Wolter (2010) - Die Entwicklung Des Paulinischen Christentums

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Paul / New Testament

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    DieEntwicklungdespaulinischenChristentumsvoneiner Bekehrungsreligion zu einerTraditionsreligion1

    The article aims to show that PaulineChristianitymaybe seen in typological perspec-tive as a conversionist religion, and that Pauls theology provides the symbolicworld for such a religion. Taking the ecclesiology, the doctrine of justification, andthe eschatology of the deutero-Pauline letters as examples, it is then demonstratedhow Pauline Christianity is transformed into a different pattern of religion, which canbe assigned to the category of the traditional religion.

    Schlsselbegriffe: Paulinische Theologie, Paulusrezeption, Traditionsverstndnis,Ethos

    I. Die analytischen Kategorien

    Die folgende Untersuchung mchte ein Paradigma fr die Interpretationder Geschichte des frhen Christentums vorstellen, das bei der Interpre-tation des Neuen Testaments bisher noch keine Verwendung gefundenhat. Es soll danach gefragt werden, ob das typologischeGegenber der Be-griffe Bekehrungsreligion und Traditionsreligion geeignet ist, die Ei-genart der paulinischen Theologie und dann auch die Eigenart der Pau-lusrezeption im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts in ein neuesLicht zu stellen und dadurch bisher noch unbekannte Einsichten zu er-mglichen. Das Folgende hat also stark experimentellen Charakter.2

    1 Der folgende Beitrag wurde ursprnglich im Seminar The Reception of Paul auf dem63. General Meeting der Studiorum Novi Testamenti Societas (SNTS), Lund 2008,vorgetragen. Ich danke den Seminarteilnehmern fr die kritische und hilfreiche Dis-kussion.

    2 Es ist jedoch zu vermerken, dass schonMartinDibelius ganz offensichtlich ein hnlichesKonzept im Sinn hatte. In seinem 1941 erschienenen Essay ber Paulus und dieMystik (Nachdruck in: M. Dibelius, Botschaft und Geschichte. Band 2: Zum Ur-christentum und zur hellenistischen Religionsgeschichte, Tbingen 1956, 94116)spricht er vom grundstzliche(n) Sinn des Vorgangs (der Bekehrung), der immer und

    Early Christianity 1 (2010), 15 40 ISSN 1868-7032 2010 Mohr Siebeck

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    AmAnfang stehenmuss natrlich eine Erluterung der beiden Leitbe-griffe Bekehrungsreligion und Traditionsreligion:Welche Bedeutungwird ihnen im Folgenden zugeschrieben und in welchem Sinne fungierensie als analytische Kategorien?

    1. Bekehrungsreligion

    Mit demBegriff Bekehrungsreligion bezeichne ich religise Gruppen inder Phase ihrer Entstehung. Sie bestehen ausschlielich ausMenschen, diedie religisen Orientierungen, die sie im Zuge ihrer primren und sekun-dren Sozialisationen empfangen haben, hinter sich gelassen haben undderen Selbstkonstituierung als neue Gruppe bzw. deren Hinwendung zueiner solchenmit einer Umorientierung (transformation) imWirklich-keitsverstndnis und im Ethos einhergegangen ist.3 Das gilt natrlich frjede Bekehrung, auch fr Bekehrungen zu Traditionsreligionen (s.u.).Von einer Bekehrungsreligion kann man darum nur dann sprechen,wenn ein Mensch, der sich einer religisen Gruppe zuwendet, dort nursolche Menschen vorfindet, die ebenfalls durch eine Bekehrung zu Mit-gliedern dieser Gruppe geworden sind. Eine Bekehrungsreligion hatdarum als solche weder eine Geschichte noch verfgt sie ber so etwaswie ein soziales Gedchtnis. Fr sie ist vielmehr charakteristisch, dasssie sich in der Phase der Konzeptualisierung und Habitualisierung ihrerWirklichkeitsauffassungen und Lebensformen befindet. Ein berindivi-dueller, die Mitglieder einer Bekehrungsreligion miteinander verbinden-derWissensbestand befindet sich allererst imAufbau. Bekehrungsreligio-nen sind also per definitionem vorbergehende Erscheinungen. Mit Vic-tor Turner gesagt: sie befinden sich im Stadium der Liminalitt, nm-lich betwixt and between.4 Zu dieser bergangslage gehrt auch, dassbei Bekehrungsreligionen das Verhltnis zwischen Nhe und Distanzzur Mehrheitsgesellschaft und zur Herkunftskultur unbestimmt undunter ihrenAngehrigen in der Regel auch umstritten ist. Hierbei handelt

    jedes Mal, wenigstens solange das Christentum Bekehrungsreligion war, das Christseinkonstituierte.

    3 Zu den Begriffen primre Sozialisation und sekundre Sozialisation vgl. P.L. Berger/T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt am Main1980, 139157. Die Folgen von Bekehrungen beschreiben sie mit dem Begriff derResozialisation (aaO., 168f.172ff).

    4 V.W. Turner, The Ritual Process. Structure and Anti-structure, Chicago 1969; ders. ,Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage, in: J. Helm (Hg.),Symposium on New Approaches to the Study of Religion. Proceedings of the 1964Annual Spring Meeting of the American Ethnological Society, New York 1994 (zuerstSeattle/London 1964), 420.

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    es sich vor allenDingen um eine Frage des Ethos, durch das neue religiseGemeinschaften ihre distinkte Identitt zur Anschauung bringen: Keinevon ihnen kann darauf verzichten, so etwas wie boundary maintenancezu praktizieren. Sie muss einen Kanon von exklusiven institutionalisier-ten Handlungen entwickeln, der nach auen als boundary marker undnach innen als identity marker fungieren kann. Insofern sie aber auchdarauf angewiesen sind, mit und innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zuexistieren,mssen zu ihremHandlungsrepertoire zumindest partiell auchElemente eines inklusivenEthos gehren, die auch inderMehrheitsgesell-schaft praktiziert werden. Daraus knnen wir generell ableiten: Je um-fangreicher und ausgeprgter der Anteil von exklusiven Handlungenam Ethos einer religisen Gemeinschaft ist, desto desintegrierter ist siein ihremVerhltnis zurMehrheitsgesellschaft, und dasselbe gilt natrlichauch umgekehrt.

    Ichmchte diesenTyp von Religion ganz bewusst idealtypisch, d.h. alsein gedankliches Konstrukt beschreiben, weil nur auf diese Weise genugRaum fr phnomenologischeVielfalt gewhrleistet bleibt undder Begriffflexibel gehandhabt werden kann. Das ist der Vorteil gegenber dem vonBryan R.Wilson geprgten Begriff der conversionist sect,5 der vor allemdurch einen ungeklrten Sektenbegriff belastet ist. Die Rezeptionen diesesBegriffs und seine bertragungen auf die Analyse des 1. Petrusbriefsdurch John H. Elliott6 sowie des Galaterbriefs durch Ben WitheringtonIII7 lassen dann auch deutlich erkennen, dass die Teilelemente der Be-griffsdefinition die Interpretation der Texte determinieren: Die Situatio-nen in den Adressatengemeinden und die Positionen der Briefschreiberwerden so rekonstruiert, dass beide sich anderDefinition desBegriffs aus-richten.

    Eine Bekehrungsreligion hat als solche nun aber nicht nur keine Ver-gangenheit, sondern sie hat auch keine Zukunft. Eine Bekehrungsreligionexistiert also immer nur ber einen sehr begrenzten Zeitraum. Entwedersie hrt auf zu existieren, oder sie verwandelt sich indas,was ich eine Tra-ditionsreligion nennen mchte:8

    5 Vgl. dazu vor allem B.R. Wilson, Magic and the Millennium. A Sociological Study ofReligiousMovements of Protest among Tribal and Third-World Peoples, London 1973,3841.

    6 Vgl. J.H. Elliott, A Home for the Homeless, London 1981, 75ff.7 B. Witherington III, Grace in Galatia. A Commentary on St. Pauls Letter to the Gala-tians, Edinburgh 1998, 272276.

    8 Dieser Vorgang luft parallel zu dem Prozess, den Max Weber Veralltglichung desCharisma genannt hat; vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tbingen 51980,Kap. III.5, 142ff; dazu: W. Schluchter, Einleitung. Max Webers Analyse des antiken

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    2. Traditionsreligion

    Eine Traditionsreligion unterscheidet sich von einer Bekehrungsreli-gion vor allen Dingen dadurch, dass es in ihr ein Bewusstsein dafrgibt, eine gemeinsame Geschichte, einen Vorrat von gemeinsamen Erin-nerungen oder berhaupt eine Tradition im Sinne eines sozialen Ge-dchtnisses zu haben. Die Gegenwart wird nicht mehr unter dem Aspektder Diskontinuitt mit der Vergangenheit wahrgenommen, sondernunter dem der Kontinuitt und ihrer Bewahrung. Es handelt sich umeine Form der Erinnerungskultur, die von der Frage, Was drfenwir nicht vergessen? geleitet ist.9 Dementsprechend sind Traditionsreli-gionen nicht damit beschftigt, eine neue symbolische Sinnwelt, die ko-gnitive und pragmatischeOrientierung ermglicht, allererst noch zu kon-zeptualisieren, sondern es geht ihnen darum, die je neue Gegenwart imLichte des berlieferten Wissensvorrats zu deuten bzw. diesen Vorratunter Einbeziehung des historischen und kulturellen Wandels fortzu-schreiben und zu erweitern.

    Natrlich kann es auch Bekehrungen zu Traditionsreligionen geben.Sie haben in diesem Fall aber den Charakter des Eintritts nicht in die Ge-meinschaft anderer Bekehrter, sondern in eine schon seit langem beste-hende (andere) Erinnerungskultur, deren kognitiven und pragmatischenWissensvorrat der/die Bekehrte bernimmt. Er (sc. Gott) gewhrt allenProselyten brgerliche Gleichstellung und dasselbe wie den Alteingeses-senen (fsa ja to ?r aqtwhosi), heit es dementsprechend in Philo,Spec. Leg. 1,52.

    Christentums. Grundzge eines unvollendeten Projekts, in: Ders. (Hg.), Max WebersSicht des antiken Christentums (stw 548), Frankfurt am Main 1985, 1171, bes. 20ff ;ders., Umbildungen des Charismas. berlegungen zur Herrschaftssoziologie, in: Ders. ,Religion und Lebensfhrung. Studien zu Max Webers Kultur- und Werttheorie II,Frankfurt amMain 1988, 535554;W. Gebhardt, Charisma undOrdnung. Formen desinstitutionalisierten Charisma berlegungen im Anschlu an Max Weber, in: Ders./A. Zingerle/M.N. Ebertz (Hg.), Charisma. Theorie Religion Politik (Materiale So-ziologie 3), Berlin/New York 1993, 4768. Im Unterschied zu dieser Perspektive gehtes bei der hier verfolgten Fragestellung nicht um solche Institutionalisierungsprozesse,die mit dem bergang von der Aueralltglichkeit in die Alltglichkeit einhergehen,sondern speziell um die Entstehung und den Aufbau eines sozialen Gedchtnisses. Dassdieser Vorgang immer auch ein Teil des von Max Weber beschriebenen Institutiona-lisierungsprozesses ist, soll damit natrlich nicht infrage gestellt werden.

    9 J. Assmann, Das kulturelle Gedchtnis (Becksche Reihe 1307), Mnchen 1999, 30; vgl.auch ders. , Kollektives Gedchtnis und kulturelle Identitt, in: Ders./T. Hlscher (Hg.),Kultur und Gedchtnis (stw 724), Frankfurt am Main 1988, 919, hier 13: Das kul-turelle Gedchtnis bewahrt den Wissensvorrat einer Gruppe, die aus ihm ein Bewut-sein ihrer Einheit und Eigenart bezieht.

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    II. Das paulinische Christentum als Bekehrungsreligion

    Es fllt nicht schwer zu zeigen, dass wir das paulinische Christentum alseine Bekehrungsreligion in dem eingangs dargestellten Sinne ansehenknnen. Dies gilt auch unbeschadet der Tatsache, dass mindestens einTeil der korinthischenGemeinde darber anders geurteilt hat und die ge-wohnten alltagsweltlichen Existenzorientierungen auch weiterhin ihrLeben bestimmen lie.10 Auch die judenchristlichen Gegner in Galatiensind in dieser Hinsicht mit Sicherheit anderer Meinung gewesen: Siekonnten sich Bekehrungen von Nichtjuden zu Jesus Christus ganz offen-sichtlich nur als Bekehrungen zur Traditionsreligion Judentum vorstel-len.

    1. Der Bruch mit der kulturellen Sozialisation

    Nach paulinischem Verstndnis ist der Sachverhalt jedenfalls eindeutig:Die Hinwendung zum christlichen Bekenntnis und der Anschluss andie christliche Gemeinde ging mit einem biographischen Bruch einher.Jeder, der zu einer paulinischen Gemeinde gehrte, hatte seine kulturelleSozialisation innerhalb einer nichtchristlichen Familie erfahren. Das jet-zige Sein derjenigen, die zu Jesus Christus gehren, ist darum von ihremvorchristlichen Leben durch einen tiefen Einschnitt getrennt. 2 Kor 5,17(eU tir 1m Wqist ,` jaim jtsir t !qwa ?a paq/khem, Qdo ccomem jaim)oder Rm 6,11 (ovtyr ja rle ?r kocfeshe 2autor [eWmai] mejqor lm t0"laqt f_mtar d t` he` 1m Wqist` YgsoO) als Zusammenfassung von6,110 sind nur die deutlichsten Belege dafr. In dieselbe Richtung wei-sen auch Rm6,1722; 7,5f; 1 Kor 5,78; 6,11; Gal 4,8f; 1 Thess 1,9f. DieTaufe versteht Paulus nach Rm 6,28 als eine Art Tod der vorchrist-lichen Existenz, und das Leben, das die Getauften jetzt fhren (Rm6,4), sieht er in schroffer Diskontinuitt zu ihrer prkonversionalen Bio-graphie stehen.

    Dasselbe lsst auch die Eltern-Kind-Metaphorik erkennen, die Paulusverwendet, um sein Verhltnis zu den von ihm gegrndeten Gemeindenzubeschreiben:11Wenner sich als Vater (1Thess 2,11) oder als Mutter(1Thess 2,7) derGemeindenbezeichnet unddie von ihmzumchristlichen

    10 Das geht aus 1 Kor 5,1; 6,18; 8,113; 10,1422; 11,1722 deutlich hervor; vgl. dazuS.J. Chester, Conversion at Corinth. Perspectives onConversion in Pauls Theology andthe Corinthian Church, London/New York 2003; M. Wolter, Theologie und Ethos imfrhen Christentum (WUNT 236), Tbingen 2009, 163ff.181ff.

    11 Vgl. dazu C. Gerber, Paulus und seine ,Kinder. Studien zur Beziehungsmetaphorik derpaulinischen Briefe (BZNW 136), Berlin u.a. 2005, bes. 205ff.

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    Glauben Bekehrten als Kinder (1 Kor 4,14.17; 2 Kor 6,13; 12,14; Gal4,19; Phlm 10; vgl. auch 1Kor 3,14; Phil 2,22), die er gezeugt bzw. ge-boren hat (1 Kor 4,15; Gal 4,19; Phlm 10), so gehrt zu den semantischenAssoziationen dieserMetaphern nicht nur die Vorstellung, dass den Kin-dern durch ihre Eltern Leben und Identitt vermittelt wird, sondern auch,dass die Bekehrungmetaphorisch als Beginn eines neuen Lebens wahrge-nommenwird. In Gal 1,102,21 und in Phil 3,311macht Paulus dieseDiskontinuitt am Beispiel seiner eigenen Biographie deutlich.

    Mit dieser Situation ging einher, dass es so etwas wie ein gemeinsameschristliches Wissen, das ber das hinausging, was Paulus unter dem Be-griff Evangelium z.B. in Rm 1,34 und 1 Kor 15,35 oder auch allge-mein umschreibend in 1 Thess 1,910 zusammenfasst, auf Seiten der Ge-meinden noch nicht gab. Fr die Ausbildung eines gemeinsamen christ-lichen Wissensbestandes oder einer christlichen Enzyklopdie, die aucheine Verhaltensorientierung ermglichte, gab es noch keinen Raum.Hierfr lassen sich im Wesentlichen zwei Grnde namhaft machen:Zum einen fehlte es den christlichen Gemeinden an einer identittsstif-tenden gemeinsamen Tradition, die

    ein objektiv zugngliches Zeichensystem hervorbringt, das den individuellen Erfah-rungen denAusgangsstatuswachsenderAnonymitt (verleiht), indemes sie von ihremursprnglichen Zusammenhang der konkreten Einzelexistenzen lst und fr alle, dieAnteil an eben demZeichensystem haben oder in Zukunft habenwerden, allgemein zu-gnglich macht.12

    Zum anderen drfte eine groe Rolle gespielt haben, dass christliche So-zialitt, ohne die es nicht zur Ausbildung des gemeinsamen Wissensvor-rats einer Gruppe oder einer Gesellschaft kommen kann, ursprnglichund auch noch in paulinischer Zeit immer nur eine aueralltgliche An-gelegenheit war : Als Objektivation von berindividueller Identitt fandChristentum auch noch in paulinischer Zeit als Gottesdienst statt.Davor und danach lebten auch diejenigen, die zu Jesus Christus gehrten,in der Wirklichkeit einer Alltagskultur, die auf einer ganz anderen Enzy-klopdie basierte.13

    2. Die Insuffizienz der berkommenen kulturellen Enzyklopdie

    Fr Bekehrungsreligionen gilt also, dass zwischen ihrem religisen Wis-sen und ihrem kulturellen Alltagswissen eine erhebliche Differenz be-

    12 Berger/Luckmann, Konstruktion (s. Anm. 3), 72.13 Vgl. dazu und zu den mit dieser Situation einhergehenden Problemen Wolter, Theo-

    logie und Ethos (s. Anm. 10), 153ff.

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    steht, bzw. anders gesagt: das religise Wissen reicht nicht aus, um All-tagserfahrungen zu erklren. Eine Problemlage, die auf dieser Konstella-tion basiert, wird besonders schn in 1 Thess 4,1317 erkennbar : Pauluswurde zur Abfassung dieses Textes veranlasst, weil es in der christlichenGemeinde in Thessalonich in der kurzen Zeit nach ihrer Grndung unddem berstrzten Abschied des Paulus von ihr (vgl. 1 Thess 2,112.1720; 3,18) zu Todesfllen gekommenwar, die denHinterbliebenen groeProbleme bereiteten. Diese Problemewaren dadurch entstanden, dass dieGemeinde tote Christen in ihrem eschatologischen Grundwissen nichtunterbringen konnten: Zum einen erwarteten sie, bei der Wiederkunftdes Herrn entrckt zu werden und dadurch dem andringenden Vernich-tungsgericht zu entgehen (bzw. vielleicht sogar an ihmmitzuwirken); dassChristen bis dahin sterben wrden, war nicht vorgesehen. Zum anderenwussten sie auf Grund ihrer Sozialisation innerhalb einer hellenistischenNormalkultur aber auch, dass Tote nicht entrckt werden knnen. Paulussteht darum vor der Notwendigkeit, den spezifisch christlichen Wissens-vorrat der Gemeinde dadurch zu erweitern, dass er es um die GewissheiteinerAuferstehung der Toten inChristus ergnzt. Ganz analog erklrter den Christen in Korinth, die ganz offensichtlich Probleme hatten, dieVorstellung einer leiblichenAuferstehung in ihrer kulturellen Enzyklop-die unterzubringen, dass es bei der Parusie selbstverstndlich eine Um-wandlungder irdischenLeiblichkeit in eine vllig andere,weil unvergng-liche und unsterbliche Leiblichkeit geben wird (1 Kor 15,3554).

    Daneben knnen wir auch die paulinische Rechtfertigungslehre alsKonzeptualisierung eines neuenWirklichkeitsverstndnisses interpretie-ren, die erforderlichwird,wenn eineBekehrungsreligion vor derNotwen-digkeit steht, das Leitparadigma einer neuen symbolischen Sinnwelt zuentwerfen, um deutlich zu machen, wodurch sie sich von den Prinzipiender zurckgelassenenWirklichkeitsauffassung unterscheidet:14 Texte wieRm1,1617; 3,2126.2730; 10,1213; 1 Kor 12,13;Gal 3,28; 5,6; 6,15und ihre Vernetzung lassen erkennen, dass Paulus seine Rechtfertigungs-lehre als theologische Legitimation eines grundlegenden Paradigmen-wechsels (mit Paulus eigenen Worten gesagt, einer jaim jtsir [Gal6,15]) konzipiert hat: dass die fr das jdische Wirklichkeitsverstndnisschlechterdings fundamentale Unterscheidung zwischen Juden undNichtjuden, von der auch Paulus selbst herkommt, theologisch depoten-ziert wird. Man kann darum vielleicht sogar die These wagen, dass diepaulinische Rechtfertigungslehre ihre kontextuelle Plausibilittsbasis in

    14 Vgl. dazu ausfhrlicher unten, 34f.

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    liminalen Situationen findet und als so etwas wie eine Bekehrungstheoriefungiert. Dass sie gerade in dieser Funktion bei Martin Luther und in derReformation ein Revival erlebte, ist darum alles andere als berraschend.

    3. Ethosunsicherheiten

    Darber hinaus tritt schlielich noch in den ethischen Diskussionen undKonflikten sowie an der Art undWeise, wie Paulusmit ihnen umgeht, derCharakter des paulinischen Christentums als Bekehrungsreligion zuta-ge:15

    Aus 1 Kor 7 geht hervor, dass die Christen in Korinth brieflich bei Pau-lus angefragt haben, wie sie dennmit Sexualitt und Ehe umgehen sollten.Aus dieserAnfrage geht hervor, dass es in derGemeinde vonKorinth auchmehr als zwei Jahre nach ihrer Grndung immer noch keine Verhaltens-sicherheit inBezug auf die alltagsweltliche Inkulturation ihres christlichenGlaubens gab. Die christliche Existenzorientierung der Gemeinde auf dereinen Seite unddie sexualethischenOptionen und Institutionen ihres kul-turellenKontextes standen einander immer noch in derWeise gegenber,dass in der Gemeinde ganz offensichtlich darber diskutiert wurde, wel-che Konsequenzen sich aus der Hinwendung zum christlichen Glaubenfr ihr Alltagsethos ergeben. Hierbei handelt es sich um eine Konstellati-on, die es nur inBekehrungsgemeinden geben kann, die noch kein eigenesEthos ausgebildet und tradiert haben, sondern ausschlielich mit denethischenMglichkeiten konfrontiert sind, die ihreMitglieder imVerlaufihrer primren Sozialisation kennengelernt haben.

    Dasselbe gilt auch fr die Konflikte umdie Beachtung von Speisetabus,die in Rm 14,115,7 und in 1 Kor 8,113; 10,2311,1 erkennbar wer-den, sowie fr die Art undWeise des paulinischenUmgangsmit ihnen. InbeidenFllen habenwir imGrunde genommendieselbeKonstellationwiein 1 Kor 7: Der Unterschied zwischen den Positionen der sogenanntenSchwachen und der Starken besteht darin, dass sie unterschiedlicheKonsequenzen aus ihrer Bekehrung zum christlichen Glauben ziehen freilich jetzt nichtmehr in Bezug auf die Beachtung von Sexualtabus, son-dern in Bezug auf den Umgang mit Speisetabus. Auch hier sind die Op-tionen, die zur Debatte stehen (in Korinth: darf man Gtzenopferfleischessen oder nicht?; in Rom: muss man auf Fleisch und Wein verzichten,

    15 Fr den profilierten Bekehrungsbezug der paulinischen Parnese vgl. auchW. Popkes,Parnese und Neues Testament (SBS 168), Stuttgart 1996, 170, der hier von einer,P[arnese] der Lebenswende, Begleitung der Konversion bzw. Rckgriff daraufspricht.

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    oder darf man alles essen?), vom kulturellen Kontext der Gemeinden hervorgegeben, und auch hier geht es um die Frage, in welcher ethischen In-kulturation die Bekehrung zum christlichen Glauben Gestalt gewinnenmuss.

    Nicht minder aufschlussreich sind aber auch die Lsungsvorschlge,die Paulus den Gemeinden in Korinth und Rom fr die Konflikte umdie Beachtung von Speisetabus bermittelt. Gerade sie machen mitaller Klarheit deutlich, dass das paulinische Christentum als eine Bekeh-rungsreligion in dem eingangs dargestellten Sinne angesehen werdenkann: Charakteristisch fr die paulinischen Antworten ist, dass er denKonflikt nicht auf der materialen, sondern auf der ekklesialen Ebene be-handelt. Paulus diskutiert nicht den kontroversen Gegenstand, sonderndie Art und Weise, wie in einer christlichen Gemeinde mit derartigenKonflikten umgegangen wird. Das Sachproblem als solches tritt dabeiin den Hintergrund, und es wre fr Paulus auch nicht existent, wennsich alle einig wren. Paulus hlt zwar die Position der sog. Starkenfr theologisch richtig (vgl. 1 Kor 8,1.46; Rm 14,14; 15,1), doch istdas Profil seiner Antwort darin zu erkennen, dass er den materialethi-schenDissens darfman essen, oder darfman nicht? fr bedeutungs-los hlt, wenn es darum geht, die christliche Identitt der Gemeinde dar-zustellen (vgl. Rm 14,5b: 6jastor 1m t` Qd\ mo ; pkgqovoqeshy). Dennwrde er das nicht tun und wrde er eine der jeweils zur Debatte stehen-den Optionen fr ethisch verbindlich erklren, wrde er die christlicheIdentitt der Gemeinden an eine bestimmte kulturell bereits vorhandeneethischeTradition ausliefern. Erwhlt diesenWeg aber nicht und verlangtvon den Gemeinden, ihre Identitt in einer Weise darzustellen, die ihreUnabhngigkeit von allen auerchristlichen Lebensorientierungen zumAusdruck bringt. Mit Rm 15,7 (pqoskalbmeshe !kkkour jahr jabWqistr pqosekbeto rlr eQr dnam toO heoO) fordert er die rmischenChristen auf, von allen Existenzorientierungen abzusehen, die nichts mitihrer Bekehrung zu tun haben, und ihre gemeinsame Identitt, die siedurch die Hinwendung zum christlichen Bekenntnis gewonnen haben,ber unterschiedliche ethische Loyalitten dominieren zu lassen.

    III. Die Entwicklung zu einer Traditionsreligion

    Dass sich das paulinische Christentum wie das Urchristentum berhauptaus einer Bekehrungsreligion in eine Traditionsreligion verwandelte,muss nicht eigens nachgewiesen werden. Dass es auch nach fast 2000 Jah-

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    ren noch christliche Kirchen undGemeinden gibt, derenAngehrige sichzu Jesus Christus bekennen und denen der Kanon des NeuenTestamentsden Zugang zu den identittsstiftenden Anfngen ihrer Geschichte ver-mittelt, ist Beweis genug. Ichmchte in diesemAbschnitt darum lediglichzeigen, dass dieser Prozess bereits in neutestamentlicher Zeit selbst be-ginnt.

    Eines der deutlichsten Indizien dafr ist die Entstehung der apostoli-schen Pseudepigraphie.16 Die literarische Autorfiktion im Namen vonPersonen der Vergangenheit setzt ein Bewusstsein voraus, das nichtmehr vonDiskontinuitt, sondern vonKontinuitt geprgt ist. Die christ-lichenGemeinden entdeckennicht nur, dass sie als christlicheGemeindeneine Vergangenheit haben, sondern auch, dass es so etwas wie eine christ-liche Enzyklopdie gibt, die sie bernommen haben und die es authen-tisch zu bewahren gilt. In diesem Sinne ist die apostolische Pseudepigra-phie das geeignete literarischeMittel, um die eigene Gegenwart im Lichteund mit der Autoritt der Vergangenheit zu deuten. Der Ursprung derWahrheit liegt nicht mehr in der eigenen Bekehrung, sondern in der Ver-gangenheit, und dementsprechend geht es der frhchristlichen Pseudepi-graphie darum, so etwas wie einen Altersbeweis zu fhren.17 Leitend istdie Korrelation von Antiquitt und Autoritt, die wiederum auf einemspezifischen Wahrheitsverstndnis basiert : Die verlliche Wahrheit ist am Anfang in ihrer Flle gegeben und mu seither weitergereichtwerden.18

    Seinen expliziten Ausdruck findet dieses Traditionsverstndnis ineiner Reihe von Texten, aus denen deutlich die gegenber Paulus vern-derte Situation der christlichen Gemeinden hervorgeht:

    2 Thess 2,15: %qa owm, !dekvo, stjeteja jqate ?te tr paqadseir $r 1di-dwhgte eUte di kcou eUte di 1pistok/rBl_m.

    Also nun, Brder, steht fest und bewahrtdie berlieferungen, die ihr gelehrt be-kamt, sei es durch ein Wort oder durcheinen Brief von uns.

    2 Petr 3,2: lmgsh/mai t_m pqoeiqg-lmym Ngltym rp t_m "cym pqovg-t_m ja t/r t_m !postkym rl_m1mtok/r toO juqou ja syt/qor.

    dass ihr euch an die Worte erinnert,die zuvor gesagt wurden vondenheiligenPropheten, und an das Gebot eurerApostel vom Herrn und Retter.

    16 Fr pseudepigraphisch halte ich Eph, Kol, 2 Thess, 1/2 Tim, Tit, Jak, 1/2 Petr, Jud.17 Vgl. dazu P. Pilhofer, PQESBUTEQOM JQEITTOM (WUNT II/39), Tbingen 1990.18 N. Brox, Zum Problemstand in der Erforschung der altchristlichen Pseudepigraphie,

    in: Ders. (Hg.), Pseudepigraphie in der heidnischen und jdisch-christlichen Antike(WdF 484), Darmstadt 1977, 311334.

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    Jud 17: lmshgte t_m Ngltym t_mpqoeiqglmym rp t_m !postkym toOjuqou Bl_m YgsoO WqistoO.

    Erinnert euch an die Worte, die zuvorgesagt wurden von den Aposteln unseresHerrn Jesus Christus.

    Die Gemeinsamkeit dieser Texte und ihr Abstand von Paulus sind deut-lich: Vergangenheit undGegenwart stehen einander nicht als Einst undJetzt antithetisch gegenber, sondern siewerden als eine zu bewahrendeKontinuitt miteinander verbunden. Dementsprechend werden dieAdressaten der Briefe zur ,Bewahrung und ,Erinnerung aufgefordert.Mageblich fr diese Texte ist der entschiedeneWille zur rckwrts ori-entiertenKontinuitt,19und es geht ihnendarum, dieKontinuittmit derals normativ verstandenen Vergangenheit bewahrt zu wissen. Interessantist dabei, dass anders als beim historischen Paulus als verbindliche Ur-sprungsnorm nicht mehr Jesus Christus selbst zur Geltung gebrachtwird, sondern das Wort der Apostel, d.h. die Ausgelegtheit Jesu Christidurch die Apostel. Sie sind es nun, die als sog. Norm am Anfang20 fun-gieren, die den Ursprung der Wahrheit markiert.

    Dieselbe Differenz wird auch erkennbar, wenn wir 1 Kor 3,11 und Eph2,1920 nebeneinander stellen:

    1 Kor 3,11: helkiom cq %kkom oqderdmatai he ?mai paq tm jelemom, fr1stim YgsoOr Wqistr.

    Ein anderes Fundament kann niemandlegen auer das, das gelegt ist das istJesus Christus

    Eph 2,1920: 1st 1poijodolghmter1p t` helek\ t_m !postkym japqovgt_m, emtor !jqocymiaou aqtoOWqistoO Ygsou.

    Ihr seid erbaut worden auf demFundament der Apostel und Propheten,wobei der Eckstein Christus Jesus selbstist.

    Der Unterschied ist klar : Bei Paulus ist Jesus Christus selbst das Funda-ment der Gemeinde, im Epheserbrief sind dies die Apostel und Prophe-ten.Wie in den drei vorgenanntenTexten ist damit die apostolische Tra-dition gewissermaen zwischen Christus und die Christen getreten. DieDifferenz wird noch deutlicher, wenn wir nach dem semantischen Profilder Fundament-Metapher fragen: Zwei Merkmale stehen im Vorder-grund: zum einen die Bedeutung des Fundaments als notwendiger Bedin-gung fr das Entstehen eines Hauses (es ist kein Haus ohne Fundamentdenkbar), und zum anderen das zeitliche Voraussein des Fundaments

    19 AaO., 328.20 AaO., 330.

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    vor dem Bau des Hauses (jeder Hausbau beginnt mit dem Legen des Fun-daments).21

    Seine begriffliche Verdichtung findet dieses Traditionsverstndnis indem von den Pastoralbriefen als Metapher verwendeten Begriff derpaqahjg (1 Tim 6,20; 2 Tim 1,12.14; vgl. auch das Verb in 1 Tim1,18; 2 Tim 2,2), mit dem ganz gezielt die Tradition als von Paulus hinter-legtes Depositum gekennzeichnet wird, das es unversehrt zu bewahrengilt.22

    Alle Texte vermitteln uns ein Bild von Christentum, das sich funda-mental von der paulinischen Deutung christlicher Identitt unterschei-det: dass Christen, wenn sie als Christen in die Vergangenheit schauen,nicht mehr nur Diskontinuitt, sondern Kontinuitt wahrnehmen und zwar eine Kontinuitt, die es um ihrer eigenen Identitt willen zu be-wahren gilt. Christliche Identitt kommt nichtmehr nur durch den Bruchmit primren kulturellen Sozialisationen zustande, sonderndurch eine ei-gene, eben jetzt christliche Sozialisation. Es ist darum auch dieses deutlicherkennbare Traditionsbewusstein, das den Epheserbrief, den 2. Thessalo-nicherbrief und die drei Pastoralbriefe definitiv zu deutero-paulinischenBriefen macht.

    IV. Die Rezeption der paulinischen Theologie in dennachpaulinischen Schriften

    In diesem Abschnitt mchte ich die frhchristliche Paulusrezeption, wiesie sich noch in neutestamentlicher Zeit darstellt, auf diese Konstellationbeziehen. Ichmchte dabei nur einige exemplarische Aspekte in Auswahlzur Sprache bringen, an denen meiner Meinung nach erkennbar wird,dass die neue Selbstbestimmung des Christentums als Traditionsreligionauch die Paulusrezeption beeinflusst hat. Ich will dabei keine Gesamtdar-stellung liefern, sondern mich auf einige wenige Beispiele beschrnken.

    21 Vgl. auch H. Merklein, Paulinische Theologie in der Rezeption des Kolosser- undEpheserbriefes, in: K. Kertelge, Paulus in den neutestamentlichen Sptschriften (QD89), Freiburg u.a. 1981, 2569, hier 33 (Anm. 31 mit der berechtigten Zurckweisungvon Versuchen, die Apostel und Propheten von Eph 2,20 in der Gegenwart zu ver-orten); s. auch G. Sellin, Der Brief an die Epheser (KEK 8), Gttingen 2008, 237.

    22 Mit Ausnahme von Herm. Mand. 3,2 (paqajatahjg als Bezeichnung fr das denMenschen von Gott bergebene pmeOla %xeustom) begegnet dieser Begriff in dergesamten frhchristlichen Literatur nur hier. Zu seinen aus dem antiken Deposital-recht bertragenen semantischen Konnotationen vgl. M.Wolter, Die Pastoralbriefe alsPaulustradition (FRLANT 146), Gttingen 1988, 115f.

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    In methodischer Hinsicht gibt es drei Mglichkeiten, diese Frage inden Blick zu nehmen: (a) Man kann sich thematisch an bestimmten theo-logischen Sachfragen orientieren (das will ich imFolgenden tun), (b)mankann literarisch eine bestimmte Schrift in den Blick nehmen, und (c) mankann historisch bestimmte Vorgnge und Konstellationen interpretieren.Darber hinaus lassen sich natrlich auch alle drei Interpretationsebenenmiteinander kombinieren. Unterscheiden kannman auerdem zwischender Rezeption der paulinischen Theologie und der Rezeption des Paulusals einer historischen Gestalt (dem sog. Paulusbild).23 Zu ergnzen istaber auch noch ein Caveat: Man darf nicht den Fehler machen, die Ent-wicklung des frhen Christentums von einer Bekehrungsreligion zu einerTraditionsreligion zum Passepartout der frhchristlichen Paulusrezepti-on werden zu lassen, denn dieses Paradigma erklrt zwar viel, abermit Si-cherheit nicht alles.

    1. Die Rezeption der paulinischen Eschatologie imKolosserbrief undim Epheserbrief

    a) In beiden Briefen ist die differentia specifica der paulinischen Eschato-logie festgehalten: dass es die 1kpr ist, die als Modus der Gegenwart desHeils fungiert, weil sie der christlichen Existenz in der Gegenwart ihreeschatologische Signatur verleiht. Bei Paulus selbst macht das Nebenein-ander von Texten wie Rm 5,25:2 jauwleha 1p 11kkppddii t/r dngr toOheoO, 3oq lmom d, !kk ja jauwleha1m ta ?r hkxesim, eQdter fti B hk ?xirrpolomm jateqcfetai, 4B d rpolomdojilm, B d dojil 11kkppddaa. 5B d 11kkpprroq jataiswmei, fti B !cpg toO heoO1jjwutai 1m ta ?r jaqdair Bl_m dipmelator "cou toO dohmtor Bl ?m.

    2 wir rhmen uns der Hoffnung aufdie Herrlichkeit Gottes: 3jedoch nichtallein das, sondern wir rhmen uns auchin den Leiden, denn wir wissen: DasLeiden bewirkt Geduld, 4die Geduld be-wirkt Bewhrung, die Bewhrung aberHoffnung. 5Die Hoffnung aber wirdnicht enttuscht, weil die Liebe Gottes inunseren Herzen ausgegossen ist durchden heiligen Geist, der uns gegebenwurde.

    23 An dieser Unterscheidung ist der Aufbau der Darstellung von Andreas Lindemannorientiert (A. Lindemann, Paulus im ltesten Christentum. Das Bild des Apostels unddie Rezeption der paulinischenTheologie in der frhchristlichen Literatur bisMarcion[BHTh 58], Tbingen 1979).

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    und Rm 8,2425:24t0 cq 11kkppddii 1shglem 11kkpprr d bke-polmg oqj 5stim 11kkpprr d cq bkpei tr11kkppffeeii ; 25eQ d d oq bkpolem 11kkppffoolleemm,di rpolom/r !pejdewleha.

    24Denn auf Hoffnung hin wurden wirgerettet. Hoffnung aber, die sieht, istnicht Hoffnung. Denn was einer sieht wer hofft darauf ? 25Wenn wir aber das,waswir nicht sehen, erhoffen, wartenwirmit Geduld.

    deutlich, dass die bereits Ereignis gewordene Rettung darin besteht, dasssie Hoffnung erffnet, die es fr die Christen vorher nicht gab und die esfr die Nichtchristen auch jetzt nicht gibt.24Paulus bringt damit zumAus-druck, dass zwar noch etwas aussteht (nach Rm 8,23 die !poktqysirunseres Leibes), doch markiert die Anwesenheit von Hoffnung nicht le-diglich das Defizit gegenber dem Erhofften.

    Dieses Profil der paulinischenHoffnungseschatologie ist auch noch imKol und im Eph erkennbar : In Eph 1,18 und 4,4 ist dementsprechend vonder 1kpr t/r jkseyr aqtoO/rl_m die Rede, die die Adressaten konse-quenterweise und ganz wie in 1 Thess 4,1325 ohne Christus nicht hatten(2,12). Fr denKolosserbrief charakteristisch ist die christologische Expli-kation der Hoffnung: Der Wqistr 1m rl ?m wird nicht nur als 1kpr t/rdngr bezeichnet, sondern weil Jesus Christus in den Himmel erhhtwurde (3,1c), kann der Autor den Blick der Leser nach oben lenkenund die Hoffnung in metonymischer Weise als das im Himmel bereitlie-gendeHeilsgut bezeichnen (1,5), das nur darauf wartet, offenbart, d.h. : inreales Geschehen transformiert zu werden (3,4).

    b) Trotzdem wurde in der Vergangenheit vor allem die Differenz zwi-schen den eschatologischen Konzepten dieser beiden Briefe und der pau-linischen Eschatologie herausgearbeitet : In beiden Briefen sei der escha-tologische Vorbehalt, auf dem Paulus immer insistiert habe, ,aufgehobenund ,dahingefallen.26 Es wird von einer prsentische(n) Eschatologiegesprochen,27 fr die charakteristisch sei, dass sie die endgltige Ver-wirklichung des Heils konstatiert.28 Natrlich wird dabei nicht berse-

    24 Vgl. in diesem Sinne 1 Thess 4,13: Der Unterschied zwischen der christlichen Ge-meinde und den koipo besteht darin, dass letztere keine Hoffnung haben.

    25 Siehe Anm. 24.26 Vgl. in diesem Sinne und reprsentativ fr alle anderen Merklein, Paulinische Theo-

    logie (s. Anm. 21), 40ff ; s. auch die Zusammenfassung des Forschungsstandes bei T.Witulski, Gegenwart und Zukunft in den eschatologischen Konzeptionen des Kolos-ser- und des Epheserbriefes, in: ZNW 96 (2005), 211242, hier 211f.

    27 Zum Beispiel U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Gttingen2007, 535, zum Epheserbrief.

    28 AaO., 519, zum Kolosserbrief.

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    hen, dass beide Briefe auch noch etwas von der Zukunft erwarten, dochwird darunter nicht mehr als eine Przisierung29 oder eine Offenba-rung der in der Gegenwart bereits existierenden eschatologischen Reali-tten30 verstanden. In diesem Sinne wird der Unterschied zur paulini-schen Eschatologie von Helmut Merklein so formuliert :

    Bei Paulus steht die Gegenwart unter dem Sog der Zukunft Im Kolosserbrief (undauch im Epheserbrief) steht umgekehrt die Zukunft unter dem Aspekt der Gegenwart;dieGegenwart bestimmt, was die Zukunft noch erst offenbart, die Zukunft ist Epiphanieder Gegenwart.31

    Hinter solchen und anderen, eher doxographisch ausgerichteten Be-schreibungen der Unterschiede zwischen den eschatologischen Konzep-tionen der paulinischen Briefe auf der einen Seite und der Briefe an dieKolosser und andieEpheser auf der anderenSeite treten inderRegelmeh-rere andere Fragen zurck, die fr die Interpretation der eschatologischenAussagen von nicht geringerer Bedeutung sind: die Fragen nach ihremInformationsgehalt, nach ihrer Mitteilungsabsicht, nach ihrer sprachli-chen Gestaltung und nach ihrer literarischen Einbettung.

    Wenn wir uns die Aussagen dieser beiden Briefe, in denen eschatolo-gische Erwartungen ausgesprochen werden, im Zusammenhang an-schauen, so fllt zunchst auf, dass an keiner einzigen Stelle eschatischeVorgnge beschrieben werden, wie das bei Paulus in Rm 2,510; 1 Kor3,1215; 15,2028.5155; 1 Thess 4,1517 der Fall ist. Stattdessenwird im Kol und Eph immer nur mit Hilfe von kurzen, komprehensivenund theologisch deutenden Formulierungen von den zuknftigen escha-tischen Ereignissen gesprochen. Wenn wir den propositionalen Gehaltder einschlgigen Aussagen zusammenstellen, wird deutlich, woraufChristen hoffen drfen:

    Christus wird offenbart (b Wqistr vameqyh0) (Kol 3,4).Auch die Christen werden dann mit ihm offenbart in Herrlichkeit (tte ja rle ?r smaqt` vameqyhseshe 1m dn,) (Kol 3,4).Es wird ein Gericht geben, in dem gilt: Wer Unrecht tut, wird erhalten, was er an Un-recht getan hat (b cq !dij_m jolsetai d Adjgsem, ja oqj 5stim pqosypokglxa)(Kol 3,25).Die Christen werden eine Erbschaft (jkgqomola) empfangen, auf die sie bereits jetztden Geist als Anzahlung (!qqabm) besitzen, und der Vollbesitz (peqipogsir) die-ser Erbschaft besteht in der Erlsung (!poktqysir) (Eph 1,1314).Gott wird in den kommenden onen den berragenden Reichtum seiner Gnade an

    29 Ebd.30 Witulski, Gegenwart und Zukunft (s. Anm. 26), 239.31 Merklein, Paulinische Theologie (s. Anm. 21).

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    uns erweisen durch Christus Jesus (Vma 1mdengtai 1m to ?r aQ_sim to ?r 1peqwolmoir trpeqbkkom pkoOtor t/r wqitor aqtoO 1m wqgsttgti 1v Blr 1m Wqist` Ygsou) (Eph2,7).Es wird einen Tag der Erlsung (Blqa !pokutqseyr) geben (Eph 4,30).Es wird ein Gericht geben, in dem jeder, wenn er Gutes tut, eben dieses vom Herrnempfangen wird (6jastor 1m ti pois, !cahm, toOto jolsetai paq juqou)(Eph 6,8).

    Alle zitierten Aussagen haben gemeinsam, dass sie in Aussagen ber dieGegenwart eingebettet sind: In Kol 3,3.4.25; Eph 4,30; 6,8 stehen sie imKontext von parnetischen Aussagen, whrend sie in Eph 1,1314; 2,7zu Aussagen ber die Identitt der Adressaten gehren. Wenn wir nununterscheiden zwischen eschatologischen Vorstellungen als solchen undder Rede von diesen Vorstellungen in der konkreten Kommunikationssi-tuation (also zwischen der eschatologischen langue und der eschatologi-schen parole), wird deutlich, dass die unterschiedliche sprachliche Pr-senz eschatologischerAussagen bei Paulus und in den beidendeuteropau-linischen Briefen mit dem Wandel des paulinischen Christentums voneiner Bekehrungsreligion in eine Traditionsreligion erklrt werdenkann: Anders als Paulus mssen die Verfasser der beiden Briefe nichtnoch erst ein eschatologisches Grundwissen aufbauen, sondern sie kn-nen bei ihren Adressaten einen gemeinsamen Wissensbestand in Bezugauf die eschatischen Ereignisse voraussetzen. Sie knnen sich aus diesemGrunde darauf beschrnken, dieses Wissen mit knappen Codes aufzuru-fen. Paulusmusste in 1Thess 4,1517 noch genau die Ereignisse beschrei-ben, diemit der Parusie einhergingen. DerAutor des Epheserbriefesmussnur Tag der Erlsung (Blqa !pokutqseyr) sagen und jeder weiBescheid. Aus der umgekehrten Richtung betrachtet gilt Analoges frKol 3,4: Dass der Autor nichtmehr sagenmuss als ftam bWqistr vame-qyh0 und tte ja rle ?r sm aqt` vameqyhseshe 1m dn,, um seineLeser in Bezug auf die eschatologischen Vorgnge ins Bild zu setzen, hatseinen Grund einzig und allein darin, dass er in dieser Hinsicht das Vor-handensein eines kollektiven christlichen Wissensvorrats voraussetzenkann. Weil es inzwischen eine christliche Tradition gab und damitauch die Ausbildung einer berindividuellen christlichen Enzyklopdieeinherging, konnten die Verfasser der beiden Briefe sich auf die oben zu-sammengestellten knappen Andeutungen beschrnken. PaulinischeEschatologie wird hier also in einer Weise rezipiert, die es berflssigmacht, sie auf der literarischen Ausdrucksebene der Briefe zu reformulie-ren. Die Verfasser setzen vielmehr voraus, dass sie zu einem festen Be-standteil des christlichen Traditionswissens ihrer Leser geworden ist,

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    und aus diesem Grunde knnen sie sich darauf beschrnken, sie mit we-nigen interpretierenden Stichworten zu umschreiben. Sie mssen nichtmehr informieren, sondern sie brauchen nur noch zu erinnern.

    2. Die Rezeption der paulinischen Ekklesiologie in Eph 4,16

    a) Wenn wir zunchst danach fragen, welches Bild der Epheserbrief voneiner christlichen Gemeinde entwirft, und dabei das Paradigma Bekeh-rungsreligion Traditionsreligion zugrundelegen, erleben wir eine klei-ne berraschung: Zwar geht aus Eph 2,20 hervor, dass der Autor ber einchristliches Traditionsbewusstsein verfgt, doch finden wir an keinerStelle eine expliziteAufforderung zur bleibendenOrientierung ander ver-bindlichen paulinischen Tradition wie in 2 Thess 2,15; 1 Tim 6,3f.20;2 Tim 1,12f. An keiner Stelle wird wie in den Pastoralbriefen dazu aufge-fordert, fr eine unversehrte Weitergabe der authentischen paulinischenLehre zu sorgen (vgl. 1 Tim 4,6.16; 2 Tim 2,2; Tit 1,9; 2,1). Ebensowenigfinden wir Mahnungen zum Bleiben im Glauben Nicht-weichen vonder Hoffnung wie in Kol 1,23. Dem entspricht umgekehrt, dass dasBild von Christentum, das der Epheserbrief sichtbar werden lsst, vieleher der Eigenart einer Bekehrungsreligion entspricht. Erkennbar wirddies daran, dass der Autor immer wieder unter Rckgriff auf das Einst-Jetzt-Schema argumentiert (2,16.1113; 5,8) oder in anderer Weiseauf den Vorgang einer Bekehrung Bezug nimmt (1,13; 2,19; 4,17[lgjti]. 2024 [jat tm pqotqam !mastqovm]. 28 [lgjti]). Trotz-dem ist natrlich all jenen Interpreten und Kommentatoren des Eph zu-zustimmen, die darauf hinweisen, dass der Brief nicht erst neubekehrteAdressaten voraussetzt, sondern mit Lesern rechnet, die bereits christlichsozialisiert wurden und die Gemeinden angehren, die bereits in derzweiten oder gar drittenGeneration bestehen. Fr diese spannungsvolleEigenart gibt es zwei Erklrungen:

    a) Die in der adscriptio des Briefes fehlende Adresse zeigt an, dass derAutornicht an eineEinzelgemeinde schreibt, sondern an alleChristen sei-ner Zeit. Der Ephwill also so etwas wie ein ,katholischer Brief sein.32Dem

    32 Siehe auch G. Sellin, Adresse und Intention des Epheserbriefes, in: M. Trowitzsch(Hg.), Paulus, Apostel Jesu Christi. FS Gnter Klein, Tbingen 1998, 171186; ders. ,Epheser (s. Anm. 21), 65ff. Vgl. ansonsten den berblick bei H. Merkel, DerEpheserbrief in der neueren Diskussion, ANRW II 25/4 (1987), 31563246, hier3221ff. Zuzugeben ist freilich, dass sich ein kohrenter Ursprungstext nur mit Hilfeeiner Konjektur (der Streichung von [to ?r owsim]) herstellen lsst, so dass als ur-sprngliche Formulierung der Adresse zu rekonstruieren wre: to ?r "coir ja pisto ?r1m Wqist` YgsoO (s. auch E. Best, Ephesians 1.1 Again, in:M.D. Hooker [Hg.], Paul and

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    entspricht, dass die Ekklesia imEpheserbrief nichtmehrwienochbei Pau-lus die einzelne Ortsgemeinde ist, sondern eine berlokale Gre. Dem-entsprechend kommt sie hier auch immer nur als die eine Ekklesia vor.Das bedeutet aber nicht, dass sie sich zu einer eigenstndigen Gre ver-selbstndigt htte, die als Institution unabhngig von den Glaubendenund Getauften existierte. Sie besteht vielmehr aus denen, die ihr angeh-ren. In semantischer Hinsicht gebraucht der Epheserbrief den Begriff1jjkgsa insofern als Synekdoche, d.h. er fungiert als komprehensiverSammelbegriff, der die Gesamtheit aller Glaubenden bezeichnet. Mankann darum auch nicht wie Jrgen Roloff sagen, dass die Kirche im Ephe-serbrief zwischen Christus und die Glaubenden tritt und die Ekklesio-logie zur Voraussetzung der Soteriologie geworden (ist).33 Die Kir-che ist vielmehr mit der Gemeinschaft der aus Gnaden Geretteten(2,5.8) identisch, und darum bleibt die Soteriologie auch im Epheserbriefimmer der Ekklesiologie vorgeordnet.

    b) Die zweite Erklrung steht mit der ersten in Verbindung: Obwohlnicht zu bersehen ist, dass der Autor des Epheserbriefes fest in der pau-linischenTradition verankert ist,34 setzt er nicht voraus, dass auch die Ge-meinden, an die er schreibt, in paulinischer Tradition stehen. Das unter-scheidet den Epheserbrief vor allem von den Pastoralbriefen und vom 2.Thessalonicherbrief. Aus diesemGrunde bringt er die paulinische Selbst-vorstellung nicht am Anfang seines Briefes, sondern erst in Kap. 3 undlsst ihr in Kap. 12 die Darstellung der Identitt der Adressaten voraus-gehen und inKap. 46 die Anweisungen zur ethischenDarstellung dieserIdentitt folgen.Die paulinische Selbstvorstellung in 3,113unddas in-terzessorische Gebet in 3,1421 bekommen damit die Funktion, den his-torischen Paulus zur Autorisierung des pseudonymen Paulus einzusetzen

    Paulinism. FS Charles Kingsley Barrett, London 1982, 273279; ders. , Ephesians[ICC], London/New York 1998, 99f, mit lteren Vertretern dieser Auffassung, 100,Anm. 8). Der Wortlaut vonTert. , Adv. Marc. 5,17 (Ecclesiae quidem veritate epistolamistam ad Ephesios habemus emissam, non ad Laodicenos; sed Marcion et titulum ali-quando interpolare gestit) lsst jedoch deutlich erkennen, dass weder er selbst nochMarcion die Ortsangabe imText des Briefes gelesen haben. Es geht hier ausschlielichdarum, welche Adresse im titulus (also in der berschrift) steht, und Tertullian argu-mentiert nichtmit demWortlaut des Textes, sondernmit der Autoritt des kirchlichenKonsenses.

    33 J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Gttingen 1993, 237; letzteresunter Berufung auf H. Merklein, Christus und die Kirche (SBS 66), Stuttgart 1973, 81.

    34 Die Indizien dafr sind schon oft zusammengestellt worden und mssen darum hiernicht eigens wiederholt werden; vgl. z.B. Lindemann, Paulus im ltesten Christentum(s. Anm. 23), Tbingen 1979; M. Gese, Das Vermchtnis des Apostels. Die Rezeptionder paulinischen Theologie im Epheserbrief (WUNT II/99), Tbingen 1997.

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    und ihn als briefliche Autoritt aufzubauen: Der Autor des Eph mchte,dass seine Adressaten Paulus als einen Autor akzeptieren, der ihnen We-sentliches zu sagen hat, und dieses Interesse beruht wiederumdarauf, dasser davon berzeugt ist, dass die paulinische Theologie auch noch fr dieChristenheit seiner eigenenZeit und zwar (das ist der Sinnder fehlendenAdresse und der universal-ekklesiologischenAusrichtung) fr die gesam-te Christenheit von Bedeutung ist.

    b) Um die paulinische Theologie aus dem Kontext einer Bekehrungs-religion heraus in den einer Traditionsreligion hinein fortzuschreiben,geht der Autor in zwei Schritten vor : Er rezipiert zunchst eines der wich-tigsten Anliegen der Theologie des historischen Paulus, die Aufhebungder kontextuellen Unterschiede durch den christlichen Glauben unddie christliche Taufe (Rm 10,12; 1 Kor 1,23f; 12,13; Gal 3,28; 5,6;6,15) und die Betonung der Eins-heit der christlichen Gemeinde(Rm 12,4.5; 1 Kor 10,17; 12,9.1114; Gal 3,28), indem er sie zunchstin 2,1124 bekehrungsreligis aufgreift. Der Autor beschreibt hiernicht die konkrete Bekehrungsgeschichte einer bestimmten Gemeinde,sondern die idealtypische Grundgeschichte der Heidenkirche berhaupt.Sie spielte sich zur Zeit der Apostel und Propheten ab, die als Funda-ment fungieren, auf dem die gesamte Christenheit erbaut wurde(V.20). Diese diachronisch profilierte Eins-heit der Ekklesia (vgl. dasEinst-Jetzt-Schema in V.1113) wird dann nach der Unterbrechungdurch das Pauluskapitel in Eph 3 zu Beginn des parnetischen Teils in4,36 wiederaufgenommen und synchronisch reformuliert :

    Eph 4,26: 3spoudfomter tgqe ?m tm2mtgta toO pmelator 1m t` sumdsl\t/r eQqmgr 44m s_la ja 4m pmeOla,jahr ja 1jkhgte 1m li 1kpdi t/rjkseyr rl_m7 5eXr jqior, la pstir, 4mbptisla, 6eXr her ja patq pmtym, b1p pmtym ja di pmtym ja 1m psim.

    3Seid darauf bedacht, zu wahren dieEinsheit des Geistes durch das Band desFriedens: 4ein Leib und ein Geist, wie ihrauch berufen seid zu einer Hoffnungeurer Berufung; 5ein Herr, ein Glaube,eine Taufe; 6ein Gott und Vater aller, derber allem ist und durch alles und inallem.

    Was hier geschieht, ist offenkundig:35 Der Autor des Epheserbriefesschreibt ein zentrales Anliegen der paulinischenTheologie dass nmlichdie Gemeinsamkeit(en), die die Christen miteinander verbinden, beralle Differenzen dominieren in die nachpaulinische Zeit hinein fortund reformuliert es im Blick darauf, dass das Christentum inzwischen

    35 Ich nehme im Folgenden Hinweise auf, die sich bereits bei K.M. Fischer, Tendenz undAbsicht des Epheserbriefes (FRLANT 111), Gttingen 1973, 201ff, finden.

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    zu einer Traditionsreligion geworden ist.Das vomAutor des Epheserbrie-fes Ekklesia genannteChristentum existierte in der zweitenHlfte des 1.Jahrhunderts bereits als eine berlokale Gre, denn es gab in vielenOrten christliche Gemeinden. Genau hierin lag aber auch das Problem:Diese Ortsgemeinden hatten alle eine individuelle Gestalt, denn siewaren durch unterschiedliche Traditionen geprgt, sie praktizierten un-terschiedliche Gewohnheiten (vgl. bereits 1 Kor 11,16!). Vor diesemHintergrund kann man den in 4,46 zusammengestellten Katalog voneinheitsstiftenden Identittsmerkmalen als einen ersten Versuch inter-pretieren, kumenische identity markers zu bestimmen, die die Einheitder Christenheit markieren. Der Autor bringt damit paulinische Theolo-gie in einem vernderten historischen Kontext neu zur Sprache: Bezugs-punkt sind nicht mehr wie noch bei Paulus die Spannungen zwischen dergemeinsamen christlichen Identitt der Gemeindemitglieder und ihrenunterschiedlichen kontextuellen Identitten (wie das bei Bekehrungsreli-gionen blicherweise der Fall ist), sondern die Unterschiede, die inner-halb der universalen Ekklesia zwischen den einzelnen Gemeinden aufGrund ihrer je eigenen Inkulturations- und Institutionalisierungsge-schichten bestehen.

    3. Die Rezeption der paulinischen Rechtfertigungslehrein Eph 2,810 und Tit 3,47

    a) Man kann die paulinische Rechtfertigungslehre als ein semantischesFeld beschreiben, das eine bestimmte terminologische Topographie auf-weist : Im Mittelpunkt steht das Hinzutreten der Gerechtigkeitsbegriffe(dijaioOm, dijaiosmg, djaior, dijaysir) zur Rede vom Glauben(pstir, pisteeim). Whrend die Rede vom Glauben von Anfang an zuden konstituierendenMerkmalen gehrte, die Paulus seinen Gemeindenzuschrieb (vgl. 1 Thess 1,3.8; 2,13; 3,2.5.6.7.10; 4,14; 5,8), kommen dieGerechtigkeitsbegriffe erst im Zusammenhang der galatischen Kontro-verse hinzu.Das geschahwohl auf derGrundlage vonGen 15,6LXX (Abra-ham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet).Diese Verknpfung findet sich erstmals in Gal 2,16; 3,8.24 und dann inPhil 3,9 sowie in Rm 1,17; 3,22.26.28.30; 5,1; 9,30; 10,4.6.10. DiesemZentrum steht als negierte Proposition die Sachverhaltsaussage gegen-ber, dass die Gerechtigkeit nicht durch Werke des Gesetzes erlangtwerden kann: oq dijaioOtai %mhqypor 1n 5qcym mlou (Gal 2,16a; s.auch 2,16c; 3,11; Rm 3,20.21.28; s. auch Phil 3,9). Daran schlieensich zwei weitere Teilfelder an: zum einen der Verweis auf die Snde

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    als Begrndung dafr, dass kein Mensch aus Werken des Gesetzes ge-rechtfertigt wird (erstmals Gal 3,22 und dann Rm 3,20; 7,725) undzum anderen die Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden und Nicht-juden und zwar entweder durch die Inklusivitt des Glaubens (Rm1,16; 3,2730; 10,11f; Gal 2,15f) oder durch die Universalitt derSnde (Rm 1,183,20; bes. 3,9). Diese Aufhebung ist der Aussage,dass das Tun des Gesetzes keine Rechtfertigung vermitteln kann, insofernzugeordnet, weil mit Gesetz hier immer die Tora gemeint ist undweil esganz przise das TununddasNicht-TunderTora ist, das denUnterschiedzwischen Juden und Nichtjudenmarkiert. Gerade dadurch kann die pau-linische Rechtfertigungslehre in dem oben skizzierten Sinne36 als theolo-gische Konstruktion einer jaim jtsir (Gal 6,15), d. h. als Theorie einerBekehrungsreligion fungieren, die Paulus in Abgrenzung vomWirklich-keitsverstndnis des Judentums konzipiert hat.

    b) Wenn wir uns nun Eph 2,810 und Tit 3,47 anschauen, wird so-fort deutlich, wie selektiv die Verfasser der beiden Briefe das semantischeFeld der paulinischen Rechtfertigungslehre rezipieren:

    Eph 2,810: 8T0 cq wqit 1ste ses\s-lmoi ddiippsstteeyyrr ja toOto oqj 1n rl_m,heoO t d_qom 9ooqqjj 11nn 55qqccyymm, Vma l tirjauwsgtai. 10aqtoO cq 1slem pogla,jtishmter 1m Wqist` YgsoO 1p 5qcoir!caho ?r oXr pqogtolasem b her, Vma 1maqto ?r peqipatsylem.

    8Denn auf Grund der Gnade seid ihrGerettete durch Glauben:Und das nichtaus euch selbst es ist Gottes Geschenk;9nicht aus Werken, damit sich keinerrhmt. 10Denn wir sind sein Produkt,geschaffen durch Christus Jesus zu gutenWerken, die Gott vorher bereitet hat,damit wir in ihnen wandeln.

    Tit 3,47: 4fte d B wqgsttgr ja Bvikamhqypa 1pevmg toO syt/qorBl_m heoO 5ooqqjj 11nn 55qqccyymm tt__mm 11mmddiijjaaiioossmm,, $ 1poisalem Ble ?r !kkjat t aqtoO 5keor 5sysem Blr dikoutqoO pakiccemesar ja !majai-mseyr pmelator "cou, 6ox 1nweem 1vBlr pkousyr di YgsoO WqistoO toOsyt/qor Bl_m, 7Vma ddiijjaaiiyyhhmmtteerr t01jemou wqiti jkgqomloi cemgh_lemjat 1kpda fy/r aQymou.

    4Als aber die Gte und Menschen-freundlichkeit unseres Retters, Gottes, inErscheinung trat 5nicht auf Grund vonWerken in Gerechtigkeit, die wir getanhaben, sondern nach seinem Erbarmenhat er uns gerettet durch das Bad derWiedergeburt und Erneuerung des hei-ligen Geistes, 6den er reichlich ber unsausgegossen hat durch Jesus Christus,unserenRetter, 7damitwir als durch seineGnade Gerechtfertigte Erben werdengem der Hoffnung auf das ewigeLeben.

    36 Siehe oben, 21f.

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    Eph 2,89 liest sich wie eine Kurzparaphrase von Rm 3(,2130):37

    Auer dem Gegenber von pstir und 5qca fhrt der Autor die RettungaufGottes wqir zurck (vgl. Rm3,24), nimmtmitd_qomdas paulinischedyqem (ebd.) auf und betont auch, dass durch die Rettung di psteyrund oqj 1n 5qcym das jauwshai unmglich wird (Rm 3,27). dijaiole-moi (Rm 3,24) ist durch ses\slmoi (V.8) ersetzt. Der Unterschied zwi-schen den beidenTexten ist jedoch deutlich. Er wird vor allem in den Ne-gationen und Gegenberstellungen erkennbar : oqj 1n 5qcym expliziertoqj 1n rl_m, und einander gegenbergestellt werden wir und Gott.Die 5qca mlou werden ethisierend zu (guten) Werken (vgl. V.10) ver-allgemeinert. Das ausgeschlossene jauwshai ist nicht im Sinne von Rm2,17 verstanden, woran Paulus in 3,27 anknpft (Israel rhmt sich gegen-ber den Vlkern seiner besonderen Beziehung zu Gott), sondern imSinne von 1 Kor 1,29 (die Allgemeinheit von psa sqn hier entsprichtder Allgemeinheit von tir in Eph 2,9). Es sind nunmehr die Werkeder intendierten Leser, die zum Gegenstand des Rhmens werdenknnten. Weggefallen ist also die Korrelation der paulinischen Rechtfer-tigungslehre mit der Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden undHeiden (3,29f)38 sowie der bei Paulus damit verbundene Bezug auf dieUniversalitt der Snde (3,22f). Das Gegenber von pstir und 5qcawird stattdessen zum Darstellungsmittel einer christlichen Anthropolo-gie.

    In Tit 3,47 ist anders als in Eph 2,810 von dijaiosmg unddijaioOshai die Rede (V.5.7). Auerdem steht an der Stelle des Glaubens(Eph 2,8) die als koutqm pakiccemesar bezeichnete Taufe (Tit 3,5). An-sonsten ist auch in diesem Text von der Juden-Heiden-Thematik nichtsbriggeblieben, und auch von den 5qca wird in derselben ethisierendenWeise gesprochenwie in Eph 2,9. Der Autor rechnet sogar damit, dass dieLeser Werke in Gerechtigkeit getan haben (V.5), und eine analoge Be-wertung der eigenen Werke ist wohl auch in 2 Tim 1,9 vorausgesetzt(der uns gerettet und berufen hat oq jat t 5qca Bl_m).

    Dass die paulinische Rechtfertigungslehre in beidenTexten eine Neu-ausrichtung erfahrenhat, ist offenkundig und auch inder Literatur ebensohufig beschrieben wie beklagt worden. Ferdinand Hahn sieht in Eph

    37 Sellin, Epheser (s. Anm. 21), 184.38 Vgl. in diesem Sinne auch M. Theobald, Der Kanon von der Rechtfertigung (Gal 2,16;

    Rm 3,28) Eigentum des Paulus oder Gemeingut der Kirche?, in: T. Sding (Hg.),Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? (QD 180), Freiburg u. a. 1999, 131192,hier 176.

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    2,810 die paulinische Gesamtkonzeption zerbrochen,39 und HelmutKster sprichtmit Bezug auf die Pastoralbriefe gar von einemAusverkaufder paulinischen Theologie unter ungnstigen Bedingungen.40 MeinesErachtens wird man der Paulusrezeption dieser Texte jedoch sehr vieleher gerecht, wenn man sie als Versuche interpretiert, die paulinischeRechtfertigungstheologie hermeneutisch fortzuschreiben und neu zukontextualisieren. Es bietet sich dabei an, das theologische Profil dieserFortschreibung damit zu erklren, dass beide Briefe ein Christentum vor-aussetzen, das nicht mehr eine Bekehrungsreligion ist, sondern eine Tra-ditionsreligion. Die Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden undHeiden, an der Paulus sich noch sehr heftig theologisch abarbeiten muss-te, war lngst kein Thema mehr und konnte darum wegfallen. Dement-sprechend war es mglich bzw. sogar erforderlich, die Werke von derTora abzulsen und ethisierend zu verallgemeinern. Darber hinausmusste die Rechtfertigungslehre nicht mehr einen grundlegenden Para-digmenwechsel theologisch legitimieren, denn das von Paulus mit ihrerHilfe etablierte Wirklichkeitsverstndnis war inzwischen lngst zueinem integralen Bestandteil der christlichen Enzyklopdie geworden.

    V. Ausblick

    Ein Fazit wre unpassend, denn es ging mir nicht darum, fertige Ergeb-nisse zu prsentieren. Mein Anliegen beschrnkt sich vielmehr darauf,ein neues Interpretationsparadigma zur Diskussion zu stellen und seinheuristisches Potential fr die Frage nach der Paulusrezeption im frhenChristentum an einigen ausgewhlten Beispielen zu veranschaulichen.

    Wenn wir die Perspektive noch ausweiten und nicht lediglich die Re-zeption der paulinischenTheologie in denBlick nehmen, sondern die Fra-gestellung auch auf die Erklrung von historischen Vorgngen und Kon-

    39 F. Hahn, Taufe und Rechtfertigung. Ein Beitrag zur paulinischen Theologie in ihrerVor- und Nachgeschichte, in: Ders. , Studien zum Neuen Testament. Band 2: Be-kenntnisbildung und Theologie in urchristlicher Zeit (hg. von J. Frey/J. Schlegel,WUNT 192), Tbingen 2006, 241270, hier 250; zuerst in: J. Friedrich, Rechtferti-gung. FS Ernst Ksemann, Tbingen/Gttingen 1976, 95124, hier 104: Es fehlt dieAntithetik zu denWerken des Gesetzes, da das oqj 1n 5qcym nur noch das oqj 1n rl_mumschreibt, und vor allem handelt es sich eben nicht mehr um eine iustificatio solafide.

    40 H. Kster, Gnomai Diaphoroi. Ursprung und Wesen der Mannigfaltigkeit in derGeschichte des frhen Christentums, in: Ders./J.M. Robinson, Entwicklungsliniendurch die Welt des frhen Christentums, Tbingen 1971, 107146, hier 145.

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    stellationen bertragen,41 knnte man z.B. auch fragen, ob sich nicht derKonflikt zwischen dem Autor der Pastoralbriefe und den von ihm be-kmpftenGegnern als einKonflikt zwischen zwei unterschiedlichenKon-zeptionen von Christentum als zwei unterschiedlicher patterns of religi-on erklren lsst. Es ist nicht zu bersehen, dass der Autor der drei Briefedas Christentum als eine Traditionsreligion versteht, whrend es die Geg-ner als Bekehrungsreligion wahrnehmen. Wenn wir uns daran orientie-ren, wie der Autor einerseits seine eigene Auffassung von einem christli-chen Ethos42 darlegt und andererseits das Auftreten der Gegner43 be-schreibt, treten sie in seiner Gemeinde mit einem Identittsangebotauf, das auf eine kompromisslose gesellschaftliche Desintegration abzielt :Whrend die Pastoralbriefe ein ausgesprochen inklusives Ethos propagie-ren und eben dadurch ihr Interesse an einer Integration der christlichenGemeinde in ihren gesellschaftlichen Kontext zu erkennen geben, wirdauf Seiten der Gegner ein ausgeprgt exklusives Ethos erkennbar,44 frdas sie offenbar so erfolgreich werben, dass der Autor der Pastoralbriefedamit die Kontinuitt mit den Ursprngen der identittsstiftenden Tra-dition bedroht sieht. Vielleicht kann man sogar noch weiter gehen unddie in den Pastoralbriefen bekmpften Gegner als so etwas wie die ersteinnerchristliche Erneuerungsbewegung verstehen, der spter noch vieleandere folgen sollten.

    Und schlielich darf bei diesemThema natrlich auch ein Blick auf daslukanische Doppelwerk nicht fehlen. Ich setze im Folgenden voraus, dasssein Verfasser Paulus dort begleitet hat, wo er dies durch die sog. Wir-Stcke kenntlichmacht.45Doch auch,wennwir dieseAnnahmenicht vor-aussetzen, knnen wir davon ausgehen, dass Lukas innerhalb der paulini-schenTradition theologisch sozialisiert wurde. Er kommt gewissermaenvonPaulus her.Dementspricht auch, dass er einBild vonder paulinischenMission entwirft, dasmit einer hohen historischen Plausibilitt ausgestat-

    41 Vgl. dazu die oben, 27 zusammengestellten Fragemglichkeiten.42 Vgl. hierzu vor allem 1 Tim 2,12.815; 3,17.813; 5,12.316; 6,12; Tit 1,79;

    2,110; 3,12.43 Das geschieht mindestens in 1 Tim 4,3 (sie verbieten sexuellen Verkehr und fordern

    den Verzicht auf Speisen); 6,2021 (die Antithesen der flschlich so genanntenGnosis, die einige propagieren); 2 Tim 2,18 (sie sagen: ,die Auferstehung ist schongeschehen).

    44 Vgl. zu dieser Unterscheidung oben, 17.45 Vgl. dazu M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tbingen 2008, 8f. Lukas ist

    also mit der paulinischen Mission und Theologie vertrauter, als dies in der Vergan-genheit vielfach angenommen wurde (vgl. dazu auch den Sammelband D. Marguerat[Hg.], Reception of Paulinism in Acts [BEThL 229], Leuven 2009).

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    tet ist : Paulus fordert zur Bekehrung auf (letmoia, letamoe ?m ; 17,30;20,21; 26,20), undLukas erzhlt dieGeschichte derChristusverkndigungals die Geschichte der Trennung des Christentums vom Judentum. Auf-schlussreich ist, dass Lukas mit Ausnahme der Stephanusgeschichte nurvon Paulus solche Trennungsepisoden erzhlt : Die Reihe beginnt inApg 8,1mit der Trennung von Jerusalem. Sie setzt sich fort im pisidischenAntiochien (Apg 13,4446.50f), in Korinth (Apg 18,47), in Ephesus(Apg 19,89) und schlielich wiederum in Jerusalem (Apg 21,2726,32). Mit hinzunehmen kann man vielleicht auch noch diejenigenTexte, in denen Lukas erzhlt, dass Paulus einfach auch nur aus einerStadt fliehen muss, weil ihm von Seiten der ortsansssigen Juden Lebens-gefahr droht; dies ist der Fall in Damaskus (Apg 9,2325), in Jerusalem(Apg 9,2830), in Ikonium (Apg 14,47) und in Bera (Apg 17,1014).

    Dieser Sachverhalt gibt Anlass zu der berlegung, ob wir nicht die li-terarische Perspektive auf das lukanische Doppelwerk umkehren sollten:In der Vergangenheit hat man es immer von den anderen Evangelien herbetrachtet und die Eigenart der lukanischen Darstellung darin gesehen,dass Lukas die Jesusgeschichte, auf die sich die anderen Evangelisten be-schrnkt haben,mit derApostelgeschichte in dieZeit derChristusverkn-digung durch die Auferstehungszeugen hinein verlngert, was FranzOverbeck zu dem bekannten Verdikt veranlasst hat: Es ist das eine Takt-losigkeit von welthistorischen Dimensionen, der grte Exze der fal-schen Stellung, die sich Lukas zum Gegenstand gibt.46 Daran ist sicherrichtig, dass Lukas seine Jesusgeschichte vor seiner Darstellung der Ge-schichte der Christusverkndigung durch Auferstehungszeugen ge-schrieben und publiziert hat. Auf der anderen Seite spricht nichtWenigesdafr, dass Lukas in konzeptioneller Hinsicht genau andersherum vorge-gangen ist : Er hat die Geschichte der Trennung von Christentum und Ju-dentum, von der er herkommt unddie er in derApostelgeschichte erzhlt,nach vorne verlngert, und zwar nicht nur in die Geschichte der erzhltenZeit, sondern auch in bereits vergangene Epochen der Geschichte Israelshinein. Deutlich wird das vor allem in Lk 12 sowie in den Reden, dieStephanus in Jerusalem und Paulus im pisidischen Antiochien halten(Apg 7,253; 13,1641). Nach Ausweis der paulinischen Antrittsredeim pisidischen Antiochien beginnt die Geschichte des Christentumsmit der Erwhlung der Vter (vgl. vor allem Apg 13,17). Lukas will

    46 F. Overbeck, Christentum und Kultur. Gedanken und Anmerkungen zur modernenTheologie. Aus dem Nachlass (hg. von C.A. Bernoulli), Darmstadt 21963 (zuerst Basel1919), 78f.

    Die Entwicklung des paulinischen Christentums 39

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    die Geschichte der Trennung von Christentum und Judentum als eineEpoche der Geschichte Israels erzhlen. Welches theologische Interessesich mit diesem Programm verbindet, wird sofort einsichtig, wenn wires unter Rckgriff auf das Paradigma beschreiben, das unserer Untersu-chung zugrunde lag: Es geht Lukas darum, das Christentum mit Ge-schichte und Tradition auszustatten. Er will nachweisen, dass das Chris-tentum nicht eine neue Bekehrungsreligion ist, sondern dass es von allemAnfang an schon immer eine Traditionsreligion war.

    Michael WolterRheinische Friedrich-Wilhelms-Universitt Bonn/University of PretoriaEvangelisch-Theologische FakulttAn der Schlosskirche 2453113 [email protected]

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