Wozu eine »Rote Liste bedrohter...

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18 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 155 • IV/2016 KULTURPOLITIK AKTUELL S eit 2012 präsentiert der Deutsche Kul- turrat Kultureinrichtungen, -vereine und -programme, die als bedroht gel- ten. Dabei bedient er sich der Analogie mit sogenannten Roten Listen gefährdeter Tier- und Pflanzenfamilien. Jüngst hat er die 26. Liste veröffentlicht; die Listen werden ein Jahr lang administriert, das heißt, der jewei- lige Gefährdungsstatus wird in dieser Zeit überprüft und aktualisiert. Unterschieden werden fünf Kategorien von 0 = geschlos- sen bis 4 = Gefährdung aufgehoben. Die Absicht dieses Unterfangens erklärt der Deutsche Kulturrat selbst so: »Oft wird die Bedeutung einer kulturellen Einrichtung den Nutzern erst durch deren Bedrohung deut- lich. Diesen Bewusstseinsprozess gilt es anzuregen.« 1 Das affirmative Narrativ So weit, so verständlich das Anliegen, hinter dem sich allerdings das Verständnis zu ver- bergen scheint, dass jedes Kulturangebot für alle Zeiten ein Gewinn und etwas Unver- zichtbares sei. Veränderung wird pauschal als Verlust gedacht und angeprangert, die Wiederherstellung des Ursprungszustands soll erreicht werden – in der Regel die aus- kömmliche Finanzierung oder Betreibung. Menschliches Fehlverhalten bedroht also nicht nur Flora und Fauna oder gefährdet Antragswerkstatt »Sind wir auf dem richtigen Weg? Für Antragsteller des EU-Programms ›Europa für Bürgerinnen und Bürger‹« 24. Januar 2017, 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr, Kulturförderpunkt Berlin, Podewil, Klosterstr. 68, 10179 Berlin Das Bürgerschaftsprogramm unterstützt Aktivitäten im Rahmen kommunaler Partnerschaften sowie Vorhaben von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich europäischen Fragestellungen widmen. Das Seminar »Sind wir auf dem richtigen Weg?« richtet sich an Projektverantwortliche aus Organisati- onen, Kommunen und Einrichtungen, die einen Antrag zur Einreichfrist am 1.3.2017 bearbeiten. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass der Antragsteller über eine PIC verfügt und eine Projektskizze mit der Anmeldung zur Veranstaltung einreicht. Schwerpunkt des Seminars sind zentrale Aspekte der Projektkonzeption, die in dem Antrag überzeugend dargestellt werden müssen. Darüber hinaus bleibt viel Freiraum für offene Fragen. Weitere Informationen: www.kontaktstelle-efbb.de/infos-service/veranstaltungen Biotope, deren Eigenwert unzweifelhaft auch jenseits einer Bedeutung für den Menschen besteht, sondern offenbar auch unsere kultu- relle Infrastruktur. Dieser Gestus scheint nicht nur ausgesprochen platt und alarmistisch, er blendet zudem den gesamten Kontext der gelisteten Kulturangebote aus. Diese haben keinen Selbstzweck, sondern sie werden von Menschen für Menschen gemacht und müs- sen sich diskursiv durchsetzen (anders gela- gert hingegen die verfassungsgemäße Frei- heit der Kunst oder der Selbstzweck des Schö- nen in der Autonomieästhetik, mit denen man dies nicht verwechseln darf). Natürlich gibt es auch Einrichtungen, die unverzichtbar und besonders geschützt sind oder den überzeitli- chen Auftrag des Sammelns in Museen, aber diese Statusbestimmungen kann man nicht auf jedes Angebot erweitern oder als Verbot institutioneller Entscheidungen benutzen. Kulturpolitik kann nur transformativ funkti- onieren, indem sie nicht nur Bestehendes um jeden Preis schützt, sondern auch umbaut, neu Entstehendes fördert, alternative Zugän- ge schafft und die Angebotskulisse vor Ort im Ganzen in den Blick nimmt. Und hier kann es auch sinnvoll sein, Angebote einzu- stellen, gleichwohl das Schließen einer Kul- tureinrichtung noch immer oft als Sakrileg verstanden wird und politisch schwer durch- haltbar ist. Zumindest aber verlangt die »Ge- fährdungsklage« den Blick auf das Umfeld des gelisteten Falles, doch der bleibt kom- plett aus. Erst eine Abwägung von Entschei- dungen und das Aufzeigen unterschiedlicher Perspektiven lassen erkennen, ob kulturpoli- tisch angemessen agiert wurde. Lediglich Gefährdung auf dürftiger Datenbasis anzu- zeigen, bleibt eine bisweilen anmaßende Geste. Status der Roten Liste – wer prüft, wer entscheidet? Was zudem nicht hinreichend bekannt ist und in der Maschinerie des Lobbyismus für Kultur verschwiegen wird: Die Rote Liste wird durch die Gremien des Deutschen Kul- turrats weder behandelt noch bestätigt. Sie entsteht gleichsam urwüchsig durch Meldun- gen all jener, die einen Verlust zu beklagen haben oder diesen fürchten. Der Zufall gene- riert eine Momentaufnahme und die Verstär- kung entsprechender Ansichten. Das kann im Falle eines Kulturvereins, der um seine öffentliche Förderung bangt, hilfreich sein, da er große Aufmerksamkeit erlangt und so stärker für seine Arbeit mobilisieren kann. Der Zuwendungsgeber, der nicht gehört wur- de, sieht das sicher anders, vor allem wenn sich hinter seiner Entscheidung objektive Gründe verbergen, die mitdiskutiert werden müssten. Oder der Rechtsträger eines Muse- ums, der seine kulturpolitische Entscheidung ungefragt auf der Roten Liste wiederfindet und sich mit fehlerhaften oder tendenziösen Argumenten konfrontiert sieht. Jede/r kann eine Kultureinrichtung, ein Kulturangebot melden, das gefährdet ist (was immer das im Einzelfall auch heißen mag); die Prüfung erfolgt ohne feste Kriterien und ohne zwin- gende Anhörung des Rechtsträgers durch die Redaktion der Zeitschrift »Politik & Kultur«. Dennoch entsteht der Eindruck – und so ver- läuft die gesamte Kampagne –, es handle sich um ein offizielles und valides Dokument des Deutschen Kulturrats, das etwas über die Entwicklung der kulturellen Substanz in Deutschland aussagt. Die Presse vor Ort un- terscheidet keinesfalls zwischen Kulturrat und Redaktion einer Zeitschrift, sie zitiert die Autorität aus Berlin. Anders die Rote Liste für Pflanzen und Tiere, wo Expertengruppen streng wissen- schaftlich alle zugänglichen Daten auswer- ten, um letztlich eine Aussage über den Sta- tus der Biodiversität zu erlangen, also eine Wozu eine »Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen«? Tobias J. Knoblich

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Page 1: Wozu eine »Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen«?kupoge.de/kumi/pdf/kumi155/kumi155_18-19.pdf · Paul Veyne hat ihm ein nachdenkliches Buch gewidmet, das Entste-hung und Wert

18 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 155 • IV/2016

KULTURPOLITIK AKTUELL

Seit 2012 präsentiert der Deutsche Kul-turrat Kultureinrichtungen, -vereineund -programme, die als bedroht gel-

ten. Dabei bedient er sich der Analogie mitsogenannten Roten Listen gefährdeter Tier-und Pflanzenfamilien. Jüngst hat er die 26.Liste veröffentlicht; die Listen werden einJahr lang administriert, das heißt, der jewei-lige Gefährdungsstatus wird in dieser Zeitüberprüft und aktualisiert. Unterschiedenwerden fünf Kategorien von 0 = geschlos-sen bis 4 = Gefährdung aufgehoben. DieAbsicht dieses Unterfangens erklärt derDeutsche Kulturrat selbst so: »Oft wird dieBedeutung einer kulturellen Einrichtung denNutzern erst durch deren Bedrohung deut-lich. Diesen Bewusstseinsprozess gilt esanzuregen.«1

Das affirmative NarrativSo weit, so verständlich das Anliegen, hinterdem sich allerdings das Verständnis zu ver-bergen scheint, dass jedes Kulturangebot füralle Zeiten ein Gewinn und etwas Unver-zichtbares sei. Veränderung wird pauschalals Verlust gedacht und angeprangert, dieWiederherstellung des Ursprungszustandssoll erreicht werden – in der Regel die aus-kömmliche Finanzierung oder Betreibung.Menschliches Fehlverhalten bedroht alsonicht nur Flora und Fauna oder gefährdet

Antragswerkstatt »Sind wir auf dem richtigen Weg? Für Antragstellerdes EU-Programms ›Europa für Bürgerinnen und Bürger‹«

24. Januar 2017, 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr, Kulturförderpunkt Berlin, Podewil, Klosterstr. 68, 10179 Berlin

Das Bürgerschaftsprogramm unterstützt Aktivitäten im Rahmen kommunaler Partnerschaften sowie

Vorhaben von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich europäischen Fragestellungen widmen.

Das Seminar »Sind wir auf dem richtigen Weg?« richtet sich an Projektverantwortliche aus Organisati-

onen, Kommunen und Einrichtungen, die einen Antrag zur Einreichfrist am 1.3.2017 bearbeiten.

Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass der Antragsteller über eine PIC verfügt und eine Projektskizze

mit der Anmeldung zur Veranstaltung einreicht. Schwerpunkt des Seminars sind zentrale Aspekte der

Projektkonzeption, die in dem Antrag überzeugend dargestellt werden müssen. Darüber hinaus bleibt

viel Freiraum für offene Fragen.

Weitere Informationen: www.kontaktstelle-efbb.de/infos-service/veranstaltungen

Biotope, deren Eigenwert unzweifelhaft auchjenseits einer Bedeutung für den Menschenbesteht, sondern offenbar auch unsere kultu-relle Infrastruktur. Dieser Gestus scheint nichtnur ausgesprochen platt und alarmistisch, erblendet zudem den gesamten Kontext dergelisteten Kulturangebote aus. Diese habenkeinen Selbstzweck, sondern sie werden vonMenschen für Menschen gemacht und müs-sen sich diskursiv durchsetzen (anders gela-gert hingegen die verfassungsgemäße Frei-heit der Kunst oder der Selbstzweck des Schö-nen in der Autonomieästhetik, mit denen mandies nicht verwechseln darf). Natürlich gibtes auch Einrichtungen, die unverzichtbar undbesonders geschützt sind oder den überzeitli-chen Auftrag des Sammelns in Museen, aberdiese Statusbestimmungen kann man nichtauf jedes Angebot erweitern oder als Verbotinstitutioneller Entscheidungen benutzen.Kulturpolitik kann nur transformativ funkti-onieren, indem sie nicht nur Bestehendes umjeden Preis schützt, sondern auch umbaut,neu Entstehendes fördert, alternative Zugän-ge schafft und die Angebotskulisse vor Ortim Ganzen in den Blick nimmt. Und hierkann es auch sinnvoll sein, Angebote einzu-stellen, gleichwohl das Schließen einer Kul-tureinrichtung noch immer oft als Sakrilegverstanden wird und politisch schwer durch-haltbar ist. Zumindest aber verlangt die »Ge-

fährdungsklage« den Blick auf das Umfelddes gelisteten Falles, doch der bleibt kom-plett aus. Erst eine Abwägung von Entschei-dungen und das Aufzeigen unterschiedlicherPerspektiven lassen erkennen, ob kulturpoli-tisch angemessen agiert wurde. LediglichGefährdung auf dürftiger Datenbasis anzu-zeigen, bleibt eine bisweilen anmaßendeGeste.

Status der Roten Liste – wer prüft, werentscheidet?Was zudem nicht hinreichend bekannt istund in der Maschinerie des Lobbyismus fürKultur verschwiegen wird: Die Rote Listewird durch die Gremien des Deutschen Kul-turrats weder behandelt noch bestätigt. Sieentsteht gleichsam urwüchsig durch Meldun-gen all jener, die einen Verlust zu beklagenhaben oder diesen fürchten. Der Zufall gene-riert eine Momentaufnahme und die Verstär-kung entsprechender Ansichten. Das kannim Falle eines Kulturvereins, der um seineöffentliche Förderung bangt, hilfreich sein,da er große Aufmerksamkeit erlangt und sostärker für seine Arbeit mobilisieren kann.Der Zuwendungsgeber, der nicht gehört wur-de, sieht das sicher anders, vor allem wennsich hinter seiner Entscheidung objektiveGründe verbergen, die mitdiskutiert werdenmüssten. Oder der Rechtsträger eines Muse-ums, der seine kulturpolitische Entscheidungungefragt auf der Roten Liste wiederfindetund sich mit fehlerhaften oder tendenziösenArgumenten konfrontiert sieht. Jede/r kanneine Kultureinrichtung, ein Kulturangebotmelden, das gefährdet ist (was immer das imEinzelfall auch heißen mag); die Prüfungerfolgt ohne feste Kriterien und ohne zwin-gende Anhörung des Rechtsträgers durch dieRedaktion der Zeitschrift »Politik & Kultur«.Dennoch entsteht der Eindruck – und so ver-läuft die gesamte Kampagne –, es handle sichum ein offizielles und valides Dokument desDeutschen Kulturrats, das etwas über dieEntwicklung der kulturellen Substanz inDeutschland aussagt. Die Presse vor Ort un-terscheidet keinesfalls zwischen Kulturrat undRedaktion einer Zeitschrift, sie zitiert dieAutorität aus Berlin.

Anders die Rote Liste für Pflanzen undTiere, wo Expertengruppen streng wissen-schaftlich alle zugänglichen Daten auswer-ten, um letztlich eine Aussage über den Sta-tus der Biodiversität zu erlangen, also eine

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Tobias J. Knoblich

Page 2: Wozu eine »Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen«?kupoge.de/kumi/pdf/kumi155/kumi155_18-19.pdf · Paul Veyne hat ihm ein nachdenkliches Buch gewidmet, das Entste-hung und Wert

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systemische Aussage, die es kulturpolitischnicht minder braucht.

Das zynische NarrativNicht nur bezogen auf Tier- und Pflanzenfa-milien mutet die Analogie der Roten Listeanmaßend an, sondern auch verglichen mitden tatsächlich notwendigen und ernsthaftenRoten Listen des Kulturgutschutzes, wie sieetwa für Syrien oder den Irak vorliegen. Die-se enthalten im Übrigen keine Auflistungeinzelner Einrichtungen oder Kunstgüter,sondern versuchen über Kategorien und Bei-spiele auf den Handel mit Raubkunst auf-merksam zu machen und zum Erkennen vonwertvollem, für den Handel nicht bestimm-tem Kulturgut beizutragen. Hier geht es –anders als bei der möglichen Schließung etwaeines Museums in Deutschland – tatsächlichum eine Bedrohung des kulturellen Gedächt-nisses und der Identität ganzer Regionen, dieGefährdung von Kultur durch massives Fehl-verhalten von Menschen, die haßerfüllte Feld-züge gegen kulturelle Systeme unternehmen.Anbetrachts dieser Gefährdungslage, für dieparadigmatisch der Fall des UNESCO-Welt-erbes Palmyra gelten kann, das durch dieTerrororganisation IS zerstört worden ist,erscheint die Listung des Kulturrats geradezuzynisch. Der Fall des ermordeten Archäolo-gen Khaled al-Asaad, der die Altertümer vonPalmyra verwaltet und jahrelang erforschthatte, rief weltweit Erschütterung hervor; erhatte sich noch unter der Folter geweigert,die von ihm in Sicherheit gebrachten Kunst-werke herauszugeben, die die Terroristen zuverkaufen trachteten. Paul Veyne hat ihm einnachdenkliches Buch gewidmet, das Entste-hung und Wert dieses Kulturerbes verdeut-licht.2 Deutschland verfügt über eine reicheKulturlandschaft, bei deren Veränderung sichein Vergleich mit weltweiten Gefährdungs-lagen, die auch in Roten Listen zum Aus-druck kommen, geradezu verbietet. Der Bundhat mit dem neuen Kulturgutschutzgesetzeinen wichtigen Beitrag geleistet, den Han-del mit Raubkunst besser verhindern oderverfolgen zu können. Auch dahinter verbirgtsich eine verbreiterte Expertise. Analogienhaben ihre Grenzen, ihre Überschreitung mussvermieden werden.

Cui bono?Warum aber arbeitet der Deutsche Kulturrat– oder genauer: die Herausgeber der Zeit-schrift »Politik & Kultur« – mit dieser RotenListe? Warum blieb sie bisher kaum kriti-siert? Der Aufschrei bei jeder Form tatsäch-lichen oder vermeintlichen Kulturabbaus istdas stärkste Instrument des Lobbyismus. Eswird von allen verstanden – auch von jenen,die als »kulturfern« gelten, aber aufgrundvon Parallelen aus ihrem Alltag die Malaisenachempfinden können – und von den Medi-

en in seiner Undifferenziertheit unmittelbaraufgegriffen und verstärkt. Dadurch steigertsich vor allem der Wert der Sendeinstanz: Daist jemand, der für die Kultur kämpft und denFinger in die Wunde legt. Zugleich wird ohnenähere Begründung der Wert der bedrohtenKultureinrichtung oder des Angebots gestei-gert, denn es entsteht der intendierte Ein-druck, man verliere durch Nachlässigkeit et-was Einmaliges – was sicher auch zutreffen,aber isoliert, plakativ und pauschal betrach-tet wiederum kulturpolitisch falsch sein kann.

Im Deutschen Kulturrat als Spitzenver-band der zahlreichen Bundeskulturverbändeversammeln sich jene, die für das Setting anEinrichtungen und Organisationen kämpfen.Ihr Kernauftrag besteht in der Existenzsiche-rung, letztlich der Interessenvertretung ihrerMitglieder. Die Grauzone, die sich durch dierein redaktionelle Speisung der Liste ergibt,schützt Sprecherrat oder Mitgliederversamm-lung des Kulturrats vor unangenehmen Fra-gen und Debatten; ja, eine Verhandlung übereine Rote Liste anhand von Fakten, Belegenoder Einsprüchen wäre in den Gremien garnicht durchführbar. Es kann die Rote Listenur geben, weil sie an den Gremien vorbei alslobbyistischer Impuls gewissermaßen wildwachsen kann und den Kulturrat als Wis-sensinstanz und Gewissen der deutschenKultur stabilisiert. Aber die Öffentlichkeitwird damit auch getäuscht, die starke Analo-gie ist unangemessen. Es darf und soll gernein Format geben, das vor Kulturabbau warnt,aber es muss anders benannt sein und solltenicht den Eindruck einer offiziellen Kultur-ratsliste erwecken. Und es muss eine zeitge-mäße kulturpolitische Haltung einnehmen,gerade weil wir in Zeiten des Umbaus unse-rer Gesellschaft leben und das pure Festhal-ten am Bestehenden kaum helfen wird. DieGeste also ist falsch, sie kann ernsthaftesGestalten vor Ort sogar behindern, weil sieDebatten verkleistert. Das heißt nicht, dassman für den Fortbestand bestimmter Einrich-tungen nicht kämpfen soll, aber differenzier-ter, glaubwürdiger.

Kritisiert wird das Format kaum, weil esauch die Wärme einer Gemeinschaft ver-strömt, die das Gute will (rot ist auch dasFeuer, das wir symbolisch für die Kulturschüren). Und das Gute hat Kontinuität undsoll immer größer werden und nichts an Glanzund Bedeutung einbüßen. Idealität und Rea-lität erfolgreich zu vermitteln, bleibt wohldie größte kulturpolitische Aufgabe.Vielleicht versuchen wir es kontrastiv einmalmit einer Grünen Liste der Neugründungenkultureller Einrichtungen?

1 www.kulturrat.de/thema/rote-liste-kultur (Zu-griff vom 15.10.2016)

2 Vgl. Paul Veyne: Palmyra. Requiem für eineStadt, München 2016

++ In Kürze ++ In Kürze ++ In Kürze

Nach der Wahl in Berlin ist die ersterot-rot-grüne Landesregierung unterFührung der SPD und des bisherigenRegierenden Oberbürgermeisters vonBerlin, Michael Müller (SPD) im Amt.92 der 160 Abgeordnetensitze entfallenauf Rot-Rot-Grün. Müller übernimmtzusätzlich das Amt des Wissenschafts-senators, Kultursenator wird KlausLederer, Landesparteichef der Linken.Damit hat Berlin wieder einen eigen-ständigen Kultursenator.

Der Haushaltsausschuss des DeutschenBundestages hat die Realisierung derweltweit größten Sammlung für Compu-ter- und Videospiele beschlossen unddafür Mittel ab 2017 zur Verfügunggestellt. »Die Computerspielesammlungwird mit ihrem weltweit einzigartigenBestand und der Expertise seinerInitiatoren zu einem internationalbeachteten Leuchtturm für das Kultur-gut Computerspiele werden. Der Deut-sche Bundestag unterstreicht mitseiner Unterstützung die große Bedeu-tung der Bewahrung dieses kulturellenErbes auch mit Blick auf den Wissen-schafts- und WirtschaftsstandortDeutschland. Die Räume der Alten Münzein Berlin wären für eine solcheSammlung beispielsweise ein wunderba-rer Standort«, so die zuständigenBerichterstatter Johannes Kahrs (SPD)und Rüdiger Kruse (CDU).Durch die Zusammenlegung der Beständedes Computerspielemuseums, der Unter-haltungssoftware Selbstkontrolle (USK)und der Computerspielesammlungen desZentrums für Computerspielforschungder Universität Potsdam (DIGAREC) undder Zentral- und LandesbibliothekBerlin soll nun in zwei Stufen dieweltweit umfangreichste und bedeu-tendste Sammlung mit mehr als 50.000Computer- und Videospielen entstehen.In der ersten Phase soll 2017 einegemeinsame digitale Datenbank geschaf-fen und öffentlich zur Verfügunggestellt werden. Danach sollen ineiner zweiten Phase die Sammlungen aneinem Standort auch physisch zusammen-geführt und zur öffentlichen Nutzungfreigegeben werden. Die StiftungDigitale Spielekultur organisiert undkoordiniert das Projekt.Mit der Internationalen Computerspie-lesammlung wird eine Institution insLeben gerufen, die auch die künftigenEntwicklungen des Mediums bewahrendbegleitet. Grundlage der Sammlungs-und Bewahrungstätigkeit ist einLeitbild, welches im Rahmen einer vomMedienboard Berlin-Brandenburg geför-derten Machbarkeitsstudie erarbeitetwurde. Ein wichtiger Gesichtspunkt wardabei die Definition des Sammlungsge-genstands und seine Abgrenzung zuanderen medialen Phänomenen. DieSammlung bietet die Möglichkeit, diebeachtlichen Computerspielebeständeder Projektpartner unter einem Dachzusammenzuführen und vorhandenesFachwissen für deren Erschließung undErhalt zu verbinden.