Wolf Oschlies Süd-Serbiens Preıevo-Tal...SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches...

38
SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Wolf Oschlies Süd-Serbiens Preevo-Tal: interethnischer Brennpunkt oder regionales Befriedungsmodell? S 27 September 2001 Berlin

Transcript of Wolf Oschlies Süd-Serbiens Preıevo-Tal...SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches...

SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Wolf Oschlies

Süd-Serbiens Pre�evo-Tal:interethnischer Brennpunkt oderregionales Befriedungsmodell?

S 27September 2001Berlin

Nachweis in öffentlichzugänglichen Datenbankennicht gestattet.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2001

SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

GestaltungskonzeptGorbach Büro fürGestaltung und RealisierungBuchendorf

Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Akteure und Anfänge eines Konflikts 7

Balkanische Ängste, serbische Anfangserfolge 10

Der Čović-Vorschlag 13

Der Čović-Plan und seine (beginnende)Implementierung 17

»Der Krieg in Süd-Serbien ist beendet« 21

Der Modellcharakter des Čović-Plans undder Krieg in Makedonien 23

Ein Modell für das Kosovo? 26

Anhang: Pre�evo-Tal � Land, Leute, Konflikte 32Multiethnizität in (Süd)Serbien 32Zur politischen Bedeutung des Pre�evo-Tals 33Bewaffnete Albaner im Pre�evo-Tal 36Abkürzungen 37

Motto»Die Albaner würden nicht einmal dannunter die Verwaltung Belgrads zurückkehren,wenn man dort anstelle von Milo�evićMutter Theresa wählte.«Veton Surroi

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

5

Problemstellung und Empfehlungen

Süd-Serbiens Pre�evo-Tal:interethnischer Brennpunkt oderregionales Befriedungsmodell?

Zehn Jahre nach Ausbruch des Kriegs in Ex-Jugo-slawien, sechs Jahre nach Dayton, zwei Jahre nachdem Ende der NATO-Mission im Kosovo kommt dergesamte Raum noch immer nicht zur Ruhe. Mehrnoch: Gerade dort, wo die internationale Präsenz amstärksten ist � in Bosnien, im Kosovo etc. �, sind inter-ethnische Aggressivität und politische Stagnation amausgeprägtesten. Ein Konfliktmanagement würde derinternationalen Gemeinschaft leichter fallen, wenn sieeine umfassende Konzeption hätte � die sie noch nichthaben kann, weil die Entwicklung einer solchen Kon-zeption mit einer massiven Selbstkritik an der NATO-Mission und ihren Folgen einsetzen müßte. Eine inwestlichen, speziell amerikanischen Medien betriebe-ne, gelegentlich schmerzliche Fehlerdebatte hat diekausale Verknüpfung früherer westlicher Fehlperzep-tionen mit aktuellen balkanischen Fehlentwicklungenaufgezeigt: Die NATO-Mission von 1999 war ein invieler Hinsicht umstrittenes Unternehmen, das keinProblem löste, aber viele vertiefte und für die inter-nationale Gemeinschaft neue schuf. Das Kosovo warnicht reif für eine Unabhängigkeit und ist es gegen-wärtig weniger denn je. Ein unabhängiges Kosovomüßte zugleich von der NATO beschützt und von derinternationalen Gemeinschaft am Leben gehaltenwerden, wäre dabei aber Ermutigung für albanischenNationalismus und Sezessionismus in Nachbarlän-dern, folglich eine Bedrohung für die gesamte Region.Europa und die USA werden noch häufiger als bisherdarüber debattieren, wer wieviel finanzielle und mili-tärische Verantwortung im Kosovo übernehmen soll,dabei aber wissen, daß die gesamten internationalenEinsatzkräfte dort bestenfalls imstande sind, diefragile Gegenwartssituation in etwa zu kontrollieren,ohne daß daraus die Konturen eines dauerndenFriedenskonzepts erwüchsen.

In dieser Situation kommt den Ereignissen imsüdserbischen Pre�evo-Tal allseitiges Interesse ent-gegen. Denn dort wurde ein 16 Monate währenderbewaffneter Konflikt durch eine dauernde Friedens-regelung so erfolgreich beendet, daß der Initiatordieses Erfolgs, der serbische Vizepremier Neboj�aČović, für weitere Aktionen dieser Art herangezogenwurde. Sein Plan einer friedlichen Integration von

Problemstellung und Empfehlungen

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

6

Albanern, sein Verhandlungskonzept einer Verbin-dung von diplomatischer Geduld, interethnischerToleranz und militärischer Zurückhaltung und seinAnfangserfolg in einer kleinen Region sind zumindestdrei Novitäten, die auch festgefahrene Situation ingrößeren Räumen »aufbrechen« könnten.

Neuerdings ist Serbien in die internationale Ge-meinschaft zurückgekehrt, als Stabilitätsfaktor in Süd-osteuropa anerkannt, und diese neue Wertschätzungerschwert den Kosovo-Albanern die Erreichung ihresZiels einer souveränen »Republik Kosova«. Den Ver-fechtern dieser Option wurden mehr und mehrpolitische und finanzielle Unterstützung sowie über-haupt internationale Aufmerksamkeit entzogen, wassie zu wachsender Radikalisierung veranlaßte. Mitdem Fortfall des einstigen Hauptgegners brachen imKosovo inneralbanische Konflikte und Rivalitäten auf,die in den vordemokratischen Clan-Strukturenwuchern konnten und nur durch neue Frontstellun-gen temporär zu überdecken waren.

Dieser Gewalt-Automatismus ließ sich seit demHerbst 2000 im südserbischen Pre�evo-Tal exemplifi-zieren, und den Vorgängen dort gilt die nachfolgendeDarstellung. Was als neuer Brandherd begann, endetemit regionaler Befriedung � und zwar unter so ermu-tigenden Auspizien, daß sich plötzlich das langegesuchte, nie gefundene Modell für eine Zukunft desKosovo zu zeigen schien. Dieses Modell sollte, und dasist die Empfehlung der vorliegenden Studie, untervielerlei Aspekten beachtet und aufgegriffen werden:Es ist eine genuin regionale Initiative (an der die inter-nationale Gemeinschaft nur mittelbar beteiligt war);es präsentiert sich als ein in Strategie (Befriedung undIntegration der Albaner), Taktik (wenige unverhandel-bare Essentials, großer Spielraum für weitgehendeAbmachungen) und Implementierung (Phasen- undZeitplan) optimal vorbereitetes Konzept; es erscheintals Lehrstück einer Gesprächsdiplomatie, die von Geg-nererkennung rasch zur regionalen Sicherheitspart-nerschaft fortschreitet; und es wirkt wie eine erprobteLösung von Problemen, die anderswo ähnlich beste-hen und in ähnlicher Weise gemeistert werdenkönnen. Im Herbst 2001 wird im Kosovo gewählt. Bisdahin könnte das Čović-Modell vermutlich auch inMakedonien eine weitere Tauglichkeitsprüfungbestanden haben und sich somit ebenso für eineAnwendung im Kosovo empfehlen.

Akteure und Anfänge eines Konflikts

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

7

Akteure und Anfänge eines Konflikts

Die Kosovo-Albaner, 1999/2000 noch Opfer derMilo�ević-Diktatur und Schutzbefohlene der inter-nationalen Gemeinschaft,1 gerieten spätestens seitAnfang 2001 in die Gefahr, durch die Verfolgung irre-dentistischer Absichten und Inszenierung terroristi-scher Übergriffe die gesamte europäische Sicherheits-architektur (seit Helsinki 1975) in Frage zu stellen undsich den um balkanische Befriedung bemühtenStaaten und Allianzen zu entfremden.2 Die albani-schen Terrorakte weiteten sich nicht nur auf interna-tional vereinbarte Sicherheitszonen in der Region aus3

� sie häuften und verschärften sich auch in demMaße, wie sich in der ganzen ehemaligen Konflikt-region die Anzeichen bevorstehender Friedenslösun-gen vermehrten.4 Und sie schienen in einer Weise»synchronisiert«, daß sie die internationale Aufmerk-samkeit von aktuellen Hauptbrennpunkten abzulen-ken vermochten.5

Motive, Akteure und Ziele dieser Aktionen warenweitgehend unklar. Klar scheint nur zu sein, daß essich nicht um Kämpfe für Menschen- und Minderheits-rechte handelte, auch nicht für das oft beschworeneGroß-Albanien. Vorstellbar ist eher eine konzertiert mili-tante Aktion zur Schaffung eines Groß-Kosovo in Gestalteiner Militärdiktatur der Befreiungsarmee des Kosovo(UÇK) und der von ihr etablierten politisch-krimi-nellen Strukturen über ein ethnisch gesäubertes und»vereinigtes« Territorium, bestehend aus dem Kosovo(albanisch Kosova), Südost-Montenegro (Maljsija), Süd-Serbien (Dardanija), West-Makedonien (Ilirida) undNord-Griechenland und bewohnt von knapp dreiMillionen Albanern.6 Sollte das ein »real existierender«

1 Detailliert dazu Matthias Küntzel, Der Weg in den Krieg �Deutschland, die Nato und das Kosovo, Berlin 2000.2 Ljiljana Smajović, Kosmet � Re�avanje nere�ivog [Kosmet �Lösung des Ungelösten], in: NIN, 19.10.2000, S. 23; Kosmet istdie Abkürzung von Kosovo Metohija, der offiziellen serbischenBezeichnung für das Kosovo.3 Renate Flottau, Die Spur der Roten Adler, in: Der Spiegel,(2000) 49, S. 222�224.4 Ulrich Ladurner, Die Extremisten, in: Die Zeit, 30.11.2000,S. 14.5 Ljubi�a Popović, Kosovska Mitrovica � Bejrut na Ibru [Kosov-ska Mitrovica � Beirut am Ibar], in: NIN, 8.2.2001, S. 19.6 �ta hoće Albanci � Mapa, pa teritorija [Was die Albanerwollen � Die Landkarte und das Territorium], in: Reporter,

Plan sein, dann sind die ihm entgegenstehenden Bar-rieren unverkennbar, die in dem hohen Integrations-grad der Albaner in Montenegro und Makedonien, inihrer ethnischen Entfremdung vom »Muttervolk«(Griechenland) und in ihrer gerade beginnenden Auf-wertung in Serbien begründet liegen. Andererseitsgibt es seit wenigen Jahren ein »Manifest« der Albani-schen Akademie der Wissenschaften mit detailliertenAnweisungen für die Albaner außerhalb Albaniens,welche Forderungen sie stellen und welche Aktionensie starten sollten, um ihre »Befreiung« zu erlangen.7

Rückhalt der allgemeinen Friedensbemühungenund -hoffnungen war ein von der neuen serbischenFührung erarbeiteter Plan für eine Befriedung dessüdserbischen Pre�evo-Tals (mit möglichen vertrauens-und friedensstiftenden Auswirkungen über dieses Talhinaus), den albanische Extremisten ablehnten, dieinternationale Gemeinschaft aber begrüßte.8 Siewürdigte die gewissermaßen konstruktive Simplizitätdes Plans, die ihn auch für weitere Konflikte anwend-bar erscheinen ließ: Frieden basiert auf wiedererlang-tem Vertrauen, Vertrauen entsteht durch Nähe, Nähebedeutet konkret die Rückkehr von Flüchtlingen, undfür diese Rückkehr müssen Sicherheit und ökonomi-sche Perspektiven vor Ort garantiert sein � alles Ele-mente, die der Plan enthielt und nach dem Urteil vonRuud Lubbers, ehedem Premier der Niederlande undheute UN-Flüchtlingskommissar, auch implementier-te.9 Vorrangig zielte der Plan auf eine Normalisierungder gespannten Lage in der Region, die eine Boden-Sicherheitszone gemäß dem Militärisch-Technischen Abkom-men von Kumanovo war (am 9. Juni 1999 zwischen NATOund Jugoslawischer Armee [VJ] vereinbart).

27.2.2001, S. 29�32.7 Filip Tesař, Albánská otázka z albánského úhlu pohledu [Diealbanische Frage aus albanischem Blickwinkel], in: Meziná-rodní vztahy (Prag), (2001) 2, S. 107�110; für den Autor, einenangesehenen tschechischen Balkanologen, ist dieses »Mani-fest« ein »politisches Pamphlet« und »Pendant des berüchtig-ten Memorandums der Serbischen Akademie« von 1986.8 Georgi Koritarov, Zadava li se »Černa prolet za Ju�naSărbija? [Braut sich ein »schwarzer Frühling« in Süd-Serbienzusammen?], 13.2.2001, http://www.mediapoolbg.com.9 �. Matić, Model sa juga Srbije primeniti na druga �ari�ta[Den Plan von Süd-Serbien auf andere Brennpunkte anwen-den], in: Politika, 10.6.2001, S. 7.

Akteure und Anfänge eines Konflikts

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

8

Serbien, zwischen März und Juni 1999 Ziel von38 000 Bomberflügen der NATO und entsprechend zer-stört,10 erfreut sich seit Monaten eines derart demon-strativen internationalen Wohlwollens, daß es sicherlauben konnte, in allen Zentren der euroatlanti-schen Partner die konsequente und umfassende Beach-tung der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1244 anzu-mahnen, die das Kosovo entgegen albanischen Sezes-sions- und Souveränitätswünschen als »integralenBestandteil« der Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ)bezeichnet und behandelt.11 Die internationale Er-leichterung darüber, in Belgrad statt des war-lordsMilo�ević zuverlässige und kooperative Partner vor-zufinden, ging so weit, daß man die (abnehmende)serbische Weigerung, Milo�ević ans Haager Kriegsver-brecher-Tribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) auszuliefern,12

zwar nicht gerade goutierte, sie aber kompromiß-bereit behandelte.13 Die internationale Gemeinschafträumte ein, daß mit dem Sturz Milo�evićs keine»unmittelbare Gefahr« im Kosovo mehr bestünde.Daher konnte auch die KFOR auf 42 000 Mann redu-ziert werden. Das eigentliche Kosovo-Problem, dieUnvereinbarkeit des serbischen Standpunkts (Autono-mie) mit dem albanischen (Souveränität), war imGrunde schwieriger geworden: Da sich für eine koso-varische Souveränität auch international keineZustimmung findet, mußte man Serben und Albaneran den Verhandlungstisch bringen14 � was bei letzte-ren ausgeschlossen scheint. Gerade liberale Albanerwie Veton Surroi verwiesen darauf, »daß das Strebennach Unabhängigkeit für die Albaner unumkehrbarist, egal, welche Schritte die internationale Gemein-schaft unternimmt«.15 Für die französische Balkan-Expertin Florence Hartmann war absehbar, daß dieterritorialen Grenzen dieses unabhängigen Kosovo

10 Vlade Zarić, Posledice NATO agresije i mogućnosti obnove[Die Folgen der NATO-Aggression und die Möglichkeiten desWiederaufbaus], in: Ekonomska politika, 13.9.1999, S. 20�21.11 Wortlaut der Resolution in: Erich Reiter (Hg.), Der Kriegum das Kosovo 1998/99, Mainz 2000, S. 222�228.12 Milo� Vasić, Stezanje obruča [Blockade der Reifen], in:Vreme, 1.3.2001, S. 11�16.13 Dragana Matović, Jedan optu�nik a dva gospodara [EinAngeklagter und zwei Herren], in: Reporter (Banja Luka),(27.12.2000) 140�142; Vanja Mekterović/Veliborka Staletović,Milo�ević na pijaci [Milo�ević auf dem Markt], in: Reporter,(20.2.2001) 148.14 Klaus Reinhard, Lehren aus dem Kosovo � Militärische undpolitische Herausforderungen, in: Internationale Politik,(2001) 3, S. 32�36.15 Veton Surroi, Das Experiment Kosovo. Ehrgeizige Ziele �Unrealistische Erwartungen, in: Internationale Politik, (2001)3, S. 27�31.

noch nicht feststanden, vielmehr nach dem Vorbild deraggressiven Methoden des Slobodan Milo�ević vonalbanischen Extremisten ausgeweitet werden sollten.16

Das bedingt momentan ausufernde Kampfhandlun-gen, die aber nicht zu dem von Albanern gewünschtenEnde führen werden, denn »mit Milo�ević ist der offi-zielle Legitimationsgrund für die Forderung nach derUnabhängigkeit Kosovos geschwunden«. So befand diedeutsche Südosteuropa-Spezialistin Marie-Janine Calic,die die neuerlichen Gewaltakte kausal mit dem Ab-gang Milo�evićs verknüpfte:

»In gewisser Weise hat die neue Lage in Serbien zueiner teilweisen Radikalisierung unter den kosovari-schen Kräften geführt. [...] Es geht darum, die albani-sche Frage weiter auf der internationalen Tagesord-nung zu halten und die Option serbisch-albanischerKoexistenz in einem gemeinsamen Staat zu verhin-dern � dies obwohl, oder vielleicht gerade weil dieneue Führung in Belgrad einen grundsätzlich neuenAnsatz gegenüber der albanischen Minderheit ver-folgt. Die jugoslawische Seite hielt sich mit militäri-schen Reaktionen bislang zurück und hat dafür dasLob der Staatengemeinschaft geerntet. [...] Die alba-nische Guerilla und ihre politischen Vertreter habenden Plan umgehend zurückgewiesen. Sie haben keinInteresse an einem Ausgleich«.17

Gewandelte Serben, radikalisierte Albaner, dazwi-schen die internationale Gemeinschaft. Am bestenhaben sich die Serben in diesem Dreieck eingerichtet.Alle positiven Entwicklungen nach dem Sturz Milo�e-vićs haben bei ihnen und anderen Hauptbeteiligten zueiner unverkennbaren, gewissermaßen »deresignati-ven« Wiederaufwertung des Kosovo-Problems geführt:! Die Serben hatten das Kosovo im Grunde längst auf-

gegeben, ökonomisch schon in den 80er Jahren (alssie ihre Investitionen drastisch verminderten),18

demographisch in den mittleren 90ern (als siekaum einen Flüchtling aus Kroatien oder Bosniendort ansiedelten)19 und politisch mit dem Auf-

16 Florence Hartmann, La prochaine guerre de MonsieurMilosevic, in: Politique Internationale, (Frühjahr 2000) 87,S. 81�93.17 Marie-Janine Calic, Nach dem Machtwechsel in Jugo-slawien � Gedämpft optimistische Aussichten für die Zu-kunft, in: Internationale Politik, (2001) 3, S. 21�26.18 Besim Abazi, Koliko ko�ta Kosovo [Wieviel das Kosovokostet], in: Vreme, 25.11.1995, S. 25; Branka Kaljević, Kosovskaekonomija � mit i beda [Kosovo-Ökonomie � Mythos undElend], in: Vreme, 23.5.1998, S. 28�29.19 Perica Vučinić/Dragoslav Grujić, Srbija cela, Kosovo iz dvadela [Serbien ganz, Kosovo zweigeteilt], in: Vreme, 1.5.1995,S. 8�10.

Akteure und Anfänge eines Konflikts

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

9

tauchen der UÇK 1997.20 Der Rest waren nationali-stische Erklärungen von Politikern wie Vojislav�e�elj (Radikale),21 Mira Marković (JUL)22 und ande-ren, »patriotische« Meetings, populistische Phrasen,die das »heilige« Kosovo als »Wiege des Serbentum«beschworen etc. Das alles konnte, je länger je weni-ger, darüber hinwegtäuschen, daß das Regime amKosovo kein Interesse, die Kosovo-Serben kein Ver-trauen zu Milo�ević mehr hatten.23 Jetzt scheinenimmer mehr Serben zu spüren, daß eine resignativeEinstellung zum Kosovo nicht nötig ist, daß es viel-mehr eine längerfristige Möglichkeit gibt, die Re-gion friedlich in den eigenen Staat zu reintegrieren� in einer Weise, die auch noch zu positiver Pro-filierung in der internationalen Gemeinschaftverhilft.

! Auf westlicher Seite muß man nicht mehr fragen,»warum etliche internationale Stimmen auf einmaldie Schwierigkeiten des internationalen Protekto-rats im Kosovo überwinden wollen, indem sie denAlbanern die klare Aussicht auf Unabhängigkeitgeben«. Weil die noch vor kurzem resignativ ver-drängte Regel � »Jede Kosovo-Regelung, die keineRegelung für die ganze Region ist, wird nicht vonDauer sein«24 � eine realistische Lagebeschreibungund eine realisierbare Friedenslösung für den Zen-tralbalkan enthält.

20 Dejan Anastasijević, Sahrana svake nade [Begräbnis jederHoffnung], in: Vreme, 4.12.1997, S. 6�7.21 Vojislav �e�elj, Razaranja sprskog nacionalnog bića [Zerstö-rungen des serbischen nationalen Wesens], Belgrad 1992,S. 43ff.22 Mira Marković, Odgovor [Antwort], Belgrad 1993, S. 79, 182,199, 217.23 Otac Sava (Interview): Gluve u�i Beograda [Die taubenOhren Belgrads], in: Vreme, 27.2.1999, S. 10�11.24 Hier wurde zweimal Dr. Bernhard Küppers, SZ-Korrespon-dent in Belgrad, zitiert; vgl. Podiumsgespräch: Zukunft einerKonfliktregion, in: Südosteuropa Mitteilungen, (2000) 3,S. 235�265 (242).

Balkanische Ängste, serbische Anfangserfolge

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

10

Balkanische Ängste, serbische Anfangserfolge

Spürbar war seit Ende Januar 2001 bei allen Beteilig-ten � am wenigsten bei den Pre�evo-Albanern, ammeisten bei den Serben, hier und da sogar bei derinternationalen Gemeinschaft25 � die Befürchtung, zuBeginn des Frühjahrs könne es zu einer »Offensive«der UÇPMB kommen. Serbische Publizisten wieTomislav Kresović26 warteten gar schon mit erschrek-kenden Details auf: Vom 20. März bis zum 10. Aprilkönnte diese Offensive vorgetragen werden, an der»5 bis 6000 Terroristen« beteiligt wären, die »in dreibis vier Stoßrichtungen« aus dem Kosovo (Raum Kosov-ska Mitrovica � Gnjiljane) und aus Nord-Makedonien(Kumanovo) in das Pre�evo-Tal vorrückten.27 Das er-schien ursprünglich wenig realistisch: Der genanntekosovarische Raum liegt im amerikanischen Sektor,und dort hatte man die Grenzsicherung verstärkt, seitUS-Botschafter William Montgomery bei einem Besuchdes Pre�evo-Tals beschossen worden war.28

Es gab keine »Frühjahrs-Offensive«. Für die direktenund weiteren Nachbarn der Krisenregion war daskeine Erleichterung. Kroatien weiß beispielsweise ausleidvollen Erfahrungen, daß Konflikte im Kosovohöchst nachteilige Folgen für den kroatischen Adria-Tourismus haben,29 zumal dieser seit Jahren ums öko-nomische Überleben kämpft.30 In Rumänien sah man

25 Adelheid Feilcke-Tiemann, Das Bermuda-Dreieck des Balkan,Deutsche Welle Kommentar, 7.2.2001.26 Zu dem Pre�evo-Problem insgesamt vertritt der »Geopoli-tiker« Kresović die Ansicht, daß Serbien das »Recht« zu einermassiven Militäraktion in der Region habe und dieses auchkonzediert bekäme, wenn UN und KFOR einsähen, daß einesolche Aktion auch in ihrem Interesse läge und zur Stabilisie-rung des Balkans beitrüge; vgl. die Umfrage unter Prominen-ten in: Nedeljni Telegraf, 21.2.2001, S. 4.27 Radovan Kovačević, Kriza na jugu Srbije � Najava prolećneofanzive �iptarskih terorista [Krise im Süden Serbiens � An-kündigung der Frühjahrs-Offensive albanischer Terroristen],in: Politika, 27.1.2001, S. 7.28 Vgl. das Interview mit ihm, in: NIN, 15.2.2001, S. 17�18;zu den Schüssen sagte der Botschafter: »Was immer da vor-gefallen ist, es kam eindeutig aus dem Dorf Lučane, welchesdie UÇPMB kontrolliert«.29 Stjepo Martinović, Hrvatska treba ponuditi rje�enje alban-sko-srpskog sukoba [Kroatien soll eine Lösung für den alba-nisch-serbischen Konflikt bieten], in: Vjesnik, 9.2.2001, S. 8.30 Hrvoje Prnjak, Turistička pokuda 2001 [Touristische Klage2001 <Spiel mit dem Wort ponuda � Angebot>], in: Feral

die Situation in größeren Zusammenhängen, nämlichdaß »albanische Separatisten« im Pre�evo-Tal »eineneue Eskalation der Gewalt in Jugoslawien« vorantrei-ben, wobei die internationale Gemeinschaft zwarBelgrader Friedensinitiativen unterstützt, aber weiternichts unternimmt: Die US-Republikaner »teilen über-haupt nicht den Enthusiasmus der Demokraten fürdie Albaner-Führer«, der EU »fehlt ziemlich die Ein-mütigkeit in dieser Sache«, und die NATO möchtenicht »ihre Erfahrung vom Frühjahr 1999 wiederho-len«.31 In Slowenien machte man sich über die NATO-Führungsmacht USA rundheraus lustig: Es müßtenerst US-Soldaten getötet werden, bevor die USA militä-risch aktiv würden � solange es keine US-Opfer gäbe,sähen die USA keinen Anlaß zum Handeln, ja nichteinmal einen zum Verbleib in Krisenregionen wie demKosovo.32 Andere, aber kaum freundlichere Empfin-dungen hegten auch die anderen Balkan-Länder �Albanien, Bulgarien, Bosnien, Makedonien, Jugosla-wien, Griechenland, Rumänien, Türkei �, deren Staats-chefs sich am 23. Februar 2001 in Skopje trafen, umvorrangig die Pre�evo-Krise zu beraten, daneben auchFragen multi- und bilateraler Kooperation, wobeioffenkundig gemeinsame Ängste alte Streithähne(Griechenland � Makedonien bzw. Griechenland �Türkei) einander deutlich näherbrachten.33 DiePre�evo-Krise schien kurz zuvor durch zwei Anschläge� am 16. Februar auf einen Bus bei Podujevo (10 Tote,43 Verletzte) und am 18. Februar auf drei Polizistenbei Bujanovac � zu eskalieren. Solche Ereignisse, imKontext der gesamten Krise, weckten bei den Men-schen Furcht: In einer bulgarischen Meinungsumfragebejahten 70,9% die Behauptung, daß es wieder zueinem »Jugokonflikt« kommen werde, 29,1 verneinten.Genau umgekehrt war die Reaktion auf die zweiteFrage, ob »wir unsere Truppen nach Makedonienschicken sollen«: Nein 77,7%, Ja 28,3.34 Vor einer Aus-

Tribune, 24.2.2001, S. 21.31 Cristian Campeanu, Spre un război în Serbia? [Vor einemKrieg in Serbien?], in: România liberă, 10.2.2001.32 Kommentar in: Delo, 9.3.2001, S. 1.33 Ju�na Sărbija �te băde prioritetna tema na sre�tata vSkopie [Süd-Serbien wird das Hauptthema des Treffens inSkopje sein], in: http://www.mediapoolbg.com, 12.2.2001.34 Graphik der Umfrage in: Monitor (Sofia), 8.3.2001.

Balkanische Ängste, serbische Anfangserfolge

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

11

weitung des albanischen Terrorismus warnte BRJ-Präsident Ko�tunica in Skopje und fügte hinzu, daßdie Aktionen der Albaner den Auftrag von UNMIK undKFOR im Kosovo diskreditierten und das gesamte Frie-denskonzept der internationalen Gemeinschaft be-drohten. Dieser Ansicht schlossen sich nicht nur dieanwesenden Staatschefs an, sondern mehr oderminder auch die Repräsentanten der internationalenGemeinschaft (Ch. Patton, B. Hombach).35

Neben diesen allbalkanischen Aktivitäten betriebBelgrad noch eine Debatte mit der NATO um Ausmaßund Notwendigkeit der Sicherheitszone im Pre�evo-Tal. Dabei näherten sich beider Positionen in demMaße an, in dem Belgrad »leiser« wurde � was esanfänglich nicht war. Ende Januar 2001 war der jugo-slawische Bundesinnenminister Zoran �ivković nochder Meinung, man brauche keine Erlaubnis der KFOR,wenn man in Pre�evo eine »Razzia« unternehmenwolle: Die Sicherheitszone sei zum Schutz der KFORvor serbischen Truppen eingerichtet worden, und wennjetzt dort albanische Terroristen ihr Unwesen trieben,dann sei das ein Mißbrauch der Zone, den Belgrad imallseitigen Interesse unterbinden müsse.36

Diese zwar nicht falsche, aber doch grobschlächtigeArgumentation fand natürlich keine Gegenliebe. Undsie war auch nicht zur Gänze die Position der Regie-rung, die sich davor hütete, der KFOR irgendeineZuständigkeit abzusprechen, vielmehr darauf setzte,in Kontakten mit NATO-Chef Robertson die Zusam-menarbeit zwischen NATO und VJ zu verbessern.37

Geschickter fingen es Vizepremier Neboj�a Čović undAußenminister Goran Svilanović an, als sie MitteFebruar der NATO ihre Friedenspläne vorstellten unddabei eine stufenweise Einengung und letztlich dieAbschaffung der Zone forderten.38

Dennoch mutete die Debatte gelegentlich etwasbizarr an: Die serbische Seite meinte, daß die Zone injedem Fall zu breit, im Grunde sogar überflüssig wäre,da mit dem Machtwechsel in Belgrad gewissermaßenihre Bestandsgrundlage geschwunden sei. Die NATOantwortete, daß sie zu Veränderungen der Zone bereitsei, jedoch nichts überstürzen wolle und erst in deneigenen Reihen einen Konsens bilden müsse. Indiesem Sinne fiel auch die Entscheidung der NATO am27. Februar 2001 aus: Zwar sei man entschlossen,»nicht zuzulassen, daß die Zone für weitere Gewalt

35 Bericht in: Blic, 24.2.2001.36 Interview �ivkovićs für: Deutsche Welle, 30.1.2001.37 Bericht in: Blic, 11.1.2001.38 Bericht in: Blic, 15.2.2001.

ausgenutzt würde«, auch sei das Treiben von »Extre-misten« in ihr »absolut inakzeptabel«, aber ihre Ver-kleinerung bzw. eine Rückkehr der VJ könne nur all-mählich und im Beisein von EU-Beobachtern gesche-hen.39 Das war natürlich nicht das, was Belgrad einge-fordert hatte, aber es war nach Ansicht ausländischerKommentatoren doch so etwas wie ein »Frontwechsel«der NATO zum »Feind von gestern«,40 eine »strongestmessage yet to ethnic Albanian extremists in Koso-vo«,41 eine Entscheidung gegen die »albanische Rebel-lentruppe« und eine Chance für die neue BelgraderFührung.42

Die NATO hatte zwei Bedingungen gestellt � Ver-trauensbildung samt Aufstellung einer albanisch-ser-bischen Polizei und Rückzug der serbischen Armeeund der schweren Waffen der Serben �, ohne aber diebewaffneten Albaner in der Sicherheitszone zu erwäh-nen, die der Anlaß für die serbischen Bemühungenum die Zone gewesen waren. Daraus schlossen demMilitär nahestehende Analytiker:

»Bei der Beratung unserer nächsten Schritte ist eswichtig, daß die Beschlüsse beider Regierungen [= BRJund Serbien, W.O.] und der zuständigen Ministeriender Tatsache Rechnung tragen, daß die NATO bzw. dieUSA die Bedingungen diktieren und daß sie entspre-chend ihren Interessen die Verkleinerung der Zoneoperationalisieren werden. Der Schlüssel liegt einfachin ihren Händen, und falls sie nicht den Zustrombewaffneter UÇK-Angehöriger aus dem Kosovo aufhal-ten, dann können wir � da wir ja auf den Gebrauchvon Gewalt verzichtet haben � hier nichts erreichen.[...] Ihnen ist endlich aufgegangen, daß sie im Kosovomit den Albanern ein Problem haben. Um nicht inirgendeine riskante Position zu gelangen und die Rolleeiner Besatzungstruppe im Kosovo zu übernehmen,weichen sie der ganzen Sache aus. Offenkundig hatdie NATO weder eine Idee noch die Absicht, die dorti-gen Probleme ernsthaft zu lösen, und darum spieltman auf Zeitgewinn. Und das Überschwappen desKonflikts nach Makedonien zeigt, daß die NATO lang-sam die Früchte ihrer inexistenten Strategie und Pläneerntet. Kurz: Im Kosovo haben sie ein Fiasko erlebt

39 Bericht in: Blic, 28.2.2001.40 Die Nato wechselt die Fronten, in: Süddeutsche Zeitung,1.3.2001.41 Stephen Castle, Nato to End Albanians� Buffer againstSerbs, in: The Independent, 28.2.2001.42 Damir Fras, Jugoslawien kann seine Friedfertigkeitbeweisen, in: Berliner Zeitung, 28.2.2001.

Balkanische Ängste, serbische Anfangserfolge

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

12

und mit ihrem Verhalten dem Eindringen der UÇKnach Süd-Serbien und Makedonien Raum gegeben«.43

Die immer deutlichere Gefährdung Makedonienshatte gewiß die Entscheidung der NATO vom 8. März2001 beschleunigt, die VJ wieder »in einen engenRaum nahe der Grenze zur E[hemaligen] J[ugoslawi-schen] R[epublik] Makedonien« einrücken zu lassen alsersten Schritt einer »phasenweisen und konditionier-ten Verkleinerung der Boden-Sicherheitszone«, der »inweitere festgelegte Sektoren der Zone baldigst fort-zusetzen ist«.44 Das gefiel westlichen Kommenta-toren,45 aber in Belgrad war damit allein Neboj�aČović vollauf zufrieden:

»Ich halte das für einen guten, maßvollen Ent-schluß, aber wir müssen uns mit Geduld wappnen, bisweitere Schritte folgen. Man kann Krisen schließlichviel effektiver mit politischen Mitteln als mit Zusam-menstößen lösen. Arbeiten wir also zusammen undschaffen den Leuten hier ein normales Leben, wobeiuns die internationale Gemeinschaft hilft«.46

Eine andere Sichtweise ließ Momčilo Peri�ić erken-nen, Vizepremier der serbischen Regierung und alsehemaliger Generalstabschef der VJ, von Milo�evićentlassen, dazu auch befähigt: Wenn die internationa-le Gemeinschaft der VJ die Rückkehr in die Sicher-heitszone erlaubt, dann räumt sie damit ein, daß sie»machtlos ist, selber die Aktivitäten der albanischenTerroristen wirkungsvoll zu verhindern«; wenn der VJschwere Waffen verboten sind, die KFOR aber solcheWaffen hat, dann wird die KFOR der VJ im Bedarfsfallzu Hilfe kommen müssen. Wenn also »die Absichtender internationalen Gemeinschaft aufrichtig sind«,dann wird sich aus dem jüngsten Beschluß eine gutemilitärische Kooperation mit positiven politischenFolgen ergeben � sollten hingegen »unehrliche Absich-ten« im Spiel sein, dann werden sich die Konfliktezuspitzen, und eine solche Eskalation kann niemandwollen.47

43 Miroslav Had�ić, Kluč u rukama NATO [Der Schlüssel inden Händen der NATO], in: Medija Centar Beograd � Anali-tički servis, 2.3.2001 (www.mediacenter.org.yu).44 Berichte in: Danas und Blic vom 9.3.2001.45 Martin Bohne, Auch ein Zugeständnis an Belgrad, SWR,9.3.2001; Elias Bierdel, Balkanisierung des Balkans, ARD,9.3.2001.46 RTS, 8.3.2001.47 Momčilo Peri�ić, Priznanje nemoci međunarodne zajed-nice [Eingeständnis der Ohnmacht der internationalenGemeinschaft], in: Medija Centar Beograd � Analitički servis,12.3.2001.

Der Čović-Vorschlag

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

13

Der Čović-Vorschlag

Nach serbischen Meinungsumfragen, Mitte Dezember2000 vom Zentrum für die Erforschung von Alternativendurchgeführt, waren 30% der Serben für eine »ent-schlossene Aktion unserer Streitkräfte« im Pre�evo-Tal,45% aber für eine »diplomatische Lösung« und Ver-handlungen in Kooperation mit KFOR.48 Die Mehrheitwar eindeutig kriegsmüde, und bei den anderen warimmer noch zu fragen, ob die von ihnen favorisierte»entschlossene Aktion« etwa ohne oder gar gegen dieKFOR starten sollte. Die entscheidendere Frage abermußte lauten, inwieweit die Serben das Verderblicheder Kosovo-Politik des Slobodan Milo�ević49 begriffenhatten, um aus diesem Verständnis heraus für eineradikal neue Kosovo-Politik einzustehen, wie sie vonVizepremier Neboj�a Čović initiiert wurde.

Čović, Jahrgang 1958 und promovierter Techniker,war lange Jahre erfolgreicher Funktionär von Milo�e-vićs Sozialisten (SPS), für die er 1994�1997 als Oberbür-germeister Belgrads amtierte.50 1997 wurde er aus derSPS ausgeschlossen, worauf er die Demokratische Alter-native (DA) gründete und an deren Spitze zum schärf-sten und intelligentesten Kritiker der Macht- undKriegspolitik Milo�evićs wurde.51 Mit der DA reüssierteČović auch in der Demokratischen Opposition Serbiens(DOS). In der DOS-Regierung, die am 22. Januar 2001nominiert wurde, ist er als Vizepremier eigentlich fürWirtschaft und Finanzen zuständig,52 hat sich aberseit Jahresbeginn 2001 in erster Linie als Leiter desKoordinationsausschusses der Bundes- und Republik-Regierungfür Süd-Serbien (Koordinaciono telo vlada Srbije i SRJ zajug Srbije) einen national und international respek-tierten Namen gemacht.

Im Grunde war die Öffentlichkeit über die Grund-lagen des Čović-Plans bereits informiert, bevor dieser

48 Ljubica Gojgić, Bujanovac � Mir na ni�anu [Bujanovac �Frieden am Seidenfaden], in: NIN, 8.2.2001, S. 20�22 (20).49 Vgl. dazu Wolfgang Petritsch et al., Kosovo � Kosova.Mythen, Daten, Fakten, Klagenfurt/Wien/Ljubljana/Tuzla/Sarajevo 1999, S. 154ff.50 Milivoje Gli�ić, Podr�ano uzdr�anje � Razvojni put drNeboj�e Čovića od Dedinja do Bujanovca [DurchgehalteneZurückhaltung � Der Entwicklungsweg von Dr. N. Č. vonDedinje nach Bujanovac], in: NIN, 29.3.2001, S. 22.51 Vgl. das Interview mit ihm, in: Vreme, 17.7.1999, S. 12�13.52 Vgl. die Biographien der Kabinettsmitglieder in: Vreme,25.1.2001, S. 16�18

im Detail ausformuliert war. Bereits Ende Januar hatteČović bei einem Bürgerforum in Bujanovac die »Inte-gration« als den Kernpunkt seines Konzepts ausgege-ben, das er zu gegebener Zeit auch auf das Kosovoangewendet sehen wollte. Am 2. Februar 2001 wurdeČović sehr viel deutlicher; als er in Belgrad ein Semi-nar über Multiethnizität und Multikulturalität eröff-nete, das vor heimischen und internationalen Reprä-sentanten (OSZE u.a.) die Planungen Belgrads für eineradikal neue Minderheiten-Politik vorstellte,53 erläu-terte er, wie die ersten Schritte im Umgang mit denAlbanern aussehen müßten:

»Wir wollen ein Ende der gewaltsamen Aktionen,Verhandlungen mit den ethnischen Albanern � aufjede Weise, direkt oder über internationale Vermitt-ler �, sie überzeugen, daß das Beharren auf Terror dieschlechteste Wahl und Selbstisolierung die schlechte-ste Politik sind, ihnen deutlich machen, daß die Bil-dung rein albanischer Territorien als Staat im Staateweder möglich noch statthaft ist. Zudem müssen wirgemeinsam mit der internationalen Gemeinschaftdurch große Investitionen Pre�evo und Bujanovac zulebenswerten Orten machen. Natürlich währt unsereZurückhaltung nicht ewig, wie auch ein ungesundespolitisches Klima nicht von Dauer sein darf«.54

In DOS-Kreisen dürften damals gute Absichten,halbfertige Planungen, überzogene Forderungen undübereilte Personalveränderungen kühn durcheinan-dergegangen sein: Kaum vier Monate nach dem SturzMilo�evićs wurde so argumentiert, als sei Serbien allerLasten der Vergangenheit ledig und könne mit allemRecht letzte offene Fragen bei vollem Rückhalt derinternationalen Gemeinschaft klären. Čović hat indieser Zeit immer wieder vor Eile und Übereifergewarnt und sich relativ viel Zeit gelassen, bis er dengesamten Plan vorlegte. Dabei dürften ihn unter ande-rem zwei Überlegungen (mit)geleitet haben, einesemantische und eine empirische:! In ex-jugoslawischen Medien, serbischen zumal,

kann man buchstäblich mit einem Blick erkennen,

53 Zoran Lutovac, Nova manjinska politika? [Neue Minderhei-ten-Politik?], in: Medija Centar Beograd � Analitički servis,6.2.2001.54 RTS, 3.2.2001.

Der Čović-Vorschlag

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

14

wes Geistes Kind Sprecher oder Autor sind, nämlicham Gebrauch von Ethnonymika. Seit den frühen90er Jahren hat es sich bei gewissen Medien einge-bürgert, gezielt solche der pejorativen Art zu ver-wenden � dann heißen Kroaten eben Usta�e, SerbenČetnici, Bosnier Balije, Albaner �iptari etc. Was wieeine slawisch-phonetische Wiedergabe des Original-namens Shqiptar anmutet, ist tatsächlich so abwer-tend konnotiert wie im Deutschen etwa Polack,Rußki etc. Eine solche Klippe grundsätzlich zumeiden, verstand sich für Čović von selber, wie er(den die Milo�ević-Polizei als »serbischen Terrori-sten« in ihren Dossiers führte) auch nur höchstselten von Terroristen sprach und zum Beispiel dieUÇPMB vorzugsweise Extremisten nannte (gelegent-lich mit dem Zusatz: »die sich mit terroristischenAkten befassen«). Seine Begründung war einleuch-tend: Mit Extremisten kann man einen Dialog führen� mit Terroristen nicht! Kurz gesagt: Der Čović-Plansollte schon vom sprachlichen Zuschnitt her unta-delig sein, und das benötigte Zeit in einer Umge-bung, die sich seit langem an andere Sprachkonven-tionen gewöhnt hatte.55

! Es war schwer genug, nach zehn und mehr JahrenMilo�ević-Diktatur einen Plan zu initiieren, dessenGrundlagen Integration (von Albanern in serbischeInstitutionen), Demilitarisierung und sozioökonomischeRevitalisierung (des Pre�evo-Tals) lauteten. Nochschwerer dürfte die dahinterstehende Absicht zurealisieren sein, nämlich Vertrauensbildung durchDialog zu schaffen. Nichts anderes tat Neboj�a Čović,als er sich am 30. Januar 2001 in Pre�evo mit loka-len Kommunalpolitikern traf und ihre Klagen hörte� daß unter fünf Richtern nur ein Albaner sei, daßalle Schul- und Krankenhausdirektoren Serbenseien, daß man erst seit wenigen Wochen ein Lokal-radio in albanischer Sprache habe, daß früherunter dem Vorwand einer Bekämpfung des »Terro-rismus« Telefonleitungen der Albaner gekappt undihnen alle Waffen fortgenommen wurden, so daßsie sich seither nicht einmal mehr der streunendenHunde erwehren könnten. Čović hörte sich dieseund gewichtigere Klagen an, versprach Korrekturenund wendete sich an beide Seiten: »Den Serben rieter, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondernzu begreifen, daß die Zeit der Veränderungen undder Konfrontation mit der Verantwortung gekom-

55 RTS strahlte am 9. Februar 2001 eine anderthalbstündigeCall-in-Sendung mit Čović aus, in der er seinen Plan unddessen Wortwahl sehr ausführlich erläuterte.

men sei. Die Albaner rief er auf, sich in das politi-sche Leben zu integrieren, und er kündigte an, daßihre Repräsentanten in entsprechende Ministerieneingegliedert würden«.56

Bei dieser Versammlung in Pre�evo gab Čović auchzu verstehen, was er von Serben und Albanernverlangte, nämlich wechselseitige Aufrichtigkeit, Loya-lität gegenüber dem gemeinsamen Staat und alba-nischen Verzicht auf alle Vorstellungen eines Sonder-status und von Grenzänderungen.

Wie kann Integration von Albanern in serbischeStrukturen aussehen, wie rasch kann sie vollzogenwerden? Als zu Jahresbeginn 2001 erste Vorhaben desČović-Plans bekannt wurden, waren diese mit konkre-ten Angeboten verknüpft, beispielsweise dem, umge-hend Dienst bei der Polizei des Pre�evo-Tals aufzu-nehmen. Dafür meldeten sich fünf, sechs Albaner. Vielmehr hätten sich auch kaum melden können, dennfür den Polizeidienst ist der Besuch einer Fachschulenötig, und die gibt es im Pre�evo-Tal nicht.

So (oder ähnlich) sah die Realität aus, die man auchmit den besten Intentionen nicht augenblicklich posi-tiv verändern konnte. Das hat kaum jemand besserverstanden als Neboj�a Čović, der dann auch sehr dar-auf sah, daß von dem Plan nur das bekannt wurde,was seine Handschrift trug. So wurde im SerbischenFernsehen in seinem Beisein ein Teil des Plans ver-lesen, der eher auf die spätere Benennung Čović-Plan57

verwies:»Die Vertragsteilnehmer stimmen darin überein,

daß die Krisenlösung das Endziel ist:(A) Die Wiederherstellung der verfassungsgemäßenOrdnung und der Souveränität und territorialenIntegrität der Republik Serbien bzw. der Bundes-republik Jugoslawien auf diesem Teil ihres Terri-toriums und die Sicherstellung der absolut normalenArbeit der Staatsorgane, der Organe der lokalen Selbst-verwaltung und anderer Organe in dieser Region.(B) Die Wiederherstellung der individuellen undmateriellen Sicherheit aller Bürger [lična i imovinskabezbednost] und ihres uneingeschränkten Rechts, sichin allen Teilen der betreffenden Gemeinden frei zubewegen, was natürlich nur durch die völlige Beseiti-gung und Entwaffnung der Extremisten, die Wieder-herstellung von Sicherheit und Frieden in der Region

56 Olivija Ru�ovac, Probijanje leda [Brechen von Eis], in: Repu-blika, (16.�28.2.2001) 255.57 »Schon lange gab es bei uns nichts, das ein derart indivi-dualisiertes Siegel trug wie der Čović-Plan«, schrieb JovanĆirilov in seiner berühmten Kolumne Reč nedelje [Wort derWoche], in: NIN, 1.3.2001, S. 10.

Der Čović-Vorschlag

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

15

und die Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Wohnstät-ten zu gewährleisten ist.(C) Aufbau einer multiethnischen und multikonfessio-nellen Gesellschaft nach demokratischen Prinzipienunter Achtung aller Menschen-, Bürger- und Minder-heitsrechte und -freiheiten gemäß höchsten Stan-dards.(D) Beschleunigte ökonomische und soziale Belebungder gesamten Region unter internationaler Finanz-Beteiligung im Interesse aller Menschen, die dortleben«.58

Andere »Dokumentationen« des Čović-Plans, stolz als»exklusive« Erstveröffentlichung präsentiert,59 warenin Wirklichkeit wohl kaum mehr als Mitschriften vonČovićs improvisiertem idea-engineering auf dem er-wähnten Belgrader Seminar. Absolut neu waren diedarin enthaltenen Novitäten im Grunde nicht, eherschon Fortschreibungen des Kosovo-Programms, dasChristopher Hill, US-Botschafter in Makedonien, imJahre 1998 vorgelegt hatte und das später auch dieBasis der Rambouillet-Verhandlungen bildete, alsoeine akribische Ausführung des Grundgedankens, daßdie Befriedung einer multiethnischen Konfliktregionnur über nationale Repräsentanz (aller Volksgruppen)und ethnische Kontrolle (vom lokalen Polizeiposten bishinauf zum regionalen Parlament) zu erreichen sei.60

Ein zweites Moment aber war in der Tat völlig neuund sollte im endgültigen Plan ein noch größeresGewicht erhalten, nämlich die Aufgliederung desgesamten Befriedungsprozesses in einzelne Phasen,für die später noch exakte Termine vorgegebenwurden. Aber das waren bereits prozedurale Feinhei-ten, die das ursprüngliche »Gerüst« nur noch klarerkonturierten:61

Friedliche Krisenlösung unter Beteiligung derAlbaner und der internationalen Gemeinschaft

Phase 1:!Überzeugen der internationalen Gemeinschaft, der

Albaner und der heimischen und internationalen

58 RTS, 9.2.2001.59 Plan Neboj�e Čovića za re�avanje krize u pre�evskoj dolini[Der Plan N.Č. zur Krisenlösung im Pre�evo-Tal], in: Vreme,8.2.2001, S. 20�21.60 Marc Weller, The Rambouillet Conference on Kosovo, in:International Affairs, (1999) 2, S. 211�251; Jens Reuter et al.,Die Konferenz von Rambouillet und die Folgen, in: Südost-europa, (1999) 3�4, S. 147�155.61 Plan Neboj�e Čovića za re�avanje krize u pre�evskoj dolini[Der Plan N.Č. zur Krisenlösung im Pre�evo-Tal], in: Vreme,8.2.2001, S. 20�21.

Öffentlichkeit von der Bereitschaft, alle Problemefriedlich und mit politischen Mitteln zu lösen; Ein-wirken auf extremistische Albaner, ihre militantenPläne aufzugeben und ihr Recht mit den weltweitakzeptierten friedlichen Mitteln zu suchen. Errei-chen der intendierten Ziele innerhalb der RepublikSerbien, das heißt ohne Grenzänderung oder Einräu-mung eines Sonderstatus für Albaner.

!Integration von Albanern in das Staats- und Sozial-system: Anpassung der nationalen Struktur derBeschäftigten an die Nationalitätenstruktur derRegion, angemessene Beteiligung von Albanern inParlament und Regierung Serbiens.

!Vermeidung aller Formen von Menschenrechts-verletzungen sowie Kontrolle dieses Vorhabens.

!National gemischte Polizeipatrouillen.!Internationaler Druck auf albanische Extremisten,

von ihrem Streben nach Autonomie, Sonderstatusetc. abzulassen.

!Polizeischutz für alle Bürger der Region.!Demilitarisierung von Lučane und Veliki Trnovac als

Muster für die Demilitarisierung der ganzen Pre�evo-Region.

!Erarbeitung eines Plans zur sozioökonomischenWiederbelebung der Region und für die Rückkehrgeflüchteter Personen.Phase 2:

!International kontrollierte Demilitarisierung derRegion, die beginnen kann, sobald die erste Phaseeine gewisse Vertrauensbildung bei den Albanernbewirkt hat.Phase 3:

!Demokratische und ökonomisch prosperierende Ent-wicklung einer multiethnischen Gesellschaft unterAchtung aller Menschen- und Minderheitenrechte.Beteiligung der internationalen Gemeinschaft in Ge-stalt von OSZE, UNHCR, NATO, Beobachtern, NGOsetc. mit eigenen Vertretungen in Pre�evo, Bujanovacund Belgrad.

War das bereits ein Plan � oder eher das, was in nahezuallen osteuropäischen Sprachen mit dem Germanis-mus platforma umschrieben wird? Also eine Absichts-erklärung, ein etwas konkreterer Denkanstoß, ein Pro-gramm, ein Versuchsballon oder anderes? Was immerČović beabsichtigt haben mochte � er hat es erreicht:62

! Die drei Grundintentionen der Krisenlösung warenin offiziöser Weise in die Öffentlichkeit gebracht

62 Ljubica Gojgić, Bujanovac � Mir na ni�anu [Bujanovac �Frieden am Seidenfaden], in: NIN, 8.2.2001, S. 20�22.

Der Čović-Vorschlag

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

16

worden. Dasselbe galt für die Implementierung, dievorerst ohne fixierte Fristen und ohne Druck aufden albanischen Verhandlungspartner erfolgensollte.

! Čović selber hatte mögliche Opponenten in der DOSzum Schweigen gebracht und sich bei den Albanernhöchst vorteilhaft präsentiert, so daß sie ihn alsrealistischen Politiker und seine »Plattform« als aus-sichtsreichen Versuch zur Krisenlösung akzeptier-ten. Zumindest ihre liberalen Sprecher, BehlulNasufi von der Rechten Demokratischen Partei (PDD)und Shaip Kamberi vom Komitee für Menschenrechte(Bujanovac), äußerten sich in diesem Sinne undformulierten konkrete Forderungen für eine positi-ve Umsetzung von Čovićs Ideen: Anerkennung alba-nischer Diplome der Universitäten Pri�tina undTirana, Aufhebung der Fünf-Prozent-Klausel in Min-derheitskommunen, Gleichberechtigung der Spra-chen und Beschriftungen auf Ortsschildern etc.

! NATO und KFOR bezeichneten relativ früh dasUnterfangen als »konstruktiv und sensibel«. Ähn-lich äußerten sich kurz darauf EU und andere,zuletzt auch die neue US-Administration. Allerdingszogen die Amerikaner demonstrativ nach: Am21. Februar 2001 unterzeichneten BotschafterMontgomery, Čović, Minderheiten-Minister RasimLjajić und PDD-Vorsitzender Riza Halimi ein US-Hilfsprogramm im Gesamtwert von 205 000 Dollar,mit dem sechs notwendige Infrastrukturvorhabenfinanziert werden sollen.63

Am Ende blieb wenig mehr als die Einsicht, daß eskeine substantiellen Argumente gegen Čovićs Konzeptgab. Statt ihrer hörte man nur mißmutige Kritik, etwaaus dem serbischen Innenministerium, daß die Unter-stützung der internationalen Gemeinschaft kaummehr als eine Belohnung »für beispielhaftes Betragen«der neuen Machthaber in Belgrad wäre. Wirkliche Pro-bleme gab es allein unter den Albanern, bei denen dielokalen Liberalen überlegten, wie und ob sie die »ein-gesickerten« UÇPMB-Falken an den bevorstehendenGesprächen mit der serbischen Seite beteiligen sollten� womöglich noch als Wortführer, was die Chancenfür einen Erfolg von vornherein drastisch zu mindernversprach.64 Ohne die Radikalen war keine albanischeVerhandlungsdelegation zu formieren � mit ihnenwar kein Erfolg zu erzielen, da sie den Čović-Plan

63 Bericht in: Politika, 22.2.2001.64 Dragana Matović, Albancima tri nedelje (K)fore [<Ein Wort-spiel: »Den Albanern drei Wochen zur KFOR« oder: »Den Alba-nern drei Wochen zum Spielführer«], in: Reporter, 6.2.2001,S. 28�29.

umgehend abgelehnt hatten, noch bevor er überhauptvorlag: Man habe sich bereits 1992 in einem »Referen-dum« für eine Vereinigung mit dem Kosovo ausge-sprochen, und die sei jetzt »aktuell«, denn »es gibtkeine anderen Lösungen, die von Dauer wären«.65

Damit konnte Belgrad sehr gut leben. Wie PremierĐinđić am 9. Februar 2001 erklärte, können dieAlbaner den Plan »akzeptieren oder ablehnen«. Einedritte Möglichkeit, etwa die Berufung auf ein obskures»Referendum« von 1992, gibt es nicht: »ExtremeKräfte« sind aus dem Kosovo ins Pre�evo-Tal »eingesik-kert«, »destabilisieren die ganze Region und ziehenMakedonien in den Prozeß mit hinein«. Serbien weistmit seinem Plan einen Weg zur friedlichen Krisen-lösung und es hat dafür die Unterstützung der inter-nationalen Gemeinschaft � wenn manche Albaner ihnablehnen, wird sich die Differenzierung in »vernünf-tige und unvernünftige Kräfte unter allen Albanern«vertiefen und dann »haben wir geklärte Verhält-nisse«.66 Ähnlich äußerte sich Čović in einem Inter-view mit der Deutschen Welle; er erläuterte die Prin-zipien des Plans und bezeichnete dessen Ablehnungdurch die UÇPMB als »Versuch, den Dialog zu spren-gen, noch bevor er begonnen hat«. Und er fügte hinzu,daß es auch in der serbischen Armee und Polizei»Einzelfälle« gebe, »die noch kranke Ideen im Kopfhaben«. Alle realen oder potentiellen Gegner beein-druckten ihn nicht, denn »ich bin fest davon über-zeugt, daß wir auch alles friedlich lösen werden«.67

65 Zekirija Fazliu (Führer einer »Demokratischen Vereini-gung der Albaner«, Interview): Albancite ot Ju�na Sărbijaiskat edinna nacionalna dăr�ava s Kosovo [bulg.: Die Albaneraus Süd-Serbien wollen einen einheitlichen Nationalstaat mitdem Kosovo], in: http://www.mediapoolbg.com, 12.2.2001.66 Bericht in: Blic, 10.2.2001.67 Neboj�a Čović (Interview): »Wir werden die Probleme inSüdserbien friedlich lösen«, Deutsche Welle, 14.2.2001.

Der Čović-Plan und seine (beginnende) Implementierung

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

17

Der Čović-Plan und seine (beginnende) Implementierung

Der eigentliche Čović-Plan, ein Dokument von etwa170 Seiten, wurde Mitte Februar 2001 in Teilen veröf-fentlicht.68 Er war am 6. Februar 2001 von den Regie-rungen Serbiens und Jugoslawiens gebilligt worden,nachdem man ihn zuvor bei der internationalenGemeinschaft »getestet« und deren einmütige Unter-stützung eingeholt hatte, auch jene Rußlands. Daswar mehr als eine »Absegnung« der eigenen Vorhaben;wie Ko�tunica Mitte Februar 2001 erklärte, wurde dieinternationale Gemeinschaft in die Verhandlungenund in die Implementierung des Plans einbezogen,und auf serbischer Seite erhoffte man sich einen mög-lichst großen Einfluß dieser Gemeinschaft auf diealbanischen Gesprächspartner:

»Das Engagement der internationalen Gemein-schaft hat eher die Form einer Unterstützung, denndie serbische Regierung soll sich nicht allein für einenDialog zwischen Serben und Albanern einsetzen. Dieinternationale Gemeinschaft ist hier, um diesen Dia-log zu unterstützen, sie ist hier, um besonders deralbanischen Volksgruppe in Süd-Serbien zu helfen,jene Verhandlungsführer auszuwählen, die auf besteWeise ihre Interessen vertreten, und sie wird damitdie Interessen eines morgigen Zusammenlebens derAlbaner und Serben in Süd-Serbien vertreten, nichtaber die Interessen von Terroristen und eine weitereAusbreitung von Terrorismus und Gewalt im SüdenSerbiens.«69

Danach hatte sich die Situation im Pre�evo-Tal undim Kosovo in der geschilderten Weise verschlimmert,so daß Belgrad noch mehr Beifall und Unterstützungseitens der internationalen Gemeinschaft bekam.70

Mehr als daran hätte ihm indessen an erster Zustim-mung unter Albanern gelegen, wofür die Regierungeine spezielle Kampagne startete.

Eine oft angekündigte albanische Plattform zumČović-Plan wurde von Riza Halimi am 3. März 2001 derPresse vorgestellt. Die bekannten Forderungen derAlbaner tauchten in modifizierter Form wieder auf:Demilitarisierung der Region, Abzug der »Spezial-

68 Wortlaut in: Politika, 8.2.2001; des Wirtschaftsprogrammsin: Politika, 13.2.2001.69 RTS, 13.2.2001.70 Dragan Blagojević, Na Kosovo ne�to novo? [Etwas Neues imKosovo?], in: Nezavisna Svetlost, 24.2.�3.3.2001.

einheiten« von Armee und Polizei, »und das schließtdie Demobilisierung der bewaffneten Albaner ein«,Aufstellung einer gemischten lokalen Polizei, Beteili-gung der bewaffneten Albaner an den Verhandlungenetc. Die Plattform war deutlich weniger konkret alsfrühere Erklärungen, insistierte aber bei zahlreichenGelegenheiten auf einer »Präsenz der internationalenGemeinschaft« � bei der Bestimmung der Verhand-lungsteams, bei den Verhandlungen selber, bei derAufstellung der Polizei u.a.m.71 Das war den Serbenmehr als recht: 90% der albanischen Plattform seienakzeptabel, sagte Čović, albanische Wünsche, »dieLösung des politischen und rechtlichen Status derAlbaner in Süd-Serbien auf später zu verschieben,wenn die Leute hier normal leben können und derAusnahmezustand aufgehoben ist« (R. Halimi), kon-terte er lakonisch: Einen Ausnahmezustand (vanrednostanje) habe es nie gegeben und einen Sonderstatusfür Albaner werde es nie geben � die serbische Positionsei mit der internationalen Gemeinschaft abgestimmt.Beide Seiten seien sich einig, daß im Pre�evo-Tal alseinem Teil Serbiens solche Sonderregelungen unnötigseien. Ergo: »Es gibt keinen Raum mehr für Späße undDebatten, schon gar nicht für Separatismen. Allemüssen begreifen, daß das unser gemeinsamer Staatist. Wer es nicht begreift, soll sich in die weite Weltscheren«.72

Unverkennbar war an dem Geplänkel die Erleichte-rung beider Seiten darüber, daß fortan jeder Schrittunter strenger Beobachtung, Kontrolle und Anleitungder internationalen Gemeinschaft stehen würde � daßman sich also im Zweifelsfall einem höheren Willenzu beugen habe. Damit hatten die Serben keine Pro-bleme; sie waren überzeugt, die internationale Ge-meinschaft maximal und optimal auf ihrer Seite zuhaben und mit diesem Rückhalt die Albaner zur Zu-stimmung veranlassen zu können. Für letztereversprach die Situation schwieriger zu werden: Halimihatte noch im Februar 2001 eine Fülle größerer undkleinerer Einwände gegen den Čović-Plan vorgebracht� er sei zu detailliert und lasse den Albanern nur dieMöglichkeit zur Ablehnung oder Zustimmung, ohne

71 Bericht in: Nova Makedonija, 5.3.2001.72 Bericht in: Blic, 5.3.2001.

Der Čović-Plan und seine (beginnende) Implementierung

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

18

die Beteiligung der bewaffneten Albaner könne derVerhandlungsprozeß keinen Erfolg haben, die inter-nationale Gemeinschaft werde den Serben keine»Blanko-Unterstützung« gewähren, eine Veränderungder Sicherheitszone bedeute militärischen Druck aufdie Albaner und widerspräche der Absicht, Lösungenallein mit »politischen Mitteln« zu suchen etc.73

Wenige Tage später schien das alles gegenstandslos,nachdem beispielsweise die Sicherheitszone geändertworden war, ohne daß der befürchtete Druck ent-stand. Falls das eine Lehre war, so war es eine mehr-fache � daß Planentwürfe nicht hinterhältig sein muß-ten, Reaktionen der internationalen Gemeinschaftnicht mechanistisch abschätzbar, Zielprojektionen deranderen Seite nicht verderblich für die eigene, Ver-handlungen nicht von einem »ausgeklügelten« (ishi-treni) Überrumpelungswillen diktiert. Nun konnteman in veränderter Weise, ohne Mißtrauen und inkonstruktiver Bereitschaft, an die Beratung des Čović-Plans herangehen und dessen Ziele, Mittel und Fristenprüfen.

I. Ziele1. Wiederherstellung der staatlichen Souveränität inder Krisenregion durch normale Arbeit von Staats-und lokalen Selbstverwaltungsorganen.2. Volle persönliche und materielle Sicherheit allerBürger durch Entwaffnung von »Terroristen«, Demili-tarisierung der Region, Rückkehr von Flüchtlingenund Gewährleistung unbeschränkter Bewegungsfrei-heit.3. Aufbau einer multiethnischen und multikonfessio-nellen Gesellschaft unter Achtung aller Menschen-und Minderheitenrechte und -freiheiten.4. Rasche ökonomische und soziale Wiederbelebungder Region.

II. Prinzipien1. Friedliche Lösung mit politisch-diplomatischenMitteln in Verhandlungen, in die Teams der jugo-slawischen und serbischen Regierung, der Albanerund der internationalen Gemeinschaft (als Vermittler)involviert sind.2. Im serbischen Team sind lokale Serben präsent, inbeiden Teams je ein Vertreter der Serbisch-OrthodoxenKirche und der Islamischen Glaubensgemeinde.3. Die serbische Seite verhandelt nicht mit Terroristenund akzeptiert keine Autonomie, keinen Sonderstatus

73 Riza Halimi, Nećemo Čovićeve akcije [Wir wollen keineČović-Aktionen], in: Reporter, 20.2.2001, S. 30�31.

oder Grenzänderungen, auch keine fremden Staats-angehörigen »als Vertreter der albanischen Volks-gruppe«.4. Die serbische Seite hält sich strikt an internationaleNormen und unterzeichnete Verträge, allen voran dieUN-Resolution 1244.5. Die BRJ und die Republik Serbien erwarten von derinternationalen Gemeinschaft zuerst Unterstützungihres Konzepts der friedlichen Krisenlösung, dann einEinwirken auf die Albaner, von terroristischen Mittelnund separatistischen Zielen abzulassen, und zuletzteine »Hilfe« als Beitrag dazu, daß Albaner volle Rechteund Freiheiten genießen.6. Während der Verhandlungen werden Polizei undArmee außerhalb der Sicherheitszone in voller Bereit-schaft stehen, um mit »adäquater Dislozierung, Be-waffnung und geeigneten Maßnahmen eine Auswei-tung des Terrorismus zu verhindern«.7. Im Falle eines Scheiterns der friedlichen Bemühun-gen werden BRJ und Serbien gezwungen sein, Ord-nung und Schutz mittels »antiterroristischer Aktio-nen« als letztem Mittel herzustellen; in einem solchenFall werden die internationale Gemeinschaft, die alba-nische Volksgruppe und die heimische und auslän-dische Öffentlichkeit davon »überzeugt, daß alle ande-ren Mittel erschöpft sind«.8. Alle derartigen Aktionen werden allein gegen Terro-risten geführt, dabei werden »internationale Stan-dards und Vorschriften beachtet«.9. Zur wirksameren Krisenlösung wird von der inter-nationalen Gemeinschaft eine Verkleinerung oder Auf-hebung der Sicherheitszone und von der KFOR einintensiverer Schutz vor einer Ausweitung des Terroris-mus erwartet, vor allem mit Blick auf Versorgung undBewaffnung im Pre�evo-Tal.10. Humanitären Organisationen, Beobachtern, Jour-nalisten etc. wird »freier Zugang zu dem bedrohtenGebiet« zugesichert.

III. Aufgaben und Fristen der KrisenlösungDamit die im Plan vorgesehenen Ziele auf friedlicheWeise erreicht werden, sind verschiedene Aufgaben zulösen (siehe den Überblick auf der Folgeseite). Dazusind Gespräche nötig, die vorbereitet, geführt undimplementiert werden, was innerhalb bestimmterFristen zu geschehen hat. In der Vorbereitungsphasewerden die organisatorischen, personellen, materiel-len etc. Details geklärt (15 Tage), in der Gesprächs-phase verhandeln die Teams unter Vermittlung derinternationalen Gemeinschaft über »vorbereiteteTexte« mit dem Ziel der Unterzeichnung einer

Der Čović-Plan und seine (beginnende) Implementierung

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

19

Nr. Aufgabe

% Realisierung nach Phasen

I II III

(D+2 M.) (D+4 M.) (D+8 M.)Zeit gesamte

Realisierung Plan

1. Integration der Albaner 10% 20% 50% 2 Jahre Ann. 5a

2. Demilitarisierung

der Region

10% 100% 100% 4 Monate Ann. 5b

3. ökonomisch-soziale

Wiederbelebung

5% 10% 30% 3 Jahre Ann. 5c

»Abmachung über die Krisenlösung« (Sporazum o re�a-vanju krize), in der Implementierungsphase werdenschließlich die vereinbarten Aufgaben »konsequent,rechtzeitig und bilateral« umgesetzt. Details sind demPlan in Annexen angefügt.Die Integration der Albaner umfaßt:� »Harmonisierung der nationalen Zusammenset-

zung der Beschäftigten in Staatsdienst, Wirtschaftund Verwaltung mit der nationalen Zusammen-setzung der Bevölkerung«;

� »Sicherstellung einer angemessenen Repräsentanzder Albaner in Exekutivorganen und Parlamenten«auf allen Niveaus;

� Beseitigung aller Formen von Menschenrechtsver-letzungen, entsprechende Kontrolle über Polizeiund Staatsorgane, Transparenz für Menschenrechts-organisationen, Eröffnung von »Kanzleien für Men-schenrechte« in allen Kommunen;

� albanisch-serbische Polizeistreifen.Zur »ökonomischen und sozialen Revitalisierung derRegion« ist vorgesehen:� Entwicklung der Landwirtschaft (Viehzucht,

Gemüse- und Tabakanbau etc.);� Holzverarbeitung u.ä.;� Ausbau der Wege, Wasserleitungen, Strom- und

Telefonnetze in allen Dörfern;� Erfassung und Reparatur aller verlassenen

albanischen Häuser zur Beschaffung von Wohn-raum für rückkehrwillige Flüchtlinge;

� Reparatur von 527 serbischen Häusern für Flücht-linge aus dem Kosovo.

Die Demilitarisierung der Region ist das drängendsteZiel, das darum in kürzester Zeit erreicht werdenmuß. Hierzu wurde festgelegt:� »vollständige und dauerhafte Einstellung aller

terroristischen Akte, Entwaffnung der Terroristen,Auflösung ihrer Formationen, Zerstörung ihrerUnterstände samt Auslieferung der Waffen und derterroristischen Ausrüstung«;

� »Rückzug der Militär- und Polizeikräfte mit militäri-scher Kampffähigkeit, Wiedereinsetzung oder Auf-stellung einer regulären lokalen Polizei mit natio-nal-gemischtem Bestand«;

� »Deblockade der Verkehrswege, völlige Bewegungs-freiheit für alle Einwohner, Rückkehr aller Flücht-linge in ihre Häuser«;

� Amnestie, »Recycling« (recikliranje) von »Terroristenzu Zivilisten«, Straffreiheit, ausgenommen für »kon-krete Gewalttaten«.Abgerundet wurde der Plan durch die erwähnten

Annexe, die die Aufgabenstellung bis in kleinste Detailpräzisierten, einen Finanzplan, der Aufwendungenvon 11,36 Mrd. Dinar für die Wirtschafts- und Infra-strukturförderung der Region vorsah, und das »Orga-nisationsschema des Koordinationsgremiums für dieGemeinden Pre�evo, Bujanovac und Medveđa«, das vonden genannten beiden Regierungen gestellt wird, zu»internationalen Organisationen« (KFOR, NATO,UNMIK, OSZE, UNHCR u.a.) Verbindung hält und auflokaler Ebene Politiker, Repräsentanten der Volks-gruppen und Vertreter der Glaubensgemeinden ein-schließt. Die eigentliche Arbeit versehen fünf Kommis-sionen (Politik und Integration, Sicherheit undMilitär, Wirtschaft und Soziales, Beziehungen zurinternationalen Gemeinschaft, Medien) und ein»Sekretariat« (für Verwaltung und Finanzen).

Soweit in seinen Grundlinien der Čović-Plan, demein Sachkenner wie Gareth Evans, vormals PremierAustraliens und heute Chef der International CrisisGroup, seine Anerkennung zollte, obwohl er auchKritik äußerte: Der Plan »ne présente pas la garantieinternationale des droits civils sur laquelle les Alba-nais insisteront sans doute«.74 Kann ein serbischer Vize-premier eine solche Garantie überhaupt aussprechen?Vermutlich nicht. Aber er kann internationale Präsenz

74 Gareth Evans, Le prochain point chaud des Balkans, in: LeMonde, 20.2.2001, S. 15.

Der Čović-Plan und seine (beginnende) Implementierung

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

20

so in seine Pläne und Bemühungen »einbauen«, daßsich eine internationale Garantie gewissermaßen vonallein ergibt. Eben das hat Čović getan, weswegenEvans seinem Plan die Zustimmung auch nicht ver-sagte: Die Lage in Kosovo und Umgebung verschlim-mert sich laufend, »Unsicherheit« und »Attentismus«der internationalen Gemeinschaft, vor allem im Hin-blick auf den künftigen Status des Kosovo, »ermuti-gen« die Albaner im Kosovo, im Pre�evo-Tal und inMakedonien, »Gewalttaten zu begehen«. Belgrad hältsich dabei nicht nur zurück � es offeriert sogar einenbemerkenswerten Plan zur Befriedung, der von An-fang an erste Erfolgsaussichten bot.75

75 Ebd.

»Der Krieg in Süd-Serbien ist beendet«

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

21

»Der Krieg in Süd-Serbien ist beendet«

Die zwei serbischen Bemühungen um die Befriedungdes Pre�evo-Tals und die Rückkehr der VJ in die Sicher-heitszone waren insofern verknüpft, als die inter-nationale Gemeinschaft Fortschritte (oder wenigstensGlaubwürdigkeit) bei ersterer mit Konzessionen beiletzterer honorierte. Konkret: Die VJ kehrte AnfangMärz 2001 in den Sektor C-Ost der Sicherheitszonezurück. Daß dies der kleinste Sektor ist, wußte Čovićmit grimmigem Witz in einen Erfolg umzudeuten:Unter Milo�ević hat Serbien 14 000 Quadratkilometerverloren � Kosovo plus Sicherheitszone �, jetzt 25zurückgewonnen, »wir machen Fortschritte«.76

Derartige »Fortschritte« häuften sich in den folgen-den Wochen, und sie traten mit fast lautloser Selbst-verständlichkeit ein: Am Morgen des 25. März ver-folgte Čović den Einmarsch von VJ und Polizei in dieSektoren C-West (5 km) und A (263 km Grenzlänge) �ein Ereignis, das Milovan Čogurić, Staatssekretär imVerteidigungsministerium der BRJ, befriedigt so kom-mentierte: »Das ist noch eine Bestätigung des Ver-trauens zwischen unseren Sicherheitskäften und derKFOR, gleichfalls auch des Vertrauens zwischen derBRJ und den Repräsentanten aller 37 Völker, die in dieAktionen und in die Organisation der KFOR integriertsind«.77

Am 14. April erfolgte der nächste Einmarsch, dies-mal in den Sektor D (Merdare � Medveđa, 49 km), under lief in den bereits ausgespurten Bahnen ab: Gemein-same Pressekonferenz VJ � KFOR, Einmarsch der jugo-slawischen »Spezialeinheiten«, binnen zwei, dreiStunden Einnahme der vorbestimmten Posten, Prü-fung des Geländes auf Minen, befriedigte Erklärungenvon Politikern, westlichen Beobachtern etc. Das gingbald so glatt und professionell vor sich, daß manchesich bereits eine lineare Fortführung bis zur fakti-schen Realisierung der UN-Resolution 1244 vorstellenkonnten, etwa Bundesinnenminister Zoran �ivković:»Ich erwarte, daß dieser Prozeß weitergeht und daßwir in den nächsten Wochen auch Unterstützung fürdie Zone bekommen, aus der wir noch ausgesperrtsind, also für den Raum Pre�evo � Bujanovac. Es ist die

76 RTS, 13.3.2001, Live-Sendung Otvoreni studio (OffenesStudio) mit Call in von Zuschauern.77 Bericht in: Politika, 26.3.2001, S. 1 und S. 7.

Politik der neuen Macht in Jugoslawien und in Ser-bien, das Territorium des ganzen Staates zu bewahren,wobei der Staat auch ins Kosovo zurückkehren soll«.78

Eine sehr optimistische Prognose � der man indesden Realismus nicht absprechen konnte, auch wennzeitweilig albanische Drohgebärden auf das Gegenteildeuteten: Die von �ivković bezeichnete Zone war derSektor B, der Mitte April zu einem Sammelpunkt fürdie albanischen Bewaffneten wurde, die vor der ein-rückenden VJ aus anderen Sektoren zurückgewichenwaren. In ihrem Namen richtete »Kommandant Le�ij«am 16. April eine Warnung an die serbische Seite:Wenn sie auch noch in den Sektor B käme, könneniemand mehr »für ihre Sicherheit garantieren«.

Die VJ rückte ab dem 24. Mai in den Sektor B ein,dessen drei »Untersektoren« (Süden, Norden, Zentrum;vgl. Karte, S. 22) bis zum 31. Mai besetzt wurden.Zuletzt trafen die Vereinigten Sicherheitskräfte (ZSB), vorallem Sondereinheiten der Polizei und Fallschirmjägerder VJ, im »Untersektor Zentrum« ein, der als »neural-gischer Punkt« der gesamten Sicherheitszone gilt: Indem Dorf Končulj befand sich ein ausgedehntes Waf-fenlager (das unter »ungeklärten Umständen« zuvorexplodiert war), in Dobrosin das größte Ausbildungs-und Versorgungszentrum der UÇPMB, und VelikiTrnovac gilt als ein Knotenpunkt internationaler Dro-genschmuggelwege. Als »Geste des guten Willens« ver-haftete die KFOR beim Einmarsch der VJ den militan-testen »Kommandanten« der UÇPMB, MuhamedXhamali, der auf Ersuchen der Tschechischen Repu-blik wegen Mordes und Drogenhandels von Interpolgesucht worden war. Kurz vor dem serbischen Ein-marsch hatte es noch rund zehn Tage schwere Kämpfegegeben, was Čović indessen nicht hinderte, eine Am-nestie für all jene zu verkünden, die bis zum 24. Maiihre Waffen und Uniformen abgaben, Minenfelderdeklarierten etc. Die Albaner hatten eine Frist bis zum31. Mai gefordert, da der 24. der Termin des Einmar-sches war. Aber davon wollte Čović nichts hören: »Mitjenen, die nach dem 24. Mai auf Armee oder Polizeischießen, werden wir uns anders unterhalten«.

78 RTS, 14.4.2001.

»Der Krieg in Süd-Serbien ist beendet«

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

22

Quelle: Politika, 26.5.2001.

Er konnte so reden, weil er für den Einmarsch noch-mals eine wichtige Zusicherung bekommen hatte:»Die NATO unterstützt den Einmarsch der ZSB in denSektor B der Sicherheitszone. Wir haben den Plan vonHerrn Čović für eine friedliche Krisenlösung akzep-tiert, und die NATO unterstützt die demokratischeMacht in Serbien und Jugoslawien«. Unter diesen Um-ständen hatten die albanischen »Kommandanten«Shefqet Musliju, Mustafa Shaqiri und Ridvan Xhaziminur noch die Möglichkeit, im Beisein von NATO-Reprä-sentanten eine Verpflichtung »zur völligen Demilitari-sierung und Demobilisierung« der UÇPMB (samt Fristbis zum 31. Mai) zu unterschreiben. Zuvor war am21. Mai in einem Festakt in Bujanovac die neue »multi-ethnische Polizei« aus der Taufe gehoben worden, dieder OSZE-Botschafter in Jugoslawien, Stefano Sanino,mit den Worten einschwor: »Die internationaleGemeinschaft schaut auf euch alle, die ihr in Zukunftdie Beschützer der Zivilbevölkerung dieses Gebietssein werdet«.79

79 Lidija Kujnđić, Kost u grlu [Knochen im Hals], in: NIN;24.5.2001, S. 20�22.

»Der Krieg in Süd-Serbien ist beendet«, schrieberleichtert ein Journalist, der den Einmarsch der VJbegleitet hatte. Überall fand er Anzeichen eines über-stürzten Rückzugs der UÇPMB, überall aber auch ihreMinen, die die ganze Region weiter gefährden. Den-noch verfügte Čović augenblicklich den Abzug der(wörtlich so) »außerordentlich eingesetzten Kräfte vonArmee und Polizei«, um zu seinem eigentlichenGeschäft der »Krisenlösung per Dialog und politischenMitteln« zurückzukehren. Dabei begleitete ihn sogardie Zustimmung der lokalen Albaner: »Mein Gott, dieMehrheit von uns wollte das alles nicht. Andere habendas geplant, und uns haben sie nur ausgenutzt. Dasalles wurde dort im Kosovo geplant, uns hat niemandgefragt. Gott gebe dem Čović ein langes Leben«.80

80 Ljubi�a Popović, Brzi je najbr�e zbrisao [Der Schnelle ist amschnellsten verschwunden], in: NIN, 31.5.2001, S. 18�20[»Schneller«, alb. »Shpetini«, ist der Kampfname des »Kom-mandanten« Mustafa Shaqiri].

Der Modellcharakter des Čović-Plans und der Krieg in Makedonien

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

23

Der Modellcharakter des Čović-Plans und der Krieg in Makedonien

Vorauszusehen war es nicht, aber auch nicht auszu-schließen, daß nach dem Ende des Konflikts in Süd-Serbien ein weiterer und neuer Konflikt im NordenMakedoniens ausbrechen würde. Dabei spielt es einevergleichsweise geringe Rolle, ob die hier aktiven alba-nischen Extremisten mit denen identisch sind, diegestern noch im Pre�evo-Tal für Unruhe sorgten.Gravierender ist der Umstand, daß die Unentschlos-senheit und Konzeptionslosigkeit der internationalenGemeinschaft den Krieg in Makedonien eskalierenließen.81 Die Kämpfe, begleitet von einer Vertiefungdes Zwiespalts zwischen Makedonen und makedoni-schen Albanern (22,7% der Gesamtbevölkerung),haben ein Ausmaß angenommen, das nach Ansichtdes makedonischen Publizisten Slobodan Ča�ule nurnoch eine extreme Alternative zuläßt. Entweder eskommt zu einem Bürgerkrieg, der sehr rasch zueinem Balkankrieg eskalieren könnte � oder beideVolksgruppen erkennen, daß sie derzeit von militan-ten nationalistischen Gruppen für Ziele manipuliertwerden, die allen Einwohnern des Landes zumSchaden gereichen. Bräche sich diese ErkenntnisBahn, lägen die nächsten Schritte auf der Hand:gemeinsame Abwehr der Terroristen und Bereinigungdes bilateralen Verhältnisses im Sinne eines staatsbür-gerlichen Grundkonsenses.82

Es bleibt abzuwarten, ob diese Entwicklung inMakedonien eintritt. Daß die Dinge überhaupt so weitwuchern konnten, lag nicht zuletzt daran, daß inMakedonien Personen, Einsichten und Konzeptefehlten, die kurz zuvor in Süd-Serbien vorhandenwaren und dort für eine Befriedung sorgten. Nachmonatelangen Kämpfen wurde der Serbe Čović vonder makedonischen Regierung als »Berater« hinzu-gezogen,83 aber sehr viel Unheil hätte vermiedenwerden können, wäre ein makedonisches Pendant vonČović verfügbar gewesen oder hätte man dessengesamten Approach auch in Makedonien angewendet.

81 Peter Münch, Der Feind im Westen, in: SüddeutscheZeitung, 26.7.2001.82 Slobodan Ča�ule, Balkanski vojni � vtorpat? [Balkankriege �zweites Mal?], in: Dnevnik, 26.7.2001.83 Matthias Rüb, Ein Gerüst für das gemeinsame Haus vonMazedoniern und Albanern steht, in: Frankfurter AllgemeineZeitung, 11.7.2001.

Das hätte sich schon deshalb empfohlen, weil beideKonflikte eine nahezu identische Natur haben: Bewaff-nete Albaner nahmen den Kampf gegen die legitimeMacht eines Landes auf, wobei sie sich als Verteidigervon Rechten ausgaben, die der lokalen albanischenBevölkerung verweigert würden. Soweit der Konflikt �dessen völlig andere Behandlung in Makedonien kon-trastiv und komparativ den Čović-Plan in einem gera-dezu modellhaften Licht erscheinen läßt.

In Makedonien sind gegenwärtig EU, NATO, OSZE,UN und US-Administration durch eigene »Beauftragte«an der Konfliktlösung beteiligt, ohne daß ihre Bemü-hungen bislang von Erfolg gekrönt waren. Hinter dermakedonischen Regierung steht eine breite Koalitionaus zwei makedonischen und zwei albanischenParteien, die sich ebenfalls ohne Erfolg um eine Been-dung der Kämpfe bemüht. Und beim Präsidenten BorisTrajkovski arbeitete ein aus lokalen und internationa-len Teilnehmern zusammengesetzter »Dialog« aneinem Konzept, wie aktuelle Konflikte zu beendenund künftige zu verhindern seien. Ende Juli verließendie Makedonen dieses Forum, als EU-RepräsentantFrançois Léotard verlangte, das Albanische in denRang der »zweiten offiziellen Sprache« in Makedonienzu erheben.

Alle diese oder ähnliche Verwirrungen wurden inSerbien durch die einfachen Umstände vermieden,daß der Čović-Plan allein aus serbischer Mitte kamund seine Durchsetzung auch nur einem einzigenMann, eben Vizepremier Neboj�a Čović, anvertrautwar. Daß ein solcher Verzicht auf Kollektivität durch-aus Vorteile haben kann, wurde spätestens bei derWiederinbesitznahme der gesamten Sicherheitszonedeutlich. Dabei wurde auch das serbische Pressezentrumin Bujanovac aufgelöst, in dem Čović noch am 13. Maieine lange Pressekonferenz gegeben hatte, die von RTSlive übertragen wurde.84 Es war eine ungemein inter-essante Begegnung, bei der der Vizepremier tiefe Ein-blicke in sein Konzept, seine Strategie und Taktik undseine Erfahrungen gewährte. Er wußte (und sagte)immer, daß sein Vorhaben viel Geduld erforderte �allerdings nicht grenzenlose, wenn sich die Gegenseiteals unfähig und unwillig für einen Dialog erweist �

84 Daraus auch die folgenden Zitate.

Der Modellcharakter des Čović-Plans und der Krieg in Makedonien

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

24

also sich aus »gewissen Gruppen« rekrutiert, diewollen, daß der Konflikt weitergeht und eskaliert, daßes schlicht in dieser Region zu einem Krieg kommt �einem Krieg, wie er derzeit in unserer Nähe, in Make-donien, vor der Tür steht.

Čović hat es nicht erwähnt, aber wohl gewußt, daßes ein Versäumnis der internationalen Gemeinschaftgewesen war, eben diese überregionale Präsenz mili-tanter Gruppen und ihrer kriegerischen Ziele schlicht-weg übersehen zu haben. »Naiv« habe die internatio-nale Gemeinschaft im Kosovo gehandelt und mit ihrerPassivität die Stabilität der ganzen Region gefährdet,rügte Carl Bildt, Balkan-Beauftragter des UN-General-sekretärs, Ende Juli in einem offenen Brief an dieinternationale Öffentlichkeit.85 Sie habe alle Aufgabenim Kosovo verfehlt, besonders kraß die Entwaffnungder UÇK. Dadurch habe die NATO-Mission im Kosovowie eine »Bluttransfusion« für den »aggressiven Natio-nalismus« der Albaner gewirkt, der jetzt nach Make-donien übergreife, also ein Land gefährde, in demMakedonen und Albaner bisher die Macht teilten undgemeinsam Reformen ins Werk setzten. Ähnlichäußerten sich weitere Kenner der Region und ihrerProbleme � sofern die Probleme nicht durch »das zwie-lichtige Agieren Washingtons auf dem Balkan« zusätz-lich geschürt werden.86 Bezeichnenderweise sprachBodo Hombach, EU-Beauftragter für den Stabilitätspaktfür Südosteuropa, noch Ende Juni von einer »Schreck-sekunde, wo die KFOR bestritt, der Konflikt in Maze-donien habe etwas mit dem Kosovo zu tun«.87 Auf demBalkan selber hat man dank eigener Erfahrungenkeine derartigen »Schrecksekunden« erlebt, war viel-mehr darauf vorbereitet, etwaige Verhandlungen mitzweifelhaften Gesprächspartnern unter unerfreu-lichen Umständen führen zu müssen. Čović hat dassehr bildhaft geschildert:

»Wir wollten immer eine friedliche Aktion, habenaber niemals den Verteidigungsaspekt vernachlässigt.[...] Mich interessieren diese Leute mit den wunder-lichen Kampfnamen nicht. Ich weiß, daß ihr Intellektgerade so weit reicht, daß für sie nur Krach, Zerstö-rung, Schlägerei, Blut und Krieg Bedeutung haben. Miteinem Wort: Ihnen fehlt das frühere Regime. Ich habeihnen das direkt gesagt, bei Gesprächen auf derStraße, daß sich dieses Land geändert hat und in Rich-tung Demokratie marschiert. Aber die ändern sich

85 Zitiert nach der am 21.7.2001 im Makedonischen Fern-sehen verlesenen Fassung.86 Renate Flottau et al., Das Doppelspiel der Amerikaner, in:Der Spiegel, (2001) 31, S. 100�102.87 Interview in: Jungle World, (27.6.2001) 27, S. 4.

nicht. Wenn man mit ihnen zu Gesprächen zusam-mentrifft, geht es immer nach demselben Schema:Erstens kommen Listen mit Anklagen aus vergangenerZeit, dann Listen mit irrealen, völlig nebulösen Forde-rungen. Daraus erkannte ich, worum es ihnen eigent-lich geht � nicht um Abmachungen, sondern darum,den Konflikt fortzusetzen. Deshalb wird auch nichtsmit humanitären Zonen etc. Sie sind Betrüger, die mitbilligen Tricks Zeit gewinnen wollen, die ein gegebe-nes Wort nicht halten � Betrüger, gegen die man ener-gisch vorgehen muß«.

Weil sich albanische Politiker auch in Makedonienkaum anders verhielten, kam der angestrebte »Dialog«mit ihnen kaum vom Fleck. Eben das aber war abseh-bar, zumindest für Carl Bildt, der in seinem erwähn-ten offenen Brief schrieb: »Ich erinnere mich an diealbanischen Politiker in Tetovo vor einem Jahr. Ichwar erschüttert und fürchtete mich vor dem, was pas-sieren könnte«. Da andere in Makedonien über dieseunmittelbare Kenntnis des Gegners nicht verfügten(und auch nicht von dem Serben Čović übernehmenwollten), wurde zuviel Zeit auf Maximalforderungenvon albanischer Seite verschwendet, deren destrukti-ver Gehalt nur Auswärtigen nicht augenblicklich evi-dent war. Auf so etwas hätte sich der Serbe Čović ver-mutlich nicht einmal diskutierend eingelassen, weilihm der soziopolitische Hintergrund seiner Verhand-lungspartner auf der Gegenseite offenkundig war:

»Es gibt hier ein paar Syndrome. Erstens die Geld-gier, schließlich nehmen sie ziemlich viel Geld ein.Zweitens die Vorstellung, sie seien eine echte Armee,und drittens die Überzeugung, sie hätten die Unter-stützung der internationalen Gemeinschaft. Daswurde sogar in Gesprächen mit Beobachtern der Euro-päischen Union deutlich, daß sie sagten, paßt mal auf,in fünf Tagen rettet uns die NATO. Ich bin ganz sicher,daß das nicht passieren wird, denn wenn sich dieNATO in der gewohnten Weise einmischen will, dannwird sie alte Fehler wiederholen. Unser Verhältnis zuNATO und KFOR ist ganz partnerschaftlich, denn wirhaben ein identisches Problem, das Problem derSicherheit und des vollständigen Friedens in derRegion«.

Čović pflegte ein gutes Verhältnis zu Vertretern derinternationalen Gemeinschaft, auch wenn manchevon ihnen, anders als er, mitunter nicht beurteilenkonnten, wann weiteres Verhandeln sinnlos war. Under hat immer gewußt und gesagt, daß sein Konzeptzwei Dinge benötigt. Das war zum einen die Gewiß-heit, daß man sehr viel Geduld und einen »langenAtem« benötigen würde; zum zweiten die Klarheit

Der Modellcharakter des Čović-Plans und der Krieg in Makedonien

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

25

darüber, was für Serbien (um dessen Landesteil esschließlich ging) nicht akzeptabel war: Keinen Sonder-status für Albaner, keine Grenzänderung � allesandere ist verhandelbar. Eine derartige feste, aberauch flexible »Vorgabe« hat es für Makedonien niegegeben, obwohl gerade hier die frühzeitige Fixierungunverfügbarer Essentials höchst notwendig gewesenwäre. In Makedonien hat es auch nie eine klare Ziel-und Zeitvorgabe wie im Čović-Plan gegeben: Was vonPräsident Trajkovski als Plan ausgegeben (und nieveröffentlicht) wurde, waren acht Punkte, die von demfranzösischen Verfassungsrichter Robert Badinter sug-geriert worden waren und auf eine Stärkung derlokalen Selbstverwaltung, eine Förderung der albani-schen Sprache im politischen Diskurs und auf allge-meinere Formulierungen in der Verfassung hinaus-liefen, die den nationalen Minderheiten entgegen-kamen. Erst später und eher beiläufig kamen dannVorschläge, die bei Čović zuerst und allein aufge-taucht waren: Integration und Entwaffnung derAlbaner, ökonomische Belebung. Die Unverbindlich-keit der makedonischen Vorschläge, die natürlichnicht allein den Makedonen zuzuschreiben war,erlaubte es den »importierten Terroristen«, nach wievor als »Kämpfer für Minderheitenrechte« aufzutre-ten.88 Čovićs Taktik war es hingegen, die bewaffnetenExtremisten dadurch zu isolieren, daß er sie in jederWeise von den lokalen Albanern abgrenzte und dieseAbgrenzung auch in keinem Moment seiner Verhand-lungen vergaß.

Vermutlich hätten alle diese guten konzeptionellenund taktischen Ansätze nicht viel bewirkt, wäre nichtmilitärischer Druck seitens der internationalenGemeinschaft hinzugekommen. Dieser Druck erfolgtenicht direkt, es reichte schon, der VJ die Sektoren derSicherheitszone im Pre�evo-Tal zurückzugeben. Dabeizeigte sich, daß albanische Bewaffnete vor der VJschlichtweg Angst haben. In Makedonien, das übereine gut ausgebildete und dank der Hilfe Bulgariens,der Ukraine, Griechenlands und anderer Staaten auchgut bewaffnete Armee verfügt, dazu noch über diebuchstäblich »schlagkräftigen« Einheiten der Polizei(des Innenministeriums), war das diametral anders:Die jugoslawische VJ wurde allgemein überschätzt, diemakedonischen Truppen werden unterschätzt. Make-donien wurde international auch erlaubt, übrigens als

88 Vgl. das Interview mit Kastriot Haxhirexha, Vorsitzenderder neugegründeten albanischen »Demokratischen National-partei«, die sich als politischer Arm der UÇK in Makedonienversteht, in: Slobodna Dalmacija, 20.6.2001, S. 6.

erstem ex-jugoslawischem Nachfolgestaat überhaupt,eine »Doppelstrategie« von politischem Dialog undmilitärischer Aktion zu verfolgen. Diese Erlaubniswurde erteilt, um Makedonien als »Stabilisierungsfak-tor in Südosteuropa« gegen »Verbrecher und Mörder«zu sichern, sie wurde aber wieder eingeschränkt, alswestliche Emissäre den Dialog bestimmten und diemilitärische Aktion durch permanente Mahnungenzur »Zurückhaltung« hemmten.89 Weil das so ist,geriet Makedonien in wachsende Bedrängnis � weil esin Serbien nicht so war, konnte Čović Erfolg haben.

89 Detailliert dazu Wolf Oschlies, Mazedonien als Opfer inter-nationaler Ignoranz?, in: Blätter für deutsche und internatio-nale Politik, (2001) 8, S. 931�941.

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

26

Ein Modell für das Kosovo?

Serben sind Leute, die ihre Niederlagen feiern � besagtein serbischer Aphorismus. Wie eine Illustrationdessen mutet ein Konflikt an, den Neboj�a ČovićAnfang Juli mit allem Nachdruck ausfocht. VJ-General-stäbler hatten ihm öffentlich vorgeworfen, im Pre�evo-Tal keinen Erfolg gehabt, serbische Interessen verratenund viel Geld für nichts verschwendet zu haben, denAlbanern und der KFOR zu sehr entgegengekommenzu sein und die serbischen Chancen für eine Kosovo-Lösung geschwächt zu haben. Alle diese Vorwürfenannte Čović immer wieder besmisleno (unsinnig),nahm sie aber zum Anlaß, einige einfache Wahrheitenauszusprechen: Alle Probleme im Kosovo und in Süd-Serbien bestehen nur darum, weil die VJ � unterwelchen Umständen auch immer � irgendwann dortversagt hat. Die in diesen Regionen lebenden Albanersind Bürger Serbiens, die Forderungen stellen; soweitdiese berechtigt sind, werden sie erfüllt, unberechtigteForderungen werden von vornherein abgelehnt. DieKFOR ist für das Kosovo zuständig, und die guteZusammenarbeit mit ihr in Süd-Serbien hat serbischeChancen auf eine weitergehende Klärung verbessert.Im übrigen sollte man die Regelung so schwierigerProbleme jenen in Serbien überlassen, die illusionslosund gut vorbereitet an sie herangehen, nicht aberjenen, die »persönliche und Gruppeninteressen fälsch-lich als nationale oder Staatsinteressen ausgeben« und»den Erfolg in Süd-Serbien verkleinern und mehr bere-den als den Mißerfolg im Kosovo«.90

Kein Zweifel: Hier ist jemand am Werk, der dieverfahrene Lage im Kosovo mit neuen Ideen angeht.Und noch im laufenden Jahr 2001 könnte sich er-weisen, wie weit das alles trägt. Für den 17. Novembersind allgemeine Wahlen im Kosovo geplant, diebereits in der Vorbereitungsphase mehrfach für Auf-regung sorgten:! Der seit den Kommunalwahlen vom letzten Herbst

bestehende Konflikt zwischen Ibrahim Rugova, demWahlsieger, und Hashim Thaçi, dem überraschenddeutlichen Verlierer, hat sich weiter verschärft.Thaçis unverkennbare Bevorzugung seiner radi-

90 Neboj�a Čović, Istorija se nije ponovila, gazde će se menjati[Die Geschichte hat sich nicht wiederholt, die Hausherrenwerden sich ändern], in: NIN, 5.7.2001, S. 22�23.

kalen UÇK-Gefährten hat ihn soviel Einfluß ge-kostet, daß seine künftige Stellung in der angestreb-ten Provinzregierung auf dem Spiel stehen könnte.

! Das von den UN vorgelegte framework von Wahl-gesetzen und -bestimmungen wurde von albani-schen Politikern abgelehnt, was aber nicht zuseiner Umgestaltung führte.

! Der Hauptwunsch der Albaner, mit den Wahlen ein»Referendum über die Unabhängigkeit« zu verbin-den, fand kein Gehör; mit den Worten von HansHaekkerup, UN-Administrator für das Kosovo: »theinternational community does not want any refe-rendum clause in the legal framework«.

! Die Hauptsorge der internationalen Gemeinschaftgalt dem Bemühen, die ca. 200 000 Nicht-Albaner,darunter schätzungsweise 110 000 Serben, zur Teil-nahme an der Wahl zu bewegen. Das impliziertezum einen weitgehende Garantien für ihre Sicher-heit, zum anderen zusätzliche Abstriche im Maxi-malzielkatalog der Albaner.Wie US-Außenminister Colin Powell den Albaner-

führern bereits im April entgegenhielt, sollten sie »notpress for the province�s independence from Serbia asan immediate priority since this could further eroderegional stability«. Sollte diese Aussage auch bedeuten,daß die »priority« des Unabhängigkeitswunsches nichtam Tag nach den Wahlen wiederaufgenommenwerden kann? Einige Passagen aus dem Wahl-frame-work scheinen darauf hinzudeuten: Durch die Sitz-verteilung � 100 Sitze entsprechend den Wahlergeb-nissen, 10 für die Serben und weitere 10 für andereMinderheiten � und durch Vorkehrungen gegen eineMajorisierung von Minderheiten »in a non-acceptableway« sowie andere »guarantees for minorities andgroups« dürfte verhindert werden, daß die künftigeProvinzregierung als gewissermaßen antizipierteStaatsregierung agiert.

Die internationale Gemeinschaft ist sich bewußt,daß das Kosovo noch sehr weit von jeglicher Normali-tät entfernt ist, und sie bemüht sich, mit den Wahleneine Umkehr zum Besseren einzuleiten.91 Wie DanEverts, OSZE-Chef für das Kosovo, in einem Interview

91 �aban Hiseni, Zloupotreba na izborite [Mißbrauch vonWahlen], in: Puls, 29.6.2001, S. 37.

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

27

sagte,92 schockiert noch immer »das momentaneNiveau der Gewalt, die Unmöglichkeit der Rückkehrvertriebener Personen und die ganze Sicherheitslage«.Schwierig ist das Verhältnis zu den Albanern beson-ders für die Serben, von denen ca. 200 000 vertriebenwurden, aber auch bei den anderen rund zehn nicht-albanischen Volksgruppen »sind ihre Verbindungenmit der albanischen Volksgruppe nur wenig besser«.Das wäre vermutlich ein Grund für sie, die Wahlen zuboykottieren, aber genau das will die internationaleGemeinschaft verhindern. Das macht sie mit etwasDruck und mehr Ermutigung, die Serben solltenmittels »Registrierung und Wahlen den Albanern einstarkes, konkretes Zeichen geben, daß sie für Verände-rungen sind«. So etwas wäre ein »Signal der serbischenGemeinschaft, daß sie sich beteiligen möchte und einTeil der Gesellschaft, ein Teil der Institutionen und einTeil eines demokratischen Kosovo sein will«. Sozusa-gen einen Vorgeschmack könnte bereits die Registrie-rung der Wähler gegeben haben, denn wahlberechtigtwar jeder »Einwohner« (»nicht Bürger, denn dasKosovo ist kein Staat«), also auch die Vertriebenen.

Das alles mag angesichts harter Realitäten imKosovo etwas romantisch anmuten, bietet in längererSicht aber Chancen im Sinne von Čović. Der hatte einZiel, nämlich die naturgegebene Multiethnizität bal-kanischer Regionen von interethnischer Feindschaftin »normale« Koexistenz zu wandeln, er hat Erfahrun-gen im Umgang selbst mit militanten Extremisten, erhatte in kleinem Rahmen Erfolg, und er ist überzeugt,daß seine spezifische Mischung aus guten Ideen, ak-zeptablen Prinzipien und flexibel-geduldiger Verhand-lungsführung auch für das Kosovo taugt. Das hat erselber oftmals gesagt, und sein enorm gewachsenes in-ternationales Ansehen dürfte dafür sorgen, daß seineWortmeldungen zur Kenntnis genommen werden.

Ende Mai hatte Čović den Vorschlag einer »Teilungdes Kosovo in ethnische Einheiten« unterbreitet. ImGrunde ist ein solcher Vorschlag bereits im September1998 gemacht und im Anschluß an die NATO-Mission1999 wiederholt worden: Im Kosovo werden fünfKantone (Peć, Leposavić, Pri�tina, Kosovska Kamenicaund Prizren) geschaffen, in denen die nichtalbanischeBevölkerung konzentriert und von der KFOR vermehrtgeschützt wird. Der Vorschlag stieß damals auf breiteAblehnung: Bildung von Kantonen erinnerte an denVance-Owen-Plan für Bosnien (1993), erschien alsNegierung der internationalen Ordnungsrolle für dasganze Kosovo, wurde als Absage an albanische Unab-

92 In: NIN, 5.7.2001, S. 21�22.

hängigkeitsforderungen aufgefaßt etc. Davor gab es1993 bereits den Teilungsvorschlag des serbischenAkademiemitglieds Milovan Radovanović und andereProjekte,93 so daß die Idee wirklich nicht neu zunennen ist. Neu ist allerdings der politische Kontext,in welchem sie nun diskutiert wurde: Mit ihrer Umset-zung würde das Kosovo dezentralisiert, stiege dieSicherheit der Serben und anderer Nicht-Albaner,bekäme die UN-Resolution 1244 ein neues Gewicht,um nur einige Vorteile zu nennen � dazu noch derEffekt, daß Serbien mit ihr aus der »politischen Defen-sive« herauskäme, nicht mehr nur auf »fremde Züge«reagierte, selbst »die Initiative ergreift«.94 Hinzukommt, daß dieses Konzept in neue Überlegung einerdezentralisierten Neugliederung Serbiens eingebettetwäre. Diese ist in ihrer endgültigen Gestalt noch nichtkonkretisiert, aber das grundlegende Ziel einer ver-stärkten lokalen Selbstverwaltung und »regionalenDemokratie« ist bereits fixiert, und das kommt derinternational geforderten »substantiellen Autonomie«für das Kosovo sehr nahe.95

Sollte das eintreten, wäre ein verheißungsvollerAnfang gemacht. Die Ereignisse und Entwicklungenvor Ort sind an einen Wendepunkt gelangt, von demaus es aufwärts gehen kann � ungeachtet der Paroxys-men derer, die längst entschwundenen Chancen mitlängst obsoleten Gewaltmitteln nachjagen. Der Effektihres Treibens ist nur noch durch ein Paradoxon zubeschreiben: produktiv, weil maximal kontraproduk-tiv. Eine Illustration dessen bot sich am 13. April 2001in Skopje: US-Außenminister Colin Powell hatteRugova, Thaçi und Haradinaj, die (untereinander spin-nefeinden) Albanerführer des Kosovo, in die makedo-nische Hauptstadt zitiert, um ihnen und anderenoffen zu erklären, daß die »völlige Isolation albani-scher Extremisten des Kosovo« nötig sei, um eineBefriedung dieser Region und umliegender Gebiete zuerreichen, die keine Zukunft hätten, solange dieGewalt nicht beendet würde. Deshalb sei in Skopjeauch nicht über den »künftigen Status des Kosovo«gesprochen worden, »sondern über das Ausgreifen desTerrorismus aus dem Kosovo auf andere Teile derRegion«.96

93 Mehmet Elezi, Kosova between Politics and Realpolitik, in:The Balkan Analyst, (1998) 4, S. 11�47.94 Ljubi�a Popović, Va�na je iniciativa [Die Initiative istwichtig], in: NIN, 24.5.2001, S. 23.95 B. Čpajak, �est regiona najče�će pominjana varijanta[Sechs Regionen sind die am häufigsten erwähnte Variante],in: Politika, 16.6.2001, S. 8.96 Bericht in: RTS, 13.4.2001.

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

28

So befreiend es anmutet, die endlosen Debattenum »unabhängiges Kosovo« versus »Kosovo Teil Jugo-slawiens« durch ein offenes Wort auf ihre Ausgangs-punkte zurückgeführt zu sehen, nämlich die Aggressi-vität albanischer Separatisten, so drängender wirddoch die Frage, wie diese konträren Positionen ent-stehen und derzeit eskalieren konnten.

Aggressionsakte sind das explosive Resultat aufge-stauter Frustrationen, die in ethnischen »Leidens-gemeinschaften« besonders tief empfunden werden.Im konkreten Fall des Kosovo läßt sich das in signifi-kanter Weise beobachten: Solange Milo�ević an derMacht war, waren die Albaner die Leidtragenden (oderschienen es zu sein) � nach der NATO-Mission 1999und Milo�evićs Sturz sind es die Serben. Beide ethni-schen Gruppen neigen dazu, ihre »Leidensgeschichte«zu einer nationalhistorischen Epopöe zu verdichten,bei charismatischen Führungsfiguren eine Beendi-gung erlittener Not zu suchen und fortan auf Dauereine repressive Suprematie über die jeweils andereethnische Gruppe (als dem vermeintlichen Verur-sacher des eigenen Leidens) auszuüben.

Das Kosovo exemplifiziert seit zwei Jahren dieFolgen: 40 000 KFOR-Soldaten aus aller Welt müssenelf nicht-albanische Volksgruppen vor systematischemalbanischem Terror schützen, der sich dennoch nichteindämmen läßt und über die regionalen Grenzenhinausgreift. Die gesamtbalkanische Angst davor kamin der multilateralen Unterstützung für Makedonienzum Ausdruck, als dieses den kosovarischen Angrei-fern auf eigenem Territorium mit einer massivenAktion entgegentrat. Im schlimmsten Fall könnte hiereine »Neuauflage« des ersten Balkankriegs von 1912entstehen: Die vereinigten Balkanvölker gegen einengemeinsamen Feind � damals die Osmanen, heute dieKosovo-Extremisten.

Eine partielle Ausnahme von den hier skizziertenAkteuren bilden die Albaner im Pre�evo-Tal. Auch siehatten früher unter Belgrader Repressionen zu leiden,aber sie waren numerisch nicht so dominant wie dieAlbaner im Kosovo, und ihren serbischen Nachbarnging es kaum besser. Die Region war die »rückständig-ste« (najzaostalija) im ganzen Land. Alles das erleich-terte die im Prinzip simpelste, in der gegebenen Reali-tät schwierigste Sache: das Gespräch miteinander.Neboj�a Čović wagte es erstmalig am 30. Januar 2001in Pre�evo, und der Erfolg gab ihm recht: Die lokalenAlbaner erschienen in großer Zahl, die Serben auch,und kein Thema blieb unangesprochen: Übergriffe ser-bischer Militärs, Rückständigkeit der Region, fehlendePapiere für Albaner etc. Čović berichtete, versprach,

beschwichtigte und erinnerte seine Zuhörer an ein-fache Fakten: Beschwert euch bei Milo�ević, sagte erden Serben (wenn deren Klagen allzusehr an der Reali-tät vorbeigingen), und den Albanern bedeutete erlässig, sie mögen doch selber bestimmen, wer inihrem Namen mit den neuen Belgrader Machthabernverhandeln sollte � mit der Ausnahme bewaffneterExtremisten würde jeder Partner akzeptiert.97

Derartige Gespräche werden eines Tages auch imKosovo stattfinden, auch wenn derzeit absolut nichtsdafür spricht. »Mit Serben können wir nicht zusam-menleben«, sagen die Albaner, »Mit �iptari kann mannicht verhandeln«, meinen die Serben. Und jederGewaltakt bestätigt beide Volksgruppen in ihrer Ver-weigerungshaltung. Dennoch wäre das offizielleBelgrad augenblicklich zu Gesprächen bereit, die alba-nischen Machthaber jedoch sind es nicht. Diese ver-wechseln zum einen Quantität mit Qualität undglauben, daß absolute demographische Mehrheit ineiner Region dort auch absolutes politisches Rechtverbürge. Zum zweiten sind sie überzeugt, daß ein-seitige Forderungen international mehrheitsfähigwären, wenn sie nur in der richtigen »Verpackung«präsentiert werden: Das »souveräne Kosovo« ist dannnicht mehr Resultat eines separatistischen Allein-gangs gegen alle europäischen Grundsätze, sondernAusdruck des »nationalen Selbstbestimmungsrechts«,das als solches geachtet werden muß.

Das sind Positionen, die den Westen ratlos ver-stummen lassen, den Osten aber unangenehm aneigene historische Erfahrungen erinnern: Wie dieKosovaren heute mit Belgrad, so sind 1935 die Sude-tendeutschen mit Prag umgegangen, Danzig 1939 mitWarschau, Ungarn 1941 mit Rumänien (als es diesemNord-Siebenbürgen raubte), Afghanistan in den späten70er Jahren mit Moskau etc. Diese gewissermaßennegative Empirie befähigt die Osteuropäer, die balka-nischen Zustände und Akteure schärfer zu beobachtenund präziser einzuschätzen. Hinzu kommt eine men-tale Prädisposition zu allslawischer Solidarität, die inExtremsituationen auftritt, obwohl sie vielleicht nichteinmal ihren Trägern immer bewußt ist: Das wirdjeder bestätigen, der beispielsweise im August 2000slawische Medienberichte zum Unglück des russi-schen U-Boots Kursk verfolgt hat. Slawen waren auchniemals davon überzeugt, es habe 1999 jene Untatendes Milo�ević-Regimes � »Massaker von Račak«, »Aktion

97 Olivija Ru�ovac, Probijanje leda [Brechen von Eis], in: Repu-blika, (16.�28.2.2001) 255.

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

29

Hufeisen« etc. � gegeben, die inzwischen auch imWesten als Propaganda-Fiktionen erkannt werden.98

Gegenwärtig wird den Serben diese Solidarität auchvon solchen zuteil � Bosniern, Slowenen �, die gemein-hin nicht die beste Meinung von Belgrad haben. Abereindeutig schlecht ist ihre Meinung von albanischenPolitikern, und das kommt indirekt den Serbenzugute. Man sollte im Westen viel häufiger verfolgen,wie Osteuropäer Äußerungen von Albanern, in west-lichen Medien geäußert, lesen und auffassen. Albanerhaben ein gewisses Talent, eigene Maximalforderun-gen in einer auf westliche Rezipienten zugeschnitte-nen Form zu präsentieren: »Souveränität des Kosovo«und »Föderalisierung Makedoniens« dienen dem»Frieden auf dem Balkan«, Albaner »greifen zur Waffe,um ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen«,»NATO-Hilfe für Makedonien wäre das Ende Make-doniens« etc. So etwas mag im Westen beeindrucken,im Osten kann es das nicht, denn dort erkennt manhinter schönen Worten aus Pri�tina und Tetovo denaggressiven Eroberungswillen vordemokratischerExtremisten.99 So werden beispielsweise auch west-liche Klagen darüber, daß die Makedonische Akademieder Wissenschaften und Künste (MANU) keinen Albaner alsMitglied habe, in osteuropäischen Medien mit der Tat-sachenfeststellung gekontert, daß Albaner es ableh-nen, in »nicht-albanischen« Akademien Mitglied zuwerden.100

Aber solche Einzelbeispiele fallen nicht ins Gewicht� verglichen mit den beiden Grundunterschieden öst-licher und westlicher Perzeption balkanischer Gege-benheiten. Erstens weiß man im Osten, daß auf denPrinzipien der Ethnizität und der kollektiven Volks-gruppenrechte erbaute »Föderationen« (Sowjetunion,Tschechoslowakei, Jugoslawien) in Staaten zerbre-chen, die nach ethnischer Homogenität streben undin diesem Streben von ethnischen Minderheiten ko-piert werden � wie es mit Jugoslawien und im Kosovogeschah.

Zum zweiten weiß man im Osten, daß Besatzer-regime (wie es UNMIK und KFOR im Grunde ausüben)nicht einmal akute Konflikte meistern, geschweigedenn konstruktive Lösungen für die Zukunft erarbei-ten können: »The standoff between a small number of

98 Detailliert dazu Wolf Oschlies, Kosovo-Krieg � Wer lügtdenn da?, in: Journalist, (2001) 4, S. 42�44.99 Als beeindruckendes Beispiel in dieser Hinsicht vgl. dieWiedergabe eines Interviews, das der PDP-Führer Imer Imeridem Spiegel gegeben hatte, in: Delo (Ljubljana), 27.3.2001, S. 4.100 Vgl. das Interview mit MANU-Präsident Georgij Evremov,in: Delo, 29.3.2001.

Kosovo Serbs, on one hand, and Albanians, on theother continues. NATO peace-keepers cannot serve as aperennial guarantor of peace in the region � MostAlbanian politicians demand independence forKosovo. They are planning a referendum on the issueas a legal instrument for Kosovo residents to expresstheir will. The situation being what it is, it is not diffi-cult to predict the outcome of this referendum. None-theless, granting Kosovo independence would be inconflict with Resolution 1244 of the UN SecurityCouncil. Serb politicians, including the new Belgraderegime, will never out up with such a turn of events.On the other hand, �reintegration� of Kosovo intoYugoslavia on a new, democratic basis � consideringthe present situation in Kosovo � is an uphill task.Kosovo Albanian leaders are constantly repeating thatany preservation of Kosovo�s dependence on Belgradewould mean a setback«.101

Solche Befunde dürften mittlerweile »Binsenweis-heiten« sein, aber sie waren es allzu lange Zeit nicht.Hier zeigen sich die (in)direkten Schwächen interna-tionaler Kosovo-Politik, die den Machtwechsel inBelgrad nicht für eigene Zwecke nutzt, weil es ihrüberhaupt an Konzepten mangelt. Sie weist zwar eine»multiplicity of institutions« auf, leidet aber »fromcomplexity and lengthy for policy formulation«. DasErgebnis ist ineffizienter Leerlauf oder, wie es derBalkan-erfahrene Carl Bildt ausdrückte: »It is less aquestion of too many cooks spoiling the broth � it ismore that we don�t have a recipe«.102

Wie in der Mathematik Minus mal Minus Plusergibt, könnten die aktuellen Anomien des westlichenBalkans sehr wohl positiv transformiert werden:! Die albanische Totalverweigerung ist personell an

selbsternannte Führer gebunden: Mit diesen wird eskeine Lösung von Problemen geben, die ohne sienicht bestünden.

! Serbien lebt derzeit ökonomisch ohne Zukunfts-perspektive, aber sein politischer Čović-Plan für dieBefriedung Süd-Serbiens mit seinen drei Stufen �Integration, Demilitarisierung,Wirtschaftsbelebung � könnte auch für den Kosovoeine Dauerlösung sein, besonders wenn die dritteStufe massive Förderung aus der internationalenGemeinschaft erführe.103

101 A(leksandr) Karasev, Russia in Yugoslavia; Mission Accom-plished, in: International Affairs (Moskau), (2001) 1, S. 85�93(90ff).102 Misha Glenny, Has Anyone Seen Our Policy?, in: TheWashington Quarterly, (2000) 4, S. 171�175.103 Kurz vor den Septemberwahlen hatte Bodo Hombach

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

30

! Die internationale Präsenz im Kosovo ist, je längerje mehr, von »Hilflosigkeit«, »Ernüchterung«,»Schwäche«, »Kapitulation vor dem Faktischen«u.ä.m. gekennzeichnet.104

Es gibt zahlreiche denkbare »Optionen« für eineZukunft des Kosovo105 � die sich auf drei Grundformenreduzieren lassen: Souveränität, Teilung, Autono-mie.106 Die international nie gewollte Souveränitätscheidet inzwischen definitiv aus, so daß nicht einmaldie vage Möglichkeit übrigbleibt, man könne nachjahrelangem »Offenhalten« der kosovarischen Status-Frage doch noch auf sie zurückgreifen. Auch dieTeilung des Kosovo war niemals eine realistischeOption: Nach dem Ende der NATO-Mission kollidiertesie mit dem Anspruch von UNMIK und KFOR, Sicher-heit und Recht im ganzen Kosovo zu verbürgen. Alstemporäre Schutzmaßnahme und Übergangslösungauf dem Weg zum international akzeptierten Zielkosovarischer Autonomie in Jugoslawien dürfte derČović-Vorschlag Beachtung finden, im Kosovo Enti-täten zu bilden. Grundsätzlich aber bleibt es bei derAutonomie � von der angeblich kein Kosovo-Albaneretwas hören will.

Als zu Jahresbeginn im Kosovo Serben durch alba-nische Bomben umkamen, obwohl ihre Busse vonKFOR-Fahrzeugen begleitet wurden, gab es darauf nurzwei Reaktionen bei Albanern: Die einen fragten, wasSerben überhaupt noch im Kosovo zu suchen hätten �die anderen behaupteten zum wiederholten Mal, daßderartige Gewalttaten das Werk »serbischer Geheim-dienste« seien. Serben und liberale Albaner (wie VetonSurroi) befürchten, daß die Entwicklung im Kosovoauf eine Wahl zwischen zwei Übeln hinausläuft:Entweder wird die albanische Vorherrschaft über das

den Serben noch 2,1 Mrd. US-Dollar versprochen (BodoHombach, Yugoslav Voters� Choice Is Also about the Future ofEurope, in: International Herald Tribune, 23.9.2000, S. 4).Später war nur noch von 630 Mio. US-Dollar die Rede, vondenen bis Anfang März 2001 lediglich 274 Mio. US-Dollar ein-trafen. Italien trug davon mit 34,44 Mio. und Deutschlandmit 25,17 Mio. US-Dollar den Hauptanteil; vgl. B. Gulan, Krajmedenog meseca [Ende des Honig-Mondes], in: Ekonomskapolitika, 26.3.2001, S. 13.104 Andreas Wittkowsky, Give War a Chance? Optionen zurKonsolidierung des Kosovo, in: Internationale Politik undGesellschaft, (2000) 4, S. 347�360.105 Joseph Marko (Hg.), Gordischer Knoten Kosovo/a: Durch-schlagen oder entwirren?, Baden-Baden 1999.106 Die in diesem Zusammenhang von Serben gelegentlichin die Debatte gebrachte Idee eines »Gebietsaustauschs«, dasheißt Aufgabe des Kosovo gegen einen Anschluß der RepublikaSrpska, laut Dayton-Vertrag zweite Entität in Bosnien-Herce-govina, kann wohl ins Reich der Phantasie verwiesen werden.

kosovarische Terrain so total, daß die internationalePräsenz auf wenige isolierte Stützpunkte zurück-gedrängt wird, oder es kommt zu einem offenen Kriegmit der KFOR.107

In Medienberichten und Analysen wird immerwieder vor einer steigenden »Unruhe« oder »Unge-duld« unter den Albanern gewarnt. Dafür gibt es inder Tat viele Indizien:108 Zwei Drittel der Kosovo-Albaner sind unter 30 Jahre alt, die Wirtschaft derRegion bietet wenig Zukunftschancen, in jedem Fallweniger als die Kriminalität. Umfangreiche interna-tionale Hilfsprogramme haben eine allgemeine »An-spruchshaltung« entstehen lassen: Man betrachtet dieHilfe als selbstverständliche Bringschuld der inter-nationalen Organisationen. Andererseits lastet manalle Probleme und Mängel der UNMIK an, die als UN-Institution ohnehin als Exponent der Kräfte, die 1999gegen die NATO-Mission waren, ein geringes Ansehengenießt. Die ungeklärte Zukunft des Kosovo und mehrnoch die Parallelstrukturen der früheren UÇK, die derUNMIK das staatliche Gewaltmonopol streitig macht,schrecken potentielle Investoren aus dem Ausland ab.

Vor allem aber kommen hier die ungezähltenWaffen ins Spiel, die im Kosovo nach wie vor noch imUmlauf sind. Dazu erläuterte der US-Wehrexperte PaulBeaver: »Die albanischen Separatisten nutzen Waffen,die sie von der Jugoslawischen Armee und Polizeigestohlen haben, dazu auch militärisches Gerät, dassie zum Kampf gegen Milo�ević von der CIA und ande-ren amerikanischen Organisationen bekommenhaben. Gleichfalls haben sie Quellen in kriminellenNetzwerken, die sie mit modernsten Kleinwaffenversorgen, auch mit Funkgeräten, nicht aber mitschweren Waffen, weil sie eine Guerillatruppe sind.[...] Die NATO und die EU tun alles, um die Situationzu klären. Es liegt in niemandes Interesse, ausge-nommen im albanischen, daß es einen instabilenBalkan gibt«.109

Es steht also alles bereit, im Kosovo aggressiver alsje zuvor im Zuge einer ethnisch-nationalistischenMobilisierung zu einer Retribalisierung der eigenenIdentität zu schreiten und diese gegen andere mittelsDiskriminierung, Segregation, Unterwerfung oderEliminierung abzusichern. UNMIK und KFOR haben

107 Svetlana Ćurćević-Lukić, Srbi i Albanci � Kanalisanje očaja[Serben und Albaner � Kanalisierung der Verzweiflung], in:NIN, 22.2.2001, S. 12�14.108 Wittkowsky, Give War a Chance? (wie Anm. 104).109 Pol Biver (Paul Beaver) (Interview), Cepanje du� etničkihlinija [Spalten entlang ethnischer Linien], in: Reporter,4.4.2001, S. 6.

Ein Modell für das Kosovo?

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

31

das anfänglich nicht verstanden und stehen diesemPhänomen mittlerweile machtlos gegenüber: Ihre Poli-zeikräfte sind »nicht in der Lage, die innere Sicherheitzu gewährleisten«, weil die »zunehmend organisiertenGewaltverbrechen aus ethnischen Motiven« dementgegenstehen und Aufklärungsbemühungen »in derBevölkerung oft auf eine Mauer des Schweigens«stoßen, zudem von lokalen Hilfskräften, Dolme-tschern etc. behindert werden.110 Noch geht der Kampfvorwiegend um das Gewaltmonopol, das Albaner mög-lichst eng mit staatlicher Unabhängigkeit verbundensehen möchten, während UNMIK es als Voraussetzungelementarer Ordnung, Sicherheit, Rechtspflege etc.durchsetzen möchte, aber immer weniger kann.

Wie immer diese Auseinandersetzung ausgehenwird � sie könnte leichter und rascher überstandenwerden, wenn die internationale Gemeinschaft dieSerben ins Boot holte. Sollte der Konflikt eskalieren,würde es eine serbische Beteiligung in Übereinstim-mung mit UN-Resolution 1244 geben: »that after thewithdrawal an agreed number of Yugoslav and Serbmilitary and police personnel will be permitted toreturn to Kosovo«. Sollte es aber � nach einer Restitu-ierung des interationalen Gewaltmonopols im Kosovound der Einsetzung eines internationalen War andEthnic Crimes Court111 � zur diametral gegenteiligen Ent-wicklung, zu konstruktiven Verhandlungen, kommen,dann stünde der serbische Čović-Plan als einzigesModell zur Verfügung. Wie es aussieht, sogar als ein-ziges erfolgversprechendes Modell!

110 Wittkowsky, Give War a Chance? (wie Anm. 104).111 Ebd.

Anhang: Pre�evo-Tal � Land, Leute, Konflikte

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

32

Anhang: Pre�evo-Tal � Land, Leute, Konflikte

Multiethnizität in (Süd)Serbien

Serbien (86 500 qkm, 10,3 Mio. Einwohner) ist wederethnisch noch sozioökonomisch so homogen, wie esmanchem erscheinen mag. »Serbien [ist] heute dasLand mit den größten regionalen Disproportionali-täten, und zwar unter allen Aspekten, nicht nur indieser Region, sondern auch in ganz Europa«.112

Serbische Geschichte ist auch eine Geschichte territo-rialer Erweiterungen.113 Dabei behielt jede verein-nahmte Region ihre ethnische Komposition und ihreökonomische Natur. Die koexistenzielle Regionalitätist nicht an ökonomische Prosperität gebunden. Siegedeiht auch in kargen Gebieten (wie dem Sand�ak)oder in »Armenhäusern« wie dem Pre�evo-Tal (Pre�evskakotlina bzw. albanisch Lugina e Preshevës) im südser-bisch-kosovarisch-makedonischen Dreiländereck. DasGebiet südlich von Vranje war stets ein Geheimtipunter Folklorefreunden und Ethnomusikologen, daseine ethnisch gemischte Bevölkerung eine unge-wöhnlich klangschöne und reiche Volksmusik undTanzkultur hervorgebracht hatte und pflegte. Die Mul-tiethnizität dürfte sich mehr oder minder bis zur Ge-genwart erhalten haben. Von der Volkszählung 1991stammen die letzten demographischen Daten. Damalsstellten sich die Region und ihre wichtigsten Kom-munen mit folgenden (abgerundeten) Zahlen dar:114

Region Pre�evo Bujanovac Medveđa

Größe (qkm) 1249 264 461 524

Einwohner 102 000 38 500 50 000 13 500

Serben (%) � 8 30 70

Albaner (%) 90 60 28

sonstige (%) 2 10 2

112 Vesna Jeličić, Posticaji razvoju nerazvijenih krajeva [An-stöße für die Entwicklung unterentwickelter Regionen], in:Politika, 26.2.2001, S. 10.113 Ignacij Voje, Nemirni Balkan � Zgodovinski pregled od 6.do 18. stoletja [Unruhiger Balkan � Historischer Überblickvom 6. bis zum 18. Jahrhundert], Ljubljana 1994, S. 92ff;Gilbert in der Maur, Die Jugoslawen einst und jetzt, 2 Bde.,Bd. I: Aus der Geschichte der Südslawen, Leipzig/Wien 1936.114 Von Vizepremier Čović am 9.2.2001 im Rahmen einerCall-in-Sendung bei RTS auf eine Zuschauerfrage hin verlesen.

Das Pre�evo-Tal ist die natürliche Verbindungzwischen den zwei großen balkanischen Senken, demMorava-Tal (Moravska udolina bzw. albanisch Lugina eMoravës) und dem Vardar-Tal (Vardarska udolina bzw.albanisch Lugina e Vardarit). Es verbindet über denMorava � Vardar-Kanal zwei große Flußläufe, und es isteine optimale Verkehrs-Trasse, durch die zum Beispieldie Zugverbindung Belgrad � Thessaloniki verläuft.Aber diese guten Voraussetzungen haben den dreiGemeinden keinen Segen gebracht, vielmehr gerietensie nach kurzen Aufschwüngen in Stagnations- undVerfallsphasen, was sich im Detail so ausnahm:! Pre�evo:115 Die Kommune, im Jahre 1381 als Diöze-

san-Zentrum erstmalig erwähnt, besteht aus 35Siedlungen (naselja), von denen 34 Dörfer (sela)sind. Allein Pre�evo ist eine »Siedlung städtischenTyps« (naselje gradskog tipa). Mit einer durch-schnittlichen Familiengröße von 6,3 Angehörigen(1981) und einer natürlichen Zuwachsrate von 2,5%(1981) lag Pre�evo hinsichtlich der Bevölkerungs-dichte über dem Republiksdurchschnitt, obwohl eshier schon früh eine ökonomisch motivierte Migra-tion ins Ausland gab. Die Hauptquelle der Subsi-stenz war für knapp drei Viertel der Bevölkerungbis 1971 die Landwirtschaft. Ihr Anteil wurde späterdurch die Vereinigung mit dem deutlich wenigeragrarischen Oraovica (knapp 38% Landwirtschaft)statistisch vermindert. In der ethnischen Komposi-tion dominierten 1981 die Albaner (85,3%), gefolgtvon den Serben (12,4%) und den Roma (1,3%).

! Medveđa:116 Mit 33 Einwohnern pro Quadratkilome-ter gehörte die Kommune im Nordwesten desPre�evo-Tals 1981 zu den dünnbesiedelten der Repu-blik. Sie setzt sich aus 44 Siedlungen zusammen,sämtlich Dörfer, ausgenommen Medveđa selber.Traditionell lebten 90% der Bevölkerung von derLandwirtschaft. Bis 1953 gab es einen Bevölkerungs-zuwachs, dem bis 1961 eine stagnacija folgte, die

115 Jovan Ćirić, Pre�evo, in: Mihailo Maletić (Hg.), Socijali-stička Republika Srbija, 5 Bde., Bd. III, Belgrad 1985,S. 495�498.116 Jovan Ćirić, Medveđa, ebd., S. 463�464.

Zur politischen Bedeutung des Pre�evo-Tals

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

33

wiederum von einer Entvölkerung (depopulacija)abgelöst wurde. Das Gros der ländlichen Migrantenließ sich im kommunalen Zentrum nieder, aberviele zog es auch bis nach Nord-Serbien oder insAusland. Bereits 1981 stellten die Serben (56,1%) dasgrößte Bevölkerungskontingent, gefolgt von Alba-nern (32,0%) und Montenegrinern (9,9%). 1997 er-reichte Medveđa lediglich 47,6% seines Entwick-lungsniveaus von 1990.117

! Bujanovac:118 Bis 1878 war die Kommune eingewöhnliches Dorf, das von Veliki Trnovac, heuteein Vorort von Bujanovac, an Urbanität weit über-flügelt wurde. Mit der Grenzziehung zum Osmani-schen Imperium wurde es ein wichtiger Durch-gangsort, dessen Bedeutung durch den Eisenbahn-bau 1888 weiter stieg. Diese Blüte verfiel bereits1912, als Serbien im Ersten Balkankrieg sein Terri-torium nach Süden erweiterte und Bujanovac sozu-sagen im Hinterland verschwand. Zwischen denWeltkriegen war es ein unbedeutendes Kreiszen-trum in einer Region, die von Landwirtschaft undWeberei geprägt war. Nach 1945 erlebte es durchden neu eingeführten Tabakanbau eine geringeBelebung, kam aber nie hinaus über den »Statuseines ökonomisch unzureichend entwickeltenGebiets«. Dennoch vergrößerte Bujanovac seineBevölkerung bis 1981 um insgesamt 371% � verlordanach aber große Teile davon wieder im Zugeeiner forcierten Migration. Diese wurde durch hoheNatalitätsraten partiell ausgeglichen. Die durch-schnittliche Familiengröße betrug 1981 5,2 Mit-glieder. Ethnisch präsentierte sich Bujanovac 1981relativ ausgewogen: 55,4% Albaner, 34,1% Serbenund 8,8% Roma.Es ist anzunehmen, daß die Bevölkerung des Pre�e-

vo-Tals zwar Familiengrößen und Geburtenraten auf-weist, die den ähnlich hohen (und höheren) desKosovo entsprechen, andererseits aber nicht die fürdie Kosovaren typische Immobilität zeigt.119 Die großeMobilität der Pre�evaren war von der ökonomischenRückständigkeit der Region motiviert � die 1999gerade 35% des gesamtserbischen Durchschnitts

117 Vesna Jeličić, Posticaji razvoju nerazvijenih krajeva [An-stöße für die Entwicklung unterentwickelter Regionen], in:Politika, 26.2.2001, S. 10.118 Jovan Ćirić, Bunjovac, in: Maletić, Socijalistička RepublikaSrbija, Bd. III, S. 410�414.119 Zum Kosovo vgl. Srdja Popović et al., Kosovoski ćvor �dre�iti ili seći? [Der Kosovo-Knoten � aufwickeln oder durch-schneiden?], Belgrad 1990.

erreichte120 � und teilte sich offenkundig allen lokalenVolksgruppen mit: In den 60er Jahren gingen zu-nächst zahlreiche Albaner ins westliche Ausland, vorallem in die Schweiz, in den 70ern folgten ihnen dieSerben, die vorwiegend nach Deutschland gingen, oft-mals aber auch nur in reichere Regionen Serbienszogen. In den frühen 90er Jahren wurden Albaner ausBetrieben hinausgeworfen und wanderten ins Kosovoab, Ende der 90er folgte noch eine albanische Flucht-welle im Verlauf der NATO-Mission.121 Der Lebensstan-dard der Region erreichte bereits im alten Jugoslawiennur 56% des gesamtjugoslawischen und lediglich einViertel des slowenischen Durchschnitts.122 In den 90erJahren konnten Bujanovac und Medveđa ihre Situa-tion leicht verbessern, beispielsweise durch wach-sende Industrieanteile an der Erwerbsstruktur(Medveđa 1988 54,8% und 1999 64,1%), währendPre�evo sich verschlechterte: 1998 lag das jährlicheDurchschnittseinkommen in ganz Serbien bei 1700US-Dollar, in Pre�evo aber nur bei 370 US-Dollar.123

Zur politischen Bedeutung des Pre�evo-Tals

Gegenwärtig handelt es sich um Kommunen, »die derDurchschnitts-Serbe nur mit Mühe auf der Kartefände«,124 weil ihre Standards sogar die Mittelwertedes verelendeten Serbiens noch unterschreiten: DieWege der Region sind nicht asphaltiert, Wasserleitun-gen und Kanalisation schaffen ständig Probleme, undwenn die Orte überhaupt mit Strom versorgt sind,dann flackert der mit 100, 140 Volt, Telefonleitungensind eine Seltenheit, und von den 45 000 Einwohnernvon Pre�evo und Umgebung hat nur jeder vierzigsteArbeitsfähige einen Arbeitsplatz. Den infrastrukturel-len Defiziten entsprachen die kulturellen: In denletzten zehn Jahren hatte es in der Region keineeinzige Theateraufführung, Ausstellungseröffnungo.ä. gegeben. Erst seit dem Frühjahr 2001 regt sich inBujanovac wieder ein lebendiger Kulturbetrieb mit

120 Vesna Jeličić, Posticaji razvoju nerazvijenih krajeva [An-stöße für die Entwicklung unterentwickelter Regionen], in:Politika, 26.2.2001, S. 10.121 Tanja Jakobi, »Kupovina mira« [Aufkauf des Friedens], in:NIN, 12.4.2001.122 Radojka Nikolić, �ivotni standard najvi�i u Sloveniji [InSlowenien ist der höchste Lebensstandard], in: Politika,3.2.2001, S. 25.123 Ausweislich einer Studie von Mirosinka Dinkić, Berichtin: NIN, 12.4.2001.124 Dejan Anastasijević/Jovan Dulović, Zona visokog rizika[Zone hohen Risikos], in: Vreme, 30.11.2000, S. 8�11.

Anhang: Pre�evo-Tal � Land, Leute, Konflikte

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

34

Theater, Kino, Photo-Ausstellung etc.125 Völlig diskri-miniert wurden die lokalen Albaner, die keine Medienin ihrer Muttersprache hatten, keine Arbeitsplätze inStaatsbetrieben fanden, in der Polizei überhaupt nichtvertreten waren126 � alles Folgen der »Politik desMilo�ević-Regimes« gegenüber Albanern, das heißt»der hartnäckigen und systematischen Überzeugungs-arbeit, daß Serbien nicht ihr Staat ist und sie in ihmnur Bürger zweiter Klasse sein können«.127 Kein Reprä-sentant des alten Regimes hat sich jemals im Pre�evo-Tal sehen lassen, da die Region nur unter dem Blick-winkel von Wahlmanipulationen »interessant« war:Mehrere Tausend Albaner in einem Stimmkreiswählten einen Abgeordneten � 700 Serben im Nachbar-kreis wählten drei.128

Westlich von Pre�evo, über Bujanovac bis Vranje,erstreckt sich die 5 Kilometer breite Boden-Sicherheits-zone, die � wie erwähnt � im Juni 1999 zwischen NATOund VJ im Rahmen eines Vertrags vereinbart wurde,der vor allem den Abzug der VJ aus dem Kosovoregelte. Die Zone, die KFOR und VJ nicht betretendurften, war in mehrere Sektoren aufgeteilt (vgl. Karteauf S. 35129). Im südöstlichen Dreigrenzeck (Kosovo � Serbien � Makedonien) lag der Sektor C-Ost, ihm schloßsich der Sektor B an, der von Pre�evo bis nördlichVranje reichte. Bis kurz vor Merdare erstreckte sichder Sektor D, die Nord- und Westregion bildete derSektor A, dessen unterer Teil auf montenegrinischemTerritorium lag, wo die Zone mit dem kleinen SektorC-West endete. Seit November 1999 wurde die Zone vonalbanischen Extremisten eingenommen, die sich Befrei-ungsarmee von Pre�evo, Bujanovac und Medveđa (UÇPMB)nannten und für die Angliederung dieses Ost-Kosovo(wie das Pre�evo-Tal in kosovo-albanischen Medien mit-unter bezeichnet wird) kämpften. Historisch richtigist, daß die Region bis zum Ende des Zweiten Welt-kriegs zum Kosovo gehörte, dann von ihm abgetrenntwurde; als Kompensation kamen ein paar serbischdominierte Gebiete zum Kosovo � um, so die albani-sche Ansicht, den Bevölkerungsanteil der Albaner zu

125 �ivot zajedno [Leben gemeinsam], in: NIN, 1.3.2001.126 Ausführlich geschildert von dem Albaner Shaip Kamberivom Menschenrechtsrat in Südserbien in einem Interview mitdem albanischen Dienst der Deutschen Welle (DW),6.12.2000.127 Dejan Anastasijević, Kriza na jugu Srbije � Hrabrost za nor-malnost [Krise im Süden Serbiens � Mut zur Normalität], in:Vreme, 8.2.2001, S. 19�21.128 Vojkan Ristić, Put kojim se rijetko ide [Ein Weg, den manselten geht], in: Dani (Sarajevo), 2.2.2001, S. 40�41.129 Aus: Politika, 23.3.2001.

senken. Diese Maßnahme hatte Spätfolgen: »[...] KLA130

men, on a triumphant high and convinced that theWest was unconditionally behind them, opportunisti-cally decided to reconstitute a guerrilla force to assertirredentist claims«.131

Von Anfang an haben Serben und Albaner einanderwechselseitig beschuldigt, an der Verschärfung derLage allein schuld zu sein, während die NATO Distanzzu beiden hielt. Das änderte sich, die Serben wurdenzurückhaltender und dialogbereiter, die Albaner ner-vöser und aggressiver.132 Albanische radikale Gruppenversuchten, die nun eintretenden politischen Miß-erfolge durch Waffengänge in den ihnen zugäng-lichen Regionen zu kompensieren und damit nochillegale Profitinteressen zu verbinden: »Peace in theBalkans is bad for the racketeers. They gain too muchfrom disruption«.133

Die Situation im Pre�evo-Tal, wie sie von der UÇPMBgeschaffen wurde, war vor zwei Jahren offenkundigfür niemanden vorstellbar. In den einschlägigen Passa-gen des Kumanovo-Abkommens134 wird jedenfalls nichtmit derartigen Entwicklungen gerechnet:»(I, 3, e) The Ground Safety Zone (GSZ) is defined as a5-kilometre zone that extends beyond the Kosovoprovince border into the rest of FRY territory. Itincludes the terrain within that 5-kilometre zone. [...](I, 4, a) The purpose of these obligations are as follows:To establish a durable cessation of hostilities, underno circumstances shall any Forces of the FRY and theRepublic of Serbia enter into, reenter, or remain with-in the territory of Kosovo or the Ground Safety Zone[...] without the prior express consent of the interna-tional security force (K-FOR) commander. Local policewill be allowed to remain in the GSZ. [...](I, 4, b) To provide for the support and authorisationof the international security force (K-FOR) and in par-ticular to authorise the international security force(K-FOR) to take such actions as are required, includingthe use of necessary force, to ensure compliance withthis Agreement and protection of the internationalsecurity force (K-FOR), and to contribute to a secure

130 Kosovo Liberation Army; englische Bezeichnung für UÇK.131 Tim Judah, Greater Albania?, in: Survival, 43 (Sommer2001) 2, S. 7�17 (11).132 Bo�o Nikolić, Kopnena zona nesigurnosti [Bodenzone derUnsicherheit], in: Monitor, 23.2.2001, S. 18�20.133 Judy Dempsey, Motley Group of Guerillas and Smugglers,in: Financial Times, 22.3.2001.134 Wortlaut bei Erich Reiter (Hg.), Der Krieg um das Kosovo1998/99, Mainz 2000, S. 272ff.

Zur politischen Bedeutung des Pre�evo-Tals

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

35

Anhang: Pre�evo-Tal � Land, Leute, Konflikte

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

36

environment for the international civil implementa-tion presence, and other international organisations«.

Neuere Stimmen in Serbien argumentierten imZusammenhang mit dem Vertrag etwas zu viel mitAusdrücken wie »Kapitulation« und »Okkupation«, wasObrad Stevanović, damals zusammen mit GeneralSvetozar Marjanović Unterzeichner des Vertrags undderzeit Staatssekretär im serbischen Innenministeri-um, zu massivem Widerspruch reizte: Der Kumanovo-Vertrag war die beste Abmachung, die die BRJ bekom-men konnte, er beendete die NATO-Attacken. HeutigeProbleme in Süd-Serbien seien weder durch ihn nochdurch die UN-Resolution 1244 verursacht, höchstensdurch deren inkonsequente Implementierung.135 Dastraf gewiß zu, wie aber auch die Sicherheitszone zeit-weilig ihrem Namen Hohn sprach. Die UÇPMB kon-trollierte sie, bedrohte die lokale Bevölkerung undkonnte das nicht zuletzt wegen eines kaum gestörtenlogistischen Rückhalts zum Kosovo tun,136 weil»American and other NATO forces have failed to stopthe cross-border guerilla activity«.137

Zu den »other forces« gehörten auch russischeTruppen, die den entsprechenden Grenzabschnittzusammen mit den Amerikanern bewachten und sichnach Aussagen von Albanern noch »kooperativer«verhielten als die US-Soldaten.138 Auch ohne das hättesich die KFOR vermutlich außerstande gesehen, hiereinzugreifen. Bei Bedarf hätte sie aus der Luft attackie-ren können, aber »wünscht wirklich irgendwer, daßdie NATO erneut aus der Luft Ordnung in Serbienschafft?«139 Ende 2000 glaubten die neuen Machthaberin Belgrad noch, sie müßten KFOR, UNMIK und dieinternationale Gemeinschaft in einer Zehn-Punkte-Erklärung auf ihre »Verantwortung« hinweisen undvom UN-Sicherheitsrat fordern, daß »er möglichstkürzeste Fristen setzt und Maßnahmen zum Rückzugder Terroristen aus der Sicherheitszone ergreift«.140

Damals trat vor allem Premier Zoran Đinđić überaus

135 Obrad Stevanović, Kumanovski sporazum je tehnički, a neosnovni [Der Kumanovo-Vertrag ist technisch, nicht grund-legend], in: Politika, 22.1.2001, S. 7.136 Südserbiens Zivilbevölkerung in Angst, in: Neue ZürcherZeitung, 2.2.2001, S. 6.137 William Pfaff, Stopping Kosovar Attacks on Serbia Is aMission for NATO, in: International Herald Tribune, 1.2.2001,S. 8.138 Vladimir Radomirović/Milorad Vesić, Ovde nema pozitiv-nog ishoda [Hier gibt es keinen positiven Ausweg], in: Repor-ter, 28.3.2001, S. 8�13 (9).139 Dejan Anastasijević, Kumanovski nesporazum [Das Miß-verständnis von Kumanovo], in: Vreme, 28.12.2000.140 Ebd.

martialisch auf: »Wir geben der Kfor-Friedenstruppeim Kosovo noch maximal 20 Tage Zeit, die Lage imGrenzgebiet zu stabilisieren. Sollten sich jedochIndizien für eine albanische Offensive ergeben, wirdunsere Polizei sofort intervenieren«.141

Bewaffnete Albaner im Pre�evo-Tal

Die Albaner im Kosovo und im Pre�evo-Tal haben seitBeginn der 90er Jahre bei allen Ereignissen in Serbieneinen head-in-the-sand-approach praktiziert und damitauch den Aufstieg der serbischen Opposition gegendas Milo�ević-Regime ignoriert. Folglich wurden sievon dem Sieg der Demokratischen Opposition Serbiens(DOS) und von der wachsenden Zustimmung der inter-nationalen Gemeinschaft zu den neuen Machthabernin Serbien gleich doppelt überrascht. Sämtliche ihrerReaktionen waren von steigender Nervosität geprägt,vor der letztlich auch UNMIK-Chef Bernard Kouchnerresignierte. Als er Anfang Januar 2001 seinen Postenverließ, fand er deutliche Worte: »Mon message finalest très simple: arrêtez les tueries, arrêtez la violence!Comme un ami, je veux vous prévenir: vous êtes endanger. Pour l�opinion publique internationale, lesvictimes sont [...] devenues les nouveaux oppres-seurs«.142 Kouchners Befund traf zu, seine Warnungwurde in den Wind geschlagen, womit ein Circulusvitiosus einsetzte, der allein Belgrad nutzte: Da alba-nische Extremisten serbische Dialogangebote mitUnruhen in Mitrovica, Konfrontation mit der KFORund Terror in Süd-Serbien beantworteten, mußte sichdie internationale Gemeinschaft, vor Ort vor allemmit der KFOR präsent, laufend deutlicher gegen dieAlbaner kehren und Belgrad zuwenden � wobei letz-tere Zuwendung die gewaltbereite Ungeduld aufalbanischer Seite noch steigerte.143 Kurz: Es handeltsich um eine der »Krisen, die [...] Relikte eines zurück-liegenden blutigen Streits sind; sie brechen aus, weilsich die Lage schrittweise normalisiert � woran dieFriedensverlierer kein Interesse haben; sie leben vonden Spannungen«.144

141 Vgl. das Gespräch mit ihm, in: Der Spiegel, (2001) 1,S. 107�110.142 Jean-Baptiste Naudet, Kosovo � le temps des frèresennemis, in: Le Nouvel Observateur, 31.1.2001, S. 32ff.143 International Crisis Group (ICG), Reaction in Kosovo toKostunica�s Victory, in: http://www.intl-crisis-group.org.144 Christoph von Marschall, Gute Krisen, schlechte Krisen, in:Der Tagesspiegel, 6.3.2001.

Abkürzungen

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-Tal

September 2001

37

Die (klangliche) Namensähnlichkeit der albani-schen UÇPMB im Pre�evo-Tal mit der alten UÇK sugge-riert die Annahme, es mit einem »Ableger«, mit einer»Thaçi-Armee« oder ähnlichem zu tun zu haben. Sosagte es der serbische Premier Zoran Đinđić, aber dasmußte nicht stimmen: Die albanischen Politiker desKosovo, allen voran »Präsident« Ibrahim Rugova und»Premier« Hashim Thaçi, sind heillos zerstritten, waseinem lachenden Dritten Chancen eröffnet: RamushHaradinaj � ehemaliger UÇK-Kommandant, Benzin-und Zigaretten-Schmuggler und Gründer der Allianzfür die Zukunft des Kosovo (AKK) mit Ambitionen auf diePräsidentschaft der »Republik Kosova«.145 Ihm vorallem wird die Urheberschaft der UÇPMB, ihrerBewaffnung und Instruierung zugeschrieben. Anders-lautende Annahmen stützten sich vor allem auf dieauch der NATO146 bekannte UÇK-Taktik,147 durch An-griffe auf serbische Polizeiposten »Überreaktionen«mit möglichst vielen zivilen Opfern zu provozieren,was irgendwann die NATO ins Kampfgeschehen ein-bezöge.

Im Jahr 2000 wurden in der Region 313 »terroristi-sche Überfälle und Provokationen« gezählt, davon 285allein in der Gemeinde Bujanovac. Von allen Aktionenrichteten sich 287 gegen serbische Polizisten. Insge-samt wurden 17 Personen getötet (8 Polizisten, 9 Zivili-sten) und 41 verletzt.148 Diese relativ geringen Opfer-zahlen sprachen gegen die angebliche Stärke undBewaffnung der UÇPMB, und eine Einzelaufstellungder schwersten Übergriffe149 vermittelte ebensowenigden Eindruck, daß es die serbische Polizei mit einemzahlenmäßig starken und schwerbewaffneten Gegnerzu tun hatte.

Waren die UÇPMB-Bewaffneten überhaupt Albaner?Eine bosnische Reportage aus Süd-Serbien wecktedaran Zweifel. Darin wurde ein Albaner aus der Umge-bung von Bujanovac (der um keinen Preis seinenNamen erwähnt haben wollte) mit folgender Aussagezitiert:150 »Wir sind in Veliki Trnovac ungefähr Zehn-tausend. Trotz dieser Menge kennen wir uns alle. Bei

145 Enver Robelli, Haudegen mit Ambitionen, in: Tages-Anzeiger, 17.2.2001.146 Vgl. das Interview mit NATO-Generalsekretär GeorgeRobertson, in: NIN, 1.2.2001, S. 14�16.147 Michael Schwelien, »Wir sind die Bodentruppe der Nato«,in: Die Zeit, 29.4.1999, S. 3.148 Vojkan Ristić, Put kojim se rijetko ide [Ein Weg, den manselten geht], in: Dani (Sarajevo), 2.2.2001, S. 41.149 In: Vreme, 30.11.2000, S. 9.150 Vojkan Ristić, Put kojim se rijetko ide [Ein Weg, den manselten geht], in: Dani (Sarajevo), 2.2.2001, S. 41.

uns gibt es bewaffnete Leute. Es sind rund Dreihun-dert. Sie tragen Tarnuniformen. Sie ähneln denČetniks. Viele von ihnen sprechen schlecht Albanisch.Kein einziger von ihnen ist aus unserem Dorf. Das sindSöldner [plaćenici]. Sie erpressen von uns Schutzgelder[oni nas reketiraju]«.

Die serbische Polizei, darunter eine Eingreif-Brigade(Interventna policijska brigada) aus Belgrad, kontrol-lierte 10 bis 15% der 460 qkm großen Sicherheitszone;dieser Einsatz kostete Belgrad täglich mindestens dreiMillionen Dinar (etwa 300 000 DM).151 Das restlicheTerritorium der Sicherheitszone hielt die UÇPMB.Deren »Stab« lag ca. 15 km westlich von Bujanovac,direkt an der Grenze zum Kosovo, in dem DorfDobrosin, in welchem zu Jahresbeginn 2001 auch der»Jahrestag« der UÇPMB-Gründung festlich begangenwurde. Die (bis auf die Dörfer Gramada und Letovica)ausschließlich albanisch besiedelte Region Bujanovacwar in drei »Sektoren« aufgeteilt: Den nördlichenSektor kommandierte Muhamed D�emalj, den mitt-leren Sektor um Končulj Shefket Musliu, ein Auto-schlosser aus Končulj, im Süden war es Shaqir Shaqiri,und eine gewisse Leitungsfunktion schien der Schnei-der Ridvan Qazimi einzunehmen, der in Presse-berichten als »Kommandant Le�ij« auftauchte.152

Bedeutender war in jedem Fall Riza Halimi, Bürger-meister von Pre�evo und Chef der Partei für demokrati-sche Aktion (PDD), dessen Abneigung gegen die Thaçi-Führung im Kosovo und Distanz zur UÇPMB bezeugtsind. Damit erwies sich Halimi auch als typischerRepräsentant der lokalen Albaner, die sich vor denUÇPMB-Bewaffneten fürchteten und jedes Gesprächbeendeten, wenn diese in der Nähe waren.

Abkürzungen

AKK Allianz für die Zukunft des KosovoBRJ Bundesrepublik JugoslawienCIA Central Intelligence Agency (USA)DA Demokratska Alternativa (Demokratische Alternative)DOS Demokratska Opozicija Srbije (Demokratische

Opposition Serbiens)EU Europäische UnionFRY Federal Republic of YugoslaviaGSZ Ground Safety ZoneICG International Crisis GroupICTY International Criminal Tribunal for the former

Yugoslavia

151 Bericht in: Politika, 20.2.2001.152 Franz-Josef Hutsch, Sieben Tage bis zum Krieg?, in:Hamburger Abendblatt, 20.12.2000.

Abkürzungen

SWP-BerlinSüd-Serbiens Pre�evo-TalSeptember 2001

38

JUL Jugoslavenska Levica (Jugoslawische Linke)KFOR Kosovo ForceKLA Kosovo Liberation ArmyMANU Makedonska Akademija na Naukite i Umetnostite

(Makedonische Akademie der Wissenschaften undKünste)

NGO Non-Governmental OrganizationOSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in

EuropaUNHCR United Nations High Commissioner for RefugeesPDD Partia e Djathtë Demokratike (Rechte Demokratische

Partei)PDP Partija za Demokratski Prosperitet (Partei der

demokratischen Prosperität)RTS Radio Televizija SrbijeSPS Socialstička Partija Srbije (Sozialistische Partei

Serbiens)UÇK Ushtrisë Çlirimtare të Kosovës (Kosovo Liberation

Army)UÇPMB Ushtria Çlirimtare e Preshevës, Medvegjës dhe

Bujanovcit (Befreiungsarmee für Pre�evo, Medveđaund Bujanovac)

UN United NationsUNMIK United Nations Interim Administration Mission in

KosovoVJ Vojska Jugoslavije (Armee Jugoslawiens)ZSB Zdru�ene Sile Bezbednosti (Vereinigte

Sicherheitskräfte)