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Wozu dient die Rechtsvergleichung auf der Stufe Verfassungsrecht? PROBEARBEIT IN DER ALLGEMEINEN STAATSLEHRE vorgelegt von: Jessica Loh / Stud.-Nr. 03-207-545 Rue de l’Industrie 14 1700 Freiburg i. Ue. [email protected] Bachelor of Law, 8. Semester eingereicht bei: Prof. Dr. Thomas Fleiner Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Ue. Probearbeit begonnen am 27. August 2007 Probearbeit eingereicht am 10. September 2007

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Wozu dient die Rechtsvergleichung auf der Stufe

Verfassungsrecht?

PROBEARBEIT IN DER ALLGEMEINEN STAATSLEHRE

vorgelegt von:

Jessica Loh / Stud.-Nr. 03-207-545

Rue de l’Industrie 14

1700 Freiburg i. Ue.

[email protected]

Bachelor of Law, 8. Semester

eingereicht bei:

Prof. Dr. Thomas Fleiner

Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät

der Universität Freiburg i. Ue.

Probearbeit begonnen am 27. August 2007

Probearbeit eingereicht am 10. September 2007

I

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................................. I

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................. II

Abkürzungsverzeichnis........................................................................................................................V

A. Einleitung ..............................................................................................................1

B. Begriff der Rechtsvergleichung...........................................................................1

1. Historische Entwicklung der Rechtsvergleichung ............................................................... 2

2. Rechtssysteme in den Rechtsfamilien ................................................................................ 3

3. Mikro- und Makrovergleichung............................................................................................ 3

4. Horizontale und vertikale Rechtsvergleichung.................................................................... 4

5. Rechtsvereinheitlichung ...................................................................................................... 4

C. Verfassungsbegriff ...............................................................................................5

D. Rechtsvergleichung im Verfassungsrecht..........................................................5

1. Wichtigkeit der Rechtsvergleichung in der Verfassungsgebung......................................... 6

2. Verfassungsvergleichung.................................................................................................... 7

3. Rechtsvergleichung in der Rechtssprechung ..................................................................... 8

4. Grundrechte ........................................................................................................................ 8

E. Rechtsvergleichung in der common law – Familie am Beispiel vom

Richterrecht in Grossbritannien und von Amerika.............................................9

1. Common law in den USA .................................................................................................. 10

2. Rechtsvergleichung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika..................... 10

F. Rechtsvergleichung in der social law – Familie am Beispiel der

Verfassung von Russland..................................................................................11

G. Rechtsvergleichung in der civil law – Familie am Beispiel der

französischen Verfassung .................................................................................12

1. Civil law – Familie.............................................................................................................. 12

2. Französische Verfassung.................................................................................................. 13

3. Rechtsvergleichung in Indien – ein Rechtssystem zwischen Ost und West..................... 14

a) Verfassungsgebung in Indien ...................................................................................... 14

b) Rechtsvergleichende Überlegungen in der indischen Verfassung.............................. 15

H. Eine Verfassung für die Europäische Union?...................................................15

1. Gerichte der Europäischen Union – EuGH und EGMR .................................................... 16

2. Das “Nein“ von Frankreich und Holland............................................................................ 16

3. Freiheitsrechte in der Europäischen Union....................................................................... 17

4. Freiheitsrechte in der Schweiz .......................................................................................... 18

I. Fazit .....................................................................................................................18

II

Literaturverzeichnis

Die angeführten Autoren/Autorinnen werden, wenn bei den einzelnen Publikationen nicht anders

angegeben, mit ihrem Nachnamen und der betreffenden Seitenzahl oder Randnote zitiert.

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Comparative Law Waseda University

(Hrsg.), Law in East and West, Recht in Ost

und West, Tokyo 1988, S. 213 – 230.

V

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

Art. Artikel

Aufl. Auflage

BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.

April 1999 (SR 101)

bzw. beziehungsweise

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der

Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101)

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

f. und folgende

ff. und fortfolgende

i. V. m. in Verbindung mit

Hrsg. Herausgeber

lit. litera

N Note(n), Randnote(n)

Nr. Nummer

S. Seite(n)

VerfE Verfassungsentwurf

USA United States of America

z. B. zum Beispiel

1

A. Einleitung

Die Rechtsvergleichung ist zu einem unverzichtbaren Element in der praktischen

Handhabung des Rechts geworden. Sie führt zu einem vertieften Verständnis von Sinn

und Zweck des Rechts, der Analyse der unterschiedlichen Kulturen sowie der nationalen

wie auch internationalen Institutionen. Die Untersuchung von politischen und rechtlichen

Systeme anderer Nationen vermittelt ein grenzüberschreitendes Verständnis von

weltweiten Zusammenhängen. Um der Stärkung des Nationalgedankens entgegenwirken

zu können, wird anhand der Rechtsvergleichung der juristische Horizont erweitert.1 Diese

Arbeit soll aufzeigen, dass Kenntnisse nur über die eigene nationale Rechtsordnung nicht

ausreichen, um mit den Fortschritten in den anderen Rechtsordnungen und der Wirtschaft

mithalten zu können. Der Austausch zwischen den Nationen erfährt eine zunehmende

Intensivierung, wie zum Beispiel die Vertragsverhandlungen zur Bilateralen II der Schweiz

gezeigt haben. Durch diesen Austausch kommt es zu immer engeren Beziehungen

zwischen den verschiedenen Nationen. Die Rechtsvergleichung soll das Verständnis für

andere Rechtsauffassungen und Verfassungen stärken und gleichzeitig das eigene

Rechtsverständnis für fremde Völker zugänglich machen. Um eine Beurteilung der

Rechtsvergleichung auf der Verfassungsebene durchführen zu können, ist als erstes der

Begriff Rechtsvergleichung zu erläutern. Weiter wird dann auf den Nutzen der

Rechtsvergleichung für Nationen aus dem Osten und Westen eingegangen. Diese Arbeit

setzt den Schwerpunkt auf die unterschiedlichen Rechtssysteme auf dieser Welt. Dazu

gehören unteranderem das civil law- und das common law – System, da diese zwei

Rechtssysteme in der westlichen Welt dominant sind und Einfluss in jüngere

Verfassungen genommen haben.2 Weiter werden die verschiedenen Rechtsfamilien und

die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Verfassung von Ländern innerhalb dieser

Rechtsfamilien genauer erläutert.

B. Begriff der Rechtsvergleichung

Im Jahre 1900 fand in Paris die grosse Weltausstellung statt. Zwei französische Gelehrte,

Edouard Lambert und Raymond Saleilles, kamen auf die Idee, einen internationalen

Kongress für Rechtsvergleichung zu organisieren. Dieser Kongress vermittelte

Zukunftsglaube, die Interpretation und Entwicklung des nationalen Rechtes in Verbindung

zum internationalen Recht zu setzen.3

1 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 14. 2 DÜRR, N 268. 3 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 2.

2

Rechtsvergleichung, im Englischen comparative law und im französischen droit comparé

genannt, ist eines der anerkannten Auslegungshilfe bei der richterlichen Rechtsfindung.

Auch die nationale Gesetzgebung beachtet die ausländischen und internationalen

Rechtsordnungen bei der Formulierung von Normen, womit der Rechtsvergleichung

grosse Bedeutung zukommt.4

Der Gegenstand der Rechtsvergleichung ist die Gegenüberstellung verschiedener

moderner Rechtsordnungen und die Ableitung der Ergebnisse daraus. Bei der Analyse

der Verfassungsauslegung, Sammlungen von Gesetzen und Entscheidungen anderer

Nationen fällt auf, dass in den civil law – Länder, wie z. B. Frankreich und Deutschland,

kurze Versionen bevorzugen. Im Gegensatz zu diesen stellen common law – Länder den

Sachverhalt sehr ausführlich dar. Eine solche Gruppierung in civil law-Länder und

common law Länder ermöglicht es, eine unübersichtliche Masse von Rechtssystemen zu

gliedern und überschaubar zu gestalten. Finden sich nun in jeder dieser grossen Gruppen

ein oder zwei Rechtsordnungen, die für die ganze Gruppe gelten, führt dies zu einer

Erleichterung der rechtsvergleichenden Forschung. So kann sich die rechtsvergleichende

Untersuchung auf diese repräsentative Rechtsordnung beschränken.5

Um die Funktion der Rechtsvergleichung besser erläutern zu können, werden im

Folgenden einzelne Themen kurz angesprochen, welche Anhaltspunkte bei der

Rechtsvergleichung darstellen.

1. Historische Entwicklung der Rechtsvergleichung

Schon Aristoteles befasste sich mit dem Studium von verschiedenen Verfassungen. Die

Basis seines Werkes über “die Politik“ bildete die Analyse von 153 Verfassungen, die in

den griechischen und barbarischen Städten die Rechtsgrundlagen bildeten. Auch Solon

arbeitete 594 v. Chr. nach der gleichen Vorgehensweise wie Aristoteles Gesetze für

Athen aus. Die Rechtsgelehrten verglichen im Mittelalter, unteranderem in England, das

römische und das kanonische Recht miteinander. Im 17. Jahrhundert wurde das

kanonische Recht mit dem common law verglichen. Montesquieu hat sich stark bemüht,

mit Hilfe der Rechtsvergleichung Prinzipien für eine gut funktionierende Regierung zu

entwickeln. Trotz diesen historischen Ereignissen in der Entwicklung der

Rechtsvergleichung, erkannten die Gelehrten ihre Bedeutung erst im letzten Jahrhundert

wieder und begannen die Methoden und Objekte der Rechtsvergleichung systematisch zu

studieren. Als im 19. Jahrhundert das ius commune6 zu zersplittern begann, füllten

4 DÜRR, N 254. 5 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 62. 6 „Ein wissenschaftlich entwickeltes und gehandhabtes, gelehrtes Recht, das römisches und kanonisches Recht enthielt

sowie eine Reihe von Rechtsinstituten, die vor der Rezeption in verschiedenen europäischen Ländern ausgebildet

3

nationale Kodifikationen die Lücke auf. Um der Nationalisierung des Rechts

entgegenzuhalten, begannen Rechtsgelehrte die Entwicklung der Rechtsvergleichung

voranzutreiben.7 Die Rechtsvergleichung ist heute unerlässlich, um rechtlich relevante

historische und philosophische Elemente zu erforschen. Sie zeigt die Variationen an

Konzeptionen auf und widerspiegelt den gesellschaftlichen Wandel, welcher sich im Recht

niederschlägt.8

2. Rechtssysteme in den Rechtsfamilien

Schon viel Rechtsgelehrte versuchten Rechtssysteme in Rechtsfamilien zu klassifizieren.

Die Basis dieser Klassifizierung ist die Überzeugung, dass es grundlegende

Charakteristiken in Rechtsordnungen gibt, welche die Grenzen zu den verschiedenen

Rechtsfamilien verwischen.9 David ist es, gemäss Mattei, am besten gelungen, die

Rechtsfamilien zu klassifizieren. David unterteilte die Rechtsfamilien in die: a) common

law – Familie; b) civil law – Familie; c) socialist law – Familie; und d) andere

Rechtskonzeptionen.10 Diese Klassifizierungslehre bildet den intellektuellen Rahmen und

macht seine Komplexität des Rechts handhabbar. Mit der Rechtsvergleichung ist es

möglich geworden, tiefgründige Differenzen in der Geschichte der Rechtssysteme zu

identifizieren und den Erfolg einer Übernahme von einem Rechtsinstitut oder sogar der

Verfassung ungefähr feststellen zu können.11

Weiter unten in der Arbeit sind die drei grossen Rechtsfamilien nochmals dargestellt und

jeweils an einem Land veranschaulicht dargestellt. Anhand von dieser Klassifizierung

kann ein Land besser eingeteilt werden, um damit die Hintergründe versuchen zu

verstehen, auf welcher Grundlage ein Land seine Entscheidungen trifft. Da z. B. Japan

und China wirtschaftlich immer stärker werden, ist es wichtig, Kenntnisse über die

politischen und rechtlichen Hintergründe dieser Länder sich anzueignen.

3. Mikro- und Makrovergleichung

Die Makrovergleichung vergleicht verschiedene nationale Rechtsordnungen miteinander.

Die unterschiedlichen Gesetzgebungstechniken werden vergleichend dargestellt, sowie

Kodifikationsstile und Auslegungsmethoden, die Wichtigkeit der Präjudizien, die

Bedeutung der Lehre für die Rechtsfortbildung und die verschiedenen Urteilsstile,

worden waren.“ MORTANGES, Allgemeine und schweizerische Rechtsgeschichte, Skript zur Vorlesung Rechtsgeschichte, Akademisches Jahr 2004/2005, Freiburg 2004, S. 26.

7 DAVID/SPINOSI, N 2. 8 DAVID/SPINOSI, N 4. 9 MATTEI, S. 7. 10 MATTEI, S. 8. 11 MATTEI, S. 5 ff.

4

genauer angeschaut (z. B. das common law und das civil law und die Gegenüberstellung

ihrer Ähnlichkeiten und Unterschiede).12 Daraus resultiert ein Verständnis der

Charakteristiken anderer Rechtssysteme, wie auch das eigene Verständnis für andere

Rechtskulturen wird verbessert.

Die Mikrovergleichung ist der Vergleich von einzelnen Rechtsinstituten und –Problemen

innerhalb derselben Rechtsfamilie. Es wird analysiert, ob es lohnenswert ist, ein

Rechtsinstitut ins nationale Rechtssystem einzuführen.13

4. Horizontale und vertikale Rechtsvergleichung

Die horizontale Rechtsvergleichung ist grenzübergreifend und nicht auf ein gewisses

Rechtsgebiet in einer Nation beschränkt. Die Analyse erweitert sich dabei auf gleiche oder

ähnliche Rechtsgebiete in anderen Ländern, um Kenntnis über die Art und Natur des

Instituts zu gewinnen, und so die Analyse als Referenz im innerstaatlichen Recht

verwenden kann. Die vertikale Rechtsvergleichung orientiert sich an der

Rechtsgeschichte eines Landes. Im Falle der Rezeption muss auch diese berücksichtigt

werden. Weiter unten wird auf die französische Verfassungsentwicklung genauer

eingegangen.14

5. Rechtsvereinheitlichung

Ursprünglich war der Zweck der Rechtsvergleichung, das Recht zu erneuern und zu

vereinheitlichen. Es gibt zwei Möglichkeiten Recht zu vereinheitlichen. Eine erste

Möglichkeit besteht darin, dass verschiedene Länder zusammen einen Bundesstaat

bilden und dann einheitliches Recht erlassen. Auf diese Art ist z. B. das Bürgerliche

Gesetzbuch vom 1. Januar 1900 entstanden. Eine andere Möglichkeit besteht darin,

inhaltlich identisches Recht in unabhängig bleibenden Nationen zu erlassen.15 Die

Rechtsvereinheitlichung konzentriert sich jedoch mehr oder weniger nur auf bestimmte

Rechtsgebiete, wie etwa das Privatrecht. Die Verfassungen der einzelnen Staaten tastet

es dabei nicht an. Auch bei der Erforschung und Konkretisierung allgemeiner

Rechtsgrundsätze hat sich die Rechtsvergleichung bis heute nur auf einzelne

Rechtsgebiete beschränkt, z. B. auf das Handelsrecht oder das Privatrecht.

12 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 4. 13 CHANG-DAO, S. 343. 14 CHANG-DAO, S. 344. 15 DEUTSCH, S. 210 f.

5

C. Verfassungsbegriff

Die Verfassung widerspiegelt die politische, rechtliche, philosophische und religiöse

Tradition in einem Land. Die Verfassung sollte der Anhaltspunkt für Wohlfahrt, inneren

und äusseren Frieden, sozialstaatliche Gerechtigkeit und Kultur sein.16 In der Schweiz

enthält die Verfassung17 die wichtigsten grundlegenden Normen des schweizerischen

Bundesstaatsrechts. Sie bildet die oberste staatliche Kodifizierung aller rechtlichen

Normen, welche durch sie Rechtsgültigkeit erlangen. Die Verfassung im formellen Sinn ist

ein geschriebenes und kodifiziertes Werk, das rechtliche Normen und Prinzipien

beinhaltet, die in der besonderen Form der Verfassungsgebung erlassen worden sind.18

Der Inhalt der Verfassung im formellen Sinn ist von Staat zu Staat unterschiedlich. Das

Vereinte Königreich hat zum Beispiel gar keine Verfassung im formellen Sinn. Hier

bestehen die Verfassungsnormen meistens aus parlamentarischen Gesetzen, die nicht

auf der Geschichte aufbauen sowie aus Abkommen, die nicht geschrieben und justiziabel

sind. Die materielle Verfassung beinhaltet dagegen alle Normen, die es Wert sind, wegen

ihrer inhaltlichen Tragweite in der Verfassung zu stehen.19

Es reicht jedoch nicht aus, die Verfassung nur als ein Dokument zu studieren. Der

Verfassungstext muss vielmehr in seinem politischen Zusammenhang sowie im Lichte der

Gesetzgebung und der Auslegung gesehen werden.

D. Rechtsvergleichung im Verfassungsrecht

Rechtsvergleichung auf der Stufe Verfassungsrecht analysiert verschiedene Aspekte in

einem Staat, wie etwa die Frage, wie der Föderalismus in den verschiedenen Ländern

ausgeprägt ist. Durch die Rechtsvergleichung wird Wissen gewonnen, das für die eigene

Verfassungsbildung oder für die Verfassungsauslegung verwendet werden kann. Die

dadurch neu entdeckten Verfassungsprinzipien können im internationalen Kontext eine

wichtige Rolle einnehmen. Das Internet als das Kommunikationsmittel von heute

verschafft uns schnell und einfach Informationen über ausländisches Verfassungsrecht

und die höchstrichterlichen Entscheidungen. Die primäre Funktion der

Rechtsvergleichung ist die Erkenntnis. Das heisst soviel wie, dass unter

Rechtswissenschaft nicht nur die auf nationale Ebene Gesetze und Rechtsprinzipien

bezogene Intepretationswissenschaft verstanden werden soll, sondern dass die

Erforschung von Modellen für die Verhinderung und Lösung sozio-kultureller Konflikte

genauso zur Rechtswissenschaft gehört und die Rechtsvergleichung dabei behilflich sein

kann. Die Rechtsvergleichung dient dazu, ein breites Spektrum an Lösungsmodellen zu

16 KORIOTH, S. 125. 17 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101). 18 HÄFELIN/HALLER, N 4, 15 f. 19 CLAES, S. 188.

6

bieten, da den Rechtssystemen der anderen Nationen mehr und in ihrer

Verschiedenheiten reichhaltigere Lösungen eingefallen sind, als der nationalen

Rechtswissenschaft selber. Sie bietet dem rechtsvergleichenden Individuum unter

Berücksichtigung der «Verfassungswirklichkeit», der Rechtssprechung und der Literatur,

zu einem bestimmten Zeitpunkt die jeweils „bessere Lösung“ an.20

Die Gründungsväter der amerikanischen Verfassung sicherten die individuellen Rechte,

das Prinzip der Gewaltenteilung mit checks and balances und den Föderalismus um die

Zentralisierung der Macht zu verhindern. Jedoch war diese Verfassung nicht eine neue

Idee, sondern beruhte auf den Werken von John Locke und Montesquieu und auf

vereinzelte Verfassungstexte in Europa (vor allem Grossbritannien).21 Weiter unten wird

näher auf die amerikanische Verfassung, als erste “vergleichende“ Verfassung,

eingegangen.

1. Wichtigkeit der Rechtsvergleichung in der Verfassungsgebung

Der Rechtsvergleichung kommt vor allem eine wichtige Bedeutung zu, wenn ein Land

eine neue Verfassung erarbeiten muss, sei aufgrund der neu erlangten Unabhängigkeit,

wegen dem nationalen Fortschritt, einem politischen Führungswechsel oder einem Krieg.

Bei der Schaffung einer neuen Verfassung ist es nützlich, in verschiedenen Punkten

vergleichbare Lösungswege von anderen Nationen zu analysieren. Dabei muss neben

den politischen Gegebenheiten auch die rechtliche Interpretation der betreffenden

Normen beachtet werden, um Unzulänglichkeiten bei der Modifikation und Integration zu

vermeiden. Da eine neue Verfassung nicht von einem Tag auf den andern die

Krankheiten eines Landes heilen kann, kommen die Gesetzgeber nicht um die Analyse

und rechtliche Auslegung der Präzedenzfälle einer anderen Nation herum. Es ist für eine

neue Verfassung gefährlich, wenn die historischen, sozio – kulturellen und politischen

Gegebenheiten eines Landes nicht berücksichtigt werden. So wird es für die Verfassung

schwieriger in der Bevölkerung Akzeptanz zu finden um sich zu verfestigen. Die

Rechtsvergleichung auf der Stufe Verfassungsrecht ist heutzutage nicht mehr

wegzudenken, wenn eine neue Verfassung in der Entstehung oder in Revision ist.22

Um Wissen in eine andere Rechtsordnung übertragen zu können und einzugliedern,

braucht es Kenntnis über die Kompatibilität der rechtlichen Rahmenbedingungen im

eigenen Land. Wenn das exportierte System, oder auch nur ein Rechtskonstrukt, blind

integriert wird, kann es zur Ablehnung von diesem führen.23 Jede importierte

Ansichtsweise oder Idee soll die Legislative, bzw. die Rechtsgelehrten, zuerst in ihrer

20 HALLER, S. 311 f. 21 CLAES, S. 189. 22 DAS BASU, S. 3 f. 23 MATTEI, S. 7.

7

Basis auswerten, um zu sehen, ob die Norm dem gegebenen Ziel einen besseren Nutzen

und eine bessere Funktion bringt als die Jetzige.

2. Verfassungsvergleichung

Die älteste Verfassung, welche auf Rechtsvergleichung beruht, ist die Verfassung der

USA von 1789. Sie besitzt nur siebenundzwanzig Artikel worunter die ersten zehn die Bill

of Rights bilden, welche der Verfassungsgerichtsbarkeit unterliegen. Die Bill of Rights

waren ein Vorbild für die meisten modernen Verfassungen von heute, in welchen sich am

Anfang ebenfalls ein Menschenrechtskatalog oder einen Verweis auf diesen finden lässt.

Die amerikanische Verfassung hatte eine grosse Auswirkung auf die Verfassungen auf

der ganzen Welt. In Polen und Frankreich löste sie Verfassungsbestrebungen aus, welche

dann aber nicht lange in Kraft blieben. Viele Regierungswechsel im 19. Jahrhundert (z.B.

Frankreich) hatten eine Einführung von geschriebenem Verfassungsrecht zur Folge. Nach

den historischen Ereignissen in Europa und dem Nahen Osten, wie Revolutionen, 2.

Weltkrieg, Diktatur oder Kommunismus, brachten Verfassungsänderungen mit sich. Um

aus diesen Geschehnissen zu lernen und nicht die gleichen “Fehler“ nochmals zu

machen, änderte man die Verfassungen so, dass sie vom Volk akzeptiert wurden und

dem, Willen des Volkes entsprachen. Die Verfassungsgeber haben aus den

Geschehnissen die Lehren gezogen und wollten die gleichen Fehler nicht noch einmal

machen. Aus diesem Grund änderten sie die Verfassungen so, dass sie dem Willen des

Volkes entsprachen. Indem die Verfassungsgeber die eigene Verfassung mit den

Verfassungen anderer Nationen verglichen, stellten sie fest, dass die Verfassungsgebung

demokratisch verlaufen muss. Hier stellt sich nun die Frage, ob auch ein nicht staatliches

Gemeinwesen, wie die Europäische Union ohne klar definiertes Volk oder Nation, welches

die Quelle der Verfassungslegitimation bildet, sich eine Verfassung geben kann.24

Staaten mit einer jüngeren Verfassung profitieren von den gefestigten rechtsstaatlichen

Normen, deren Entwicklung und Auslegung in der Rechtssprechung der Franzosen oder

Amerikaner. Was aber noch lange nicht heissen soll, dass diese Staaten ihre

Verfassungsentwicklung nicht vorantreiben. Es steht jedem Staat offen, den

Verfassungsprozess selber voran zu treiben. Mit der innerstaatlichen Anpassung an die

historischen, sozio-kulturellen und politischen Situation, besteht die Möglichkeit einer

Weiterentwicklung und Ergänzung des eigenen Verfassungstextes.25

24 CLAES, S. 190 f. 25 HANGARTNER, S. 137 f.

8

3. Rechtsvergleichung in der Rechtssprechung

Seit der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit im amerikanischen Supreme Court

liegt der Schwerpunkt der Rechtsvergleichung im Vergleichen von Fällen. Zwar erwähnt

die amerikanische Verfassung die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht explizit, jedoch

begünstigt das case law des Verfassungsgerichts die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die

Methoden und Standards des Verfassungsgerichts entwickelten sich so immer weiter. Der

Supreme Court öffnete sich den Perspektiven des internationalen Rechts. Diese

Vorgehensweise ist jedoch eines der meist umstrittensten Themen in Amerika. In den

20er – Jahren des 19. Jahrhunderts war es Österreich, welches die

Verfassungsgerichtsbarkeit als erstes vom amerikanischen Modell übernahm. Es folgten

danach mehrere europäische Länder (z. B. Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien).

Die Verfassungsgerichtsbarkeit wurde vor allem eingeführt, um die Grundrechte zu

gewährleisten, denn viele europäische Länder hatten ein totalitäres Regime hinter sich

hatten (z. B. Deutschland, Italien und die neuen demokratischen Staaten in Zentral- und

Ost-Europa).26 Diverse Aspekte sind in Betracht zu ziehen, wenn die verschiedenen

Systeme mit und ohne Verfassungsgerichtsbarkeit miteinander vergleichen will. Es gibt

verschiedene historische Hintergründe wie verschiedene Grade des Gerichts über sich

selbst zu bestimmen, die Einbettung in den politischen Kontext, verschiedene Umstände

und wie ein Fall gelegen ist, welche die Gerichte zu beachten haben, um ein möglichst

akzeptables Urteil zu erreichen.

4. Grundrechte

Die Verfassungsvergleichung ist in der Auslegung und Rechtsfortbildung der Grundrechte

besonders wichtig. Der europäische Mindeststandard der Grundrechte ist in der EMRK

normiert und bietet den anderen Ländern Denkanstösse, sobald das nationale

Verfassungsrecht den Mindeststandard erweitert.27

Um einen Überblick über die Rechtsvergleichung und ihre Auswirkungen auf der

Verfassungsebene verschiedener Länder zu verschaffen, werden weiter unten

beispielhaft die französische, türkische und indische Verfassungsgebungen dargestellt.

26 CLAES, S. 192. 27

HALLER, S. 319.

9

E. Rechtsvergleichung in der common law – Familie am Beispiel

vom Richterrecht in Grossbritannien und von Amerika

Das common law sowie das civil law haben ihre Verbreitung durch die Kolonialisation und

Rezeption erlangt.28 Im Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland hat

das common law Eingang gefunden. Das bedeutet, dass das Vereinigte Königreich im

Gegensatz zu Kontinentaleuropa kein kodifiziertes Rechtssystem hat. Zwar kann das

Parlament Gesetze erlassen, doch können diese nicht auf die Stufe einer Verfassung

gesetzt werden. Das common law stellt Richterrecht dar. Es besteht aus Entscheidungen,

welche die Richter in Rechtsstreitigkeiten getroffen haben, sowie dem daraus

entstandenen Gewohnheitsrecht. Die common law – Gruppe wird noch einmal unterteilt in

das common law in Europa (England, Irland) und das common law ausserhalb Europas.

Indien hat es nur teilweise ins eigene Recht rezipiert. Die Gefahr beim “blinden“ Import

besteht, dass das Land sich verwandeln könnte, da Faktoren, wie etwa das soziale Milieu

und Traditionen, nicht beachtet wurden.29

Die strenge Abhängigkeit von den Prozessformalien hatte eine doppelte Gefahr in sich.

Erstens, die Gefahr sich nicht selbständig zu entwickeln, um mit der Entwicklung mithalten

zu können, und zweitens, sich in der Routine der Juristen zu versteifen. Es wird seit dem

19. Jahrhundert versucht, diesen Gefahren entgegen zu wirken, was jedoch aufgrund des

Verhältnisses zwischen der Legislativen und Exekutiven in England schwierig ist. Durch

die zunehmende Wichtigkeit des internationalen Handels, sind gewisse Annäherungen

zwischen den englischen und europäischen Rechtsordnungen zu erkennen.30 Obwohl

England keine Verfassung hat, sind Gesetze vorhanden, die genauso wichtig und

fortgeschritten sind, wie auf dem Kontinent. Diese Gesetze werden jedoch erst richtig

respektiert, wenn sie in Gerichtsentscheidungen angewandt, neu formuliert und entwickelt

werden.31

Am Beispiel von England ist ersichtlich, dass ein Land nicht unbedingt in einer

grundlegenden Umstrukturierungsphase stecken muss, wie nach einem Krieg, sondern

dass auch die Zugehörigkeit zu einer Rechtsfamilie dazu führen kann, die eigene

Rechtsordnung und die nicht vorhandene Verfassung in Frage zu stellen. Dabei spielt

sicher die Wichtigkeit der englischen Wirtschaft eine Rolle, um sich mehr an den

europäischen Länder und ihren Rechtsordnungen zu orientieren. Um mich nicht zu fest

auf das englische Rechtssystem zu versteifen, da es gar keine Verfassung besitzt,

möchte ich im nächsten Abschnitt erklären, wie sich das common law auf die Verfassung

28 Dazu weiter unten. 29 DAVID/SPINOSI, N 18. 30 DAVID/SPINOSI, N 280, 288. 31 DAVID/SPINOSI, N 353.

10

von Amerika einwirkte und inwieweit es einen Nutzen für die amerikanische Verfassung

dargestellt hatte.

1. Common law in den USA

Das common law von England wurde in den USA durch grosse Abwandlungen und

Erneuerungen rezipiert. Dies ist auf die Beziehung der USA zu England zurück zu führen.

Nach der Unabhängigkeit von England entwickelte sich das amerikanische Recht

selbständig weiter. Obwohl diese zwei Länder der gleichen Rechtsfamilie des common

law angehören, bestehen Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen.

Anhand der Rechtsvergleichung auf der Verfassungsebene kann gesehen werden, wie

schnell sich die Vereinigten Nationen von Amerika innert kürzester Zeit weiterentwickelt

hat. Im Gegensatz zu England führten die Gründungsväter am 17. September 1787 eine

Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ein und legte sie zusammen mit der

Erklärung der Menschenrechte, den Bill of Rights, nieder. Bei der Gegenüberstellung der

Bedeutung der Verfassung für die Bevölkerung der USA und von Frankreich, kommt der

historische Hintergrund zum Vorschein. Für die Bevölkerung der USA ist die

Amerikanische Verfassung ein Gründungsakt, welcher ihre Nation erst entstehen lies. Für

die Franzosen bedeutet die Staatsverfassung nicht wirklich viel, da sie sich mit anderen

Symbolen von Frankreich besser identifizieren können, z.B. die Trikolore oder die

Nationalhymne Marseillaise. Aufgrund dieser schnellen Einführung der Verfassung ist zu

sehen, wie wichtig den Amerikaner die klare Trennung von England war.32

2. Rechtsvergleichung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika

Anhand der Interpretationsmethoden und Theorien im Präjudizienrecht des Obersten

Gerichtshof der USA ist zu sehen, wie in einem Land des common law ähnliche

Gesetzesauslegungsarten wie auf Kontinentaleuropa angewandt werden. In Amerika ist,

wie in einzelnen europäischen Länder, die Verfassungsgerichtsbarkeit erlaubt. Das

Verfassungsrecht der USA kristallisiert sich aus den Entscheidungen des Obersten

Gerichtshofes heraus und nicht aus dem Verfassungstext selbst.33

Am Beispiel der USA ist zu sehen, wie mit Hilfe der Rechtsvergleichung auf der Stufe

Verfassungsrecht ein eigenes System, unabhängig von England, entstand. Mit einem Mix

zwischen englischem Vorbild der Rechtsordnung34 und kontinentaleuropäischer

32 DAVID/SPINOSI, N 367. 33 DAVID/SPINOSI, N 406. 34 Gesetzliche Normen finden den Einzug ins amerikanische Rechtssystem erst dann, wenn sie von den Gerichten

ausgelegt und angewendet sind. Erst damit entsteht die Möglichkeit, sich auf Gerichtsentscheidungen, welche die Gesetze anwenden, zu berufen.

11

Verfassungsstruktur35 entstand eine eigene amerikanische Rechtskultur. Mit Hilfe der

Rechtsvergleichung mit England und den europäischen Staaten ist die Beziehung der

Bevölkerung zur amerikanischen Verfassung und somit auch zum Land selbst zu

erkennen. Die Verfassung wird als ein Symbol der Unabhängigkeit von der britischen

Krone angeschaut. Mit den Bill of Rights in der Verfassung legten die Gründungsväter

einen Grundstein für eine anerkannte Verfassung von anderen Staaten oder für die

Verfassungsstruktur der Europäischen Union.

F. Rechtsvergleichung in der social law – Familie am Beispiel

der Verfassung von Russland

Die social law – Familie ist nach dem Fall der kommunistischen Regierungen in Zentral-

und Osteuropa geschrumpft. Sie besteht noch aus Kuba, China, Nord-Korea, Laos und

Vietnam.36

Art. 1 Abs. 1 der Verfassung der Russländischen Föderation vom 12. Dezember 1993

besagt, dass Russland ein föderativer Staat mit republikanischer Regierungsform

darstellt. Art. 17 – 64 enthalten die “Rechte und Freiheiten der Bürger“. Die Verfassung,

welche sich Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegeben hatte, ist

noch bis heute gültig. Die Legislative, bestehend aus Bundesrat37 und Staatsduma38, ist

das Vertretungs- und Gesetzgebungsorgan von Russland.39 Offensichtlich dabei ist, dass

der Gesetzgeber sich bei der Neuordnung des Rechtssystems an Erfahrungen und

Lösungen anderer europäischen Länder orientierte. Durch Rechtsvergleichung musste

der Gesetzgeber Lösungen finden, die den Rechtstraditionen von Russland am ehesten

entsprechen.40

Am Beispiel von Russland ist zu sehen, dass die Verfassungsvergleichung neben der

Erkenntnisgewinnung auch förderliche Denkanstösse für Rechtsreformen geben kann.

Die französische Verfassung der Fünften Republik (seit 1958), die das parlamentarische

mit dem präsidialen System verbindet, beeinflusste die russische Verfassung von 1993

sicherlich auch.41 Zum Beispiel besagt Art. 80 der Verfassung der Russländischen

Föderation, dass der Präsident das Staatsoberhaupt ist. Im Vergleich dazu, ist Art. 5 der

Französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958 zu setzen, wo der Präsident über die

Einhaltung der Verfassung wacht.

35 Z. B. das Prinzip der Verfassungsgerichtsbarkeit. 36

DAS BASU, S. 149 ff. 37 178 Abgeordnete; auch Föderationsrat genannt. 38 450 Abgeordnete. 39 Art. 94 f. der Verfassung der Russländischen Föderation. 40 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 15. 41 HALLER, S. 313.

12

Bei der Entstehung der russischen Verfassung wurde danach gestrebt, die bisherige

Rechtsauffassung zu erneuern, um den Kommunismus endgültig abschütteln zu können

und eine Demokratie und Marktwirtschaft einzuführen. Um den Forderungen der

Bevölkerung ist die Regierung von Russland angehalten den Ruf nach sozialer Sicherheit

gerecht zu werden. Mit der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie in den

meisten europäischen Ländern praktiziert wird, versuchten die Verfassungsgeber das

ehemals kommunistische System in einen funktionierenden modernen Rechtsstaat

umzuwandeln, und so sich der modernen Welt anzupassen. Dadurch kann die

Verfassungsrechtssprechung Prinzipien der Verfassungsrechtssprechung in Europa

übernehmen und in ihre Urteilsbewertung einfliessen lassen.42 Mit der Vergleichung

anderer europäischen Verfassungen, wo allgemeine Rechtsstaats- und

Verwaltungsgarantien vorzufinden sind, konnte sich Russland bei der Verfassungsgebung

daran orientieren.

G. Rechtsvergleichung in der civil law – Familie am Beispiel der

französischen Verfassung

1. Civil law – Familie

Sie hat ihren Ursprung im Recht des alten Roms. Mittlerweile ist die civil law – Familie auf

der ganzen Welt verstreut. Der Vorstoss gelang weit über die Grenzen des alten

römischen Reiches hinaus. Sie findet sich heute in Lateinamerika, in grossen Teilen von

Afrika, in den Ländern des Nahen Ostens sowie Japan und Indonesien. Diese Expansion

war auch ein Resultat der Kolonialisation, welche die Rezeption der Kodifikationen

erleichterte und die Übernahme der römischen Rechte im 19. Jahrhundert ermöglichte.

Auch haben andere Länder, die nicht von der Kolonialisation durch europäische Länder

betroffen waren, freiwillig das römische Recht aufgenommen, da sie sich modernisieren

und ihre Bedürfnisse den europäischen Länder anpassen wollten. Aufgrund der

wirtschaftlichen Zusammenarbeit von heute sind immer noch gesetzgeberische

Bewegungen im Gange.43

42 ARNOLD, S. 27. 43 DAVID/SPINOSI, N 25.

13

2. Französische Verfassung

Die Naturrechtler, welche die Idee nach überpositivem Recht haben und dies aus der

Natur des Menschen heraus begründen, hatten im 17. und 18. Jahrhundert dazu

beigetragen, dass das an den Universitäten gelehrte Recht in positives Recht

umgewandelt wurde. Es erwies sich als hilfreich, andere Innovationen zu beachten, da

dazumal nur das Staatsoberhaupt die Fähigkeit hatte zu sagen, was Recht ist, und es zu

ändern. Die Naturrechtler mussten also überzeugend wirken. Die Verfassung konnte

kaum Erfolg haben, wenn der Verfassungsgeber dem König die Legitimation einschränkt

und gleichzeitig den Bürgern die Rechte abverlangte.44 Um Gemeinsamkeiten des

partikularen Privatrechts (droit commun coutumier) herauszufinden, erwies es sich bei

den Vorarbeiten zum Code Civil (seit 1841 in Kraft) und zum Bürgerlichen Gesetzbuch

von 1900 als erforderlich, die bis dahin entwickelten verschiedenen Rechtsbräuche

(coutumes) zu vergleichen.45 Die Rechtsvergleichung diente in dieser Epoche vor allem

dazu, dass nationale Recht kennen zu lernen und zu verbessern.

Napoléon Bonaparte führte am 21. März 1804 den Code Civil ein. Die französische

Verfassung galt als erste Kodifikation der Welt, die Grundrechte enthielt (z. B. die

bürgerliche Rechtsgleichheit, die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit). Mit der neuen

Verfassung herrschten somit relativ stabile politische Verhältnisse und die “Citoyens“

durften sich frei äussern, ohne als reaktionär zu gelten.46 Frankreich probierte zwischen

1791 und 1814 mehrere unterschiedliche Staatsformen aus, zu welcher jeweils eine neue

Verfassung dazugehörte.47 Die aktuelle Verfassung trat am 4. Oktober 1958 in Kraft und

ist die 15. Verfassung von Frankreich. Die von General de Gaulle injizierte

Verfassungserneuerung stärkte die Exekutive von neuem, da die damalige Legislative

politisch vorherrschend war und dadurch ständige Regierungswechsel Frankreich keine

politische Stabilität gab.48 Die französische Verfassung vom 4. Oktober 1958 wurde in der

Zwischenzeit durch zehn Gesetze geändert und dadurch weiterentwickelt. Z. B. in Art. 6

der französischen Verfassung ist die Amtszeit des Präsidenten, durch das Gesetz vom

24. September 2000, von sieben auf fünf Jahre verkürzt worden.

Anhand der Perfektionsbestrebungen des Rechts von Frankreich ist zu sehen, dass die

Rechtsvergleichung nicht nur der Legislativen diente, sondern auch der Lehre und

Rechtssprechung Türen öffnete. Das französische Gesetz hatte Auswirkungen auf die

Gesetze in Spanien, Portugal und Südamerika. Für Deutschland leistete der Code Civil

44 DAVID/SPINOSI, N 46 ff. 45 DAVID/SPINOSI, N 16, 39, 42. 46 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 97. 47 „1791 Konstitutionelle Monarchie auf Basis der Volkssouveränität, 1793 Radikaldemokratische Republik, 1795

Gemässigte Demokratie, 1799 Konsulatsverfassung mit deutlichen präfaschistischen Zügen, 1802 De-facto-Änderung der Verfassung durch Bestellung Napoléons zum Konsul auf Lebenszeit nach einem Plebiszit, 1894 Empire, ebenfalls auf Basis einer Volksabstimmung, 1814 Konstitutionelle Monarchie mit oktroyierter Verfassung.“ Aufzählung in ADAMOVICH, S. 201.

48 GROTE, S. 41 ff.

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Vorbereitungsarbeit für das Bürgerliche Gesetzbuch.49 Frankreich bietet mit seinen

ständigen Auf und Abs der Regierung, der Staatsformen und Verfassungsversuchen eine

breite Palette an Erfahrungen und erprobten Lösungen, die für die anderen Länder von

Nutzen sein können. Bei der Entwicklung einer neuen Verfassung und dazugehörigen

Verfassungsgrundsätze besteht die Möglichkeit, durch das Studium der französischen

Verfassungsgeschichte, die verschiedenen Züge der französischen Verfassung

einzubeziehen, z. B. die Erklärungen zu den Begriffen “loi“, “nation“ und “peuple“.

3. Rechtsvergleichung in Indien – ein Rechtssystem zwischen Ost und West

Indien erlangte am 15. August 1947 ihre Unabhängigkeit. Ein neues Regierungssystem

wie auch eine neue Verfassung mussten geschaffen werden. Am 26. November 1949 trat

Indien dem Commonwealth of Nations bei. In diesem Bund bleibt Indien unabhängig und

souverän und kann gleichzeitig gemeinsame Ziele mit anderen Nationen verwirklichen

oder sich zu einer politischen Gemeinschaft zusammenschliessen. Die ausgearbeitete

Verfassung von Indien trat am 26. Januar 1950 in Kraft, durch die Indien zur Republik

wurde.

50

a) Verfassungsgebung in Indien

Indien ist gemäss ihrer Verfassung ein Bundesstaat mit parlamentarischer Demokratie.51

Die Gesetzgebungszuständigkeit steht grösstenteils dem Bunde zu. Die indische

Verfassung enthält auch einen Katalog von Grundrechten. Das gerichtliche Verfahren

folgt im Wesentlichen den Regeln des common law.52 Die Verfassungsgeber der

indischen Verfassung von 1949 scheuten sich nicht über die Landesgrenze hinaus zu

suchen. Sie schauten sich das englische Parlamentssystem oder Kabinett, die Bill of

Rights von Amerika und die dazugehörigen Anwendungen in der Praxis an. Da Indien

jedoch das englische Rechtssprechungssystem annahm, mussten die indischen Gerichte

dennoch die Präjudizien der anderen common law – Nationen beachten, obwohl man bei

der Verfassungsgebung vielleicht bewusst von den Präjudizien abgewichen ist oder sie

geändert hat.53 Der Vergleich mit dem Recht der früheren Kolonialherren lässt deutlich

erkennen, dass sie die verschiedenen Sprachen, Rassen, Religionen und Kulturen von

Indien nicht gefährden wollten, und heute ein uniformes Rechtssystem, beruhend auf dem

49 DEUTSCH, S. 205. 50 DAVID/SPINOSI, N 461. 51 Steht in der Präambel der indischen Verfassung geschrieben. 52 ZWEIGERT/KÖTZ, S 223. 53 DAS BASU, S. 13.

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common law, vorherrschend ist. Dieses dient zur Integrationen der Verschiedenheiten und

ist das wichtigste Erbe der früheren Kolonialmacht.54

b) Rechtsvergleichende Überlegungen in der indischen Verfassung

Eine Verfassung von einem Land sollte eigentlich die Kultur und Tradition in einem Land

widerspiegeln. Dies ist bei der indischen Verfassung von 1949 jedoch schwierig, da die

Engländer das Recht vor der Unabhängigkeit Indiens mehrheitlich schon fest bestimmt

hatten und auch noch heute das Recht des common law bei der Entstehung von

Gesetzen beachtet wird.55 Mit Hilfe der Rechtsvergleichung mit anderen Verfassungen,

konnte sich Indien doch noch eine eigene Verfassung geben, ohne sich zu fest an

England zu orientieren. Die Verfassungsgeber übernahmen zwar das britische Modell der

parlamentarischen Demokratie und Kabinettsregierung, jedoch stellte Kanada ein Vorbild

für den Aufbau eines föderalistischen Systems dar und von der irischen Verfassung

rezipierten sie die Leitprinzipien des staatlichen Handelns.56 Mit Hilfe von diesen

verschiedenen Rezeptionen können sich die Betrachter der Indischen Verfassung sich ein

Bild über das Bedürfnis der indischen Regierung und seinem Volk machen. Indem

versucht wird, die Erfahrungen anderer Länder, dem eigenen Land zunutze zu machen

und vergleichende Überlegungen der Lösungen zu veranschaulichen, können jene

Entscheidungen getroffen werden, welche der eigenen Rechtsvorstellung am ehesten

entsprechen.

H. Eine Verfassung für die Europäische Union?

Der Europäische Verfassungskonvent schloss am 10. Juli 2003 seine Arbeit zum Entwurf

eines Vertrages für die Europäische Union ab. Er wollte dabei rechtsstaatliche Elemente

ausbauen und fortführen. Mit der Rechtsstaatlichkeit als Verfassungsprinzip, das

Ermächtigungserfordernis für das Unionshandeln, die Normenhierarchie, welcher auch

der Verfassungsentwurf zugrunde liegt, die Gewaltenteilung, rechtsstaatliche

Handlungsgrundsätze, Einklagbarkeit von Rechten und Transparenz öffentlichen

Handelns wollte er die bisherigen Gewährleistungen fortführen.57 Es wurde versucht, ein

Konzept einer mulit – optionalen Verfassung für die Europäische Union zu verfassen, wo

die Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Grad der Integration selbst

bestimmen können. Um die Akzeptanz der Mitgliedstaaten für die Fortentwicklung der

54 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 224. 55 Art. 372 Abs. 1 der Indischen Verfassung vom 26. Januar 1950 hält dies auch fest. 56 BEIKE JOACHIM/ENGELKE RAINER/SALZ ALEXANDER, Politik in Indien: Die Indische Verfassung, abrufbar unter

<http://www.josephinum-hildesheim.de/seite/index.php?option=com_content&task=view&id=217&Itemid=178> (zuletzt besucht am 5. September 2007).

57 SCHEUING, S. 91 ff.

16

europäischen Verfassung zu gewinnen, braucht es eine Berücksichtigung von

Verfassungsgrundsätzen der Mitgliedstaaten, da eine Verfassungsänderung der

Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf (Art. IV – 7 Abs. 3 VerfE), und damit einzelne

Mitgliedstaaten durch ihre Vetomöglichkeit diese blockieren können. Der Konvent hat

verschiedene nationale Aspekte der Mitgliedstaaten in Betracht zu ziehen. Seien es

Verfassungsbestimmungen und Rechtssprechung der Verfassungsgerichte, Bedingungen

und Folgen der Mitgliedschaft und Verfassungsgrundsätze der Mitgliedstaaten, welche

alle in den Kontext zur EU, EGMR oder in das eigene Recht gesetzt werden müssen.58

Gleichzeitig soll die Fortentwicklung dazu dienen, verfassungsrechtliche Grundprinzipien

(z. B. Frage der Legitimität, die Rechtsstaatlichkeit als Verfassungsprinzip, die föderale

Struktur, Demokratie) in den multikulturellen Staaten von heute für alle klar

aufzuzeigen.59 Es sind unter anderem die Kultur, die Politik, die Lebenseinstellungen und

Mentalitäten der Bevölkerung der Mitgliedstaaten, welche miteinander zu vergleichen

sind, um eine Integration der Europäischen Verfassung zu gewährleisten. Es ist nicht nur

die Angelegenheit der Europäischen Union für ein gemeinsames Recht zu sorgen,

sondern auch Sache der Legislativen in den Nationalstaaten, das Recht durch Abschluss

internationaler Abkommen zu erweitern und in positives Recht umzuwandeln.

1. Gerichte der Europäischen Union – EuGH und EGMR

Zur Aufgabe des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und EGMR gehört es, das

europäische Recht einheitlich auszulegen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe treten

verschiedene Probleme auf. Die Sprachenvielfalt der Mitgliedstaaten führt dazu, dass eine

Auslegung nach dem Wortlaut oft schwierig wird. So müssen der EuGH und EGMR

zusätzliche Auslegungsmethoden verwenden, dabei spielt die Rechtsvergleichung eine

wichtige Rolle. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen den europäischen Gerichten

und nationalen Gerichten. Um Grundprinzipien im Gemeinschaftsrecht entwickeln zu

können, versucht der EuGH und EGMR in den nationalen Verfassungen solche

Grundprinzipien heraus zu kristallisieren, und gleichzeitig können die nationalen Gerichte

und die Verfassungsgerichte, die Interpretationen in das eigene Land übertragen.60

2. Das “Nein“ von Frankreich und Holland

Die europäische Verfassung61 wurde von den Franzosen und Holländern verworfen. In

Holland scheiterte die Europäische Verfassung am sozialen Widerstand, welcher im Land

herrscht. Das Referendum widerspiegelt die soziale Spaltung des Landes wieder. Die

58 CLAES, S. 193. 59 FLEINER, S. 236. 60 CLAES, S. 194. 61 Im Oktober 2004 unterzeichnet.

17

jüngeren Menschen und die Arbeiter lehnten die Verfassung ab und Besserverdienende

befürworteten sie. Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen den herrschenden Kreisen und

den Parteien im Parlament sowie den grossen sozialen Schichten in der Bevölkerung.62

Auch hatte man Angst vor dem Verlust der Souveränitätsrechten und der Osterweiterung.

In Frankreich scheiterte die EU-Verfassung an der Angst, dass die soziale Sicherheit

abnimmt und eine Flut von neuen Gesetzen auf Frankreich zukommt. Der Aufbruch von

einem modernen Staatenkonzept mit Verfassung, als das dominierende

Rechtsinstrument, zu supranationalem und multikulturellem Recht, wo die Nationalstaaten

in einen pluralistischen Rechtsprozess integriert werden, zwingt dazu, das politisch

entstandene System zusammen mit den historischen und kulturellen Strukturen in Raum

und Zeit zu sehen und zu studieren.63

3. Freiheitsrechte in der Europäischen Union

Das materielle Recht des Freiheitsschutzes wurde im Vergleich zu nationalen

Verfassungen erheblich erweitert und ausgebaut und die Grundfreiheiten (z.B.

Warenverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit) durch die Rechtssprechung des EuGH

erheblich weiterentwickelt. Noch bevor der Vertrag von Rom am 4. November 1950, die

EMRK, abgeschlossen wurde, nahm der Europäische Gerichtshof nationale

Verfassungsprinzipen als Quelle für die Formulierung von Grundprinzipien der Union. Mit

der Zeit hat der EuGH die Freiheitssicherung bei den klassischen Bürger- und

Menschenrechte durch seine Rechtssprechung einen entsprechenden Rechtsschutz

weiterentwickelt. Er beachtete vor allem den gemeinsamen Kernbestand der Bürger- und

Menschenrechte in den Verfassungen und Rechtssprechungen der einzelnen

Mitgliedstaaten, um ein gemeinsames Verständnis der europäischen Staaten für die

Grundprinzipien der Europäischen Union herauszuarbeiten. Aufgrund der ständig sich

weiterentwickelten Rechtssprechung des Gerichtshofes können die einzelnen

europäischen Länder Rückschlüsse auf ihr eigenes Verfassungsrecht und ihre

Rechtssprechung ziehen. So ist es auch möglich, die Auslegung der Verfassung besser

zu kennen und weiter zu entwickeln.64

Alle diese Verfassungsbeispiele lassen erkennen, dass verschiedene Völker und ihre

Verfassungen in unterschiedlichen Etappen der sozialen Entwicklung sind und

Rechtsvergleichung mit anderen Verfassungskodifikationen eine wichtige Rolle bei der

Ermittlung und ständigen Weiterentwicklung der eigenen Verfassung spielt.

62 VICTOR JÖRG/KREICKENBAUM MARTIN, Niederlande: EU-Verfassung scheitert an sozialem Widerstand, 4. Juni 2005, abrufbar unter <http://www.wsws.org/de/2005/jun2005/holl-j04.shtml> (zuletzt besucht am 4. September 2007).

63 KJELL Å MODÉER, Mixed Legal Systems and Coloniality, Parts of the Construct of a Global Legal Culture, 7. September 2006, S. 5, abrufbar unter <http://ivr2003.net/idc/literature/kam_01.pdf> (zuletzt besucht am 2. September).

64 BIEBER, S. 17 ff.

18

4. Freiheitsrechte in der Schweiz

Die Schweiz besitzt aufgrund historisch bedingter Sonderstellung in Europa Skepsis

gegenüber der Rechtsvergleichung in Verfassungsfragen.65 Das “Nein“ zum EU-Beitritt

verdeutlichte diese Skepsis der schweizerischen Stimmbürgerschaft nochmals. Die

Ratifikation der EMRK 1974 bewirkte in der Schweiz einen Anschluss an die europäische

Rechtsentwicklung in Grundrechtsfragen. Diese völkerrechtliche Kodifikation bedarf keiner

Verwandlung und Umsetzung ins Landesrecht. Dieses System des Monismus, dem auch

die USA und Frankreich folgen, ist in Art. 5 Abs. 4, Art. 166 Abs. 1 i. V. m. Art. 163 Abs. 2,

Art. 189 Abs. 1 lit. b BV, niedergelegt.66 Die Rechtsanwendung durch das Bundesgericht

muss demzufolge der völkerrechtskonformen Auslegung der Gesetze beachten und kann

sich dadurch an der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

orientieren. Anhand von diesem Beispiel der Schweiz ist zu erkennen, dass auch ein

Land, welches eine jüngere Verfassung besitzt, politisch stabil und die wirtschaftlich –

gesellschaftliche Wohlfahrt eher hoch ist, eine Verschmelzung von Verfassungsrecht mit

ausländischem Recht nicht aus dem Weg gehen kann.67

I. Fazit

Die Erkenntnis der verschiedenen Lösungen und Einbettung in einen sozio – kulturellen

Kontext steht neben anderen Funktionen der Verfassungsvergleichung an primärer Stelle.

Durch rechtsvergleichende Forschung und die dazu auf internationaler Ebene geführten

Gespräche führen zum Abbau nationaler Vorurteile verschiedener sozialer und kultureller

Institutionen unserer Welt und einer Verbesserung des internationalen Sichverstehens.

Wie am Beispiel von Frankreich und seinen Rechtsreformen gezeigt wurde, besteht ein

Bedürfnis rechtsvergleichende Forschung zu betreiben. Diese kann auch für

Entwicklungsländer als Vorbild dienen, um soziale Konflikte, die tief in der Kultur verankert

sind, zu verhindern und zu lösen. Die Kritik an der nationalen Rechtsordnung kann durch

rechtsvergleichende Forschung minimiert werden und dabei zur Anpassung an

internationale Regeln und Standards beitragen.

Bei der Verfassungsvergleichung treten Ecken und Kanten der eigenen Verfassung klarer

hervor, was den kritischen Blick gegenüber der Verfassung verschärft und eine bessere

Analyse verschiedener Lösungsmodelle gewährleistet.68

65 Die Skepsis gegenüber der EU wurde durch das “Nein“ zum EU – Beitritt am 4. März 2001 verdeutlicht. Dieses Ereignis führte dazu, dass die Schweiz die bilateralen Verhandlungen mit der EU verstärkt hat und die Bilateralen I und II ins Leben gerufen wurden.

66 PETERS/PAGOTTO, S. 55. 67 HANGARTNER, S. 139. 68 HALLER, S. 312.

19

In der Schweiz wurde 1982 das Institut für Rechtsvergleichung in Lausanne eröffnet.

Diese selbständige Anstalt des Bundes besteht aus selbständigen Juristen und

Bibliothekaren aus der ganzen Welt und ist das Zentrum für Rechtsberatung bezüglich

nationaler Rechte, internationalem Privat- und Völkerrecht, sowie Europarecht. Das

Institut bringt auch regelmässig Rechtsgutachten und rechtsvergleichende Studien

heraus. Mithilfe dieses Instituts soll erreicht werden, dass unsere nationalen Juristen,

Gerichte, Verwaltungsorgane, internationalen Organisationen, wie auch Privatpersonen,

ihren eigenen Horizont über die nationale Grenze hinaus erweitern und einen Einblick in

die gesellschaftliche Funktion des Rechts von anderen Staaten erlangen können. Wir

müssen auch erkennen, dass auch wir selber durch neue Rechtsgestaltungen der

Verfassungen anderer Nationen selbst betroffen sind.

Freiburg i. Ue. 10.09.2007

Jessica Loh