Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter...

59
Dezember 2005 Herausgeber T. Ganswindt, D. Heuskel, C. Schläffer Wirtschaftliche und politische Chancen der Informationsgesellschaft

Transcript of Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter...

Page 1: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

Dezember 2005 Herausgeber T. Ganswindt, D. Heuskel, C. Schläffer

Wirtschaftliche und politische Chancen der Informationsgesellschaft

Page 2: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman
Page 3: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

i

Inhaltsverzeichnis

1 Vorworte.............................................................................................1

2 Management Summary .....................................................................5

TEIL I – ÜBERBLICK

3 Die ICT-Landschaft in Deutschland und Europa.............................7

4 Die deutsche ICT-Branche als Wachstumsmotor .........................11

TEIL II – WIRTSCHAFTLICHE UND POLITISCHE CHANCEN DER INFORMATIONS-GESELLSCHAFT

5 Wachstumsimpulse auf der Angebotsseite...................................15 5.1 Telco-Services-Provider ..........................................................15 5.2 ICT-Equipment-Hersteller........................................................19 5.3 Software und ICT-Services......................................................22

6 Wachstumsimpulse auf der Nachfrageseite..................................25 6.1 Öffentlicher Sektor...................................................................25 6.2 Privater Sektor.........................................................................28 6.3 Große Unternehmen................................................................32 6.4 Kleine und mittlere Unternehmen ............................................35

7 Wachstumsfördernde Rahmenbedingungen ................................39 7.1 ICT-Bildung und -Ausbildung...................................................39 7.2 Innovationscluster und Finanzierungsmöglichkeiten................42

TEIL III – AUSBLICK UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

8 Der ICT-Standort Deutschland im Jahr 2008 - ein Szenario .........45

9 Masterplan für mehr Wachstum durch ICT....................................47

10 Quellenverzeichnis..........................................................................51

11 Glossar .............................................................................................53

Danksagungen.................................................................................55

Page 4: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman
Page 5: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

1

1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman des Management-Teams das deutsche BCG-Führungsgremium. Der ICT-Sektor in Deutschland hat das Potenzial, die volkswirtschaftlich ein-flussreiche Rolle der Automobilbranche zu übernehmen: als Vorreiter für Qualitätsstandards, technischen Fortschritt und internationale Wettbewerbs-stärke. Die Leistungs- und Innovationsfähigkeit beider Wirtschaftszweige ist das Ergebnis großer Ingenieursleistungen, strategisch erfolgreicher Unter-nehmensführung sowie einer Vielzahl unterstützender Rahmenbedingungen, von der Infrastruktur über Bildungs- und Qualifikationssysteme bis hin zu Akzeptanz und Wertschätzung in der Gesellschaft. Und wie die Automobilin-dustrie die Mobilität und die Lebensgewohnheiten der großen Mehrheit der Menschen verändert hat, so verändert die ICT die Art und Weise unserer Kommunikation. Wenn es den weltweit agierenden deutschen Konzernen zukommt, eine Art „Leuchtturm“-Funktion zu übernehmen, so spielt die Qualität und Stärke der Anwendungs- und Zulieferindustrien speziell im ICT-Sektor eine entschei-dende Rolle. Sie verfügen, beispielsweise im Bereich der Softwareanwen-dung und ICT-Dienstleistungen, über das größte Wachstumspotenzial – auch in Form von Arbeitsplätzen. In ihrem Aktionsradius liegt zugleich der neuralgische Punkt: Gemessen an internationalen Standards werden Zu-kunftstechnologien in Deutschland von privaten Verbrauchern wie Unterneh-men vergleichsweise zurückhaltend genutzt. Stärkere Investitionen – auch von Seiten des öffentlichen Sektors – in moderne ICT-Produkte, -Systeme und -Anwendungen sind die eine, eine Verbesserung der ICT-Kompetenz eine zweite Säule. Zwar ist die in Deutschland besonders tief verwurzelte Technikskepsis mit Blick auf die ICT-Zukunft weit weniger ausgeprägt als etwa im Blick auf die Biotechnologiebranche; doch mehr Zuversicht in die bahnbrechenden Potenziale der ICT wäre wünschenswert. Aus Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen und aus wirtschaftlichem Potenzial Wachstum zu generieren erfordert Anstrengungen von vielen Sei-ten. Die vorliegende Studie zeichnet ein Bild des Ist-Zustandes im interna-tionalen Vergleich, analysiert die Chancen und prognostiziert die mögliche Entwicklung in die Zukunft. Sie versteht sich als ein Beitrag dazu, durch bes-sere Kenntnisse ein adäquateres Bild zu gewinnen – und Zuversicht: Im ICT-Sektor liegt für Deutschland die Chance, auf den Wachstumspfad zurückzu-kehren. Wir sollten diese Chance erkennen und gemeinsam ergreifen.

Page 6: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

2

Christopher Schläffer Christopher Schläffer ist als Corporate Development Officer der Deutschen Telekom für Konzernstrategie, Technologie & Innovation, Prozesse & IT,Venture Capital und das Center for Strategic Projects verantwortlich. „Das Telefon hat zu viele Mängel, als dass es ernsthaft als Kommunikati-onsmittel in Betracht kommen könnte.“ Wären die Pioniere der Telekommunikationsindustrie dieser Einschätzung eines Western Union Managers im Jahre 1876 gefolgt, hätte sich die Infor-mations- und Kommunikationstechnologie (ICT) nicht zu dem entwickelt, was sie heute ist: ein zukunftsgerichteter Wirtschaftssektor mit einem Markt-volumen von 631 Mrd. Euro allein in Europa. Daneben übt die Informations- und Kommunikationstechnologie einen starken indirekten Einfluss auf das Wachstum von Volkswirtschaften aus und übernimmt große Teile der Wert-schöpfung in der verarbeitenden Industrie oder im Dienstleistungssektor. Mittlerweile ist in Deutschland fast jeder zehnte Arbeitsplatz direkt oder indi-rekt an den ICT-Sektor gebunden. Auch wenn diese Zahlen belegen, dass die ICT-Branche die Wirtschaftskraft in Deutschland bereits in hohem Maße bestimmt, zeigen sich noch erhebli-che Wachstumspotenziale auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Deutschland liegt im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld und erwirt-schaftete in den vergangenen Jahren durch den Einsatz von ICT deutlich geringere Produktivitätsgewinne als etwa die USA und Großbritannien. Um die Wachstumspotenziale aus der modernen Informations- und Kommu-nikationstechnologie zukünftig besser auszuschöpfen, müssen die Innova-tionstätigkeit der ICT-Unternehmen und die Innovationsakzeptanz der Nach-frager zunehmen. Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefragt, aktiv an der Gestaltung der Informationsgesellschaft in Deutschland mitzuwirken: die An-bieter, die ihre internationale Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit durch attraktive Produkte und Dienste unter Beweis stellen müssen, der Staat, der klare Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit der ICT-Unternehmen schaffen muss, vor allem aber auch die Nutzer, die sich kontinuierlich einer Lernherausforderung stellen müssen, um mit der technologischen Entwick-lung Schritt zu halten. Nur durch gemeinsames Handeln und eine Begeisterung für die Möglichkei-ten moderner Informations- und Kommunikationstechnologie können wir Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb stärken!

Page 7: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

3

Dr. h. c. Thomas Ganswindt Dr. h. c. Thomas Ganswindt ist Mitglied des Zentralvorstands der Siemens AG und Vorsitzender des Bereichsvorstandes von Siemens Communicati-ons. Außerdem ist er Vorstandsvorsitzender der Initiative D21, Deutschlands größter Public-Private-Partnerschaft. „Handys, Computer, Internet, Software“ – das ungefähr wäre die Antwort eines Durchschnittsbürgers auf die Frage, was er mit Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) verbindet. „VW, Audi, DaimlerChrysler, Porsche, Arbeitsplätze“ – in dieser Art fielen die Antworten auf die gleiche Frage zur Automobilindustrie aus. Die Bedeutung der Autoindustrie wird für die Zukunft des Standorts Deutschland auch als wesentlich höher bewertet als die der ICT-Branche. Zu Unrecht, denn die Branche stellt mit jährlichen Ausgaben der End-verbraucher in Höhe von mehr als 130 Mrd. Euro den weitaus größten deutschen Industriesektor dar. An ihr hängen rund 750.000 Arbeitsplätze. Die allgemeine Fehleinschätzung wäre nicht weiter schlimm, würden die Chancen der Branche für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit trotzdem aus-reichend genutzt. Wie groß sind diese Chancen? Wie lang ist der Hebel, der schnell für mehr Wachstum, Innovationskraft und Bildung sorgen kann? Antworten auf diese und andere drängende Fragen für die Zukunft Deutschlands liefert diese Studie. Die Ergebnisse haben uns überrascht, denn das Potenzial ist deutlich größer als erwartet: Informations- und Kommunikationstechnologien könnten die deutsche Bruttowertschöpfung bis 2008 um rund 75 Mrd. Euro erhöhen. 27 Mrd. Euro könnte der öffentliche Sektor bis 2008 mit optimiertem ICT-Einsatz einsparen. Viele Innovationen u.a. im Fahrzeug- und Maschinenbau, in Telematik oder im Umweltschutz basieren auf ICT-Anwendungen. Daher wird eine ausgeprägte ICT-Industrie zunehmend wichtiger für die internatio-nale Wettbewerbsfähigkeit. Die Studie zeigt, an welchen Stellschrauben Politik und Wirtschaft jetzt dre-hen müssen. So sollte der öffentliche Sektor zum Vorreiter für IT-Anwen-dungen werden, beispielsweise im Bereich e-Government. Es wäre ratsam, auf oberster politischer Ebene den Posten eines Chief Information Officers (CIO) zu besetzen. Erforderlich ist aber auch, den Ausbau von breitbandigen Internetinfrastrukturen von staatlicher Seite anzukurbeln. Zudem bräuchte unsere Wirtschaft jedes Jahr 5.000 zusätzliche IT-Spezialisten. Die Schu-lung von ICT-Kompetenzen muss daher zum Bestandteil von sämtlichen Aus- und Weiterbildungsplänen werden. Auf der anderen Seite ist die Industrie gefordert, beispielsweise kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Produktivitätsvorteile durch den Einsatz von ICT-Technologien näher zu bringen. Erfolg werden wir nur dann haben, wenn Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen.

Page 8: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

4

Page 9: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

5

2 Management Summary Europa ist mit einem Volumen von 631 Mrd. Euro im Jahr 2004 der weltweit größte Markt für Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). In diesem Markt besitzt Deutschland mit mehr als 20 Prozent den größten An-teil aller europäischen Länder. Mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung von mehr als 130 Mrd. Euro und einem Anteil von 6 Prozent an der Bruttowert-schöpfung ist die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) heute der größte und bedeutendste Industriezweig in Deutschland – und liegt da-mit deutlich vor der Maschinenbau-, Automobil- oder Baubranche. Zudem trägt die ICT-Branche mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten gut ein Drittel zum Produktivitätswachstum in Deutschland bei. Gegen den gesamt-wirtschaftlichen Trend hat die ICT-Industrie in den vergangenen Jahren Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen, so dass mittlerweile fast jeder zehnte Arbeitsplatz in Deutschland direkt oder indirekt an den ICT-Sektor geknüpft ist. Die Unternehmen der deutschen ICT-Industrie haben in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für den Zugang und die Nutzung moderner In-formations- und Kommunikationstechnologie geschaffen: sei es durch die flächendeckende Verfügbarkeit des Mobilfunks, die Bereitstellung breitban-diger Internetzugänge oder das Angebot von Software und ICT-Services, die den Unternehmenssektor bei der Prozessoptimierung und Effizienzsteige-rung unterstützen. Zudem wurden wegweisende Innovationen und Industrie-standards in Deutschland geprägt – als prominentestes Beispiel kann hier sicherlich der Übertragungsstandard General Packet Radio Service (GPRS) genannt werden. Doch so positiv das Bild erscheinen mag und so dynamisch sich die ICT-Industrie in Deutschland entwickelt hat – der Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass andere Länder bestehende Chancen noch besser nutzen als wir in Deutschland. In den USA werden dank der Entwicklung und des Einsat-zes von ICT beispielsweise 30 Prozent höhere jährliche Produktivitäts-zuwächse generiert als in Deutschland. Und die Investitionen des öffentli-chen Sektors, der Unternehmen und der Konsumenten in Informations- und Kommunikationstechnologie liegen in Deutschland sogar um bis zu 50 Pro-zent unter den Vergleichsländern. Zudem hinkt die ICT-Kompetenz in Deutschland vergleichbaren Gesellschaften hinterher. Die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft müssen somit entschlos-sen handeln, um die Wachstumspotenziale aus moderner Kommunikations- und Informationstechnologie zu realisieren und die Innovations- und Wett-bewerbsfähigkeit des Standorts zu fördern. Als Grundlage für das gemeinschaftliche Handeln aller Akteure sollte ein nationaler ICT-Masterplan entwickelt werden, der folgende Aktionspunkte enthält:

• Integration der ICT-Bildung in die schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildungspläne („Vernetzte Lehre“, e-Learning)

• Ausbildung von 5.000 zusätzlichen Hochschulabsolventen für die ICT-Branche

• Förderung der ICT-Kompetenz und Breitennutzung in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung

• Stärkung der ICT-Nutzung im Mittelstand durch die Entwicklung und Kommunikation innovativer ICT-Konzepte

• Verstärkter Einsatz von e-Government und e-Health zur Realisie-rung von Produktivitätssteigerungen im öffentlichen Sektor

Page 10: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

6

• Aufbau von Gründungszentren und Innovationsclustern zur Förde-rung der Innovationsaktivitäten, Nutzung von Spill-over-Effekten und Verbesserung des Wissenstransfers

• Intensivierung der F&E-Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und verbesserte Allokation der Forschungsaktivitäten auf wirtschaftliche Akteure und öffentliche Institutionen

• Stärkung der Rechts- und Investitionssicherheit als Rahmen für die Schaffung einer international führenden Infrastruktur und eines wirk-samen Innovationswettbewerbs.

Zur Sicherstellung einer zügigen und effizienten Umsetzung des ICT-Masterplans sollte eine nationale CIO-Organisation geschaffen werden, die dem Kanzleramt angegliedert ist und die ressortübergreifende Koordination der Erarbeitung und Umsetzung einer nationalen e-Strategie übernimmt. Durch konsequente Umsetzung dieses ICT-Masterplans könnte Deutschland bis 2008 zu einem der führenden ICT-Staaten wachsen und damit seinen Beitrag zum Erreichen der ehrgeizigen europäischen Lissabon-Ziele leisten:

• Bei einer konsequenten Nutzung der vorhandenen ICT-Produktivitätspotenziale in allen Branchen könnte die Wirtschafts-leistung in Deutschland bis 2008 um bis zu 75 Mrd. Euro wachsen.

• Dadurch könnte eine positive Beschäftigungswirkung in der ICT-Branche und in Anwenderbranchen entfaltet werden.

• Im öffentlichen Sektor könnten durch die verstärkte Nutzung moder-ner Informations- und Kommunikationstechnologie rund 27 Mrd. Euro jährlich eingespart werden.

• e-Government-Anwendungen könnten Unternehmen und Bürger je-des Jahr direkt um etwa 10 Mrd. Euro entlasten.

• Die Kaufkraft der privaten Haushalte könnte sich zusätzlich um etwa 26 Mrd. Euro jährlich erhöhen.

Page 11: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

7

TEIL I – ÜBERBLICK 3 Die ICT-Landschaft in Deutschland und

Europa Europa ist mit einem Volumen von 631 Mrd. Euro im Jahr 2004 der weltweit größte Markt für Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). In diesem Markt besitzt Deutschland mit mehr als 20 Prozent den größten An-teil aller europäischen Länder. Europas Stärke im ICT-Sektor liegt insbesondere in den Bereichen Telekommunikationsdienstleistungen (Telco-Services) und ICT-Equipment. Derzeit steht der ICT-Sektor vor gravierenden Herausforderungen. Diese resultieren zum einen aus der zunehmenden Wettbewerbsintensität durch neue Technologien und Anbieter aus angren-zenden Industrien. Aber auch die Verlagerung der ICT-Produktion nach Asien und der Konsolidierungsdruck spielen eine erhebliche Rolle. All diese Faktoren wirken sich auf die Marktstrukturen und auf die Geschäftsmodelle der etablierten Akteure aus. Entwicklung der Marktvolumina in der ICT-Industrie Der europäische ICT-Markt umfasste im Jahr 2004 ein Marktvolumen von 631 Mrd. Euro.1 45 Prozent des Gesamtmarktes entfielen auf Telco-Ser-vices, 25 Prozent auf ICT-Equipment, 20 Prozent auf ICT-Services und 10 Prozent auf Software. Die Akteure der ICT-Industrie erschließen zunehmend auch Wertschöpfungsstufen aus angrenzenden Gebieten, vor allem in den Bereichen Medien und Entertainment. Insofern muss der Unterhaltungs-markt (online und offline) mit einem Volumen von 351 Mrd. Euro in Europa in die Betrachtung des Marktes einbezogen werden. Heute entfallen erst knapp 2 Mrd. Euro auf den Markt für Online-Content. Allerdings prognostizieren Experten diesem Bereich in den kommenden Jahren hohe Wachstumsraten. Daneben muss der Markt für Softwarekomponenten als Bestandteil techni-scher Produkte (Embedded Software) dem ICT-Sektor zugeordnet werden. In einzelnen Branchen wie Automobil- und Maschinenbau beträgt der Anteil von Embedded Software heute zwischen 9 und 15 Prozent der Wertschöp-fung. Bei Produkten für Telekommunikationsausrüstung sind bereits Wertschöpfungsanteile von mehr als 50 Prozent üblich. Im weltweiten Größenvergleich nimmt der europäische ICT-Markt die Spit-zenposition vor Japan und den USA ein (vgl. Abbildung 1). Allerdings unter-scheidet er sich in Bezug auf seine Marktstruktur und die Aufteilung auf die Segmente erheblich von diesen Vergleichsländern. So ist die Software- und ICT-Services-Industrie in den USA deutlich stärker entwickelt als in Europa, ihr Anteil liegt mit 42 Prozent etwa doppelt so hoch. Und in Japan nimmt der Markt für ICT-Equipment mit einem Anteil von 35 Prozent am Gesamtmarkt einen weit höheren Stellenwert ein als in Europa und in den USA. Hingegen ist die Bedeutung der Telco-Services-Industrie in Europa wesentlich stärker ausgeprägt als in den USA und liegt mit 35 Prozent des Marktvolumens zehn Prozentpunkte über dem entsprechenden Anteil in den USA.

1 Anmerkung zur Datenbasis dieser Studie: – Daten zu Nachfrage- und Marktvolumen auf Basis von EITO; Ergänzungen von IDC, Ovum,

Datamonitor – Daten zu Angebot, Bruttowertschöpfung, Produktivität und Beschäftigung auf Basis von Gro-

ningen Growth and Development Centre (GGDC), Statistisches Bundesamt Deutschland, Eurostat, OECD

Page 12: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

8

Telco-Services mit 45 Prozent Anteil das größte Segment im europäischen ICT-Markt

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

EuropäischerICT-Markt 2004

AmerikanischerICT-Markt 2004

JapanischerICT-Markt 2004

WeltweiterICT-Markt 2004

EuropäischerICT-Markt 2004

AmerikanischerICT-Markt 2004

JapanischerICT-Markt 2004

WeltweiterICT-Markt 2004

ROW24 %

Japan15 %

USA29 %

Europa32 %

41 %

7 %

35 %

27 %15 %

45 %

1.959 Mrd. €

289 Mrd. €

576 Mrd. €

631 Mrd. €

Anmerkung(en): ICT-Markt ist definiert als Summe der Endverbraucherausgaben für ICT-Produkte Quelle(n): EITO 2005, Seite 201ff

25 %

11 %20 %

22 %

35 %17 %

Mrd. €

ICT-Services

Telco-Services

Software

ICT-Equipment

Mit einem Volumen von mittlerweile mehr als 130 Mrd. Euro und einem An-teil von mehr als 20 Prozent stellt Deutschland den größten Markt innerhalb Europas dar, gefolgt von Großbritannien mit einem Anteil von 18 Prozent. Wie im gesamten europäischen Markt entfällt auch in Deutschland das Vo-lumen des ICT-Marktes mit 43 Prozent zum größten Teil auf Telco-Services. Marktdynamik in der ICT-Industrie Der ICT-Sektor ist in den letzten 20 Jahren stetig gewachsen. In der Bun-desrepublik hat er in diesem Zeitraum seinen Anteil an der Bruttowert-schöpfung der deutschen Volkswirtschaft von 2,5 auf 5,9 Prozent mehr als verdoppelt. Damit ist der deutsche ICT-Sektor bereits heute größer als die Automobilbranche, die einen Anteil von 3 Prozent an der Bruttowertschöp-fung hält, und auch weitaus größer als die Maschinenbauindustrie mit 3,3 Prozent. Im internationalen Vergleich liegen die ICT-Sektoren von Großbritannien mit einem Anteil von 7,2 Prozent an der nationalen Bruttowertschöpfung und die USA mit 6,7 Prozent allerdings deutlich vor Deutschland. Gegenüber kleine-ren Technologieländern wie Finnland oder Irland liegt Deutschland sogar um bis zu fünf Prozentpunkte zurück. Auch auf der Ebene von Einzelunternehmen zeigt sich die unterschiedliche Marktstruktur in den USA und Europa (vgl. Abbildung 2): Gemessen an der Marktkapitalisierung stellen die USA 21 der 50 größten ICT-Unternehmen. Diese sind insbesondere in den Bereichen Software und ICT-Equipment füh-rend. Die 18 großen ICT-Anbieter in Europa sind hingegen vor allem in den Bereichen Telco-Services und ICT-Telco-Equipment tätig.

Abbildung 1: Der europäische ICT-Markt ist mit 631 Mrd. € der weltweit größte

Page 13: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

9

USA• Microsoft (1)• IBM (3) (HW/SW/IT-Serv)• Cisco (4)• Intel (5)• Verizon/MCI (6)• SBC/AT&T (9)• Dell (12)• Sprint/Nextel (16)• Qualcom (17)• Oracle (20)• HP (21)• Yahoo (24)• Google (25)• Bellsouth (26)• Texas Instruments (29)• Motorola (30)• EMC (31)• Applied Mats (34)• Maxim Integrated (43)• Electronic Arts (45)• Alltel (46)

Japan• NTT Docomo (7)• Nippon Telegraph (10)• Yahoo Japan (27)• Hitachi (35)• KDDI (38)• Softbank (44)• NEC (48)

Skandinavien• Nokia (15)• Ericsson (28)• TeliaSonera (36)

Großbritannien• Vodafone (2)• BT (32)• O2 (47)

Frankreich• France Telecom (13)• Alcatel (41)• ST Microelectronics (49)

Deutschland• DTAG/ T-Online (8)• Siemens (14) (HW/ IT-Serv)• SAP (22)

Sonstiges Europa• Telecom Italia (19)• Swisscom (39)• KPN (40)

Spanien• Telefonica (11)• Telefonica Moviles (23)

China/Asien• China Mobile (18)• China Telecom (33)• Singapur Telecom (37)• Chunghwa Telecom (42)

Unternehmensgruppen

Anmerkung(en): Toshiba, Fujitsu, Mitsubishi Electronics, Infineon als Top-50-Player nach Umsatz nicht dargestellt Quelle(n): Bloomberg; BCG-Analyse

Top 50 Player nach Börsenkapitalisierung

ICT Equipment (4)Software/ Content (1)Telco-Services (2)ICT-Services (3)(x) = weltweiter Rang nach Marktkapitalisierung (Mai 2005)

Wesentliche Trends in den ICT-Industriesegmenten Derzeit ist eine regionale Verschiebung der Märkte zu beobachten: Der eu-ropäische ICT-Markt stagniert, wogegen Asien den wichtigsten Wachstums-markt der Branche darstellt. Zudem kommen auf den ICT-Sektor in den nächsten Jahren Trends und Entwicklungen zu, auf die europäische ICT-Unternehmen rasch und entschieden reagieren müssen. Zukünftige Netzwerke auf Basis des Internetprotokolls (IP) – so genannte Next Generation Networks – bilden die technologische Voraussetzung für ein zunehmendes Verschmelzen („Konvergenz“) von Mobil- und Festnetzte-lefonie, von Internet und Medieninhalten. Bisher getrennte Märkte wachsen zusammen. Anbieter aus ehemals abgegrenzten Marktbereichen stehen plötzlich im Wettbewerb zueinander. Im Bereich der Telco-Services etwa konkurrieren Marktführer nunmehr mit nationalen und regionalen Telco-Services-Anbietern. Auch Internet-Service-Provider, IP-Netzbetreiber, Kabel-anbieter und Content-Anbieter treten zunehmend als Wettbewerber auf. Daneben steigen die mobile sowie die orts- und netzunabhängige Verfüg-barkeit von Daten und Diensten stetig. Kunden können diese Informationen und Services jederzeit und an jedem Ort erhalten. Die Dienste folgen den Kunden, nicht die Kunden den Diensten. Bei einem Teil der Privatkunden ist ein Trend zur Verdrängung der Festnetztelefonie durch Mobilfunk zu beo-bachten. Einer der Hauptgründe dieser „Fixed-Mobile-Substitution“ (FMS) sind die fallenden Verbindungskosten im Mobilfunkbereich. Daraus ergeben sich Chancen für innovative Geschäftsmodelle: ICT-Unternehmen können Festnetz- und Mobilfunkprodukte als Bündel anbieten und Servicepakete schnüren, deren Bestandteile miteinander kompatibel sind. Bei Geschäfts-kunden entwickelt sich zudem der Trend zu umfassenden, integrierten Applikationen, etwa der Aufbau sicherer virtueller Netzwerke auf IP-Basis (IP-VPN) für Mobilfunk und Festnetz. Daneben werden Firmennetze zuneh-mend so optimiert, dass sie den jeweils unterschiedlichen Geschäftsprozessen bestmöglich gerecht werden. Dies geschieht etwa im Rahmen von Fabriken ohne Datenleitungen (Wireless Factories) sowie durch spezielle Anwendungen für mobile Unternehmen (Mobile Enterprise) und durch den Einsatz mobiler Datenübertragungen. Darüber hinaus steigt die Bedeutung von Software in ICT-Equipment-Produkten mit der Konsequenz, dass sich die Wertschöpfung zugunsten von Software und ICT-Services verschiebt. Bei ICT-Equipment ist ein immer

Abbildung 2: Europa stark bei Telco-Services und ICT-Telco-Equipment – 21 der Top-50-ICT-Unternehmen in den USA

Page 14: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

10

stärkerer Preisdruck zu erwarten, woraus die Notwendigkeit von ständigen Effizienzsteigerungen und technologischen Verbesserungen resultiert. Diese Entwicklungen der ICT-Branche führen dazu, dass in den vier Seg-menten der ICT-Industrie folgende Faktoren für den Unternehmenserfolg ausschlaggebend sein werden (vgl. Abbildung 3).

ErfolgsfaktorenAktuelle Entwicklungen

ICT-Equipment

• Economies of Scale (F&E, Administration)• Standardisierung (DVB, WiMAX etc.)• Standardisierung 4G• Time-to-Market• Brand (Consumer Equipment)

• Kommoditisierung• Konsolidierung (Telco-Equipment)• Konvergenz IT/Telco-Services• Embedded Software (Differenzierungs-

treiber)

Software

• Kompatibilität/Standard-Setting• Innovation• Aufbau und Mgmt. Eco-/Partnersystem• Realisierung von Netzwerkeffekten

• Konsolidierung• Network Centric Computing• Offene Standards/Webservices• Industrielösungen/SME-Kundensegment

ICT-Services

• Servicequalität• Projektmanagement• Projektakquise/Großkundenverständnis• Prozessoptimierung

• Business-Process- /IT-Outsourcing• Verlagerung Production Center in

Niedriglohnregionen

Quelle(n): BCG-Analyse

Telco-Services

• Preisgestaltung/Bundling• Economies of Scale/Netzauslastung• Triple Play/Diensteentwicklung• Share of Wallet/Kundendurchdringung

• Konvergenz Daten/Sprache (fest/mobil)• Fixed-Mobile-Substitution, VoIP• Verlagerung „Traffic“ zu „Access“• Delayering, Eintritt neuer Wettbewerber• Preiswettbewerb

Im Sektor Telco-Services findet durch die Konvergenz von Telefonie, Inter-net und Medieninhalten eine Verlagerung der Wertschöpfung zum Anschluss hin statt. Parallel wächst zwischen Anbietern aus Festnetz-, Mobilfunk- und angrenzenden Industrien der Wettbewerb um den Kundenzugang. Für die Anbieter von Telco-Services wird zukünftig erfolgsentscheidend sein, eine Produktkombination von Sprache, Daten und Video über Festnetz und Mo-bilfunk anzubieten (Triple Play). Sie müssen Mehrwertdienste entwickeln, um durch einen möglichst hohen Anteil an den Medien- und Telekommuni-kationsausgaben (Share of Wallet) zu profitieren. Auch bei Telco-Services sind Skaleneffekte in Form einer effizienten Netzauslastung bedeutsam für den Unternehmenserfolg. Im Sektor ICT-Equipment setzen asiatische Anbieter die europäischen Wett-bewerber unter Druck. Hinzu kommt eine allgemein starke Vereinheitlichung der Produkte. Die Unternehmensgröße wird immer wichtiger, um eine aktive Rolle als Trendsetter und bei der Konsolidierung zu spielen. Skaleneffekte lassen sich dabei insbesondere in den Bereichen Forschung und Entwick-lung (F&E) und Marketing und bei der Verwaltung realisieren. Die Sektoren Software und ICT-Services sind durch große Umbrüche des Softwarebereichs gekennzeichnet. So gibt es einen deutlichen Trend zu of-fenen Standards und Open Source. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Business Process Outsourcing (BPO) und die Vernetzung von Unternehmen (Extended Enterprise) nimmt zu. Für ICT-Anwender steht die Vereinfachung und Konsolidierung der Systemlandschaft genauso im Mittelpunkt ihrer Ü-berlegungen wie eine höhere Flexibilität der ICT-Nutzung. In Zukunft wird es für die Anbieter von Software und ICT-Services entscheidend sein, ihre Kon-solidierungsbemühungen zu intensivieren und Partnerschaftsnetzwerke (Ecosystems) zu bilden. Denn damit können sie Kundenwünschen besser als bislang entsprechen, indem sie etwa offene und branchenspezifische Lösungen entwickeln. Speziell für Anbieter von ICT-Services ist der Aufbau internationaler Wertschöpfungsketten ein entscheidender Erfolgsfaktor, um auch im lokalen Geschäft bestmögliche Dienstleistungen erbringen zu kön-nen.

Abbildung 3: ICT-Sektoren mit unterschiedlichen Entwicklungstrends und Erfolgsfaktoren

Page 15: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

11

4 Die deutsche ICT-Branche als Wachstums-motor

Wie im Vorkapitel beschrieben, ist die ICT-Branche der größte Industrie-sektor in Deutschland. Doch nicht nur das – sie ist auch der dynamischste. Denn sie konnte als Einzige ihren Anteil an der deutschen Bruttowertschöp-fung seit den achtziger Jahren kontinuierlich erhöhen. Die Besonderheit und große Bedeutung der ICT-Industrie liegt neben den direkten Wachstumsimpulsen in ihrer Fähigkeit, die Produktivität zu steigern. Sie schafft damit als „Befähiger“ (Enabler) Wettbewerbsvorteile für andere Industriebranchen. ICT-Anwendungen beeinflussen als Technologien mit allgemeiner Bedeutung (General Purpose Technologies) die technologische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft langfristig und nachhaltig. Sie er-möglichen die Realisierung moderner Wirtschafts- und Gesellschaftsmo-delle. In Deutschland arbeiten heute etwa 40 Prozent aller Industrieunter-nehmen mit hohem ICT-Einsatz. Dadurch erzielen sie Produktivitätszuwächse, die ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit deut-lich verbessern. Seit vielen Jahren beruhen rund 35 Prozent des gesamten wirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts in Deutschland auf ICT-Anwendungen. Die ICT-Industrie weist zudem die dynamischste Beschäftigungsentwicklung in der deutschen Volkswirtschaft auf. Während die Gesamtzahl der Beschäf-tigten in Deutschland seit Jahren abnimmt, hat die deutsche ICT-Industrie zwischen 1998 und 2004 rund 113.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Be-reits heute finden sich 4 Prozent aller deutschen Arbeitsplätze in der ICT-Industrie. Weitere 5 Prozent aller Beschäftigten arbeiten zwar in anderen Branchen, aber dort mit ICT-Produkten und -Dienstleistungen. Ein Multiplika-toreffekt, denn die ICT-Industrie schafft nicht nur Arbeitsplätze in der eigenen Branche, sondern auch in anderen Industriebereichen. Die direkten und indirekten Auswirkungen auf die Produktivität und der posi-tive Beschäftigungseffekt haben dazu geführt, dass die ICT-Industrie in den vergangenen Jahren Grundlage für knapp 40 Prozent des deutschen Wirt-schaftswachstums verantwortlich ist. Die Zukunft der deutschen ICT-Industrie entscheidet über die Zukunft des Standorts Deutschland Die ICT-Industrie übt bereits heute erheblichen Einfluss auf Wachstum und Beschäftigung in Deutschland aus. Dennoch gibt es im internationalen Ver-gleich einen großen Nachholbedarf: In anderen Ländern nutzen Unterneh-men, der öffentliche Sektor und Privatpersonen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien deutlich intensiver. Die Realisierung der in Deutschland noch ungenutzten Potenziale kann wesentlich dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik zu sichern und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Um Erfolg und Wirksamkeit einer umfas-senden ICT-Aktivierung zu erhöhen, muss bei den Besonderheiten der deutschen Volkswirtschaft angesetzt werden: bei der mittelständisch gepräg-ten Wirtschaftsstruktur, der starken Technologie- und Prozesskompetenz und bei der guten Ausgangsposition in Zukunftssektoren wie Gesundheit, Forschung und Wissenschaft.

Page 16: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

12

Vergleich der Entwicklung der Arbeitsproduktivität von 1995–2001 in Deutschland, EU und USA

0,60 0,69

1,16

1,130,68

0,69

0,00,20,40,60,81,01,21,41,61,82,0

Deutschland EU15 USA

Wachstum Arbeits-produktivität1995–2001 (% p. a.)

Produktivitätswachstum durch ICT(1)

Sonstiges Produktivitätswachstum (nicht ICT)

1,85 %

1,37 %

1,73 %

0,56 %

(1) Durch ICT-Kapitaleinsatz (Investitionen) und Total Factor Productivity aus ICT-Anbieter-SektorQuelle(n): IT in the EU: Driving Productivity Divergence?, Timmer, Ypma, van Ark, Groningen Growth and Development Centre (GGDC), 2003, S. 55; BCG-Analyse

Ein entscheidender Treiber wirtschaftlichen Wohlstands ist neben dem Ein-satz von Arbeit die Produktivität einer Volkswirtschaft. Verglichen mit den USA lässt sich die Produktivität in Deutschland durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien um 0,6 Prozentpunkte stei-gern (vgl. Abbildung 4). Während die Produktivität in den USA zwischen 2000 und 2004 um 2,9 Prozent pro Jahr wuchs, verzeichnete Deutschland lediglich eine Produktivitätssteigerung von 1,2 Prozent pro Jahr. Infolge der geringeren Dynamik öffnet sich die Produktivitätsschere zwischen den USA und Deutschland bereits seit 1980 immer weiter. Inzwischen erzielen die USA ein um etwa 40 Prozent höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf als Deutschland. Eine mögliche Ursache für das vergleichsweise schwache Produktivitäts-wachstum in Deutschland sind niedrigere Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien. Hinzu kommen deutlich schwächere Spill-over-Effekte von ICT-Investitionen auf die Faktorproduktivität. Für die USA ist davon auszugehen, dass die höheren ICT-Investitionen der vergangenen Jahre und die effizientere Nutzung von Informations- und Kommunikations-technologien das Produktivitätsniveau nachhaltig gesteigert haben. Angesichts der schwachen Produktivitätssteigerung ist ein solcher positiver Investitionseffekt in Deutschland nicht erkennbar. Um die Position der deutschen Volkswirtschaft zu stärken, muss es zunächst das Ziel sein, das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum auf einen international ambitionierten Vergleichswert anzuheben. Durch den verstärk-ten Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien lässt sich bis 2008 ein Bruttowertschöpfungspotenzial von rund 75 Mrd. Euro rea-lisieren. Damit verbunden könnten positive Beschäftigungseffekte in Deutschland realisiert werden, die insbesondere aus der indirekten Beschäf-tigungswirkung seitens ICT resultieren. Denn die volkswirtschaftliche Bedeutung von ICT nimmt auch in solchen Branchen zu, die nicht direkt dem ICT-Sektor zugerechnet werden. Das gilt zum Beispiel für die Automobilbranche, in der Embedded Software eine wachsende Bedeutung hat. Selbst nach konservativen Schätzungen wird sich der Anteil von Embedded Software an der gesamten Wertschöpfung der Automobilindustrie bis 2010 verdreifachen – von derzeit knapp 9 Prozent auf rund 27 Prozent.

Abbildung 4: Deutschland mit 0,6 Prozentpunkten BIP-Wachstumspotenzial durch effektivere ICT-Nutzung

Page 17: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

13

Auf dem Weg zu einer Informationsgesellschaft muss Deutschland noch Herausforderungen meistern Die Maßnahmen, mit denen einzelne Länder auf die sich dynamisch entwi-ckelnden Herausforderungen der Informations- und Kommunikationstechno-logie reagieren, sind höchst unterschiedlich. Um den Entwicklungsstand eines Landes auf dem Weg in die Informationsgesellschaft zu objektivieren, wird im Rahmen der vorliegenden Studie anhand von fünf Kriterien systema-tisch untersucht, wie sich die Verfügbarkeit, der Einsatz und die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien darstellt. 1) Zugang zu ICT: Breitbandverfügbarkeit, Mobilfunknetzabdeckung, Inter-

net-Hotspots pro Einwohner 2) Penetration mit ICT: Anzahl Breitbandanschlüsse pro Haushalt (DSL,

Kabel, alternative Zugangstechnologien), Anzahl Mobilfunkverträge und PCs pro Einwohner

3) Nutzung von ICT durch Privatkunden: Anzahl Internetnutzer je Einwoh-ner, Technologieoffenheit der Konsumenten, e-Commerce-Nutzung pro Einwohner und Jahr

4) Nutzung von ICT durch Geschäftskunden: Aufgeschlossenheit der Ge-schäftskunden gegenüber ICT-Technologien, Online-Anteil am Einkaufs-volumen

5) Nutzung von ICT im öffentlichen Sektor: Aufgeschlossenheit des öffent-lichen Sektors gegenüber ICT-Technologien, Entwicklungsniveau von Online-Services, Reifegrad für e-Dialog zwischen Bürgern und Administ-ration

Im internationalen Vergleich wird deutlich, dass die deutsche Informations-gesellschaft gegenüber den Spitzenreitern zurückliegt. Die skandinavischen Länder, die USA, Großbritannien, Japan und Südkorea sind deutlich weiter entwickelt. Internationaler Spitzenreiter ist Dänemark, das allerdings nicht bei allen Kriterien die Führungsposition einnimmt. Vielmehr werden die Spit-zenpositionen bei den einzelnen Kriterien jeweils von unterschiedlichen Ländern belegt. Die größten Rückstände weist die deutsche Informationsgesellschaft bei den Kriterien ICT-Penetration und ICT-Nutzung durch Privatkunden auf. Trotz eines überdurchschnittlich hohen Zugangsniveaus von 91% ist die Penetra-tion mit Breitbandanschlüssen in Deutschland noch niedrig. Zum Teil erklärt sich dies durch die hohe ISDN-Dichte, die einen schmalbandigen Internet-zugang ermöglicht. Zudem ist die Nutzung von Kabelanschlüssen für den Internetzugang gering. Ein effizienter Ausbau des Kabelnetzes für die Breit-bandnutzung in Deutschland wird bislang noch durch die starke Fragmentierung der Netzzugangsanbieter gehemmt. Auch reduzieren staat-liche Regelungen und damit verbundene Planungsunsicherheiten teilweise die Anreize, in eigene Infrastruktur zu investieren. Vor allem ältere Bürger in Deutschland nutzen im Vergleich zu den führenden Staaten das Internet nur wenig.

Page 18: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

14

(1) ROK = Südkorea Anmerkung(en) 1: In den Achsen/Kriterien sind jeweils mehrere Faktoren gleich gewichtet aggregiert.Anmerkung(en) 2: Länder, die im Index verwertet wurden: USA, J, D, GB, F, I, E, S, FIN, DK, IRL, AUS, ROKQuelle(n): BCG-Analyse, Informationsgesellschaft Daten.xls

100

0

SJ

GB

100

50

50

50

Legende:100 = Benchmarkwert für Faktoren, auf 100 indexiert

Access

100

50

50

Nutzung GK Nutzung PK

Best Practice

Dänemark

Deutschland

ROK(1)USA100Nutzung ÖS 100 Penetration

Schweden

100

0

SJ

GB

100

50

50

50

Legende:100 = Benchmarkwert für Faktoren, auf 100 indexiert

Access

100

50

50

Nutzung GK Nutzung PK

Best Practice

Dänemark

Deutschland

ROK(1)USA100Nutzung ÖS 100 Penetration

Schweden

Um die Entwicklung der Informationsgesellschaft in Deutschland voranzu-treiben, kann und sollte sich der Standort Deutschland an den Best-Practice-Ländern orientieren. Im folgenden Kapitel werden Erfolgsfaktoren für die Weiterentwicklung der ICT-Industrie in Deutschland untersucht und Hand-lungsempfehlungen abgeleitet. Zunächst werden die Wachstumsimpulse auf der Angebotsseite für die Sektoren Telco-Services, ICT-Equipment sowie Software und ICT-Services detailliert analysiert. Dann untersucht die Studie Wachstumsimpulse durch Nachfrage des privaten und öffentlichen Sektors sowie von privatwirtschaftlichen Unternehmen. Schließlich werden die not-wendigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zur Förderung Deutschlands auf dem Weg in die Informationsgesellschaft dargestellt.

Abbildung 5: Dänemark präsentiert sich als bestentwickelte Informationsgesellschaft

Page 19: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

15

TEIL II – WIRTSCHAFTLICHE UND POLITISCHE CHANCEN DER INFORMATIONS-GESELLSCHAFT 5 Wachstumsimpulse auf der Angebotsseite

5.1 Telco-Services-Provider: Infrastrukturinvestitionen, attraktives Diensteangebot und wirksamer Wettbewerb als zentrale Erfolgs-faktoren

Der Sektor Telco-Services bildet den bedeutendsten Teil der deutschen ICT-Industrie. Verglichen mit der Gesamtwirtschaft ist er in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gewachsen, verglichen mit der ICT-Industrie jedoch unterdurchschnittlich. Während sich das Geschäft mit Festnetztelefo-nie in den kommenden Jahren weiter rückläufig entwickeln wird, stellen Mobilfunk und Breitband die Wachstumsfelder in diesem Sektor dar. Im Breitband ist der Ausbau der Übertragungsgeschwindigkeit notwendig, um attraktive, interaktive Breitbandservices anbieten zu können. Zur Förderung der Investitionen in Infrastruktur sind stabile regulatorische Rahmenbedin-gungen erforderlich, die den Unternehmen eine angemessene Verzinsung ihrer Investitionen ermöglichen. Im Mobilfunk sind höhere durchschnittliche Monatsumsätze pro Nutzer (ARPU) und ein erweitertes Diensteangebot die entscheidenden Wachstumshebel. Daneben können Telekommunikations-anbieter Wachstumspotenziale durch Triple Play sowie durch das Angebot von Bündel- und Konvergenzprodukten erschließen. Der Sektor Telco-Services besteht aus Festnetztelefonie, Mobilfunk und Breitband/Internet. Er trug 2002 mit rund 40 Prozent zur Bruttowertschöp-fung der deutschen ICT-Industrie bei. Verglichen mit der gesamten ICT-Industrie ist dieser Sektor in den vergangenen Jahren allerdings nur unter-durchschnittlich gewachsen. Getrieben durch eine hohe Wachstumsrate zwischen 2002 und 2004 von 14,9 Prozent pro Jahr, hat sich der Mobilfunk mittlerweile zum Umsatzführer innerhalb von Telco-Services entwickelt. 2004 erzielte der Bereich einen Umsatz von 22,6 Mrd. Euro. Der Bereich Breitband/Internet wuchs in dem-selben Zeitraum um 12,6 Prozent pro Jahr. Im Festnetzbereich gingen die Umsätze jährlich um 2,7 Prozent zurück.

Page 20: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

16

20,322,6

9,9

0

5

10

15

20

25

Festnetz Mobilfunk Breitband/Internet

Übersicht Nachfrage Telco-Services in D in 2004

(1) Beinhalten Postdienste ( 15 Mrd. €) und Telco-Services ( 33 Mrd. €), nach GGDC-Definition des Communications-Bereichs(2) CAGR 1995–2004 aufgrund von Veränderungen in Sektorenabgrenzung nicht sinnvoll bestimmbarQuelle(n): Groningen Growth and Development Centre (GGDC), Groningen-Deutschland.xls; DeStatis; EITO 2005, S. 226; BCG-Analyse

Umsätze(Mrd. €)

– 2,7 %

14,9 %

12,6 %

% CAGR 1995–2002

40,3

67,7

42,0

48,2

0

20

40

60

80

100

120

140

1995 2002

BWS (Mrd. €)

Restliche ICT-Industrie

Telco-Services

ICT-BWS-Entwicklung in D 1995–2002

2,0 %p. a.

1)

115,9

82,3

5,0 %p. a.

CAGR 2002–2004(2)% CAGR 2002–2004(2)%

Mobilfunk mittlerweile größter Telco-Services-Sektor

Eine detaillierte Betrachtung von Festnetztelefonie, Mobilfunk und Breitband/ Internet verdeutlicht, dass für die Bereiche Mobilfunk und Breitband/Internet in Deutschland organisches Wachstumspotenzial vorhanden ist. Die Poten-ziale für den schmalbandigen Festnetzbereich sind hingegen ausgeschöpft. In Deutschland verfügen derzeit 95 Prozent aller Haushalte über Festnetz-anschlüsse. Der Festnetztelefonie-ARPU liegt mit rund 33 Euro bereits leicht unter dem Durchschnitt von 36 Euro in Ländern wie den USA, Japan, Süd-korea, Großbritannien oder Finnland. Zusätzlicher Druck auf die Minuten-preise der Festnetztelefonie und damit auf die durchschnittlichen Monats-umsätze pro Nutzer ist durch Angebote für Internettelefonie zu erwarten (Voice over Internet Protocol oder kurz VoIP). Im Mobilfunkbereich ist die Penetration in den letzten fünf Jahren kontinuier-lich gestiegen: Ende 2004 nutzten 84 Prozent der deutschen Bevölkerung Mobilfunkgeräte. Die Werte für Finnland (94 Prozent), Großbritannien (99 Prozent) und Italien (gut 105 Prozent) zeigen weiteres Wachstumspotenzial auf. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik 2004 mit durch-schnittlichen Monatsumsätzen pro Mobilfunknutzer von 25 Euro allerdings deutlich hinter Spitzenreitern wie Japan (51 Euro) oder den USA (46 Euro). Für ein ARPU-Wachstum wird daher die intensivere Nutzung des Mobilfunks für Sprach- und Datendienste von entscheidender Bedeutung sein. Zumal von geringeren Minutenpreisen auszugehen ist, wenn Niedrigpreisanbieter mit aggressiven Angeboten und eingeschränktem Service in den Markt drängen. Mit im Durchschnitt monatlich nur 75 Telefonminuten per Handy liegt der deutsche Nutzer weit hinter den entsprechenden Werten von Süd-koreanern (306 Minuten), Finnen (254 Minuten) und Japanern (159 Minuten). Mögliche Hebel zur Verlängerung der Nutzungsdauer sind Preis-maßnahmen, wie das Angebot von Paketpreisen für Sprachdienste, und ein attraktiveres Angebot mobiler Anwendungen und Inhalte. Ein wichtiger Trend in der globalen Telekommunikationsbranche besteht in der Konsolidierung innerhalb der Kernmärkte (Footprint Consolidation) und in der Erschließung neuer regionaler Märkte (Footprint Expansion).2 Beide Entwicklungen sind seit Mitte 2004 zu beobachten. Die entscheidenden Treiber für Akquisitionen sind Skaleneffekte im Ausbau der Netzinfrastruktur und globale Wachstumsmöglichkeiten in den Kerngeschäftsfeldern. Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit zur Konsolidierung aus dem Bestreben, Standards setzen zu können. Neben Akquisitionen sind in Zukunft auch stra- 2 Beispielhaft können hier die Konsolidierung im US-amerikanischen Markt (SBC/AT&T, Veri-zon/MCI) sowie die Akquisition Telefonica Moviles – Bell South (Südamerika-Geschäft) genannt werden.

Abbildung 6: Telco-Services machen über ein Drittel der ICT-Bruttowertschöpfung aus, Wachstum jedoch unterdurchschnittlich

Page 21: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

17

tegische Partnerschaften zwischen Telekommunikationsunternehmen und Medien, aber auch mit Finanzdienstleistern zu erwarten. Fallstudie: Der Kampf um den Mobile-TV-Standard zwischen Europa und Asien Die Bedeutung von Konsolidierung wird am Beispiel des Wettbewerbs um die Durchsetzung von Standards für mobile Videoübertragungen deutlich. Hierbei spielen Größe und weltweiter Einfluss der ICT-Anbieter eine ent-scheidende Rolle. International haben sich zwei konkurrierende Standards zur mobilen Übertragung von TV-Inhalten etabliert. Während in Europa unter der Führung von Nokia die terrestrische Übertragung auf Basis von DVB-H bevorzugt wird, wurde in Asien der terrestrische Standard DMB geprägt. Entscheidend ist derzeit die Frage, welcher dieser Standards sich internatio-nal durchsetzen wird. Die größte Hürde für eine zügige Verbreitung von DVB-H in Europa ist der Mangel an freien Frequenzen. Diese sind auch im Jahr 2006 noch nicht zu erwarten. Hier sind die staatlichen Regulierungsbe-hörden gefordert, um die notwendigen DVB-H-Frequenzen rasch zur Verfügung stellen. Der DMB-Standard wird hingegen bereits seit Mai 2005 in Südkorea eingesetzt. Unternehmen wie Samsung und LG produzieren be-reits DMB-kompatible Mobiltelefone in großen Stückzahlen. Den internationalen Wettlauf um die Standardisierung wird jener Anbieter gewin-nen, der am schnellsten eine kritische Masse von Anwendern und Partnern gewinnen kann. Partnerschaften in Europa oder die Konsolidierung europäi-scher Akteure könnten die Koordination der Aktivitäten optimieren – zwischen den Akteuren selbst, aber auch mit den staatlichen Institutionen. Die Chancen für einen weltweiten Standard europäischer Herkunft wären damit deutlich erhöht. Bedeutende Wachstumschancen für den Bereich Breitband/Internet liegen vor allem in einer Steigerung der Haushaltspenetration in Deutschland. Vor-aussetzung dafür ist vor allem ein attraktives Angebot von Diensten. Der Breitband-ARPU liegt in Deutschland mit 32 Euro im internationalen Durch-schnitt. Doch nur 19 Prozent aller deutschen Haushalte verfügten im Mai 2005 über Breitbandanschlüsse. Die Niederlande etwa nehmen mit einer Breitbandpenetration von 48 Prozent die europäische Spitzenposition ein.

Telco-Services-Penetrationsraten(1) in D ARPU-Entwicklung in D

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

2000 2001 2002 2003 2004

Pene-tration(%)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

2000 2001 2002 2003 2004

ARPU(€)

Deutliche Möglichkeiten für organisches Wachstum vorhandenDeutliche Möglichkeiten für organisches Wachstum vorhanden(1) Festnetz und Breitband: Anschlüsse je Haushalt, Mobilfunk: Nutzer je Einwohner(2) Penetration bis Mai 2005 bereits auf 19 % gestiegenQuelle(n): DeStatis, Ausstattung privater Haushalte, S. 9; ITU; EITO 2005; WW Wireless Matrix 04Q3.pdf, Merrill Lynch, 2005, S. 19 ff.; IDC; ARPU Kalkulation.xls; BCG-Analyse

Festnetz

Mobilfunk

Breitband(2)

Festnetz

Mobilfunk

Breitband

Mobilfunk- und Breitbandpenetration bieten Potenzial für Umsatzsteigerung

Bei der generellen Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen liegt Deutsch-land international auf Rang drei. Doch die maximalen Übertragungsraten, die Privathaushalten zur Verfügung stehen, sind in Deutschland noch deutlich niedriger als im internationalen Vergleich. Deutscher Standard sind derzeit Übertragungsraten von bis zu 6 Megabit pro Sekunde (Mbps); für Privat-

Abbildung 7: Wachstum der Nutzer-zahlen primär im Bereich Breitband möglich

Page 22: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

18

haushalte existieren in der Bundesrepublik Angebote von bis zu 10 Mbps, in Pilotregionen sind bis 16 Mbps verfügbar. Angebote bis 50 Mbps befinden sich derzeit in der technischen Ausbauphase. Um die Entwicklung innovati-ver, interaktiver Breitbandapplikationen – insbesondere Unterhaltungs- und Bildungsangebote – zu unterstützen, sind höhere Bandbreiten unerlässlich. Gerade diese Angebote haben in den vergangenen Jahren die Breitband-/Internetnutzung in den infrastrukturell hoch entwickelten Ländern Europas und Asiens vorangetrieben. In Japan etwa verfügen mehr als 10 Mio. Haus-halte über Breitbandanschlüsse mit einer Übertragungsrate von bis zu 100 Mbps. In Südkorea wurden in den vergangenen Jahren 1,5 Mrd. Euro in den technischen Ausbau der Breitbandinfrastruktur investiert. Erst durch die ent-sprechenden Übertragungsraten wurde die Nutzung von Online-Video und Online-Games durch Privatkunden technisch möglich. Das wiederum stimu-lierte die Nachfrage nach den schnellen Breitbandanschlüssen. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Dienste zeigt sich am Beispiel Südkoreas: Bis 2008 sollen rund 160.000 neue Arbeitsplätze allein im Bereich Online-Entertainment geschaffen werden. Investitionen in schnellere Übertragungs-raten bei Breitbandanschlüssen sind also entscheidend, um die Nachfrage nach hochwertigen Breitbanddiensten zu stimulieren und damit die Breit-bandpenetration zu steigern. Fallstudie: Italien fördert den Ausbau von Breitbandanschlüssen Italien verfolgt eine klare Strategie bei der Förderung von Breitbandan-schlüssen. Zum einen unterstützt der Staat mit insgesamt 2 Mrd. Euro solche Infrastrukturinvestitionen, die den Breitbandausbau vor allem in struk-turschwachen Regionen vorantreiben. So gibt es ein staatliches „Programm für die Entwicklung von Breitband im Süden“. Zum anderen fördert der Staat direkt die Nachfrage nach Breitbandanschlüssen: 2003 wurden neue Breit-bandanschlüsse für Privatnutzer und Unternehmen mit 75 Euro pro Anschluss gefördert. Der Erfolg dieser Maßnahme: 350.000 neue Breitband-anschlüsse. Im Haushalt 2004 stellte die italienische Regierung daraufhin noch einmal 30 Mio. Euro bereit. Außerdem wurden weitere 92 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um Jugendliche mit jeweils 175 Euro und gering verdie-nende Familien mit 200 Euro bei der Anschaffung eines PCs zu unterstützen. Dies geschah in der Annahme, dass die PC-Penetration mit der Breitbandpenetration korreliert. Auf der Angebotsseite förderte der italie-nische Staat im Jahr 2004 sowohl Infrastrukturmaßnahmen als auch Content-Angebote. Weitere Beispiele aus den USA, Großbritannien, Schweden und den Nieder-landen zeigen, dass sich ein wirksamer Wettbewerb der Zugangstechnolo-gien – insbesondere zwischen DSL und Kabel – positiv auf die Penetra-tionsraten und das Nutzungsvolumen auswirkt. In diesen Ländern ist ein besonders hohes Wachstum der Bruttowertschöpfung im Bereich Telco-Services zu beobachten. Auch der Anteil von Telco-Services an der Brutto-wertschöpfung fällt hier überdurchschnittlich hoch aus. Um den Auf- und Ausbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur zu ermöglichen, muss allerdings eine entsprechende Investitionsbereitschaft gefördert werden. Zentraler An-satzpunkt ist hierbei die Gewährleistung von Investitionssicherheit. Eine nachträgliche und unerwartete Verschärfung der rechtlichen Rahmenbedin-gungen muss zumindest für eine Übergangszeit ausgeschlossen werden.

Page 23: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

19

5.2 ICT-Equipment-Hersteller: Steigerung der Innovationskraft, Konsolidierung und Standardsetzung als zentrale Erfolgsfaktoren

Medizintechnik, elektronische Bauelemente und Telco-Equipment sind die drei wesentlichen Wachstumssegmente innerhalb des ICT-Equipment-Sektors. Um diese Wachstumspotenziale auszuschöpfen, müssen Innovati-onen forciert werden und deutsche ICT-Equipment-Anbieter aktiv auf den internationalen Konsolidierungsdruck reagieren. Die Bruttowertschöpfung des ICT-Equipment-Sektors ist zwischen 1995 und 2002 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2,6 Prozent auf 27,1 Mrd. Euro nur unterdurchschnittlich gestiegen. Die Bereiche Medizintechnik und elektronische Bauelemente sind die beiden Wachstumssegmente im Sektor ICT-Equipment (vgl. Abbildung 8). Für den ICT-Equipment-Sektor und die deutsche Volkswirtschaft kommt der Medizin-technik dabei eine besonders hohe Bedeutung zu. Denn der inländische Bruttowertschöpfungsanteil beträgt hier nahezu 90 Prozent. Damit liegt die Medizintechnik signifikant über dem Durchschnitt anderer Bereiche aus dem Sektor ICT-Equipment.

Quelle(n): Groningen Growth and Development Centre (GGDC), Groningen-Deutschland.xls; BCG-Analyse

10

1,82,8

3,92,9

1,1

14,2

3,3 3,2 3,12,2

1,1

0

2

4

6

8

10

12

14

16

Medizin-technik

Telco-Equipment

Radio- &TV-Geräte

– 0,7 %

ICT-Equipment BWS-Entwicklung 1995–2002

BWS (Mrd. € )

20021995% CAGR 1995–2002

– 3,2 %8,5 % 1,8 % – 3,4 %

5,0 %

59,7

88,8

22,6

27,1

0

20

40

60

80

100

120

140

1995 2002

BWS (Mrd€ .)

Restliche ICT-Industrie

ICT-Equipment

ICT-BWS-Entwicklung in D 1995–2002

2,6 %p. a.

Elek.Bau-

elemente

PCs/Büro-

masch.

Isol. Kabel

% CAGR 1995–2002

5,0 %p. a.

115,9

82,3

Im Bereich Telco-Equipment zeigt sich neben dem moderaten, knapp zwei-prozentigen Wachstum eine besonders starke Dynamik in der Verschiebung der Wertschöpfung hin zu Embedded Software. Ein Beispiel hierfür ist der durchschnittliche Wertschöpfungsanteil von Software an einem Mobiltelefon: Dieser stieg innerhalb von nur fünf Jahren von 40 Prozent auf mehr als 70 Prozent im Jahr 2004. Zudem entfallen rund 70 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Bereich Telco-Equipment auf Embedded Software. Dies unterstreicht die wachsende Bedeutung von Software an der Wertschöpfung und die steigende Dynamik des Bereichs. Hohe Innovationsfähigkeit ist daher ein wesentlicher Erfolgsfaktor in der ICT-Equipment-Industrie. Dementsprechend sind die wesentlichen Wachstums-segmente des ICT-Equipment-Sektors durch überdurchschnittlich hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben gekennzeichnet. Allerdings ist die Innovationstätigkeit der deutschen ICT-Equipment-Industrie im internationalen Vergleich nur schwach ausgeprägt. Die Untersuchung des relativen Patentanteils Deutschlands in verschiedenen Branchen3 zeigt, dass 3 Anteil deutscher Patente in der jeweiligen Branche im Vergleich zu Deutschlands Anteil an der weltweiten Anzahl von Patenten

Abbildung 8: Medizintechnik, Elektro-nische Bauelemente und Telekommunikations-Equipment sind wichtige Wachstumssegmente

Page 24: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

20

die deutschen Patentaktivitäten bei innovativen Produkten des ICT-Equip-ment-Sektors zwischen 1998 und 2002 vergleichsweise gering waren (vgl. Abbildung 9).

(1) Positives Vorzeichen bedeutet, dass der Anteil deutscher Patente auf diesem Gebiet höher ist als der Anteil aller deutschen an allen weltweiten Patenten.Quelle(n): Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005.pdf, S. 22

-80

-60

-40

-20

0

20

40

60

80RelativerPatent-anteil(1)

(%)

DV-

Ger

äte

Nac

hric

hten

tech

nik

Bür

omas

chin

en

E. B

auel

emen

te

Med

. Ger

äte

Arz

neim

ittel

Hei

z-,.

Käl

tete

chni

k

Wer

kzeu

gmas

chin

en

Text

ilmas

chin

en

Verb

renn

ungs

mot

oren

Kra

ftwag

en

Schi

enen

fahr

zeug

e

Andere Branchen

ICT-Branchen

Andere Branchen

ICT-Branchen

Relativer Patentanteil(1) nach Segmenten von 1998–2002

Deutsche ICT-Equipment-Anbieter weisen zudem oftmals strukturelle Prob-leme auf. Skalennachteile im Vergleich zu ausländischen Anbietern wirken sich negativ auf die Profitabilität der Unternehmen aus. Geringere Renditen und ein relativ niedriges Niveau öffentlicher Forschungsaufträge hemmen das Forschungs- und Entwicklungsniveau insgesamt. Dadurch fallen deut-sche Unternehmen mit ihren Innovationsmöglichkeiten international zurück. Dies führt dazu, dass mittlerweile ein Großteil der De-facto-Standards im Bereich ICT-Equipment von US-amerikanischen und asiatischen Unterneh-men gesetzt wird. Diese Unternehmen verfügen über eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten und können Skalenvorteile nutzen. Um die Innovationsaktivitäten der ICT-Equipment-Anbieter zu fördern und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sollte der Staat über die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen Anreize für eine Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in den Unternehmen setzen. Auf dieser Basis sollten bereits bestehende Forschungs- und Entwicklungspro-gramme und -maßnahmen in die Richtung gelenkt werden, in der sie den volkswirtschaftlich größtmöglichen Nutzen stiften und die Bildung innovativer Bereiche unterstützen. Zudem sollte der öffentliche Sektor verstärkt als Nachfrager nach und Anwender von neuen Technologien auftreten und da-mit die Innovationstätigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördern. Fallstudie: Taiwan entwickelt sich zur führenden Nation im Bereich ICT-Equipment Taiwan hat sich in den vergangenen Jahren zum weltweit führenden Produ-zenten von ICT-Equipment entwickelt. Mittlerweile wird mehr als die Hälfte des weltweiten ICT-Equipments von taiwanesischen Unternehmen herge-stellt. Während noch zu Beginn der neunziger Jahre der Großteil des aus Taiwan stammenden ICT-Equipments auch in Taiwan produziert wurde, las-sen taiwanesische Unternehmen mittlerweile aufgrund der stark gestiegenen Löhne fast 70 Prozent des Equipments im Ausland fertigen – vor allem in der Volksrepublik China. In Taiwan verbleibt mit Hilfe einer stark automatisierten Fertigung und dank eines geringen Personaleinsatzes die Produktion hoch-wertiger, margenstarker Produkte. Taiwan hat sich zudem auf Forschung und Entwicklung bei ICT-Technologien konzentriert. „Es war klar, dass unser

Abbildung 9: Besonders im innovati-ven ICT-Sektor hat Deutschland Nachholbe-darf bei der Einführung neuer Ideen

Page 25: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

21

Land nur zur Weltspitze aufschließen kann, wenn wir uns auf die Erfor-schung und Entwicklung von Technologien und Produkten für das digitale Zeitalter konzentrieren“, sagt Johnsee Lee, Präsident des Industrial Techno-logy Research Institute. Mit bedeutender staatlicher Förderung sind in Taiwan in den vergangenen Jahren drei ICT-Cluster entstanden. Hier arbei-ten Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen eng zusammen. Nach den Vorgaben des „International Innovation and Research & Development Base Plan“ der taiwanesischen Regierung soll der Anteil der Bruttoinlandsaufwendungen für Forschung und Entwicklung auf 3 Prozent steigen. (In Deutschland betrug dieser Wert 2003 2,5 Prozent.) Zudem be-absichtigt der Regierungsplan, neue technologische Hochschulen zu errichten und ausländische Top-Forscher nach Taiwan zu holen. Daneben stellt die taiwanesische Regierung 1,2 Mrd. Euro in Form staatlicher Darle-hen für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur Verfügung. Der zweite wesentliche Erfolgsfaktor für deutsche ICT-Equipment-Anbieter liegt in der Herausforderung, auf den internationalen Konsolidierungsdruck zu reagieren. Für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist der Sitz der Konzernzent-rale im eigenen Land besonders wichtig. DaimlerChrysler oder BMW sind dafür Beispiele. Der Anteil der Mitarbeiter in Deutschland an der gesamten Belegschaft ist bei beiden Unternehmen bis zu dreimal höher als der Um-satzanteil des deutschen Markts im Vergleich zum Gesamtumsatz des Unternehmens. Noch weiter klafft diese Schere auseinander bei Unterneh-men mit kleinen Heimatmärkten wie zum Beispiel Ericsson oder Nokia. Hier beträgt das Verhältnis Mitarbeiter in der Heimat zu Umsatzanteil in der Hei-mat acht zu eins (Ericsson), beziehungsweise sechzehn zu eins (Nokia). Dass unter dem weltweiten Konsolidierungsdruck die Abwanderungsgefahr der Unternehmenszentralen und damit die Gefährdung von Arbeitsplätzen am heimischen Standort besteht, verdeutlicht ebenfalls das Beispiel Daim-lerChrysler: Vor der Fusion mit Daimler-Benz im Jahr 1998 beschäftigte Chrysler 84 Prozent seiner Mitarbeiter in den USA und erwirtschaftete dort 80 Prozent seines Umsatzes. 2004 beschäftigte DaimlerChrysler nur noch 26 Prozent der Mitarbeiter in den USA bei einem Umsatzanteil von 46 Pro-zent. Die relative Bedeutung des Standortes USA ist nach der Fusion also stark zurückgegangen. Für deutsche ICT-Equipment-Unternehmen ergibt sich daraus die Notwen-digkeit, dem internationalen Konsolidierungsdruck aktiv zu begegnen. Denn nur so lassen sich Skalenvorteile erzielen, Forschungs- und Entwicklungs-aufwendungen amortisieren und aussichtsreiche Positionen bei der Stan-dardsetzung einnehmen. Deutsche ICT-Unternehmen können beispielswei-se zahlreiche der derzeit noch offenen Standards definieren, wie etwa für Breitbandinternet auf Funkbasis – Worldwide Interoperability for Microwave Access (WiMAX). Oder für die vierte Mobilfunkgeneration (4G), für die digita-le Signatur, für Digital Rights Management (DRM), für mobiles Video- und Home-Entertainment im Telco-Bereich und für Middleware im Softwarebe-reich. Allerdings besteht selbst bei diesen noch nicht definierten Standards die Gefahr einer faktischen Standardisierung durch asiatische Unternehmen. So haben China, Südkorea und Japan im Mobilfunkbereich die Absicht ge-äußert, gemeinsam einen eigenen 4G-Standard zu entwickeln. Die Tatsache, dass die Mobilfunknutzer dieser Länder 30 Prozent des weltwei-ten Marktes repräsentieren, verdeutlicht die faktische Macht dieser Länder beim Setzen von Standards. Der chinesische TD-SCDMA-Standard für Chi-nas dritte Mobilfunkgeneration (3G) zeigt, wie die heimische Industrie durch Standardisierung gefördert werden kann.

Page 26: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

22

5.3 Software und ICT-Services: Wachstumsfelder in den Bereichen Embedded Software, Anwendungssoftware und Business Process Outsourcing

Software und ICT-Services sind der wichtigste Wachstumsmotor innerhalb der ICT-Industrie. Zwischen 1995 und 2002 machten die beiden Bereiche 70 Prozent des gesamten Wachstums der Branche aus. Trotz einer Abschwä-chung des Wachstums in den vergangenen Jahren bestehen große Poten-ziale, vor allem in den Bereichen Embedded Software, Anwendungssoftware und Business Process Outsourcing. Das dynamischste Wachstumsfeld innerhalb der deutschen ICT-Industrie ist der Sektor Software und ICT-Services. Zwischen 1995 und 2002 stieg die Bruttowertschöpfung von Software und ICT-Services in Deutschland um 12,6 Prozent pro Jahr – deutlich schneller als beispielsweise der Sektor in den USA und Japan. Die Bedeutung als Wachstumsmotor wird zudem durch die kontinuierliche Verschiebung der Wertschöpfung vieler Produkte deut-lich; Embedded Software ist hier das Stichwort. Mit einer Steigerung der Bruttowertschöpfung von 1995 bis 2002 um 22,9 Mrd. Euro auf insgesamt 40,6 Mrd. Euro steuert der Software- und ICT-Services-Sektor 70 Prozent zum Gesamtwachstum der ICT-Industrie in Deutschland bei. Obwohl der Anteil von Software und ICT-Services an der deutschen Bruttowertschöpfung nur bei 2 Prozent liegt, generiert der Sektor 9 Prozent des Gesamtwachstums in Deutschland. Beim Detailblick auf den Sektor zeigt sich, dass sich der Bereich Software aufgrund der hohen Wachstumsrate von 24 Prozent zwischen 1995 und 2002 zum stärksten Bereich innerhalb des Sektors entwickelt hat. Mit einem Umsatz von 21 Mrd. Euro in 2002 liegt er mittlerweile deutlich vor dem Be-reich Datenverarbeitungsdienste (vgl. Abbildung 10).

(1) Auf Basis von Lieferungen & Leistungen(2) Beinhaltet: Datenerfassungsdienste (5 % Anteil), Datenverarbeitungs- und Tabellierungsdienste (51 %), Bereitstellungsdienste für Teilnehmersysteme (Web-Hosting), Sonstige IT-

Dienste (44 %)(3) Beinhaltet Informationsvermittlung und mit der Datenverarbeitung verbundene Tätigkeiten a. n. g.Quelle(n): Groningen Growth and Development Centre (GGDC), Groningen-Deutschland.xls; DeStatis, Umsatzsteuer bis Dreisteller 2002.xls; BCG-Analyse

Nicht erfasste Embedded-Software-Wertschöpfung macht allein in Maschinenbau und Fahrzeugindustrie zusätzliche 16 Mrd. € aus

Nicht erfasste Embedded-Software-Wertschöpfung macht allein in Maschinenbau und Fahrzeugindustrie zusätzliche 16 Mrd. € aus

0

5

10

15

20

25

Software HW-Beratung

DV-Dienste

Daten-banken

Instand-haltung

Sonstige

16 %

Umsatzentwicklung in D 1995–2002

Umsätze(1)

(Mrd. €)

20021995 % CAGR 1995–2002

24 %

4 %

24 % 9 %

20 %64,6 75,3

17,7

40,6

0

20

40

60

80

100

120

140

1995 2002

BWS (Mrd. €)

BWS-Entwicklung in D 1995–2002

2)3)

115,9

82,312, 6 %

p. a.

5,0 %p. a.

Delta95–02

10,7 Mrd. €(32 %)

22,9 Mrd. €(68 %)

% CAGR 1995–2002

Restliche ICT-Industrie

SW &ICT-Services

ICT-Services

Software mit den höchsten Wachstumsraten

Der entscheidende Treiber hinter dem starken Wachstum von Software und ICT-Services liegt in der verstärkten Nutzung von Enterprise Resource Plan-ning (ERP)-Systemen und Supply Chain Management-Systemen sowie dem Trend zum IT-Outsourcing im Geschäftskundensektor. Bei Privatkunden war es die zunehmende Verbreitung von PCs in den Haushalten: 2003 besaßen bereits 61 Prozent aller deutschen Haushalte einen Rechner. Auch die Telekommunikation hat stark zum Wachstum von Software und ICT-Services beigetragen. So sind die Wachstumssegmente Mobilfunknetze,

Abbildung 10: Software und ICT-Services für fast 70 % des ICT-Wachstums verantwortlich

Page 27: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

23

Mobilfunkgeräte sowie Telco-Systeme und -Applikationen mittlerweile von Embedded Software dominiert. Bei einzelnen Produkten macht die integrier-te Software bereits mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung aus. Mit einer Bruttowertschöpfung von knapp 41 Mrd. Euro aus Software und ICT-Services im Jahr 2002 ist Deutschland Spitzenreiter innerhalb der EU – gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Diese Spitzenposition konnte die Bundesrepublik erreichen, weil die deutschen Unternehmen bei wichtigen Entwicklungen innerhalb des Sektors eine Vorreiterrolle einnahmen. Deut-sche Unternehmen sind beispielsweise bei Anwendungssoftware für die betriebliche Prozessoptimierung, bei ERP-Systemen sowie im Supply Chain Management stark aufgestellt. Im globalen Vergleich zeigt sich allerdings die starke Position der USA im Bereich Software. Fünf US Software-Unternehmen rangieren mittlerweile unter den Top 50 ICT-Playern im Hinblick auf Marktkapitalisierung - darunter eines als unangefochtene Nummer 1 (vgl. hierzu auch Abbildung 2). Insbe-sondere bei der Anwendungssoftware haben die US-Unternehmen Standards gesetzt und in den vergangenen Jahren gefestigt. Dies zeigt sich auch darin, dass das Wachstum der Sektoren Software und ICT-Services in Deutschland in 2002 auf unter 4 Prozent gesunken ist. Diese Verlangsa-mung ist zum einen auf die weltweite Abkühlung des Wirtschaftswachstums zurückzuführen. Zum anderen haben US-Unternehmen die Spitzenposition bei der Entwicklung aktueller Softwaretrends wie Customer Relationship Management (CRM) und software-basierter Dienste übernommen. Deutsche Unternehmen sind hier bislang nur in Teilbereichen aktiv. Führende Marktforschungsinstitute prognostizieren bis 2008 einen Anstieg des durchschnittlichen Wachstums im Bereich Software/ICT-Services auf 5 Prozent pro Jahr. Getrieben wird dieses Wachstum insbesondere durch großvolumige Projekte in den Bereichen e-Government und e-Health. Zur Umsetzung dieser Großprojekte werden zunehmend Public-Private-Partner-ships (PPP) gebildet. Sie ermöglichen eine enge inhaltliche und wirtschaft-liche Kooperation zwischen staatlichen Stellen und privatwirtschaftlichen Unternehmen. Deutschland ist bei der Umsetzung solcher PPP-Projekte im internationalen Vergleich zwar noch schwach aufgestellt (siehe Kapitel „Öf-fentlicher Sektor“). Beispiele aus den USA und Großbritannien zeigen jedoch bereits heute den Trend auf. So wurden in Großbritannien Investitionen von über 9 Mrd. Euro für die Umsetzung von e-Health („Connecting for Health“-Initiative) getätigt. Im Bereich Software besteht in drei großen Wachstumsfeldern der Anwen-dungssoftware Potenzial. Zum einen wird die globale Vernetzung von Unternehmen und Wertschöpfungsketten zur Entwicklung neuartiger An-wendungen führen. Hier sind insbesondere Collaboration-Software und Sicherheitsapplikationen zu nennen. Auch im Privatkundenbereich zeigt sich ein Trend zu Vernetzung und Interaktion, der beispielsweise die Entwicklung software-basierter Dienste für Video-Streaming und Online-Gaming treibt. Zum anderen führt die Erweiterung der Kundenbasis mit Blick auf Unter-nehmen des Mittelstands (kleine und mittlere Unternehmen, KMU) zu einer verstärkten Nachfrage nach der Implementierung von ERP- und CRM-Programmen. Und drittens ergibt sich im Bereich Embedded Software Wachstumspotenzial insbesondere bei Telco-Equipment daraus, dass ein Teil der Wertschöpfung von den Hardwareproduzenten auf die Softwarean-bieter verlagert wird (vgl. Abbildung 11).

Page 28: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

24

Quelle(n): The Embedded Software Strategic Intelligence Program 2002/2003, VDC, 2003, Thomson financial database; BMW Car IT; BCG-Analyse

F&E-Split nach Branchen in 2003

7151 53

18

41 40

2949 47

82

59 60

0102030405060708090

100

Durchschnittl. F&E-Ausgaben (% d. Umsatzes)

16,0 % 5,0 % 5,0 % 5,0 % 4,5 % 10,0 %

Hardware-Entwicklung

Embedded-Software-

Entwicklung

Anteil(%)

Software-Anteil steigt weiter

6338

28

30

932

020

406080

100

2000 2010

SW

Elektrik

Mecha-nik

Telecom-Equipment

ConsumerElectronics

Medizin-technik

Maschinen-bau

Automobil-industrie

Verteidigungs-,Luftfahrt-industrie

Software-Anteil gestiegen

6030

4070

0

2040

60

80100

2000 2005

SW

Me-cha-nik

Für den Bereich ICT-Services ist zukünftig von einem einstelligen Wachstum auszugehen. Die Wachstumsfelder für ICT-Services liegen insbesondere im Business Process Outsourcing (BPO), d.h. in der Bereitstellung integrierter, branchenspezifischer IT-Prozesslösungen, sowie bei Web-Services und dem „Network Centric Computing“, d.h. der Bereitstellung von IT-Funktionalitäten als Dienstleistung zur Durchführung spezieller Geschäftsprozesse. Aller-dings geht mit einem zunehmenden Outsourcing von standardisierten ICT-Serviceleistungen auch der Trend zum Offshoring einher. Die Wachstums-chancen bei standardisierten Outsourcing-Lösungen sind in Deutschland demnach begrenzt, da andere Länder mit niedrigeren Lohnkosten Wettbe-werbsvorteile gegenüber Deutschland nutzen werden. Das gilt vor allem für asiatische Länder und zunehmend auch für Osteuropa. Nicht standardi-sierte, lokale Prozesse bieten allerdings auch weiterhin Wachstumsmöglich-keiten für Deutschland. Daher sind Aktivitäten rund um ICT-Beratung und die Entwicklung branchenspezifischer Lösungen zu forcieren. Insbesondere für das Geschäft mit Unternehmen des Mittelstands besteht noch großer Nach-holbedarf. Gerade für diese Unternehmen ist ein lösungsorientierter Service vor Ort von großer Bedeutung.

Abbildung 11: Embedded-Software-Anteil deutscher Wert-schöpfung wird deutlich zunehmen

Page 29: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

25

6 Wachstumsimpulse auf der Nachfrageseite

6.1 Öffentlicher Sektor: Ausbau von e-Government und e-Health als Katalysator für die Nachfrage nach ICT

Deutschland liegt bei der Umsetzung von e-Government bisher lediglich im unteren europäischen Mittelfeld. In der Bundesrepublik werden e-Govern-ment-Angebote nur begrenzt zur Verfügung gestellt, so dass deren Nutzung durch Bürger und insbesondere durch Unternehmen entsprechend gering ist. Zudem sind die ICT-Ausgaben des öffentlichen Sektors in Deutschland deutlich niedriger als in Vergleichsländern. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group ergeben sich in den Anwendungsbereichen e-Government und e-Health jährliche Einsparpotenziale von bis zu 37 Mrd. Euro für den Staat sowie die Nachfrager nach öffentlichen Leistungen. Die Einsparungen resultieren aus Prozessoptimierungen und organisatorischen Änderungen, die mit einer aktiven Förderung der flächendeckenden Nutzung durch Bürger und Unternehmen einhergehen. In Europa wird bereits eine Vielzahl öffentlicher Leistungen online angebo-ten. Die Umsetzung der einzelnen e-Government-Maßnahmen ist allerdings von Land zu Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während etwa Einkom-mensteuererklärungen in 90 Prozent der europäischen Länder online ein-gereicht werden können, stehen elektronische Prozesse für Baugenehmi-gungen oder die Beantragung von Personaldokumenten nur in weniger als der Hälfte der Länder zur Verfügung. In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Online-Angeboten. Neuerdings neh-men aber Effizienzsteigerungen, Kostenreduktionen und größere Bürger-nähe eine immer zentralere Rolle bei der Ausrichtung der e-Government-Aktivitäten ein. Neben der öffentlichen Verwaltung kommt künftig vor allem Aktivitäten in den Bereichen e-Health und e-Procurement hohe Bedeutung zu. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im Bereich e-Government im unteren Mittelfeld. Dies gilt sowohl für den technologischen Reifegrad bereits eingeführter Online-Dienste als auch für die prinzipielle Bereitschaft, öffentli-che Dienstleistungen auf Online-Dienste umzustellen. e-Government in Deutschland weist damit vor allem in zwei Aspekten Schwächen auf: Zum einen fehlt es im Vergleich zu skandinavischen Ländern an Online-Diensten. Zum anderen ist die Orientierung am Kunden – Bürgern und Unternehmen – nur schwach ausgeprägt (vgl. Abbildung 12).

Deutschland insgesamt im unteren Mittelfeld bei e-Government-Umsetzung(1)

Schwächen bei Breite und Kundenorientierung des Angebots(2)

80

85

90

95

100

105

50 55 60 65 70 75 80 85Tiefe des Serviceangebots (%)

Kanada

USA

Finnland Frankreich

Dänemark

Niederlande

Japan

Italien

Schweden

Irland

UK

Spanien

Deutschland

(1) IDC, European e-Government Services, 2004; e-Readiness: Internet-, Breitband-, e-Commerce-Penetration; Reifegrad: Qualität der e-Government-Dienste (2) Accenture, The Government Executive Series, 2004; Breite des Serviceangebots: Anzahl der online verfügbaren Angebote; Tiefe des Serviceangebots: Vollständigkeit des

Online-Angebots, d. h. Möglichkeit der vollständigen elektronischen Bearbeitung(3) Bürgernähe, Behörden-Vernetzung, Multi-Channel-Angebote, proaktive Kommunikation, KompetenzvermittlungQuelle(n): BCG-Analyse

00

„e-Readiness“ HochNiedrig

Hoch

Niedrig

Reifegrad e-Government

Dänemark

Finnland

Frank-reich

UK

Deutsch-land

Italien

Spanien

IrlandPortugal

Griechen-land

Schweiz

ÖsterreichBelgien

SchwedenNiederlande

Norwegen

Hoch Mittel NiedrigKundenorientierung(3)

Entwicklung e-Government im Ländervergleich

Breite des Service-angebots(%)

Abbildung 12: Deutschland bei Umset-zung von e-Government unterdurchschnittlich

Page 30: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

26

Diese Schwächen wirken sich auf die geringe Bereitschaft der Bürger aus, e-Government in Deutschland zu nutzen: Um eine öffentliche Dienstleistung zu beantragen, haben im Jahr 2004 nur 7 Prozent aller Deutschen ein Onli-ne-Formular genutzt. In Dänemark, dem europäischen Spitzenreiter in dieser Kategorie, waren es mit 14 Prozent doppelt so viele. Der Anteil der per In-ternet eingereichten Steuererklärungen bestätigt den Eindruck geringer Akzeptanz von e-Government: Lediglich 4 Prozent aller Deutschen gaben im Jahr 2003 ihre Steuererklärung online ab. In Norwegen und Dänemark wa-ren es mehr als 30 Prozent. Noch größer ist die Schere bei der Inanspruchnahme öffentlicher Online-Dienste durch Unternehmen. Nur 6 Prozent aller Unternehmen mit mehr als neun Beschäftigten haben 2004 ihre Anliegen bei öffentlichen Stellen voll-ständig online abgewickelt. In Österreich hingegen, dem europäischen Spitzenreiter in dieser Kategorie, waren es 40 Prozent. Die Schwäche Deutschlands bei der Umsetzung von e-Government hat zwei wesentliche Ursachen. Zum einen ist es die im europäischen Vergleich ge-ringe Bereitschaft des öffentlichen Sektors, in ICT zu investieren. So betrugen im Jahr 2004 die ICT-Gesamtausgaben des öffentlichen Sektors in der Bundesrepublik gerade einmal 13 Mrd. Euro. Hingegen lagen etwa in Großbritannien die ICT-Investitionen im selben Jahr um 40 Prozent höher. Während der öffentliche Sektor Deutschlands damit nur 0,6 Prozent des BIP in ICT investiert, liegen die entsprechenden Gesamtausgaben bei den EU-Spitzenreitern Großbritannien und Dänemark fast doppelt so hoch.

0,0%

0,2%

0,4%

0,6%

0,8%

1,0%

1,2%ICT-Ausgabendes öffentlichenSektors(% des BIP 2004)

ICT-Gesamtausgaben des öffentlichen Sektors 2004

Quelle(n): EITO; Eurostat; public-ict-spending.xls; BCG-Analyse

Finn-land

Frank-reich

Nieder-lande

Spanien Deutsch-land

Schwe-den

Öster-reich

Griechen- land

IrlandItalienDäne-mark

Groß-britan-nien

Finn-land

Frank-reich

Nieder-lande

Spanien Deutsch-land

Schwe-den

Öster-reich

Griechen- land

IrlandItalienDäne-mark

Groß-britan-nien

+80%

EU-Durchschnitt

Die zweite Ursache für die schwache Umsetzung von e-Government in Deutschland ergibt sich aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik. Sie führt zu fragmentierten und unkoordinierten e-Government-Aktivitäten der einzelnen Bundesländer. Zudem existiert in Deutschland nur eine geringe Zahl von Public-Private-Partnerships (PPP) in diesem Bereich. PPP-Projekte sind aber für eine erfolgreiche Umsetzung von e-Government-Aktivitäten von elementarer Bedeutung. Beispiele aus Großbritannien und den USA zeigen, dass Online-Dienste, die im Rahmen von PPP-Projekten realisiert wurden, durch ihre enge Anbindung an die Wirtschaft sehr erfolgreich arbeiten. Die deutschen Schwächen im Bereich e-Government verhindern, dass er-hebliche Einsparpotenziale aus Produktivitätssteigerungen des öffentlichen Sektors genutzt werden. Trotz der bundesweiten Initiative zum Bürokratie-abbau lassen sich nur geringe Fortschritte bei der Verschlankung von Prozessen im öffentlichen Sektor erkennen. Zwar liegt bislang keine umfas-sende Quantifizierung der Gesamtpotenziale von e-Government vor. Doch

Abbildung 13: ICT-Ausgaben des öffentlichen Sektors in Deutschland unter dem Niveau wichtiger Ver-gleichsländer

Page 31: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

27

unter Berücksichtigung der Erfahrungen und Zahlen anderer europäischer Länder und der in Deutschland verfügbaren Einzelbeispiele lassen sich – so die Schätzung der Boston Consulting Group – Einsparpotenziale in Höhe von 37 Mrd. Euro pro Jahr realisieren. Das entspricht etwa 2 Prozent des BIP. Dieses Gesamtpotenzial lässt sich herunterbrechen auf zwei Ebenen: die Einsparpotenziale für den deutschen Staat von rund 27 Mrd. Euro pro Jahr sowie die Potenziale für die Nutzer von e-Government in Höhe von 10 Mrd. Euro jährlich. Die Einsparpotenziale für den öffentlichen Sektor stammen dabei im Wesentlichen aus der Neugestaltung der Geschäftsprozesse und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung, aus e-Procurement sowie aus der kon-sequenten Einführung von e-Health. Das Einsparpotenzial für die Nutzer von e-Government - Unternehmen wie Bürger - resultiert aus geringeren Trans-aktionskosten zwischen Unternehmen und Staat, einer stärkeren Kunden-orientierung und aus der Verschlankung von bürokratischen Prozessen. Fallstudie: e-Government und e-Health in Deutschland Die deutsche e-Government-Initiative ist in drei Programme aufgeteilt. Zum einen werden im Rahmen des BundOnline-Programms (koordiniert durch das Bundesministerium des Inneren) bundesweite e-Government-Dienste entwickelt. Zum anderen wurden innerhalb des Media@Komm-Programms lokale e-Government-Anwendungen zunächst in einzelnen Pilotprojekten realisiert, die nun schrittweise überregional ausgeweitet werden. Zusätzlich soll über das DeutschlandOnline-Programm eine Koordinierung der Länder-aktivitäten erreicht werden. Laut Aussage des Bundesministeriums des Inneren sollen ab 2006 durch die Online-Umsetzung von 376 Dienstleistun-gen im Rahmen des BundOnline-Programms jährlich 400 Mio. Euro eingespart werden. Ein Beispiel für diese Dienstleistungen ist die Online-Bearbeitung von Anträgen für die Förderung von Solaranlagen. Allein hier werden jährliche Einsparungen von 750.000 Euro erwartet. Für die Einsparpotenziale auf lokaler Ebene und auf Länderebene gibt es derzeit keine übergreifenden Schätzungen. Allerdings wurden in Einzelfällen konkrete Kosteneffekte ermittelt. So wird geschätzt, dass die deutschland-weite Einführung virtueller Bauämter insgesamt 130 Mio. Euro Kosten einsparen würde. Im Bereich e-Health werden allein durch die elektronische Gesundheitskarte und die Einführung des elektronischen Rezepts Einsparungen von 1,5 Mrd. Euro pro Jahr erwartet. Dies ist jedoch nur eine erste Stufe der e-Health-Umsetzung. Deutlich größere Potenziale können sich durch die Einführung der elektronischen Patientenakte und durch die vollständige Vernetzung des deutschen Gesundheitssystems ergeben. Fallstudie: Vergleich Großbritannien Als wichtiger Vorreiter gilt Großbritannien, das mit dem Einsatz von ICT den öffentlichen Sektor reformieren will. Bereits 2003 wurde ein umfassendes Programm zur Effizienzsteigerung des öffentlichen Sektors durch ICT-Nutzung ins Leben gerufen. Bis 2006/2007 will das Land Einsparungen von insgesamt 30 Mrd. Euro realisieren. Davon sollen sich 7,5 Mrd. Euro durch Produktivitätssteigerungen und niedrigere Transaktionskosten aufgrund von ICT-Nutzung ergeben. Weitere 22,5 Mrd. Euro Einsparungen sollen indirekt durch die Reorganisation von Verwaltungsprozessen, die Verschlankung des Staats und durch optimierte Beschaffungsprozesse realisiert werden. Das Programm umfasst alle Bereiche des öffentlichen Sektors. Die größten Einsparungen liegen in den Bereichen Gesundheit (30 Prozent), Bildung (20

Page 32: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

28

Prozent), allgemeine Verwaltung (20 Prozent) und Verteidigung (14 Pro-zent). 2004 hat der öffentliche Sektor in Großbritannien insgesamt 21 Mrd. Euro für ICT ausgegeben – so viel wie kein anderer europäischer Staat. Diese Beispiele verdeutlichen das wirtschaftliche Potenzial, das durch eine flächendeckende Einführung von e-Government und e-Health in Deutsch-land erschlossen werden kann. Schätzungen der Boston Consulting Group ermitteln ein jährliches Einspar-potenzial von mindestens 7 Mrd. Euro für den Staat im Bereich e-Health, das einer rund dreiprozentigen Einsparung auf die deutschen Gesamtausgaben entspricht. Treiber der Einsparungen sind ein hoher Vernetzungsgrad zwi-schen den Leistungserbringern sowie die Zahl der Transaktionen, die online abgewickelt werden. Denn während in Deutschland nur rund 6% der Ärzte das Internet für den Austausch von Patientendaten benutzen, liegt diese Zahl in Dänemark bei 81%. Im Bereich e-Government kann der Staat bis zu 10 Mrd. Euro durch Pro-zessoptimierungen und weitere 10 Mrd. Euro aus einer vollständigen Umsetzung der Online-Beschaffung realisieren. Ein Hebel zur Prozessopti-mierung und Verschlankung der Bürokratie kann dabei in Ansätzen zur verwaltungsübergreifenden Kooperation liegen, wie das nachfolgende Bei-spiel aus Australien zeigt. Fallstudie: Vergleich Australien Als Reaktion auf die Unzufriedenheit der Bürger mit dem unüberschaubaren Geflecht an Strukturen und Zuständigkeiten, hat die australische Regierung im Jahre 1997 eine tiefgreifende Reform der Sozialverwaltung beschlossen. Mit dem Modell der Centrelink-Verwaltung soll die Produktivität der Sozial-verwaltung über einen konsequenten one-stop-shopping Ansatz kontinuier-lich gesteigert werden. Als Zielmarke hat die australische Regierung eine jährliche Effizienzsteigerung von 10 Prozent angesetzt. Die Centrelink-Verwaltung basiert auf der Trennung von Programm- bzw. Leistungsentwicklung und der Leistungserbringung („Purchaser-Provider-Split“). So entwickeln die Fachministerien weiterhin die sozialpolitischen Programme, während Centrelink mit der möglichst effektiven und effizienten Leistungserbringung für die Sozialtransfers beauftragt wird. Die Bereitstel-lung der Sozialeistungen erfolgt auf Grundlage der zuvor ausgehandelten Ressourcen-Leistungsumfänge. Das von Centrelink abgewickelte Leistungsvolumen beträgt derzeit rund 30 Mrd. Euro. Mit etwa 27.000 Mitarbeitern bietet Centrelink Verwaltungsdienst-leistungen über ein Portal, ein australienweites Callcenter sowie über 300 örtliche Centrelink-Büros. Während die Verwaltungsdienste in der Vergan-genheit durch staatliche, regionale und kommunale Institutionen wahr-genommen wurden, bündeln jetzt nur 32 Behörden Australiens rund 140 Informations- und Transferdienstleistungen für Bürger und Unternehmen.

6.2 Privater Sektor: Initiierung einer gesamtwirtschaftlichen Wachstumsspirale durch Breitband und verstärkte ICT-Nutzung

Deutschland ist im Hinblick auf seine Breitbandpenetration und die Mobil-funknutzung unterdurchschnittlich entwickelt. Um die Wachstumspotenziale aus Breitbandanwendungen und mobilen Diensten auszuschöpfen, sind zwei Dinge von elementarer Bedeutung: der zügige Ausbau der Breitband-infrastruktur und die Verankerung einer breiten Begeisterung für moderne

Page 33: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

29

Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Entwicklung und Ver-marktung breitbandiger Applikationen in den Bereichen Unterhaltung und Bildung sind wichtige Treiber, um die ICT-Nutzung von Privatkunden zu stei-gern. Nach Berechnungen im Rahmen dieser Studie gaben Privatkunden in Deutschland im Jahre 2004 insgesamt 49 Mrd. Euro für Informations- und Kommunikationstechnologie aus. Davon entfielen 75 Prozent auf Telekom-munikationsdienste, d.h. Mobilfunk, Breitband/Internet und Festnetztelefonie. Im internationalen Vergleich zeigt Deutschland einen deutlichen Rückstand bei der Verbreitung und Anwendung moderner Informations- und Kommuni-kationstechnologien. Zwar ist die durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets in Deutschland mit rund zwölf Stunden pro Monat nahezu ver-gleichbar mit den globalen Spitzenreitern Japan, Frankreich und USA. Doch bei der Breitbandpenetration und bei der Mobilfunknutzung gilt es erheblich aufzuholen. Abbildung 14 zeigt, dass Deutschland im Mai 2005 mit einer Breitbandpenetration der Haushalte von lediglich 19 Prozent deutlich hinter den weltweiten Spitzenreitern liegt. In Südkorea ist die Haushaltspenetration mit Breitbandanschlüssen mehr als viermal so hoch, in Dänemark und Japan beträgt sie mehr als das Doppelte.

Breitbandpenetration Internetnutzung

Mobilfunkpenetration Mobilfunknutzung

0%10%20%30%40%50%60%70%80%

ROK DK J S USA F FIN GB E I D

% allerHaus-halte

0%

20%

40%

60%

80%

100%

120%

S I GB E FIN DK D ROK F J USA0

100

200

300

400

500

600

700

USA ROK FIN F J DK UK E I S D

Nutzungs-dauer(Minutenpro Monat)

02468

10121416

J F USA D E UK S I FIN DK ROK

Nutzungs-dauer(Stunden pro Monat)

% derBevöl-kerung

+113 %

+240 %

+14 %

+24 %

Abstand zu Top 3 (ohne Korea)

Ø

Ø

Ø

Ø

Anmerkung(en): Daten für 2004Quelle(n): WW Wireless Matrix 04Q3.pdf, Merrill Lynch, 2005, S. 2; OECD; BCG-Analyse

Abstand zu Top 3

Abstand zu Top 3

Abstand zu Top 3 (ohne USA)

n/v n/v n/v

Im europäischen Mobilfunk zeigt sich eine zunehmende Marktsättigung. Deutschland liegt hier allerdings mit einer Penetration von 84 Prozent der Bevölkerung noch deutlich unter dem Niveau der international führenden Länder. Auch bei der Nutzung besteht noch Potenzial: Die Deutschen tele-fonieren im Schnitt lediglich 75 Minuten pro Monat mobil; in Finnland ist dagegen die Nutzungsdauer dreimal so lang. Der zentrale Wachstumshebel im Mobilfunk liegt damit in der Verlängerung der Nutzungsdauer sowie dem Ausbau mobiler Dienste. Hierdurch können die im internationalen Vergleich niedrigen Mobilfunk-ARPUs in Deutschland erhöht und der Anteil der mobi-len Kommunikation an den Telekommunikationsausgaben gesteigert werden (vgl. Abbildung 15).

Abbildung 14: Deutschland in wichtigen Dimensionen der PK-ICT-Nutzung mit Nachholbedarf

Page 34: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

30

D liegt bei monatlichen Umsätzen je Kunde zurückAnteil Mobilfunk an Gesamt-Telekommunikations-ausgaben in D noch ausbaufähig

Mobilfunkausgaben können noch ausgeweitet werdenMobilfunkausgaben können noch ausgeweitet werden

0

10

20

30

40

50

60

J USA FIN GB F E ROK I DK D S

ARPU (€)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

I J E S F GB FIN D DK USA

Anteil Mobilfunk-umsatzam Gesamt-Telekom-munikations-umsatz(%)

+20 %

Abstand zu Top 3

+80 %

Abstand zu Top 3

Anmerkung(en): Daten für 2004Quelle(n): EITO 2005, S. 201ff.; WW Wireless Matrix 04Q3.pdf, Merrill Lynch, 2005, S. 2; Netsize; Firmenangaben; BCG-Analyse

Im Bereich Breitband/Internet ist in den kommenden Jahren mit einer deut-lich höheren Nachfrage zu rechnen. Vor dem Hintergrund unveränderter Haushaltsbudgets wird diese Nachfrage allerdings nicht zu insgesamt höhe-ren Ausgaben führen. Vielmehr wird sie über ein geändertes Konsumverhalten finanziert, das sich auf die Budgets für Mobilfunk, Festnetz und Unterhaltung auswirkt. Um die Breitbandnutzung in Deutschland zu steigern, müssen sowohl die Breitbandpenetration als auch die Entwicklung breitbandiger Unterhaltungs- und Bildungsinhalte forciert werden. Für eine stärkere Diffusion innovativer Breitbandangebote ist dabei der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Infrastruktursystemen besser geeignet als ein regulierungsgetriebener Dienstewettbewerb.4 Eine Katalysatorfunktion für die private Nutzung von Breitbandanwendungen kann der öffentliche Sektor einnehmen. Denn als Anbieter von ICT-Leistun-gen in den Bereichen e-Government und e-Health kann er die private Internetnutzung stimulieren. Wie sich in Japan und Südkorea gezeigt hat, wird durch eine steigende Internetnutzung die Nachfrage nach neuen breit-bandigen Applikationen gefördert. Ebenso werden die Innovationskraft und der Ausbau wissensintensiver Wirtschaftssektoren stimuliert. Dies kann eine Wachstumsspirale in Gang setzen mit positiven Effekten für Wertschöpfung, Wachstum und Beschäftigung. Um diese Spirale in Bewegung zu bringen, ist eine klare und gesellschaftlich breit verankerte Vision von und Begeisterung für moderne Informations- und Kommunikationstechnologien notwendig. Ein Blick auf andere Länder zeigt, welche Faktoren zur erfolgreichen Umsetzung einer solchen Vision beitra-gen (vgl. Abbildung 16).

4 Vgl. DotEcon/Criterion, 2003, S. 112ff.

Abbildung 15: Ausgaben für Mobilfunk können noch weiter ausgebaut werden

Page 35: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

31

Konsequente Förderung des Infrastruktur-

ausbaus

Liberalisierung Infrastruktur-wettbewerb

ICT-Bildungs-initiative

Aktive Förderung der

Angebots-entwicklung

ICT-Meinungs-macher/

Multiplikatoren

Öffentlicher Sektor ist wichtiges Vorbild

ICT-Vision in Gesellschaft

verankern

Beispiel USA• Deregulierung bereits in

1984 bzw. 1996• Seit 1996 direkter

Wettbewerb alternativer Anbieter

Beispiel Schweden • Starke Förderung der

PC-Verbreitung• ICT-Ausbildung mit sehr

hoher Priorität

Beispiel Korea• Klares Commitment des

Staats für Entwicklung von Online-Services (Video, Games)

Beispiel UK• Öffentlicher Sektor als Vorreiter

bei ICT-Ausgaben (+40 % vs. D)• Forcierung e-Government

Beispiel Korea• e-Korea-Vision• Dr. Chin, Minister of Inform./Com.,

„Mr. Technology“, Ex-Samsung Manager

Beispiel Japan• BB-Penetration von 2 %

in 2001 auf 36 % in 2004 • Weltweit niedrigste

Internetnutzungskosten

Quelle(n): BCG-Analyse Südkorea hat zum Beispiel die Vision „e-Korea“ durch erhebliche Medien-präsenz in der Gesellschaft verankert. Die Begeisterung der Gesellschaft für die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie wurde da-durch wirksam stimuliert. Japan hat seit 2001 durch konsequente Förderung des Infrastrukturausbaus den Rückstand bei der Breitbandnutzung abgebaut und ist nun nach Südkorea das am weitesten entwickelte Breitbandland. In den USA hat eine frühe und grundlegende Liberalisierung des Telco-Services-Markts den Wettbewerb alternativer Anbieter, wie etwa Kabelanbie-ter, stark beschleunigt. Das hat bereits früh zu einem sehr niedrigen Preis-niveau und einer hohen Penetrationsrate geführt. In Großbritannien hat der öffentliche Sektor die Rolle als Vorreiter bei ICT-Investitionen übernommen. So wirkte der Staat als entscheidender Treiber für die Transformation Groß-britanniens in eine Informationsgesellschaft. In Schweden haben staatliche Bildungsinitiativen die Verbreitung der PCs gefördert und damit die ICT-Kenntnisse der Bevölkerung erhöht. Fallstudie: Erfolgsstory Südkorea Südkorea gilt als Vorreiter und Testmarkt für innovative Breitband- und Mo-bilfunknutzung. 70 Prozent der Haushalte verfügen über einen Breitband-anschluss. Bereits 12 Prozent des Handelsumsatzes werden über e-Commerce abgewickelt. Südkoreas Erfolg ist wesentlich auf die aktive Rolle des Staates bei der Förderung des Breitbandausbaus zurückzuführen. So wurden 1,5 Mrd. Euro an direkten Fördergeldern in den Aufbau von Breit-bandnetzen investiert. Durch die Liberalisierung des Telekommunikations-marktes und durch die Bereitstellung spezieller Förderkredite haben private Internet-Service-Provider massiv in den Aufbau von IP-Netzen investiert. Wichtigster Treiber des Erfolgs ist jedoch die frühe Entwicklung und rasche Verbreitung von Breitbandanwendungen: Video-on-Demand und Online-Gaming haben schnell hohe Akzeptanz gefunden und in der Gesellschaft eine Breitbandeuphorie hervorgerufen. Volkswirtschaftlich kann Südkorea nun die Früchte der schnellen Breitbandentwicklung ernten: Mit einem Anteil von mehr als 15 Prozent am BIP ist die ICT-Industrie der wichtigste Wachs-tumsmotor der südkoreanischen Wirtschaft. Wichtige südkoreanische Standards – zum Beispiel DMB – gewinnen zunehmend an internationaler Bedeutung. Unternehmen wie Samsung, LG und SK Telecom gehören dank des innovativen Heimatmarktes zu den Vorreitern der ICT-Entwicklung und weisen ein starkes Wachstum im Exportmarkt auf.

Abbildung 16: Erfahrungen aus den Best Practice Ländern: Erfolgreiche Transforma-tion getrieben durch klare ICT-Vision

Page 36: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

32

Fallstudie: Erfolgsstory Japan „To become the world’s most advanced IT nation by 2005“ – mit dieser „e-Japan“-Vision hat das Land 2001 begonnen, seinen Rückstand bei der Breitbandnutzung aufzuholen. Die Regierung setzte konkrete Ziele zum Ausbau der Breitbandinfrastruktur: 30 Mio. Haushalte mit Breitbandnutzung und 10 Mio. Haushalte mit Glasfasernutzung (Fibre to the Home, FTTH) bis 2005. Ein klarer Deregulierungskurs mit Hilfe des e-Japan-Programms sorgt für Rahmenbedingungen zum Ausbau des Landes zur führenden Online-Nation. Im Vordergrund stand zunächst das prominente Bekenntnis, Struk-turreformen zu beschleunigen und durch die Stärkung des Wettbewerbs die Preise für den Internetzugang zu senken. Heute hat Japan nach Südkorea weltweit die zweithöchste Breitbandpenetration und die niedrigsten Internet-zugangskosten. In einer zweiten Phase der e-Japan-Strategie soll nun die ICT-Nutzung beschleunigt und ausgeweitet werden. Im Vordergrund steht die Förderung der Entwicklung von Breitbandanwendungen in sieben Schlüsselfeldern: Gesundheit, Lebensmittel, Lifestyle, Mittelstandsfinanzie-rung, Arbeitsmarkt, e-Learning und öffentliche Verwaltung. Eine wichtige Komponente des Programms ist die Koordinations- und Kooperationsunter-stützung für den Kontakt zwischen Telekommunikationsunternehmen, Con-tent- und Endgeräteanbietern. Auf diese Weise soll eine schnelle und für alle Parteien gewinnbringende Entwicklung sichergestellt werden. Langfristiges Ziel des e-Japan-Programms ist die Transformation der japanischen Gesell-schaft durch innovative ICT-Nutzung. Die Verfügbarkeit und Nutzung von Informationen und Diensten soll ubiquitär, also allgegenwärtig möglich sein. Die Förderung wichtiger Schlüsselindustrien im Umfeld von „Ubiquitous Net-works“ ist daher zentraler Bestandteil des Programms. Japan will sich als Innovationsführer und wichtiges Exportland im Umfeld dieser neuen Techno-logien positionieren.

6.3 Große Unternehmen: Einsatz von e-Business und schnelle Anpassungsfähigkeit der Organisation als Hebel zur Erschließung von Produktivitätspotenzialen

e-Business hilft Unternehmen, ihre Effizienz durch Prozessinnovationen zu steigern und mit Hilfe von Produktinnovationen zu wachsen. Im europäi-schen Vergleich nehmen deutsche Unternehmen beim Einsatz von e-Business eine Vorreiterrolle ein. Das Nutzungsniveau in Europa ist jedoch noch in einer frühen Entwicklungsphase. Um die Produktivitätspotenziale mit e-Business auszuschöpfen, müssen deutsche Großunternehmen die Anpas-sungsfähigkeit von Organisation und Prozessen steigern. e-Business bedeutet die Optimierung interner Geschäftsprozesse durch ICT-Nutzung und elektronische Integration der Wertschöpfungskette durch Ver-netzung mit Zulieferern und Kunden. e-Business ist somit ein entscheiden-der Treiber der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. e-Business-Lösungen helfen Unternehmen, ihre Effizienz durch Prozessinnovationen zu steigern und Wachstum mit Hilfe von Produktinnovationen zu erzielen. Be-reits heute werden rund 75 Prozent aller Prozessinnovationen direkt durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie generiert. Bei Produktinnovationen liegt der Anteil derzeit noch bei etwa 20 Prozent. Zwar bestehen in Deutschland die infrastrukturellen Voraussetzungen für umfassende e-Business-Aktivitäten. Doch diese werden zur Zeit von einer Vielzahl von Unternehmen nicht wahrgenommen. 84 Prozent aller deutschen Unternehmen arbeiten mit PCs, und 78 Prozent nutzen das Internet. Doch nur 59 Prozent aller deutschen Unternehmen betreiben eine eigene Website

Page 37: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

33

und lediglich 10 Prozent nutzen das Internet aktiv als zusätzlichen Kunden-zugang und Verkaufskanal.

Anmerkung(en): Daten für 2004; es existieren z. T. erhebliche Unterschiede bei den Angaben zur Internetnutzung abhängig von unterschiedlichen Quellen.Quelle(n): Informationstechnologie in Unternehmen2004, DeStatis, 2005; Eurostat; BCG-Analyse

Internetnutzung deutscher Unternehmen

Potenziale der Vernetzung zu großen Teilen ungenutztPotenziale der Vernetzung zu großen Teilen ungenutzt

910

24

84

78

59

37

0

20

40

60

80

100Internetnutzung(% aller Unter-nehmen)

PC-Nutzung

Internet-nutzung

EigeneHomepage

Online-Beschaffung

Online-Verkäufe

Extranet-nutzung

Intranet-nutzung

Internetnutzung deutscher Unternehmen

Potenziale der Vernetzung zu großen Teilen ungenutztPotenziale der Vernetzung zu großen Teilen ungenutzt

910

24

84

78

59

37

0

20

40

60

80

100Internetnutzung(% aller Unter-nehmen)

PC-Nutzung

Internet-nutzung

EigeneHomepage

Online-Beschaffung

Online-Verkäufe

Extranet-nutzung

Intranet-nutzung

Das Nutzungsniveau von e-Business ist in Deutschland noch niedrig. Das gilt auch für die übrigen europäischen Länder. Beispielsweise werden im europäischen Durchschnitt derzeit nur rund 9 Prozent aller Unternehmens-umsätze über den elektronischen Geschäftsverkehr abgewickelt. Deutsche Unternehmen besitzen hier mit einem elektronisch generierten Anteil von 12 Prozent am Gesamtumsatz eine Vorreiterrolle – gemeinsam mit britischen Unternehmen (14 Prozent). Doch gemessen an einer Internetpenetration von rund 80 Prozent offenbart sich noch erhebliches Wachstumspotenzial für e-Business-Aktivitäten in Deutschland. Verstärkt wird dieses Bild durch den bislang geringen Einsatz spezifischer e-Business-Systeme zur internen Prozessoptimierung und zur Vernetzung mit Zulieferern und Kunden. Nur etwa 35 Prozent aller deutschen Unternehmen verfügen über ERP-Systeme, 16 Prozent nutzen SCM-Systeme, und etwa 20 Prozent der deutschen Unternehmen setzen CRM-Systeme ein.

Einsatz von ERP-Systemen Einsatz von SCM-Systemen

(1) Ergebnisse der Befragung von 5218 Unternehmen in EuropaQuelle(n): e-Business w@tch Pocketbook, 2005; BCG-Analyse

Einsatz von CRM-Systemen Einsatz von Sales-Support-Systemen

0

20

40

60

80

100

F D E I GB

Unternehmenmit Einsatzeines ERP-Systems(%)(1)

0

20

40

60

80

100

E D GB F I

0

20

40

60

80

100

D GB F E I0

20

40

60

80

100

D GB E F I

Unternehmenmit Einsatzeines SCM-Systems(%)(2)

Unternehmenmit Einsatzeines Sales-Support-Systems(in %)(4)

Unternehmenmit Online-Sales-Aktivitäten(%)(3)

e-Business wird bisher nur in einzelnen Industrien eingesetzt. Während im ICT-, Transport- und Elektroniksektor bereits eine sehr breite Nutzung er-reicht wurde, liegen Branchen wie Professional Services (wissensintensive Dienstleistungen wie z.B. Beratung), Handel oder Gesundheit bei der e-Business-Nutzung noch deutlich zurück.

Abbildung 17: Internetnutzung noch auf niedrigem Niveau

Abbildung 18: Auch Einsatz von e-Business Lösungen noch mit niedriger Verbreitung

Page 38: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

34

e-Business-Trends: „Extended Enterprises“ beschleunigt die e-Business-Nutzung e-Business steht heute noch am Anfang der Entwicklung. Seit Anfang der neunziger Jahre führen Unternehmen ICT-Systeme zur Unterstützung ihrer Prozesse ein. In den kommenden Jahren steht die nächste Stufe der Ent-wicklung an: Unternehmen werden zunehmend das Internet und offene Standards zur Vernetzung miteinander nutzen. Die Vision des Extended En-terprise, der Echtzeitkommunikation mit Zulieferern, Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Kunden, wird Realität. Zudem gewinnt die Idee des Net-work Centric Computing an Bedeutung – des bedarfsorientierten Zugriffs auf IT- und Business-Funktionalitäten über das Internet. Klassische IT-Funk-tionen verlagern sich so von den Unternehmen hin zu spezialisierten IT-Anbietern. Im Ergebnis entwickeln sich ICT-Produkte zu Dienstleistungen. Unternehmen gehen zunehmend dazu über, konkrete IT-Funktionalitäten einzukaufen und gesamte Business-Prozesse auf externe Partner zu verla-gern, statt in Software und Hardware zu investieren. Im Zentrum der Nachfrage steht dann nicht mehr die spezielle ICT-Lösung, sondern die Ab-wicklung eines betriebswirtschaftlichen Prozesses. Die bisher hohen Fixkosten des ICT-Einsatzes werden durch ein variableres Kostenmodell ersetzt. Für Anbieter von ICT-Dienstleistungen wird die Bündelung der Nach-frage wesentliche Effizienzpotenziale erschließen. Der Preis für ICT-Dienste wird weiter fallen. Die Herausforderung für die nächsten Jahre wird sein, ei-ne Koordinierung der ICT-Anbieter herbeizuführen. So lassen sich offene Standards festigen, die für die Realisierung der Vision der Extended En-terprises notwendig sind. e-Business-Trends: SCM und CRM weiterhin mit großem ungenutzten Potenzial In der Regel ist die Infrastruktur für einen e-Business-Einsatz bereits vor-handen. Nachdem Unternehmen einen Großteil ihrer Prozesse digitalisiert und sich mit Zulieferern vernetzt haben, steht nun die Neugestaltung und Vereinfachung der Geschäftsabläufe im Vordergrund. Über die Optimierung von Prozesskosten hinaus müssen Unternehmen verstärkt e-Business für Innovation und Differenzierung einsetzen, um Wachstumschancen zu reali-sieren. Zwei wesentliche Felder stehen hierbei im Vordergrund: 1) Supply Chain Management (SCM) wird durch den Einsatz von Funketi-

ketten (Radio Frequency Identification Tags, RFID) grundlegend ver-ändert. Die Technologie bietet enormes Potenzial, die Prozesskosten zu reduzieren. Daneben lässt sich mit RFID die Prozessqualität erheblich verbessern. Die größte Herausforderung für den Einsatz von RFID im e-Business wird sein, die aktuell noch sehr hohen Kosten der RFID-Tags (0,25 Euro pro Stück) bis auf unter 0,05 Euro pro Stück zu senken. Erst dann wird der Einsatz in Massenmärkten ökonomisch sinnvoll.

2) Auch bei der Interaktion mit Kunden besteht Handlungsbedarf. Custo-mer Relationship Management (CRM) wird bisher nur in wenigen Bran-chen effizient eingesetzt. Die systematische Auswertung von Kunden-daten, die Personalisierung und strategische Steuerung der Kunden-interaktion stehen noch am Anfang. Gerade in diesem Bereich bietet e-Business erhebliches Potenzial für Innovationen und Differenzierung. US-Unternehmen sind hier Vorreiter und erschließen durch Innovationen im Kundenservice Wachstums- und Produktivitätspotenziale. Die Reali-sierung ähnlicher Potenziale steht in Europa noch weitgehend aus.

Zudem hat der Einsatz von e-Business-Anwendungen in deutschen Unter-nehmen bislang nicht zu den erwarteten Produktivitätszuwächsen geführt. Während die skandinavischen Länder, die USA und Großbritannien ihre Arbeitsproduktivität durch ICT-Einsatz von 1995 bis 2001 um mehr als

Page 39: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

35

1 Prozent pro Jahr steigern konnten, liegt der Wert für Deutschland bei nur 0,6 Prozent. Länder, die ihre Investitionen in Informations- und Kommunika-tionstechnologien in diesen Jahren sukzessive gesteigert haben, verzeichneten in der Regel auch ein deutlich höheres Produktivitätswachs-tum. Neben der ausreichenden Investition in Informations- und Kommunikations-technologie ist die schnelle Anpassungsfähigkeit von Unternehmen an Marktveränderungen entscheidend, um ihre Produktivität durch den ICT-Einsatz zu steigern. Studien belegen, dass deutsche Unternehmen im inter-nationalen Vergleich weniger anpassungsfähig sind als Unternehmen in Skandinavien, Großbritannien oder in den USA. Prozessanpassungen oder Organisationsveränderungen auf Basis von ICT-Einsatz bergen erhebliche Potenziale, die aber hierzulande seltener oder langsamer realisiert werden (vgl. Abbildung 19).

Geringe Anpassungsfähigkeit der Unternehmen hemmt ICT-Investitionen

(1) ICT-Investitionen als % der Non-Residential Gross Capital Formation, Daten von 2002(2) Index von 0 (niedrig) bis 10 (hoch): IMD World Competitive Yearbook 2005Quelle(n): OECD; Worldbank; flexibility.xls; BCG-Analyse

0

5

10

15

20

25

30

35

4 5 6 7 8 9

ICT-Investitionen(1)

Anpassungsfähigkeitvon Unternehmen(2)

D

Niedrig Hoch

USAFIN

SGB/B

DK

NL

AE

IJ

F

Ein weiterer Indikator für die geringe Anpassungsfähigkeit deutscher Unter-nehmen an geänderte Rahmenbedingungen ist die niedrige Beschäftigungs-dynamik im Lande. Im Durchschnitt veränderte sich die Zahl der Beschäf-tigten in den neunziger Jahren durch Stellenaufbau oder Stellenabbau nur um etwa 8 Prozent pro Jahr. Länder wie Schweden oder Großbritannien weisen mit Werten von 11 Prozent pro Jahr eine deutlich höhere Beschäfti-gungsdynamik auf. Erst die wachsende Anpassungsfähigkeit deutscher Unternehmen wird dazu führen, dass die Investitionsbereitschaft in e-Business erhöht wird. Flexibili-tät ist auch die Voraussetzung, um die Produktivitätspotenziale durch e-Business effizient zu nutzen. Durch eine zügige Verbreitung von e-Business in einzelnen Branchen können zudem schnell eine kritische Masse an Nut-zern erreicht und Netzwerkeffekte realisiert werden.

6.4 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU): große Produktivitätspotenziale bei zwei Dritteln der Wirtschaftskraft

Verglichen mit anderen Ländern wird in Deutschland deutlich weniger in In-formations- und Kommunikationstechnologie investiert. Dies gilt vor allem für den deutschen Mittelstand, der mit einem Anteil von rund zwei Dritteln an der Gesamtbeschäftigung 50 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt. Be-dingt durch Skalennachteile kann der Mittelstand erforderliche ICT-Ressour-cen weniger effizient aufbauen und nutzen als Großunternehmen. KMU haben folglich großen Nachholbedarf bei Investitionen in moderne Informati-

Abbildung 19: Geringe Flexibilität für organisatorischen Wandel ist Haupthinder-nis für Ausweitung der ICT-Nutzung

Page 40: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

36

ons- und Kommunikationstechnologien. Handel, Professional Services und Gesundheit sind aktuell die Branchen mit dem größten Produktivitätspoten-zial durch verstärkte ICT-Nutzung. Dass ICT-Nutzung die Produktivität von Unternehmen steigert, gilt als empi-risch gesichert. Einzelne Studien beziffern die durch ICT-Nutzung erreichba-ren Produktivitätsgewinne in Unternehmen auf bis zu 35 Prozent. Diese Möglichkeit der Produktivitätssteigerung wird jedoch in einzelnen Ländern unterschiedlich stark genutzt. Deutschland fällt hier deutlich hinter Skandina-vien und den USA zurück. Dies trifft auch für den Anteil der ICT-Investitionen an den Gesamtinvestitio-nen einer Volkswirtschaft zu. Für Deutschland beträgt dieser Wert 17 Prozent. In den USA hingegen fließen 33 Prozent aller Investitionen in ICT-Projekte, in Schweden 30 Prozent. Besonders auffallend ist die Zurückhaltung der kleinen und mittleren Unter-nehmen in Deutschland bei den Ausgaben für Informations- und Kommu-nikationstechnologie. Pro Mitarbeiter geben Deutschlands KMU im Schnitt 955 Euro jährlich für ICT aus. Das sind rund 50 Prozent weniger als in den skandinavischen Ländern und 30 Prozent weniger als in Großbritannien. Verglichen mit deutschen Großunternehmen investieren Deutschlands KMU vier- bis sechsmal weniger in ICT. Deutsche KMU sind nicht nur zurückhaltend bei der Investition in ICT, son-dern auch bei der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnolo-gien: Sowohl bei der Internetnutzung als auch bei Anwendungen in den Bereichen e-Government und beim Einsatz von IT-Systemen für Beschaf-fung (e-Procurement) und Vertrieb (e-Sales) fallen die KMU hinter die Großunternehmen zurück.

Anwendungsbarrieren der KMU müssen überwunden werdenAnwendungsbarrieren der KMU müssen überwunden werden

ICT-Ausgaben pro Mitarbeiter bei großen Unternehmen um Vielfaches höher

Zu hoher Kostenaufwand von ICT-Projekten wichtigstes Hindernis für KMU

•Hauptgründe für Ablehnung von ICT bei KMU(2)

•... zu hoher Kostenaufwand

•... passt nicht zu uns

•... Erfolg nicht messbar

•... mangelnde Kundenakzeptanz

•... fehlendes Know-how

•... zu hoher Umstrukturierungsaufwand

•... mangelnde Akzeptanz in der GF

0

1.000

2.000

3.000

4.000

5.000

6.000

7.000

Unternehmen < 500Beschäftigte

Unternehmen > 500Beschäftigte

ICT-Ausgabenpro Mitarbeiter(€)(1)

(1) BCG-Schätzung, sme-ict-spending.xls(2) Ergebnisse der Studie Internet und e-Business im Mittelstand, IBM, 2004; Befragung von 246.000 UnternehmenQuelle(n): Eurostat; IBM; OECD; BCG-Analyse

+400–600 %

49 %

39 %

38 %

37 %

35 %

27 %

24 %

KMU nennen vor allem vier Gründe für ihre Zurückhaltung bei ICT-Investitionen und für die damit verbundene geringe Nutzung: Fast die Hälfte aller Unternehmen hält den Kostenaufwand für ICT-Projekte für zu hoch. Mehr als ein Drittel der KMU begründet seine Skepsis gegenüber ICT-Projekten mit nicht messbarem Erfolg. Ebenfalls ein Drittel führt an, der Ein-satz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien eigne sich nicht für das eigene Geschäft. Und schließlich nennt mehr als ein Viertel al-ler KMU den zu hohen Umstrukturierungsaufwand als Ursache für die ablehnende Haltung gegenüber ICT-Projekten (vgl. Abbildung 20).

Abbildung 20: Im Vergleich zu Großunternehmen noch großes Aufholpotenzial für Mittelstand

Page 41: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

37

Da KMU gesamtwirtschaftlich eine wichtige Rolle spielen – knapp die Hälfte des deutschen BIP und zwei Drittel der deutschen Arbeitsplätze finden sich hier –, führt diese Zurückhaltung zu erheblichen volkswirtschaftlichen Nach-teilen. Um die Nutzungs- und Investitionsbarrieren im Mittelstand zu überwinden, sind bedarfsorientierte, flexible ICT-Services als Standardprojekte für KMU zu industrialisieren, welche die besonderen Kostenstrukturen der KMU be-rücksichtigen. Erfolgversprechende Ansatzpunkte sind branchenspezifische, netzwerkzentrische ICT-Services, die den KMU einen Internet-basierten Zugriff auf IT- und Business-Funktionalitäten ermöglichen. Durchgängige Geschäftsprozesse können so auf externe Partner verlagert werden, ohne dass kostspielige eigene ICT-Investitionen zu tätigen sind. Die ICT-Nutzung von KMU kann daneben durch eine transaktionsbasierte Preisgestaltung unterstützt werden. Hierdurch können bisher hohe Fixkosten des ICT-Einsatzes durch ein variableres Kostenmodell ersetzt werden. Zudem sind den KMU die konkreten Kosten-/Nutzenrelationen zu tätigender ICT-Investitionen aufzuzeigen – sowohl die direkten Einsparungen als auch die mit der ICT-Nutzung verbundenen indirekten Produktivitätseffekte. Fallstudie: Online-Vernetzung in KMU – das Beispiel Wortmann AG Die Potenziale von e-Business bei der Vernetzung mit Geschäftspartnern verdeutlicht das Beispiel der Wortmann AG. Wortmann, ein Elektronikgroß-händler mit 270 Mitarbeitern und 289 Mio. Euro Umsatz, konnte durch den Einsatz eines elektronischen Geschäftskundenportals jährlich Kosten in Hö-he von knapp 500.000 Euro sparen. Mit dem Portal wurden 5.500 Vertriebs-partner an das Unternehmen angebunden. Das Investitionsvolumen betrug 100.000 Euro. Anlass für diese e-Business-Lösung war das stetige Wachs-tum der Wortmann AG; das interne Geschäftsmodell war an seine Grenzen gestoßen. Das Ziel der Investition war, die Produktivität und Kundenzufrie-denheit zu optimieren. Durch den Einsatz der e-Business-Lösung konnten einzelne Arbeitsprozesse um mehr als das Doppelte beschleunigt werden. Die frei gewordenen Mitarbeiter wurden mit wachstumsorientierten Aufgaben betraut. Entscheidender Erfolgshebel für die Realisierung der Potenziale war die Neugestaltung der Arbeitsprozesse in der Interaktion mit den Geschäfts-partnern. Auch die Geschäftspartner profitierten durch die Online-Vernet-zung. Der Einsatz von e-Business brachte der Wortmann AG einen wichti-gen Wettbewerbsvorteil. Die e-Business-Lösungen stellen für Wortmann einen entscheidenden Hebel dar, um Abwicklungsprozesse und damit die Produktivität kontinuierlich zu optimieren. Die gesamte Wertschöpfung konn-te auf diese Weise in Deutschland gehalten werden. ROI-Tool als Überzeugungsinstrument bei ICT-Investitions-entscheidungen Die Wirtschaftlichkeitsberechnung von ICT-Investitionen ist entscheidend für die effiziente Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien. Hierbei besteht die Schwierigkeit darin, die Potenziale, die Investitionen und die Kosten der Lösung vollständig zu erfassen. Doch nur dann können sie bei Investitionsentscheidungen adäquat berücksichtigt werden. Oft ist vor allem die Abschätzung möglicher Vorteile nicht ohne Expertenunterstützung durchführbar. Deshalb konzentrieren sich Argumente für die Investition oft ausschließlich auf Kostenreduktionen. Die Kostensenkungen machen aber häufig nur einen relativ geringen Teil der durch die ICT-Investitionen erreich-baren Vorteile aus. Produktivitätssteigerungen der Mitarbeiter bleiben hinge-gen bei der Bestimmung der Wirtschaftlichkeit von ICT-Investitionen häufig unberücksichtigt. Sinnvoll ist der Einsatz eines Return-on-Investment-Tools (ROI-Tool), mit dem sich ICT-Investitionen kalkulieren lassen. Zudem sollte

Page 42: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

38

für den Einsatz der ICT-Lösung ein Business Case erstellt werden. Zur Kal-kulation der Potenziale, wie Kostensenkung, Ertrags- und Produktivitätssteigerung, sollte auf Erfahrungswerte aus früheren Projekten und auf Studien unabhängiger Analysten zurückgegriffen werden. Im Rah-men einer breit angelegten Förderung der Innovationsaktivitäten von KMU ist der Einsatz eines ROI-Tools sinnvoll, um ökonomisch sinnvolle Investiti-onsentscheidungen zu treffen. Mit diesem lässt sich die Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher ICT-Anwendungsbereiche systematisch ermitteln. Der oben skizzierte Nachholbedarf bei ICT-Investitionen und -Nutzung gilt allerdings nicht für alle Branchen gleichermaßen. In der Finanzindustrie hat der Einsatz von ICT beispielsweise zu einer umfassenden Transformation der gesamten Branche geführt. ICT-Lösungen sind hier zur unabdingbaren Voraussetzung geworden, um sich am Markt zu behaupten. Mit einem Anteil der ICT-Investitionen von rund 8 Prozent des Umsatzes rangieren die Fi-nanzdienstleister im Branchenvergleich unbestritten auf Platz eins. ICT-Fachkräfte machen mittlerweile 7 Prozent der weltweit im Finanzdienstleis-tungssektor Beschäftigten aus. Und: Die ICT-Kenntnisse der Beschäftigten im Finanzsektor sind weit fortgeschritten. Der deutsche Finanzdienstleis-tungssektor hat in den Jahren 1995 bis 2002 ein Produktivitätswachstum von 4 Prozent pro Jahr erzielt – bei nahezu konstanter Zahl der Beschäftigten. Die Finanzindustrie hat die Schwelle zur Produktivitätssteigerung durch um-fassende ICT-Nutzung also bereits überschritten. Wichtige Branchen, in denen die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien noch deutlich ausgeweitet werden kann, sind der Handel und wissensintensive Dienstleistungsbereiche. Gerade in diesen Branchen spielen KMU eine be-sonders große Rolle. Hier lässt sich in Deutschland aber auch ein deutlicher Produktivitätsrückstand etwa gegenüber den USA beobachten. Daneben besteht im Gesundheitssektor noch großes Potenzial für den Ausbau der ICT-Nutzung, etwa durch Einführung der Gesundheitskarte.

Branchenbeschreibung ICT-Nutzung ICT-Potenzial

Handel• 11 % Anteil am BIP• Sehr hoher KMU-Anteil• Schwache Produktivitätsentwicklung

• ICT-Ausgaben 1–2 % des Umsatzes• RFID/Vernetzung bietet hohe

Potenziale

Gesundheits-wesen

• 6 % Anteil am BIP• Niedriges Produktivitätsniveau mit

schwacher Entwicklung

• ICT-Ausgaben 3 % des Umsatzes• Einführung Gesundheitskarte bietet

enorme Potenziale

Professional Services(1)

• 15 % Anteil am BIP• Höchster KMU-Anteil• Mittlere Produktivitätsentwicklung

• ICT-Ausgaben 5 % des Umsatzes• Stark unterschiedlicher ICT-Einsatz• Mobile Office mit hohem Potenzial

Produ-zierendesGewerbe(2)

• 14 % Anteil am BIP• Mittlerer KMU-Anteil• Gute Produktivitätsentwicklung

• ICT-Ausgaben 2 % des Umsatzes• Ausbau Extended Enterprise mit

hohem Potenzial

Banken/ Versiche-rungen

• 5 % Anteil am BIP• Geringer KMU-Anteil• Gute Produktivitätsentwicklung

• ICT-Ausgaben 8 % des Umsatzes• Bereits sehr professioneller Einsatz• Potenzial im Outsourcing

(1) Insbesondere wissensintensive Dienstleistungen: Vermietung/Wartung von Maschinen, Rechts-, technische, wirtschaftliche Beratung, Werbedienste, IT-Dienste, F & E(2) Inklusive ProzessindustrieQuelle(n): Groningen Growth and Development Centre (GGDC) 60 industry database; BCG-Analyse

ICT-Potenziale ausgewählter Branchen

Deutsche KMU müssen ICT intensiver und effizienter nutzen. Nur so können sie an die Produktivitätsentwicklung der Best-Practice-Länder anschließen. Zwar existieren in Deutschland bereits heute zahlreiche ICT-Förderprogram-me für KMU. Allerdings erreichen diese Programme häufig nicht die breite Masse des Mittelstands. In weiten Teilen sind sie auf Software- oder Inter-netfirmen ausgerichtet und mitunter nur ungenügend mit notwendigen Finan-zierungsprogrammen verknüpft. Auch werden diese Förderprogramme zumeist nur unzureichend beworben.

Abbildung 21: Handel, Professional Services und Gesundheit mit höchstem Potenzial durch Ausbau der ICT-Nutzung

Page 43: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

39

7 Wachstumsfördernde Rahmenbedingungen

7.1 ICT-Bildung und -Ausbildung: entscheidende Voraussetzungen für Fortschritte auf dem Weg in die Informationsgesellschaft

Für die Nutzung und die Wahrnehmung von Chancen moderner Informati-ons- und Kommunikationstechnologien sind umfassende ICT-Kenntnisse der Bevölkerung entscheidend. Ohne dieses Know-how, das bereits in den Schulen vermittelt werden sollte, lassen sich die wirtschaftlichen Potenziale einer ICT-Nutzung in Unternehmen nicht realisieren. Die Weiterentwicklung Deutschlands zur Informationsgesellschaft hängt zudem maßgeblich davon ab, ob ausreichend hoch qualifizierte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt ver-fügbar sind. Zwischen ICT-Bildung und dem Entwicklungsstand der Informationsgesell-schaft eines Landes lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang nachweisen. ICT-Bildung definiert sich über den Internetzugang an Schulen, über die Qualität der öffentlichen Schulen, die Qualität des Bildungssystems und über die Qualität der Ausbildung in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern. Länder, die ICT-Bildung in den vergangenen Jahren entschieden gefördert haben, verfügen über weiter entwickelte Informationsgesellschaf-ten. (Zu dem in dieser Studie definierten Begriff der Informationsgesellschaft siehe Kapitel 4.) Grundvoraussetzung für das Wachstum der ICT-Industrie in Deutschland ist ein ausreichendes Angebot an hoch qualifizierten Fachkräften. Dies ist vor allem deshalb relevant, weil in der ICT-Branche der Anteil der Akademiker an den Gesamtbeschäftigten (vor allem Elektrotechniker, Informatiker, Ma-thematiker und Physiker) mit rund 21 Prozent wesentlich höher ist als in anderen Branchen. Im Finanzdienstleistungssektor beispielsweise beträgt der Akademikeranteil 11 Prozent. Die führenden Marktforschungsinstitute prognostizieren für die ICT-Industrie bis 2008 ein Wachstum der Bruttowertschöpfung von rund 5 Prozent pro Jahr. Analog zur Entwicklung in den vergangenen Jahren ist demnach zu erwarten, dass der Anteil der Beschäftigten in der ICT-Industrie und somit auch der Bedarf an Fachkräften zunehmen wird. Problematisch ist, dass parallel zum wachsenden Bedarf die Zahl der Er-werbstätigen mit ingenieur- und naturwissenschaftlichen Abschlüssen in Deutschland seit Ende der neunziger Jahre stagniert. Die Zahl der Studen-ten in technischen Studiengängen ist in Deutschland zwischen 1998 und 2003 um 16 Prozent gesunken. In anderen Ländern steigt diese Zahl, in Schweden sogar um mehr als 60 Prozent. Nach einer Studie des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) kann in Deutschland der Bedarf an IT-Ingenieuren aktuell nur zu 80 Prozent gedeckt werden. Der zu erwartende Bedarf von rund 5.000 zusätzlichen Absolventen pro Jahr ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Page 44: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

40

Zahl der studierenden Ingenieure und Naturwissenschaftler in Deutschland gesunken

In anderen Ländern teils stark steigende Anzahl von Absolventen für ICT-Industrie

Anzahl Studie-rende(1)

(Tsd.)

0

10

20

30

40

50

60

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

AnzahlAbsol-venten(2)

0

500

1.000

1.500

2.000

J USA F E FIN S

+1 % +9 % +12 % +13 % +41 % +61 %

Mathematik- und NaturwissenschaftenIngenieurwissenschaften

19982002

-16 %

(1) Anzahl Studierende in Deutschland mit zwei bestandenen Prüfungen, exkl. Lehramtsprüfungen(2) Absolventen von ingenieur-/naturwissenschaftlichen Studiengängen pro 100.000 Erwerbspersonen im Alter von 25–34 JahrenAnmerkung: Auch Import von Fachkräften kann Mangel in Deutschland nicht kompensierenQuelle(n): DeStatis, Hochschulabschluss 2003 Destatis.xls; Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005.pdf, S. 14;

BCG-Analyse Falls es nicht gelingt, junge Leute wieder vermehrt für ingenieur- und natur-wissenschaftliche Studiengänge zu interessieren, wird sich die Personal-situation für die ICT-Industrie weiter verschärfen. Fallstudie: Schweden will Studentenzahlen verdoppeln Das Beispiel Schweden zeigt, dass sich durch gezielte Maßnahmen die Zahl der Absolventen mit ingenieur- und naturwissenschaftlichen Abschlüssen deutlich und in kurzer Zeit erhöhen lässt. Zwischen 1998 und 2002 gelang es, die Absolventenzahl um mehr als 60 Prozent zu steigern (vgl. Abbildung 22). Der entscheidende Grund für diesen Anstieg war eine zu Beginn der neunziger Jahre lancierte, nationale Initiative. Sie hatte zum Ziel, die Zahl der Absolventen mit tertiärem Bildungsabschluss in Schweden zu verdop-peln. Außerdem wurden im Rahmen der Initiative spezielle Fonds, Stipendien und Stiftungen eingerichtet, um die Studenten- und Doktoran-denzahlen zu erhöhen. Daneben hat jeder schwedische Student Anspruch auf Studiengeld. Es besteht zu einem Drittel aus einer Schenkung und zu zwei Dritteln aus einem Darlehen, das inklusive Zinsen innerhalb von 25 Jahren zurückgezahlt werden muss. Studenten können so bis zu 760 Euro pro Monat erhalten. Zusätzlich wurden für alle Schulstufen Programme ge-schaffen, die das Interesse der Schüler an Naturwissenschaften fördern. Große Wachstumspotenziale lassen sich auch durch einen systematischen Kompetenzaufbau bei den ICT-Nutzern erzielen. Analysen in den Industrie-nationen zeigen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen verbesserten ICT-Kenntnissen und steigenden ICT-Investitionen besteht (vgl. Abbildung 23). ICT-Investitionen bilden wiederum die Basis für Produk-tivitätssteigerungen in den Volkswirtschaften. Aufgrund des niedrigen ICT-Bildungsniveaus schneidet Deutschland im internationalen Vergleich sehr schlecht ab. Den USA hingegen gelingt die Umsetzung von ICT-Kenntnissen in Produktivitätssteigerungen im ICT-Nutzer-Sektor besonders gut. Dies hat zu einem Produktivitätswachstum von rund 5,4 Prozent pro Jahr zwischen 1995 und 2002 geführt.

Abbildung 22 Gegen den internationa-len Trend sinken in Deutschland die Zahlen der ICT-Absolventen

Page 45: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

41

Höheres ICT-Bildungsniveau Hebel fürmehr ICT-Investitionen

ICT-Investitionen führen zu Produktivitäts-wachstum im ICT-Nutzer-Sektor

1

2

3

4

5

50 60 70 80 90 100

IT-Invest. (%)(1)

ICT-Bildungsindex(2)

Finnland

0

1

2

3

4

5

6

1 2 3 4 5IT-Invest. (%)(1)

Deutschland

USAUSA

Irland

GB

Schweden

Italien

Großes Potenzial in Steigerung der Arbeitsproduktivität durch ICT-NutzungGroßes Potenzial in Steigerung der Arbeitsproduktivität durch ICT-Nutzung

Schweden

Finnland

Italien

DänemarkFrankreich

Spanien

GB

IrlandSpanien

Frankreich

Dänemark

Produk-tivitäts-wachs-tum(%)(3)

Deutschland

(1) % des GDP 2001 (2) Setzt sich zusammen aus den Faktoren: Internetzugang an Schulen, Qualität des Bildungssystems (öffentliche Schulen, Mathematik- und naturwissenschaftliche Ausbildung)(3) Im ICT-Nutzer-Sektor, CAGR 1995–2002Quelle(n): Groningen Growth and Development Centre (GGDC); EIU; BCG-Analyse, Daten Finanzierung.xls, Informationsgesellschaft Daten.xls

ICT-Bildung ist aber auch für den einzelnen Bürger und Konsumenten von großer Bedeutung. Nicht nur Naturwissenschaftler und Techniker müssen mit den Entwicklungen des globalen Arbeitsmarktes Schritt halten. Schließ-lich wird ICT mittlerweile in nahezu allen Berufen eingesetzt. Entsprechende Kompetenzen der breiten Bevölkerung werden wichtiger und stärken die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Darüber hinaus zeigen Untersuchun-gen, dass das Nutzungsverhalten moderner Informations- und Kommuni-kationstechnologien im privaten Sektor von den ICT-Kenntnissen der Bevölkerung abhängt. Umfangreiche Kenntnisse führen dazu, dass der Kon-sument die Potenziale aus der Nutzung von Informations- und Kommuni-kationstechnologien besser einschätzen kann. In der Folge wird ICT verstärkt angewendet. Als Katalysator kann in diesem Zusammenhang der Einsatz moderner ICT-Anwendungen im öffentlichen Sektor wirken. Studien beziffern die Einsparpotenziale im Gesundheitswesen bei konsequenter Umsetzung von e-Health auf 15 bis 30 Prozent der Gesamtkosten. In Schott-land hat das Gesundheitsministerium ein interaktives Online-Informations-system für Patienten eingeführt. Über dieses Portal wurden innerhalb des ersten Jahres bereits 100.000 Anfragen pro Monat beantwortet. 85 Prozent der Nutzer erhielten in weniger als 30 Sekunden eine Antwort auf ihre Frage. Mit der Einführung des Portals sank die Zahl der Praxisbesuche um 5 Pro-zent. Fallstudie: Estlands „Tiger Leap“ In der Überzeugung, dass Informations- und Kommunikationstechnologien die Welt verändern werden, hat Estland bereits 1995 beschlossen, den ICT-Kenntnisstand in der Bevölkerung zu erhöhen. Das „Tiger Leap“-Programm wurde ins Leben gerufen. In das Grundschulcurriculum wurden Mindestan-forderungen im Umgang mit ICT verpflichtend aufgenommen. So soll jeder Schüler nach Ablauf der obligatorischen Schulzeit ein Local Area Network benutzen und Computerdateien verwalten können. Die Schulen wurden mit entsprechender Infrastruktur ausgestattet. Die Lehrer erhielten preisgünstige Computer. Die Resultate des Programms sind bemerkenswert: Im Jahr 2000 besaßen nur 44 Prozent aller estnischen Schüler einen Computer, und nur 26 Prozent hatten zu Hause einen Internetzugang. Vier Jahre später hatten 74 Prozent der Schüler einen PC und 62 Prozent einen Internetzugang. Angesichts der enormen volkswirtschaftlichen Bedeutung von fundierten ICT-Kenntnissen auf allen gesellschaftlichen Ebenen müssen Politiker und Unternehmen handeln, um von einem verbesserten ICT-Bildungsniveau zu profitieren.

Abbildung 23: ICT-Nutzer-Sektor mit größtem Aufholpotenzial

Page 46: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

42

7.2 Innovationscluster und Finanzierungsmöglichkeiten von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen: Treiber für die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen

Die ICT-Industrie ist überdurchschnittlich forschungsintensiv. Und die For-schung in der ICT-Industrie ist ausgesprochen kapitalintensiv. Vor diesem Hintergrund wirken die eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten für For-schung und Entwicklung in Europa, besonders aber in Deutschland, hemmend auf die Innovationsaktivitäten. Zur Steigerung der Innovationsfä-higkeit von Unternehmen sind die Rahmenbedingungen deutlich zu verbes-sern: für die Eigenkapitalaufnahme am Finanzmarkt, für die Verfügbarkeit von Risikokapital und für die Fremdkapitalbeschaffung. Daneben können Innovationscluster die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten stimulieren und die Zahl ICT-basierter Geschäftsmodelle deutlich steigern. 28 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der 700 weltweit größten Unternehmen werden von der ICT-Industrie getätigt. Mit einem An-teil von rund 10 Prozent am Branchenumsatz wird in keinem anderen Wirtschaftsbereich mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben als in der ICT-Industrie. Eine branchenübergreifende Analyse zeigt, dass ein deutlicher Zusammen-hang zwischen der Innovationsfähigkeit von Unternehmen und den Finan-zierungsmöglichkeiten im Land besteht.

Deutschland in punkto Innovationfähigkeit(1) top … … aber nominal mit kleinstem F&E-Wachstum

0

1

2

3

4

5

6

7

0 1 2 3 4 5 6 7

Inno-vations-fähig-keit(1)

Finanzierungsmöglichkeiten-Index(2)

Deutschland

GB

Argentinien

0

1

2

3

4

5

FIN S CDN J D USA F GB+IRL

F&E-Anteil am BIP 1991 F&E-Anteil am BIP 2003

CAGR 1991–2003, nominale F&E-Ausgaben

F&E-Aus-gaben,Anteilam BIP(%)

4,9 % 4,6 % 1,3 % 0,5 % – 0,1 % – 0,3 % – 0,4 % – 0,9 %

9,4 % 8,6 % 6,6 % 3,5 % 2,9 % 4,8 % 3,6 % 4,1 %

%

%

CAGR 1991–2003, F&E-Ausgaben-Anteil am BIP

USAJapanS FIN

(1) Innovationsfähigkeit = Unternehmen erlangen Technologie durch eigene Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Prozesse (2) Setzt sich zusammen aus Verfügbarkeit von Venture Capital, Sophistizierung der lokalen Finanzmärkte und Einfachheit, Bankkredite zu erhaltenQuelle(n): WEF; Forschung und Innovation in Deutschland 2005, Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005.pdf, S. 140ff.; BCG-Analyse, Daten Finanzierung.xls

Deutschland hat historisch bedingt eine starke Position als Innovator. In den vergangenen Jahren wurde diese Stellung allerdings durch die verschlech-terten Finanzierungsmöglichkeiten geschwächt. Der unterdurchschnittlich entwickelte Risikokapitalmarkt und die restriktive Kreditvergabe – insbeson-dere für kleine und mittlere Unternehmen – haben dazu beigetragen. Hinzu kommt die im Vergleich mit anderen Ländern unterdurchschnittliche Dyna-mik bei den Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Zwischen 1991 und 2003 sind die F&E-Ausgaben in Deutschland gerade einmal um 2,9 Prozent pro Jahr gewachsen. Die USA kommen im gleichen Zeitraum auf einen Wert von 4,8 Prozent, die Finnen sogar auf 9,4 Prozent. In der Folge haben ande-re Länder mit ihrer Innovationsfähigkeit zu Deutschland aufgeschlossen. Fehlende universitäre Gründungscenter, wie sie in den USA an jeder Top-Universität Standard sind, erschweren in Deutschland zudem die kommer-zielle Umsetzung von Innovationen. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass sich die Zahl der Unternehmensneugründungen – ein Maß für den I-deenreichtum und die Erneuerungskraft und -geschwindigkeit einer

Abbildung 24: Je besser die Finanzie-rungsmöglichkeiten, desto innovationsfähiger ist ein Land

Page 47: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

43

Gesellschaft – zwischen 1995 und 2003 fast halbiert hat. Gleichzeitig stieg die Zahl der Unternehmensschließungen um das Vierfache. Bei den Finanzierungsmöglichkeiten von Forschung und Entwicklung steht die deutsche, aber auch die gesamte europäische ICT-Industrie vor Wettbe-werbsnachteilen gegenüber US-amerikanischen ICT-Unternehmen. Dies lässt sich an folgenden vier Finanzierungsquellen deutlich machen: • Eigenkapital durch Aktienausgabe: Die Aktien US-amerikanischer Kon-

kurrenten sind im Durchschnitt rund doppelt so hoch bewertet wie die Titel europäischer Player. Dadurch sind die Finanzierungs- und Konsoli-dierungschancen der US-Unternehmen deutlich besser.

• Eigenkapital aus Venture Capital: Der Markt für Risikokapital (Venture Capital) ist in den USA auf Pro-Kopf-Basis gut zehnmal größer als in Deutschland. In europäischen Ländern wie Großbritannien oder Schwe-den sind die Venture-Capital-Märkte hingegen auf dem Entwicklungs-niveau der USA.

• Fremdkapital durch Bankkredite: Die Fremdfinanzierung durch Bankkre-dite ist in Europa durch die Kreditvergaberichtlinien nach Basel II massiv erschwert worden. Dadurch sind europäische KMU, die Kredite für risi-kobehaftete Investitionen suchen – beispielsweise in der Forschung und Entwicklung – im internationalen Wettbewerb benachteiligt.

• Fremdkapital durch Ausgabe von Unternehmensanleihen: Fremdkapital-finanzierungen über Unternehmensanleihen erleben in Europa derzeit eine sehr dynamische Entwicklung – auch aufgrund der restriktiven Kre-ditvergabe. Allerdings ist der Markt für Unternehmensanleihen in Europa deutlich kleiner als in den USA. So wurden 2004 in den USA wertmäßig pro Kopf 88 Prozent mehr Unternehmensanleihen ausgegeben als im europäischen Durchschnitt.

Wie das folgende Beispiel aus Schweden zeigt, können durch kombinierte Maßnahmen von Staat und Wirtschaft deutliche Fortschritte bei der Finan-zierung von Forschung und Entwicklung erzielt werden. Fallstudie: Hohe Investitionen aus dem Ausland und ein hoch entwi-ckelter Risikokapitalmarkt erleichtern Finanzierungsmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung in Schweden In Schweden ist es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre gelungen, die Auslandsinvestitionen mehr als zu verdoppeln. 70 Prozent des in Schweden investierten privaten Beteiligungskapitals (Private Equity) stammt inzwischen aus dem Ausland. Ausländische Investoren profitieren dabei davon, dass sie auch bei einem Gewinn bringenden Ausstieg aus einem Investment keine Steuern an den schwedischen Fiskus abführen müssen. Das Land verfügt heute zudem über den weltweit drittgrößten Risikokapitalmarkt auf Pro-Kopf-Basis. Seit den neunziger Jahren fließen vor allem Pensionsgelder vermehrt in den Risikokapitalmarkt. Sie machten 2004 etwa 28 Prozent des gesamten in Schweden investierten Risikokapitals aus. Zudem haben die Schweden in den vergangenen Jahren ihre Unternehmenssteuern auf 28 Prozent gesenkt und ihre Märkte konsequent dereguliert. Einen weiteren Erfolgsfaktor der ICT-Industrie Schwedens und ihrer Innova-tionsfähigkeit stellen die ICT-Innovationscluster dar. Sowohl die Industrie als auch der Staat fördern gezielt deren Entstehung und Entwicklung. Dabei achten sie systematisch auf Synergiepotenziale. Das gilt etwa für die Berei-che Infrastrukturnutzung und -angebot, Know-how-Transfer und Recruiting. Außerdem haben dank dieser ICT-Cluster viele kleine, innovative Betriebe

Page 48: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

44

die Möglichkeit, Synergie- und Spill-over-Effekte aus der räumlichen Nähe zu verwandten Unternehmen zu nutzen. Die Innovationsaktivitäten der ICT-Industrie konzentrieren sich in Schweden auf fünf Innovationscluster. Fallstudie: ICT-Innovationscluster Kista in Schweden Eines dieser ICT-Cluster, gleichsam das Zentrum der schwedischen ICT-Industrie, bildet die Forschungsstadt Kista. Hier drehen sich alle Aktivitäten um die Mobilfunktechnik. Rund um den Hauptsitz von Ericsson sind Mitte der neunziger Jahre 18.000 ICT-Arbeitsplätze und rund 47.000 weitere Arbeits-plätze in angrenzenden Industrien entstanden. Bis 2015 soll die Zahl der Arbeitsplätze auf 40.000 im ICT-Bereich und auf 90.000 in anderen Indust-rien ansteigen. Neben Ericsson sind mit Nokia, Intel, HP, Sun, Microsoft und Oracle weitere bedeutende ICT-Firmen in Kista vertreten. Neben den Finanzierungsmöglichkeiten für F&E spielt es für die Innovations-fähigkeit eines Landes eine entscheidende Rolle, welcher Sektor Forschung und Entwicklung betreibt – der private oder der öffentliche. Hier gilt es, zwi-schen markt- und anwendungsorientierter Forschung und Entwicklung auf der einen Seite und Grundlagenforschung auf der anderen Seite zu unter-scheiden. Es lässt sich empirisch belegen, dass die Innovationsfähigkeit eines Landes profitiert, wenn anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung verstärkt von Unternehmen durchgeführt wird. Dies erklärt sich dadurch, dass die Verwendung öffentlicher Gelder oft nicht so stark auf wirtschaftliche Kriterien hin untersucht und evaluiert wird wie der Einsatz von privaten Mitteln. Kon-kret bedeutet das: Die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft ist um rund 35 Prozent höher, wenn der private Sektor einen höheren Anteil an der Durchführung von Forschung und Entwicklung hält. Teilen sich zum Beispiel in Italien privater und öffentlicher Sektor Forschung und Entwicklung im Ver-hältnis eins zu eins, so beträgt die Relation in Schweden drei zu eins zu Gunsten des privaten Sektors. Auch in Japan stammen mehr als 80 Prozent der Gelder für Forschung und Entwicklung aus der Privatwirtschaft. In Deutschland macht die private Finanzierung von Forschung und Entwicklung demgegenüber nur gut 60 Prozent aus. Die Grundlagenforschung folgt anderen Grundsätzen und sollte daher auch weiterhin maßgeblich durch den Staat mitgestaltet und finanziell gefördert werden. Die Fortschritte in der Grundlagenforschung sind die Voraussetzung für spätere Forschungs- und Entwicklungserfolge. Grundlagenforschung hat deutlich längere Realisierungszeiträume, die Ergebnisse lassen sich in der Regel nur selten direkt amortisieren. Die Finanzierung der Grundlagenfor-schung muss deshalb auf einer anderen Basis stehen als die von anwendungsorientierter Forschung und Entwicklung.

Page 49: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

45

TEIL III – AUSBLICK UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 8 Der ICT-Standort Deutschland im Jahr 2008 -

ein Szenario Die Wachstumspotenziale und Erfolgsfaktoren für die einzelnen Sektoren der deutschen ICT-Industrie sowie für die unterschiedlichen ICT-Nutzergrup-pen wurden in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich dargestellt. Auch die notwendigen Rahmenbedingungen für die Realisierung der genannten Potenziale wurden eingehend analysiert. Auf dieser Basis lässt sich ein Szenario für den ICT-Standort Deutschland im Jahre 2008 entwickeln. Wenn Politik, Wirtschaft und die Bürger einen Grundkonsens über die Hand-lungsnotwendigkeiten herstellen, könnte Deutschland es schaffen, bis 2008 führende europäische ICT-Nation zu werden. Diese Studie zeigt die hierfür notwendigen Handlungen auf, die im folgenden Kapitel 9 in Form eines Mas-terplans vorgestellt werden. ICT-Standort Deutschland 2008: ein Szenario Deutschland, die führende europäische ICT-Nation in 2008, hat Bedeutung und Chancen einer ICT-orientierten Bildung und einer in der Bevölkerung verbreiteten ICT-Kompetenz erkannt und gefördert. Deutschland hat seine Position auf dem Weg zur Informationsgesellschaft deutlich verbessert: Bei den Zugangsmöglichkeiten und in der Intensität der Nutzung von ICT nimmt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine Spitzenposition ein. Deutschland verfügt über eine der weltweit besten Breitbandinfrastrukturen und hat die Breitbandpenetration erheblich gesteigert. Zwei Drittel der deut-schen Wirtschaft realisieren dank ICT jährlich Produktivitätssteigerungen, die bis zu 30 Prozent über dem heutigen Niveau liegen. Das hat die internatio-nale Wettbewerbsfähigkeit des Landes gestärkt – ganz besonders in Zukunftssektoren wie Gesundheit, Telematik, Automatisierungs- und Sicher-heitstechnik. Fast 70 Prozent der deutschen Bürger führen einen e-Dialog mit dem Staat. Der deutsche Staat hat durch ein umfangreiches, benutzer-freundliches Online-Angebot eine breite ICT-Nutzung stimuliert und dadurch erhebliche Zeitersparnisse realisiert. Zudem konnte sich der Staat auf Bun-des- und Landesebene durch den Ausbau von e-Government um gut 10 Prozent verschlanken. Innovative Anwendungen, wie Video-on-Demand und e-Commerce, werden von einem breiten Teil der Bevölkerung intensiv ge-nutzt. Im universitären Bereich hat der öffentliche Sektor gemeinsam mit den Un-ternehmen neue Studienplätze in den ingenieurs- und naturwissenschaftli-chen Studiengängen geschaffen. Förderprogramme wurden eingerichtet. Hoch motivierte und begabte Studenten aus dem In- und Ausland konnten von diesen Angeboten überzeugt werden. Die Zahl der Absolventen dieser Fachrichtungen nimmt stetig zu. Die enge Kooperation zwischen Universitä-ten und Unternehmen in Form von Public-Private-Partnerships führt zum kontinuierlichen Ausbau von Gründungszentren und Innovationsclustern. Von der Grundschule an wurden neue Lernmethoden eingeführt und in den Lehrplänen verankert; sie setzen ICT als Hilfsmittel für schnelleres Lernen und für erweiterte Lernschwerpunkte effektiv ein. In den Berufsschulen und bei der beruflichen Fortbildung wird auf ICT-Kenntnisse besonderer Wert

Page 50: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

46

gelegt. Die berufliche Qualifikation in der Breite ist nach wie vor einer der wichtigsten Standortvorteile Deutschlands. Die verbesserten ICT-Kompeten-zen der deutschen Arbeitnehmer tragen wesentlich zum Produktivitäts-wachstum bei. Der Wandel im Bildungssystem und die enge Kooperation zwischen ICT-Industrie und öffentlichem Sektor haben die Innovationsführerschaft der deutschen Unternehmen gestärkt und beflügelt. Einige deutsche ICT-Unternehmen haben die Chancen der globalen Branchenkonsolidierung ent-schlossen genutzt. Insgesamt ist die ICT-Industrie inklusive der Anwenderbranchen in Deutschland bis 2008 um 20 Prozent gewachsen – unter anderem auch dank erhöhter Investitionen ausländischer ICT-Unternehmen in Deutschland. Der direkte Anteil der ICT-Industrie an der Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft ist bis 2008 insgesamt um 30 Mrd. Euro gestiegen. Die ICT-Wirkungen auf andere Industrien mitge-rechnet, ist dieser gesamtwirtschaftliche Beitrag sogar um rund 75 Mrd. Euro gestiegen. Deutschland ist einer der global führenden ICT-Standorte. Er hat die Unter-nehmenszentralen wesentlicher ICT-Unternehmen aus aller Welt an sich binden können. Zusammen mit den Veränderungen im Bildungssystem sind das jene Faktoren, die internationale Spitzenkräfte anziehen – für Deutsch-lands Universitäten, Forschung und Management. Die Stärkung der deut-schen ICT-Industrie hat die Volkswirtschaft insgesamt deutlich belebt. Die Zahl der Firmenneugründungen steigt wieder an. Insgesamt profitiert die Volkswirtschaft aufgrund direkter Wachstumsimpulse innerhalb des ICT-Sektors und induzierter Produktivitätsgewinne bei den ICT-Verwendern von einem zusätzlichen BIP-Wachstum von etwa einem Prozentpunkt pro Jahr.

Page 51: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

47

9 Masterplan für mehr Wachstum durch ICT Das beschriebene Szenario für den ICT-Standort Deutschland 2008 ist keine Utopie, sondern kann durch entschlossenes Handeln Realität werden. Vor-aussetzung dafür ist eine kraftvolle Entwicklung und Modernisierung des ICT-Standortes Deutschland. Diese Modernisierung muss unterschiedlichste Adressaten und Themenfelder berücksichtigen und von einem übergreifen-den Grundkonsens getragen sein. Der nachfolgend ausgeführte Masterplan für mehr Wachstum durch ICT versucht die Interessen und Belange aller Beteiligten zu berücksichtigen und in einer Gesamtstrategie zu vereinen: 1) ICT-Kompetenz in der Gesellschaft signifikant erhöhen: Integration

der ICT-Bildung in die schulischen und beruflichen Aus- und Wei-terbildungspläne („Vernetzte Lehre“, e-Learning)

In Zukunft werden für die überwiegende Anzahl von Arbeitsplätzen umfang-reiche ICT-Kenntnisse erforderlich sein. Daher braucht Deutschland mehr ICT-Kompetenz in der Bevölkerung zur Stärkung der internationalen Wett-bewerbsfähigkeit in allen Branchen. Die Vermittlung von ICT-Kompetenzen ist die Aufgabe aller Bildungsinstitutionen. Sie muss in der Grundschule be-ginnen. In den weiterführenden Schulen muss einerseits die Grundlage für vermehrtes Interesse an ICT-nahen (Hochschul-)Ausbildungen gelegt wer-den. Andererseits muss sichergestellt werden, dass alle Schulabgänger in der Lage sind, ICT standardmäßig einzusetzen. Alle Schüler sollten als Lehr- und Lernmittel persönliche Notebooks besitzen. Die Lehrpläne müssen auf dieses Medium angepasst, die Fortbildung der Lehrer entsprechend unter-stützt werden. Kinder und Jugendliche müssen frühestmöglich an ICT herangeführt werden. Dies ist die beste Möglichkeit, eine ICT-Kulturkompe-tenz in der Bevölkerung zu schaffen. 2) Ausbildung einer breiteren Basis an ICT-Experten fördern: pro Jahr

5.000 zusätzliche Hochschulabsolventen für die ICT-Branche Deutschland braucht mehr Hochschulabsolventen mit ingenieur- und natur-wissenschaftlichem Abschluss. Die deutsche Politik muss die Rahmenbedin-gungen dafür schaffen, dass in gemeinsamer Anstrengung mit der Industrie die entsprechenden Studienkapazitäten geschaffen werden. Wo nötig, müs-sen die Studieninhalte entsprechend aktualisiert werden. Stipendien, Neu-regelung der Hochschulzugangsberechtigung und stärkere Vermarktung der ICT-Berufschancen werden die aktuellen Studierendenzahlen in den ICT-relevanten Fächern erhöhen. Die deutschen ICT-Unternehmen sollten durch Stipendienprogramme und durch den weiteren Aufbau industrienaher Lehr-stühle Studenten in ICT-relevanten Fächern unterstützen, die Karriereper-spektiven für Absolventen aus diesen Fachbereichen verbessern und dies deutlich kommunizieren.

Page 52: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

48

3) ICT-Breitennutzung vorantreiben: Förderung der ICT-Kompetenz und Breitennutzung in Unternehmen und der öffentlichen Verwal-tung

Für einen immer größeren Anteil der Arbeitsplätze in Deutschland sind heute bereits ICT-Kenntnisse erforderlich – sei es im Verkauf, im Lagerwesen, in der Verwaltung oder in der Produktion. Die Tendenz hinsichtlich Qualität und Quantität der ICT-Nutzung steigt stark an. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern und mit Verbänden könnten Initiativen gestartet wer-den, um Verständnis und Akzeptanz einer umfassenden ICT-Nutzung in Unternehmen und im öffentlichen Sektor zu fördern. Dazu gehört etwa das Angebot spezieller Fortbildungsprogramme im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der mögliche Aufbau eines „Rent-a-CIO“-Programms. Dadurch könnten insbesondere Unternehmen des Mittelstands darin unterstützt werden, zukunftsfähige Infrastrukturen und Anwendungen zu implementieren, die für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland erforderlich sind. Zusätzlich ist die Interaktion zwischen dem öffentlichen Sektor und dem Unternehmenssektor zu stärken. So sollten Zu-lieferverhältnisse als beiderseitiger Hebel genutzt werden, um die ICT-Penetration zu verbessern. 4) ICT-Nutzung im Mittelstand fördern: Entwicklung und Kommunika-

tion von innovativen Konzepten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Der Rückstand des deutschen Mittelstands bei der ICT-Nutzung bietet er-hebliche Wachstumspotenziale. Neben Programmen zum Austausch von Ideen zur Effizienzsteigerung und zur Umsetzung spezifischer ICT-Projekte könnte ein „ICT-Audit“ für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Transparenz über die Vorteile und Chancen der ICT-Nutzung deutlich erhö-hen. Im Vordergrund sollte hier die konsequente Erfassung aller ICT-bedingten Produktivitätsgewinne stehen, welche die KMU in ihre Investiti-onsentscheidung einbeziehen sollten. Für die Finanzierung der ICT-Projekte sollte es eine einfache und klare Modellvereinbarung zwischen dem KMU, dem ICT-Anbieter und beispielsweise der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder anderen Institutionen zur Förderung des Mittelstands geben. Zudem könnten die Nutzungs- und Investitionsbarrieren im Mittelstand durch bedarfsorientierte, flexible ICT-Services für KMU überwunden werden. Net-work Centric Computing kann hier eine Schlüsselrolle übernehmen, indem es den KMU ermöglicht, auf spezifische IT- und Business-Funktionalitäten zuzugreifen ohne in eigene ICT- Infrastruktur zu investieren. Bisher hohe Fixkosten des ICT-Einsatzes könnten somit durch ein variableres Kosten-modell ersetzt werden. 5) Realisierung von Produktivitätssteigerungen im öffentlichen Sektor

und Nutzung der Katalysatorwirkung: Verstärkter Einsatz von e-Government und e-Health

Der ICT-Nutzung staatlicher Institutionen kommt insbesondere in den Berei-chen e-Government, e-Health und e-Learning eine entscheidende Funktion zu. Denn hier können einerseits Produktivitätssteigerungen im öffentlichen Sektor und bei den Bürgern und Unternehmen erzielt werden. Andererseits lässt sich hierdurch ein Katalysatoreffekt auf die Nutzung von Konsumenten und Unternehmen realisieren. Um diese Katalysatorwirkung zu nutzen, sollte

Page 53: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

49

die Abwicklung von Prozessen zwischen dem Staat und dem privaten Sektor möglichst vollständig online erfolgen. Dabei geht es nicht nur darum, wie viele Informationsportale online gestellt werden. Wichtig sind vor allem die Transaktionen, die zwischen Verwaltung auf der einen Seite sowie Unter-nehmen und Bürgern auf der anderen Seite online abgewickelt werden können. Dabei sollten für Online-Transaktionen Anreize geschaffen werden – durch eine Gebührenreduzierung sowie durch eine Zeitersparnis, von de-nen Unternehmen und Bürger profitieren. Wesentliche Voraussetzungen für die effektive und baldige Nutzung eines solchen Angebots sind die flächen-deckende und kostenfreie Einführung der elektronischen Signatur, der breitbandige Ausbau der Infrastruktur (zum Beispiel des DSL-Netzes), die Steigerung der Breitbandpenetration sowie der flexible Abbau bürokratischer Hemmnisse. Die Gestaltung der Interaktionsprozesse zwischen Staat und Bürger sowie zwischen Staat und Unternehmen sollte die Privatwirtschaft über Public-Private-Partnerships (PPP) wesentlich einbeziehen. Durch PPP werden die wirtschaftlichen und technischen Risiken in der Regel vom privaten Partner getragen, während die hoheitlichen Aufgaben weiterhin in der Hand des öf-fentlichen Partners verbleiben. Durch diese Aufgabenteilung kann sich zum einen jeder der Partner auf seine Kompetenzen konzentrieren. Zum anderen lassen sich in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit die Dienstleistungen verbessern, die Kundenzufriedenheit erhöhen und die Betriebskosten sen-ken. Hierzu müssen jedoch an verschiedenen Stellen die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit PPP in Deutschland einen ebenso hohen Stellenwert wie bereits in anderen Ländern einnehmen kann. 6) Innovationsaktivitäten in der ICT-Industrie fördern: Aufbau von

Gründungszentren und Innovationsclustern Eine wichtige Ressource der ICT-Branche ist ihre Innovationsfähigkeit. Die deutsche Politik sollte den Aufbau von ICT-Clustern und Gründungszentren an den Forschungsstandorten durch gezielte Investitionsanreize fördern. Die deutschen ICT-Unternehmen müssen diesen Aufbau gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor zügig planen und durchführen. Durch den hohen Koope-rationsgrad innerhalb der Cluster wird neben einer deutlichen Steigerung der Gründungsrate die Entwicklung neuer marktfähiger Produkte im Vordergrund stehen. Gründungszentren, die zwischen Universitäten und Unternehmen entstehen, müssen intensiv in unternehmensspezifische Forschungs- und Entwicklungsprojekte einbezogen werden. Dies ermöglicht stabile Aufbau-phasen und gleichzeitig die unmittelbare Beschäftigung mit hochrelevanten Themen.

Page 54: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

50

7) Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in ICT stärken: inten-sivere Kooperation und verbesserte Allokation der Forschungsakti-vitäten auf Wirtschaft und öffentliche Institutionen

Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) erfordern funktionsfähige Märkte für eigen- und fremdfinanziertes Risikokapital. Um den in Deutsch-land unterdurchschnittlich entwickelten Markt für Risikokapital zu beleben, sollte der Staat gezielte Investitionsanreize für zukunftsfähige ICT-Technologien setzen. Zudem sollten die Vergabeverfahren für F&E-Förderung deutlich transparenter gemacht werden – auch durch Beratungs-zentren, um F&E-Fördergelder effektiver zu nutzen. Daneben sollten Innova-tionsprojekte verstärkt betriebswirtschaftlich beurteilt werden. Innovationen müssen durchgängiger darauf ausgerichtet werden, marktfähige Endproduk-te hervorzubringen. Ein entsprechendes Innovationscontrolling kann hierbei wichtige Impulse liefern. 8) Klare Gesetzgebung für fortschrittliche ICT-Infrastruktur und inno-

vative Anwendungen schaffen: Stärkung der Rechts- und Investi-tionssicherheit als Rahmen für wirksamen Infrastrukturwettbewerb

Eine auf die Zukunft ausgerichtete Infrastruktur, die parallel zur Entwicklung neuer Anwendungen verbessert wird, ist essentiell, um einen erweiterten Nutzerkreis und ausländische Investitionen anzuziehen. Daher muss in Deutschland der Ausbau von Breitband vorangetrieben werden. Innovative Unternehmen müssen die Chance bekommen, ihre hohen F&E-Ausgaben und -Investitionen über einen angemessenen Zeitraum zu amortisieren. Um die nötigen Mittel für F&E und Investitionen freizusetzen, muss sich der Staat entweder selbst finanziell engagieren. Oder es müssen Regelungen mit den Investoren vereinbart werden, die entsprechende Investitionsanreize gewährleisten. Dadurch wird ein erweitertes Angebot innovativer, breitbandi-ger Applikationen stimuliert und die Penetration und Nutzung erhöht. Zur Sicherstellung einer zügigen und effizienten Entwicklung und Umsetzung des ICT-Masterplans sollte eine nationale CIO-Organisation geschaffen wer-den, die dem Kanzleramt angegliedert ist und die ressortübergreifende Koordination der Erarbeitung und Umsetzung einer nationalen e-Strategie übernimmt. Der ICT-Masterplan sollte flankiert werden von der Entwicklung und Umset-zung einer chancen- und nutzenorientierten Kommunikationskampagne, die die ICT-Begeisterung in der Bevölkerung weckt. Besonders nutzerfreundli-che Anwendungen (etwa mobile Zahlungssysteme, „Smart Devices“, „Digital Home“) und öffentlichkeitswirksame Ausschreibungen (beispielsweise ein Innovations- und Gründungswettbewerb „Breitbandapplikation für Deutsch-land") sind geeignete Mittel, um die Öffentlichkeit in die Gestaltung des ICT-Standortes Deutschland einzubeziehen. Der Bürger sollte in seiner Verant-wortung für die Mitgestaltung der Zukunft Deutschlands angesprochen werden und innovative Produkte und Lösungen aktiver nutzen. Als Enabler besitzt die moderne Informations- und Kommunikationstechno-logie mehr denn je eine Schlüsselfunktion für den Fortschritt, das Wachstum und den Wohlstand von Volkwirtschaften. Wird der ICT-Masterplan konse-quent entwickelt und umgesetzt, kann die Innovationskraft, Wettbewerbs-fähigkeit und Wirtschaftskraft des deutschen ICT-Sektors und der Anwen-dungsbranchen in den nächsten Jahren erheblich gesteigert werden. Entscheidende Voraussetzung zur Nutzung dieser Potenziale ist, dass Wirt-schaft, Politik und die Bevölkerung entschlossen gemeinsam handeln.

Page 55: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

51

10 Quellenverzeichnis BundOnline: Bundesministerium des Inneren; www.bmi.bund.de

Creating a Development Dynamic. Final Report of the Digital Opportunity Initiative – Accenture, Markle Foundation, UNDP – 2001

Daten zur Informationsgesellschaft – BITKOM – 2005

DotEcon and Criterion Economics 2003: Competition in Broadband Provision and Its Implications for Regulatory Policy. A Report for the Brussels Round Table – London – 2003

Die eHealth Card – Faculty of Economics and Social Science der Universität Fribourg – 2005

eBusiness-Jahrbuch der deutschen Wirtschaft 2004/05 – Wegweiser GmbH, Fraunhofer IAO, BITKOM, IFG – 2004

e-Japan Priority Policy Program; www.kantei.go.jp/foreign/policyindex.html

e-Korea Vision 2006; www.mic.go.kr – Ministry of Information and Communi-cation, Republic of Korea

European e-Government-Country Benchmarking and Market Forecasts – IDC – 2004

Exploiting the European KMU Opportunity – Datamonitor – 2004

Forschung und Innovation in Deutschland 2005 – Bundesministerium für Bildung und Forschung – 2005

Global e-Government Readiness Report 2004 – United Nations

Global Wireless Matrix Q304 – Merrill Lynch – 2005

ICT and Economic Growth. Evidence from OECD Countries, Industries and Firms – OECD – 2003

ICT, e-Business and KMU – OECD – 2004

Informationstechnologie in Haushalten 2004 – DeStatis – 2005

Informationstechnologie in Unternehmen 2004 – DeStatis – 2005

Innovation für Wachstum und Beschäftigung – Das 10 Punkte Programm der IKT-Wirtschaft – BITKOM – 2005

International Broadband Market Comparisons – Ovum – 2005

Internationaler Vergleich der TK-Märkte in ausgewählten Ländern – ein Libe-ralisierungs-, Wettbewerbs- und Wachstumsindex – Wissenschaftliches Institut für Kommunikationsdienste – 2001

Invest in Sweden Report 2004/05 – Invest in Sweden Agency (IAS) – 2005

IT in the European Union: Driving Productivity Divergence? – Timmer, Ypma, van Ark; GD-67, Groningen Growth Development Centre – 2003

Produktionsstandort Deutschland – quo vadis – BCG – 2004

Media@Komm: www.erfolgsmodell.mediakomm.net

Online Availability of Public Services – Cap Gemini Ernst Young – 2004

KMU in Germany – Facts and Figures – Institut für Mittelstandsforschung (IfM) – 2004

The 2004 R&D Scoreboard – UK-Department of Trade and Industry UK – 2005

Page 56: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

52

The Contribution of ICT-Producing and ICT-Using Industries to Productivity Growth: A Comparison of Canada, Europe and the US – Bart van Ark, Gron-ingen Growth and Development Centre – 2003

The Economist Intelligence Unit e-Readiness Ranking – EIU – 2005

The e-Government Executive Series: Leadership in Customer Service: New Expectations, New Experiences – Accenture – 2004

The Embedded Software Strategic Intelligence Program 2002/2003 – VDC – 2003

The European e-Business Report – e-Business w@tch/European Commis-sion – 2004

The European Information Technology Observatory – EITO – 2002/2005

The Gershon Efficiency Review – Infobasis – 2004

The Global Information Technology Report 04/05 – World Economic Forum – 2005

The Growing Importance of Embedded Software – BCG – 2004

The Lisbon Scorecard V: Can Europe Compete? – Centre for European Re-form – 2005

Top of the Web: User Satisfaction and Usage Survey of e-Government Ser-vices – Rambøll Management/European Commission/DG Information Society – 2004

Unternehmensfinanzierung im ITK-Mittelstand – BITKOM – 2004

VDE-Innovationsmonitor – VDE – 2005

Venture Capital Barometer 2004 – Ernst & Young – 2005

Tiger Leap Foundation, www.tiigrihype.ee, Estland

Why is Productivity Growth in the Euro Area so Sluggish – IMF – 2004

Working Paper 318, Gross Job Flows and Institutions in Europe – European Central Bank (ECB) – 2004

Wortmann-Fallbeispiel: Microsoft Deutschland GmbH; Wortmann AG

Fraunhofer e-Government-Zentrum; www.egov-zentrum.fraunhofer.de

Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands – Bundesministerium für Bildung und Forschung – 2005

Page 57: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

53

11 Glossar 4G Vierte Mobilfunkgeneration

ARPU Average Revenue per User

BIP Bruttoinlandsprodukt

BPO Business Process Outsourcing

BT British Telecom

BundOnline Programm zur Transformation der Dienstleistungen des Öffentlichen Sektors in elektronische Prozesse

BWS Bruttowertschöpfung

CIO Chief Information Officer

CRM Customer Relationship Management

DMB Digital Multimedia Broadcasting

DRM Digital Rights Management

DSL Digital Subscriber Line

DVB Digital Video Broadcasting

e-Business Elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen

Edutainment Multimediaunterhaltungsprogramme zur gezielten Anregung von Lernprozessen

e-Government Elektronische Abwicklung der Prozesse in der öf-fentlichen Verwaltung

e-Health Elektronische Abwicklung der Prozesse im Ge-sundheitswesen

e-Learning Lernen mittels elektronischer Lehrmittel

Embedded Software In Produkt integrierte Steuerungssoftware

e-Procurement Elektronische Abwicklung von Beschaffungsprozes-sen

e-Readiness Rahmenbedingungen in einem Land bzgl. Einsatz und Nutzung von ICT (Information and Communica-tion Technology)

ERP Enterprise Resource Planning

e-Sales Elektronische Abwicklung von Verkaufsprozessen

e-Vergabe Elektronische Abwicklung eines Ausschreibungsver-fahrens

FMC Fixed-Mobile-Convergence

FMS Fixed-Mobile-Substitution

FTTH Fibre to the Home

GPRS General Packet Radio Service

ICT Information and Communication Technology

IHK Industrie- und Handelskammer

IP Internet Protocol

IT Information Technology

Page 58: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

54

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau

KMU Kleine und mittlere Unternehmen

LAN Local Area Network

LE Large Enterprise

Mbps Megabit per Second

Media@Komm Kommunikations- und Informationsplattformen deut-scher Kommunen

MVNO Mobile Virtual Network Operators

NHS National Health Services, UK

PPP Public-Private-Partnership

RFID Radio Frequency Identification

SCM Supply Chain Management

TD-SCDMA Time Division Synchronous Code Division Multiple Access

Ubiquitous Networks Überall und jederzeit zugängliche Netzwerke

Utility Computing IT-Funktionalitäten

Video-on-Demand Individualisierte Ausstrahlung von Video

VoIP Voice over Internet Protocol

WiMAX Worldwide Interoperability for Microwave Access

Wireless Factory Optimierung von Produktionsprozessen durch Mo-bilfunktechnik

Page 59: Wirtschaftliche und politische Chancen der ... · 1 1 Vorworte Dr. Dieter Heuskel Dr. Dieter Heuskel ist Senior Vice President bei The Boston Consulting Group und leitet als Chairman

55

Danksagungen Die Autoren danken Prof. Bart van Ark vom Groningen Growth and Deve-lopment Centre, Niederlande, für die begleitende Diskussion von Analyse-ergebnissen und von länderspezifischen Vergleichen makroökonomischer Rahmenbedingungen. Ebenso bedanken wir uns beim European Information Technology Observa-tory (EITO) und beim Statistischen Bundesamt Deutschland für die Unter-stützung mit nicht online verfügbaren Daten sowie für die Diskussion der Datenvergleichbarkeit in längeren Zeitreihen. Für die Fallstudie zur Wortmann AG danken wir Microsoft Deutschland GmbH und der Wortmann AG für die offene Diskussion zur Effizienzsteige-rung und Standortbedeutung des gemeinsam durchgeführten ICT-Projektes. Darüber hinaus bedanken wir uns bei den Mitgliedern des gemeinsamen Studienteams der Deutschen Telekom AG (Dr. Kerstin Baumgart), der Sie-mens AG (Alfred Eiblmeier) und von The Boston Consulting Group GmbH (Dr. David Dean, Dr. Daniel Ritz, Alexander Roos, Tobias Habig, Christoph Cordes, Philipp Sutter, Sven van den Bergh), sowie bei allen Kollegen inner-halb der Häuser, die uns während der Erstellung dieser Studie mit ihrem Rat und ihren Erfahrungen intensiv unterstützt haben.