Womit beginnt die Weihnachtsgeschichte? Dem Hause Davids...

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Sigrid Otto: Die Weihnachtsgeschichte auf Bildern der Berliner Gemäldegalerie ___________________________________________________________________ 1 „Die Jungfrau gebiert heute den, der über allem Sein steht, und die Erde bietet eine Höhle dar dem Unzulänglichen. Engel stimmen mit den Hirten einen Lobgesang an, und Magier machen sich mit einem Stern auf den Weg.“ (Byzantinischer Weihnachtshymnus aus dem 6. Jh.) Die Darstellung der Weihnachtsgeschichte ist seit den frühen christlichen Jahrhunderten ein beliebtes Motiv. Allein in der Berliner Gemäldegalerie finden wir mehr als 50 Bild- beispiele. Im Folgenden sollen wie in einem Adventskalender 24 Darstellungen mit der Geburt Christi und der Anbetung durch die Heiligen Drei Könige sowie der Hirten vorge- stellt werden. Die Reise erstreckt sich südlich der Alpen, wo Maria nach südländischer Sitte auf dem Boden sitzt, bis nördlich der Alpen, in der die Geburt in einer kalten Winternacht stattfindet. Wir erleben Weihnachtsdarstellungen vom 14. bis zum 16. Jh., angefangen von Reisealtärchen in Klappform bis zu mehrteiligen großformatigen Altar- bildern. Es ist zu beobachten, wie das Heilsgeschehen zunehmend menschlich-irdische Vergegenwärtigung erfährt, indem genrehaft-weltliche Elemente Eingang in die Schilde- rung der Weihnachtsgeschichte finden. Die Motive, Symbole und Metaphern in Werken mittelalterlicher Kunst waren dem gläubigen Betrachter der damaligen Zeit geläufig. Heute braucht es eine Hilfe, um die christliche Ikonographie der Gemälde zu entschlüsseln, immer wiederkehrende Ele- mente der Weihnachtsgeschichte einzuordnen und zu verstehen. Womit beginnt die Weihnachtsgeschichte? Bereits im Alten Testament findet man die Vorwegnahme der Geburt Christi (Jesaja, 7,14-15): Dem Hause Davids werde der Messias entstammen, aus Bethlehem („Haus des Brotes“) solle der wahre Hirte kommen, sein Name sei Immanuel („Gott mit uns“). Die „Weihnachtsgeschichte“ beginnt im Neuen Testament mit der Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria und endet mit der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten, um dem Mordanschlag des Königs Herodes zu entgehen. Worauf basiert die Darstellung der Weihnachtsgeschichte? Im Neuen Testament wird das sog. Weihnachtsevangelium im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums (1-7) geschildert: Die Menschen sollten laut Befehl des Kaisers Augustus gezählt und in Steuerlisten ein- getragen werden und in den Ort gehen, in dem sie geboren wurden. Auch der Zimmer- mann Joseph aus Nazareth hörte von der kaiserlichen Anordnung. Er stammte aus dem Geschlecht des Königs David, der aus Bethlehem kam. Also machte sich Joseph mit Maria auf den anstrengenden Weg, doch alle Herbergen waren überfüllt. Nur ein Stall diente ihnen als Unterkunft, in dem Maria ihren Sohn gebar und ihn in eine Futterkrippe legte. Ein Engel trat auf, der den Hirten die Geburt des Messias verkündete. Sie er- fuhren, dass sie ein Kind, in Windeln gewickelt, in einer Krippe finden werden. Die Geburtsszene wird zunächst durch die Anbetung der Hl. Drei Könige und später auch durch die Anbetung der Hirten (vgl. Luk. 2,8-17) erweitert. Das Matthäusevan- gelium (2,1-12) berichtet, dass unbekannte Magier aus dem Orient einem Stern folgten, den sie als Zeichen der Geburt eines neuen Königs deuteten. Sie kamen nach Bethlehem und fanden das Kind, huldigten ihm und brachten als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Seit dem 9. Jh. tragen sie die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar. Sie verkörpern drei Lebensalter und repräsentieren die damals bekannten drei Erdteile Europa, Afrika und Asien.

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Sigrid Otto: Die Weihnachtsgeschichte auf Bildern der Berliner Gemäldegalerie ___________________________________________________________________

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„Die Jungfrau gebiert heute den, der über allem Sein steht, und die Erde bietet eine Höhle dar dem Unzulänglichen. Engel stimmen mit den Hirten einen Lobgesang an, und Magier machen sich mit einem Stern auf den Weg.“ (Byzantinischer Weihnachtshymnus aus dem 6. Jh.)

Die Darstellung der Weihnachtsgeschichte ist seit den frühen christlichen Jahrhunderten ein beliebtes Motiv. Allein in der Berliner Gemäldegalerie finden wir mehr als 50 Bild-beispiele. Im Folgenden sollen wie in einem Adventskalender 24 Darstellungen mit der Geburt Christi und der Anbetung durch die Heiligen Drei Könige sowie der Hirten vorge-stellt werden. Die Reise erstreckt sich südlich der Alpen, wo Maria nach südländischer Sitte auf dem Boden sitzt, bis nördlich der Alpen, in der die Geburt in einer kalten Winternacht stattfindet. Wir erleben Weihnachtsdarstellungen vom 14. bis zum 16. Jh., angefangen von Reisealtärchen in Klappform bis zu mehrteiligen großformatigen Altar-bildern. Es ist zu beobachten, wie das Heilsgeschehen zunehmend menschlich-irdische Vergegenwärtigung erfährt, indem genrehaft-weltliche Elemente Eingang in die Schilde-rung der Weihnachtsgeschichte finden.

Die Motive, Symbole und Metaphern in Werken mittelalterlicher Kunst waren dem gläubigen Betrachter der damaligen Zeit geläufig. Heute braucht es eine Hilfe, um die christliche Ikonographie der Gemälde zu entschlüsseln, immer wiederkehrende Ele-mente der Weihnachtsgeschichte einzuordnen und zu verstehen.

Womit beginnt die Weihnachtsgeschichte? Bereits im Alten Testament findet man die Vorwegnahme der Geburt Christi (Jesaja, 7,14-15): Dem Hause Davids werde der Messias entstammen, aus Bethlehem („Haus des Brotes“) solle der wahre Hirte kommen, sein Name sei Immanuel („Gott mit uns“). Die „Weihnachtsgeschichte“ beginnt im Neuen Testament mit der Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria und endet mit der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten, um dem Mordanschlag des Königs Herodes zu entgehen.

Worauf basiert die Darstellung der Weihnachtsgeschichte? Im Neuen Testament wird das sog. Weihnachtsevangelium im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums (1-7) geschildert: Die Menschen sollten laut Befehl des Kaisers Augustus gezählt und in Steuerlisten ein-getragen werden und in den Ort gehen, in dem sie geboren wurden. Auch der Zimmer-mann Joseph aus Nazareth hörte von der kaiserlichen Anordnung. Er stammte aus dem Geschlecht des Königs David, der aus Bethlehem kam. Also machte sich Joseph mit Maria auf den anstrengenden Weg, doch alle Herbergen waren überfüllt. Nur ein Stall diente ihnen als Unterkunft, in dem Maria ihren Sohn gebar und ihn in eine Futterkrippe legte. Ein Engel trat auf, der den Hirten die Geburt des Messias verkündete. Sie er-fuhren, dass sie ein Kind, in Windeln gewickelt, in einer Krippe finden werden. Die Geburtsszene wird zunächst durch die Anbetung der Hl. Drei Könige und später auch durch die Anbetung der Hirten (vgl. Luk. 2,8-17) erweitert. Das Matthäusevan-gelium (2,1-12) berichtet, dass unbekannte Magier aus dem Orient einem Stern folgten, den sie als Zeichen der Geburt eines neuen Königs deuteten. Sie kamen nach Bethlehem und fanden das Kind, huldigten ihm und brachten als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Seit dem 9. Jh. tragen sie die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar. Sie verkörpern drei Lebensalter und repräsentieren die damals bekannten drei Erdteile Europa, Afrika und Asien.

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Wann fand die Geburt von Christus statt? Das Fest der Geburt von Christus wurde wahrscheinlich in der Ostkirche gegen Ende des 3. Jhs. am 6. Januar begangen und wird heute noch in Westeuropa als Dreikönigs-tag gefeiert. Seit 354 hat die römische Kirche die Geburt Christi auf den 25. Dezember verlegt. Das Ereignis der Geburt Christi als „aufgehende Sonne“ soll in der Nacht stattgefunden haben.

Wie wurde Christus geboren? Das Konzil von Ephesus (431) legte fest, Christus sei von Maria auf übernatürliche Weise geboren, ohne Blutverlust und frei von Schmerzen. Eine spartanische, ärmliche Darstellung der Geburt in einer Felshöhle oder einem offenen Stall war als Gleichnis für das menschliche Herz gemeint, das ganz schlicht und einfach sein soll, um Gott zu empfangen. So verbinden wir mit der Geburtsszene in Bethlehem im Allgemeinen die Felshöhle und den Krippenstall mit Ochs und Esel sowie den Weihnachtsstern. Ochs und Esel sollen nach den Apokryphen (außerbiblische Erzählungen) Zeugen der Geburt des Erlösers gewesen sein. Anfangs stehen sie an der Krippe, als wollten sie das ärmlich gewickelte Kind wärmen. Später finden sich Varianten, wie der Ochse fromm das Kind betrachtet, während der Esel sich abwendet oder seinen Kopf zurück-wirft (vgl. Quellentexte im Anhang). Schließlich bilden die Tiere nur noch Staffage. Die ‚Legenda aurea’ (goldene Legende) von Jacobus de Voragine aus dem 13. Jh. schildert, wie der Esel Maria als Reittier auf dem Weg von Nazareth nach Bethlehem diente. Der Ochse war zum Verkauf bestimmt, um den Zins der Volkszählung zu bezahlen. Beide Tiere erkannten den Herrn bei der Geburt und knieten vor ihm nieder. Seit dem 3. Jh. galten der Ochse bzw. Stier als das reine und der Esel als das unreine Tier. Die Kirchenväter Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz haben im 4. Jh. den Stier als Sinnbild des Judentums und den Esel als Sinnbild des Heidentums verstanden, die sich der christlichen Kirche unterwerfen.

Weihnachtsdarstellungen südlich der Alpen 1) Taddeo Gaddi (Ende 13. Jh.-1366) Triptychon mit der Geburt Christi, 1334 (R. 41) Pappelholz, H. 62,5 cm, B. 41 cm Flügel je H. 62,5 cm, B. 20,5 cm

Der spitzbogige Klappaltar zur privaten Andacht stammt von dem florentinischen Maler Taddeo Gaddi, einem Schüler und Mitarbeiter Giottos. Auf dem kleinen Marienaltar ist links unten die Szene mit der Geburt Christi dargestellt.

Maria sitzt mit dem kreuzweise gewickelten Gottessohn (in Anspielung auf die Passion) auf einem roten Polster und reicht ihm die Brust (Maria Lactans). Die Darstellung erfolgt in Anlehnung an den Typus der liegenden Gottesmutter als Wöchnerin im 12. und 13. Jh. Maria ist in einen blauen Mantel mit Stern gehüllt. Die Farbe Blau verweist darauf, dass Maria einen „himmlischen Sohn“ zur Welt gebracht hat, der Stern symbolisiert die unbefleckte Empfängnis. Die Szene der Geburt ist in felsiger Landschaft angesiedelt und als Hinweis auf Maria, den „unbehauenen Berg“, zu verstehen: die Felshöhle meint den jungfräulichen Schoß der Gottesmutter. Eine Ebene unter Maria sitzt entsprechend seiner Bedeutung der Ziehvater Joseph am Boden. Er wird der Überlieferung nach als

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alter Mann dargestellt und trägt auf italienischen Darstellungen in der Regel ein gelbes Gewand. Die Heilige Familie wird von zwei Engelchören neben der Krippe mit Ochs und Esel unter einem offenen Durchgang verehrt. Ein Engel verkündet einem Hirten die Geburt des Erlösers. Vor den Hirten sollen die Tiere die ersten Zeugen der Geburt gewesen sein, die der Maler hier auf naive Weise ins Geschehen mit einbezieht. Die Anbetung durch die Hirten erscheint in Italien des 14. Jhs. als neues Motiv: Auch den Armen und Geringen ist ein Heiland geboren!

2) Bernardo Daddi (1304-1348) Triptychon mit der Geburt Christi, um 1338/40 (R. 41) Pappelholz, 57,2 x 58 cm, Seitenflügel: 37,5 x 15 cm

Dieser kleine Marienaltar mit dem noch originalen Rahmen stammt von dem toskanischen Maler Bernardo Daddi, ver-mutlich einem Schüler Giottos. Es handelt sich um ein sog. Tragaltärchen, dessen kleine Form Bernardo meisterhaft beherrschte. Die Maler gehörten damals übrigens zur Zunft der Ärzte und Apotheker, weil sie dort ihre Farben kauften.

Die Geburtsszene ähnelt der vorherigen und ist etwa zeitgleich entstanden. Maria sitzt gegenüber Joseph erhöht auf einem Felsplateau und stillt das Christuskind. Hinter ihr befindet sich die überdachte Krippe, die ähnlich einem Altar aus Stein besteht. In der byzantinischen Malkunst galt dies als Kopie des Altars über der Krippenhöhle zu Bethlehem. Gleichzeitig erinnert die steinerne Krippe an einen Sarkophag und nimmt den späteren Opfertod Christi voraus. Ochs und Esel stehen an der Krippe, davor anbetende Engel. Rechts unten sind die Hirten, einer davon Flöte blasend, mit ihren Tieren zur Anbetung des Gottessohnes erschienen.

3) Lorenzo Monaco (um 1365-70-um 1425) Die Geburt Christi Um 1395/1400 (R. 40) Pappelholz, 26,3 x 60,7 cm

Das Mittelstück der Predella (Altar-Untersatz) aus dem einst fünfteiligen Altarwerk stammt aus der Kirche S. Maria del

Carmine in Florenz. Der Schöpfer ist Lorenzo Monaco – ein Mönch, wie sein Name be-sagt, der als Buchmaler in Florenz ausgebildet wurde. Unter dem Einfluss von Agnolo Gaddi entwickelte er sich zu einem der bedeutendsten Vertreter der sog. internationalen Gotik um 1400 in Florenz. Die Gottesmutter ist nach südländischer Sitte sitzend auf dem Boden dargestellt. Auf ihrem Schoß hält sie das kreuzweise gewickelte Kind. Mit dem Finger zeigt sie auf den neu geborenen Heiland. Dieses Wunder der Erscheinung versinnbildlicht auch der goldene Stern auf dem blauen Mantel Marias. Die Geburtsszene mit der überdachten Futterkrippe und dem Ochsen und dem Esel wird von zwei Felsen gerahmt. Im Hinter-grund befindet sich ein ruinöses Gebäude, der Palast des Königs David, dessen Geschichte im Alten Testament erzählt wird. David gilt als Prototyp Christi. Mit der Geburt Christi wird der Alte Bund der Menschen mit Gott hinfällig, ein Neuer Bund

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entsteht. Am rechten Bildrand vermittelt die Figur des am Boden sitzenden, schlafenden Josephs zwischen der Geburtsszene links und der Szene der Verkündigung auf dem rechten Felsplateau. Die Malerei vor dem mittelalterlichen Goldgrund beeindruckt durch ein zartes, harmo-nisch wirkendes Kolorit, elegante Linienführung und eine verinnerlichte Darstellung des Weihnachtsgeschehens. Die Predellentafel steht für den lyrischen Stil der Kunst um 1400.

4) Masaccio (1401-1428) Anbetung der Könige. 1426 (R. 39) Predellentafel eines Polypty-chons aus S. Maria del Carmine in Pisa, Pappelholz, 21 x 61 cm

Nur im Matthäus-Evangelium des Neuen Testaments wird die Huldigung durch die drei Weisen aus dem Morgenland geschildert: Magier erblickten den neuen Stern am Himmel. Sie zogen nach Jerusalem und fragten Herodes, wo der neue König der Juden geboren sei. Sie folgten dem Stern, der sie nach Bethlehem führte, wo sie dem Kind huldigten. Die Hl. Drei Könige galten als die ersten gläubigen Heiden. Ihre drei traditionellen Geschenke sind Gold, Weihrauch und Myrrhe. Zusammen mit Joseph symbolisieren die Hl. Drei Könige die Vielfalt der Welt mit ihren vier Elementen, den vier Himmelsrichtungen und den vier Temperamenten. Unser Gemälde stammt von einem Künstler, dem nur fünf Schaffensjahre vergönnt waren. Er starb bereits mit 27 Jahren in Rom. Sein Schaffen war zeitgleich mit dem seines nordischen Antipoden Jan van Eyck. Mit Masaccio und seinen Zeitgenossen Ghiberti, Donatello und Brunelleschi verbindet sich der Ursprung der Florentiner Früh-renaissancekunst. Masaccio bricht mit der reichen Ornamentik des gotischen Gewand-stils und zeigt natürliche Stofflichkeit. Statt gelängter Figuren des sog. internationalen Stils der Gotik erscheinen diese nun kraftvoll modelliert und nahezu dreidimensional nach dem Vorbild seines Freundes, des Bildhauers Donatello. Durch den Weg, der in die Berglandschaft führt, die Schlagschatten und die Tiefen-staffelung der Figuren erschafft Masaccio einen perspektivisch-realen Bildraum und wächst damit über seine Zeitgenossen hinaus. Der mittelalterliche Goldgrund weicht einer Landschaft mit blauem Himmel. Erstmals fand die beobachtete Wirklichkeit Eingang in ein religiöses Thema. Die Gesamtbewegung verläuft von rechts nach links. Unterschiedliche Bewegungen und Haltungen sind dargestellt. Der klare Farbakkord Rot-Blau beherrscht die Szene. Masaccio verachtet den eitlen Zierrat und Goldschimmer, womit andere Maler seiner Zeit die Heiligen übersäten, und beschränkt sich auf wenige vergoldete Elemente wie z.B. den Faltstuhl, der der Gottesgebärerin vorbehalten ist. Sie thront vor dem Stall von Bethlehem mit dem den ältesten König segnenden Christuskind auf ihrem Schoß. Die Könige – hier vom Alter her bereits differenziert - sind mit ihrem Gefolge von weither ge-

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kommen und wollen dem Neugeborenen ihre Geschenke übereichen. Sie sind in diagonaler Reihung angeordnet. Der älteste König kniet ehrerbietig vor Maria und ent-bietet dem Christuskind einen Fußkuss. Seine Krone hat er abgelegt und sein Geschenk Joseph übergeben. Hinter ihm kniet in anbetender Haltung der zweite, jüngere König. Dahinter steht der jüngste König, modisch gekleidet, bartlos und in moderner Kurzhaar-frisur. Ihm folgen zwei Herren in kurzer bürgerlicher Tracht, deren dunkle Farbe sich von den übrigen Kostümen vornehm abhebt. Ihre exponierte Stellung im Gefolge der Hl. Drei Könige und ihre bildnishaften Züge lassen die Deutung zu, dass es sich um die Auftrag-geber des Altars handelt. Wahrscheinlich hat Masaccio auch sein Bildnis in dem Pferde-knecht versteckt, der zwischen den Pferden hervorlugt. Die detaillierte und abwechs-lungsreiche Wiedergabe der Reittiere, die räumliche Staffelung und farbliche Brillanz lassen Masaccios bahnbrechende Leistung in der Frührenaissance erkennen.

5) Domenico Veneziano (1405/10-1461) Die Anbetung der Könige. Um 1439/40 (R.39) Pappelholz, rund, Durchmesser 84 cm

Domenico Veneziano stammte aus Venedig, war tätig in Florenz und beeinflusst von Künstlern wie Masaccio, Pisanello, Fra Angelico, Uccello und Donatello. Mit Piero della Francesca hat er zusammengearbeitet. Ein beliebtes Format im damaligen Florenz war der Tondo – eine Herausforderung für den Maler. Das Rundbild war einst im Besitz der Medici, deren versteckte Porträts im

Gemälde nachweisbar sind: Aus dem Bild heraus blickt ein vornehm gekleideter Herr mit Falke und kränklichen Zügen: Piero di Cosimo, auch genannt ‚der Gichtige’. Cosimo de Medici ist neben dem Reiter mit schwarzer Kopfbedeckung zu entdecken. Neben ihm steht der junge Giovanni de Medici. Das Geschlecht der Medici mit seinem prunkvoll und extravagant ausstaffierten Gefolge, einschließlich der Reitpferde, dominiert das Geschehen. Selbstbewusst und gleichrangig lässt man sich neben der Heiligen Familie darstellen, die rechts an den Rand gedrückt scheint. So wird die Anbetungsszene nahe-zu beiläufig erzählt: Maria sitzt mit dem nackten Christuskind vor dem überdachten Stall, hinter ihr Ochs und Esel an der Futterkrippe, neben Ihr Joseph, der die erste Gabe des ältesten König in der Hand hält. Traditionell wird der älteste der drei Könige mit langem Gewand und Bart dargestellt, während die beiden jüngeren auffallend modisch heraus-geputzt sich kaum von dem übrigen bürgerlichen Personal unterscheiden – nur an ihren Kronen und den Pokalen sind sie kenntlich. Ins Auge fallen modische Details der damaligen Zeit, wie z.B. plissierte Gewänder mit Ballonärmeln und Wulstrandhüte mit bauchigen Kalotten, die in ihrer dekorativen Wirkung vom heiligen Geschehen ablenken. Das weltliche, eitle Leben, versinnbildlicht durch die Falkenjagd, wird dem heiligen Geschehen gegenübergestellt. Die jährliche Festtagsprozession zu Ehren der Hl. Drei Könige ist in eine weite Landschaft eingebettet und zeugt von der Kenntnis niederländischer Vorbilder. Der Künstler demonstriert seine Virtuosität in den verschiedenen Figurenansichten und deren Überschneidungen wie auch in der Vielzahl der Tierdarstellungen und erreicht dadurch eine große Lebendigkeit im Bildgeschehen. Sein Stil ist beeinflusst von der höfischen Kunst der internationalen Gotik.

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6) Fra Filippo Lippi (um 1406-1469): Anbetung im Walde Um 1459 (R. 39) Pappelholz, 129,5 x 118,5 cm

Fra Filippo Lippi war Mönch im Karmeliterorden. Dass das Gemälde von ihm, Bruder Filippo, stammt, verrät die Signatur auf der Axt am linken unteren Bildrand: FRATER PHILIPPVS P(inxit). Neben Fra Angelico, Domenico Veneziano und Uccello gehörte er zu den führenden Malern in Florenz. Es ist über-liefert, dass er von dem nur fünf Jahre älteren Masaccio

wesentlich geprägt und später Lehrer Sandro Botticellis wurde. Die „Anbetung im Walde“ entstand als Auftragsbild für die Kapelle des Palazzo Medici-Riccardi im Florentinischen Stadtpalast der Medici. Die damalige Wirkung ist heute nur noch zu erahnen, da in der von Kerzen beleuchteten Kapelle eine Darstellung mit dem Festzug der Hl. Drei Könige direkt auf die „Anbetung“ zu führte (heute befindet sich dort eine Kopie des Gemäldes). Die Anbetung des nackt am Boden liegenden Kindes durch die kniende Gottesmutter wurde durch das mystische Schrifttum aus dem 14. Jh., die Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden (vgl. Quellentexte) und die Visionen des Franziskaners Johannes de Caulibus, angeregt und stellte damals ein völlig neues Motiv dar. Auch der Ort der Anbetung, eine Waldlandschaft, war seinerzeit innovativ. Das sonst übliche ‚Personal’ wie der Ziehvater Joseph, Ochs und Esel, Stall und Krippe fehlen ebenso wie die Hirten oder die Hl. Drei Könige. Dafür wohnen ein Eremit im Mönchsgewand und ein Knabe dem Geschehen bei. Es sind Bernhard von Clairvaux und Johannes der Täufer. Der Johannesknabe, später Bußprediger und Stadtpatron von Florenz, ist an seinem härenen Gewand und dem Kreuzstab zu erkennen. Das Schriftband „Siehe, das ist Gottes Lamm" verweist auf die Passion Christi. Es ist verwunderlich, dass Johannes d. T., obgleich nur ein halbes Jahr älter als Christus, hier bereits als Knabe gezeigt wird. Oder illustriert der Maler hier die Legende, nach der sich Johannes d. T. bereits im Alter von sieben Jahren als Eremit in die Wüste zurückzog und ihm die Hl. Familie nach ihrer Rückkehr aus Ägypten auf einer blumenreichen Lichtung mit Bäumen und Wasserlauf begegnet? Ein seltenes Motiv ist auch die Darstellung des Bernhard von Clairvaux, Begründer des Zisterzienserordens, den Johannes d. T. für den wichtigsten Heiligen nach Christus hielt. Der Legende zufolge wurde dem Heiligen die Vision zuteil, dass sich die Gottesmutter zu ihm herab neigte und ihn mit Milch erquickte. Diese enge menschliche Verbunden-heit zwischen dem hl. Bernhard und der Gottesmutter erklärt seine Anwesenheit in dem Andachtsbild. Dass es sich um keine weltliche Geburt, sondern ein wunderbares Ereignis handelt, zeigen der aus dem Himmel herab rauschende Gottvater und die Taube des Hl. Geistes mit ihren goldenen Strahlen, die als Feuerzungen das am Boden liegende Kind er-reichen. Die reine, schmerzfreie Geburt symbolisiert der zarte Schleier, der die Beine des Kindes umhüllt. Eine mädchenhafte Maria betont die lyrische Stimmung des Ganzen, in der die Liebe zum Kind im Mittelpunkt steht. Das Wunder der Mensch-werdung Gottes unterstreichen die auf dem Waldboden sprießenden Blüten (vgl. ‚Legenda aurea’) und der Bergbach in seiner Funktion als "immer währender Quell" – ein Sinnbild für das wieder gewonnene Paradies. Die Axt neben dem Baumstumpf spielt auf die Predigt des späteren Bußpredigers

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Johannes des Täufers an: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und in das Feuer geworfen." (Lukas 3.9; Matthäus 3.10) Der Stieglitz, der sich von Dornen und Disteln ernährt, findet sich beziehungsreich in der Nähe von Maria und dem Gottessohn, verweist er doch auf die Passion Christi. Auch der Storch mit der Schlange im Schnabel im Waldesinneren ist als Symbol Christi zu sehen, der das Böse bekämpft.

7) Antonio Vivarini (um 1418-20-1476/84)/ Giovanni d’Alemagna Die Anbetung der Könige, o.J. (R. 38) Pappelholz, 111 x 176 cm, obere Ecken ergänzt, ursprünglich abgerundet

Der venezianische Maler stammt aus der Malergeneration der Vivarini und pflegte den prunkvollen höfischen Stil der zu Ende gehenden Gotik. Er war beeinflusst von Gentile da Fabriano und Pisanello. Wahr-

scheinlich ist das Bild gemeinsam mit dem Maler Giovanni d’Alemagna, seinem Schwager, entstanden. In der Bildmitte befindet sich der Stall von Bethlehem vor einem mächtigen Felsen mit der Hl. Familie davor. Darüber schweben die Taube des Hl. Geistes und zwei Tuba blasende Engel mit dem Spruchband ‚Ehre sei Gott in der Höhe’. Über allem thront Gottvater am Himmel in einer Gloriole, gerahmt von sieben musizierenden Engeln als Zeichen der Vollkommenheit. Aus der Stadt des Herodes, Jerusalem, kommt der Zug der Hl. Drei Könige, die dem Stern über der Stadt gefolgt sind. Der bisher gängigen Bildtradition entsprechend hat der älteste König zum Fußkuss ehrerbietig seine Knie gebeugt. Von rechts erscheint ein offenbar hoher Würdenträger mit Zepter und langem Bart (ein Hohepriester, Kaiser Barbarossa?), dem zwei Edelleute im Profil folgen. Begleitet von einem Windspiel trägt einer von ihnen einen Falken, ein Zeichen des Lasters. Selbstbewusst lassen sie sich als Stifterfiguren in das heilige Geschehen integrieren. Himmlische und irdische Welt treffen aufeinander. Joseph und das Gefolge der Hl. Drei Könige sind in zeitgenössische Mode gewandet. So tritt Joseph mit einer Gugel (Kapuzenmütze) auf, wie überhaupt die Vorliebe des Malers für unterschiedliche Kopfbedeckungen zu beobachten ist. Die Schnabelschuhe und die überlangen Ärmel sind noch typisch für den höfischen Stil der zu Ende gehenden Gotik. Daneben erscheinen bereits die modisch kurzen Gewänder und die ondulierten, blond gefärbten Kurzhaarfrisuren der Männer in der Frührenaissance, wie sie um 1440 in Venedig en vogue waren. Auffällig an dem Gemälde sind auch die plastisch aufgetragenen und vergoldeten Orna-mente, Lichtstrahlen und andere Details in Pastiglia-Technik. Die dominierenden Farben, auch im Gewand der Gottesmutter, sind Blau (symbolisiert die himmlische Her-kunft Christi), Grün (sein Wirken auf Erden) und Rot (Passion Christ) – die Farben der Trinität.

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8) Alessandro Moretto (Um 1498-1554) Die Anbetung der Hirten. Um 1540/1545 (Raum XVII) Leinwand, 4,02 x 2,73 m

Das größte Bild der Galerie stammt von einem lombardischen Maler aus Brescia, der „Die Anbetung der Hirten“ für eine Kirche in Verona gemalt hat. Unser Altarbild war vor dem Zweiten Weltkrieg nach Kassel ausgeliehen und überlebte dort unbeschadet im aufgerollten Zustand die Kriegswirren. Wie wir bereits wissen, stellte man seit dem 14. Jh. die Anbetung der Hirten im Bild dar: In der Nacht, als das Christuskind in Bethlehem

geboren wird, verkündet ein Engel den Hirten die freudige Botschaft. Engelchöre im Himmel singen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“. Die Hirten finden daraufhin Maria und Joseph mit dem Kind in der Krippe. Auch die Hirten bringen – so wie die Könige – Geschenke mit: Eier, Milch und ein Lamm, dessen Füße in Vorweg-nahme der Kreuzigung Christi gefesselt sind. In unserem Beispiel drängt sich die Heilige Familie mit den Hirten in Form einer pyrami-dalen Komposition zusammen. Direkt vor dem Eingang zu dem ruinösen, strohge-deckten Gebäude steht Joseph im traditionell gelben Gewand, farblich kontrastierend zum Blau in der Kleidung des Hirten. Hinter Josephs rechter Schulter ist der über dem Knie abgebrochene Beinstumpf einer antiken Marmorstatue zu erkennen, der wohl zu dem Torso gehört, der sich zwischen den Beinen des gerade ankommenden Hirten am linken Bildrand befindet. Wahrscheinlich handelt es sich um ein gestürztes Idol, eine antike Figur aus heidnischer Zeit. Der Prophet Jeremias hatte im Alten Testament ver-kündet, Götterbilder kämen zu Fall, wenn eine Jungfrau gebären würde. Ein weiterer Hirte sinkt auf die Knie, der als Geschenk ein Lamm mitgebracht hat. Hinter ihm lugt der Kopf einer alten Frau hervor, auch eine Hirtin. Auf dem schadhaften Strohdach der als Stall genutzten antiken Ruine tummeln sich Engel wie spielende Kinder mit dem Spruchband: ‚Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erde den Menschen, die Er liebt!’ Die malerische Ausführung beeindruckt durch kühle, differenzierte Farbigkeit und das für den Künstler typische silbrige Licht. Moretto verleiht seinen Gestalten Monumentalität und irdische Schwere. Sie zeugen von seiner tiefen Religiosität. Der Realismus und das kühle Licht in Morettos Kunst haben auch die Bewunderung Caravaggios erregt Weihnachtsdarstellungen nördlich der Alpen

9) Österreichisch. Um 1350. Die Geburt Christi (Raum 1) Rotbuchenholz, 33,5 x 28,4 cm

Bei dieser kleinen Tafel handelt es sich um eine sehr frühe mittel-alterliche Darstellung nördlich der Alpen, die dem italienischen Typus verhaftet und noch ganz vom Vorbild Giottos geprägt ist. Maria ruht als Wöchnerin mit dem Kind liebevoll im Arm auf einem Lager unter einem überdachten Durchgang. Entsprechend der Bedeutungsperspektive wird Joseph kleiner und am Fußende dargestellt Traditionell stehen Ochs und Esel an der Krippe. Dane-ben bevölkern andere Tiere als erste Geburtszeugen vor den Hirten

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die Landschaft: Schafe und ein Ziegenbock lagern in der Nähe der Hirten, die von den über dem Goldgrund schwebenden Engeln im Himmel gerade die frohe Botschaft erhalten. Im felsigen Gelände haben sich Bär, Eber, Hirsch, Hase und Marder versteckt. Direkt über dem Schoß der Gottesmutter entspringt ein Baum dem Felsen, darüber befinden sich in gerader Linie ein Engel und die Bergspitze: dem Wunder des Geburtsgeschehens wird dadurch mehr Bedeutung verliehen.

10) Niederrheinisch. Um 1410/15. Die Hl. Familie mit Engeln (Raum 1) Eichenholz, 25 x 19 cm

Der Urheber dieser kleinen Tafel ist nicht bekannt. Es handelt sich um einen anonymen Meister aus dem ersten Viertel des 15. Jhs., der wohl am Niederrhein tätig war. Die liebevoll und detail-reich ausgeschmückte Geburtsszene zeugt von Einflüssen der burgundischen und niederländischen Malerei. Die Szene der Geburt und die Verkündigung an die Hirten werden bereichert durch Erzählungen aus dem Leben der Heiligen Familie und der Kinderjahre des Erlösers, die in den

Evangelien nicht vorkommen. Der Meister schöpft seine Bildmotive aus den apo-kryphen Erzählungen. Mit großer Detailfreude schildert er den Alltag der Hl. Familie, der Engel zur Hand gehen: Drei von ihnen bessern das schadhafte Strohdach aus, unter dem die Gottes-mutter auf einem kostbaren Polster sitzt. Ein Engel ist gerade dabei, ihr das Kissen zu richten, während sie ihrem Sohn zuwinkt, nachdem er gegessen hat bzw. sie ihn auf das Mahl aufmerksam machen will. Der nach allen Seiten hin offene Stall ist wie ein hortus conclusus von einem Flechtzaun umgeben, an dem zwei neugierige Hirten stehen, nachdem ihnen das Wunder der Geburt des Herrn verkündet worden ist. Auch Ochs und Esel sind wieder zur Stelle. Ohne Rücksicht darauf, ob seine Windeln am Boden schleifen, macht der Christusknabe frohgemut seine ersten Schritte, die bereits seine Wundertaten im späteren Lebensalter ankündigen. Er schaut sich nach seiner Mutter um und streckt gleichzeitig die Hand begehrlich nach zwei Birnen oder Blumen aus, die ihm sein Ziehvater Joseph aus Nazareth reicht. Dieser sitzt in einem auffällig roten Gewand an der Werkbank in seiner Profession als Zimmermann. Die Farbe Rot symbolisiert die Liebe Christi und verweist zugleich auf seine Opferung. In Vorwegnahme der Taufe wartet ein Bad auf den Neugeborenen. Zwei Engel bringen Wasser aus einem goldenen Brunnen. Eine Magd bereitet in einem Zuber das Bad - ein Vorhang hält das Wasser warm. Zwei Engel wärmen bereits das Badetuch über dem Feuer. Es macht Freude, die volkstümliche Darstellung zu betrachten. Die detaillierte Schilderung des Lebens der Hl. Familie trägt einerseits zur Profanisierung des Themas bei, andererseits wird die Darstellung durch das Wirken der Engel und den Goldgrund göttlich erhöht. Im Mittelalter war man bestrebt, das Heilsgeschehen zu vergegen-wärtigen, damit die Gläubigen sich in das Leben Christi versenken und mitleiden bzw. sich mitfreuen.

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11) Hans Multscher (um 1400-vor 1467) Die Geburt Christi. Flügel des Wurzacher Altars. 1437 (Raum I) Tannenholz, 150 x 140 cm

Der aus Ulm stammende Schöpfer des Wurzacher Altars war zugleich Holzbildhauer. Die Umsetzung seiner drei-dimensionalen Auffassung auf der Bildfläche ging nicht problemlos vor sich. Die Protagonisten der heiligen Sze-nerie wirken volkstümlich, vermenschlicht – wie der un-mittelbaren Wirklichkeit entsprungen. Eine neue religiöse Haltung ist spürbar, zu dieser Zeit nahezu revolutionär.

Die Geburtsszene wirkt im Vergleich zu Darstellungen südlich der Alpen ,entzaubert‘. Ganz anders als Lippis zarte, mädchenhafte Maria kommt Multscher Maria als Frau des Volkes überraschend irdisch daher. Die Geburt findet in einer kalten Winternacht statt. Der Nähr- und Ziehvater Joseph hat sich warme Fäustlinge angezogen. Er ist keine passive Randfigur mehr. Sein Strumpf und der Atem von Ochs und Esel wärmen das winzige Kind im Weidenkorb, dem ganz offensichtlich kalt ist. Auch Maria ist besorgt um das frierende Kind. Menschliche Regungen sind allerorten spürbar und werden vom Maler dargestellt – so auch das sich neugierig hinter einem Bretterzaun drängende Volk, nach Mann und Frau geschieden, in Ehrfurcht verharrend. Der Betrachter wird durch den Zeigegestus eines der Zaungäste in das Geschehen einbezogen. Bekannte Bildformeln wie die Verkündigung an die Hirten auf dem Feld durch einen Engel mit gesiegelter Urkunde und musizierenden Engeln mit Notenblatt werden wiederholt. Sie gehören zum unabdingbaren Repertoire einer Geburtsszene. Im Unterschied zu süd-alpinen Darstellungen erscheint hier ein fest gemauerter Stall, angereichert mit still-lebenhaften Gegenständen: einem Zinnkrug und einem Brotkorb als eucharistische Symbole sowie Büchern, die auf die erfüllte Prophezeiung im Alten Testament verweisen.

12) Hans Multscher(Um 1400-vor 1467) Die Anbetung der Könige. Flügel des Wurzacher Altars. 1437 (Raum I) Tannenholz, 150 x 140 cm

Die Geburtsszene wird malerisch fortgesetzt, die Heilige Familie hat hohen Besuch. Ihm zu Ehren wurde ein roter Vorhang gespannt, der Neugierigen den Blick versperrt. Maria nimmt gerade die Huldigung des ältesten Königs entgegen, während schon der zweite König im Kniefall begriffen ist und Joseph seine Pflicht als Nährvater ernst nimmt, hält er doch eine warme Mahlzeit für das Kind bereit.

Es nähert sich von rechts diagonal der Zug des Gefolges mit dem dritten König an der Spitze, ein Mohr im goldenen Gewand. Ein lustiges Detail fällt ins Auge: Da verbirgt sich jemand in anbetender Haltung im Gewand des Mohrenkönigs – sollte dies der Stifter oder der Maler selbst sein? Die Hausmarke des Künstlers findet sich bereits auf der Mauer des verfallenen Davidpalastes hinter dem Stall. Die Könige verkörpern traditionell drei Lebensalter, die dem Neugeborenen huldigen. Seit dem späten Mittelalter gelten sie auch als Abgesandte der drei damals bekannten Kontinente Europa, Asien und Afrika.

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13) Rogier van der Weyden (1399/1400-1464) Der Middelburger Altar (Bladelin-Altar). Um 1445 (Raum IV) Eichenholz, Mittelbild: 91 x 89 cm

Rogier war Stadtmaler in Brüssel. Den Auftrag erhielt er von Pieter Bladelin (um 1410-1472), nach dem der Altar benannt ist. Bladelin war einer der wohlhabendsten Männer seiner Zeit. Vom Steuereinnehmer seiner Heimatstadt Brügge zum Finanzminister Burgunds, Ratgeber Philipps des Guten und zum Schatzmeister des Ordens vom Goldenen Vlies aufgestiegen, gründete er mit seinem Reichtum eine neue

Stadt in der Nähe von Brügge: Middelburg. Für die neue Stadtkirche war der Altar be-stimmt. So kam der Altar zu seinem zweiten Namen: Middelburger Altar. Auf der Mitteltafel des Altars ist die Geburt Christi mit der Anbetung durch Maria, Joseph, den Stifter Bladelin und drei Engel dargestellt. Rogier weicht in seinem Gemälde von der Schilderung im Lukas-Evangelium ab: Das Kind liegt nicht in der Krippe, noch ist es gewindelt. In Anlehnung an die Schilderung der hl. Birgitta von Schweden liegt es nackt auf dem Boden – sein überirdisch göttliches Licht überstrahlt die Kerze Josephs. Maria mit goldenen, aufgelösten Haaren betet das Kind im blendend weißen Gewand („rein von jedem Makel“) an. Ihre Hände sind abwärts gerichtet und ver-weisen ebenso wie die romanische Säule des Bauwerks auf die künftige Passion Christi. Der romanische Baustil zeugt außerdem von einer vergangenen Ära - die gotischen Türme der Stadt dahinter künden vom Neubeginn durch die Geburt Christi. Der Stifter Bladelin im vornehm dunklen, mit Pelz gesäumten Gewand und eleganten, spitzen ‚Schnabelschuhen’, die seinen Reichtum zeigen, wird zum unmittelbaren Zeugen der Geburt des Erlösers. Ochs und Esel gehören zum festen Bestandteil der Geburtsdarstellungen. Hier blickt der Ochse zum Kind, während der Esel nahezu verdeckt ist (Vgl. Jesaja 1,3). Nur dem Ochsen wird das Heil zuteil, während es dem Esel unsichtbar bleibt. Die beiden Löcher am unteren Bildrand könnten auf die Geburtshöhle in der Nähe von Bethlehem, in der sich nach dem Protoevangelium des Jakobus die Geburt Christi um Mitternacht voll-zogen haben soll, und auch auf die Höhle von Christi Höllenfahrt verweisen.

14) Petrus Christus (um 1410-1472/73) Altarflügel mit der Verkündigung und der Geburt Christi. 1452 (Saal IV) Eichenholz, 134 x 56 cm

Petrus Christus, Schüler Jan van Eycks aus Brügge, hat die beiden Altar-flügel gemalt, die in der niederländischen Abteilung der Berliner Gemälde-galerie ausgestellt sind. Der linke Altarflügel zeigt in zwei übereinander angeordneten Szenen die Verkündigung an Maria und die Geburt Christi. Die Darstellung folgt der Beschreibung des Franziskaners Johannes de Calibus in seinen Meditationen um 1300, nachdem das Christuskind durch Maria, Joseph und die Engel angebetet wird. In den apokryphen Evan-

gelien und in der ‚Legenda aurea’ wird geschildert, dass die Geburt in einer Höhle in Anwesenheit einer Hebamme stattfand, die Joseph herbeigeholt hatte. Zelomi erzählte ihrer Freundin Salome, gleichfalls Hebamme, von dem wunderbaren Ereignis der jung-fräulichen Geburt, das diese bezweifelt. Als sie daraufhin die Jungfräulichkeit Mariens

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überprüfen will, vertrocknet ihr die Hand. Ein Engel tut ihr kund, dass sie erst durch die Berührung des Neugeborenen wieder geheilt werden könne. So wird sie wieder gesund und gleichzeitig zur gläubigen Zeugin der Geburt bekehrt. Das Weihnachtsgeschehen wird in einer kunstvollen Komposition dargeboten, die Ana-logien zu einer Darstellung von Robert Campin in Dijon aufweist. Eingebettet in eine weite Landschaft mit der Verkündigung an die Hirten, beten Maria und Joseph, die einst ungläubige Hebamme Salome und drei Engel das auf dem Boden liegende Kind an, von dem göttliche Strahlen ausgehen (vgl. Vision der hl. Birgitta von Schweden). Die Personen sind in einem offenen Kreis um das Kind herum angeordnet, der Betrachter ist eingeladen, sich zu den Anbetenden zu gesellen. Auffällig ist die dreieckförmige Anord-nung der Köpfe und der Hände der drei anbetenden Personen.

15) Meister der Darmstädter Passion Die Anbetung der Hl. Drei Könige. Flügel eines Kreuzaltars Um 1460 (Raum I) Tannenholz, 111 x 207,4 cm

Der Meister erhielt seinen Notnamen nach zwei Altarflügeln mit Passionsdarstellungen aus Darmstadt. Er gilt als einer der bedeu-tendsten Vertreter der deutschen Malerei in der Mitte des 15. Jhs. Auf dem linken Flügel der vormaligen Innenseiten, der Festtagsseiten des Altars, ist die Anbetung der Hl. Drei Könige dargestellt. Vor einem verfallenen palastartigen Gebäude im romanischen Baustil, in dessen Inneren sich der Stall befindet, erwartet die Heilige Familie die Könige, die sich von links nähern. Sie sind dem Stern gefolgt, der sich nun vor der Palastruine herabgesenkt hat und dessen Strahlen

auf das göttliche Kind weisen. Die Gottesmutter sitzt auf einem prächtigen Teppich, hinter ihr steht Joseph mit dem Wanderstock. Der älteste König im golddurchwirkten Samtgewand überreicht gerade ein ganz aus Gold zu bestehendes Deckelgefäß – ein Ciborium. Seinen kostbaren Kronenhut und sein Zepter hat er abgelegt, ein ständig wiederkehrendes Motiv seit dem 14. Jh. Unmittelbar neben ihm steht der mittlere König, reich gekleidet und mit einem kunstvoll gearbeiteten Kristallkugel-Ostensorium, das er dem Neugeborenen übereichen wird. Der dritte und jüngste König steht etwas abseits. Wie bereits in den italienischen Darstellungen ist er am modischsten gekleidet. Um sein Geschenk nicht mit bloßen Händen zu berühren, hält er den wertvollen Deckelbecher mit einem durchsichtigen Seidentuch. Seit dem 9. Jh. sind für die Hl. Drei Könige Namen überliefert, die für den ältesten ‚Balthasar‘, den mittleren ‚Melchior‘ und den jüngsten ‚Kaspar‘ lauten. Die drei Lebensalter stehen sinnbildlich für die gesamte Menschheit, die dem König der Könige huldigt. Auch die Begleiter der Könige sind in kostbare Stoffe gehüllt, tragen aufwändig gearbeitete Kopfbedeckungen und zeigen die Liebe des Meisters zum Detail wie auch seine virtuose Erfassung von Licht und Materialität.

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16) Hugo van der Goes (um 1440-1482) Die Anbetung der Könige (Monforte-Altar). 1470/72 (Saal V) Eichenholz, 147 x 242 cm

Der Altar wurde 1914 aus dem nordspanischen Kloster Monforte de Lemos erworben, daher sein Name „Monforte-Altar“. Van der Goes war 1474-75 Dekan der Malerzunft von Gent, der damals reichsten Stadt im Europa des 15. Jhs. Nach van Eyck ist er der überragende Meister der niederländischen Kunst des 15. Jhs.,

obgleich ihm nur eine Schaffenszeit von 15 Jahren beschieden war. Albrecht Dürer zählte nach seiner niederländischen Reise 1520/21 van Eyck, van der Weyden und van der Goes zu den größten Künstlern der Zeit. Wie auf einer Bühne, mit zwei Durchblicken auf die Landschaft, wird uns das Geschehen präsentiert: Eine überaus irdisch wirkende Gottesmutter sitzt mit dem Kind auf dem Schoß vor der Mauer des ruinösen Davidpalastes. Liebevoll hält sie die Hand des Gottessohnes, wie der Künstler generell Wert auf die ausdrucksvolle Gestaltung der Handgesten legte. Dadurch teilt sich die Bewegtheit der bedeutungsvollen Szene der Anbetung dem Betrachter lebhaft mit. So greift der Mohrenkönig am rechten Bildrand nervös in seinen Reitermantel, der sein kostbares Gewand schützt, der mittlere König schickt sich bereits zum Kniefall an und führt seine Rechte bedeutungsvoll zum Herz und der älteste (möglicherweise der Stifter) hat seine großen Hände, die sich im Bild-zentrum befinden, ehrerbietig zur Anbetung zusammengelegt. Die körperliche Monumentalität der Bildfiguren, die in überaus kostbare, farbenprächtige Gewänder gehüllt sind, ihre präzise Gestaltung führen zu einer getragenen Feierlichkeit des Ganzen. Eine wesentliche Neuerung besteht darin, dass van der Goes anstelle der Bedeutungs- nunmehr die Zentralperspektive anwendet. Details, wie der Marder auf der Holzstange – ein nachtaktives Tier – verweisen auf die Geburtsnacht. Die Breischüssel und der abgelegte Löffel in der Nische hinter Maria zeugen von der ungewöhnlichen Gegenwartsnähe des Geschehens (vgl. auch Multscher). Das weiße Tuch auf dem Schoß der Gottesmutter kann als späteres Grabeslinnen ihres Sohnes gedeutet werden, so wie die Schwertlilien hinter Joseph den Schmerz symbolisieren, der Marias Herz wie ein Schwert durchbohren wird angesichts der Leiden Christi. Die Figur mit blauer Mütze hinter dem Mohrenkönig wendet sich als Einziger dem Betrachter zu – verbirgt sich dahinter möglicherweise das Selbstporträt des Malers? Oder hat sich der Meister in dem bärtigen Mann dargestellt, der sich direkt über dem Händepaar des anbetenden Königs befindet und der sich auf die Brüstung lehnt. Die ausdrucksstarke Bildkomposition galt früher als ein Werk von Rubens. Gewanddraperien am oberen Bildrand, die von ehemals herab schwebenden Engeln stammen, zeigen, dass der Altar in der Höhe beschnitten worden ist. Außerdem sind seine Flügel nicht mehr erhalten.

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17) Hugo van der Goes (um 1440-1482) Die Anbetung der Hirten. Um 1480 (Saal V) Eichenholz, 97 x 245 cm

Auf der Höhe seines Ruhmes zog sich Hugo van der

Goes 1477 als Laienbruder in ein Kloster bei Brüssel zurück, wo er trotz seiner see-lischen Erkrankung noch künstlerisch tätig blieb. Im Hof des Klosters wurde er beige-setzt: Der Maler Hugo van der Goes liegt hier begraben. Es trauert die Kunst, da sie niemanden kennt, der ihm gleichkommt. Er hat zur Zeit Karls des Kühnen gelebt, und ist hier Mönch gewesen, zur höheren Ehre Gottes. Zwei Jahre vor seinem Tod entstand die ‚Anbetung der Hirten’, ein ungewöhnliches Breitformat, das durch seine dichte und dynamische Komposition auf gedrängtem Raum beeindruckt. Zwei überdimensionierte Halbfiguren, Propheten des Alten Testaments, öffnen rechts und links den Vorhang wie zu einem Schauspiel. Sie enthüllen feierlich das Ereignis der Menschwerdung Gottes. Der Vorhang symbolisiert damit auch den Übergang vom Alten zum Neuen Bund. Maria und Joseph knien anbetend neben der Krippe, auf der das winzige Kind nackt auf einem weißen Linnen liegt. In seiner Hand hält es die Pflanze ‚Schwarzer Nacht-schatten’, die das Böse abwenden soll und Kindern früher in die Wiege gelegt wurde. Die Korngarbe vor der Krippe war in ihrer Bedeutung dem damaligen gläubigen Betrach-ter verständlich: „Ich bin das Brot, das vom Himmel gekommen ist.“. Zwischen Maria und Joseph haben sich Engel und auch Ochs und Esel in stiller Verehrung versammelt. Von links eilen die Hirten herbei, nachdem ihnen das Ereignis verkündet worden war. Die atemlose Hetze der heranstürmenden Hirten im Kontrast zur Ruhe der Hl. Familie teilt sich dem Betrachter unmittelbar mit. Der Maler verstand es virtuos, die Situation malerisch zu beschreiben, wenngleich die Farbigkeit im Vergleich zur „Anbetung der Hl. Drei Könige“ gedämpfter, nicht mehr in dieser Leuchtkraft, erscheint. Dafür gelangt er zu einer Dynamisierung der Form.

18) Martin Schongauer (um 1445-1491) Die Geburt Christi. Um 1480 (Raum 1) Eichenholz, 37,5 x 28 cm

Die spätgotische Tafel, an der Schwelle zur Renaissance ent-standen, stammt von Martin Schongauer, wegen seiner zarten und lyrischen Malweise auch „Hipsch Martin“ bzw. „Martin Schön“ ge-nannt. Der vor Dürer bedeutendste Meister ist vorwiegend als Kupferstecher in Erscheinung getreten. Die in leuchtender Farbig-keit gemalte Holztafel, eine der wenigen erhaltenen des Meisters, macht sie umso kostbarer. Auch Schongauer hat das Weihnachtsevangelium ausgeschmückt.

Maria und Joseph sind nach langer Reise in Bethlehem angekommen und haben Unter-kunft in einer überdachten Höhle gefunden. Wanderstab und Reisegepäck sowie

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Josephs Gürteltasche legen davon Zeugnis ab. Das Kind liegt nicht in einer Krippe, sondern auf einer strahlend weißen Windel auf einem Teppich. Maria betet das Neuge-borene an, sie ist mit ihm durch ihren Mantelsaum verbunden. Alle Blicke wenden sich dem schutzlos preisgegebenen Kind zu. Der Ochse ist nah herangerückt und wärmt es mit seinem Atem. Der Esel senkt in störrischer Manier zweifelnd sein Ohr, begreift er doch nicht den Anbruch des neuen Zeitalters mit der Geburt des Messias. Wie in einem abgeschlossenen Bezirk befindet sich die Hl. Familie, zu der drei Hirten unterschiedlichen Alters – analog den Hl. Drei Königen – gekommen sind, um stellver-tretend für die gesamte Menschheit dem Neugeborenen zu huldigen. Der Blick wird in die Tiefe des Raums gelenkt, in eine weite, differenzierte Landschaft mit einem Flusstal, Herden und Hirten und lässt den niederländischen Kunsteinfluss ahnen.

19) Hans Baldung, gen. Grien (1484/85-1545) Der Dreikönigsaltar. Um 1506/07 (Raum II) Lindenholz, Mitteltafel: 121 x 70 cm

Hans Baldung Grien erhielt seine Ausbildung in der Werkstatt seines Lehrers Albrecht Dürer, war aber in seiner Malerei auch von Lucas Cranach beeinflusst. Dieser Altar gehörte zu seinem ersten großen Auftrag. Neu an dieser Darstellung ist, dass sich der Auftraggeber, der Erz-bischof von Magdeburg und Halle, der Bruder des sächsischen Kur-fürsten Friedrichs des Weisen, Ernst von Wettin, prominent im Bild-mittelpunkt des Dreikönigsaltars porträtieren lässt und zudem noch als

mittlerer König. Als einziger schaut er selbstbewusst aus dem Bild heraus auf den Betrachter. Ansonsten finden sich die üblichen Bildmotive: Maria mit dem nackten Kind, das diesmal aufgeweckt in den mit Goldtalern gefüllten Pokal greift; hinter ihr Joseph, der gerade demütig seinen Hut absetzen will. In der Mitte Ernst von Wettin in einer pelzverbrämten Brokatschaube und einem Barett auf dem Kopf, ganz der damaligen Mode gemäß, wie er vor der Palastruin Davids steht. Neben ihm der Mohrenkönig mit einem Horn, das wahrscheinlich Weihrauch enthält, ein wohlriechendes Harz, das angezündet wie ein Gebet zum Himmel steigt. Im Hintergrund sind traditionell Ochs und Esel zu finden. Der Stern erscheint als phantasievolle Lichterscheinung am Himmel. In Baldungs Frühwerk fallen die leuchtende Farbigkeit und die Vorliebe für kostbare Stoffe auf. Übrigens rührt der Name des Künstlers Hans Baldung Grien von seiner Vorliebe für leuchtendes Grün in seinen Bildern her.

20) Hans Suess von Kulmbach (Um 1480-1522) Die Anbetung der Könige. 1511 (Raum III) Lindenholz, 153 x 110 cm

Die Flügel des Altars befinden sich heute in einem polnischen Kloster, wo der Künstler zeitweilig arbeitete, während die Mitteltafel in der Berliner Gemäldegalerie zu finden ist. Das Werk ist ganz der deutschen Renaissance verpflichtet und stammt von Hans von Kulmbach (nach seinem Geburtsort benannt), neben Baldung bedeutendster Schüler Albrecht Dürers. Seine Signatur und das Entstehungsjahr hat der Künstler an der Geburtshütte am linken Bildrand vermerkt.

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Opulent führt uns der Maler die Anbetung der Hl. Drei Könige vor Augen. Mit einem großen Gefolge, teils in polnischen Trachten sind sie gekommen, um dem Neugebo-renen Geschenke zu überreichen. Rechts neben einer Hütte, vor einer mächtigen Säule und einer Ruinenarchitektur thront Maria mit dem Kind, das gerade die Ehrerbietung und das Geschenk des ältesten Königs entgegen nimmt. Mitten im Gefolge, unter dem rechten Torbogen, hat sich offenbar der Stifter (in vornehmem Schwarz von der Buntheit abhebend) porträtieren lassen. Die antike Ruine, Überrest des Palastes Davids, symbo-lisiert die abgelaufene Zeit des Alten Bundes, während die Säule in Vorwegnahme der Geißelung Christi den Neuen Bund verkörpert.

21) Albrecht Altdorfer (Um 1480-1538) Die Geburt Christi Um 1513 (Raum 2) Lindenholz, 36,6 x 26 cm

In einem Winkel eines ruinösen Gebäudes leuchten in kostbarem Rot und Blau die Gestalten von Maria und Joseph auf, wie sie ihr Kind anbeten, das drei Engel in einem Tuch präsentieren. Joseph wohnt dem Geschehen mit einer brennenden Kerze bei, deren Flamme vom göttlichen Licht des Kindes überstrahlt wird. Die Geburtsnacht wird von kosmischen Lichterscheinungen märchenhaft verzaubert. Drei Engel singen im Himmel das „Gloria“. Ein Verkündigungsengel schwebt in einer Lichtwolke über den

Feldern im Hintergrund. Neben der Hl. Familie ist rechts der Kopf des Esels zu sehen, links hinter der Mauer der Kopf des Ochsen. Altdorfers gemalte Geburtsnacht: ist eine der frühesten reinen Nachtlandschaften der Kunstgeschichte vor Adam Elsheimer und Rembrandt.

22) Jacob Claesz van Utrecht (um 1480-um 1530) Triptychon mit der Kreuzabnahme, linker Flügel, innen Die Geburt Christi. 1513 (Raum 7) Eichenholz, 108 x 77,5 cm

Der dreiteilige Altar ist ein typisches Beispiel für das Spätmittelalter und war wohl für ein Zisterzienserkloster bestimmt. Das Bild-programm beginnt auf den Außenseiten mit der Verkündigung an Maria, der auf dem linken Flügel das Ereignis der Geburt Christi folgt. Bühnenartig breitet sich das Geschehen vor uns aus: Vom Christuskind geht göttliches Licht aus, das von Maria und Joseph, der sorgsam die Flamme seiner Kerze schützt (vgl. Offenbarungen

der hl. Birgitta von Schweden), sowie fünf Engeln im Halbkreis angebetet wird. Herbeigeeilt sind auch die Hirten, zwei davon befinden sich hinter der Hl. Familie, einer spielt auf dem Dudelsack, während sein Begleiter in anbetender Haltung verharrt. Links im Bildhintergrund schwebt ein von hellem Lichtglanz umstrahlter Chor singender Engel, unweit davon der Verkündigungsengel mit dem Spruchband und der Verkündigungsbot-schaft: Gloria in excelsis deo (Ehre sei Gott in der Höhe; Lukas 2,14). In der Höhe leuchtet zwischen den Balken des Daches der Weihnachtsstern, im Vordergrund ver-weist eine Korngarbe auf den eucharistischen Leib Christi als „Brot des Lebens“ (Joh. 6,32-35), das nunmehr erschienen ist. Im Mittelgrund fällt eine Figur im roten Gewand und in melancholischer Haltung auf: Es ist der hl. Bernhard, dem als Kind die Geburt Christi im Traum erschien. Darauf verweist

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das Schriftband: „Da offenbart sich ihm der erlauchte Ursprung Christi in seiner Geburt.“, eine Überlieferung aus der ‚Legenda aurea’.

23) Jacob Claesz van Utrecht (um 1480-um 1530) Triptychon mit der Kreuzabnahme, rechter Flügel, innen Die Anbetung der Könige. 1513: (Raum 7) Eichenholz, 108 x 77,5 cm

Die Raumbühne eröffnet den Blick auf Maria mit dem Kind auf dem Schoß, dem der älteste der drei Könige traditionsgemäß zuerst huldigt. Hinter ihm steht der mittlere König in Erwartung, einen goldenen Becher zu überreichen, seinen mit Federn geschmückten Kronenhut hat er ehrerbietig abgenommen. Rechts folgt der Mohrenkönig mit einem goldenen Buckelpokal. Auch er hat seinen Hut bereits abgenommen. Joseph fehlt in der Anbetungsszene.

Dafür erscheinen die Gefolgsleute der Könige: an prominenter Stelle ein in würdiges Schwarz gekleideter Hofzwerg mit Affe, Hofleute, ein Windspiel, ein Dromedar, die den Reichtum und die ferne Herkunft demonstrieren. Das Bauwerk im Hintergrund mit dem Stall, in dem Ochs und Esel an der Futterkrippe stehen, verweist auf den Palast Davids, aus dessen Geschlecht Christus stammt. Der Stern über den Bauten hat den drei Weisen den Weg gewiesen. Am Ziel ihrer Reise haben sie auf dem Turm neben dem Stall ihre Fahne gehisst. Am unteren Bildrand sind Blumen und Pflanzen zu sehen, deren christliche Symbolik die Betrachter des 16. Jhs. sehr wohl zu deuten wussten. Der gemauerte Bogen mit der vergitterten Öffnung verweist auf die Geburtshöhle in Bethlehem, in der nach alter Überlieferung die Geburt stattfand (vgl. Bladelin-Altar von Rogier van der Weyden).

24) Joos van Cleve (um 1480/85-1540) Triptychon mit der Anbetung der Könige. Um 1520 (Raum 6 ) Eichenholz, Mittelbild: 72 x 52 cm

Joos van Cleve war zur Entstehung des Altarbildes Dekan der Lukasgilde von Antwerpen. Eine Reise nach Italien machte ihn mit der Kunst Leonardo da Vincis bekannt. Seine Malerei ist außerdem stark beeinflusst von den Antwerpener Manieristen. Der oben dreipassförmig abgeschlossene Altar diente der privaten Andacht. Er präsentiert sich in leuchtenden Farben. Die Mitteltafel wird dominiert von der Halle eines Renaissancepalastes, vor der

Maria mit dem Kind sitzt. Dahinter befindet sich eine auffällige Marmorsäule mit einer goldenen Skulptur, wohl einem Kultbild aus heidnischer Zeit, die mit dem Erscheinen Christi überwunden wurde. Von weit her sind die Hl. Drei Könige gekommen - in phantastische Gewänder gehüllt, die z.T. die damalige Mode widerspiegeln, wie die pelzbesetzte Schaube und das Haarnetz des abendländischen Königs, der die Kette des Ordens vom Goldenen Vlies trägt. Ehrerbietig hat er seinen Hut abgelegt, wie auch Joseph seinen Hut vor der Brust hält. Links hinter der Hl. Familie stehen Ochs und Esel an der Futterraufe. Unter dem Eindruck der Panoramalandschaften Joachim Pateniers breitet sich unter blauem Himmel eine weite Landschaft aus, die in simultaner Malweise die heran-kommende Gruppe der Könige mit ihrem Gefolge zeigt.

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Andere Dreikönigs-Altäre im Raum 6 der Gemäldegalerie: Niederländisch, Die Anbetung der Könige, um 1520 Meister der Virgo inter Virgines, Triptychon mit der Anbetung der Könige Meister der weiblichen Halbfiguren, Die Anbetung der Könige Jan Provost, Die Anbetung der Könige. Um 1505 Literaturhinweise Aust, Günter: Die Geburt Christi. Lukas-Bücherei zur christlichen Ikonographie, Bd. 5. Düsseldorf 1953 Butzkamm, Aloys: Christliche Ikonographie. Zum Verstehen mittelalterlicher Kunst. Paderborn 1997 Christie, Agatha: Der kleine Weihnachtsesel. In: Schönfeldt (Hrsg.), Kinderweihnacht. Ravensburg 1991 Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. SMB 1998 Knecht, Günter/Neubauer, Ulrike: Das Leben Christi - Arbeitsmappe. Evangelische Haupt Bibelgesell-schaft und von Cansteinsche Bibelanstalt 2002 Krauss, Heinrich/Uthemann, Eva: Was Bilder erzählen. München 1998 Schmidt, Heinrich und Margarethe: Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. München 1989 Ströter-Bender, Jutta: Die Muttergottes. Das Marienbild in der christlichen Kunst. Symbolik und Spiritualität, Köln 1992 Vossen, Rüdiger: Weihnachtsbräuche in aller Welt. Hamburg 1985 Weppelmann, Stefan (Hrsg.): Geschichten auf Gold. Bilderzählungen in der frühen italienischen Malerei. Ausstellungskatalog. Berlin und Köln 2005 Anhang: Quellentexte Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden (1302/03-1373) Vor der Geburt, in der Höhle legte die Jungfrau Schuhe und Mantel ab, nahm sich auch den Schleier vom Haupt und legte ihn neben sich. So war sie nur mit der Tunika bekleidet; ihr schönes, goldenes Haar fiel ihr lose über die Schultern. (…) Als alles vorbereitet war, kniete die Jungfrau in großer Andacht betend nieder. Ihr Rücken war gegen die Krippe gewendet, ihr Antlitz aber gen Osten zum Himmel erhoben. So, mit ausgestreckten Händen und mit zum Himmel gerichtetem Blick, verharrte sie in Ekstase, versunken in Betrachtung und göttliches Entzücken. Während sie so im Gebet war, sah ich, wie sich das Kind in ihrem Leibe bewegte, und plötzlich in einem einzigen Augenblick, gebar sie den Sohn, von dem ein solch un-sagbares Licht ausstrahlte, dass nicht einmal die Sonne damit zu vergleichen war und dass die Kerze, welche Joseph gebracht hatte, vor diesem göttlichen Lichtglanz wie erloschen war.. (…) Sogleich sah ich jenes glorreiche Kind nackt und leuchtend auf der Erde liegen (…) die Jungfrau neigte das Haupt, faltete die Hände und betete den Knaben mit großer Ehrfurcht an. Sie sprach zu ihm: „Sei willkommen, mein Gott, mein Herr und mein Sohn.“ Zitiert in: Lexikon der Marienkunde, Bd. I, Regensburg 1967, S. 804 f. „Meditationes vitae Christi“ von Johannes de Caulibus (Pseudo-Bonaventura), um 1300 Maria und Joseph führten einen Ochsen und einen Esel mit sich und gingen wie arme, mit Vieh handelnde Kaufleute einher. Als sie nach Bethlehem kamen, konnten sie, da sie arm waren und hier viele Menschen zusammengeströmt waren, keine Herberge finden […] So mussten sie sich in einen gedeckten Durchgang zurückziehen, wo man bei Regenwetter unterzustehen pflegte. Hier schloss Joseph, der Zimmermann war, den Ort fest ab. […] Als um Mitternacht die Stunde des Gebärens gekommen war, erhob sich die Jungfrau und lehnte sich an eine Säule, die dort war. Joseph saß traurig dabei, weil er nicht das Not-wendigste zurüsten konnte. Er stand also auf und nahm von dem Heu der Krippe, warf es vor die Füße der Herrin und wandte sich ab. Da aber verließ der Sohn Gottes den Mutterleib, ohne Schmerzen oder Verletzung, in einem Augenblick; so wie er im Mutterleib war, so war er auf dem Heu zu Füßen seiner Mutter. Und diese […] legte ihn auf ihren Schoß und wusch ihn, vom Heiligen Geist angewiesen, mit ihrer Milch. Dann wickelte sie ihn in ihren Schleier und legte ihn in die Krippe. Und Ochs und Esel hielten, die Knie beugend, ihre Schnauzen über die Krippe und schnaubten durch die Nasen, als hätten sie Vernunft und wüssten, dass der dürftig bedeckte Knabe bei der großen Kälte der Wärme bedürfe. Die Mutter aber kniete nieder, betete ihn an […] Joseph verehrte ihn in gleicher Weise. Er zog aus dem Sattel des Esels ein Kissen von Wolle heraus und legte es neben die Krippe, damit Maria sich darauf setzte. […] Als so der Herr geboren war, beteten die Scharen der Engel, die da waren, ihn an und gingen sogleich zu den Hirten, die in der Nähe weilten, vielleicht eine Meile weit, und verkündeten ihnen die Geburt und den Ort.

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Dann steigen sie mit Jubelgesang in den Himmel au, um es ihren Gefährten ebenfalls zu verkünden.

Zitiert in: Aust, Günter, Die Geburt Christi. Bd. 5. Düsseldorf 1953, S. 20 Apokryphes Protoevangelium des Jakobus, 2. Jh. 19,1 Und siehe, eine Frau stieg vom Berge herab und sprach zu mir: „Mann, wohin gehst du?“ Und ich sprach: „Ich suche eine Hebräische Hebamme.“ Und sie antwortete mir: „Bist du aus Israel?“ Und ich sprach zu ihr: „Ja.“ Sie aber sprach: „Und wer ist die, die in der Höhle gebiert?“ Und ich sprach: „Meine Verlobte.“ Und sie sprach zu mir: „Sie ist nicht deine Frau?“ Und ich sprach zu ihr: „Es ist Maria, die im Tempel des Herrn aufgezogen wurde, und ich bekam sie durchs Los zur Frau. Und doch ist sie nicht meine Frau, sondern ihre Empfängnis ist aus dem Heiligen Geist.“ Und die Hebamme sprach zu ihr: „Komm und siehe!“ Und die Hebamme ging mit ihm. 2 Und er trat an den Ort der Höhle, und siehe, eine finstere (lichte) Wolke überschattete die Höhle. Und die Hebamme sprach: „Erhoben ist heute meine Seele, denn meine Augen haben Wunderbares gesehen; denn Israel ist das Heil geboren.“ 3 Und sogleich verschwand die Wolke aus der Höhle, und ein großes Licht erschien, so dass die Augen es nicht ertragen konnten. Kurz darauf zog sich jenes Licht zurück, bis das Kind erschien, und es kam und nahm die Brust von seiner Mutter Maria. Und die Hebamme schrie auf: „Was für ein großer Tag ist das heute für mich, dass ich dies nie dagewesene Schauspiel gesehen habe.“ 4 Und die Hebamme kam aus der Höhle heraus, und es begegnete ihr Salome. Und sie sprach zu ihr: „Salome, Salome, ich habe dir ein nie dagewesenes Schauspiel zu erzählen: Eine Jungfrau hat geboren, was doch die Natur nicht zulässt.“ Und Salome sprach: „So wahr der Herr, mein Gott, lebt, wenn ich nicht meinen Finger hinlege und ihren Zustand untersuche, so werde ich nicht glauben, dass eine Jungfrau geboren hat.“ 20,1 Und die Hebamme ging hinein und sprach zu Maria: „Lege dich bereit, denn ein nicht geringer Streit besteht um dich.“ Und Salome legte ihren Finger hin. Und sie erhob ein Wehgeschrei und sprach: Wehe über meine Frevel und meinen Unglauben; siehe, meine Hand fällt von Feuer.“ 2 Und sie beugte ihre Knie vor dem Herrn und sprach: „Gott meiner Väter, gedenke meiner; denn ich bin Abrahams, Isaaks und Jakobs Same; stelle mich nicht an den Pranger vor den Söhnen Israels, sondern gib mich den Armen wieder. Denn du weißt, Herr, dass ich in deinem Namen meine Dienste erfülle und meinen Lohn von dir empfangen habe 3 Und siehe, da stand ein Engel des Herrn vor Salome und sprach zu ihr: „Gott, der Herr, hat dein Gebet erhört. Tritt herzu, faß das Kind an, so wird dir Heilung geschehen.“ 4 Und Salome tat so. Und sie sprach: „Ich will es anbeten, denn in ihm ist Israel ein großer König geboren worden.“ Und Salome wurde geheilt, wie sie es erbeten hatte, und sie ging gerechtfertigt aus der Höhle hinaus. Und siehe, ein Engel des Herrn, eine Stimme rief: „Salome, Salome, verkündige (nicht), was du Wunderbares gesehen hast, bis de Knabe nach Jerusalem kommen wird.“!“ Jesaja (1,2-3) Höret, ihr Himmel, und nimm es zu Ohren, Erde, denn der Herr redet. Söhne habe ich aufgezogen und emporgebracht, aber sie haben mich verachtet. Es kennt der Ochs seinen Eigentümer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber kennt mich nicht, und mein Volk versteht es nicht. Prophezeiung Habakuks (3,2) Inmitten der Tiere lässt Du, Herr, Dein Werk lebendig werden. bzw. Zwischen zwei Tieren wirst du dich offenbaren. Gregor von Nazianz, 4. Jh. Zwischen dem Ochsen, der an das (jüdische) Gesetz gespannt ist, und dem Esel, der mit der Sünde des (heidnischen) Götzendienstes beladen ist, liegt der von beiden Lasten befreite Gottessohn.

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Didaktische Fragestellungen für Schüler zur Weihnachtsgeschichte auf Bildern Weihnachtsdarstellungen südlich der Alpen Bernardo Daddi (Florenz), Altartafel in Form eines Triptychons mit der Geburt Christi, um 1338/40 Welche Personen sind dargestellt? Wer gehört zur Heiligen Familie? Beschreibe die Mutter mit dem Kind! Wer mögen die beiden Personen mit den Tieren rechts unten sein? Welche Tiere kann man erkennen? Welche Bedeutung hat der Engel unter dem gedeckten Durchgang? Wo findet das Geschehen statt? Taddeo Gaddi (Florenz), Triptychon mit der Geburt Christi, 1334 Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten gibt es zu der Weihnachtsdarstellung von Bernardo Daddi? Welche Bedeutung hat der goldene Stern auf dem blauen Mantel Marias? Lorenzo Monaco (Florenz), Die Geburt Christi, um 1395/1400 Welche Szenen sind hier zu sehen? Was könnten die Farben des Gewandes von Maria bedeuten? Was für ein ruinöses Gebäude ist im Hintergrund dargestellt? Masaccio, Anbetung der Könige, 1426 Welcher Kunstepoche ist diese Altartafel zuzuordnen? Gotik, Renaissance oder Barock? Beschreibt die Körperhaltungen der Drei Heiligen Könige! Woran erkennt man, dass der Maler die mittelalterliche Raumdarstellung überwunden hat? Welche Personen fallen im königlichen Gefolge besonders auf – wer könnten sie sein? Wie viele Personen und Tiere sind dargestellt? Welche Farben dominieren? Domenico Veneziano, Die Anbetung der Könige, um 1439 Wie nennt man dieses Bildformat? Was fällt bei der Darstellung der Heiligen Familie auf? Wer könnte sich hinter den porträthaften Darstellungen verbergen? Antonio Vivarini/Giovanni d’Alemagna, Die Anbetung der Könige. O.J. Beschreibe und zeichne einige der phantasievollen Kopfbedeckungen! Wie viele musizierende Engel kann man zählen? Wodurch unterscheiden sich die Heiligen Drei Könige? Welche Phantasiestadt ist links im Hintergrund abgebildet? Welche Bedeutung haben Ochs und Esel? Alessandro Moretto, Die Anbetung der Hirten, um 1540/45 Wer ist zur Verehrung des Kindes gekommen? Wie groß mag das Bild sein? Jeremias (Prophet des Alten Testaments) verkündete, Götterbilder würden stürzen, wenn eine Jungfrau gebären würde. Wo ist der Torso einer Statue im Bild zu entdecken? Welche Bedeutung hat das auffällig im Vordergrund platzierte Lamm?

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Weihnachtsdarstellungen nördlich der Alpen Hans Multscher, zwei Szenen aus dem Wurzacher Altar, 1437 Die Geburt Christi Die Geburt Christi hat in einer kalten Winternacht stattgefunden: Woran erkennt man das? Wer sind die Menschen hinter dem Zaun? Die Anbetung der Könige Welche Rolle nimmt Joseph hier ein? Was fällt bei der Betrachtung der Heiligen Drei Könige auf? Welche Merkwürdigkeiten gibt es im Bild? Hans Baldung, gen. Grien, Der Dreikönigsaltar, um 1506/07 Eine Farbe fällt besonders auf, der der Maler seinen Namen verdankt. Welche ist es? Welche Bedeutung hat der Himmel mit der Himmelserscheinung? Albrecht Altdorfer, Die Geburt Christi, um 1513 Wo befindet sich das neugeborene Kind? Die Geburt wird als Nachtszene dargestellt. Welche Lichtquellen gibt es? Rogier van der Weyden, Der Middelburger Altar (Bladelin-Altar), um 1445 Wer gehört nicht zur Heiligen Familie und wer mag das sein? Wie heißt die Stadt im Bildhintergrund, die der Stifter gegründet hat? Maria trägt abweichend von anderen Geburtsdarstellungen ein weißes Gewand, was mag das bedeuten? Wie ist das Verhältnis von Gottesmutter und Kind? Welche Bedeutung hat die Säule im Vordergrund? Welche Funktion hat die Kerze in Josephs Hand? Hugo van der Goes, Die Anbetung der Könige, 1470/72 Wer oder was befindet sich kompositorisch im Bildmittelpunkt? Welches Geschenk hat der älteste König mitgebracht? Woran erkennt man die Heiligen Drei Könige? Wo vermutest du ein Selbstbildnis des Malers? Was fällt beim Betrachten des Gemäldes auf, wenn man die rechten und linken Rahmenseiten sowie die obere Kante in der Mitte betrachtet? Hugo van der Goes, Die Anbetung der Hirten, um 1480 Wie wirkt das dargestellte Geschehen? Wer könnten die beiden Figuren sein, die dien Vorhang öffnen? Welche Bedeutung hat die Korngarbe vor der Krippe?