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Ruprecht-Karls-Universit¨ at Heidelberg Philosophisches Seminar Wissenschaftliche Arbeit Vorgelegt von Christine Plicht Betreut durch Prof. Dr. Martin Gessmann

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Ruprecht-Karls-Universitat Heidelberg

Philosophisches Seminar

Wissenschaftliche Arbeit

Vorgelegt von Christine Plicht

Betreut durch Prof. Dr. Martin Gessmann

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Kunstliche Intelligenz in der Diskussion

zwischen Postmoderne und Pragmatismus

Christine Plicht

25. August 2011

vorgelegt von: Christine Plicht

Heinrich-Lanz-Str.3

69115 Heidelberg

[email protected]

Matrikelnr.: 2546008

Heidelberg, 25. August 2011

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 2

2 Geschichte der KI 4

2.1 Turing-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.2 Darthmouth Konferenz 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

3 Kunstlichen Intelligenz im philosophischen Kontext 9

3.1 Korper-Geist-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

4 Drei philosophische Ansatze 20

4.1 Daniel C. Dennetts - Intentionale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

4.2 John Searle - Das Chinesische Zimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4.3 Hubert Dreyfus - What Computers can’t do . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

5 Robotik als Weg zu einer kunstlichen Intelligenz 38

6 Fazit 47

7 Literatur 49

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Christine Plicht

1 Einleitung

Kunstliche Intelligenz (KI) wurde im letzten Jahrhundert zu einem Thema mit dem

sich einige Wissenschaftszweige beschaftigt haben, so auch die Philosophie. Uberwie-

gend außerten sich Philosophen aus den USA zu diesem Thema mit dem Hohepunkt der

Diskussion in den 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Entwicklung selbst

geht naturlich weiter zuruck mit Hoch- und Tiefphasen. Kunstliche Intelligenz ist ein

sehr interdisziplinares Thema, da verschiedene Aspeke aus unterschiedlichen Sichtweisen

beleuchtet werden konnen. So ist es nicht nur die Seite der Informatik, bei der es um die

Entwicklung der Programme geht, sondern auch die Neurowissenschaften, Psychologie

oder auch Ingeneurswissenschaften sind an den Projekten beteiligt. Die Philosophie hat

bei diesem Thema die Moglichkeit an konkreten Entwicklungen durch einen Diskurs be-

gleitend und aktiv teilzunehmen und aus ihrer Sicht zu beleuchten. Die philosphischen

Diskurse dazu sind verwurzelt mit der Philosophie des Geistes und der Sprachphilso-

phie. Das Thema ist fur die Philosophie besonders spannend und geeignet, da hier ein

Diskurs stattfindet, der an aktuelle Forschungsgebiete anknupft und zusatzlich in einer

gesellschaftliche Debatte verankert ist. Hier hat die Debatte einen starken realen Bezug

zum aktuellen Geschehen und beschaftigt sich nicht mit spezifischen Themen einzelner

Philosophen oder Epochen. Trotzdem kann das Thema auch sehr theoretisch betrachtet

werden und praktische Fragen, wie der Ethik, konnen dabei am Rande diskutiert werden.

Meine eigene Motivation zu diesem Thema ergibt sich aus meinem zweiten Studienfach,

der Mathematik. Hierdurch habe ich einen leichteren Zugang zu Konzepten der Informa-

tik erhalten, die in dieser Arbeit gelegentlich angesprochen, aber nicht vertieft behandelt,

werde. Es ist, gerade als angehende Lehrerin, sehr spannend sich mit einem philosophi-

schen Thema zu befassen, das sowohl einen aktuellen Bezug hat, als auch beiden Facher

verbindet. Ziel dieser Arbeit ist es also ein Thema, dessen Ursprung in einer anderen

Disziplin liegt, philosophisch zu betrachten und aufkommende philosophische Fragen zu

diskutieren. Dabei will ich untersuchen, ob und wieweit die Philosophie Fragen dieses

Wissenschaftszweig, durch einen andern Zugang, verstandlicher werden oder sogar be-

antworten werde konnte.

Die Arbeit beginnt mit einem geschichtlichen Uberblick des Themas, in dem ich die

Grundlagen aus der Mathematik und Informatik anspreche und wichtige Ereignisse und

Erfindungen beschreiben. Weiter mochte ich die philosophische Bedeutung der Kunstli-

che Intelligenz genauer erlautern und damit zusammenhangende Probleme aus der Phi-

losophie vorstellen. Hauptteil der Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit drei zeit-

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Christine Plicht

genossigen amerikanischen Philosophen: Daniel C. Dennett, John Searle und Hubert

Dreyfus. Ich werde Dennetts pragmatisches Konzept der intentionalen Systeme vorstel-

len, bei dem die Frage nach Intentionalitat von Maschinen thematisiert wird. Weiter

hebe ich Argumente von Searle und Dreyfus hervor, die gegen die Moglichkeit der Ad-

aption von kognitiven Fahigkeiten bei Maschinen sprechen. Hierzu betrachte ich Searles

beruhmtes Gedankenexperiments, das Chinesische Zimmer, und gebe einige Kritiker

wieder. Weiter stelle ich eine dritte Herangehensweise an das Thema vor, Dreyfus phano-

menologische Kritik an der KI-Forschung.

Beenden werde ich die Arbeit mit einem Ausblick auf die Robotik bezogen auf eine

kunstliche Intelligenz. Dabei werde ich die Probleme einer einheitlichen Vorstellung von

kunstlicher Intelligenz und ihrer Uberprufung beispielsweise durch Kriterien diskutieren.

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Christine Plicht

2 Geschichte der KI

Um die zeitliche Entwicklung des Forschungsgebiets der Kunstlichen Intelligenz zu be-

trachten, sind fur diese Arbeit neben der philosophischen, auch die mathematische Seite

wichtig. Hier wurden grundlegenden Uberlegungen getroffen, die zum heutigen Stand der

Wissenschaft und Technik fuhrten. Seit der Antike versuchen die Menschen Regeln zu

finden, um die Welt zu beschreiben. Damals legte Aristoteles die ersten Grundsteine fur

eine Formalisierung, in dem er den Syllogismus begrundete. Der Syllogismus ermoglicht

es zum ersten Mal Argumente, die aus logischen Verknupfungen bestehen, unabhangig

von ihrem Inhalt, auf formale Folgerichtigkeit zu uberprufen . So konnten Argumente

durch eine abstrakte allgemeingultige Methode uberpruft oder eben auch widerlegt wer-

den. Das war eine der ersten Voraussetzungen fur die heutige formale und mathematische

Logik und somit auch fur das Forschungsgebiet Kunstliche Intelligenz.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wurden Grundlagen fur die heutigen Stand gelegt,

die Rechenmaschinen. So wurde schon von Leonardo da Vinci (1452-1519) eine Re-

chenmaschine entworfen, aber nicht gebaut. Erst im 17. Jahrhundert gelang es Wilhelm

Schickard (1592-1635) und auch Blaise Pascal (1623-1662) eine funktionstuchtige mecha-

nische Rechenmaschine zu bauen, die addieren und subtrahieren konnte. Im Laufe der

Zeit wurden Rechenmaschinen weiterentwickelt und konnten immer mehr Funktionen

ausfuhren. Allerdings war die Division eine Operation, die von den damaligen Maschi-

nen nicht durchgefuhrt werden konnte. Es entstand immer starker der Eindruck, dass

sich die Welt anhand von formalen Strukturen und Regeln erklaren ließe. So wurde im

19. Jahrhundert von George Boole (1815-1849) die moderne mathematische Logik be-

grundet. In seinem Werk The Mathematical Analysis of Logic schuf er mit dem ersten

algebraischen Logikkalkul die Grundlage fur die Bool’sche Algebra. In der Bool’schen

Algebra werden die Grundoperationen der Logik (UND, ODER) mit den mengentheor-

tischen Verknupfungen, wie der Vereinigung und dem Durchschnitt, formal beschrieben.

Auf diese Algebra baut die mathematische und philosophische Logik auf, denn damit

werden die grundlegenden Gesetze beschrieben. Durch die zweiwertige Bool’sche Algebra

werden auch Wahrheitstafeln beschrieben, mit 0 als falscher und 1 als wahrer Aussage,

die in der Aussagenlogik fundamental sind.

Bis ins 19. Jahrhundert versucht man formale Strukturen zu erfassen und erste kleinere

mechanische Instrumente zu bauen, die dem Menschen Arbeit abnehmen sollten. Die

Mechanisierung wurde im 19. Jahrhundert stark vertieft und erreichte weitere durch-

brechende Errungenschaften. Darunter zahlen u.a. der Zeigertelegraf, der von Werner

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von Siemens und Johann Georg Halske erfunden wurde und Vorlaufer des heutigen Fa-

xgerates war. Die Rechenmaschinen und auch weitere Rechner wurden bis dahin auf

einem analogen System betrieben, d. h. sie messen Großen, wie Spannungen, Zeitdauer

und geben anhand dieser Messungen ein Ergebnis. Es konnte somit nur mit starren,

festen Großen gearbeitet werden. Das anderte sich mit der Erfindung der Digitalrechner.

Charles Babbage entwarf 1835 eine sogenannte”analytische Maschine“, die allerdings

nicht gebaut wurde. Digitalrechner konnen auch mit unstetigen Großen arbeiten und

Zustande speichern. Alan M. Turing (1912-1954) beschreibt die Vorzuge des Digitalrech-

ner:”Die Existenz von Maschinen mit dieser Eigenschaft hat die wichtige Konsequenz,

dass es, von der Geschwindigkeitserwagungen abgesehen, unnotig ist immer neue Ma-

schinen fur unterschiedliche Rechenprozesse zu entwickeln. Sie konnen allesamt mit ei-

nem Digitalrechner durchgefuhrt werden, der fur jeden Fall geeignet zu programmieren

ist.“(Dre85, S.22).

Der erste funktionstuchtige programmierbare Digitalrechner wurden 1941 von Konrad

Zuse (1920-1995) gebaut und 1943 wahrend des Zweiten Weltkriegs wieder zerstort. Er

war unter dem Namen”Z3“ bekannt und basierte auf einem Binarsystem. In den wei-

teren Jahrzehnten wurden weitere digital Großrechner gebaut und erste Visionen uber

spezielle Programme gemacht. Hierzu zahlt die Entwicklung eines Schachcomputers: ein

Programm, dass die Regeln des Schachspiel beherrscht und gegen einen menschlichen

Gegner gewinnen konnte. Erste Erfolge damit hatten hatten Allen Newell, J.C. Shaw

und H.A. Simon. Ihnen gelang, es ein Prgramm zu entwickeln, dass Schachanfanger

schlagen konnte. Ein weiteres Gebiet der Programmierung, das in dieser Zeit eroffnet

wurde, war die Entwicklung eines Sprachcomputers und so genannte heuristische Syste-

me, die sich auf das Losen von Denksportaufgaben spezialisierten.

2.1 Turing-Test

In dieser Zeitepoche, 1950, veroffentlichte Turing einen Artikel”Computing Machinery

and Intelligence“, in dem er ein Imitationsspiel, heute auch bekannt als Turing-Test.

Turing wollte sich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Maschine denken kann. Um

daruber eine Aussage treffen zu konnen, entwarf er folgendes Spiel: Es gibt insgesamt

drei beteiligte Parteien, zwei, die befragt werden (A und B) und ein Fragesteller (C). Ziel

des ursprunglichen Imitationsspiel war es, dass C das Geschlecht der Befragten heraus-

finde, wobei beide Geschlechter vorkommen. In der Abweichung und computerbezogenen

Variante des Spiels wird ein Befragter durch einen Computer ersetzt. C soll nun heraus-

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finden, ob entweder A oder B ein Mensch ist. Hierbei kann C Fragen formulieren, auf die

A und B antworten mussen. Selbstverstandlich passiert dies in schriftlicher bzw. digitaler

Form. Turing ersetzt dann auch die Frage, ob Maschinen denken konnen, durch”Sind

Digitalrechner denkbar, welche sich bei dem Imitationsspiel bewahren?“. Naturlich wird

direkt deutlich, dass es sich hier um zwei verschiedene Fragestellungen handelt. Aller-

dings gibt Turing hier ein klar uberprufbares Kriterium. Turing sieht den Unterschied

der beiden Fragestellungen nicht so relevant, wie es zur heutigen Zeit sein mag, denn er

behauptet:”Die ursprungliche Fragestellungen

’Konnen Maschinen denken‘ halte ich fur

zu belanglos, als dass sie ernsthaft diskutiert werden sollte. Nichtsdestoweniger glaube

ich, dass am Ende unseres Jahrhunderts der Sprachgebrauch und die allgemeine Ansicht

sich so stark gewandelt haben werden, dass man widerspruchslos von denkenden Maschi-

nen reden kann.“(Tur94, S. 51) Demnach ist Turing so optimistisch, was die Entwicklung

der Computer und Programme angeht, dass er davon ausgeht, dass niemand ihr Denk-

vermogen anzweifeln wird, wenn sie den Turing-Test bestehen. Seine Prognose war, dass

50 Jahre spater, also zur Jahrtausendwende, Sprachcomputer den Test bestehen werden.

Sogar nicht einmalig, sondern mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent. Dabei soll

es ein funfminutiges Testgesprach geben, bevor sich C entscheidet.

Nicht nur Turing hat zu Beginn der Entwicklung solcher Computer so eine optimis-

tische These abgegeben, sondern auch andere Wissenschaftler waren von der rasanten

Entwicklung mitgerissen. Simon prophezeite 1957 unter anderem:

• In spatestens zehn Jahren wird ein Computer Schachweltmeister, sofern ihn die

Regeln nicht von der Teilnahme ausschließen.

• In spatestens zehn Jahren wird ein Computer ein neues, bedeutendes mathemati-

sches Theorem entdecken und beweisen.

• In spatestens zehn Jahren werden die meisten Theorien der Psychologie die Form

von Computerprogrammen oder von qualitativen Aussagen oder die Merkmale von

Computerprogrammen haben.

2.2 Darthmouth Konferenz 1956

Die Geburtstunde der Kunstliche Intelligenz war 1956 in Darthmouth. Dort veranstal-

tete John McCarthy einen zwei Monate dauernde Sommer-Konferenz, zu der Forscher

eingeladen wurden, die sich zu der Zeit mit diesem Thema beschaftigten.”Der Work-

shop in Darthmouth brachte keine neuen Durchbruche, aber er sorgte dafur, dass sich

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die wichtigsten Personen kennen lernten.“(RN04, S.38); Marvin Minsky, Allen Newell,

Herbert Simon, Claude Shannon und Nathaniel Rochester. Ab diesem Zeitpunkt wurde

kunstliche Intelligenz zu einem seperaten Forschungsgebiet. McCarthy definiert KI in

seinem Artikel What is artificial intelligence:”It is related to the similar task of using

computers to understand human intelligence, but AI does not have to confine itself to

methods that are biologically observable.“(McCa). Man will versuchen menschliche men-

tale Konzepte, wie Kreativitat oder Spracherkennung, mit dem Computer zu simulieren

oder sogar zu konstruieren.

Genau 50 Jahre spater, im Jahr 2006 fand eine weitere Konferenz1 in Dartmouth statt,

die sich mit den kommenden 50 Jahre der KI-Forschung beschaftigte. Auf dieser Konfe-

renz waren auch einige ursprunglichen Teilnehmer prasent, wie McCarthy und Minsky.

Die KI-Forschung war gepragt von Jahrzehnten, in denen neue Entwicklungen einen

starken Enthusiasmus hervorriefen. Aber es gab auch Zeiten, in denen es ruhiger wurde

und eine Weiterentwicklung nicht in Sicht war. Zu Beginn wurden Probleme formuliert

und der Losungsansatz war recht viel versprechend, dennoch stellte sich heraus, dass

eine Entwicklung komplexer war, als zuerst gedacht. Nicht jedes Problem wurde damit

gelost, dass eine bessere Hardware und ein großerer Speicher zur Verfugung standen. So-

lange eine Problemlosung darauf basierte, Moglichkeiten zu berechnen, bis die richtige

Losung gefunden wurde, konnte bessere Hardware dazu verhelfen. Aber gerade in der

Sprachubersetzung war dies nicht immer so einfach.

Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung von Computerprogrammen, die kognitive

Fahigkeiten zumindest simulieren, war das Programm ELIZA. Der Informatiker Joseph

Weizenbaum(1923-2008) entwickelte das Programm und veroffentlichte es 1966. ELI-

ZA ist ein interaktiver Chatbot, der ein Gesprach mit einem Menschen fuhren kann.

Es basiert auf den Grundlagen eines psychotherapeutischen Gesprachs. Hierbei ist es

vergleichsweise einfach auf den Gegenuber zu reagieren, da man in einem psychothe-

rapeutischen Gesprach auf Aussagen mit wenigen Informationen mit einer Frage ant-

worten kann. ELIZA greift hierzu auf eine Datenbank zuruck, in der Antworten und

Erkennungsmuster gespeichert sind und reagiert somit auf eine Frage oder Aussage der

Gesprachsperson.

Eine wichtige und bekannte Arbeit an kunstlicher Intelligenz ist der Schachcomputer

”Deep Blue“, der 1997 unter Turnierbedingungen als erster Computer gegen den amtie-

renden Schachweltmeister gewann.”Kasparov sagte, er fuhle, dass ihm am Brett eine

1Die Konferenzhomepage befindet sich noch unter http://www.dartmouth.edu/~ai50/homepage.html.[Abgerufen im August 2011]

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’neuartige Intelligenz‘ gegenuber sitze.“(RN04, S.50). Damit bestatigte sich Simons Pro-

phezeiung, wenn auch 30 Jahre zu spat. Dennoch war es in den ersten Jahrzehnten nicht

moglich, einen Computer zu entwickeln, dessen Fahigkeiten uber die eines Amateur-

schachspielers hinaus gingen. Der Erfolg des Schachcomputers hangt sowohl von seiner

Hardwareleistung als auch der Software, dem Schachprogramm, ab. Das Programm be-

rechnet die moglichen Zuge und wahlt hier mit einer Bewertungsfunktion aus. Heute

ist die Entwicklung an Schachcomputer nicht mehr so interessant wie noch vor zwan-

zig Jahren. Die handelsublichen Schachcomputer konnen den normalen Schachspieler

muhelos schlagen, demnach hatte die Entwicklung Erfolg und das Problem ist gelost.

Interessanter sind mittlerweile Spiele wie Go, die auf eine komplexere Bewertungsfunk-

tion aufbauen und zudem einfache Regen haben.

Der Schachcomputer und Chatbots sind beides Programme, die interaktiv mit Menschen

arbeiten und basieren auf kognitive Fahigkeiten des Menschen. Es findet ein Austausch

zwischen Mensch und Maschine statt und wenn der Interaktionspartner nicht wusste,

dass er mit einem Programm interagiert, wurde es ihm wahrscheinlich nicht direkt auf-

fallen.

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3 Kunstlichen Intelligenz im philosophischen Kontext

Im 20. Jahrhundert hat man versucht, einer Maschine oder einem Computer Dinge bei-

zubringen, die sonst nur Organismen vollbracht haben. Es ging nicht mehr nur um eine

Mechanisierung, die dem Menschen Arbeit abnehmen soll, sondern auch kognitive Leis-

tungen sollten auf Hardware durch geeignete Programmierung ubertragen werden. Eine

wichtige Voraussetzung dafur war die Turing-Maschine. Eine Turing-Maschine ist ein

simples Konzept einer Rechenmaschine. Sie kann fur eine berechenbare Funktionen f

ihren Wert f(n) an der Stelle n ausgeben. Fur jede berechenbare Funktion gibt es ei-

ne Turing-Maschine. Das heißt, alles was, ein Mensch berechnen kann, kann auch eine

Maschine erledigen. Nachdem es so große Erfolge und Prophezeiungen auf dem Gebiet

der Informatik gegeben hat, war es moglich, dass ein Rechner menschliche kognitive

Eigenschaften simulierte. Es gibt seitdem Computer, die Schach spielen oder eine Un-

terhaltung mit uns fuhren konnen. Dadurch erhielt die Maschine kognitive Fahigkeiten,

die bisher nur dem Menschen zustanden. Außerdem waren das genau die Fahigkeiten,

bei denen es nicht moglich war, von außen zu uberblicken, wie ein Mensch das tut. Eine

Maschine, die eine korperliche Arbeit des Menschen ersetzt, wie das Weben und Stricken

von Stoffen, folgt klar einem Schema, das wir bei den Webern sehen und nachvollzie-

hen konnten. Diese Handfertigkeit durch eine Maschine zu ersetzen, ist konzeptionell

anders als einen Schachspieler zu ersetzen. Es wurden Fahigkeiten ersetzt, die von au-

ßen nicht einsehbar sind und somit von Dritten nicht durchschaubar. Was”im Kopf“

eines Menschen vorgeht, wenn er ein wichtiges Schachturnier spielt, ist fur die Außenste-

henden verborgen, so nicht die Schritte, einen Pullover zu stricken. Aber auch bei dem

Schachcomputer wurde das Schachspiel mit Hilfe von einer logischen Abfolge elementarer

Schritte bzw. eines Flussdiagramms transparent gemacht, da es aus nachvollziehbaren

Schritten besteht. Das Programm ist schließlich von einem Menschen programmiert, also

ist es auch moglich zu verstehen, was dahinter steckt. Gerade die Frage, wie kognitive

Eigenschaften des Menschen funktionieren ist sowohl fur die Philosophie, aber auch fur

andere Wissenschaften, wie den Neurowissenschaften, von Bedeutung. Die Philosophie

des Geistes versucht Probleme, welche die mentale Seite des Menschen mit den geistigen

Eigenschaften betreffen, zu untersuchen und Begriffe, die damit zusammenhangen, zu

definieren und zu erklaren. Was geschieht in einem Menschen, wenn er an Dinge denkt,

was bedeutet das und wie denkt er uberhaupt? Geistige Eigenschaften sind fur Außen-

stehende nicht zuganglich, wir konnen nicht erkennen, was in unserem Gegenuber vor

sich geht. Warum er diesen Schachzug ausfuhrt und nicht einen anderen. Es geht darum,

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die Introspektion zu betrachten und die innere subjektive Komponente des Verhaltens

erklaren zu konnen.

Zu Beginn des 20. Jahrhundert versucht der Behaviorismus, das Individuum anhand

seines Verhaltens zu untersuchen und dadurch Ergebnisse uber innere Vorgange zu er-

halten. Im Gegensatz zur Introspektion, die auf die Beobachtung des eigenen Selbst zielt,

erforscht der Behaviorist das Verhalten Dritter und lasst dabei auch die Physiologie un-

beachtet. Das Innere wird als”Black Box“ weitgehend ausgeblendet. Man ist zu einer

Verhaltensforschung ubergegangen, die dann in der allgemeinen Psychologie durch John

B. Watson (1878-1958) und auch Frederic Skinner (1904-1990) Einzug gefunden hat.

Zentraler Punkt hierbei ist das Reiz-Reaktions-Modell, das besagt, dass jedes Verhalten

auf eine Reizstimulierung zuruckzufuhren ist und somit alle inneren mentalen Vorgange

durch außeres Verhalten erklart werden. Kritiker weisen darauf hin, dass samtliche sub-

jektive Erfahrungen dabei außer Acht gelassen werde und das Verhalten sich nicht nur

aus der Perspektive der dritten Person erschließen lasse. Anders versucht die Kognitions-

wissenschaft Zugang zum Geist zu finden. Hier wird explizit versucht, Strukturen und

Funktionenweisen des Geistes zu finden, um ein besseres Verstandnis dieses zu erlangen.

Ausgangspunkt ist, dass der Mensch offensichtlich unterschiedliche mentale Zustande

besitzt, je nachdem, was er gerade macht, wie er sich gerade fuhlt. Es ist naheliegend,

dass es irgendwie beeinflussbar ist, in welchen Zustand wir uns befinden und dass es

demnach eine Art Regelwerk gibt, dem eine kausale Struktur zugrunde liegt. Dieses Re-

gelwerk und die Strukturen, die man aufdecken will, fuhren dazu, dass man die mentalen

Zustande als funktionale Zustande identifizieren konnte, die sich durch ihre kausale Rolle

charakterisieren lassen (Bec08, S.142). Funktionale Zustande konnen wir uns vorstellen,

wie bei einem Automaten2. Der Automat kann Ein-Euro-Munzen und Funfzig-Cent-

Munzen annehmen. Eine Coladose kostet einen Euro. Der Automat kann zwei Zustande

annehmen, je nach Input (den Munzen). Zustand X1 ist der Anfangszustand. Wenn

nun eine Ein-Euro-Munzen eingeworfen wird, gibt der Automat eine Coladose aus und

bleibt im Zustand X1. Wird ein Funfzig-Cent-Munze eingeworfen, wechselt der Auto-

mat in Zustand X2. Folgendes gilt fur Zustand X2: Bei einer Funfzig-Cent-Munze gibt

er eine Cola-Dose aus und geht in den Zusstand X1 uber. Bei einer Ein-Euro-Munze

gibt er Funfzig-Cent zuruck und eine Coladose. Wieder wechselt er in den Zustand X1.

Das bedeutet, der Automat kennt zwei Zustande, fur diese Zustande gibt es bestimmten

Input und gegebenenfalls Output (Coladose oder Funfzig-Cent-Munze). Dieser Output

wird durch Regeln oder auch Verhaltensgesetze bestimmt. Entscheidend dabei ist aber

2Beckermann verweist in seiner Einfuhrung auf das Beispiel eines Getrankeautomaten von Ned Block.

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auch, wie diese Zustande realisiert werden und nicht nur, dass es sie gibt. Es muss eine

Beziehung zwischen den internen Strukturen und den externen Strukturen geben. Nach

den Funktionalisten werden funktionale Zustande durch physische Zustande realisiert.

Diese physischen Zustande sind das, was in dem Automaten dahinter steckt, sodass er

den Output liefert. Dies kann durch einen Schaltplan dargestellt werden. Funktionalis-

ten vertreten die Ansicht, dass sich der Mensch, ahnlich wie ein Getrankeautomat, in

verschiedenen Zustanden befinden kann und dass es Inputs gibt, die veranlassen, welcher

Zustand realisiert wird. Ich befinde mich also immer in irgendwelchen Zustanden, zum

Beispiel dem funktionalen Zustand des Wartens. Funktional wird hier nicht verstanden

als Aufgabe oder Zweck, den ein Zustand erfullt, sondern eher im mathematischem Sinne

als Abbildungsvorschrift. Durch den Input n befindet sich der Automat in Zustand f (n),

dem Output. Input wird hier durch die kausale Rolle von n und f(n) charakterisiert.

Wenn ich mich also im Zustand des Warten W befinde, kann sich etwas andern, das eine

kausale Rolle zu W hat und dann in den Zustand W’ ubergeht. Allerdings ist diese Rea-

lisierung alles andere als eindeutig. Dieselben mentalen Zustande konnen durch unter-

schiedliche physikalische Zustande hervorgerufen werden, sowohl bei anderen Person als

bei der selben. Der Zustand W kann morgen bei mir durch einen anderen physikalischen

Zustand realisiert werden. Das System ist somit multirealisierbar. Die Beschreibung der

mentalen Zustande als funktionale Zustande fuhrt dazu, dass man sich den Geist wie ein

Computerprogramm vorstellen konnte. Hieraus entstand die These, dass das Verhalt-

nis des Geist zum Korper sich mit dem der Software zur Hardware vergleichen lasse.

Starke Vertreter dieser These sind Anhanger des Funktionalismus3, genauer des Com-

puterfunktionalismus. Dieser besagt, dass sich in der Struktur des Geistes, die mentalen

Zustande durch funktionale Zustande erklaren lassen. Prinzipiell ist die Vorstellung, dass

diese Zustande funktional sind, ontologisch erstmal neutral. Dass funktionale Zustande

existieren sagt noch nicht daruber aus, wie diese realisiert werden. Erst die These, dass

sie durch physikalische Zustande realisiert werden, macht den Funktionalismus zu einer

materialistischen Richtung bzgl. des Korper-Geist-Problems der Philosophie des Geistes.

Der Funktionalismus versucht namlich mit seinen Thesen eine Antwort auf die Frage zu

finden, wie der Korper und der Geist zusammenhangen, welche Beziehung es zwischen

ihnen gibt. Wie steht das Mentale, die geistigen Eigenschaften oder sogar geistigen Din-

ge, zu den Physikalischen? Gibt es eine Beziehung zueinander, wie hangen sie zusammen,

ist das eine auf das andere zuruckzufuhren bzw. reduzierbar?

3Als Vertretet dieser These sind Hilary Putnam oder Jerry Fodor zu nennen.

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3.1 Korper-Geist-Problem

Eine Untersuchung des Korper-Geist-Problems spaltet die Philosophen grob in zwei Rich-

tungen, die Dualisten und die Materialisten. Die Anhanger des Dualismus behaupten,

dass es sowohl materielle als auch immaterielle Entitaten oder Substanzen gebe. Hierbei

gibt es unterschiedliche Stromungen; die zeitlich erste wichtige war im 17. Jahrhundert

der Substanzdualismus, der auf Rene Descartes (1596-1650) zuruckzufuhren ist. Dieser

unterscheidet zwischen einer res cogitans und einer res extensa, die geistigen und die

nicht-geistigen Substanzen. Substanzen sind Trager von Eigenschaften, die selbst keine

Eigenschaft sind. Die Substanzdualisten glauben daran, dass der Mensch eine unsterb-

liche, immaterielle Seele hat, die unabhangig von seinem Korper ist. Dies entspricht der

damaligen religiosen Ansicht einer unsterblichen Seele. Andere, wie die Eigenschafts-

dualisten gehen nicht mehr von zwei verschiedenen Substanzen aus, sondern nur noch

von mentalen und physischen Eigenschaften. Der Korper hat physische Eigenschaften,

wie Masse und Ladung, aber auch mentale Eigenschaften, wie Vorstellungen, Denken

usw. Ein zeitgenossischer Vertreter des Eigenschaftsdualismus ist David Chalmers, der

behauptet, dass mentale Eigenschaften sich nicht reduktiv durch den Materialismus er-

klaren lassen, also nicht auf physikalische Eigenschaften reduzierbar sind.

Gegner des Dualismus bestreiten eine Aufteilung in zwei Arten von Eigenschaften oder

Substanzen. Sie behaupten, dass mentale Zustande irgendwie auf physische Zustande

reduzierbar seien und es nur eine materielle Welt gibt. Solch eine Vorstellung wird auch

als Materialismus oder auch Physikalismus bezeichnet. Es handelt sich hierbei um einen

materialistischen Monismus, der vom mentalen Monismus zu unterscheiden ist. Zweiteres

bezeichnet einen Idealismus, der nur von einer geistigen Welt ausgeht. Dem Materialis-

mus kann man verschiedene Gebiete zuordnen, die unterschiedliche Losungsansatze fur

das Korper-Geist-Problem haben, aber immer von einer Welt ausgehen, die sich mit

naturwissenschaftlichen Methoden erklaren lasst und letztendlich auf physikalische En-

titaten zuruckzufuhren ist. Hierzu zahlt auch der Funktionalismus und Behaviourismus.

”In gewissen Sinne ist der Materialismus die Religion unserer Zeit, zumindest unter

den meisten Experten auf den Gebieten der Philosophie, Psychologie, Kognitionswissen-

schaften und anderen Disziplinen, die sich mit dem Geist beschaftigen.“(Sea06, S.56),

so Searle. Der Materialismus ist unserem heutigen Weltbild viel naher als es zu Descar-

tes’ Zeit war, denn dort war der Einfluss der Religionen starker, mit einem etablierten

Glauben an ein Leben nach dem Tod, bei dem die Seele in den Himmel fahrt und der

Korper zuruck auf der Erde bleibt. Heute wird versucht fur alles handfeste und begreif-

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bare Erklarungen zu finden. Mystische Dinge, wie Geister oder wandelnde Seelen, sind

mittlerweile sehr unplausibel geworden.

Der Funktionalismus wird also erst mit der Annahme, dass die funktionalen Zustande

durch physikalische Zustande realisiert werden, zu einem Materialismus. Ansonsten konn-

ten die Zustande auch durch mentale oder immaterielle Zustande realisiert werden, das

ist fur die kausale Rolle durch die sie charakterisiert sind, formal irrelevant.”Uber die

Art des Zustands ist damit nichts gesagt. Es kann sich um einen Gehirnzustand han-

deln, aber genauso gut auch um einen nicht-physischen Zustand dieser Person oder

vielleicht sogar um einen Zustande einer immaterielle Seele.“(Bec08, S.155) Der Funktio-

nalismus und seine Unterarten sind anschaulich durch die Arbeitsweise von Automaten

und Computern darstellbar, er beschrankt sich prinzipiell aber nicht auf diese und will

auch keineswegs aussagen, dass die Zustande mit denen eines Computers ubereinstim-

men. Eine Position, die hierauf starker zielt, ist der Computerfunktionalismus. Aus ihm

stammt auch die schon angedeutete These des Vergleiches Geist-Gehirn zu Software-

Hardware. Searle bezeichnet die Theorie eines Computermodell des Geistes auch als

”starke kunstliche Intelligenz“(Sea06, S.75). Das Computermodell des Geistes besagt,

dass das Gehirn wie ein digitaler Computer funktioniert oder sogar einer ist, also ei-

ne Turingmaschine, das Programme mit Algorithmen und Operationen ausfuhrt und

sich in funktionale Zustande einteilen lasst. Aus dieser These ergeben sich nun mehrere

Moglichkeiten mit unterschiedlichen Konsequenzen, sowohl fur die Philosophie als auch

fur die KI-Forschung:

• Wenn das Gehirn, wie ein digitaler Computer funktioniert, konnen wir daraus

folgern, dass ein Computer mit ausreichenden Funktionen programmiert werden

kann, der dann auch einen Geist zu besitzen. Das heißt, es ist vorstellbar, dass wir

Computer irgendwann soweit entwickeln, dass sie so menschenahnlich sind, dass

wir ihnen Bewusstsein und Geist zuschreiben konnen.

• Da das Gehirn mit Strukturen wie ein digitaler Computer ausgestattet ist, konnen

wir versuchen, mit Hilfe des Computers Erklarungen fur kognitive Eigenschaften

zu finden. Wenn wir also ein Programm entwickeln, dass Schuhe bindet, dann wird

im Gehirn der gleiche oder ein ahnlicher Ablauf passieren, wenn sich ein Mensch

die Schuhe bindet.

Diese beiden Punkte sind naturlich sehr stark formuliert und werden in dieser Form sel-

ten postuliert, aber letztendlich stellt sich die Frage: Wo sind die Grenzen der kunstliche

Intelligenz?

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Christine Plicht

Weiter ist es auch schwierig abzugrenzen, wo Geist anfangt. Wann und vor allem wie

konnen wir einem System ein erschaffenes Bewusstsein oder sogar Geist zusprechen? Um

diesen Fragen nachzugehen muss vorher erst einmal geklart werden, ob es moglich ist

eine Definition fur Geist zu finden. Geist ist ein Begriff, den wir alltaglich benutzen und

grob haben wir eine Vorstellung daruber, was wir darunter verstehen. Geist sehe ich um-

gangssprachlich als Oberbegriff fur die Dinge, die wir physikalisch nicht erfassen konnen

und Teil des Menschen sind. Sozusagen als Sammlung der immateriellen Seite mit sei-

nen Fahigkeiten dazu. All das, was die Philosophie des Geistes betrifft, basiert darauf,

dass wir intuitiv annehmen, dass wir einen Geist haben. Es ist schwierig, eine allgemeine

Definition in diesem Bereich zu finden, deswegen mochte ich mich nicht genauer festle-

gen, was ich unter Geist verstehe, sondern finde es vorerst als Oberbegriff offen genug,

um hier gegebenenfalls weitere Ansichten und Definitionen zu erganzen. Genauso ergeht

es mir mit dem Begriff Bewusstsein. Nach grundlicher Studie verschiedener Literatur,

sowohl spezieller, als auch allgemeiner, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass es

mir nicht moglich ist, und auch nicht mein Ziel, hier eine Definition von Bewusstsein

zu geben, die entweder allen bzw. moglichst vielen Philosophen gerecht wird oder genau

eine Ansicht eines bestimmten Denkers widerspiegelt. Es ist mir nur moglich, eine Defi-

nition von Bewusstsein zu geben, die meiner Vorstellung davon entspricht. Diese kommt

dadurch zustande, dass ich mich damit beschaftigt habe, was andere unter Bewusstsein

verstehen. So, wie diese Arbeit nach meinem Ermessen entstanden ist, so ist darin auch

mein subjektives Verstandnis von Bewusstsein enthalten, dass hoffentlich verschiedene

Nenner mit anderen Bewusstseinsvorstellungen hat. Eine allgemeine Vorstellung oder

sogar Definition kann ich allerdings nicht geben, da es diese, meiner Meinung nach, nicht

gibt.

Bewusstsein ist ein Teil der mentalen Seite des menschlichen Korpers und beinhaltet be-

wusste Zustande - demnach kann man Bewusstsein als Klasse der bewussten Zustande

oder auch mentaler Eigenschaften zusammenfassen. Prinzipiell kann ich die bewussten

Zustande wieder in zwei Klassen einteilen, solche mit phanomenalem Charakter und an-

dere mit intentionalem Charakter. Phanomenale Zustande sind vor allem Empfindungen

oder Wahrnehmungen. Es ist das, was man fuhlt oder erlebt. Ich sehe eine rote Rose

und habe dabei eine Empfindung, eben die, eine rote Rose zu sehen. Man kann hierfur

keine genaue Definition geben, sondern phanomenales Bewusstsein nur mit Beispielen

und Umschreibungen erklaren. Es gibt einen passenden Ausdruck, der von Brian Far-

rell (1950) und spater durch Thomas Nagel (1976) weiter thematisiert wurde:”What

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it’s like to“4.”What it’s like to see a red rose“, wie fuhlt es sich an, wie ist es, eine

rote Rose zu sehen? Das ist ein Zustand, der nur individuell zuganglich ist. Ich emp-

finde dabei etwas anderes, als ein Blumenverkaufer oder auch nur eine andere Person.

Zu diesen phanomenalen Zustanden konnen aber auch solche hinzukommen, die eher

von kognitiver Art sind. Sich eine Meinung uber etwas bilden, etwas bewerten oder sich

wundern, kann sich auch auf eine bestimmte Art anfuhlen, sodass es einen subjektiven

Erlebnisgehalt hat. Allerdings ist es umstritten, ob solche Zustande auch zum phano-

menalen Bewusstsein gehoren. Liberale Phanomenaliberalisten zahlen sie dazu. Neben

dem phanomenalen Gehalt des Bewusstsein gibt es auch solche Zustande, die als in-

tentional beschrieben werden. Hierbei bezeichnet Intentionalitat nicht wie im deutschen

Sprachgebrauch ublich, dass eine Absicht dahinter steht, sondern in diesem Kontext ist

damit gemeint, dass das Bewusstsein auf etwas gerichtet ist. Intentionale Zustande sind

Wunsche, Angste, Erinnerungen, etc, all jene Zustande, die kognitiv funktionalen Cha-

rakter haben. Diese Zustande sind klar mit einem konkreten Inhalt gefullt. Wohingegen

bei den phanomenalen Zustand nicht die Rose im Zentrum steht, sondern der Zustand,

wie es sich anfuhlt, die Rose zu betrachten. Es ist ein Erlebnis und kein Zustand, in dem

man sich etwas wunscht, etwas glaubt, befurchtet etc. Es geht nicht darum, wie es sich

anfuhlt, eine Rose zu sehen oder riechen, sondern, wenn ich mir eine Rose wunsche oder

an sie denke. Nicht das Wie, sondern eher die Rose als Ziel meiner Gedanken ist hier der

Punkt. Im Englischen werden die Begriffe Access Consciousness (A-Consciousness) und

Phenomenal Consciousness (P-Consciousness) verwendet(McL09).

Ein essentieller Teil des Geistes sind naturlich allgemein unsere kognitiven Fahigkeiten,

unabhangig davon, ob sie zu den bewussten oder unbewussten Zustanden gehoren. Hier-

zu zahlen Eigenschaften wie Kreativitat, Aufmerksamkeit, Erinnerung, Wille oder auch

Glauben. Sie unterscheiden sich von physischen Fahigkeiten, wie die Funktionsweisen des

Korpers, der atmet, verdaut usw. Diese Eigenschaften sind notwendig zum Leben. Aber

genauso konnen wir den Menschen nicht von seiner mentalen Seite trennen. Ein Mensch

ohne kognitive Fahigkeiten, der nichts wahrnimmt, nichts denkt und kein Bewusstsein

hat, ist nicht eigenstandig uberlebensfahig. Bei den mentalen Eigenschaften stellt sich

die Frage, ob sie auf physische Eigenschaften reduzierbar sind, also auf diese zuruck-

zufuhren sind oder Trager von ihnen. Das ist ein Aspekt des Korper-Geist-Problems.

Wie unterscheiden sich physische von mentalen Eigenschaften? Zum durch ihre Privat-

heit. Ich sehe zwar auch nicht, wie der Korper meines Nachbarn atmet, aber hier wird

4Farrell benutzt in seinem Paper”Experience“ von 1950 und Nagel in dem bekannten Aufsatz

”What

it’s like to be a bat“(1976).

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Privatheit eher als individueller Aspekt gesehen. Mentale Eigenschaften, die ich habe,

treffen nur auf mich zu und ich habe einen besonderen Zugang zu ihnen. (Bec08, vgl.

S.11)

Ein weiterer Punkt, der zum Geist gehort ist die Fahigkeit der Sprache; hierzu zahle ich

das Denken und auch Verstehen. Gerade das Problem des Sprachverstehens ist zentraler

Teil der philosophischen KI-Debatte. Zur Sprache gehort fur den Mensch unbedingt das

Denken und naturlich auch ein Verstandnis von dem, was er sagt und die außersprachli-

che Wirklichkeit. Satze bestehen nicht nur aus einem reinen Inhalt, der wahr oder falsch

sein soll, vielmehr ist Sprache ein Konstrukt aus Syntax und Semantik. Diese sind in

einem Kontext zu betrachten, der Pragmatik (die Lehre von der Zeichenverwendung).

Die Syntax sind formale Regeln, wie Worter gebildet sind, um einen Satz zu formen.

Sie bilden die Ordnung des Satzbaus. Das sollte fur eine KI kein Problem darstellen,

die Semantik hingegen kann nicht nach einem einfachen Schema uberpruft werden. In

der Semantik ist vielmehr die Bedeutung der Zeichen und der Worter ausschlaggebend.

So ist der Satz”Caesar ist eine Primzahl “ syntaktisch korrekt, aber semantisch ergibt

er keinen Sinn. Der Sprachphilosoph Rudolf Carnap(1891-1970) bezeichnet solche Satze

auch als sinnlos. (Car32). Allerdings, um diese Fehler zu erkennen, muss auf die Bezie-

hung der Worter geachtet werden, ob sie zur gleichen Kategorie gehoren. Die wortliche

Bedeutung ist hier relevant, so wie sie in dem sprachlichen Konvention gebraucht wer-

den. Bei der Semantik ist eine versteckte, hintergrundige Bedeutung erstmal unbeachtet.

Ich habe einem einfachen Chatbot5 im Internet die Frage gestellt”Ist Caesar eine Prim-

zahl“, als Antwort erhielt ich:”Ein romischer Feldherr“. Das zeigt, dass die Verknupfung

zwischen Primzahl und Caesar bei ihm nicht korrekt gegeben ist und er die Frage somit

nicht beantworten kann. Allerdings kann er die Frage, ob Barack Obama ein Einzelkind

ist, auch nicht sinngemaß beantworten6

. Neben der Syntax und der Semantik gibt es, nach Charles W. Morris, noch eine dritte

Lehre, die zur Sprache oder vielmehr einer Zeichentheorie gehort: die Pragmatik, die Leh-

re der Zeichenverwendung. Sprache steht immer in einem sprachlichen Zusammenhang

in dem sich der Sprecher und der Empfanger befinden und hat demnach unterschiedli-

che Verwendungen. In der Pragmatik geht es um die Verwendung sinnvoller Satze im

kommunikativen Kontext. So hat ein Wort im Allgemeinen die gleiche Bedeutung, aber

5Dieser ist unter http://thebot.de/ zu finden, dort kann man mit ihm sprechen. [Abgerufen im August2011]

6Der Gesprachsauszug hierzu:User : Ist Obama Einzelkind?Brain: Barack Obama ist der prasident der vereinigen staaten vom Amerika.User : Hat er Geschwister?Brain: Nein, ich bin Einzelkind

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durch den Sprecher kann das in einem anderen Kontext stehen und wird dann anders

aufgefasst. So kann ein Pfarrer und ein Politiker dieselben Satze sagen, aber ihre Bedeu-

tung andert sich durch den unterschiedlichen Kontext.

Prinzipiell gibt es zwei verschiedene Ansatze der KI-Forschung, wie an solche Proble-

me herangegangen wird. Searle nennt sie”starke“ und

”schwache“ KI. Die schwache

KI-Forschung wird dazu benutzt, Instrumente zu finden, um konkrete Anwendungspro-

bleme zu losen oder Hypothesen zu uberprufen. Meist geschieht das durch Simulation

von intelligentem Verhalten und fuhrt durch korrekte Anwendung zu der gewunschten

Losung. Es erleichtert den Alltag und ubernimmt Aufgaben, die der Mensch sonst durch

seine Fahigkeiten meistern konnte. Hierzu zahlen Probleme der Schrifterkennung, auto-

matische Ubersetzungen oder auch Navigationsprogramme.

Im Gegensatz dazu steht die starke KI, die nicht nur von einer Simulation kognitiven

Eigenschaften ausgeht, sondern dem System, wenn es diese Fahigkeiten besitzt auch

Geist zuschreibt, der vergleichbar ist mit dem eines Menschen. Ebenso geht sie davon

aus, dass wir mit Hilfe der Fortschritte und Ergebnisse aus der KI-Forschung Schlusse

auf den Menschen ziehen konnen, um somit den Geist zu erklaren. Hier werden die

Visionen deutlich, die zu Beginn der KI in den meisten Kopfen schwebten und dem

entsprechen, was uns die Science-Fiction Literatur vorspielt. Neben der Forschung gab

es zu der Zeit auch viele Schriftsteller, die sich mit Robotik und kunstlicher Intelligenz

befassten und außergewohnliche Geschichten dazu verfassten. Einer davon ist Isaac Asi-

mov (1920-1992), der Robotik literarisch verarbeitete. In seinen Geschichten hat er die

Asimovschen Gesetze, drei Robotergesetze eingefuhrt, die ein friedliches Zusammenleben

von Menschen und Robotern garantieren sollen. Asimov erschafft in seinen Geschichten

immer wieder Roboter, die menschenahnlich sind, dadurch dass sie nicht nur kogniti-

ve sondern auch emotionale Eigenschaften eines Menschen besitzen7. Der Roboter ist

hier eine Person, die mit den Menschen auf eine bestimmte Art zusammenlebt. Viele

Science-Ficton-Romane erzeugen den Eindruck, es sei moglich ist, dass Roboter in naher

Zukunft immer menschenahnlicher werden und durch ihre Fahigkeiten auch so etwas

wie ein Bewusstsein besitzen. In den Geschichten existieren immer wieder Roboter, die

Beziehungen zu Menschen haben und nicht nur zu Arbeitszwecken gebraucht werden.

Roboter konnen sich unterhalten und zeigen Gefuhle und sogar Kreativitat. Es ist also

zumindest vorstellbar, dass kunstliche Intelligenz entstehen konnte. Die Science-Fiction-

Vorstellung und die der starken KI liegen insofern nahe beieinander, dass sie Visionen

7

”Robbi“, Asimovs erste Robotergeschichte, handelt von einem Spielgefahrten eines kleinen Madchenund

”Der Zweihundertjahrige“ behandelt die Thematik, dass ein Roboter sich danach sehnt ein

Mensch zu sein.

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Christine Plicht

haben, die Computern existenzielle Eigenschaften des Menschen zuschreiben.

Im Kontext der kunstliche Intelligenz mochte ich noch auf den Begriff der Person ein-

gehen und darstellen, um ihn spater mit den Vorstellungen der kunstlichen Intelligenz

zu vergleichen. Der Begriff Person kommt aus dem lateinischen Wort Persona, das so-

viel bedeutet wie Maske, Rolle oder Charakter. In der Antike wurde damit die Rolle des

Schauspielers oder Rolle eines Individuums in der Gesellschaft bezeichnet. Eine klassisch

Definition stammt von dem antiken Philosophen Boethius:”Persona est naturae ratio-

nabilis individua substantia“, eine Person ist die individuelle Substanz einer rationalen

Natur (Pre99, S.432). John Locke (1632-1704) außert sich dazu:”Person ist ein denken-

des intelligentes Wesen, das Vernunft und Reflexionen besitzt und sich als Selbst denken

kann, als dasselbe denkende Etwas in verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten.“

(Bie81, S.281) Wichtig ist, dass das Wesen Reflexionen haben muss, ein Selbstbewusst-

sein. Zudem muss es sich selbst als das gleiche Wesen in in verschiedenen Zeiten und

Orten denken. Das bedeutet, dass trotz Anderungen des Auftretens, wie eine andere

Haarfarbe oder ein Umzug und dadurch ein anderes soziales Umfeld, das Wesen bleibt

erhalten. Eine Person kann sich demnach durch außere Umstande nie so verandern, dass

sie eine andere Identitat hat.

P. F. Strawson schließt in den Personenbegriff alle Entitaten ein, denen Pradikate mit

Bewusstseinszustanden, also mentale Eigenschaften und auch korperliche Eigenschaften

zugeschrieben werden. Also muss eine Person sowohl kognitive Eigenschaften, wie logi-

sches Denken oder Wahrnehmungen haben, aber genauso muss man uber ihre korperliche

Substanz, Gewicht, Farbe etc. Aussagen treffen konnen. Dennett stellt in seinem Aufsatz

”Bedingungen der Personalitat“ sechs Eigenschaften vor, die er notwendig, aber nicht

hinreichend fur die Charakteristik einer Person sieht. Einige dieser Bedingungen sind

eng mit seinem Verstandnis von intentionalen Systemen verknupft, das ich in Kapitel 4

erlautere. Zu den Bedingungen zahlen fur Dennett folgende:

1. Vernunft

2. Bewusstseinszustande oder intentionale Pradikate

3. Haltung

4. Haltung erwidern

5. verbale Kommunikation

6. Selbstbewusstsein

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Es zeigt sich, dass es verschiedene, jedoch keine einheitlichen Kriterien fur den Begriff der

Person gibt und diese nicht hinreichend sind um eine Person zu klassifizieren. Dennett

spricht sich auch explizit gegen hinreichende Kriterien aus, da diese normativ sind. Es ist

eher das Gesamtbild zu betrachten und daran zu entscheiden, statt einzelne Kriterien

abzuhaken. Ahnlich also wie bei der kunstlichen Intelligenz ist es schwierig Kriterien

zu finden; versuchte Definitionen sind nur bedingt praktisch anwendbar und vor allem

nicht vollstandig. Wie der Begriff der Person mit dem Begriff der kunstlichen Intelli-

genz zusammenhangt, werde ich spater zuruck kommen. Es ist jedoch auch jetzt schon

ersichtlich, dass sie nahe beieinander liegen und einige moglichen Kriterien sich uber-

schneiden. So deutet Dennett auch an, dass sein Konzept von intentionalen Systemen

zumindest die ersten drei Punkte seiner Bedingungen der Personalitat uberdecken. Es ist

anzunehmen, dass der Begriff Personalitat weiter geht als eine starke KI. Naturlich muss

man unterscheiden, dass KI ein Konzept in der moglichen Entwicklung ist, wohingegen

wir ein Vorverstandnis des Personenbegriffs haben. Es ist allerdings auch anzunehmen,

dass wir bei der Entwicklung eines Computersystems, implementiert in eine Roboter, die

Debatte, ob oder wann dieser Roboter eine Person ist, nicht unbeachtet bleiben lassen

konnen.

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4 Drei philosophische Ansatze

Gleichzeitig zu den rasanten Entwicklungen der Informatik auf dem Gebiet der kunst-

lichen Intelligenz gab es eine Diskussion, die sich mit den im vorangegangen Kapitel

angesprochenen philosophischen Fragen verbunden mit der kunstlichen Intelligenz be-

fasste. Hierzu zahlten vor allem Wissenschaftler aus der USA, die teilweise in den selben

Forschungseinrichtungen waren wie die Entwickler und namenhafte Großen der Infor-

matik. Im folgenden Kapitel werde ich drei Philosophen und deren Theorien vorstellen

sowie die Konsequenzen fur die KI-Forschugen diskutieren.

Dazu beginne ich mit Daniel C. Dennetts pragmatischen Ansatz. Weiter werde ich John

Searles Gedankenexperiment Das Chinesische Zimmer und einige Kritiken dazu vorstel-

le. Als letzten Philosophen behandele ich Hubert Dreyfus und seine phanomenologische

Kritik.

4.1 Daniel C. Dennetts - Intentionale Systeme

Daniel C. Dennett ist Professor der Philosophie an der Tufts University in Massachusetts,

seine Forschungsgebiete liegen in der Philosophie des Geistes und der Kognitionswissen-

schaft. Er war Schuler von Gilbert Ryle an der Oxford University. Durch den Einfluss

von Ryle zeigt sich, dass Dennett ein ahnliches Verstandnis und Herangehensweise an

die Philosophie des Geistes hat wie Ryle, dies wird auch in der KI-Debatte deutlich.

Im Gegensatz zu Searle vertritt Dennett eher einen pragmatischen Ansatz. Einige seiner

wichtigsten Themengebiete sind u.a. intentionale Systeme und Bewusstsein8, außerdem

hat er Arbeiten zum freien Willen9 verfasst.

Dennett ist ein Wissenschaftler, der die Grenzen der KI nicht so weit fasst, wie zum

Beispiel Hubert L. Dreyfus, und ein Forschungsprojekt COG am Massachusetts Insti-

tute of Technology (MIT) mitbegrundet hat, das aktiv einen Roboter erschaffen wollte,

der so menschenahnlich ist, dass man ihm Bewusstsein zuschreiben konnte. In seinem

Text”COG: Schritte in Richtung Bewusstsein in Robotern“ erzahlt er von dem Vor-

haben und erortert, ob es prinzipiell moglich sei, Robotern Bewusstsein zuzusprechen.

Im Folgenden mochte ich mich genauer mit dem Begriff Intentionalitat befassen und

Dennetts Idee eines”intentionalen Systems“ vorstellen und in einem spateren Kapitel

die Ideen und Visionen des COG-Projekt erlautern. In der KI-Debatte, bedingt durch

verschiedene Richtungen der Philosophie des Geistes, stellt sich prinzipiell immer die

Frage: Wann kann ich einem Computer oder einem System Fahigkeiten zusprechen, die

8Beispielsweise in: Daniel C. Dennett, Conciouscness Explained, Boston: Little Brown and Co, 1991.9Diese sind zu finden in: Daniel C. Dennett, Brainstorms, Hassocks: Harvester Pr, 1979.

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ich sonst explizit mit einem Menschen verbinde? Speziell Eigenschaften wie Wunsche

und Vorstellungen sind dem Menschen vorbehalten - so das allgemeine Verstandnis. Die-

se Eigenschaften sind so stark mit der menschlichen Existenz verwurzelt, dass es uns sehr

schwer fallt, sie anderen Objekten zuzuschreiben. Insbesondere dadurch, dass wir keine

allgemeingultige und anerkannte Definition und Kriterien fur Geist oder Bewusstsein

haben, konnen wir auch keine allgemeine Validitat geben, wenn diese Eigenschaften nun

nicht mehr exklusiv in einem menschlichen Korper sein sollten. So hat Turing mit seinem

Test vor einigen Jahrzehnten gesagt, dass ein System intelligent ist, wenn es eine mit

dem Menschen vergleichbare Sprachkompetenz erreicht. Dann regt sich in uns aber das

Bedurfnis zu sagen:”Ja, aber, was ist mit ...“ und hier kommen immer wieder weitere

mentale oder physische Phanomene, die wir dem Menschen zuschreiben. (Ja, aber der

Computer versteht nicht, was er da sagt. Ja, aber der Computer befindet sich nicht in

dem gleichen Kontext wie der Mensch. Ja, aber ... .)

Wir konnen nicht in den Menschen hineinsehen, was veranlasst, dass er versteht und

Dinge in einem Kontext wahrnimmt. Neben diesen klaren mentalen Eigenschaften spielt

immer wieder das phanomenale Bewusstsein eine Rolle. Es ist unklar, ob der Computer

die Fahigkeiten eines Menschen nur simuliert oder ob er sie wirklich besitzt. Genau an

dieser Fragestellung setzt Dennett an. Er vertritt die Meinung, das sei irrelevant. Er

will dort Verhalten erklaren und Vorhersagen treffen, wenn man einem System Inten-

tionalitat zuschreibt. Er nimmt an, dass es so etwas hat, um weitere Aussagen treffen

zu konnen und so den philosophischen Problemen naher zu kommen. Dennett versucht

die Eigenschaften vom Menschen zu losen und allgemein ein System zu beschreiben, das

sich intentional verhalt. Bestandteil dieses Systems sind drei Einstellungen: die funk-

tionale, die physische und die intentionale Einstellung10. Wenn ich das Verhalten eines

Gegenubers voraussagen will und kann, dann kann der Gegenuber ein intentionales Sys-

tem sein, unabhangig ob Mensch oder Objekt. Es steht in einer Beziehung zu mir und

ich nehme eine Beobachterperspektive ein oder betrachte es aus der dritten Person. Teil

dieses beobachtende Systems ist die funktionale Einstellung. Die funktionale Einstel-

lung eines Computers ist abhangig vom Programm, das ausgefuhrt wird. Hier stellt sich

die Frage, was soll er tun, wenn Ereignis X1 eintritt. Im Falle des Getrankeautomats ist

das ablesbar im Verlaufsdiagramm. Die Programmstruktur hinter einem digitalem Com-

puter ist in den meisten Fallen jedoch viel komplexer, vergleiche einen Schachcomputer.

Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle und der Schaltplan besteht aus vielen klei-

10Im Orginal verwendet Dennett den Begriff”stance“, er wird in der Literatur unterschiedlich ubersetzt,

sowohl mit”Haltung“ als auch mit

”Einstellung“.

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nen funktionalen Elementen, die beispielsweise weitere Faktoren messen oder berechnen,

bevor der Output bestimmt werden kann. Aufgrund der funktionalen Einstellung kann

ich also Voraussagen treffen, was ein Computer tun konnte. Bei einem Schachcomputer

sind die Zuge jedoch zu kompliziert, um sie vorauszusagen, dennoch kann man wissen,

was prinzipiell in dem Programm steckt. Ahnlich wie ein Schachcomputer und auch fur

den Laien verstandlich und nachvollziehbar ist ein Programm, das Tic Tac Toe spielt.

Hier sind die Zuge auch fur den Menschen leicht uberschaubar und das Spiel ist an sich

losbar, also auch berechenbar11 und somit vorauszusehen, was passiert. Die funktiona-

le Einstellung ist dann vorhersehbar, wenn das System storungsfrei arbeitet, also ohne

Probleme, die durch andere Komponenten verursacht werden. Eine dieser Komponente

ist die physikalische Voraussetzung.

Daraus ergibt sich, dass es neben der funktionalen auch eine physikalische Einstellung

gibt. Diese bezieht sich auf den tatsachlichen physikalischen Zustand. Hat ein Programm

Storungen, die nicht auf Fehler der Software zuruckzufuhren sind, liegt es an der Hardwa-

re. Genauso kann ich Voraussagen uber Gegebenheiten in der Natur treffen, die aufgrund

von physikalischen Zustanden eintreffen. Der Kanal wird uberlaufen, wenn es weiter so

regnet oder die Bremse des Fahrrads wird versagen, wenn die Bremsbelage abgefahren

sind. Hierbei ist es also moglich, Funktionsstorungen vorauszusagen und die daraus re-

sultierenden Folgen zu erwarten. Je nach Komplexitat des Systems wird es aber schnell

nicht mehr moglich, die funktionale Einstellung oder auch die physikalische zu uberbli-

cken und an diesen die Folgen zu erklaren. Das System ist ab einem gewissen Punkt

nicht mehr ohne Schwierigkeiten zu durchschauen. Aussagen uber Funktionstorungen

der physikalischen Gegebenheiten zu treffen wird unmoglich, da das System aus so vie-

len Einzelteilen besteht, deren mogliche Storungen nicht mehr zu uberblicken sind. Bei

der funktionalen Einstellung fließen so viel Komponenten des Jetzt-Zustandes ein, dass

es nicht mehr moglich ist zu bestimmen, welche Voraussetzungen hineinfließen um den

nachsten Zustand zu bestimmen.

An dieser Stelle fuhrt Dennett die intentionale Einstellung ein. Mit dieser dritten Ein-

stellung ist das Ganze ein intentionales System, d.h. wir schreiben ihm Ziele und Wunsche

zu, die verfolgt werden und dazu besitzt es Informationen. Hierbei nimmt Dennett ein

weitgehend rationales Verhalten an, um diese Ziele zu verfolgen. Um also Voraussagen

uber das Verhalten zu treffen, gehen wir davon aus, dass ein Schachcomputer ein Spiel

gewinnen will. Wir uberlegen uns nicht, welchen Vorgang oder Berechnungen der Pro-

11Im Idealfall geht das Spiel immer unentschieden aus. Wenn der erste Zug gemacht ist, ist das Spielquasi schon entschieden.

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grammierer fur den Zustand Xn vorgesehen hat, um dann Zustand Xn+1 zu berechnen,

denn diese konnen wir nicht mehr uberblicken. Wir fragen uns, was ware rational sinnvoll

und angemessen in diesem Zustand zu tun, um das Ziel zu verfolgen. Wir nehmen also an,

dass der Computer selbst eine Meinung hat.”Verbleibende Zweifel, ob der Schachcom-

puter wirklich Meinungen und Wunsche hat, sind unangebracht.“(Den81, S.166) Genau

hier zeigt sich die pragmatische Herangehensweise Dennetts. Es interessiert nicht, ob

das System wirklich intentionale Zustande hat oder haben konnte, sondern Ziel ist es,

Aussagen uber das Verhalten zu treffen. Wenn wir dieses Verhalten mit Hilfe der inten-

tionalen Einstellung erklaren konnen, so ist das der praktikabelste Weg, unabhangig von

den Problemen, die dahinter stecken konnten.

Dennetts Herangehensweise gleicht der des Behaviorismus. Er betrachtet das Verhalten

und versucht aufgrund des Verhaltens weitere Aussagen uber dieses treffen zu konnen.

Die genauen physikalischen oder funktionalen Einstellungen lasst er hierbei erst einmal

weitgehend unbeachtet, da sie nicht mehr uberschaut werden konnen, sondern schreibt

dem System Intentionalitat zu. Dennett versucht hiermit das Reiz-Reaktions-Modell von

Skinner zu verbessern, indem er nicht die Reize betrachtet, sondern die Intentionalitat.

Er geht davon aus, dass das System gewissen Regeln folgt, aber nicht rein konditioniert

ist. Skinner macht keine Aussagen uber Intentionalitat, jedoch sind in seinem Reiz-

Reaktions-Modell auch Wunsche und Ziele der Objekte vorhanden. Die Maus, die so auf

einen Reiz reagiert, weil sie das Futter bekommen mochte, hat eben auch ein Ziel, also

ist es eine intentionale Handlung.

Mit der Annahme einer intentionalen Einstellung ist es nun moglich, das Verhalten wie-

der zu erklaren, wenn die physikalischen oder funktionalen Einstellungen nicht mehr mit

einfachen Methoden zu uberblicken sind.

Dennetts Konstrukt des intentionalen Systems ist deswegen sowohl fur die Philosophie

des Geistes als auch bei Fragestellungen der KI interessant, weil Unklarheiten, die mit

einem intentionalen Bewusstsein des Menschen entstehen, pragmatisch gehandhabt wer-

den. Seine Herangehensweise bezieht sich nicht direkt auf den Menschen, sondern er er-

setzt ihn mit einem allgemeineren Begriff, dem intentionalen System. Somit abstrahiert

er vom Menschen das, was fur ihn Bestandteil des Verhaltens bezogen auf Intentionalitat

ist und gibt ihm das Label intentionale Systeme. Wichtig ist jetzt nur noch, wie das Sys-

tem sich verhalt und nicht, was sonst noch dazu gehoren konnte. So umgeht er Feinheiten

und Probleme, die den phanomenalen Teil des Bewusstsein betreffen. Fur das System ist

es irrelevant, ob es wirklich Meinungen hat oder ob dazu noch weitere kognitive Eigen-

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schaften gehoren mussten. Dennett versucht, Kriterien zu finden, die auf andere, nicht

organische Systeme anwendbar sind und will Intentionalitat uber das Verhalten erklaren.

Bei der Abstraktion werden metaphysische Probleme, die darum kreisen, uninteressant.

”So ist es beispielsweise viel leichter zu entschieden, ob eine Maschine ein intentionales

System sein kann, als zu entscheiden ist, ob eine Maschine wirklich denken, Bewusstsein

haben oder moralisch verantwortlich sein kann.“(Den81, S.175).

Dennetts Herangehensweise und Vorstellung der Begriffe, ahnelt der Gilbert Ryles. In

seinem Buch”Der Begriff des Geistes“(Ryl87) versucht Ryle die klassische Vorstellung

des Geistes der Philosophie seit Descartes zu uberwinden. Die Frage, ob und wie der

Geist mit den physikalischen Eigenschaften des Menschen zusammenhangt, ob nun mit

einer dualistischen oder materialistischen Position, sei falsch gestellt, weil hier ein Kate-

gorienfehler vorliegt. Ryle vertritt stark einen philosophischen Behaviorismus und macht

deutlich, dass sich der Geist im Verhalten zeigt. Somit ist die Fragestellung, ob und wie

der Geist auf den Korper zuruckzufuhren sei, irrelevant oder sogar unsinnig. Der Geist

und somit auch Intentionalitat, Bewusstsein und was alles darunter zu verstehen ist,

zeigt sich im bewussten oder auch intentionalen Verhalten. Alle weiteren Fragen, die

damit zusammenhangen, basieren auf falschen Annahmen, die Teil des Kategorienfehler

sind. Um die Verknupfung zu Dennett deutlich zu machen, ist leicht einsehbar, dass die-

ser auch das Verhalten des Systems betrachtet und alle weiteren Fragen unbeachtet lasst

(Kann die Maschine nun wirklich denken? Braucht sie zum wirklichen Denken Bewusst-

sein?) Dennett ist vorsichtiger als Ryle. Er stellt die Argumente, die Kritiker bezuglich

des Verstandnis von Geist vorbringen, nicht als obsolet dar, sondern sie sind fur ihn ein-

fach nicht weiter von Bedeutung, da seine Konzentration auf dem Output liegt. Er sagt

nicht, weil Geist herauskommt, muss auch Geist in der Maschine sein. Nach Ryle wurde

er somit auch wieder einen Kategorienfehler begehen. Er trifft keine Aussage daruber,

ob nun das System nach seinen Kriterien Bewusstsein hat oder nicht, er bezeichnet es

lediglich als intentionales System, wenn es sich danach verhalt. Ahnlich waren vermutlich

die ursprunglichen Absichten von Alan Turing bezuglich des Turing-Tests. Seine Frage

war nicht danach, ob Maschinen denken konnen oder ob sie eine kunstliche Intelligenz

besitzen, sondern ob sie den Turing-Test bestehen. Dennetts Frage lautet, ist ein System

intentional? Mit Ryles Annahme vom Kategorienfehler sind diese Kriterien oder auch

der Turing-Test vollkommen legitim, denn nur so kann uberpruft werden, welche Ei-

genschaften ein Objekt hat. Was dahinter steckt, steht nicht zur Debatte und mogliche

Antworten sind weder richtig noch falsch, da der Bezug ungultig ist.

Das Konstrukt, das Dennett erbaut, scheint einige Probleme zu vereinfachen, auf der an-

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Christine Plicht

deren Seite stellen sich hier nun neue Fragen. Unklar ist, wie real intentionale Zustande

sind (Bec08, vgl. S.349). Im Gegensatz zum Funktionalismus vertritt Dennett nicht die

Ansicht, dass mentale Zustande funktionalen Zustanden entsprechen, erst recht nicht

neuronalen Zustande. Sie werden also nicht physisch realisiert, wie real sind sie dann

aber? Wie oben beschrieben, vertritt Dennett einen sehr pragmatischen oder auch instru-

mentalistischen Ansatz bezuglich der intentionalen Einstellung. Sie dient also nur dazu,

erklaren zu konnen, was wir nicht mit der physikalischen und funktionalen Einstellung

erklaren konnen, aber prinzipiell liegt in diesen beiden Einstellungen eine Erklarung,

die fur uns aber nicht immer oder nicht leicht zuganglich ist. Dennetts Theorie beruht

auf einer Betrachtung einer dritten Person und versucht daraus Schlusse auf das Objekt

zu ziehen. Dadurch ist es moglich, einen pragmatischen Ansatz zu wahlen und offen zu

lassen, was das Objekt wirklich fur interne Zustande hat oder ob es wirkliche Meinun-

gen, Gefuhle, Ziele hat. Einen anderen Ansatz vertritt der Philosoph John Searle. Seine

Herangehensweise beruht darauf, zu fokussieren, was innerhalb des Objektes vorgeht. Er

sieht eine Abstraktion, wie Dennett sie mit den intentionalen Systemen vornimmt, als

falschen Ansatz.

4.2 John Searle - Das Chinesische Zimmer

Ein sehr bekanntes und oft diskutiertes Gedankenexperiment ist das Chinesische Zim-

mer von John Searle. Es erschien 1980 in dem Artikel”minds, brains, programms“ in

der Zeitschrift Behavioral and Brain Sciences. John Searle ist Professor der Philosophie

an der University of California in Berkeley mit Arbeitsgebieten in der Sprachphilosophie

und der Philosophie des Geistes. Die Kritik Searles in dem Gedankenexperiment geht

zuruck auf den Turing-Test, dessen Kriterien er versucht zu widerlegen und damit zeigen

will, dass programmierte Systeme immer nur Verhalten simulieren, nicht aber Fahigkei-

ten wie Sprachverstandnis wirklich besitzen konnen. Die Idee des Experiment ist, es zu

zeigen, dass ein Mensch, wenn er das ausfuhrt, was ein Sprachcomputerprogramm tut,

die Sprache dennoch nicht beherrscht, geschweige denn versteht.

Ausgangssituation ist eine Testperson, nennen wir sie Arthur, die alleine in einem Zim-

mer sitzt. Ziel ist es, dass Arthur mit Hilfe einer Anleitung Fragen zu einer Geschichte, die

in Chinesisch verfasst ist, auf Chinesisch beantwortet. Dazu erhalt er verschiedene Sta-

pel mit chinesischen Schriftzeichen und eine Anleitung. Diese Anleitung ist in einer ihm

verstandlichen Sprache verfasst und beinhaltet formale Operationen, die er ausfuhren

soll. Er hantiert also irgendwie mit diesen Stapeln und den Schriftzeichen, setzt sie in

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Christine Plicht

Beziehung zueinander, ohne die Bedeutung der Schriftzeichen in seiner Sprache zu wis-

sen. Ein Stapel stellt Fragen zu einer Geschichte dar, die er beantworten soll bzw. er

soll Output liefern, die Antworten der Fragen zu der Geschichte. Außerhalb des Raumes

sitzt ein Chinese, der nicht weiß, wer Arthur ist und ob er Chinesisch spricht oder nicht.

Er erhalt die Antworten, in chinesischen Schriftzeichen und hat dadurch guten Grund

anzunehmen, dass Arthur Chinesisch spricht. Searle sagt nun, dass es offensichtlich ist,

dass die Person in diesem Zimmer, kein Chinesisch versteht, sprechen oder schreiben

kann. Auch dann nicht, wenn Arthur die Anleitung auswendig lernen wurde und Fragen

zu Geschichten in kurzerer Zeit beantworten kann.

Arthur stellt einen personifizierten Computer dar. Er tut das, was ein Sprachcomputer

auch tut. Speziell bezieht sich Searle auf ein Sprachprogramm von Roger Schank an der

Yale Universitat, der Fragen zu Geschichten beantwortet, aber ahnliches gilt auch fur

Programme wie ELIZA von Weizenbaum. Searle versucht zu verdeutlichen:”Solange das

Programm sich als eine Reihen von kalkulatorischen Operationen an rein formal definier-

ten Elementen bestimmt, legt unser Beispiel den Schluss nahe, dass diese Operationen

selbst keine interesseheischende Beziehung zum Verstehen haben.“(Sea94, S.237f)

Das unterlegt er mit der Unterscheidung von Syntax und Semantik.”Die Formale Syn-

tax des Programm garantiert aus eigener Kraft nicht das Vorhandensein geistiger Inhal-

te.“(Sea93, S.221). Die formale Syntax wird durch formale Operationen durchgefuhrt.

Rein formale Operationen ermoglichen es nach Searle also nie, kognitive Eigenschaften

zu produzieren, solange der Mensch diese Operationen durchfuhren kann, ohne selbst

diese kognitive Eigenschaft, wie Verstehen der Sprache Chinesisch, dadurch zu erlangen.

Auch wenn der Computer uns glauben lasst, dass er Chinesisch versteht, dadurch, dass

er, wie Arthur, einen Output gibt, den wir auch von einer Person erwarten, die Chine-

sisch spricht, handelt es sich hier nur um Handhabung mit logischen Operationen und

formalen Symbolen. Searle erkennt somit den Turing-Test nicht an, denn ein so program-

mierter Computer konnte durchaus diesen Test bestehen. Das Kriterium ist fur Searle

unangebracht, da es sich um einen formal programmierten Computer handelt, der nur

menschliches Verhalten simuliert. Searle macht deutlich, dass das, was der Computer

tut, Hantieren mit syntaktischen Operatoren ist, aber die semantische Seite, bei der die

Bedeutung der Worter notwendig ist, nicht erreicht wird.”Die Argumentation beruht

auf der simplen logischen Wahrheit, dass Syntax weder dasselbe ist, wie Semantik noch

fur sich selbst genommen fur Semantik hinreicht.“(Sea93, S.221) Da die Syntax nach

formalen Regeln erfolgt, ist es moglich, diese einem System zu programmieren, sodass

formal die Ausgabe korrekt sein kann. Wenn wir heutige Chatbots betrachten, so sind

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Christine Plicht

die formalen Operationen, die dieses System ausfuhrt, uberwiegend mit einer Datenbank

verbunden, auf die es zugreift. Hier sind Antworten und Erkennungsmuster gespeichert,

die der Bot benutzt, um eine Antwort zu generieren. Außerdem ist es moglich, dass

Chatbots aus ihren Gesprachen lernen, um so ihre Datenbank zu erweitern und Bezuge

zu Dialogteilen herzustellen.

Es wird deutlich, dass die Herangehensweise von Searle in seinem Experiment einen

andere ist als Dennetts oder Turings. Bei letzteren ist ein behavioristischer Ansatz zu

erkennen, Searle hingegen fokussiert starker den Prozess, wie das System zu dem Output

kommt. So setzt der Turing-Test bei dem Endprodukt die Aufgabe an, die er betrach-

tet und bewertet. Das Objekt wird aus der dritten Person heraus betrachtet und ihm

werden dann Fahigkeiten zugeschrieben. Da ich nicht wissen kann, ob die Person ne-

ben mir Bewusstsein besitzt, nehme ich es an, weil sie sich dementsprechend verhalt.

Das ist dasselbe Kriterium, das Turing anwendet. Er betrachtet, wie sich das Programm

einer weiteren Person gegenuber verhalt und wie die Person darauf reagiert. Wenn sie

den Unterschied erkennt, besteht es den Test. Genauso nimmt Dennett eine intentionale

Einstellung an, die er nur anhand des Verhaltens zuschreibt. Searle allerdings fragt sich,

wodurch das System so agiert wie ein Mensch. Er analysiert die Voraussetzungen und

das Programm, das implementiert wurde. Dabei stellt er fest, dass das Verhalten zwar

ahnlich ist, aber nicht gleich. Er simuliert das Programm, indem er es aus der ersten

Person betrachtet, sich hineinversetzt und fragt, wie der Output fur einen Menschen

ware. Wenn er eben das ausfuhrt, was ein Sprachprogramm tut, dann hat er alleine

durch die formalen Schritten noch keine Sprache erlernt. Ein Programm ist immer etwas

Diskretes, Berechenbares, das fur sich alleine steht und nicht zu einem Verstandnis der

Sprache fuhrt.

Es zeigt sich also, dass unterschiedliche Kriterien angewendet wurden, um zu unter-

suchen, ob und welche kognitiven Fahigkeiten und damit verbundene Eigenschaften ein

System hat. Diese Kriterien, Searles 1. Person-Kriterium und Turings behavioristisches 3.

Person-Kriterium, sind offensichtlich nicht miteinander kompatibel und fuhren zu keiner

Losung, auf die sich die Diskussionsgemeinschaft einigen kann. Naturlich wurde Searles

Gedankenexperiment in verschiedenen Repliken kritisiert und versucht zu modifizieren,

sodass man mehr Zugestandnisse machen konnte, um das Experiment zu entwerten.

Diese Repliken versuchen alle das Experiment so zu erweitern, dass entweder das Pro-

gramm durch einem Roboter erweitert wird, um weitere menschliche Eigenschaften zu

erreichen oder aber das gesamte System betrachtet wird, in dem Arthur nur ein Teil ist.

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Christine Plicht

Die Erweiterung des Programms zu einem Roboter fuhrt soweit, dass es auch vorstellbar

ist, das Gehirn nachzubauen und mit neuronalen Netzen ausstatten, sodass es wirklich

so funktioniert wie ein Mensch. Bei diesen Repliken macht Searle deutlich, dass es ihm

bei seinem Experiment ausschließlich um digitale Rechenmaschinen geht, die eben durch

formale Regeln bestimmt werden und mit Symbolen hantieren. Seine Kritik richtet sich

an eine starke KI, mit der These, dass”geistige Prozesse am Modell des Rechners orien-

tierte Prozesse sind, die an formal definierten Elementen ablaufen“(Sea94, S.254). Das

heißt, dass ich mit Hilfe von Prozessen eines Rechners Aussagen uber geistige Prozesse

des Menschen treffen kann, ohne genaue Kenntnisse uber die Funktionsweisen des Men-

schen und seines Gehirns zu haben. Allerdings unterstutzt Searle weiter sein Argument,

dass man mit formalen Operationen, auch wenn sie sich auf nonverbale Kommunikation

beziehen, keine intentionale Handlung erwirkt. So wie Arthur im Chinesischen Zimmer

das Programm selbst ausfuhrt, konnte man sich auch vorstellen, dass er das gleiche in

einem Roboter tut, mit Wahrnehmungs- und Bewegungshandlungen. Nach Searle andert

das nichts an dem Prinzip eines Digitalcomputer, der hinter den Aktionen steht. Den-

nett zeigt daraufhin in einem Kommentar zum Artikel minds, brains and programms

konkreten Situationen, in denen ein so programmierter Roboter mit Menschen intera-

giert: Beispielsweise er reagiert bei einem Uberfall darauf, dass der Rauber sagt:”Hande

hoch“ und hebt die Hande, genauso wie er das Salz seinem Tischnachbarn reicht. Er

kritisiert, dass Searle nicht das ganze System betrachtet und zweifelt an, dass jemand,

der mit solchen Symbolen hantiert und darauf authentisch reagiert nicht irgendwann

fließend Chinesisch sprechen kann. Dennett findet es unplausibel, dass Searle weiter auf

sein Gedankenexperiment beharrt und fordert eine uberarbeitete Version.”But that is

because he is looking too deep“(Sea80, S.430) und weist auf die Systemreplik hin.

Zehn Jahre spater andert Searle auch seine Argumentation, aber nicht seine Aussage,

in der KI-Debatte und kritisiert in seinem Buch”Die Wiederentdeckung des Geistes“

diesmal Annahmen, die Kognitionswissenschaftler treffen, die seiner Ansicht nach falsch

sind. Im Kapitel 9 geht er ausfuhrlich auf der Frage ein, ob das Hirn ein digitaler Com-

puter sei12. Die Kognitionswissenschaftler nehmen das an und versuchen Programme zu

finden, die den geistigen Phanomenen entsprechen. Demnach mussen diese Programme

prinzipiell so auch in”unserer Hardware“ ablaufen. Searle betont, dass gerade bei die

Frage, ob das Hirn tatsachlich ein digitaler Computer sei, die philosophische Relevanz oft

vernachlassigt wird, auch von anderen Wissenschaftlern wie Penrose und Dreyfus(Sea93,

12Im Gegensatz zum Argument des Chinesischen Zimmer; das zielte darauf, dass der Geist kein Com-puterprogramm sein kann.

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Christine Plicht

S.225). Das Gehirn als digitaler Computer wird oft falschlicherweise als empirische Tat-

sache angenommen, ohne dabei grundlegende Probleme dieser These zu bewaltigen. Wie

auch in minds, brains and programms ist ein wichtiger Bestandteil der Argumentation

die Syntax. Fruher hat Searle dahingehend argumentiert, dass aus Syntax keine Semantik

folgen kann, nun setzt er wieder an der Syntax an und verdeutlicht, dass”die Syntax der

Physik nicht intrinsisch ist“(Sea93, S.232). Um zu verdeutlichen, was er damit meint,

muss man intrinsische und beobachter-relevante Merkmale unterscheiden. Intrinsische

Merkmale sind solche, die unabhangig von einem Subjekt existieren, wie Masse, Schwer-

kraft oder Molekule. Sie existieren auch dann, wenn sie nicht gemessen werden oder

niemand mehr existiert, der sie beobachtet. Beobachter-relevante Merkmale hingegen

werden erst durch einen Nutzer oder Beobachter, ein Subjekt, charakterisiert. So ist ein

Stuhl erst ein Stuhl, wenn ihn jemand als solchen benutzt oder bezeichnet, genauso wie

Ausdrucke”hubscher Tag fur ein Picknick“. Sie werden erst durch ihre Funktion im wei-

teren Sinne zu einem Merkmal und sind somit relativ zu dem Benutzer zugeschrieben.

Searle argumentiert nun, dass Syntax auch benutzer-relevant sei, weil”die Charakte-

risierung des Systems als ein digitaler Computer immer relativ zu einem Beobachter

ist“(Sea93, S.232). Dabei ist das Programm nur eine syntaktische Interpretation des

Systems und nicht intrinsisches Merkmal der Physik. Geistige Phanomene lassen sich

mit einem digitalem Computer simulieren, indem man sie in formale Operationen, der

Syntax, aufteilt und so ein Programm erstellt. Aber dieses Programm ist abhangig vom

Beobachter und deswegen nicht intrinsische Eigenschaft des ursprunglichen Phanomens.

Searle sieht es als moglich an, dass sich kognitive Eigenschaften auf einem Computer

oder mit einem Roboter simulieren lassen. Das zeigt sich durch viele Beispiele, wie Deep

Blue oder andere Programme, die menschliches Verhalten zumindest simulieren. For-

schung der Vertreter der schwachen KI beschaftigen sich mit diesen Programmen und

auch die meisten Gebiete der Informatik bleiben auf diesem Level und haben nicht den

Anspruch, damit mehr zu erreichen als nur Simulationen.

Stellt man allerdings die Frage, ob der Geist ein Computerprogramm (Software) oder

das Hirn ein digitaler Computer (Hardware) ist, so verneint Searle beide Fragen sehr

eindeutig. Ersteres bestritt der im Gedankenexperiment zum Chinesischen Zimmer und

zweiteres in der Auseinandersetzung mit den Kognitivismus.

In der Debatte um die Philosophie des Geistes und das damit verbundene Koper-Geist-

Problem sieht Searle die Diskussion sehr verfangen, dadurch, dass sie in”sprachlichen

Kategorien gefangen gehalten werden“(Sea93, S.47), die zu auf der Annahme eines Dua-

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Christine Plicht

lismus von Descartes zuruck zu fuhren sind. Dazu suggeriert der Kognitivismus, dass

die einzige Alternative zum Computermodell des Geistes der Dualismus sei.”Das Ab-

wegige an dieser ganzen Diskussion ist, dass der Materialismus die schlimmste Annah-

men des Dualismus ubernimmt. Wenn der Materialist die Behauptung der Dualisten

bestreitet [...], dann akzeptiert er ungewollt die Kategorien und das Vokabular des Dua-

lismus.“(Sea93, S.72), damit ist die Alternative zum Materialismus der Dualismus. Aber

bevor die Probleme des Materialismus von ihren Vertretern anerkannt werden und sie

damit zum Dualisten werden, geben sie ihren Schwierigkeiten, die durch das gleiche Vo-

kabular auftreten, neue Definitionen und bestreiten das Bewusstsein als Subjektivitat13.

Vertreter des Materialismus sind demnach in ihrer eigenen Argumentation gefangen, da

Zugestandnisse sonst zu einem Dualismus fuhren konnten, den sie verhindern wollen.

Ryle versuchte genau aus dieser Verfahrenheit zu entfliehen, indem er klar machte, dass

die ganze Diskussion durch falsche Verwendung verschiedener Kategorien sinnlos ist und

man eine Untersuchung des Geistes auf andere Weise angehen muss. Der Materialismus

verfangt sich selbst wieder in den Kategorien, so auch Dennett, indem er sich klar gegen

ein dualistisches System positioniert. In seiner pragmatischen Herangehensweise wird

zwar deutlich, dass er in einer gewissen Weise in der Tradition von Ryle steht, aber es

bleiben trotzdem die gleichen Probleme, die Searle kritisiert. Es ist schwer gegen den

Dualismus und fur die Moglichkeit einer kunstlichen Intelligenz zu argumentieren, ohne

das System des Dualismus mit seinem Vokabular und Kategorien zu verlassen. Um sich

von anderen Theorien, auch anderen materialistische, abzugrenzen und diese zu verur-

teilen, ist es naheliegend, dass die Argumente gegen diese Thesen eben aus ihnen heraus

entspringen.

4.3 Hubert Dreyfus - What Computers can’t do

Ein Philosoph, der in der KI Debatte schon relativ fruh, in den 60er Jahren des letzten

Jahrhunderts, einstieg war Hubert L. Dreyfus. Sein Buch”What Computers can’t do -

The Limits of Artificial Intelligence“ erschien 1972 und beinhaltet eine phanomenologi-

sche Kritik der Ziele und Herangehensweise der KI-Forschung. Dreyfus ist Professor an

der University of California in Berkeley und ist, neben seiner Kritik an der KI, bekannt

fur seine Heidegger-Interpretation. In seinem Buch kritisiert Dreyfus stark die Visionen

und den Optimismus der KI-Gemeinde und versucht darzulegen, warum es nicht moglich

ist, eine kunstliche Intelligenz uber Symbolverarbeitung zu kreieren. Seine Kritik beruht

starker auf Argumenten, die sich mit dem situativen Kontext beschaftigen als auf die

13Hierzu nennt Searle Armstrong und Dennett, die genau das taten.

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Funktionsweise des Geistes.

Dreyfus war, wie auch Joseph Weizenbaum, in den 60er Jahren am MIT beschaftigt, zu

der Zeit wurden viele Forschungsgelder in die KI bewilligt und einige Projekte liefen.

ELIZA entstand und verstarkte die Euphorie am MIT. Dem versuchte Dreyfus zu entgeg-

nen und verglich in”Alchemy and Artificial Intelligence“ die Suche nach der kunstlichen

Intelligenz mit der erfolglosen und besessenen Art der Alchemie.”To avoid the fate of al-

chemists, it is time we asked where we stand. Now, before we invest more time and money

in information-processing level, we should ask wheter the protocols of human subjects

suggest that computer language is appropriate for analyzing human behavior.“(Dre65,

S.84) Die aktuelle Forschung solle Abstand von ihrem Vorhaben nehmen, etwas zu ent-

wickeln, ohne vorher grundlegende Fragen zu klaren. Zuerst sollte beantwortet werden,

ob es uberhaupt moglich ist, intelligentes Verhalten mit diskreten formalen Operationen

abzubilden. Die moglichen Folgen der Arbeiten wurden nicht abgeschatzt. Die Euphorie

und die fehlgeleiteten Forschungsmethoden beruhen, nach Dreyfus, auf einer langen Tra-

dition des wissenschaftlichen Arbeitens in den Naturwissenschaften. So war die Physik

erfolgreich, das Universum mit atomaren Tatsachen zu beschreiben und durch Regeln

zu formalisieren. Die Entwicklung des Digitalcomputer hat dazu gefuhrt, diese Heran-

gehensweise auch auf das menschliche Verhalten ubertragen zu wollen. Forscher wollen

durch elementare Verhaltensregeln den Menschen als Gegenstand bestimmen, aber das

halt Dreyfus fur ein irrtumliches Erklarungsmodell. Er hingegen will einen”Alternativan-

satz darlege[n], der sich ergibt, wenn man die drei Grundannahmen der Tradition mit

einer phanomenologischen Beschreibung der Strukturen menschlichen Verhaltens ver-

gleicht“(Dre85, S.181). Die drei traditionellen Grundannahmen erlautert er im zweiten

Teil seines Buches, die biologische, die psychologische und die erkenntnistheoretische An-

nahme. Im Weiteren will ich auf seinen Alternativansatz eingehen, der das menschlichen

Verhalten aus phanomenologischer Sicht beschreibt. Diese Herangehensweise basiert auf

Ansichten von Heidegger, Wittgenstein und jungeren Denkern wie Charles Taylor oder

Samuel Todd. Diese ist zwar weniger exakt, aber dafur werden hierbei die wesentlichen

Fragen nicht vergessen, so Dreyfus(Dre85, S.181). Hierzu untersucht Dreyfus, welche

Rolle zum einen der Korper beim Verhalten spielt und zum andere den situativen Kon-

text, bezogen auf ein geregeltes Verhalten und die menschlichen Bedurfnisse.

Der menschliche Korper ist ein Wahrnehmungsapparat, der auf unterschiedliche Weisen

arbeitet und fur die KI-Forschung ist es schwierig, oder war es zumindest zu dieser Zeit,

diese Seite des Verhaltens sinnvoll nachzubilden. Auch stellt sich hier wieder die Frage,

ob der Korper oder auch nur das Gehrin ein Digitalrechner ist und konnen wir ihn si-

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mulieren? Dreyfus will zeigen, dass ein Korper notwendig ist, um nicht-formalisierbare

Formen zu verarbeiten. Dies geschieht uber strukturelles Erkennen, das mit Erwartun-

gen verknupft ist. Strukturelles Erkennen geschieht u.a. bei Mustererkennung. Zwar kann

man Mustererkennung leicht mit formalen Prozessen digital simulieren, aber Dreyfus ar-

gumentiert, dass gerade das nicht bei einem Menschen passiert. Wenn wir uns in einer

Situation befinden, in der wir etwas erkennen wollen, dann gehen wir nicht im Kopf eine

Liste durch und haken diese ab, bis das richtige Muster ubrig bleibt, sondern uberblicken

das gesamte System. Genauso nehmen wir beim Musik horen nicht einzelne Tone wahr

und verknupfen sie zu einer Melodie, sondern wir erkennen die Ganzheit, die Melodie und

konnen dadurch auf die einzelnen Tone schließen. Der Mensch erkennt somit das Ganze

und nicht Details. So ist es ihm auch moglich, vom Ganzen auf ihm bisher unbekannte

Details zu schließen, eine unbestimmte Wahrnehmung der Teile vom Ganzen. Husserl

beschreibt das durch den inneren Horizont. Es ist die Fahigkeit, einen Gegenstand in

seiner Ganzheit wahrzunehmen, wie ein Haus, ohne die Einzelteile, etwa seine Rucksei-

te, zu kennen.”Eine Maschine ohne einen entsprechenden inneren Horizont musste die

Information in umgekehrter Reihenfolge verarbeiten: Vom Detail zum Ganzen.“(Dre85,

S.189f) Das bedeutet, der Mensch kann durch seine Erwartungen Informationen zu einem

System hinzufugen, auch wenn er nicht alle Details kennt, aber eben eine Vorstellung

durch eine bewusste Wahrnehmung einzelner Teile des Ganzen hat. Diese Vorstellung des

Ganzen erlangt er durch den situativen Kontext und uber die Wahrnehmungen seines

Korpers. Dem Computer hingegen fehlt im Zweifelsfall die eigene Erwartung im Hin-

blick auf weitere Informationen. Es stellt sich also die Frage, wie er alle Details aus dem

Kontext heraus erfahren kann, ohne sie explizit als Daten aufzunehmen.

Der Mensch hat dem Computer die Flexibilitat voraus, die er durch eigene Erwartungen

erreicht. Ebenso wie das erfasste Ganze wird auch der Sinn aufgenommen. Hierzu hat

Husserl eine Theorie, die von Merleau-Pony erweitert wird.”Er behauptet, dass es der

Korper ist, der den von Husserl entdeckten Sinn verleiht.“(Dre85, S.197) Der Korper

reagiert auf das Ganze und nimmt somit auch seinen Sinn auf. So reagieren die Sin-

nesorgane auf Klange und Rhythmus und nehmen die Gestalt der Musik auf. Ebenso

ist es bei einer Fertigkeit, die wir erlernen. Zuerst besteht diese Fertigkeit aus Regeln,

die wir bewusst und langsam befolgen und irgendwann verinnerlichen. Diese Verinnerli-

chung geschieht uber den Korper, da die Bewegungen ins Unterbewusste aufgenommen

und vom Korper weiter ausgefuhrt werden. Beim Stricken mussen wir zuerst ganz genau

beobachten, was zu tun ist, wir erlernen mit Regeln, wie die Nadel und der Faden zu

bewegen sind, um eine Masche zu stricken. Nach einiger Zeit und Ubung, bei der der

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Korper aufmerksam ist, werden die Bewegungen immer gefestigter, bis sie vollkommen

routiniert sind. Dann ist es auch nicht mehr notig, alle Sinnesorgane auf das Stricken

zu konzentrieren, denn die Finger bewegen sich fast selbstandig, ohne das Strickzeug zu

betrachten.”Da dem Computer der lebendige Korper fehlt, kann er nicht als Ganzheit

reagieren, sondern muss von festgelegten Einzelheiten ausgehen und darauf sein Erken-

nen aufbauen.“(Dre85, S.204f) Ein Korper ist also notwendig, um Gegebenheiten in ihren

vollen Strukturen aufzunehmen und der Mensch nimmt seine Umwelt nicht uber Details

auf, sondern indem er die Ganzheit betrachtet. Ich schaue aus dem Fenster und sehe eine

Landschaft und nicht nur einzelne Baume und Hauser. Ein digitales System verknupft

erst Einzelheiten, um das komplette Bild zu betrachten. Nach Dreyfus formalisieren wir

demnach nicht alles, was wir mit den Sinnen wahrnehmen, also ist es schwierig, das auf

einen Computer zu ubertragen. Neben der Programmierung von Sprachcomputern wie

Chatbots gibt es vor allem in Japan viele Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung

von Robotern, speziell Androiden, beschaftigen. Diese menschenahnlichen Roboter sind

ausgestattet mit Sensoren, wie einer Kamera als Augen, sodass sie wie der Mensch ihre

Umwelt aufnehmen und verarbeiten konnen. Aber selbst mit diesen simulierten Sinnes-

organen ist es fragwurdig, wie der Roboter Kontext statt Einzeldinge erkennt.

Einen Androiden zu erstellen und zu programmieren bedeutet davon auszugehen, dass

das menschliche Verhalten durch formalisierbare Regeln beschrieben werden kann, da es

eine geordnetes System ist. Nur so kann das Verhalten nicht vollkommen willkurlich sein.

Das ist Minskys Auffassung, Dreyfus hingegen will zeigen, dass das menschliche Verhal-

ten geordnet und regelmaßig, also nicht willkurlich, ist, aber ohne formalisierte Regeln

ablaufen kann und sogar muss. Der Mensch befindet sich immer in einer Situation, in

der er fur gewohnlich etwas tut. Die Handlung steht in einem Kontext und das Verhal-

ten wird bestimmt durch Regeln, die wir im Alltag verfolgen und verinnerlicht haben.

Wenn ich in die Bibliothek gehe, muss ich meinen Rucksack in ein Schließfach sperren.

Um das Schließfach zu benutzen, brauche ich ein Zwei-Euro-Stuck usw. Wenn ich aber

in die Bibliothek gehe, nur um die Toiletten zu benutzen, muss ich meinen Rucksack

nicht einschließen. Hier zeigt sich, dass die Regeln auch vom Kontext abhangig sind und

nicht zu jeder Zeit und in jeder Situation gelten die gleichen Regeln. Der ubergeordnete

Kontext, in dem sich der Mensch befindet, ist die Welt. Heidegger beschreibt das als

das In-der-Welt-sein, um ihn herum ist seine Lebenswelt, die auch in der Alltaglich-

keit”durch die menschlichen Absichten und Interessen vorstrukturiert“(Dre85, S.211)

ist. Diese Absichten und Interessen beziehen sich auf die Situationen. Auch die Einzel-

dinge, die uns umgeben und die wir benutzen, stehen in einem Kontext. Sie sind Teil

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unserer Lebenswelt und haben eine Funktion fur uns. Wir benutzen sie, um etwas zu

tun. Heidegger verwendet hierfur den Begriff Zeug. Das Zeug hat eine Bewandtnis fur

den Menschen und der Kontext bezeichnet den Bewandtniszusammenhang. In diesem

Bewandtniszusammenhang sind wir von Tatsachen und Dingen umgeben, die je nach

Situation eine unterschiedliche Relevanz haben. Dementsprechend verandern sich auch

die Regeln, die wir dann benutzen. Die Regeln sind abhangig vom Kontext und um die-

sen zu erkennen, mussen wir uns bewusst sein uber die wesentlichen und unwesentlichen

Aspekte um uns herum. Auch muss man unterscheiden zwischen Regeln, die in dieser

Situation gelten, weil relevante Tatsachen dafur sprechen und allgemeingultigen Regeln,

die uns in der Alltaglichkeit begegnen. Die Schwierigkeit besteht nun darin, die relevan-

ten Tatsachen auszuwahlen ohne jene Regeln, die allgemeingultig sind, zu verlieren. Der

Mensch kann flexibel auf Situationen reagieren, so die relevanten von weniger relevan-

ten Aspekten trennen. Außerdem wahlen wir die Regeln mit Hilfe unserer Erfahrung

aus. Ein Computer hingegen ist mit isolierten Daten gefuttert und der Programmierer

versucht Methoden zu finden, um das Programm in einen Kontext einzubinden. Das

Problem hierbei ist, dass beim menschlichen Verhalten die Regeln und ihre Wahl durch

den Kontext bestimmt werden, den der Programmierer mit Hilfe von Regeln erschaffen

will. Der Computer braucht also Regeln, um den Kontext zu erhalten, im Gegensatz zum

Menschen, bei dem der Kontext durch das In-der-Welt-Sein gegeben ist. Der Kontext ist

wichtig fur die Interpretation der Regel und ihre Anwendung. Ohne die Flexibilitat des

Menschen muss”der Programmierer in der Lage sein, all das explizit zu machen, was

er als Mensch normalerweise fur selbstverstandlich halt“14 (Dre85). Selbstverstandlich

ist eben die Abschatzung von Relevanz und dsa Vorkommen in Situationen und damit

verbundenen Kontexten, da der Mensch die Eigenschaft des In-der-Welt-Sein hat. Das

geregelte Verhalten des Menschen auf ein digitales System zu ubertragen ist demnach

nicht umsetzbar, wenn man versucht es durch Regeln zu formalisieren. Die Entscheidun-

gen, die der Mensch trifft, sind abhangig von der Situation; ein Programmierer muss

hingegen durch eine uberwaltigende Datenmenge und Entscheidungsbaume versuchen

das abzubilden. Das bedeutet, dass die Entscheidungen prinzipiell schon durch den Pro-

grammierer getroffen werden und nicht vom Computer selbst.

Eine Methode, die Dreyfus auch immer wieder anspricht, ist ein heuristisches Verfahren,

mit dem man bei einem Problem mit einer großen Datenmenge das Suchen nach der

richtigen Entscheidung abkurzt. Angenommen, in einer Situation gibt es endlich viele

Zustande, die berechnet werden konnen und um das Problem zu losen, mussen wir einen

14Hervorhebung von der Autorin.

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Zustand auswahlen. Anschaulich ist es bei einem Schachspiel darzustellen. Die Spielfigu-

ren befinden sich in einer bestimmten Konstellation und nun gibt es mehrere Moglich-

keiten (einschließlich ihrer Folgen), wie der Computer reagieren konnte. Bei einfachen

Spielen kann der Computer einfach alle Moglichkeiten und Folgezustande, einen soge-

nannten Entscheidungsbaum, ausrechnen und sich dafur entscheiden, welche die Beste

ist. Aber beim Schachspielen ist die Berechnung dafur zu zeit- und ressourcenaufwen-

dig, sodass der Computer eine Entscheidung trifft und weiter verfahrt. Der Mensch trifft

diese Entscheidung aus reinem Gefuhl und der Erfahrung heraus, der Computer kann

dazu Hilfsfunktionen oder Schatzungen benutzen und hofft, dass das weitere Verfahren

annahernd optimal verlauft. Ein Schachcomputer wird mit heuristischen Verfahren pro-

grammiert, aber auch Losungen fur das Traveling Salesman Problem15 verwenden diese

Methode. Gerade bei dem Traveling Salesman Problem verlangert sich die Berechnung

pro weiteren Punkt so stark, dass es schon bei einer kleinen Menge Punkte zu viele

Losungen gibt um eine angemessene Berechnungszeit zu erreichen.

Dreyfus findet heuristische Verfahren fur komplex-formale Systeme angemessen, wie

Spiele, deren Moglichkeiten prinzipiell zwar alle berechnet werden konnen und somit

vollstandig formalisierbar sind, aber die wirkliche Ausfuhrung an die Grenzen der techni-

schen Moglichkeiten stoßt und deswegen scheitert. Der Programmierer muss also abwagen,

wie viel Zeit er fur die Berechnung einer annahernd exakten, aber zulassigen Losung auf-

wenden will. Je weniger Zeit, desto unexakter. Neben den Problemen, die mit komplex-

formalen Systemen gelost werden (und einfacheren Problemen und ihre dazugehorigen

Systeme) gibt es auch Probleme oder Verhalten, die sich nicht formalisieren lassen.

Dieses ist situationsabhangig und umfasst beispielsweise”alltagliche Handlungen, die

regelmaßig, aber nicht regelgeleitet sind“(Dre85, S.248), wie Ratespiele, deren Regeln

nicht eindeutig sind. Hierzu ist der Kontext und eine Gesamtubersicht notwendig, was

das Verhalten nicht komplexer macht, aber eben nicht formalisierbar, weil starker in der

Lebenswelt verankert.

Die Handlungen eines Systems sind geleitet durch Regeln, diese Regeln aber mussen auf

einem System basieren, auf dessen Grundlage sie programmiert sind. Das System strebt

nach einem Ziel oder mehreren Zielsetzungen. Im dritten Kapitel seines Buches unter-

sucht Dreyfus genauer diese Zielsetzung und die Motivation des Menschen vergleichend

mit der Zielsetzung eines Computers. Dabei handelt es sich um Entscheidungen in Situa-

tionen und nicht Handeln auf ein letztes Ziel fur das gesamte Leben hin. Dreyfus zitiert

15Hierbei wird wie die kurzeste Strecke zwischen n Punkten gesucht. Die Frage ist, in welcher Reihenfolgeich die n Punkte (Orte) wahle, sodass die Gesamtstrecke minimal ist.

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Christine Plicht

Satosi Watanabe und beschreibt seine Ideen zu den Zielsetzungen des Menschen, dass

sie durch ein System von Werten geleitet sind, eine Maschine hingegen unterliegt pro-

grammierten Zielsetzungen. Dreyfus erweitert diesen Gedanken und behandelt verstarkt

die Flexibilitat dieser Werte und die Situationsabhangigkeit. Zentral hierbei ist die Er-

fahrung und auch die damit zusammenhangenden Interessen. Das begrundet Dreyfus

mit den Bedurfnissen des Menschen. Bedurfnisse sind allerdings recht unbestimmt und

verkorpern eher ein Verlangen als ein konkretes Ziel. Zwar fuhrt es Dreyfus nicht konkret

aus, aber er erwahnt, dass der Mensch ein grundlegendes Ziel hat, auch wenn das nicht

sonderlich konkret ist. Die Bedurfnisse werden durch unsere Interessen befriedigt. Ein

Maler hat das Bedurfnis, etwas zu erschaffen oder sich kreativ zu verwirklichen. Dies tut

er durch das Interesse am Malen und durch seine Erfahrung weiß er, dass Malen das ist,

was sein Ziel erfullt. Hier begegnen uns nun einige Begriffe, Werte, Bedurfnisse, Ziele die

zusammenhangen und alle darauf gerichtet, sind in Situationen zu handeln. Aufgrund

von Werten oder Bedurfnissen ist unser Handeln auf etwas gerichtet, das aufgrund un-

serer Erfahrung konzipiert ist. Wichtig dabei ist, dass Werte und Bedurfnis flexibel sind

und nicht eindeutig. Das macht es schwierig auf den Computer zu ubertragen. Die Aus-

legung der Werte ist immer auf eine Situation bezogen. Durch eine Veranderung der

Lebenswelt eines Menschen kann sich sein Interesse auf einem bestimmten Feld voll-

kommen andern. Beispielsweise kann einem Menschen erst bewusst werden, dass er sich

nach etwas gesehnt hat, wenn er es auf einmal erhalt und ihn erfullt. Vorher war es

ein unbestimmtes Bedurfnis, durch seine Erfullung andern sich seine Interessen. Sobald

er sich wieder in der alten Situation befindet, seine Erfullung verliert, wird er wissen,

dass das seine Bedurfnis erfullt. Dreyfus gibt dazu das Beispiel eines Mannes, der sich

verliebt und erst dann realisiert, dass er uberhaupt Interesse an eine Beziehung hat. Sein

Bedurfnis wird also spezifischer und sein Interesse konzentriert sich darauf. Kierkegaard

bezeichnet diese Veranderung, die die Personlichkeit des Menschen neu definiert, eine

Daseinserschutterng. Auch hier befindet der Mensch sich in Situationen, die sein Dasein

bestimmen und eingebettet in seine Lebenswelt sind. In diesen Situationen verandert

sich der Mensch und mit ihm seine Interessen und Bedurfnisse. Dadurch verhalt er sich

anders. Naturlich sind dabei auch wieder Regeln gegeben, die nun in einem anderen

Kontext stehen, aber in diesem Aspekt will Dreyfus die Motivation erarbeiten, warum

wir uns in einer Situation verhalten.

Es zeigt sich, dass Dreyfus ein sehr negatives Bild der KI-Forschung hat und einen viel

vorausschauenderen Blick, als Forscher, die ein Programm mit solchen Zielen entwickeln.

Dreyfus betrachtet die Welt des Menschen, in der er eingebettet ist und fragt sich, wie

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Christine Plicht

eine Maschine dort leben kann wie ein Mensch. Er kommt zu dem Entschluss, dass sie

es nicht konnte, weil das Leben des Menschen stark situationsabhangig ist, sowohl im

Hinblick auf Regeln als auch auf Bedurfnisse, nach denen sich der Mensch verhalt. Beides

halt er fur unmoglich in ein Programm zu implementieren. Er kritisiert den unermudli-

chen Euphorismus der Forschungsgemeinde und auch Josef Weizenbaum erkennt, dass

mit seinem Programm ELIZA diesem Durchbruch viel starkere Bedeutung beimessen als

er selbst es tat. Dreyfus hat mit seinem Buch nicht eine Welle an Diskussionen ausgelost,

wie Searle mit seinem Gedankenexperiment. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Drey-

fus’ Kritik nicht so zuganglich ist wie Searles Experiment. Er bleibt in vielen Aspekten

relativ vage und die Argumente sind gepragt von der europaischen Philosophie Heideg-

gers und Kierkegaard. Die phanomenologische Herangehensweise ist fur Informatiker

schwerer zuganglich.

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Christine Plicht

5 Robotik als Weg zu einer kunstlichen Intelligenz

Parallel zur philosophischen Auseinandersetzung zum Thema finden immer weitere Ent-

wicklungen in der Informatik statt. Anstatt sich mit Fragen auseinanderzusetzen ob

es denn prinzipiell moglich ist, Bewusstsein zu entwickeln, zielt die Forschung starker

auf praktische Ergebnisse. So werden Roboter und weitere Systeme entwickelt und ver-

sucht, was moglich ist und an welche Grenzen die Wissenschaftler stoßen. In diversen

Forschungsinstituten wird zur heutigen Zeit an Robotern gearbeitet, in denen eine kunst-

liche Intelligenz entwickelt wird. Vor allem in Japan ist der Markt an Robotern sehr groß

und dort sind die Visionen weiter optimistisch. Naturlich wird nicht jeder Roboter ent-

wickelt, um kunstliche Intelligenz zu erschaffen, aber wenn man Dreyfus’ Kritik ernst

nimmt, so ist ein Roboter Voraussetzung fur ein intelligentes System. So gibt es viele For-

schungseinrichtungen, die daran arbeiten. Honda hat eine Androiden ASIMO entwicklt

mit dem am CoR Lab16 der Universitat Bielefeld gearbeitet wird. Sie versuchen durch

Interaktionen und Lernen ASIMOs Sprachevermogen, Bewegungen und Seevermogen zu

verbessern und dabei grundlegende Erkenntnisse uber Lernen und Wahrnehmung zu er-

langen. Auch an der Universitat Heidelberg gibt es eine Arbeitsgruppe Optimiziation in

Robotik and Biomechanics und ein Robotiklabor. Am MIT gab es ein Forschungsprojekt

COG, an dem Dennett beteiligt war. Dort wollte man einen Roboter entwickeln und

ihm Eigenschaften beibringen, beispielsweise Kunststuck und Sprache. Neben den For-

schungsprojekten gibt es auch konkrete weitere Herausforderungen, deren Fortschritte

in Wettbewerben gezeigt werden. Nachdem Deep Blue den Schachweltmeister geschla-

gen hat und diese Aufgabe gelost wurde, wird heutzutage daran gearbeitet, Robotern

Fußball spielen beizubringen. Dazu gibt es Landes- und Weltmeisterschaften, den so-

genannten Robocups. In unterschiedlichen Disziplinen, je nach Große und Anforderung

an autonomen Geraten, treten Roboter gegeneinander an und versuchen, Fußball zu

spielen. Hier hat man sich zum Ziel gesetzt in 50 Jahre, also Mitte des 21. Jahrhun-

derts, gegen den dann amtierenden Fußballweltmeister anzutreten und zu gewinnen.

Etwa so lange hat auch die Entwicklung der Schachcomputer gedauert, bis Deep Blue

den Schachweltmeister Kasparov besiegen konnte. Das Problem des Fußballspielens ist

fur die KI interessanter als einen Schachcomputer zu entwickeln, weil hier die Strategie

und Herangehensweise dem Menschen eher nachempfunden werden als beim Schachspie-

len. Der Schachcomputer besteht aus einer großen Datenbank und einem Programm,

das eine andere Strategie verfolgt als ein menschlicher Schachspieler. Ein Mensch filtert

16Weitere Informationen zu dem Projekt unter http://www.cor-lab.de/. [Abruf August 2011]

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Christine Plicht

zuerst, welche Figuren uberhaupt in Frage kommen zu ziehen und berechnet auch nicht

in jeder Konstellation moglichst viele Zuge voraus. Hier zeigt sich wieder die situations-

abhangige Relevanz, die der Computer schwerer abschatzen kann. Der Mensch handelt

starker aufgrund seiner Erfahrung und Intuition, weniger aufgrund der Berechnung des

weiteren Spiels. Naturlich variiert das bei der Spielstarke der Spieler. Beim Fußballspie-

len sind es fast die gleichen Anforderungen, die nur mit den gleichen Mitteln bewaltigt

werden konnne. Es geht um Bewegung, Schnelligkeit, Treffsicherheit und Teamgeist.

Momentan sind die Roboter aber noch sehr weit davon entfernt gegen eine menschliche

Fußballmannschaft anzutreten. Die Spielgeschwindigkeit ist noch außerst gering und die

Passgenauigkeit recht vage. Dennoch sind hier die Probleme der kunstlichen Intelligenz

starker vertreten. So geht es nicht nur darum einen Korper zu entwickeln, sondern auch

Interaktion der Roboter untereinander herzustellen.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, was wir uberhaupt von einer Maschine verlan-

gen, um ihr Intelligenz zuzusprechen. Unabhangig von den philosophischen und tech-

nischen Schwierigkeiten, die sich ergeben, halte ich folgende Eigenschaften fur notwen-

dig um uberhaupt von einer starken kunstlichen Intelligenz zu sprechen. Ebenso wie

Dreyfus sehe ich den Korper als zentralen Aspekt bei der Weiterentwicklung einer Ma-

schine. Auch Dennett glaubt nicht,”dass irgend jemand jemals einen Roboter bauen

wird, der in ganz genau derselben Art und Weise bewusst ist wie menschliche Wesen es

sind.“(Den96, S.691). Was entwickelt werden konnte ist ein Roboter, der zentrale Eigen-

schaften besitzt und mit dem wir kommunizieren konnen. Zur Kommunikation notwendig

ist naturlich Sprache, hierbei gibt es auch schon einige Fortschritte, wenn man Chatbots

betrachtet. Es zeigt sich, dass die Moglichkeit besteht, dass sich ein digitales System mit

uns unterhalt. Diese Unterhaltungen vielleicht nicht immer sinnvoll, aber zumindestens

unterhaltsam. Sprache muss naturlich im System weiterentwickelt werden, sodass der

Roboter lernfahig sein muss. Nicht nur in Bezug auf die Sprache. So kann er im Ge-

sprach mit einem Gegenuber Reaktion erhalten und so seine Datenbank erweitern und

lernen, welche Reaktionen seinerseits angemessen sind. An der Weiterentwicklung der

Sprache zeigen sich die wesentlichen Merkmale. Sprache wird durch Interaktion gelernt.

Das heißt, um Sprache uberhaupt zu lernen, muss interaktiv agiert werden. Diese Inter-

aktion findet meist durch kooperative Handlungen statt. George H. Mead (1863-1931)

vertritt die Ansicht, dass geistige Eigenschaften uberhaupt erst durch Sprache entstan-

den sind und Sprache sich durch kooperative Handlungen und gesellschaftliche Prozesse

entwickelt hat. (Mea08) Es ist also notwendig, Aktionen mit Menschen oder anderen Ro-

botern durchzufuhren, damit Sprache sich verfestigen kann und uberhaupt Bedeutung

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Christine Plicht

erreichen konnte. Das Problem, wie die Sprache in einen kunstlichen System uberhaupt

Bedeutung erreichen kann und nicht nur reine Syntax darstellt, zeigt das Symbol groun-

ding Problem (Har90). Searles Kritik, die er anhand des Gedankenexperiment außert,

zielt auf dieses Problem, wie wir im vorangegangen Kapitel gesehen haben. Wie ist es

also moglich, dass ein System nicht nur mit reinen Symbolen hantiert, sondern intrin-

sisches Wissen erreicht? Die Symbole mussen einen Bezug zur Welt bekommen, eine

Referenz erhalten und zusatzlich die Bedeutung des Symbols erlernen. Im Gegensatz zu

einem reinen Chatprogramm konnte der Roboter einen Bezug zum dem Wort und dem

dazugehorigen realen Gegenstand aufbauen. Er redet nicht nur von einem Apfel, sondern

er hat auch schon einmal einen gesehen und kann diesen oder einen anderen Gegenstand

als Apfel wiedererkennen. So kann er auch ASIMO an der Universitat Bielefeld immer

weitere Gegenstande erlernen und einen Hocker, den er zuvor noch nie gesehen hat, als

Stuhl identifizieren17. Es ist also scheinbar moglich, einem Roboter Konzepte beizubrin-

gen, sodass er diese auch in anderen Gegenstanden erkennt und deren Funktionalitat

beurteilen kann. Dazu ist Interaktion mit den Gegenstanden notwendig sowie Kommu-

nikation uber diese Gegenstande.

Der Unterschied vom Schach- zum Fußballproblem ist, dass die Fußballmannschaft in

Echtzeit spielen soll und der Schachcomputer relativ viel Zeit zum berechnen braucht.

Momentan sind die Bewegungen allerdings noch so langsam, dass alleine deswegen eine

Roboterfußballmannschaft gegen Menschen stark benachteiligt ist. Bei vielen Problemen

benotigt der Computer viel Zeit, um Moglichkeiten zu berechnen und die Datenbank zu

durchsuchen. Damit eine Interaktion mit dem Menschen moglich ist, musste ein Roboter

sich in einer ahnlichen Geschwindigkeit wie ein Mensch bewegen und verhalten konnen.

Als wichtige Eigenschaft wird oft die eigene Weiterentwicklung angesehen. Neben der

Lernfahigkeit, die u.a. von extern, von Interaktionspartner, gegeben wird, ist ein Ro-

boter vorstellbar, der sich selbst verandern, reparieren oder bearbeiten kann. Ahnlich

wie die meisten Wunden und Krankheiten des Menschen vom Korper selbst kurieren,

sollte es moglich sein, dass der Roboter einfache Funktionsstorungen selbst erkennt und

repariert. Damit ist der Roboter starker autonom und nicht auf die Hilfe und Betreuung

des Menschen angewiesen. Eine Steigerung des eigenen Wartung und Weiterentwicklung

ist ein System, das selbst ein neues System entwickelt, das die eigenen Fahigkeiten und

Moglichkeiten ubersteigt. So wie wir Maschinen entwickeln, die Aufgaben losen, zu denen

wir aus unserer eigenen Kraft nicht in der Lage sind, konnte ein Computer ein anderes

17Ein eindruckvolles Video dazu, kann man unter http://www.youtube.com/watch?v=P9ByGQGiVMgansehen, leider war es nicht moglich die Originalquelle zu finden. [Abrufdatum: August 2011]

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Christine Plicht

System, das uber es selbst hinaus geht, erschaffen.

Damit der Roboter diese beschriebenen Eigenschaften lernt, halte ich es fur notwendig,

dass er eine Art Kindheit durchlauft und somit eine Entwicklung gegeben ist. Auch

COG wurde so konstruiert, dass er in einer Kleinkindphase beginnt. Fraglich ist, wie

lange ein kindlicher Zustand andauert und ab wann oder ob sich der Roboter zu einem

Erwachsenen entwickeln kann. Dauert das so lange, wie bei einem Menschen und inwie-

weit ist das abhangig von der Technik? Es ist vorstellbar, dass es viel Zeit und Muhe

kostet, die Fahigkeiten eines Roboters zu entwickeln, statt vorher einzuprogrammieren.

COG sollte auch bestimmte Bezugspersonen haben, die als Mutterfigur fungieren. Eine

Bezugsperson oder mehrere, die er erkennt und die sich maßgeblich um seine Entwick-

lung kummern. Das zeigt sich auch dadurch, dass er das Gesicht seiner Mutter praferiert

Aufmerksamkeit schenkt und versucht zu verhindern, dass seine Mutter sich von ihm

abwendet.

Ziel dieser Eigenschaften ist es, dass der Roboter eine Lebenswelt besitzt, auch wenn die-

se sich von der eines Menschen stark unterscheiden wird. Eine Lebenswelt ist notwendig,

damit ein situativer Kontext gegeben sein konnte. Ob das mit all diesen Eigenschaften

wirklich erreicht werden kann, ist jedoch fraglich. Nur in einer Lebenswelt kann der Ro-

boter so interaktiv sein, dass die Welt um ihn herum auch eine subjektive Bedeutung

hat und dadurch auch eine Individualitat erreichen konnte. Stellen wir uns also vor, es

gelange einen Roboter zu entwickeln, der sich mit einem Menschen unterhalten kann,

auch wenn es nur einen alltagsbasierte Gesprache sind. Weiter kann er in der Welt mit

Gegenstanden umgehen, wie einen Tisch von einem Stuhl zu unterscheiden, auch wenn er

konkret diesen noch nie gesehen hat. Er ist sich dadurch der Funktion bewusst und kann

sie mit anderen Gegenstanden in Verbindung bringen. Dieses Verhalten entstand durch

Lernen in Situationen, in denen der Sprache eine konkrete Referenz in seiner Umwelt

geben konnte. Alleine mit diesen Eigenschaften konnen wir uns ein Verhalten vorstellen,

bei dem der Roboter mit uns in unserer Lebenswelt interagiert. Daruber ob dieser Ro-

boter nun wirklich Sprache versteht oder Dinge wahrnimmt, lasst sich dann naturlich

weiter diskutieren. Die Frage nach der reinen Simulation kann immer weiter im Raum

stehen. Die Frage ist nur, ist eine solche Diskussion dann immer noch sinnvoll? Sollte

man sich dann nicht einer pragmatischen Vorgehen anschließen und den Roboter das

zusprechen, was er tut?

Wenn wir diesen Roboter betrachten, den ich oben beschrieben habe oder uns Androiden

in Science-Ficton-Filmen anschauen, so wird schnell deutlich, dass es sich hier nicht nur

um einen kunstliche Intelligenz handelt, sondern versucht wird, einen kunstlichen, wenn

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Christine Plicht

auch nicht organischen, Menschen zu erschaffen. Die Abgrenzung zwischen kunstlicher

Intelligenz und einer kunstlichen Person wird selten getroffen. Der Weg zu einer kunst-

lichen Intelligenz uber die Robotik und alle Versuche einen Roboter zu erschaffen sind

allerdings anspruchsvoller als nur eine kunstliche Intelligenz. So ist Turings Kriterium

nicht auf einen Korper angewiesen. Es gibt auch Ideen, den Turing-Test dahingehend

zu erweitern, dass sich das System, ein Roboter, wie ein Mensch in der Umwelt ver-

halten muss - der Total Turing Test (TTT) (Har91). Hier will Steven Harnad sowohl

die linguistischen Fahigkeiten, als auch die sensomotorischen testen. Allerdings gibt es

auch Kritiker, die den TTT fur unnotig halten. Wenn der gewohnliche Turing-Test aus-

reicht, dann ist der TTT keine Erweiterung. Wenn nicht, ist der TTT genauso ungeeignet

wie der Turing-Test, um mentale Eigenschaften zu bestatigen (Hau93). Der Begriff der

Person ist weiter gefasst als eine kunstliche Intelligenz. Hierzu haben ich in Kapitel 2

Kriterien beschrieben, die Dennett fur notwendig halt, eine Person zu beschreiben. Er

verdeutlicht,”es gibt keine objektiv erfullbaren hinreichenden Bedingungen dafur, dass

ein Wesen wirklich Meinungen hat.“(Den81, S.320f). Von einem intentionales System

verlangt Dennett keine verbale Kommunikation, Selbstbewusstsein oder das Erwidern

einer Haltung. Umgekehrt ist ein intentionales System auch notwendig fur eine Person.

Zwar schreiben wir auch Tieren teilweise gewisse Eigenschaften zu, die wir mit einer

Person identifizieren, allerdings benutzen wir den Personenbegriff weitgehend exklusiv

fur den Menschen. So ist auch das Vorhaben einen Roboter zu bauen, der den TTT

bestehen konnte, ein Stoß in die Richtung, eine kunstliche Person zu erzeugen und nicht

nur ein kunstliches System. Die Anforderungen an eine kunstliche Intelligenz und die

Visionen dazu sind in den letzten Jahrzehnten immer starker gestiegen.

Auch Dreyfus Forderung eine kunstlichen Intelligenz in situative Kontexte einzubetten,

ist nur dann notwendig, wenn sie sich verhalten soll wie ein Mensch, anstatt nur gewisse

kognitive Eigenschaften zu ubernehmen. Aber selbst dann, wenn sich der Roboter wie

ein Mensch verhalt, sodass wir ihn nicht unterscheiden konnen, bleibt er trotzdem eine

Maschine. Auch dann gibt es existenzielle Unterschiede der Maschine zum Menschen.

Auch wenn der Roboter den Kontext erfasst, in dem er sich verhalt, ist es fraglich an-

zunehmen, ob er auch den Aspekt der Geschichtlichkeit des Menschen erhalten kann.

Der Mensch ist kein diskretes Wesen, er ist eingebunden in die Zeit. Er steht in einer

Tradition und ist in gewissen Sinne die Summe seiner Handlungen und Begegnungen in

der Vergangenheit mit Blick auf die Zukunft. Nie kann ich sagen, dass der Mensch ein

diskretes Objekt zum Zeitpunkt X ist. Das, was der Mensch zu diesem Zeitpunkt ist, ist

aber mehr als nur das, was er gelernt oder erfahren hat. Er steht in einem geschichtlichen

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Christine Plicht

und nicht nur situativen Kontext. Einen Menschen zu einem Zeitpunkt X zu betrachten,

erfasst nicht das Wesen des Menschen. Dahingegen ist der Computer eine klarer diskreter

Zustand zum Zeitpunkt X. So klar, dass ich davon eine Systemwiederherstellung machen

kann, wenn er zwei Stunden spater nicht mehr funktioniert.

So wie Dreyfus mit phanomenologischen Methoden eine KI in einen situativen Kontext

genauer betrachtet, was auch in der Tradition von Heidegger steht, kann man dessen

Konzept der Zeitlichkeit genauer betrachtet. Hier spielt der Tod eine zentrale Rolle:

”Der Tod ist eigenste Moglichkeit des Daseins. Das Sein zu ihr erschließt dem Dasein

sein eigenstes Seinkonnen, darin es um das Sein des Daseins schlechthin geht.“(Hei06,

S. 263) Der Mensch hat in seiner Existenz immer in irgendeiner Weise ein Verhaltnis

zum Tod, da sein Leben endlich ist. Die Existenz eines Roboters hingegen muss nicht

zwangslaufig endlich sein. Naturlich kann der Roboter zerstort oder ausgeschaltet wer-

den, aber zu seinem Sein gehort nicht der Tod. Das bedeutet, dass seine Moglichkeiten

nicht davon gepragt sind, dass er sich seines eigenen Todes bewusst ist und dass sich

da in seinem Verhalten wiederspiegelt. Empirisch wird es fur ihn genauso ein Ende ge-

ben, wie fur den Menschen, aber das Ende des naturlichen Menschen ist unvermeidbar.

Ich denke dass ist ein zentraler Unterschied, der sich nicht andern wird. Spekulationen

daruber, den Menschen dahingehend zu erweitern, dass er durch kunstliche Organe auch

unsterblich werden konnte ist fur diese Debatte meiner Meinung nach irrelevant.

Stellen wir uns wieder diesen Roboter vor, der sich verhalt wie ein Mensch. Ob ihm

wirkliches Denken, Wunsche und damit bewusste Handlungen zugesprochen werden ist

auch abhangig von der Akzeptanz dieser digitalem Systems seines Umfeldes. Vielleicht

ist es auch einfach nur ein Prozess, der sich entwickelt und der Mensch muss sich an

die Gegenwart von kunstlichen System als Teil seiner aktiven Lebenswelt gewohnen. So

wie wir Haustiere anders wahrnehmen und mit ihnen umgehen als Nutztiere, konnte es

genauso mit Robotern sein. Die wenigstens Menschen wurden, außer in Notsituationen

ihr Haustier essen und durch eine personliche Beziehung zu dem Tier, nehmen wir es

anders wahr als einen Vogel, der auf dem Baum singt. Erst durch den konstanten Be-

zug und die Erfahrungen mit ihm, nehmen wir das Tier zwar nicht als eine Person auf,

dennoch verhalten wir uns ihm gegenuber ahnlich wie zu einem Menschen, indem wir

uns um das Tier sorgen und uns kummern. Naturlich ist die Voraussage, dass wir so

mit Robotern umgehen nicht stark begrundet und vielleicht auch nicht wahr. Dennoch

mochte ich hier an den vorangegangen Aspekten die Moglichkeiten und Probleme aufzei-

gen, die sich ergeben, falls es gelange Systeme zu entwickeln, die mit uns interagieren, als

seien sie menschlich. Ob das eintrifft, wird kein Philosoph voraussagen konnen und auch

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nicht zuverlassig ein Visionar der KI, wie beispielsweise Ray Kurzweil. Mit der Zeit wird

sich zeigen, ob und wie die Entwicklungen in der Informatik und Robotik weiter ver-

laufen. Auch die schlagenste philosophischen Argumente werden Entwickler nicht davon

abhalten trotzdem zu versuchen immer weiter zu kommen und die Grenzen praktisch zu

erfahren.

Wenn die Anforderungen an eine kunstliche Intelligenz getrennt von den Vorstellungen

einer kunstlichen Person betrachtet werden, sind wir dort, wo Turing 1950 war. Es ist un-

klar, welche Kriterien wir anwenden sollen und der Streitpunkt ob das System wirklich

Wunsche hat oder Denken kann, wird aus unterschiedlichen Seiten diskutiert. Meiner

Meinung nach ist es sinnvoll das System danach zu beurteilen, was es als Output liefert

und wie es uns dadurch begegnet. Es wird sich zeigen, wie weit die Entwicklung vor-

anschreitet und wozu Roboter wirklich fahig sein werden. So wie wir zur Bestimmung

der Intelligenz des Menschen auch Tests haben, auf die man sich vorbereiten kann, ist

ein Test a la Turing wahrscheinlich die sinnvollste Moglichkeit die Fahigkeiten eines di-

gitalen Systems zu bestimmen. Dazu muss es kein Sprachtest sein und auch kein Total

Turing Test, sondern vorstellbar waren bestimme Aufgaben, die das System bewaltigen

muss. Hierbei konnte man Robotern und anderen Systemen unterschiedliche Herausfor-

derungen stellen. Allerdings ist es dann immer noch schwierig dem System kognitive

Eigenschaften zuzuschreiben, sondern es hat Test XY bestanden und kann somit irgend-

wie klassifiziert werden. Weitere oder andere Kriterien zu finden, halte ich fur schwer

durchsetzbar, da man sich nicht daruber einig ist, was uberhaupt moglich ist und wie

das zu bewerten ist. Unter solchen Voraussetzungen ist es unklar wie man einheitliche

Kriterien und deren Auswertung festlegen kann.

Betrachtet man sich die philosophischen Probleme, die hinter der KI Forschung stehen

bzw. mit deren Hilfe man philosophische Probleme losen wollte, so hat man hier in den

letzten 50 Jahren nicht besonders viel erreicht. Man ist sich vielleicht klarer, dass die

Euphorie durch die große Schritte zu Beginn der Forschung, so nicht weiter gehen konn-

te und auch nicht werden wird. Es zeigte ich immer wieder, dass die Komplexitat und

Entwicklung einer Probleme schwer einzuschatzen war, auch wenn man zu Beginn einen

guten Start hatte. Vergleichsweise einfach waren immer wieder Programm zu implemen-

tieren, die dem Menschen schwere bis unmogliche Arbeiten oder Berechnungen abneh-

men, aber bei den einfachsten Dinge, die schon ein Kind beherrscht ist es sehr muhsam

diese zu entwickeln. Das was Searle den Zielen der starken KI zuschrieb, uber den Com-

puter einen besseren Zugang und ein klares Verstandnis des Geistes zu erreichen, hat sich

bis heute nicht bewahrheitet. Allerdings bezweifle ich, dass das wirklich hochste Prio-

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ritat der Forscher hatte. Naturlich versucht man auch heute noch, gerade uber Roboter,

bessere Vorstellungen der moglichen Arbeitsweise und Strukturen von kognitiven Eigen-

schaften zu erreichen. Inwieweit man daruber Schlusse fur das Korper-Geist-Problem

ziehen kann, sehe ich als kontroversen Punkt. Sicherlich ist hier eine starke Zusammen-

arbeit mit den Neurowissenschaften notwendig, die zum Teil auch geschieht, aber deren

genauere Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit nicht moglich war. Die philosophischen

und weniger technischen Einwande, haben allerdings schon Einzug in die KI-Forschung

gefunden. Gerade Dreyfus Kritik, die sich auf die Situationsabhangigkeit bezieht und

erklart warum ein Korper notwendig ist, wird in der Robotik verwirklicht. Es ist wahr-

scheinlich, dass diese phanomenologische Kritik berechtigt ist und die Entwicklung eines

kunstlichen Systems deswegen schwer ohne Korper und Kontext zu verwirklichen ist. Es

kann unmoglich sein dem System einen Kontext zu vermitteln, der dem des Menschen

gleicht und sich deswegen sein Verhalten, der Output, nicht mit unserem vergleichbar ist.

Allerdings ergeben sich die Probleme zumindest nicht mehr, aufgrund geringer Daten-

speichermoglichkeiten. In dieser Hinsicht hat sich seit Dreyfus einiges geandert. Sowohl

die Speicherkapazitat ist großer geworden, als auch die Große der Speichermedien ge-

ringer. Allerdings halt Dreyfus es nicht nur aufgrund dieser physikalischen Einstellung

fur unmoglich, dem System einen situativen Kontext zu vermitteln und dementspre-

chend zu agieren. Aber dann stelle ich mir die Frage: muss es das sein? Kann ich ein

System nicht als intelligent bezeichnen ohne das es unbedingt die Eigenschaften des

Menschen moglichst nahe oder besser simulieren kann. Es wird die zu starke Euphorie

der Forschung kritisiert, gleichzeitig aber die Erwartungen so hoch geschraubt, dass bei-

des nicht miteinander vereinbar ist. Dreyfus und Searle wollen beide die Unmoglichkeit

starker Systeme aufzeigen und setzen die Anforderungen an diese so hoch, dass diese gar

nicht erfullt oder uberpruft werden konnen. Die Anspruche, die wir an einen Menschen

haben, konnen nicht identisch auf ein kunstliches System ubertragen werden. Deswegen

sollte man sich auf eindeutige Kriterien einigen und die Fortschritte dann beurteilen,

wenn sie erreicht worden sind.

Naturlich gibt es weiter sehr optimistische Visionare bezuglich den Entwicklungen auf

dem Markt. So hat Ray Kurzweil 1999 Homo S@piens veroffentlicht, in dem er fur die

Jahre 2009 bis 2099 Voraussagen trifft, die sehr der Sciencs-Fiction-Welt gleichen. Man-

che davon treffen fur das Jahr 2009 zu, andere nicht. So ist die Beschreibung von Große

und Leistung der Computer und auch die Voraussage bezuglich Notebooks und Tablet-

PCs zutreffend. Die Voraussage:”Ubersetzende Telefone (speech to speech language

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translation) sind allgemein im Gebrauch und fur viele Sprachenpaare erhaltlich.“(Kur99,

S.449) trifft auch zwei Jahre spater noch nicht zu und ich bezweifle, dass sie in nachster

Zeit verwirklicht wird. Nach Kurzweil entwickeln sich im Laufe des Jahrhunderts im-

mer mehr digitalen automatische Assistenten und eine virtuelle Realitat entsteht zu der

wirkliche. Fur das Jahr 2099 schreibt er:”Das menschliche Denken verschmilzt mit der

ursprunglich von der menschlichen Spezies erschaffenen Maschinenintelligenz.“(Kur99,

S.452).

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Christine Plicht

6 Fazit

In der vorliegenden Arbeit habe ich die wichtigsten Argumente in der philosophischen

KI-Debatte erlautert und diskutiert. Dabei habe ich deutlich gemacht, dass es viele An-

knupfungspunkte innerhalb der KI-Forschung zur Philosophie gibt, einige davon beziehen

sich auf die Philosophie des Geistes oder Probleme in der Sprachphilosophie. Hier habe

ich die Relevanz und Berechtigung der Philosophie in dieser Debatte verdeutlich. Genau-

er habe ich die unterschiedlichen Argumentationsstrukturen der von mir ausgewahlten

Philosophen gezeigt. Dennett und Searle versuchen eher auf einer technischen Ebene

zu argumentieren, wohingegen Dreyfus aus phanomenologische Ebene Probleme sieht.

Hauptaspekte bezogen sich darauf, wann man einem System uberhaupt kognitive Fahig-

keiten, wie Intentionaliat zusprechen kann und unter welchen Kriterien. Außerdem ist

der Sprung von einem syntaktischen zu einem semantischen System, nach Searle, nicht

moglich. Als letzten Punkt habe ich Dreyfus Kritik basierend auf der Lebenswelt dar-

gestellt: die Unmoglichkeit, dass ein System situativen Kontext erfassen kann und seine

eigene Lebenswelt erhalt. Es hat sich gezeigt, dass diese auf verschiedene Ebenen an das

Problem herangehen und diese nicht immer auf Verstandnis in der nicht philosophischen

KI-Gemeinde getroffen haben.

Nach dieser Diskussion wird deutlich, dass es kein einheitliches Kriterium fur die Be-

wertung der jetzigen oder auch spateren Entwicklungen gibt, sodass die Frage nach

den kognitiven Fahigkeiten nicht abschließend beantwortet werden kann. Schwierigkei-

ten dabei machen die unterschiedlichen Analysen, aus der 1. oder 3. Person heraus. Die

pragmatische Betrachtung ermoglicht es Fahigkeiten anzuerkennen ohne den direkten

tieferen Vergleich mit den entsprechenden menschlichen Fahigkeiten zu treffen. Turing

hat ein dritte Person Kriterium vorgegeben, das aber weder anerkannt wird, noch eine

Maschine wirklich erreicht hat.

Hier hat die Philosophie gezeigt, dass es gerade durch die philosophische Diskussion

schwierig ist, den Turing-Test anzuerkennen. Deswegen sollte weiter ein gesellschaftli-

chen Diskurs uber Kriterien angeregt werden, um ein allgemein anerkanntes zu finden.

Die Begleitung der KI von der Philosophie gibt ein besseres Verstandnis in diesen Fragen

und sensibilisiert fur auftretende Probleme. Sie gibt nicht unbedingt eine Antwort, aber

verdeutlicht die Relevanz der Probleme fur die weitere Entwicklung. Es hat sich gezeigt,

dass der Turing-Test nicht einfach zu bestehen ist, das haben Philosophen auch vor 30

Jahren schon begrundet. Trotzdem sollte die Philosophie auch die weiteren Entwicklun-

gen in dem Gebiet der KI und der Robotik begleiten und parallel dazu interdisziplinar

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Christine Plicht

Diskussionen anregen. Da dieses Themengebiet so umfassend ist, muss es auch von ver-

schiedenen wissenschaftlichen Disziplinen betrachtet werden, dabei spielt die Philosophie

keine geringe Rolle. Gerade dadurch, dass auch philosophische Themen betroffen sind

und hier Anknupfungspunkte an aktuelle Forschung gegeben ist, ist es notwendig diese

zu betrachten um auch im eigenen Fach sich nach vorne zu entwickeln und nicht den

Bezug zu anderen Wissenschaften zu verlieren.

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Christine Plicht

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