Wollt ihr den totalen Trash? Nazis in der Popkultur

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34 Was haben Indiana Jones, Hellboy und James Ryan gemeinsam? Sie alle müssen sich mit Nazis herumär- gern. Manche in offensichtlichen, manche in weniger offensichtlichen Zusammenhängen. Als regelmäßiger Konsument populärkultureller Inhalte kann man sich des Eindrucks zunehmend schwerer erwehren, dass die Nationalsozialisten in ebenjenen Inhalten eine Ni- sche gefunden haben, in denen sie auch mehr als 60 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs ihr Unwesen treiben können. Dieses Unwesen wird freilich in schö- ner Regelmäßigkeit von den oben genannten Cha- rakteren und ihren Kollegen aus Literatur, Film und Videospielen beendet – jedenfalls vorläufig. So beun- ruhigend es auf den ersten Blick scheinen mag: Nazis sind zu beliebten Antagonisten in populärkulturellen Franchises geworden. Grund genug, sich einmal näher mit der populärkul- turellen Adaption und Rezeption des Nationalsozi- alismus zu beschäftigen. Dies soll nicht aus einer historischen, sondern aus medien- und kulturwissen- schaftlicher Perspektive geschehen und nicht einzelne Franchises, sondern vielmehr strukturelle Kategorien der populärkulturellen Wiederbelebung des National- sozialismus in den Vordergrund stellen. Schindlers Liste, Der Untergang, Der Soldat James Ryan – Den überwiegenden Teil der populären Darstel- lungen machen nach wie vor historische Interpretati- onen des Nationalsozialismus aus. Die hohe Konjunk- tur solcher „historischen Nazis“ im deutschsprachigen Raum findet ihre Wurzeln in der Erinnerungskultur, mit der in regelmäßigen Abständen die Verbrechen der Nationalsozialisten vor einem Vergessen durch die nachfolgenden Generationen bewahrt werden soll. Über Sinn und Zweck dieser sich ständig wiederho- lenden Moralinspritzen soll hier nicht diskutiert wer- den. Es sei lediglich angemerkt, dass die meisten Beispiele historischer Nazis in den deutschen Medien eher didaktisch fungierende Antagonisten sind, wäh- rend die rein deskriptive Darstellung erst in den letzen Jahren [unter anderem durch Der Untergang] an Ein- fluss gewonnen hat. Wollt ihr den totalen Trash? Der Nationalsozialismus und die Pop-Kultur Benjamin Hahn und Felix Raczkowski

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Was haben Indiana Jones, Hellboy und James Ryan gemeinsam? Sie alle müssen sich mit Nazis herumär-gern. Manche in offensichtlichen, manche in weniger offensichtlichen Zusammenhängen. Als regelmäßiger Konsument populärkultureller Inhalte kann man sich des Eindrucks zunehmend schwerer erwehren, dass die Nationalsozialisten in ebenjenen Inhalten eine Ni-sche gefunden haben, in denen sie auch mehr als 60 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs ihr Unwesen treiben können. Dieses Unwesen wird freilich in schö-ner Regelmäßigkeit von den oben genannten Cha-rakteren und ihren Kollegen aus Literatur, Film und Videospielen beendet – jedenfalls vorläufig. So beun-ruhigend es auf den ersten Blick scheinen mag: Nazis sind zu beliebten Antagonisten in populärkulturellen Franchises geworden.Grund genug, sich einmal näher mit der populärkul-turellen Adaption und Rezeption des Nationalsozi-alismus zu beschäftigen. Dies soll nicht aus einer historischen, sondern aus medien- und kulturwissen-schaftlicher Perspektive geschehen und nicht einzelne Franchises, sondern vielmehr strukturelle Kategorien der populärkulturellen Wiederbelebung des National-sozialismus in den Vordergrund stellen.Schindlers Liste, Der Untergang, Der Soldat James Ryan – Den überwiegenden Teil der populären Darstel-lungen machen nach wie vor historische Interpretati-onen des Nationalsozialismus aus. Die hohe Konjunk-tur solcher „historischen Nazis“ im deutschsprachigen Raum findet ihre Wurzeln in der Erinnerungskultur, mit der in regelmäßigen Abständen die Verbrechen der Nationalsozialisten vor einem Vergessen durch die nachfolgenden Generationen bewahrt werden soll. Über Sinn und Zweck dieser sich ständig wiederho-lenden Moralinspritzen soll hier nicht diskutiert wer-den. Es sei lediglich angemerkt, dass die meisten Beispiele historischer Nazis in den deutschen Medien eher didaktisch fungierende Antagonisten sind, wäh-rend die rein deskriptive Darstellung erst in den letzen Jahren [unter anderem durch Der Untergang] an Ein-fluss gewonnen hat.

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Im anglo-amerikanischen Kulturkreis hingegen lässt sich die ungebrochene Anziehungskraft des Nationalsozialis-mus dabei auf zweierlei Arten begründen: Der Sieg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland und die Befreiung Eu-ropas stellen einen bis heute in dieser Größenordnung nicht wiederholten militärischen Erfolg dar und machen die modernen Traumata vergessen, denen sich z.B. die USA seit dem Vietnam-Krieg in zunehmender Häufig-keit ausgesetzt sehen. Hinzu kommt, dass der Zweite Weltkrieg in der öffentlichen Wahrnehmung eine andere Qualität besitzt als die späteren Konflikte unter US-ame-rikanischer Beteiligung. Die amerikanischen Kriege der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnen sich durch die diffuse Komplexität und Größenordnung von Gueril-la-Operationen und hochtechnisierter, bisweilen an pure Simulationen gemahnender Kriegsführung aus. Diese Entwicklung, so zynisch diese Einschätzung anmuten mag, bietet wenig dramaturgisches Potential und so ver-wundert es nicht, dass der Zweite Weltkrieg nach wie vor als Kampf zweier mindestens ebenbürtiger Gegner wahr-genommen wird, in dem sich noch Mann gegen Mann offen auf dem Schlachtfeld Europa bekämpft wurde. Für die USA und ihren pathologischen Heldenpathos ein Grund, sich immer wieder mit dem Kampf gegen Hitler auseinander zu setzen und so der Reflexion über die Verfehlungen gegenwärtiger Außenpolitik aus dem Weg zu gehen. Das funktioniert umso besser – und dies ist die zweite Art der Begründung – als man mit Hitler und seinem Deutschland eine Projektionsfläche für das sonst so abstrakte Böse finden kann: Hitler und seine Schergen als das personifizierte Übel, dem sich der Held – und zugleich das sich mit dem Helden identifizierende Publikum – als Vertreter des Guten (oder zumindest des Besseren) entgegen stellt. Dass es sich dabei meist um idealisierte Vertreter des Nazi-Regimes handelt, spielt da-bei eine eher geringe Rolle: Sofern das jeweilige Medium weder eine historische Person, noch einen fiktiven, aber auf eine historische Person referierenden Charakter in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, tut es auch ein aus historischen Wahrheiten gebildetes Stereotyp mit wenigen individualisierten Zügen.

Es lassen sich also verschiedene Auslöser für die erheb-liche Beliebtheit dieses spezifischen historischen Szena-rios als Sujet für Literatur, Filme und Spiele aller Art aus-machen, wobei neben den oben genannten Kriegsfilmen besonders die zahllosen Action- und Strategiespiele mit den zum Teil bezeichnenden Namen Call of Duty, Medal of Honor oder Company of Heroes auffallen. Auch für Spieleentwickler ist also offensichtlich der D-Day ein at-traktiveres Szenario als Operation Desert Storm.Genau genommen sind klassische Nazis als Antago-nisten sogar derart beliebt, dass sie auch in gegenwär-tigen Sujets noch regelmäßig auftreten. Sowohl ewig ge-strige Verschwörer wie die Kriegstreiber aus The Sum of All Fears als auch alternative Realitäten wie Fatherland werden vor dem Hintergrund einer mal diffusen, mal sehr konkreten nationalsozialistischen Bedrohung entworfen. Dabei könnten die jeweils den Szenarien zugrunde lie-genden Prämissen unterschiedlicher nicht sein: The Sum of All Fears präsentiert frustrierte Neo-Nazis des 21. Jahrhunderts als treibende Kraft hinter einer Verschwö-rung, die durch eine Atombombendetonation in den Ver-einigten Staaten die USA und Russland in einen vernicht-enden Krieg stürzen soll. Ironischerweise sieht die von Tom Clancy verfasste literarische Vorlage des Films noch muslimische Terroristen als Initiatoren der Verschwörung vor, für das Drehbuch des Mitte 2001 produzierten Films müssen dann allerdings die Nazis herhalten, da diesen die organisatorischen und logistischen Leistungen des Plots eher zuzutrauen seien als religiösen Fanatikern. Es zeigt sich also, dass die berühmt-berüchtigte deutsche Genauigkeit sowie die tödliche Effizienz des Nationalso-zialismus auch 60 Jahre nach dessen Scheitern noch als plotrelevante Elemente fungieren.Mit einer anderen Form der Nachhaltigkeit, nämlich der Frage, wie die Welt heute ohne besagtes Scheitern des NS-Regimes aussähe, befassen sich sogenannte „alter-nate reality“-Konzepte wie Robert Harris später verfilmter Thriller Fatherland, in dem das siegreiche dritte Reich weite Teile Mittel- und Osteuropas beherrscht und neben den USA die zweite Supermacht von globalem Potential darstellt. Tatsächlich stellt die Frage nach dem Ausgang

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des zweiten Weltkriegs das wohl meistdiskutierte Szena-rio im Rahmen alternativer historischer Entwicklungen dar, was die Bedeutung des Faschismus als zentralem Kristallisationspunkt der ideologischen Konflikte des 20. Jahrhunderts unterstreicht. Die wohl aktuellste Ent-wicklung im Bereich der alternativen Geschichtsschrei-bung stellt das Actionspiel Turning Point: Fall of Liberty dar, das den bisweilen grenzwertig-pathetischen Kampf eines unbedarften amerikanischen Bauarbeiters (!) der 50er Jahre gegen eine ausgewachsene nationalsozialis-tische Invasion inszeniert.Eine historisch bestätigte Komponente nationalsozia-listischer Ideologie, der in späteren populärkulturellen Bearbeitungen eine größere Bedeutung zugemessen wird, ist der nationalsozialistische Okkultismus. Der sich daraus ableitende Typus des Okkult-Nazis ist eine oft-mals in fantastischen Sujets vorzufindende Interpretation historischer Vorbilder wie Heinrich Himmler, die sich in-tensiv mit okkulten und mystischen Praktiken beschäftigt haben. Gleichsam einem deus ex machina tauchen die-se Nazis als Antagonisten völlig unvermittelt und Genre-übergreifend auf und verfügen dabei entweder über ein gesteigertes Interesse an mystischen Artefakten oder ge-bieten gleich selbst über unirdische Kräfte. Prominente Beispiele für den okkulten Nazi bieten zum einen die auf der Suche nach der Bundeslade befindliche Nazi-Ex-pedition in Indiana Jones – Raiders of the lost Ark, zum anderen der mit Staub gefüllte, untote und Uhrwerks-getriebene Karl Ruprecht Kroenen aus der Comic-Reihe Hellboy. Wie dieses letzte Beispiel bereits vermuten lässt, hat sich der fiktive Nationalsozialismus der Popkultur von der hi-storischen Wirklichkeit emanzipiert. Dies mag vor allem daran liegen, dass die oben genannten Inhalte einem anderen Anspruch folgen, als beispielsweise die realis-tischen Szenarien eines Saving Private Ryan: Während die extreme Überzeichnung in historischen Kontexten ein nicht zu verzeihender Fehler wäre, ist sie gerade in rein auf Unterhaltung zielenden Filmen, Büchern und Co-mics ein absolutes Muss – zumal sie in den jeweiligen Sujets an die Konventionen angepasst werden müssen.

Ein Superheld braucht einen Gegner mit vergleichbaren Kräften, insofern determiniert also das jeweilige Sujet den Grad der Überzeichnung. An dieser Stelle soll mit einem Blick über den Tellerrand westlicher Kulturkreise auf die bisweilen erstaunliche Faszination gewagt werden, die die deutsche Sprache und Kultur auf Japan auszuüben scheint. Kaum ein grö-ßeres japanisches Manga- oder Anime-Franchise kommt ohne die übliche deutsche oder zumindest deutschstäm-mige Figur aus; der Umgang mit der deutschen Vergan-genheit gestaltet sich dabei ähnlich unverkrampft und selbstverständlich wie im anglo-amerikanischen Raum – allerdings mit der Besonderheit, dass er in typisch fern-östlicher Ästhetik für westliche Augen bisweilen absurd anmutende Blüten treibt. In der weit über die Grenzen Japans hinaus bekannten und erfolgreichen Manga-Serie Hellsing bekommt es ein englisch-protestantischer Vampirjägerorden mit einer Nazi-Gruppierung zu tun, die wie ein populärkulturelles Best-Of des Dritten Reichs und den damit assoziierten Mythen daherkommt. Neben experimentierfreudigen Wissenschaftlern und aus dem Exil wiederkehrenden Altnazis finden sich nicht nur die obligatorischen untoten Wehrmachtssoldaten, sondern auch waschechte Werwölfe und mit dem Freischütz sogar eine Figur der deutschen Folklore in dem Kurio-sitätenkabinett, das mit Zeppelinen (!) London angreift. Dieses Beispiel bildet selbst im Kanon der Comic-Nazi-Bearbeitungen einen ästhetischen wie inhaltlichen Ex-tremfall, der aber zugleich das kreative Potential (und dieser Terminus versteht sich als durchaus wertfrei) ver-anschaulicht, das dem Dritten Reich und seinen okkulten Mythen innewohnt.Um es mit Monty Python zu sagen, „And now for so-mething completely different“: Seit The Great Dictator von 1940 gibt es besonders im anglo-amerikanischen Sprachraum eine starke Tradition der satirischen Bloß-stellung der braunen Bewegung. Solche komischen Na-zis rufen im deutschsprachigen Raum Rechtfertigungs-drang durch vermeintlich moralisch-kulturelle Instanzen hervor oder sind stets mit einem selbstauferlegten, jeden Ansatz von bissiger Satire zunichte machenden mo-

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ralischen Überbau versehen. Prominente Beispiele für solch gescheiterte Versuche sind das Schmidt-Pochersche „Nazometer“ und Dani Levys biedere Ko-mödie Mein Führer. Betrachtet man hingegen die Un-beschwertheit, mit der z.B. das Musical The Producers des jüdischen Autors und Regisseurs Mel Brooks ha-kenkreuzförmige Tanzformationen zelebriert und eine sehr eigene Interpretation von Leben und Werk Adolf Hitlers präsentiert, dann darf man sich tatsächlich die Frage stellen, ob dies nicht der effektivere Weg zur Bekämpfung aufkeimender Neo-Nazi-Tendenzen un-ter Jugendlichen ist. Denn ganz ehrlich: Wem durch oben genannte Parodien die fundamentale Lächerlich-keit der Nazi-Ideologie vor Augen geführt worden ist, der käme doch nun wirklich nicht auf den Gedanken heute ausgerechnet eben jene Parteien zu wählen, die sich mehr oder minder unverhohlen in nationalsozia-listischer Tradition inszenieren.Um die Frage nach der Popularität von Nazi-Elementen in komischen Inhalten nicht aus dem Auge zu verlie-ren, sollte man sich zwei Eigenschaften von Humores-ken ins Gedächtnis rufen: Zum Einen ist die Parodie in ihrer Verfremdung und humoristischen Überzeichnung darauf bedacht, sich möglichst solcher Elemente zu bedienen, die durch ihre Einprägsamkeit einem mög-lichst großen Publikum bekannt sind. Das sich dafür der Nationalsozialismus mit seinem Militarismus, sei-nem durch Hitler verkörperten Sprachgestus und sei-ner Ästhetik sehr gut eignet, steht außer Frage. Zum Anderen ist wiederum die Satire, Bestandteil der mei-sten parodistischen Formen, nach moderner Lehrmei-nung eine Kanalisierung des menschlichen Aggres-sionstriebes und damit eine künstlerische Form der Zerstörung eines gehassten Objekts.Wer nun glaubt, mit hakenkreuzförmigen Tanzrevues sei der Höhepunkt populärer Absurditäten bereits er-reicht, der mag bei dem Gedanken an Nazi-Pornogra-phie durchaus den Kopf schütteln: Tatsächlich existiert aber eine Figurengattung, die man wohl am ehesten als Sado-Nazi bezeichnen könnte und die ihre medi-alen Ursprünge groteskerweise mit den sogenannten

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Stalag-Heftchen im Israel der frühen 1960er Jahre ge-funden hat. Diese Groschenroman-Reihe behandelt weibliche SS-Angehörige, die männliche Gefangene, meist aus den Reihen der Alliierten, vergewaltigen und erniedrigen. Kurz vor Ende der Erzählung gelingt es dem Gefangenen jedoch sich zu befreien und die Na-zi-Schergin zu überwältigen und sie für das erlittene Leid büßen zu lassen. Trotz eines raschen Verbots in ihrem Ursprungsland übt die israelische Reihe deutlichen Einfluss auf die amerikanische Kino-Subkultur aus, wie einerseits ei-nige Werke des Sexploitation-Regisseurs Russ Meyer in harmlos-spielerischer Weise verdeutlichen; ande-rerseits der Film Ilsa, She Wolf of the SS in weitaus drastischeren Bildern inszeniert. Der 1974 gedrehte Film schildert die brutalen wissenschaftlichen und se-xuellen Experimente, die Ilsa, eine KZ-Aufseherin, an ihren Gefangenen vornimmt. Dass dieser Vorläufer moderner „torture porn“-Franchises à la Hostel dabei in Drehpausen auf dem Set der Nazi-Satire Hogan’s Heroes gedreht wurde, erscheint dabei wie eine Ironie der Geschichte.Weitaus weniger anrüchig, aber ebenfalls sehr um-stritten und mit einer deutlichen Weiterentwicklung hinsichtlich des Plots versehen ist der italienische Film Il Portiere di notte, ebenfalls aus dem Jahr 1974. Hier trifft eine KZ-Überlebende im Wien der 1950er Jahre auf ihren ehemaligen Peiniger, der nun als Portier in einem Hotel arbeitet. Obwohl inzwischen verheiratet, geht sie mit ihm eine sadomasochistische Liebesbe-ziehung ein.Mit diesem Film ebnet Regisseurin Liliana Cavani dem ebenso kurzlebigen, wie unbekannten Filmgenre der Sadiconazista den Weg. Unter diesem Begriff wer-den alle italienischen Filme zwischen 1974 und 1977 zusammengefasst, die sich in teilweise ernsthafter, teilweise rein pornografisch-exploitativer Weise mit den Themen Faschismus [mehrheitlich in Form des deutschen Nationalsozialismus] und Sadismus be-schäftigen. Diese zunächst erfolgreichen und dann sehr plötzlich eingestellten Filme laufen fast immer nach einem ähnlichen Muster ab: ein ausbeuterisches Zwangsystem wie ein Bordell oder ein Lager bildet die Grundlage, in der dann der entweder besonders gewalttätige oder besonders verführerisch wirkende Mann eine Frau in ein Abhängigkeitsverhältnis zwingt, ihren Widerstand bricht und sie so zum reinen Lust- und Spielobjekt degradiert, mit dem er nach Lust und

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Laune verfahren kann. Das dies nicht selten auch in der Ermordung der Frau endet, ist logische Konse-quenz. Während sich die ernsthafteren Vertreter der Sadico-nazista noch auf einer psychologisch-analytischen Ebene mit der Verbindung von Faschismus und Sa-dismus beschäftigen und letzteren als Folge totali-tärer Systeme bzw. als dem machtgierigen Menschen immanenten Wesenszug beschreiben, verkommt die historische Verortung der Handlung in den mei-sten Sadiconazista zur reinen Kulisse, in welcher der Schauwert der ästhetisch wirkenden SS- und Wehr-machtsuniformen und möglichst viel gequälte nackte Haut mehr zählen als eine inhaltliche Auseinanderset-zung mit dem System Macht und seiner Vertreter. Eine Erklärung dafür mag man in den italienischen Zensurbestimmungen jener Zeit finden. Während es die zeitgenössische Pornografie, war sie mit Gewalt vermischt, recht schwer hatte, war man gegenüber se-xuellen und gewalttätigen Darstellungen in einem hi-storischen Kontext offener. Dies führte zu einer ganzen Reihe von pseudo-historischen Filmen, die von der In-quisition bis zu Klöstern keine Möglichkeit ausließen, in dem stark patriachal geprägten Italien der 60er und 70er Gewalt und Sex zu vermischen. Ist also der überwiegende Teil der Sadiconazista eine bloße Visualisierung männlicher Dominanzfantasien vor passender Kulisse, so findet sich ausgerechnet in Ilsa ein differenzierteres Bild: Zwar gewinnt auch hier der Mann am Ende die Oberhand, doch wird bis zu diesem Punkt geschlechterübergreifend gefoltert. Auch wenn der Film eindeutig auf ein heterosexuel-les, männliches Publikum zugeschnitten ist, so ver-sinnbildlicht er doch recht anschaulich die Aufhebung klassischer Rollenmuster und ist damit eine durchaus fragwürdige Reflexion über die zeitgeschichtliche Rea-lität. Während einerseits der erstarkende Feminismus die Rolle der Frau neu definieren will und so männ-lichen Unterwürfigkeitsfantasien Vorschub leistet, gelangen andererseits immer wieder Gerüchte über weibliche, eindeutig sadistisch veranlagte KZ-Aufse-herinnen wie Ilse Koch oder Irma Grese in Umlauf. Di-ese Mischung, zusammen mit dem noch recht jungen B-Movie-Genre der women-in-prison-Filme, lassen die Wahl von Nazis als Antagonisten als einzig logische Folge erscheinen. Ganz anders jedoch verhält es sich bei Russ Meyer und den israelischen Stalag-Heften. Während bei

Meyer einfach der maximal mögliche groteske und absurde Effekt im Vordergrund steht, ist es in Israel vor allem die bis dato vorherrschende Holocaust-Reflexion, die für die Vermengung von Nationalsozi-alisten und Sadismus bzw. Pornografie führt. Erst mit dem Eichmann-Prozess 1961 beginnt in Israel die eigentliche gesellschaftliche Aufarbeitung des Holo-causts. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Umgang mit dem Thema restriktiv geprägt, wurden Traumata in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Der radikale Umgang mit den Verbrechen des NS-Regimes in den Stalag-Heftchen ist somit nicht nur Tabubruch, sondern auch Befreiungsschlag einer unter den erdrückenden Erin-nerungen der Eltern leidenden Generation. Das sich auf derlei Pulp-Literatur kein gesellschaftlicher Diskurs aufbauen kann, liegt auf der Hand. Dennoch sind die Hefte als Zeichen einer völlig anderen Aufarbeitung des Holocausts ein wichtiges Signal, das nur leider später viel zu häufig auf seine sexuelle Komponente beschränkt wurde.Was also lehrt uns diese – durchaus kontroverse – Tour de Force durch die Popkultur und ihre Nazi-Re-präsentationen? Nazis sind omnipräsent und werden es vermutlich auf längere Zeit hin auch bleiben. Kaum ein anderes neuzeitliches Phänomen bietet eine der-art facetten- wie kontrastreiche Mischung aus einpräg-samer Ästhetik, beinahe parodistischen Zügen und dem düsteren Sog eines mit kalter Effizienz verübten Jahrhundertverbrechens. So zynisch diese Feststel-lung anmuten mag: Für die Popkultur war der Natio-nalsozialismus ein Glücksfall.Dass populäre Bearbeitungen der deutschen Vergan-genheit ihren Teil zur Gedächtnisbildung beitragen, steht dabei außer Frage, jedoch besteht tendenziell die Gefahr der zunehmenden Ununterscheidbarkeit populärer Mythen und historischer Realität. Die Wah-rung dieser Unterscheidbarkeit ist eine Aufgabe, der sich die Kulturschaffenden insbesondere vor dem Hin-tergrund des Aussterbens der direkt beteiligten Gene-ration stellen müssen.Sämtliche im Artikel beschriebenen Ideen und Vor-stellungen mit nationalsozialistischem Hintergrund dienen ausschließlich der Analyse popkultureller Phä-nomene. Die Autoren distanzieren sich ausdrücklich von jeglichen nationalsozialistischen und fremden-feindlichen Denkweisen.

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