine gewisse Vorarbeit
für die wirtschaftliche Verdieselung geleistet. Dem Lizenzbau durch Tata
im Rahmen des erwähnten Technical Help Agreements steht damit nichts im
Wege. Die indische Regierung weiß ebenso gut wie andere Ver1Jaltungen,
daß es um!irtschaftlich ist, also viele Jahre Entwicklungszeit und viel
Geld kostet, eigene Typen von Diesellokomotiven zu entwickeln. Auch
andere europäische Bahnverwaltungen beschreiten heutzutage gerne den
Weg, moderne Diesellokomotiven auf dem 1izenzwege nachzubauen, um diese
ca. fünf jährige Entwicklungszeit bis zur Serienreife einzusparen.
Selbstverständlich kommen dabei nur Diesellok-Typen in Frage, die in
jahrelangem Einsatz, beispielsweise bei der Deutschen Bundesbahn mit
vielen Millionen Laufkilometern, ihre Bewährungsprobe erfolgreich bestan
den haben. Jeder Ingenieur und jedes Vorstandsmitglied einer Fabrik wird
sich hüten, Loktypen auf dem Lizenzwege oder im Rahmen eines Technical
Help Agreements in das Ausland, noch dazu in das ferne Ausland, zum
Nachbau zu vergeben, wenn durch den jahrelangen Bewährungseinsatz nicht
erwiesen ist, daß keine Rückschläge zu erwarten sind.
Wenn auch Lizenz-Verträge und Technical-Help-Abkommen nicht das gleiche
bedeuten, sind sie doch miteinander verwandt. Mit einem Lizenzvertrag
wird der Nachbau von Loktypen des einen Partners dem anderen Partner
an Hand zu übergebencer Bauunterlagen ge\'Jährt. Im Technical-Help-Ver
trag kommt die technische Hilfe hinzu, den Partner beim Bau der Lokomo
tiven anzulernen.
Sei te 76
Auf Grund der langjährigen Bewährung der für die Bundesbahn von uns ent
wickelten V 200 Diesel-hydraulischen Streckenlokomotiven hat eine große
europäische Bahnverwaltung Nachbaurechte dieser Lokomotiven für ihre
eigenen Werkstätten und für zwei große Privat-Lokomotivfabriken erworben.
Da dieses Land, ebenso wie Deutschland, seit über hundert Jahren Lokomo
tiven erzeugt, war die Gewährung eines Technical-Help-Abkommens natür
lich nicht erforderlich, aber auch die Bahnverwaltung dieses Landes
erkannte, daß durch den Lizenzbau bewährter Lokomotiven jahrelange, kost
spielige Entwicklungsarbeit eingespart wird.
Telco verfügt zur Zeit über 7 000 Arbeiter und Angestellte (Techniker
und Kaufleute), einschließlich des Automobilbaues und der Gießerei. Von
den 6 200 Arbeitern dürften ca. 1 000 als "skilled", also als Facharbei
ter anzusprechen sein.
Wir haben im Rahmen des Technical Help Agreements über mehrere Jahre hin
durch in München ca. 150 indische Meister und Arbeiter in unseren Werk
stätten und Ingenieure in unseren Büros ausgebildet und sie mit allen
Arbeitsprozessen im Lokbau vertraut gemacht.
Diese indischen Meister und Vorarbeiter kamen für ca. sechs Monate in
Gruppen von ca. fünfzehn Mann zu uns ins Werk. Sie wohnten bei uns in
dem später nach ihnen genannten India Bungalow, erhielten dort, soweit
sie es wünschten, auch auf indische Art zubereitete Nahrung und verbrach
ten den Abend gerne im Kreise ihrer deutschen Freunde.
Wir unterhielten bei Telco in Jamshedpur seit Unterzeichnung des Tech
nical Help Agreements ein bis zwei Dutzend Spezialisten, also Ingenieure
und Meister, um das dortige Personal in schwierige Arbeitsprozesse ein
zulernen.
Es ist charakteristisch, daß sich bei der Entsendung unserer deutschen
Berater der englische Ausdruck "Demonstrator" bildete, d.h., daß diese
Spezialisten die Arbeitsvorgänge den indischen Arbeitern mit ihren Hän
den vormachen mußten, bis der Angelernte sie beherrschte. Auch der Lei
ter der Telco-Werke, der technische Generaldirektor, war jahrelang ein
deutscher Ingenieur. Ich kann mit großer Genugtuung feststellen, daß
seit ca. einem Jahr die technische Oberleitung der Telco-Werke in
Jamshedpur von einem hervorragenden indischen Ingenieur übernommen wurde.
Sein Name, Mr. DA COSTA, hat in vielen Ländern der Welt in Lokomotiv
und Industriekreisen einen guten Klang.
Sei te 77
Noch schnell ein Wort zur Arbeiterschaft und zu sozialen Problemen:
Die Arbeiter in Jamshedpur setzen sich aus Hindus, Mohammedanern, Sikhs
und einigen Parsees zusammen. Sie kommen vor allem aus den Provinzen
Bihar, Benghal und dem Punshab. Man kann wohl sagen, daß das Gebiet
Bihar-Benghal, im Osten Indiens liegend, etwa mit dem Ruhrgebiet in
Deutschland zu vergleichen ist.
Dort steht hochwertiges Eisenerz und gute Kohle in großem Umfang relativ
nahe an den Verarbeitungsstätten und dem Verschiffungshafen Calcutta
zur Verfügung. Das waren die Gründe, warum der Gründer, J.N.TATA, in
den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gerade an dieser Stelle Jamshedpur
- sein Vorname lautete Jamshed und pur heißt Stadt - gegründet hat und
in wenigen Jahren aus Urwald und Steppe eine blühende, moderne Industrie
stadt schuf. Es muß anerkannt werden, daß die Arbeitsintensität, gemes
sen an den verfahrenen Produktionsstunden einer Lokomotive in Indien
in wenigen Jahren stark angestiegen ist: während ursprünglich die Ar
beitsintensität eines indischen Arbeiters mit 1 : 4,5 gegenüber Deutsch
land oder England zu bewerten war, ist sie, immer wieder gemessen an der
Leistung in dieser Fabrik, auf 1 : 2,3 gestiegen. Dabei darf nicht ver
gessen werden, daß der Lohn einschließlich des dort gewährten Bonus (der
etwa dem deutschen Akkordzuschlag entspricht) nur ein Drittel vom deut
schen Lohndurchschnitt beträgt.
Die Genügsamkeit der indischen Bevölkerung ist sprichwörtlich. Aus Grün
den der Religion essen die meisten Inder weder Fleisch noch Fisch, son
dern Gemüse, Früchte und Brot. In den meisten Provinzen herrscht voll
ständige Prohibition. Diese Regierungsmaßnahme ist um so verständlicher
für die Bevölkerung, wenn man weiß, daß Alkohol unerschwinglich ist.
Ebenso bekannt ist der Kinderreichtum des Inders. Sieben Köpfe in einer
Familie entspricht dem Durchschnitt. Familien mit über einem Dutzend
Kindern sind häufig.
Der Einfluß der parteipolitischen Gewerkschaften bei Telco Jamshedpur
dürfte im Durchschnitt dem der Gewerkschaften in Europa entsprechen.
Organisierte Streiks sind kaum durchführbar, da die Gewerkschaften über
keine eigenen Fonds verfügen. Wilde Streiks mit Gewalttätigkeiten, wohl
auch unter Einfluß inoffizieller kommunistischer Elemente, werden immer
seltener. Interessant ist, daß die Staatslokomotivfabrik in Chittaran
jan ohne Gewerkschaft arbeitet - so war es jedenfalls bis zum März 1958.
Sei te 78
Telco stellt seinen Angestellten Bungalows und Wohnstätten für fast die
Hälfte der Arbeiterfamilien zur Verfügung. Jedem Europäer, der nach In
dien reist und Jamshedpur besucht, fällt auf, welch großzügige Wohlfahrts··
einrichtungen TATA für seine Angestellten zur Verfügung stellt: Clubs,
Swimming Pools, Freilichtkinos, Golfplätze und Tennisplätze, großzügige
ärztliche Betreuung mit kostenloser Behandlung selbst für die Familien
durch Tata-Ärzte und Tata-eigene Hospitäler. Das gleiche gilt für das
Entbindungsheim.
Das Klima ist für indische Verhältnisse in Jamshedpur fast angenehm.
Immerhin sind im Sommer Temperaturen von 45 0 im Schatten und nachts nicht
unter 37 0 an der Tagesordnung. Die Viermonatsperiode der Monsunzeit
bringt den bekannten Dauerregen.
Zum Abschluß sei erwähnt, daß Indien über das viertgrößte Eisenbahnnetz
der Erde verfügt. Seit Indiens Unabhängigkeit (im Jahre 1947/48) ist der
Verkehr auf den indischen Eisenbahnen um fast 40% gestiegen. Die Zahl
der von der indischen Eisenbahnverwaltung beschäftigten Personen soll
etwas über eine Million betragen, damit ist dieses Unternehmen das größte
volkseigene Unternehmen Indiens und die zweitgrößte Staatsbahnverwaltung
der Welt.
Indien verfügt über ca. 9 000 Lokomotiven, davon zwei Drittel für Breit
spur und ein Drittel für Meterspur auf Nebenlinien.
\Vie fast in der ganzen Welt, wird sich auch in Indien der \vandel in der
Traktion abwickeln, d.h., daß von der Dampflokomotive auf die elektri
sche oder Diesel-Traktion, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, über
gegangen werden muß. Dies geschieht auch in Ländern, wo Kohle in reich
lichem Maße an Quantität und Qualität zur Verfügung steht und wo Strom
durch Wasserkraftwerke oder Kohle erzeugt werden muß, und in Ländern,
"0 das Öl für die Dieseltraktion sogar importiert werden muß. Auch in
Indien bestehen ähnliche Transportprobleme - wie in anderen Ländern der
Welt - so daß neben der Umstellung auf die Dieseltraktion das Netz um
die Großstädte und für besonders dicht befahrene Eisenbahnstrecken elek
trifiziert wird. So ist es mir eine Freude und Genugtuung festzustellen,
daß wiederum in der Zusammenarbeit zwischen Indien und europäischen Län
dern vor kurzem ein Auftrag auf 100 vollelektrische Lokomotiven sozusa
gen als Einführungsauftrag einem deutsch-französischen Konsortium er
teilt wurde, an welchem wir mit Lieferungen partizipieren.
Sei te 79
Han kann annehmen, daß aus diesem Bedarfsfall "der Elektrifizierung"
verschiedener indischer Strecken ein weiteres Technical Help Agreement
zwischen indischen Interessenten und europäischen Lokomotiv- und Elektro
Fabriken entsteht.
Sei te 80
Deutsch-indische Zus~mmenarbeit in Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft
Von Dr. J.M. HUNCK1 ), Chefredakteur vom"Handelsblatt" Düsseldorf
Das Thema meines Referates ist sehr weit gespannt. Es könnte naheliegen,
daß ich mit diesem zugleich letzten Referat Ihrer Tagung versuchen würde,
all das über Indien und die Zusammenarbeit mit Deutschland zu sagen, was
bislang nicht erwähnt worden ist. Haben Sie bitte aber keine Angst, daß
ich so weit aushole·n werde.
Wer jemals begonnen hat, sich mit dem Thema Indien zu befassen, wird
bald festgestellt haben, daß es unerschöpflich ist. In diesem Sinne ver
wies kein Geringerer als NEHRU selbst bei Eröffnung der ersten nationa
len Ausstellung "India 1958" auf sein früheres Buch "Die Entdeckung
Indiens" und fügte mit der ihm eigenen Selbstbescheidung hinzu, auch
nach so langen Jahren des Forschens wüßte er nicht, was Indien sei oder
was Indien sein werde.
Niemand wird jedoch von deutsch-indischer Zusammenarbeit in der Vergan
genheit sprechen können, ohne wenigstens mit einem Satz der wissenschaft
lichen und kulturellen Beziehungen zu gedenken - von der Tatsache, daß
Inder und Deutsche derselben Abstammung sind, gar nicht zu reden. Die
Indologie erreichte im vorigen Jahrhundert ihre Blüte, die meisten
deutschen Dichter und Denker haben sich insbesondere damals mit Indien,
seiner Weisheit und Kultur,befaßt. Daß diese engen Verbindungen noch
heute bestehen, zeigt etwa der 100.Todestag Joseph von EICHENDORFFS,
der im November vorigen Jahres von der Deutsch-Indischen Kulturgesell
schaft in Bombay festlich begangen wurde. Gedichte EICHENDORFFS wurden
bei dieser Gelegenheit in Hindi und Deutsch rezitiert. Diese alte· kul
turelle Zusammenarbeit wurde seit der Unabhängigkeit Indiens durch un
getrübte politische und immer engere wirtschaftliche Zusammenarbeit er
gänzt. Indien war der erste Staat, der den Kriegszustand mit dem deut
schen Volk beendete. Das verwandte Schicksal beider Völker hat viel
Sympathie geweckt. Auch Indien wurde nach dem Krieg geteilt, in einer
Form, die besonders unglücklich ist. Zwischen Ost- und Westpakistan
liegen an der engsten Stelle immer noch 1 500 km. Beide Landesteile sind
1. VgI. das vom gleichen Verfasser erschienene Buch: "Indiens lautlose Revolution. Möglichkeiten und Grenzen einer deutsch-indischen Zusammenarbeit", Düsseldorf 1957; kürzlich auch in englischer Sprache erschienen unter dem Titel: "India's silent revolution".
Seite 81
klimatisch und wirtschaftlich völlig unterschiedlich. Militär, Erziehung
und Politik sind in Westpakistan konzentriert. Das bedingt einen starken
Verkehr von Waren und Personen durch Indien. Fortschrittliche Pakistani
träumen von einer Wirtschaftsföderation mit Indien.
Der Flüchtlingsstrom aus Pakistan nach Indien ist im Umfang etwa derselbe
wie der deutsche aus Mittel- und Ostdeutschland. Und Miß NAIDU, die kluge
Gouverneurin von Westbengalen, sagte uns einmal, Indien habe zunächst
seine politische Freiheit erhalten und kämpfe nun um die volle wirt
schaftliche Freiheit, während die Bundesrepublik umgekehrt zuerst die
wirtschaftliche Freiheit besaß. Auch der Vorschlag Nehrus, wir sollten
außenpoltisch einen neutralen Kurs steuern, ist aus der Vorstellung
eines gleichlaufenden Schicksals entstanden. Nehru erklärte einmal in
einem Interview, an dem ich teilnahm, er sei der festen Auffassung, die
Furcht der Russen vor den Deutschen - das sind heutzutage lediglich die
Westdeutschen - sei keineswegs geschwunden. Irgendein konstruktiver Vor
schlag von unserer Seite, der diese Furcht bannen könnte, würde uns,
wie Nehru hinzufügte, nicht nur die Wiedervereinigung, sondern auch eine
größere außenpolitische Beweglichkeit ermöglichen. Ich erwähne diesen
Vorschlag Nehrus - immerhin eines der größten lebenden Staatsmänner -
nicht deshalb, weil mir seine Verwirklichung einfach oder möglich er
scheint, sondern weil aus ihm das Gefühl spricht, man müsse guten Freun
den hin und wieder auch einen guten Rat geben.
Ich möchte aber nun ohne Umschweife den Kern meiner Ausführungen an
steuern. Bis Kriegsausbruch beschränkte sich die wirtschaftliche Zusam
menarbeit Deutschlands mit Indien auf den Austausch indischer Rohstoffe
gegen deutsche Verbrauchsgüter. Über die Hälfte dieses Handels lief je
doch über dritte Länder, vor allem über England. Inzwischen geht In
dien seinen eigenen wirtschaftlichen Weg. NEHRU sagte hierzu auf der
bereits erwähnten Ausstellung "India 1958", die anläßlich der Weltbank
tagung in Neu-Delhi eröffnet \l1urde: "Alle Menschen Indiens sind Wegge
nossen. Einst waren sie es auf der Reise in die Freiheit und Unabhängig
keit Indiens. Es gab aber kein Ausruhen am Ziel. Wir sind aufgebrochen
zu einem neuen Ziel, nämlich dem des Aufstiegs von Millionen Menschen.
Von 1950/51 bis 1955/56 wurde der erste Fünfjahresplan erfolgreich ver
wirklicht. Indien befindet sich jetzt mitten im zweiten Plan. Der Weg
ist steiler und beschwerlicher geworden".
Duldende Wunschlosigkeit hat die Inder viele Jahrhunderte ein unvorstell
bares Elend ertragen lassen. Jeder, der Indien besucht, wird davon
Sei te 82
e~griffen sein. Schon vor 40 Jahren meinte TAGORE jedoch: Indien müsse
die Fenster weit öffnen, um Luft aus allen Ländern hereinzulassen. Nicht
nur aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und finanzieller Bedrängnis wer
den die Fünfjahrespläne in enger Zusammenarbeit mit vielen Nationen ver
wirklicht. Es steht dahinter die Einsicht Tagores, man könne draußen
viel lernen.
Das System der indischen Wirtschaft hingegen ist nicht von draußen über
nommen. Es entspricht vielmehr der einmaligen Situation. Die Unruhe der
l1assen, die erwacht sind; empfindlicher Mangel an Unternehmern im euro
päischen Sinn; fehlendes Sparkapital. Sozialistische Grundzüge sind mit
liberalen Aspekten verknüpft. Wiederholt hat NEHRU betont, er sei kein
unbedingter Anhänger einer staatlich gelenkten Wirtschaft, schon weil
sie zentralistisch und mit erheblichem Reibungsverlust arbeite. Doch
könne der gewaltige Aufbau nicht ohne staatliche Mitwirkung gelöst wer
den. Man müsse ferner verhindern, daß sich wirtschaftliche Macht - noch
mehr als bislang schon - in den Händen weniger zusammenballe.
Ein weiteres Mißverständnis lassen Sie mich gleich zu Anfang aufklären.
Die indischen Planungen beziehen sich nicht vorzugsweise auf monumentale
Stahl werke, von denen man bei uns so viel hört. Ihren Sch,,,erpunkt haben
sie vielmehr im Dorfe, in der kleinen und mittleren Industrie. Professor
ERHARD hat den indischen zweiten Plan in einem Interview mit der größ
ten indischen Zeitung "Times of India" als durchaus abgewogen bezeichnet.
"Insbesondere sind die Vorkehrungen zur Modernisierung der LandHirt
schaft sowie zur Ausdehnung der Kleinindustrie, der Genossenschaftsbe
wegung und der technischen Ausbildungsmöglichkeiten im Verhältnis zu den
großen Projekten gut ausgeglichen", hob der Bundeswirtschaftsminister
hervor.
Typisch für die Erschließung Indiens und seiner weiten Gebiete sind
wahrscheinlich die großartigen Mehrzweckprojekte, die Überschwemmungen
verhindern, bewässern, sowie elektrische Energie bereitstellen sollen.
Der von den Besuchern am meisten bestaunte Bhakra-Nangal-Damm am Fuße
des Himalaja wächst 250 m hoch in die Felsen hinein. Er ist der höchste
Betonschüttdamm der Welt, dem 5 000 km Bewässerungskanäle angeschlossen
sind. Deutsche Firmen liefern hier Kräne, Fluttore, Telefonanlagen und
vieles mehr. Ein anderes Beispiel ist das Koyna-Projekt im Staat Bombay.
Ein Stausee von 34 km Länge soll 1 l~d. cbm Wasser fassen. Kraftwerke
werden 1/2 Mrd. kW erzeugen und damit die südliche Hälfte des Staates
Bombay ausreichend versorgen. Hier sind ausschließlich deutsche Spezial-
Sei te 83
firmen beschäftigt. Für zahlreiche andere Großanlagen dieser Art liefern
wir Bagger, Turbinen und Generatoren, Pumpen, Schaltanlagen us"r.
Die Nutzbarmachung des Grundwassers ist nicht minder wichtig. Allein im
Staat Uttar Pradesh hat ein deutsches Unternehmen im Flußgebiet des
Ganges und seiner Nebenflüsse 850 Brunnen gebohrt. Ich erwähne dies be
sonders, weil es gleichzeitig erkennen läßt, daß es sich bei den deut
schen Aufträgen für Indien nicht einfach um "Lieferungen" handelt. Da
die Industrie Indiens, ebenso wie alles andere, was mit rationeller Wirt
schaft zu tun hat, noch in den Kinderschuhen steckt, ist damit jeweils
die Einarbeitung indischer Fachkräfte verbunden. Sie erfordert von den
deutschen Ingenieuren und Werkmeistern Geduld, Einfühlungsvermögen und
manche Entbehrung.
So war es z.B. beim Brunnenbohren. Die zunächst 35 deutschen Ingenieure,
Bohrmeister und Kaufleute wohnten mit ihren indischen Kollegen allen
Unbilden der Witterung zum Trotz in Zelten, um möglichst nahe der Bau
stelle zu sein. So rasch konnten die Inder angelernt werden, daß von
den acht Bohrkolonnen, die Mitte 1953 eingesetzt wurden, bei Abschluß
der Arbeiten im letzten Jahr die Hälfte nur mit indischen Kräften arbei
tete.
Ich möchte Ihnen noch einige weitere Beispiele gerade aus der Landwirt
schaft anführen, weil sie bei der Betrachtung leicht vernachlässigt
wird.
Die ersten Schritte zu einer modernen Milchwirtschaft mit deutscher
Assistenz sind getan. Obwohl es über 200 Mill. Stück Rindvieh und Was
serbüffel gibt, und dies etwa ein Fünftel des Rinderbestandes der Welt
darstellt, ist die durchschnittliche Milchversorgung der Bevölkerung
bislang völlig ungenügend. Sie beträgt nur ein Drittel des Mindestver
brauchs, der für eine ausgeglichene Ernährung empfohlen wird.
In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren soll sie daher um etwa 40%
erhöht werden. Ein erster Schritt wurde in Bombay mit der Zusammenfas
sung des herumlaufenden und größtenteils verwahrlosten Rindviehs zu
ein€r Milchkolonie getan. Die Viehhalter wurden zu einer Milchgenossen
schaft zusammengeführt. Die Milchkolonie von Bombay versorgt bereits
50% der Zweieinhalb-Millionen-Stadt. Diese Kolonie liefert frische Milch
mit gleichbleibendem Fettgehalt. Nachdem die Milch früher nur pasteuri
siert wurde, um sie einige Zeit aufzubewahren, ist Mitte 1958 eine
Sterilisierungsanlage deutscher Fertigung in Betrieb genommen, wodurch
sich die gute Qualität sechs bis acht Monate erhalten läßt.
Seite 84
Diese Anlage, einschließlich Vorrichtung zur Flaschenabfüllung, wurde
vom Internationalen Kinder-Notfonds der Vereinigten Nationen geschenkt.
Derartige Milchkolonien haben in Indien auch deshalb eine große Zukunft,
weil der Genuß alkoholischer Getränke durchweg verboten ist, also die
Herstellung von Milchgetränken aller Art sehr lohnt.
Zuckerrohrpflanzungen sind eine wichtige Basis der landwirtschaftlichen
Kaufkraft. Schon heute wird Zucker exportiert. Von 1930 bis Kriegsende
wurden 150 Zuckerfabriken errichtet. Seitdem sind weitere dreißig be
stellt, die zu Beginn der Saison 1958/59, also gerade jetzt, in Betrieb
gehen. Von einschlägigen deutschen Firmen sind in den letzten Jahren
nicht lIeniger als neunzehn vollständige Zuckerfabriken in Auftrag genom
men worden, deren Auftragswert bei rund 100 Mill. DM liegt. Die Vera+
beitungskapazität beläuft sich jeweils auf etwa 1 000 t Rohr in 24 Stun
den. Auch zur Modernisierung bestehender Betriebe werden deutsche Lie
ferungen gern herangezogen, da Zuckerrohrmühlen, kontinuierliche Filter
und Zentrifugen, die deutsche Firmen entwickelten, sehr geschätzt und
vom Zuckerinstitut in Kanpur mit dem höchsten Lob bedacht worden gind.
Zusammen mit einem indischen Unternehmer errichtet eine deutsche Firma
bei Poona eine Fabrik, die Maschinen fürZuckerfabriken baut. Damit hat
die indische Industrie einen weiteren Schritt zur Selbstversorgung getan.
Im Bereich der Düngemittelversorgung sind von deutscher Seite seit Jah
ren steigende Mengen von Ammoniumsulfat und Harnstoff eingeführt worden.
Die deutsche Wirtschaft beteiligt sich auch an der Errichtung von Dünger
fabriken, deren Ausgangsstoffe von Kokerei- und Kohlenwertstoffgewin
nungsanlagen bereitgestellt werden.
Die Kleinindustrie und vor allem die dörfliche Heimindustrie, die über
die Spinnerei und Weberei hinaus en+'wickelt werden soll, stellt eine
zusätzliche Einnahme für die bäuerliche Bevölkerung dar, die wegen der
Monsunperioden nur einen Teil des Jahres beschäftigt ist. Sie braucht
vor allem einfache und billige Maschinen, die man besser "maschinelle
Vorrichtungen" nennt. Wartung und Ersatzteildienst dürfen keinen beson
deren Aufwand erfordern.
Die indische Regierung könnte es deutschen Unternehmern, die derartige
l1aschinen schon vielfach geliefert haben, übrigens einfacher machen, wenn
sie deutschen Beauftragten den Aufenthalt ohne Schwierigkeit genehmigen
oder verlängern würde, damit sich diese an Ort und Stelle gründlich in
formieren können und auch Zeit haben, die notwendigen Erklärungen und
Anweisungen abzugeben.
Sei te 85
Eine Industrie kann auf dem Lande nur ausnahmsweise angesiedelt werden,
weil von 560 000 Dörfern nur 4 500, also nicht einmal eins unter hundert,
Elektrizität haben. Bis 1961 sollen es 10 000 sein. Es kann daher nur
eine hand' ... erkliche Betätigung als Zusatzerwerb aufgezogen werden, i.eil
es keinen Strom gibt. Spinnen, Weben, Streichhölzer herstellen, Öl pres
sen, Seife machen, Schuhe anfertigen sind I1öglichkeiten, die systema
tisch gefördert werden. Leider läßt die Qualität zu wünschen übrig; denn
bei größeren Lieferungen sind die Stücke nicht gleichmäßig, so daß jedes
einzelne geprüft werden muß. Es geht in Indien eben vorläufig :1icht
darum, Arbeitskräfte zu sparen, sondern möglichst viele zu beschäftigen.
Jeder, der eine indische Baustelle gesehen hat, weiß das.
Landwirtschaft, verbunden mit Heimindustrie, ist die erste - und ich
möchte ausdrücklich sagen wichtigste - Säule der wirtschaftlichen Ent
wicklung Indiens. Die zweite Säule ist der Verkehr im weitesten Sinn.
Auch hier sind deutsche Unternehmen in zahlreichen Fällen liefernd und
beratend beteiligt.
Eine Lübecker Werft fungiert als technische Beraterin der staatlichen
Hindustan Shipyard in Visakhapatnam, nachdem eine französische Beratungs
firma dort Schiffbruch im wahrsten Sinne des Wortes erlitten hat. Ins
gesamt lieferten deutsche \lerften seit 1954 siebzehn Schiffe mit je
durchschnittlich 7 000 BRT. Auch im Hafenbau stehen Deutsche nicht zu
rück;" es sei nur an den Ausbau des Hafens Kandla im Nordwesten erinnert,
d~r als sechster großer Hafen des Landes Karachi ersetzen soll. Die Pla
nung geht auf ein Gutachten von Professor Dr. AGATZ, Bremen, zurück. Die
erste Baustufe, die einen Umschlag von fast 1 I1ill. Jato, darunter die
Hälfte Öl, ermöglicht, wurde bereits 1957 abgeschlossen. Die Arbeiten
werden von einer deutschen Tiefbaufirma zusammen mit einem indischen Un
ternehmen durchgeführt. Das Gesamtprojekt liegt bei 120 Mill. DM. Wahr
zeichen des Hafens Calcutta ist ein 48 m hoher Kran von 200 t Tragkraft
deutscher Herstellung, der Juli 1957 der Hafenbehörde betriebsfertig
übergeben ''''urde.
Herr von MITTERWALLNER hat Ihnen über die Tätigkeit seines Unternehmens
in Indien berichtet. Ein anderes Unternehmen der Branche, das ebenfalls
schon vor dem Kriege Ersatzkessel in großer Zahl für Indien gebaut hat,
lieferte seit 1953 rund 300 Lokomotiven. Zahlreiches Schienenmaterial,
ferner hydraulische Getriebe, 90 Rahmenwagen für schwere Dampflokomoti
ven, viele Treibstangen und Radsätze kamen in den letzten Jahren aus
der Bundesrepublik . Bemerkensi·rert ist der Auftrag auf 100 Elektro-Loko-
Sei te 86
motiven, der vor Jahresfrist an ein europäisches Konsortium von Elektro
firmen vergeben wurde, von denen fünfzig in der Bundesrepublik herge
stellt und ausgerüstet warden.
Gemeinsam mit der Hindustan Aircraft Ltd. baut ein deutsches Unternehmen
selbsttragende Ganzstahl-Waggons. Dasselbe Unternehmen hat zahlreiche
Triebwagenzüge für Hafenbahnen abgeliefert. Es würde zu weit führen, die
zahllosen Betriebe zu nennen, die auf deutscher Seite als Zulieferer für
indische Eisenbahnen bzw. für Eisenbahnwerkstätten, darunter vor ~llem
die Integral Coach Factory in Perambur bei Madras und die Chittaranja
Locomotive Works in Chittaranja bei Calcutta tätig sind.
Neben Landwirtschaft und Verkehr steht die Industrie als dritte Aufbau
säule. Auch hierüber haben Sie bereits Wichtiges gehö:r:t. Die Großi'ndu
strie ist erst im zweiten Plan richtig angelaufen. Für sie sind nahezu
10 Mrd. DM oder das Dreieinhalbfache der im ersten Plan genannten Summe
vorgesehen.
Nicht weniger als 88% der Hütten- und Walzwerkeinrichtungen, die 1957 angeliefert wurden, kamen aus der Bundesrepublik; ähnlich ist der deut
sche Anteil bei BergFerksmaschinen. Daß die Bundesrepublik ferner
zu drei Vierteln an den aus den bedeutendsten Konkurrenzländern bezoge
nen Papiermaschinen beteiligt ist, ersc.heint ebenso aufschlußreich
wie die zwei Drittel aller nach Indien gelieferten Zementnaschinen, die
aus der Bundesrepublik stammen.
Immer wieder haben deutsche Firmen Leistungen auf neuen Gebieten voll
bracht. Sie liefern Anlagen zur Aufbereitung von Bambus für die Zell
stofferzeugung, hydraulische Pressen für Sperrholz- und Hartfaserplatten.
Nicht weniger als hundert kleinere und mittlere Sperrholzfabriken gibt
es, die ihre Wirtschaftlichkeit durch moderne Einrichtungen steigern
' ... ollen.
Gut eingeführt haben sich Furniertrockner, welche die Tee-Exporteure
mit Kisten versorgen. Voraussetzung hierfür war der Übergang von der
Sonnentrocknung zur künstlichen. Allein von 1955 bis 1957 hat ein deut
sches Unternehmen 40 Fabriken, die Teekisten bauen, mit derartigen
Trockenanlagen ausgerüstet. Ein weiterer Schritt zur Förderung des indi
schen Tee-Exports bestand in der deutschen Lieferung automatiGcher Ver
packungsmaschinen, insbesondere für Teestaub-Packungen. Auf diese Weise
tragen wir unmittelbar zur Hebung des indischen Exports bei.
Seite 87
Ein weites Feld, das in Zukunft immer wichtiger werden wird, ist die
deutsch-indische Gemeinschaftsproduktion. Sollte doch die deutsche Hilfe
für Indien in erster Linie - wie Professor ERHARD in Neu-Delhi betonte -
über private Investitionen erfolgen. NEHRU sagte uns einmal: "Wir sind
nicht gegen Gemeinschaftsgründungen mit Auslandsfirmen, obwohl wir aus
Erfahrung ein instinktives Mißtrauen gegen jeden Einfluß von draußen
haben".
Im Dezember 1957 eröffnete Industrieminister SHAH ein Werk für Gruben
lampen und Transformatoren, das ebenso eine deutsch-indische Gemein
schaftsproduktion darstellt, wie ein solches für Kolbenringe; Zündkerzen
und Einspritzpumpen werden in Bangalore von einer Gemeinschaftsfirma
seit einigen Jahren produziert.
Beispielhaft ist die enge Zusammenarbeit im Werkzeugsektor. Die staat
liche Hindustan Machine Tools hat mit einem Berliner Unternehmen vor
etwa zwei Jahren einen Vertrag auf Zusammenarbeit geschlossen, der die
ungünstigen Erfahrungen ausschalten sollte, die Hindustan machte, als
versucht wurde, die ersten Drehbänke ganz aus heimischen Teilen zu bauen.
Inzwischen hat Hindustan I~chine Tools sein Produktionsprogramm we~ent
lieh erweitert; mit einem Kölner Unternehmen wurde ein zusätziicher
Lizenzvertrag für Radialbohrer geschlossen. Qualität und Preis der in
Bangalore gebauten \verkzeugmaschinen sind bereits international kon
kurrenzfähig geworden.
Der Ausbau einer staatlichen chemischen Industrie wird von der Entwick
lungsabteilung im Ministerium für Schwerindustrie gesteuert, die von Dr.
NAGARAJO RAO, der in Charlottenburg als Chemiker promoviert hat, gelei
tet wird. Die Kohlen1Vertstoffe der Hüttenindustrie dienen als Ausgangs
rn,aterial der organisch-chemischen Industrie. Ferner wird eine eigene
Zwischenproduktion für Farbstoffe und Heilmittel aufgebaut, wobei eine
staatlich kontrollierte Gesellschaft mit führenden deutschen Firmen der
Farbstoffindus~rie in Partnerschaft gehen dürfte.
Auf der diesjährigen Tagung der indischen Pharmazeutik betonte Dr. K.A.
HAMIED, Gründer und Leiter eines der größten Unternehmen der Branche,
der sich ebenfalls in Deutschland seinen Doktorgrad erworben hat, Indien
werde sich bemühen, nicht hinter anderen Nationen zurückzubleiben. Auch
auf diesem Gebiet sind inzwischen Gemeinschaftsunternehmen für pharma
zeutische Chemikalien, Pflanzenschutzmittel, Farbstoffe sowie Kunststoffe
zusammen mit einschlägigen deutschen Firmen gegründet worden.
Sei te 88
Diese Zusammenarbeit hat nicht nur materie-lle Gründe, ist also nicht
etwa lediglich eine Folge der Devisenknappheit und des damit verbundenen
Unvermögens, ausländische Anlagen zu kaufen, sondern geht - wie immer
wieder betont werden muß - viel stärker auf die damit verbundene Schulung
und Forschung zurück. Es kann sogar behauptet werden, daß die Ausrüstung
mit Fachleuten wichtiger ist als diejenige mit Kapital, die lediglich
aus zeitbegründetenÜberlegungen im Vordergrund steht.
Ministerpräsident NEHRU hat in seiner ebenso klaren wie anschaulichen
Art wiederholt erklärt, die Welt ändere sich rasch und jedes Land zer
störe sich selbst, das nicht Schritt mit der Zeit halte. Durch politi
sche Ideologien lasse sich im Gegensatz zum erfinderischen Genius kein
Wohlstand erzeugen. Das hat Indien seit der Unabhängigkeit am eigenen
Leibe bitter erfahren. Auf der einen Seite besteht ein immer mehr wach
sendes geistiges Proletariat, das politischen Zündstoff zusammenträgt;
auf der anderen fehlt es dringend an Ingenieuren und Technikern für
neue Industriebetriebe. Nur in praktischer Ausbildung kann der junge
l1ensch das Gefühl für Material, für die VerHendungsfähigkeit von Kunst
stoffen bekommen.
Im Frühjahr 1955 verpflichtete sich die Bundesrepublik in einem Abkommen,
technische Kenntnisse, wissenschaftliche Erfahrung sowie Möglichkeiten
der technischen Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Bereits seit 1952
läuft eine deutsch-indische Zusammenarbeit in Form der Vermittlung von
Praktikantenstellen und Studienplätzen in der Bundesrepublik, die inzwi
schen immer mehr ausgeweitet worden ist. Hierzu hat die mit Lieferungen
an Indien beschäftigte Industrie viel beigetragen.
Zahlreiche deutsch-indische Freundschafts-Organisationen hüben und drüben,
es mögen insgesamt 30 sein, sorgen für enge persönliche Fühlung, ohne
die eine Ausbildung, die auch die menschlichen Beziehungen pflegt, gar
nicht durchzuführen ist. Im übrigen ist die Bundesrepublik dasjenige
europäische Land, das seit einigen Jahren die meisten Hittel zur Ausbil
dung von Fachkräften oder zur Forschung in Entwicklungsländern bereit
stellt •
Han unterscheidet in Bonn folgende fünf Gruppen von Vorhaben, bei denen
Indien jeweils an bevorzugter Stelle berücksichtigt wird:
1. Ausbildungsstätten in Entwicklungsländern, insbesondere Schulen auf
wirtschaftlich technischem Gebiet
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2. Mustereinrichtungen, wie Prototyp-Werkstätten, landwirtschaftliche
Musterbezirke oder Mustergüter
3. Entsendung deutscher Sachverständiger
4. Aufnahme von Praktikanten und Stipendiaten
5. Volkswirtschaftliche Vorplanungen wie Anlage von Häfen, Förderung
von Bodenschätzen, Projekte des Gesundheitswesens.
Im zweiten FünfJahresplan soll die Zahl der technischen Lehranstalten
nach der Art unserer Ingenieurschule von 128 auf 153 erhöht werden. In
Kharagpur, das mitten im indischen Ruhrgebiet liegt, welches sich land
einwärts Calcutta anschließt, wo auch Rourkela oder Jamshedpur, Sindri
und Chittaranja, Durgapur und Bokaro zu finden sind, wurde 1951 mit
deutscher Beteiligung die erste Technische Hochschule, das "Indian In
stitute of Technology" gegründet. Hierbei hat Professor Dr.Ing.R.A.KRAUS
tatkräftig mitgewirkt. Außerdem trafen wir dort 1957 zwei weitere deut
sche Professoren.
Es werden nun drei weitere Technische Hochschulen gebaut bzw. geplant.
Die eine ersteht im Süden bei Madras mit deutscher Unterstützung, die
andere im Westen unter den Fittichen der UNESCO mit russischer Beteili
gung, die dritte soll in Kanpur, also im Norden, wahrscheinlich mit
amerikanischer Hilfe entstehen.
Für das sogenannte Deutsche Institut hat die Bundesregierung 15 Mill.DM
für die Ausrüstung, Laboratorien, Werkstätten, Zeichenbüros usw. be
willigt. Sie stellt außerdem zHanzig Lehrkräfte und vier Werkmeister auf
drei bis fünf Jahre zur Verfügung. Es werden neun wissenschaftliche Ab
teilungen und eine Anzahl von Werkstätten, darunter eine solche für
Instrumentenmacher, errichtet, auf die Indien größten Wert legt, da es
sie dort bislang noch nicht gibt.
Im Juli 1959 soll diese technische Lehranstalt, die von deutscher Seite
durch den bereits er'vähnten Professor KRAUS vorbereitet wird, eröffnet
werden. Wenn sie nach fünf Jahren voll in Betrieb ist, befinden sich
2 000 Studenten gleichzeitig in der Ausbildung. Der Andrang zum Studium
ist ungeheuer. Bereits in Kharagpur wurde mir gesagt, daß von 4 000
Bewerbern jeweils nur 350 angenommen werden können. Einige Lehrkräfte
in Madras werden Studenten aus Kharagpur sein, die damals auch Deutsch
lernten, dann in die Bundesrepublik gingen, hier als Konstrukteure aus
gebildet wurden und nun mit reichem theoretischen und praktischen Wissen
in ihre Heimat zurückkehren. Das Institut in Madras bzw. die großzügige
Seite 90
deutsche Unterstützung hierfür wurde Premierminister NEHRU als Geschenk
bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Mitte 1956 angeboten.
Auch in der z\.rei ten Gruppe der Bonner Hilfe für Entwicklungsländer, näm
lich den Muatereinrichtungen, ist Indien vertreten. Bundesaussenminister
von BRENTANO hat NEHRU bei einem Besuch in Neu-Delhi im März 1957 das
Projekt einer Prototyp- und Lehrwerkstätte als Geschenk überreicht. Die
ses Projekt wird ein bedeutsames Zentrum im Rahmen der fünfzig "Indu
strial Estates" sein, die Industrieminister SITAR für den zweiten Fünf
jahresplan vorgesehen hat. Es entsteht in Okhla am südlichen Stadtrand
von Neu-Delhi und wird sich vor allem, wie schon der Name andeutet, mit
der praktischen und theoretischen Ausbildung von Fachkräften für die
Kleinindustrie befassen. Die Aufgaben sind im wesentlichen
a) Prototypen zu entwickeln
b) ihre Weitergabe an die Kleinindustrie zum Nachbauen
c) Ausbildung von Technikern
d) Durchführung gewisser sehr feiner Arbeiten, welche die Klein
industrie vorerst noch nicht leisten kann.
Deutsche Spezialfirmen der Werkzeugmaschinenindustrie liefern die not
wendigen Maschinen. Die Bundesregierung hat rund 4,5 Mill. DM bereit
gestellt für Geräte und Maschinen, sowie sechzehn deutsche Fachleute
als Lehrer und Werkmeister.
Dieses Zentrum bei Okhla soll beispielgebend für andere werden. Jede
einzelne Werkstatt wird so eingerichtet, daß sie entweder selbst Muster
für einen kl~inen Fertigungsbetrieb ist oder mit ver~randten Werkstätten
zusammengefaßt einen genossenschaftlichen Betrieb bilden kann.
Entscheidend sind die Lehrwerkstätten. Um die Vorbereitung und Durch
führung hat sich der Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten verdient
gemacht. Als deutscher Direktor, der für Ausbildung und Produktion ver
antwortlich ist, wurde Dr. Walter MISCHKE, Direktor der Vereinigten Tech
nischen Lehranstalten in Koblenz, als indischer Direktor, der vor allem
für die Verwaltung zuständig ist, Professor BOHRA bestellt. Die gewerb
lichen Gebäude entstehen übrigens aus vorfabrizierten Betonplatten, wo
durch gleichzeitig die Anregung zu einem neuen Industriezweig in Indien
gegeben werden soll. Etwa Mitte nächsten Jahres soll der Lehrbetrieb
aufgenommen werden.
Es gibt noch manche anderen Wege, auf denen sich die Bundesrepublik an
der früher schon behandelten "Aktivierung des Dorfes" beteiligt. Eine
Sei te 91
Delegation landwirtschaftlicher Experten unter Führung von Professor
Dr. Hans SCHILLER von der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim
prüft z.B.,wie sich Unternehmen der Bundesrepublik mit ihren Erfahrungen
an den dörflichen Projekten, den sogenannten Community Projects, mög
lichst intensiv beteiligen können.
Diese außerordentlich starke Beteiligung an der Entwicklung Indiens
bewirkt, daß Indien nach USA unser stärkster überseeischer Abnehmer ist.
Der deutsche Aktivsaldo im Handel mit Indien hat sich von 1956 auf 1951
um etwa 40% erhöht. Er dürfte für das laufende Jahr rund 1 Mrd. DM aus
machen. Soviel kaufte Indien in diesem Jahr; mit anderen Worten: mehr
von uns, als wir von ihm.
Dieses krasse Mißverhältnis ist der eine Grund der indischen Devisen
misere. Wie läßt sie sich mildern?
Zunächst müssen sich die Inder mehr bemühen, den deutschen Markt und
seine Bedürfnisse kennenzulernen. Es gibt nicht mehr als drei indische
Geschäftsleute in der Bundesrepublik gegenüber einigen Tausend in Groß
britannien. Deutschen Kaufleuten müßten Visum und Aufenthalt für Indien
einfacher als bislang gegeben werden. Die Bundesrepublik hat Absatz
delegationen eingeladen und Marktexperten nach drüben geschlckt.
Die deutsche Einfuhr ist bis auf wenige Ausnahmen liberalisiert. Indien
muß also grundsätzlich konkurrieren. Über Kontingente klagt Indien bei
pflanzlichen Ölen, Jutewaren, Baumwolltextilien. Der Zoll für Jutegewebe
beträgt 20%, für handgefertigte Baumwollgewebe 1%. Außerdem ist der
Rückgang der Rohstoffpreise (Tee, Kaffee, Glimmer, Erze usw.) für den
Devisenmangel Indiens verant~ortlich. Hierzu sagte Professor ERHARD in
einem Vortrag vor dem Indian Council of World Affairs in Neu-Delhi u.a.:
Vor allem müssen die Industrieländer auch bereit und in der Lage sein,
die Landesprodukte der Entwicklungsländer in zügigem Fluß abzunehmen.
Eine weltweite Stabilisierung der Konjunktur würde gerade den Entwick
lungsländern Schutz und Sicherheit bieten. Ähnlich hat sich die in Genf
tagende Konferenz des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) aus
gesprochen und wörtlich in eine:ftl Gutachten erwähnt: "Es mag eine natür
liche und wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung sein, daß relativ arme
und dichtbevölkerte Länder wie Indien und Hongkong arbeitsintensive
Industriewaren ausführen sollten, um Nahrungsmittel wie Weizen aus hoch
entwickelten Ländern wie Kanada, Australien oder USA einzuführen". Man
kann einen Schritt weitergehen und einen neuartigen Güteraustausch z1~i
schen Entwicklungsländern und alten Industrieländern sich entfalten
Sei te 92
sehen. Übersee liefert einfache Industriegüter, die viel Handarbeit
erfordern, wir dagegen solche von hoher Präzision und Leistung. Vergessen
wir nicht, daß die Kaufkraft eines Entwicklungslandes wie Indien noch
riesige Reserven birgt. Es wird sich eine ganz neue Nachfrage herausbil
den, die man selbstverständlich nur dann in Form von Lieferungen befrie
digen kann, wenn man dem Land entsprechende Güter abnimmt. Außenhandel
war noch immer eine Zweibahnstraße. Umstellungen sind im Einzelfall
schmerzlich, im Außenhandel aber doch an der Tagesordnung, wenn wir nur
die unaufhaltsame Verlagerung unserer Ausfuhr von Konsum- auf Investi
tionsgüter betrachten. Den mit einem Protektionismus heute wieder stark
liebäugelnden Teilen unserer Wirtschaft möchte man nicht die verheerenden
Folgen eines Exportrückganges um - sagen wir - nur 20 bis 30% wünschen.
Soll man wegen der Zukunft Indiens besorgt sein? Gewiss sollte man es.
Wenn aber der Westen seine moralische Verpflichtung fühlt, wird Indien,
dessen Wirtschaft im Kern gesund ist, seine Planungen verwirklichen
können. Wir dürfen besonders optimistisch sein im Anschluß an Äusserun
gen führender Vertreter des Westens auf der Weltbanktagung in Neu-Delhi.
Professor ERHARD reiste nicht zuletzt nach Südasien, um für die künfti
gen Beratungen der Bundesregierung zur Entwicklungshilfe Eindrücke und
Erfahrungen zu sammeln.
Lassen Sie mich zum Schluß und als Ausblick auf die Zukunft der deutsch
indischen wirtschaftlichen Beziehungen kurz einige Fakten sowie Thesen
umreißen, die Professor ERHARD bei verschiedenen Gelegenheiten in Indien
äußerte und die uns auf weitere fruchtbare Beziehungen hoffen lassen:
1. Professor ERHARD hat das indische Wirtschaftssystem nicht nur ver
standen, sondern auch gutgeheißen. Er sagte, "Dem einzelnen Menschen muß
die Chance der Entfaltung gegeben werden, und es muß ihm der Lohn der
Bewährung zufließen. In diesem Sinne bejahe ich den zweiten Fünfjahres
plan, der den Aufbau im wesentlichen von unten her besorgt."
2. Professor ERHARD befürwortet deutsche Investitionen in Indien. Indien
habe, so sagte er, einen guten Ruf. Aussichten für Investierungen seien
daher günstig. Kreditgeber müßten das Gefühl der Sicherheit haben. Immer
hin sei Indien die letzte Demokratie Südasiens. Als ideal hält Professor
ERHARD Beteiligungen in Betrieben zwischen 50 und 200 Beschäftigten.
Wie früher schon erwähnt, ist hier das betriebliche und technische Know
How am besten zu vermitteln.
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3. Man sollte den Aufbau einer Nadelindustrie in Indien nicht kritisie
ren, '''eil keine Fachleute vorhanden seien. Wo >varen sie vorhanden, als
es anfing? Aus einer solchen Kritik spricht Protektionismus. Was sollten
wir bei einem Exportüberschuß von in diesem Jahr wieder 5 Mrd.DM anderes
tun, als unseren Partnern großzügig zu helfen? Die Inder haben Professor
ERHARD wiederholt gesagt, daß sie mehr Ausbildung wünschen. Deutsche
Firmen lehnen jedoch gelegentlich indische Trainees ab, um sich keine
Konkurrenz zu schaffen! Im übrigen versucht Indien mit möglichst wenig
Devisen viele Fachkräfte auszubilden. So erhalten z.B. Ägypter als Trai
nees bei einem großen deutschen Werk einen Monatswechsel im Gegenwert
von 1 000 DM, Inder dagegen nur 350 DM. (Daß die Ägypter mit Kühlschrän
ken usw. reich ausgestattet sind, sei nur am Rande bemerkt.)
4. Der Prozess der Befreiung des Menschen aus Not und Armut würde im
Zuge der normalen wirtschaftlichen Selbsthilfe zu lange dauern. Ange
sichts des maßlosen Elends und des Entwicklungstempos in benachbarten
kommunistischen Ländern sind die Hestlichen Demokratien, wie Professor
ERHARD es ausdrückte, aus moralischer Verantwortung und Verpflichtung
ebenso wie aus politischer Zweckmäßigkeit zu helfen bereit.
5. Welcher Hilfsbetrag ist im zweiten Fünfjahresplan von draußen nötig?
Der Voranschlag war im öffentlichen Sektor rund 10 11rd. $ oder 40 Mrd.DM,
davon 7 11rd. DM als Devisenkredit. Im privaten Sektor sind 21 11rd. DM
vorgesehen. Aus den 7 I1rd. DM sind 10,5 I1rd. DM ge"lorden, so daß ein
Viertel der Plankosten von draußen finanziert wird; davon kommen fünf
Sechstel aus westliGhen Ländern.
6. Zu finanzieren sind noch rund 1 11rd • .$ (genau 950 Millionen). Davon
wurden im Augu.st in Washington auf Einladung der viel tbank 350 Millionen
als Soforthilfe für Zahlungen bis Ende März 1959 von den Hauptgläubigern
übernommen. Die Bundesrepublik übernahm 40 Mill. $, von den weiteren
600 Mill. $ will sie - wie Professor ERHARD in Neu-Delhi bestätigte -
60 Mill. $ übernehmen.
7. Großzügige Hilfen stellte in Neu-Delhi die Weltbank mit ihren Insti
tuten in Aussicht. Das haftende'Kapital der Weltbank soll um 100% er
höht werden. Bisher hat sie 3,2 Mrd. $ an Entwicklungsländer gegeben,
darunter 420 Millionen allein an Indien. DeI' WeltHährungsfonds, der
schwache Währungen vorübergehend stützt, will seine Quoten um 50% herauf
setzen. Das kommt vor allem Entwicklungsländern, also den Schwächeren
zugute, die von der Einzahlung 1·'eniger tragen, dafür aber von Fall zu
Fall mehr erhalten werden.
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8. In einem Interview mit der "Times of India" sprach Professor ERHARD
von deutschen Anschlußkrediten über fünf Jahre hinaus, wobei das politi
sche Risiko durch besondere Versicherung zu decken wäre. Hierbei würden
~or allem Länder profitieren, in denen dieses Risiko relativ gering ist,
z.B. Indien. Der Bundestag muß ein entsprechendes Gesetz noch gutheißen.
Zusätzliche Haushaltmittel werden für diese Kredite, um das noch kurz
zu sagen, grundsätzlich nicht gewährt. In Anspruch genommen werden soll
a) der freie Kapitalmarkt
b) der Fonds aus rückfließenden ERP-Mitteln mit insgesamt 260 Mill. DM;
im Hesentlichen für Anschlußkredite und Zinsverbilligungen.
Der Bundeshaushalt 1958 gibt ferner die Möglichkeit, Kredite bis zu
500 Mill. DM umzuschulden. Hierbei kann man an Rourkela denken. Unter
Einschluß dieser Umschuldungsmöglichkeit handelt es sich insgesamt um
einen Komplex von 1 Mrd. DM, der in dieser Höhe vom Bundeswirtschafts
minister in Indien genannt wurde. Im übrigen geht es im wesentlichen um
Garantien und Bürgschaften, die erst dann zur Inanspruchnahme von Haus
haltmitteln führen wür~en, wenn Geschäfte notleidend werden.
9. Entscheidend wird es sein, kurzfristige Kredite an Indien langfristig
zu konsolidieren, damit sie sich aus den Anlagen, für die sie gegeben
sind, bezahlt machen. Das Rourkela-Projekt z.B. hat ein Volumen von
1,2 Mrd. DM. Davon wurde im Frühjahr ein Prolongationskredit auf nur drei
Jahre gegeben. 1961 - 1965 kommen auf Indien Kredite im Gegenwert von
nicht "eniger als 4,5 Mrd. DM zu! Sinnvoll ist daher eine Regelung, wie
sie bei den erwähnten 40 Mil!. $ bzw. 168 Mil!. DM getroffen ,.urde, von
denen die letzte Rate erst in z,.anzig Jahren fällig 1.ird. Man muß reali
stisch sein, auch in seinen Zugeständnissen.
Diese aus der Reise Professor ERHARDS nach Asien, insbesondere nach
Indien, gewonnenen Eindrücke ','erden nunmehr von den zuständigen Gremien
verarbeitet. Sie lassen keine Zweifel daran, wie heute wohl schon gesagt
werden kann, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Indien auch in
Zukunft ebenso freundschaftlich und nützlich wie bisher sein 1.ird, und
daß es uns durchaus möglich ist, den indischen Markt als bedeutsamen
Lieferanten, insbesondere aber als früheren Abnehmer zu erhalten.
Ob wir es können, haben wir von Fall zu Fall zu beweisen! !
Sei te 95
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