wpc 14 -...

18
SHAKESPEARE ‘DER KAUFMANN VON VENEDIG’ – GELD, GEGENWERTE, GESCHÄFTSTÜCHTIGKEIT UND KULTUR – WARUM SHAKESPEARE, WARUM DEN ‘KAUFMANN VON VENEDIG’ LESEN, HEUTE, WENN EINEM DIE WIRTSCHAFTLICHEN PROBLEME UM DIE OHREN FLIEGEN UND JEDE PROBLEMLÖSUNG NUR NEUE ERFORDERLICH MACHT UND DIESES TAGTÄGLICHE GESCHÄFT BEREITS WISSENSCHAFTLICH HOCH KOMPETENT BEGLEITET WIRD? 14. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 19. 09. 2007 IN MÜNCHEN wpc 14

Transcript of wpc 14 -...

Page 1: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

SHAKESPEARE ‘DER KAUFMANN VON VENEDIG’ – GELD, GEGENWERTE, GESCHÄFTSTÜCHTIGKEIT UNDKULTUR – WARUM SHAKESPEARE, WARUM DEN ‘KAUFMANN VON VENEDIG’ LESEN, HEUTE, WENNEINEM DIE WIRTSCHAFTLICHEN PROBLEME UM DIE OHREN FLIEGEN UND JEDE PROBLEMLÖSUNG NURNEUE ERFORDERLICH MACHT UND DIESES TAGTÄGLICHE GESCHÄFT BEREITS WISSENSCHAFTLICH HOCH KOMPETENT BEGLEITET WIRD?

14. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUBDES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNGAM 19. 09. 2007 IN MÜNCHEN

wpc 14

Page 2: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Einladung Die moderne Wissenschaft ist nicht die erste Kunst, dieauf den Begriff zu bringen versucht, was wirtschaftlichist, am besten funktioniert und für alle den größten Er-trag bringt. Zuvor bereiteten andere, Theologen, Philoso-phen und nicht zuletzt die Dichter das Terrain vor. Dabeiist eine Menge Wissen zusammengekommen, was unge-brochen aktuell ist. Besonders Shakespeare ist ein uner-schöpflicher Ratgeber für Führungskultur und vielesmehr, was Menschen umtreibt, um zur Erfüllung ihrerWünsche zu kommen.

Im ‚Kaufmann von Venedig‘ konstruiert Shakespeareeinen Gegensatz zwischen zwei Prinzipien der Kredit-wirtschaft. Auf der einen Seite steht Antonio, der Kauf-mann von Venedig, der seinen Freunden freigebig Kreditgewährt, sich darum willen sogar selbst zu verschuldenwillens ist und bereit, für diesen Kredit überdies mit sei-nem Leben zu bürgen. Auf der anderen Seite steht Shy-lock, ein Jude, der ohne weiteres als Repräsentant desmodernen Kreditwesens gelten kann, der nur gegen Zin-sen, dafür im Prinzip aber in jeden investiert, der nur an-nähernd genügend Investitionssicherheit bietet. Gleichden heutigen ‚Heuschrecken‘ ist er wenig wohlgelitten, erwird verachtet, erniedrigt, beleidigt und von echter Parti-zipation ausgeschlossen. Angesichts dessen will er alsEntschädigung vom edlen Christen Antonio von dessenFleische ein Pfund, falls er die gesetzte Tilgungsfrist nichteinhalten kann. – Eine Parallelgeschichte, die schlußend-lich in drei Eheschließungen endet, zeigt weitere Typendes homo oeconomicus am Werke.

Der Münchner Komponist und Hörfunkautor Axel Nitz,ein ausgewiesener Kenner des Shakespeareschen Den-kens, wird in seinem Einführungsreferat Einblicke in dieHintergründe dieser ökonomischen Verwicklungen ge-ben. – Shakespeares ‚Kaufmann von Venedig‘ ist eine Ko-mödie, die Sache geht also gut aus, jeder bekommt dasSeine und mehr, als er sich zu erträumen wagte. Doch,wie so oft, liegen Tausch und Täuschung, Verrat und Laut-erkeit nahe beieinander. Shakespeares ‚Kaufmann vonVenedig‘ bietet guten Stoff, wiederzuerkennen und zuklären, was auch das moderne Geschäftsleben bestimmtund manch einem zum Drama werden läßt.

Auch dieses Mal bemühen wir nicht die Moral, sondernandere Werte wie Erkenntnis, gute Gedanken und Le-bensweisheit, um zu ermitteln, worauf es ankommt, da-mit sich die Investitionen lohnen, Schulden nicht verge-bens sind und die moderne Geld- und Kreditwirtschaft zuwünschenswerten Zielen und gutes Geld zu guten Ge-genwerten finden.

Page 3: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Shakespeare ‘Der Kaufmann von Venedig’– Geld, Gegenwerte, Geschäftstüchtigkeit und Kultur

Wir danken der GlaxoSmithKline GmbH & Co.KG für dieGastgeberschaft und die freundliche Unterstützung des WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHEN CLUBs

Wolf Dieter Enkelmann“Gewinn ist Segen, wenn man ihn nicht stiehlt” – Resumee eines Diskurses zwischen Unternehmern,Managern, einem Banker, Künstlern, Wissenschaftlernund Philosophen über Shakespeares ‘Kaufmann vonVenedig

Stefan ZacherDer Kaufmann von Venedig in volkswirtschaftlichenOhren

Axel NitzShakespeare ‘Der Kaufmann von Venedig’– Geld, Gegenwerte, Geschäftstüchtigkeit und Kultur

Referat:Axel Nitz, Komponist und AutorModeration:Dr. Wolf D. Enkelmann, Institut für Wirtschaftsgestaltung

Bettina Brennecke, GlaxoSmithKline GmbH & Co. KGProf. Dr. Wolfgang Meister, profmeister.de Dr. Rüdiger Hauffe,ehem. SmithKlineBeecham GmbH & Co. KGDr. Ernst Schöttle, ehem. Schering GmbHKarin Halbritter, Dipl. BetriebswirtRainer Gross, BayernLBPeter Wiegand, DAS InternationalBehram Salmassinia, 360plus Design GmbHGeorg Schweisfurth, Basic AGStefan Zacher, Dipl. VolkswirtMoritz Gekeler, DaimlerChrysler AG Doris Wenzel, Bayerisches StaatsschauspielStefan Hunstein, Bayerisches StaatsschauspielDr. Ingeborg Szöllösi, Chefredakteurin “Story”Holger Möller, HeilpraktikerNicole Wiedinger, Institut für Wirtschaftsgestaltung

Dank

wpc 14

Inhalt 5

9

11

Teilnehmer

14. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUBDES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNGAM 19. 09. 2007 IN MÜNCHEN

Page 4: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

4 |

Page 5: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

vergabe rentiert. Er nimmt also Zinsen. Das macht ihnzum ‘Juden’ und schließt ihn aus der guten Gesellschaftder Christenmenschen aus. Ein “Hund“, der mit den Not-lagen seiner Mitmenschen wuchert, um aus ihnen Profitzu ziehen. Dem ‚Juden‘, Shylock wäre daher im Grundelieber und wichtiger, sich zur guten Gesellschaft zählenzu dürfen. „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willenund auch vergessen, dass Ihr mich beschimpft habt, be-schaffen, was Ihr braucht, und keinen Deut Zins nehmenfür mein Geld. Ihr aber hört nicht: Mein Angebot istfreundlich.“ Sein Angebot, auf den Zins zu verzichten,schlägt Antonio unter dem Beifall seiner Standesgenos-sen aus: „Es könnte sein, dass ich dich wieder so (nämlichHund) nenn, dich wieder anspuck, auch mit Füßen trete.Willst du das Geld uns leihn, so leih es nicht wie Freundenuns, denn wann nahm jemals Freundschaft dem FreundeFrucht für unfruchtbares Erz? Nein, leih es lieber deinemFeind, von dem du mit freirer Stirne, wenn er säumig wird,eintreiben kannst, was dir verfallen ist.“

Ohne Vorbehalte wider Antonio und seinesgleichen istindes auch Shylock nicht: „Ich hasse ihn (Antonio) [...], weiler in niedriger Einfalt Geld gratis verleiht und so den Zinsherabdrückt [...]. Meines Geschäftes rechtlichen Gewinn,den nennt er Wucher. [...] Gewinn ist Segen, wenn man ihnnicht stiehlt.“ Schlußendlich fordert er für den Fall derVersäumnis fristgerechter Tilgung ein Pfund Fleisch, dasAntonio aus seinem Leibe, also bei seinem Leben zu be-zahlen hat, worauf Antonio höhnisch eingeht, da er sichder erfolgreich Rückkehr seiner Schiffe sicher wähnt. DieDinge nehmen ihren Lauf und Antonio muß wider Erwar-ten um sein Leben fürchten, doch auch Shylock, findetsich vor Gericht gestellt, da Kredite, die das Leben kosten,in Venedig verboten sind. Sich zu retten, muß er Christwerden. Nun hat er damit hinter dem Rücken seinerPläne erreicht, was er im Grunde wollte: Er gehört dazu,weswegen er sich über diese Wendung seines Schicksalsauch kaum beschwert. Doch ist nicht nur der ’Jude‘ nichtmehr der ‚Jude‘. Vielmehr steht damit auch der respekta-blen gesellschaftlichen Ökonomie eine weitreichendeTransformation ins Haus.

FATALITÄT DES ZINSVERBOTS

Indem Shakespeare diese Verwicklungen zu einem Ge-gensatz zwischen Christen und dem Juden stilisiert, hebter sie auf eine überpersonale Ebene. Es liegt ihm an derLösung einer allgemeinen wirtschaftspolitischen, im

Die ‚gute Gesellschaft‘ der rechtschaffenden Christen-menschen um den ‚Kaufmann von Venedig‘, Antonio, ge-währen einander Kredit aus Freundschaft. Das heißt: Sieberechnen einander keine Zinsen. Bassanio, offenbar einMann mit großem Talent, sich laufend über beide Ohrenzu verschulden, plant, sich durch die Heirat einer reichenErbin zu salvieren, wendet sich aber dennoch hilfesu-chend auch an Antonio: „[...] nur hab ich Sorgen, wie ich inEhren meine Schulden tilge, in die meine verschwenderi-sche Jugend mich stürzte. Euch, Antonio, schulde ich dasMeiste; ja, an Geld und auch an Liebe. Und eure Liebe gibtmir die Gewähr, dass ich euch sagen darf, wie ich nun pla-ne, alle die Schulden, die ich hab, zu tilgen.“ Antonios Reak-tion – „Lieber Bassanio, bitte, lasst mich’s wissen, und wennes ehrenhaft ist, wie ihr immer bisher gewesen seid, so seidversichert, mein Geld, ich selbst, mein äußerster Kredit ste-hen alle unverschlossen euch zu Diensten“ – scheint ty-pisch für diesen Freundeskreis. Die Liebe, von Shakespe-are gnadenlos ökonomisch, über‘s Geld codiert, soll’s ret-ten und Antonio, der Kaufmann, möchte dem nicht nach-stehen.

Doch scheint die Sache tendenziell sehr zu Antonios, desKaufmanns, Lasten zu gehen, der unter den Freunden, be-günstigt durch seine glückliche Geschäftstätigkeit imFernhandel, letztlich als einziger für die ihrer zinsfreienFreundschaft nötige Liquidität Sorge trägt. Wirklich glücklich ist er jedoch nicht: „Weiß wirklich nicht, wasmich so traurig macht. Ich bin es müd. Ihr sagt, ihr seid esauch müd. Doch wie‘s mich fing, wie ich’s find oder fand,aus welchem Stoff das ist, woraus geboren, muß ich nochfinden.“ So hat der Geschäftsbetrieb freundschaftlicherEintracht doch starke Züge bloßer Kompensation, eineEntschädigung für etwas, was nicht zu haben ist. Alles istso schön wie ermüdend und nicht wirklich persönlich be-reichernd. Wenigstens Antonio scheint sich selbst nichtrecht gewinnen zu können, was aber doch, jedenfalls,wenn man Aristoteles Glauben schenken will, eine derwichtigsten Kapitalien – und Chancen – der Freundschaftist.

Das Geschäft des Kaufmanns ist mit Risiken verbunden.Schiffe gehen unter, aber es gibt auch ohne dies vieleGründe, warum sich die Geschäftserwartungen nichtplanmäßig erfüllen. Doch auch unerachtet dessen trägtsich die ‚gute Gesellschaft‘ der Rechtschaffenden kaumaus eigenen Kräften. Der eine braucht eine reiche Erbin,und Antonio muß auf die Hilfe eine Kreditgebers zurück-greifen, der darauf angewiesen ist, dass sich seine Kredit-

„GEWINN IST SEGEN, WENN MAN IHN NICHT STIEHLT.“ – RESÜMEE EINES DISKURSES ZWISCHEN UNTERNEHMERN, MANAGERN, EINEM BANKER, KÜNSTLERN,WISSENSCHAFTLERN UND PHILOSOPHEN ÜBER SHAKESPEARES ‘KAUFMANN VON VENEDIG’

VON WOLF DIETER ENKELMANN

| 5

Page 6: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Grunde sogar weltwirtschaftlichen Konstellation. Es gehtum die Integration der Zins- und Kreditwirtschaft. EinProblem, das auch in der Gegenwart die Gemüter nochimmer kaum weniger bewegt als vor 400 Jahren dieMenschen zu Shakespeares Zeiten – trotzdem, was einstan sich schon unerachtet der Höhe der Kapitalrenditenals Wucher galt, inzwischen zum universalen wirtschaftli-chen System ausgebaut wurde, dem schlechthin keinermehr entkommt. Anders als heute erschien zu jener Zeitallerdings nicht erst die Höhe der erstrebten Kapitalren-dite das primäre Problem. Es geht vielmehr ums Prinzip.Kapitalverzinsung erscheint als solche bereits als Wucher,als Verletzung der guten Sitten, als Gefährdung der herr-schenden Ordnung und der Freundschaft unter den Men-schen.

Heute ist es die vermeintlich oder wirklich maßlose Pro-fitgier der sogenannten ‚Heuschrecken‘, die für Unruhesorgt, und vielleicht mehr noch die Tatsache, dass das Vo-lumen reiner Finanzspekulationen das, was man als realeund seriöse Wirtschaft mit ‚echten‘ Produkten, Dienstlei-stungen und materiellen Werten empfindet, um ein Viel-faches übertrifft und damit ohne realen Gegenwert ist.Während also heute in der entfesselten Zins-, Geld- undKreditwirtschaft und darin, dass ihr alles Übrige zum Mit-tel wird, die Gefahr für die Weltwirtschaft, den Weltfrie-den und die Weltnatur gesehen wird, problematisiertShakespeare primär umgekehrt das zinsfreie Wirtschafts-system. Er trifft damit Idealvorstellungen, die auch heuteebenfalls noch bis tief in die Führungselite der Weltwirt-schaft wirksam sind: Seriös ist die Produktion von Nutz-und Gebrauchswerten, seriös ist das Geld, insofern es alsTauschmittel fungiert und die Preise sich nach Angebotund Nachfrage ermitteln. Die Prätention auf Kapitaler-träge hingegen erscheint anrüchig und allein, insofern siedem Lebensunterhalt dient oder den nötigen Kreditbe-darf der Wirtschaft befriedigt, also funktional in die Er-wirtschaftung von Nutz- und Gebrauchswerten einge-bunden ist, gerechtfertigt.

Shakespeare stellt das aus moderner Sicht unschuldigeIdeal einer zinsfreien Ökonomie, in der das Geld im We-sentlichen nur ein Tauschmittel ist und Kredite allein dergegenseitigen Hilfe dienen, als eine symbiotischeZwangsgemeinschaft von Schuldnern und Gläubigern,die den Gläubiger seinem Schuldner gleich in Schuldig-keit versetzt. Zum anderen stellt er diese Ökonomie alsein Einschluß-Ausschluß-System und Freund-Feind-Ver-hältnis dar. Wo allein die persönliche Bekanntschaft so-wie die solidarische Verpflichtung aufeinander herrschenund die Maßstäbe für das Vertrauen ineinander setzen,entsteht eine Art verschworener Gemeinschaft derer, diedazugehören. Nur diese profitieren. Und es muß aus derStruktur dieser Art der Verbindlichkeit – die noch dazu,wie Shakespeare zeigt, brüchig ist: im Zweifelsfall ist derKreditgeber der Dumme; Antonios Freunde jedenfallshaben, als er in Not geräte, für ihn nur Worte des Bedau-

erns – systematisch jene geben, die nicht dazugehörenund von den Segnungen der Solidarität und Menschen-liebe ausgeschlossen sind. Während wir heute die Gefahrhemmungsloser Ausbeutung auf den Kapitalismus proji-zieren, sieht Shakespeare sie eher auf Seiten derer, diedies dem Kapitalismus vorhalten. Das System zinsfreierWirtschaft ist ein Reproduktionssystem. Es geht um dieErhaltung der Freundschaft, doch, wie er sehr nachvoll-ziehbar zeigt: Es kann seine Selbstbehauptung aus sichkaum erwirtschaften und ist auf äußere Ressourcen an-gewiesen, letztlich also auf jene, die aus dem System aus-geschlossen sind, jene unzivilisierten ‘Barbaren’, welcheökonomisch gesehen diejenigen sind, die anders wirt-schaften und wirtschaften müssen.

Latent beinhaltet Shakespeares Analyse der Art, wie dieChristenmenschen sich um die Erhaltung ihrer Freund-schaft bemühen, auch noch einen anderen kritischenAspekt: Natürlich und begreiflicherweise erschallen dieKlage- und Hilferufe jener, die unter den Lasten ihrerZinsbelastungen leiden, immer am lautesten. Schuld ander Misere sind die Kreditgeber, unschuldig hingegen dieOpfer, die Kreditnehmer. Diese Auffassung teilt Shakes-peare offensichtlich nicht. Wenn es unter ihren Zinsbe-lastungen zusammenbrechende Schuldner wegen desZinsverbotes und damit das Problem gar nicht gibt, wasist dann eigentlich der Grund für das Zinsverbot? Ist esdennoch die Abwehr der befürchteten Folgen einer Auf-hebung dieses Verbotes? Oder gibt es systemimmanenteGründe? – Die zinsfreie Wirtschaft begünstigt diejenigen,die’s haben und es sich leisten können, die eine respek-tierte Stellung in der Gesellschaft einnehmen, die dieMacht haben und wohl in die Teilhabe an der gesell-schaftlichen Habe integriert sind. Das zeigt sich an Bas-sanio, dem überschuldeten Freund des Kaufmanns vonVenedig, der, wie er erzählt, in jugendlichem Leichtsinnaus dieser Ordnung ausgebrochen ist und seine Existenzaufs Spiel gesetzt hat. Es zeigt sich aber auch im 'Juden'Shylock, der eigentlich nichts hat und nichts kann außereben Kapital aus seinem Konsumverzicht zu schlagen, in-dem er anderen das auszugeben überläßt, worauf er ver-zichtet, es selbst zu seinem Vorteil aufzuwenden. Stattdessen hat er allen Grund, jenen ihren Erfolg zu gönnen;denn davon lebt er. Eine ganz eigene, zumindest vom Sys-tem her durchaus aber auch sehr freundliche Art gesell-schaftlicher Verbindlichkeit.

Man sieht daran: Die Zinswirtschaft ermöglicht eine indi-viduelle Freiheit und eine gesellschaftliche Flexibilität, diees ohne sie nicht gibt. Damit ist auch klar, dass die Reprä-sentanten der vormaligen herrschenden Verhältnissenicht nur die herrschende Moral hochhielten, sondernvom Zinsverbot profitierten. Die Sorge um die zinswirt-schaftliche Belastung der armen Schuldner verbindet sichso aufs vorzüglichste mit dem wohlverstandenen Eigen-interesse der herrschenden Machteliten. Auch geschicht-lich waren übrigens diese Repräsentanten, die reichen

6 |

Page 7: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Adligen, und nicht die Armen zum Beispiel auch vonSteuer- bzw. Zinszahlungen an den Staat befreit und ent-lastet. Wer arm war und Finanzbedarf hatte, der wurdezum Bittsteller degradiert und hatte keine Chance, selbst-bewußt mit einer guten und vielversprechenden Ideeeine souveräne Geschäftspartnerschaft mit einem frem-den Kapitalgeber einzugehen.

FREIHEIT UND KREDIT

Shakespeare macht deutlich: Die schöne Alternative ist soschön nicht, wie es scheint. Aus den Bedrohlichkeiten dergegenwärtigen Zinswirtschaft läßt sich nicht der genera-lisierende Umkehrschluss ziehen, wie schön doch dieWelt wäre, gäbe es das Geld und die Geldwirtschaftnicht. Von daher zeigt sich:

1.| Ohne Zins und Zinseszins gäbe es eine Weltwirtschaftnicht, sondern nur partiale Selbsterhaltungsökonomien,die ihrer Selbsterhaltung zudem nicht verläßlich aus sichselbst erwirtschaften können, sondern nicht einmal nurim äußersten Notfall auf die Ausbeutung äußerer Res-sourcen angewiesen sind, denen sie allerdings nicht dengebührenden Respekt und die nämliche Achtung entge-gen bringen, die intern selbstverständlich ist.

2.| Die Zinswirtschaft gewährt die Chance allgemeinerstatt nur privilegierter individueller Freiheit, einer größe-ren gesellschaftlichen Flexibilität, als es ohne sie gäbe,und ermöglicht eine ökonomische Autonomie, welche diesonst geltende Vormachtstellung einer Ökonomie derVerfügungsgewalt über Ressourcen relativiert.

3.| Hinzukommt, dass sie die Selbsterhaltungsökonomiein eine Ökonomie des Gewinns transformiert. Shylockweist darauf hin: “Gewinn ist Segen, wenn man ihn nichtstiehlt.“ und Antonio bekennt, wie stark der Bedarf nachgewinnträchigem Wirtschaften ist, wenn sich der Einsatzlohnen soll. “Ich bin es müd.“ Das Ganze, heißt es seit al-ters, ist mehr als seine Teile. Man sollte sich vielleichtöfter fragen: Wie und auf welche Weise? Dieses Mehr istdann wohl eine Verzinsung der Art, in der die Teile miteinander zusammenwirken. Gilt alles Streben vornehm-lich allein der Selbst- und Systemerhaltung, dann zehrtdies auch alle Erträge für sich auf, statt im Ganzen mehrdaraus werden zu lassen, als die Summe aller Teile fürihre Reproduktion benötigt.

4.| Shakespeare gibt auch eine natürliche Grenze derKreditwirtschaft an: Es ist in Venedig gesetzlich verboten,dem Kreditnehmer zur Begleichung seiner Schuld nachdem Leben zu trachten. Diese gesetzliche Regelung istkeine willkürliche politische oder moralische Grenzzie-hung, sondern realisiert eine Eigengesetzlichkeit der Kre-ditwirtschaft. Man tötet nicht die Kuh, die man melkenwill. Kreditierbar sind Güter und Leistungen, nicht dieSubstanz, dass heißt: jene Wirtschaftssubjekte selber,ohne welche sich jede Kreditwirtschaft ins Lehre verlöre.

5.| Shakespeare stellt die Ökonomie literarisch in einenGesamtzusammenhang des Lebens. Ökonomische For-mationen des Kalküls durchdringen alles, auch etwa dieLiebe und, was sonst für viele mit Ökonomie nichts zutun zu haben scheint. Shakespeare literarisiert nicht ausdichterischem Eigeninteresse die ökonomische Rationali-tät. Sie hat vielmehr von sich aus eine literarische Dimen-sion. Und es zeigt sich ein vielfältiges Konzert divergie-render, dabei aber eben nicht immer nur pekuniär vermit-telter Spekulationsformen. Was die moderne Wissen-schaft noch immer unter nur einen generellen Begriff des‚homo oeconomicus‘ zu bringen versucht, entfaltet errealitätsbewußt und mit gerade für heute großem auf-klärerischen Wert in vielfältiger Gestalt.

6.| Er zeigt aber auch: Es geht nicht nur um die rechtenfunktional-instrumentellen Verhaltensweisen und Me-chanismen: Es geht buchstäblich ums Leben. Bevor sichentscheidet, wer zum Gewinner und wer zum Verliererdes Spiels wird – dieser Unterschied hebt sich in seinerKomödie auf: alle haben verloren und doch gerade sogewonnen – wird deutlich, dass alle ihr Leben opfern fürihre Interessen, für die Chancen, die sie sich ausrechnen,und die Umstände, mit denen sie rechnen müssen. Soenthält der „Kaufmann von Venedig“ reichhaltige An-regungen, sich einen Begriff jener erweiterten, auch me-tainstrumentellen Ökonomik zu machen, deren es heuteim Zuge der Globalisierung mehr denn je bedarf. Es gehtums Leben, ums gute Leben, nicht nur um Überleben undSelbsterhaltung.

7.| Und zuguterletzt, das Glück. Wirklich glücklich ist kei-ner so recht. Des Glückes Unterpfand, ein Ring, der Portia,die reiche Erbin, um deren Gunst sich Bassanio, derFreund des ‚Kaufmanns von Venedig‘, bewirbt, als Zeicheneines unveräußerbaren Versprechens gilt, wird von Bas-sanio doch leichtfertig veräußert. Im Versprechen, das dieZins- und Kreditwirtschaft in vielfältigerweise organisiert,dynamisiert und effektiv macht und wofür sie alles aufsSpiel setzt, hat doch sein Unveräußerbares an sich, einenGegenwert, der nicht verspielt, nicht instrumentalisiert,nicht zu Geld gemacht und verwertet werden darf. Dasist das Versprechen selbst und der Glaube an die Erfüll-barkeit der Wünsche und des wechselseitigen Vertrauensineinander. Das bedeutet aber auch: Alles, was durch dieMühle der Quantifizierung, der Verwertung und Kommer-zialisierung, gejagt wird und damit seines qualitativen,quantitativ schlechthin nicht meßbaren Wertes verlustiggeht, muß zuletzt auch wieder einen qualitativen Wertgewinnen. Geldwerte ohne Gegenwerte verlieren sich insNichts. Da steht dann nicht mehr nur dieser oder jenerWert auf dem Spiel, sondern die Wertschätzung undWertschöpfung überhaupt.

8.| Es gibt einen unauflöslichen Zusammenhang zwi-schen Kommerzialisierung und deren Überschreitung.Solange es ökonomisch nur um die Erhaltung dessengeht, was es schon gibt und immer schon gab, solange

| 7

Page 8: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

stellt sich die Frage, wohin das wirtschaftliche Engage-ment führen soll, nicht. In je entfesselterer Betriebsam-keit sich die Kredit- und Zinswirtschaft jedoch entfaltet,umso drängender und unverzichtbarer wird es, diese Fra-ge offenzuhalten. Um welcher Ziele willen verschuldetsich die Epoche bei ihrer Zukunft? Notwendigerweisewird Ökonomie Kulturpolitik, um Antworten zu finden, inwelche Qualitäten des Lebens, der Welt, des Handelns,des Denkens und Wahrnehmens sich die quantitativenWertschöpfungs- und Wachstumsprozesse verwandelnsollen.

Dr. Wolf Dieter Enkelmann,Direktor für Forschung und Entwicklung,Institut für Wirtschaftsgestaltung, München

8 |

Page 9: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

William Shakespeares ‚Kaufmann von Venedig’ entstandzur Zeit der Herausbildung der kapitalistischen Markt-wirtschaft, der fortschreitenden Transformation derTausch- zur Kreditwirtschaft. Einer der Schauplätze desDramas ist Venedig. Im ausgehenden 15. Jahrhundert wardie Lagunenstadt das Zentrum eines weltumspannendenWirtschaftsgeflechts. Sie ist bis heute Inbegriff des erstengroßen Globalisierungsschubs. Venedig steht für den ge-genüber den elementaren menschlichen Bedürfnissenverselbständigten, latent ziellosen Geld- und Waren-tausch. Dieser Wirtschaftsbereich wurde seit Aristotelesbis in das 18. Jahrhundert hinein als Chrematistik bezeich-net. Die Chrematistik ist unwidersprochen eine massgeb-liche Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie ent-fesselt eine ungemein hohe Produktivkraft und bescherteder westlichen Welt immensen Reichtum sowie großarti-ge Entwicklungsperspektiven. Dementsprechend ist sieim Drama der entscheidende Motor der Handlung. Mitder Irrationalität, in welche die Akteure durch die Chre-matistik in Venedig geraten, ahnt Shakespeare jedochbereits die Probleme einer von Marktgesetzen und Kon-kurrenzkampf geprägten Gesellschaft voraus.

Die Beziehungen im ‘Kaufmann von Venedig’ sind haupt-sächlich durch Bargeldbeziehungen strukturiert. Im Vor-dergrund steht hierbei die Kreditbeziehung zwischenBassanio und Antonio auf der einen sowie dem jüdischenGeldverleiher Shylock auf der anderen Seite. Bei der Re-zeption des Dramas entwickelten sich aufgrund dieserKonstellation unvermeidlich Diskussionen über morali-sche Wertungen der kapitalistischen Marktwirtschaftund im Speziellen des kapitalistischen Zinssystems. Dochgehören Antonio, als Vertreter des Handelskapitals, undShylock, der das Finanzkapital repräsentiert, ökonomischzur gleichen Kategorie. Beide betreiben ihr Geschäft, umeinen monetären Gewinn zu erzielen. Antonio ist nur des-halb über ‘schmutzige’ Geldgeschäfte und Zins erhaben,weil er nicht davon abhängig ist. Er verdient sein Einkom-men mit dem Handel auf dem Meer, auf den Schulternvon Seeleuten, die für seine Unternehmungen ihr Lebenriskieren. Darüber hinaus wäre ohne Shylocks Kreditge-schäfte die wichtigste Unternehmung des Dramas, Bas-sanios Werben um Portia, von vornherein zum Scheiternverurteilt. Bassanio hat nicht mehr als eine Idee, „einenSinn“, der ihm „Gewinn vorhersagt“ (I. ii. 175). Allein esfehlt ihm das nötige Kapital. Allerdings versteht esBasanio, sich die Vorzüge der Chrematistik dienstbar zu

machen, um sein venture zu starten.

Antonio, Bassanio, Shylock, alle sind sie Unternehmer derkapitalistischen Marktwirtschaft. Shakespeare, der sichselbst vor allem als kaufmännischer Teilhaber des GlobeTheatre Vermögen und Einfluss erwarb, formuliert hierkeine moralische Anklage gegen die Chrematistik. Er er-kennt ihre dynamische Produktivkraft, beleuchtet aberzugleich die Folgen sich ausbreitender chrematistischerPraktiken in kritischer Weise.

Ein Thema, das bis heute an Aktualität nichts verlorenhat. So müssen die ökonomischen Verhältnisse, wie sieauf der Bühne Venedigs geschildert werden, dem zeitge-nössischen Beobachter durchaus vertraut vorkommen:Keiner der Akteure ist allein Meister seines Schicksals.Das Wirtschaftssystem hat eine Komplexität erreicht, dienicht einmal mehr von den Profis im Geschäft beherrschtwird. Diese Tatsachen hat uns die aktuelle Krise auf demFinanzmarkt wieder einmal drastisch vor Augen geführt.

Wie sehr sich die Chrematistik in der modernen Wirt-schaft verselbstständigt hat, lässt sich an einem Vergleichvon Zahlen zur Real- und Finanzwirtschaft ausmachen:Im Jahr 2004 wurde das Weltsozialprodukt, also der Wertaller produzierten Güter und Dienstleistungen, auf 120Mrd. Dollar pro Tag geschätzt. Die Transaktionen auf denDevisenmärkten beliefen sich hingegen auf 1.880 Mrd.Dollar pro Tag, und das bei einem Welthandelsvolumenvon nur 25 Mrd. Dollar pro Tag. Der Umsatz an spekulati-ven Finanzpapieren in Form von Derivativen betrug 2004mit 3.900 Mrd. Dollar pro Tag mehr als das Tausendfachealler täglichen Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland.Sicherlich darf bei solchen Vergleichen die produktive Ak-kumulation von Kapital nicht außer Acht gelassen wer-den, doch bleibt es dennoch bei einer gewaltigen Summevon Geld, also Mitteln, um menschliche Entwicklung zufinanzieren, die ohne höheren Zweck, nur um seinerselbst willen, täglich um den Erdball jagen.

Shakespeare stellt dieses Problem der Entfremdung vonder wirtschaftlichen Tätigkeit an den Anfang des Dramas:„Und solch einen Unverständigen macht die Traurigkeitaus mir, daß ich viel Mühe habe, mich selbst zu erkennen“(I. i. 6f.). So der christliche Kaufmann Antonio, dem dieneue Wirtschaftsform über den Kopf wächst, sodass ersich ziemlich deprimiert dem Schicksal ergibt. Im gesam-ten Drama wird sein Leben fast ausschließlich über sei-nen Besitz und seinen Gebrauchswert definiert, den er

‚DER KAUFMANN VON VENEDIG’ IN VOLKSWIRTSCHAFTLICHEN OHREN – IM AUSGEHENDEN 15. JAHRHUNDERT WAR DIE LAGUNENSTADT VENEDIG DAS ZENTRUMEINES WELTUMSPANNENDEN WIRTSCHAFTSGEFLECHTS. SIE IST BIS HEUTE INBEGRIFF DESERSTEN GROßEN GLOBALISIERUNGSSCHUBS.

VON STEFAN ZACHER

| 9

Page 10: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

ganz Fortuna auf dem Meer anvertraut hat. Durch dieKräfte der Globalisierung hat er seine Selbstbestimmungverloren. Persönlichen Gewinn zieht er aus seinem Schaf-fen nicht.

Auch der zweite Kaufmann im Drama, Shylock, der Jude,handelt überwiegend fremdbestimmt. Auf Basis der ihmaufgezwungenen Rolle als unmenschlicher Chrematistradikalisiert er die chrematistischen Praktiken. Dabei för-dert er ihre potenzielle Unmenschlichkeit drastisch zuta-ge. Von Neid und Rachegelüsten getrieben, verliert erimmer mehr die Kontrolle über sich selbst. Shylock ist dieselffullfilling prophecy des modernen homo oeconomicus.

Beide Kaufmänner des Stücks, Antonio und Shylock, füh-ren insofern eine in höchstem Maße unsichere ökonomi-sche Existenz. Ihre Unternehmungen versprechen ihnenzwar einen hohen Gewinn, doch entbehren diese ventu-res jedweder Vernunft. Um ihre Probleme mit der Chre-matistik zu lösen, klammern sie sich an moralischeGrundsätze und festgeschriebenes Recht, was zum trauri-gen Höhepunkt des Dramas hinführt: Shylock wird bei-nahe zum Mörder Antonios.

Die Lösung der Krise kommt nicht in Form der Moral, son-dern in Form des Rechtsgelehrten Bellario, der verkleide-ten Portia, als Sinnbild der Vernunft und einer höherenOrdnung. Diese höhere Ordnung spiegelt sich in dem ent-rückten Ideal des ländlichen Belmont wider. Im Gegen-satz zu Venedig zählt hier die menschliche Währung,echte Werte und Harmonie. Doch wird auch dort das Ge-winnstreben nicht verneint, denn selbst in Belmontmacht das Leben lediglich Sinn, wenn die „die glücklichenGeschicke“ die „Mißgeschicke“ überwiegen (I. ii. 3f.). AuchBelmont ist nicht so autark, wie es sich gerne gehabt hät-te. Es gilt aber, das richtige Maß beim Streben nach Ge-winn zu finden, „denn es ist [niemals] wenig Glück, in derMitte seinen Platz zu haben“ (I. ii. 6f.).

Portia praktiziert als Herrin in Belmont Besitzverwaltungund Menschenführung im Sinne der antiken Regierungdes Oikos, des ganzen Hauses. Tatsächlich war XenophonsOikonomikos, die erste vollständig überlieferte Theorieder Ökonomik als Führung des Haushalts überhaupt, 1532ins Englische übersetzt worden. Sie erfreute sich im 16.Jahrhundert weiter Verbreitung. Die Strukturierung Bel-monts als Gegenpol zu Venedig ist die Renaissance derantiken Vorstellung der Einbettung der chrematistischenWirtschaft in die Gesellschaft. Ökonomik wird hierbei inerster Linie von den personalen Beziehungen her ge-dacht, und nicht wie heute tendenziell allein als Wissen-schaft von Geld und Gütern. Belmont steht für eine stabi-le und sichere menschliche Gemeinschaft, in die es dienützliche, aber destabilisierende neue Wirtschaft zu inte-grieren gilt. Das marktwirtschaftliche System kennt ausseiner Binnenlogik nur Funktion. Sinn und Legitimationergeben sich damit nicht schon von selbst, sondern müs-sen ihm aktiv abgewonnen oder gegeben werden.

So tritt Portia bei der Gerichtsverhandlung als ausgebil-dete Ökonomin auf und übernimmt politische Verant-wortung, um den chrematistischen Auswüchsen Einhaltzu gebieten. Portia vertraut nicht allein auf die Rationali-tät des Marktes, sondern auch auf ihre eigene! Sie erin-nert die Akteure an ein Gesetz der venezianischen Chre-matistik. Sie darf niemanden das Leben kosten. Und sielehrt, den theoretischen Kenntnissen der Ökonomikselbstbestimmt praktische Relevanz zu verleihen. In derWirtschaft agieren komplexe Individuen mit den ver-schiedensten Motivationen, deren Ziele aufeinander ab-gestimmt sein müssen. Nötig ist hierfür ein vernünftigesManagement von Institutionen, keine moralische Heu-chelei und auch keine Fixierung auf unzeitgemäßesRecht. Unternehmerisches Wagnis, Spekulation und Kre-dit können nur in einem rationalen institutionellen Rah-men ihre produktive Kraft für die Gesellschaft entfalten.Ohne Chrematistik keine wirtschaftliche Dynamik undkein Fortschritt, allerdings gilt es, ihr in der Gesellschaftallein genau ihre und keine größere Funktion zuzuweisen,um ihre Produktivkraft zu nutzen, ohne dass ihre zerstö-rerische Kraft zur Gefahr für den Menschen wird. Nur „derist gut bezahlt, der gut zufriedengestellt ist“ (IV. i. 411), soleitet Shakespeare an, Wirtschaft, im Sinn der antikenÖkonomik, am Menschen, seinen Bedürfnissen undWünschen zu orientieren, um globaler Zweckentfrem-dung von Kapital und Arbeit Einhalt zu gebieten.

Stefan Zacher,Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsgestaltung,München

10 |

Page 11: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Shakespeare schrieb den Kaufmann von Venedig zwschen1594 und 1597. Strukturell ist für dieses Werk bedeutsam,dass Shakespeare zwei Quellen kombiniert und wechsel-weise miteinander verschneidet. Zum einen die in Vene-dig spielende Geschichte um das Fleischpfand und demsich daran anschließenden Gerichtsprozeß, das einem ita-lienischen Novellenband des 15. Jahrhunderts von SerGiovanni mit dem Titel Il Pecorone (Der Schafskopf) ent-nommen ist. Und zum anderen findet sich die Geschichteder Kästchenwahl in den Gesta Romanorum (die Tatender Römer), einer ursprünglich lateinischen Sammlungvon Erzählungen, die 1595 in einer englischen Neufassungerschien. Shakespeare kombiniert diese beiden Grunder-zählungen abwechselnd an zwei verschiedene Spielorte:Venedig und Belmont. Dem damaligen Betrachter dürftees leicht gefallen sein, London mit Venedig zu identifizie-ren. „Geht man nun von Westminster aus und bewegt sicheinige Meilen themseabwärts, so erreicht man nach einigerZeit am anderen Ufer Greenwich mit seinen Hügeln unddem Tudorpalast, in dem Elizabeth geboren wurde und oftlängere Zeit Hof hielt, besonders im Sommer. Ein vorherdort befindliches Schloß trug den Namen ‚Bella Court‘. DerHof von Greenwich lag in der Elisabethanischen Zeit nochweit außerhalb der Grenzen der Londoner City.“ (Apel,Kaufmann, S.143) Mit zunehmender Dauer des Stückesnimmt die sachverständige, kluge und wortgewandtePortia, die Herrin Belmonts, alle Fäden in die Hand, unddem zeitgenössischen Zuschauer musste sie der KöniginElizabeth gleich, als Göttin Fortuna, als dame adventure,der Göttin der seefahrenden Kaufleute erscheinen.

Der Jude Shylock ist mit seinem Messer die fleischgewor-dene Metapher vom biting usurer, dem beißenden Wu-cherer. Entsprechend ist Hund/dog das am meisten ver-wendete Schimpfwort gegen den Juden. Es erinnert anden deutschen Wadenbeißer, der hartnäckig nicht ablas-sen kann von seinem vermeintlichen Vorrecht. So entgeg-net Shylock auf das Anliegen Antonios, ihm 3000 Duka-ten zu leihen: „Hat ein Hund Geld? Ist es möglich, dass einKöter dreitausend Dukaten verleihen kann?“ Ihm gegen-über steht der Kaufmann Antonio, der auf die Rückkehrseiner Schiffe aus Tripolis, Indien und Mexiko wartet, einUnternehmen in das er sein ganzes Kapital investiert hat.Und dieser entgegnet, nicht gerade christlich: „Ich könntedich jederzeit wieder so nennen, dich wieder anspucken, dirauch einen Tritt geben. Wenn du dies Geld verleihen willst,leihe es uns nicht als deinen Freunden, denn wann nahm

Freundschaft Abkömmlinge unfruchtbaren Metalls vonihrem Freund? Sondern leihe es lieber deinem Feind, daß,wenn er fällig werden sollte, du mit besserem Gesicht dieStrafe (penalty) fordern kannst.“ (I,3)

Diese Stelle verdichtet weit mehr, als es scheinen mag.Zunächst verweist sie auf das christliche Zinsverbot, dassich vor allem auf das 5. Buch Mose, Deuteronomium 23,20-21 bezieht: „An dem Fremden magst du wuchern, abernicht an deinen Brüdern.“ Im Neuen Testament sagt JesusChristus zu seinen Jüngern: „Wenn ihr denen leiht, von de-nen ihr hofft, es wieder zu bekommen, was für ein Danksteht euch zu? Auch die Sünder leihen Sündern, um glei-ches wiederzuerhalten (...) leiht, ohne etwas zurückzuerhof-fen, und euer Lohn wird groß sein (...)“ (Lukas 6, 34-35) Da-hinter steht die Idee, dass es gut ist, zu verleihen und zugeben, ohne etwas zu erwarten. Dass Shakespeare dieZinsen hier als „Abkömmlinge unfruchtbaren Metalls“ be-zeichnet, erinnert an Aristoteles: „Das Geld ist um des Tau-sches Willen erfunden worden, durch den Zins vermehrt essich aber durch sich selbst. Daher hat es auch seinen Na-men: das Geborene ist gleicher Art wie das Gebärende, unddurch den Zins (Tokos) entsteht Geld aus Geld. Diese Artdes Gelderwerbs ist also am meisten gegen die Natur.“(Politik I,9) In der mittelalterlichen Parabel von der Wein-rebe und dem Wucher, des englischen Theologen Thomasvon Chobham (1160 - 1236) heißt es: „Das schlafende Geldbringt natürlich keine Frucht, die Weinrebe hingegen istnatürlich fruchtbar.“ – Geld darf sich also nicht „fortpflan-zen“, wie es auch Thomas von Aquin (1225 - 1274) fordert,da die Zeit, durch die der Wucherer sein Geld vermehrt, esarbeiten läßt, kein Privatbesitz ist, sondern Gott gehört.Der Wucherer verkauft Zeit und bestiehlt damit Gott. Wu-cher ist eine Sünde, die niemals, nicht einmal am Sonn-tag, ruht. Wenn Geld sich also nicht durch wirkliche Ar-beit vermehrt, kann das nur auf widernatürliche, magi-sche, teufelsbündlerische Weise geschehen. „Bereits Mittedes 5. Jahrhunderts prägte Papst Leo I. jenen Ausdruck, derdurch das ganze Mittelalter nachhallt: »Des Geldes Zins-gewinn ist der Tod der Seele«.“ (LeGoff, Wucherzins, S.32)Und das setzt sich heute fort über die Rede vom ‚seelen-losen Kapitalismus‘.

ZEIT IST GELD – DIE TRENNUNG VON RELIGION UNDWIRTSCHAFT

Mit der kommerziellen Revolution zwischen dem 11. und

GELD, GEGENWERTE, GESCHÄFTSTÜCHTIGKEIT UND KULTUR – WAS DEN KAUFMANN VONVENEDIG ZU EINEM EPOCHALEM UND EINZIGARTIGEM STÜCK MACHT, IST DIE TATSACHE,DASS GELD HIER ALS MEDIUM EINER „PEIN BEREITENDEN ZWEITCODIERUNG“ FUNGIERT.JOCHEN HÖRISCH BEZEICHNET DAS STÜCK ALS DAS „HERAUSRAGENDE POETISCHEGRÜNDUNGSDOKUMENT FÜR DIE BEOBACHTUNG DER IR/RATIONALITÄT DES GELDES.“ AUSZUG AUS DEM REFERAT VON AXEL NITZ

| 11

Page 12: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

13. Jahrhundert hat sich das Verhältnis zum Geld und da-mit zum Zinsennehmen dynamisiert. Die überkommeneGeldtheorie, die den Wert des Kredits leugnete, provozier-te eine Trennung zwischen dem christlichen Denken undder ökonomischen Entwicklung. Die Habsucht löste alsärgste der sieben Todsünden den Hochmut ab. Die Kirchereagierte zum einen mit einer Bekräftigung der existie-renden Verbote (4. Laterankonzil, 1215 / Moral der Absicht;Ohrenbeichte; Gewissensprüfung und damit der Beginnder Psychologie), andererseits mit neuen Fragestellungenund der Auslotung von Ausnahmen. Praktisch wurde, umdas Verbot zu umgehen, das Zinsennehmen verschleiert:durch freiwillige wie unfreiwillige Spenden, durch Ge-winnanteile, Dankesgaben, Tausch von Naturalien, aberauch durch Geldstrafen oder durch trockene Wechsel,durch fiktive Wechselgeschäfte. Nach mittelalterlicherDefinition bedeutet Wucher, mehr zu erhalten, als mangab. Wucher ist somit eine Form des Raubes, des Dieb-stahls. Aber es ist auch mehr als ein Verbrechen: es isteine Abart der Habgier, es ist Sünde, auch eine Sünde ge-gen die Gerechtigkeit. “Die grundlegenden Werte der wirt-schaftlichen Tätigkeit und des sich entwickelnden Marktessind der gerechte Preis und der gerechte Lohn.“ (LeGoff,Wucherzins, S. 26) Der Wucherer ist Dieb und Sünder,konnte sowohl weltlich, wie religiös bestraft werden. „Inder kirchlichen Doktrin und der Mentalität des Mittelalterslegt der Status des Geldes den Grund zur Verurteilung desWuchers“, schreibt der Mittelalterexperte LeGoff (Wu-cherzins, S. 16). Dass Zeit jedoch Geld ist, begann der sichin dieser Zeit entwickelnde Kaufmannsstand im Bewusst-sein zu verankern. „Der Kaufmann spielte in der Entsteh-ung der weltlichen Kultur eine wichtige Rolle. Für seine Ge-schäfte brauchte er technische Kenntnisse. Von seiner Men-talität her zielte er auf das Nützliche, das Konkrete, das Ra-tionelle ab. Dank seinem Geld und seiner sozialen und poli-tischen Macht vermochte er seine Bedürfnisse zu befriedi-gen und seine Pläne zu verwirklichen.“ (LeGoff, Bankiers, S.107) Die Kirche versuchte, dieser drohenden, tiefgreifen-den Veränderung der Gesellschaft entgegenzuwirken.Hätte es nicht bereits eine weitverbreitete Praxis desZinsennehmens, ob nun eine verschleierte oder eine offe-ne, gegeben, hätte sie gar nicht so massiv reagieren müs-sen. Mit der zunehmenden Entwicklung des Marktes, wares vor allem der Verweis auf das Gemeinwohl und die Ge-meinnützlichkeit, die nach und nach einen religiösenWertewandel einleiten konnte. [...]

Nun verlangt Shylock anstatt der zu erwartenden Zins-forderung mit den Worten „Ich würde gern Freund mitEuch sein und Eure Liebe besitzen“ für den Fall, dass Anto-nio innerhalb von drei Monaten nicht zurückzahlen kann,und nur „zum Spaß“ ein Pfund „von Eurem schönen Fleisch(...) von dem Teil Eures Körpers, der mir beliebt“ und beteu-ert sein Angebot „um seine Gunst zu kaufen, erweise ichdiese Freundschaft.“ Antonio ist sich sicher, dass seineSchiffe vor Ablauf der Frist „mit neun mal mehr als derSchuldschein verlangt“ (I,3) einlaufen werden und willigt,

um seinem Freund Bassanio mit der Summe auszuhelfen,ein. Doch er wird Pech haben: Keines der Schiffe trifftrechtzeitig ein. Shylock, der nichts anderes mehr er-hoffthatte, wird sein Recht unerbittlich einfordern. Das Stückkulminiert in der großen Gerichtsszene des vierten Aktes.Natürlich sind das „aberwitzige, mit keiner Rechts-geltungzu vereinbarende Bedingungen“ (Reichert, S.203): Zwarherrschte Vertragsfreiheit, doch ein solcher Vertrag wäresittenwidrig gewesen. Leibeshaftung wäre nur alsRechtsfolge, aber nicht als Vertragsinhalt rechtlich mög-lich gewesen. Und auf jeden Fall hätte dem Anerbietendes Schuldners, die Schuld zu begleichen, entsprochenwerden müssen. Shakespeare hatte also keinesfalls dieAbsicht, einen realen Rechtsfall abzubilden. Doch als Dra-matiker verdichtet er die Widersprüche und spitzt sie, zuunser aller Vergnügen, zu. Die Frage ist: „Wie lässt sich derAnschein des Rechts wahren, und wie lässt sich der Judegleichzeitig prellen? In dem Moment, in dem Portia alsRechtsgelehrter verkleidet den Gerichtssaal betritt, ist klar,dass das “unhintergehbare” Recht in eine Farce, eineRechtsposse verwandelt wird.“ (Reichert, S. 202f) Über-haupt: Die Handelsverträge und Rechtsstreitigkeitenunter den Kaufleuten brachten ein immer wieder beklag-tes Heer von Notaren hervor. Die Notare wurden zu Hilfs-kräften der Kaufleute, denen sie einen großen Teil ihresVermögens verdankten. Ihre Archive bilden eine reicheMaterialquelle über den Kaufmann und den Handel. Derinzwischen unversöhnliche Shylock, der die Flucht seinerTochter Jessica und ihren Diebstahl zu beklagen hat, wirdnun versuchen, seinen Schuldschein vor Gericht einzulö-sen. Er beharrt: „Und wenn es auch keinen Hunger stillt, sostillt es doch meinen Rachewunsch.“ (IV,1) [...]

ZINS UND VERACHTUNG

Bis auf den heutigen Tag wird die Frage nach dem Zinskontrovers debattiert: „Es ist eine Eigenart der Zinstheo-rie, dass in ihr die Frage, warum es überhaupt Zinsen gibt,einen breiten Raum einnimmt. In der Lohntheorie wird dieentsprechende Frage in der Regel nicht gestellt, weil dieAntwort selbstverständlich erscheint“, so der Wirtschafts-wissenschaftler Alexander Karmann (Lutz und Niehans,nach Karmann: Mythos Zins – Mythos Geld, S. 70). Undder Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger kon-statiert: „Die Frage, warum es Zinsen gibt, hat die Ökono-mie bis heute nicht gelöst. Dies ist eine moralische Frage,die der Ökonom nicht los wird.“ (nach Peter Müller: Einpaar Prozent Streit, Die Zeit 06/2003)

Bereits 1290 war England „die erste Nation der mittelalter-lichen Christenheit, die sich mittels eines Gesetzes ihrer ge-samten jüdischen Bevölkerung entledigte (...) Drei Jahrhun-derte später (...) war die jüdische Bevölkerung Englandslängst Geschichte. In London gab es zwar eine kleine Grup-pe von zum Christentum bekehrten Juden aus Spanien undPortugal, und unter ihnen waren vielleicht einige Marra-nen, die heimlich an ihren jüdischen Bräuchen festhielten.

12 |

Page 13: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

(...) Doch die jüdische Gemeinschaft in England war seitlangem verschwunden, und es gab keine Juden, die ihreReligion offen praktizierten. Gleichwohl hinterließen JudenSpuren, die sich viel schwerer auslöschen ließen als Men-schen (...) und über diese Spuren – Geschichten, die man inUmlauf brachte, weitererzählte und ausschmückte – grü-belten die Engländer fortwährend und geradezu obsessiv.Es gab jüdische Fabeln, jüdische Witze und jüdische Alp-träume. Juden lockten kleine Kinder in ihre Klauen, ermor-deten sie und verwendeten ihr Blut, um Brot für das Pas-sahfest zu backen. Juden waren unsagbar reich – selbstwenn sie wie Arme aussahen –, und heimlich zogen sie dieFäden eines riesigen internationalen Netzes von Kapitalund Gütern. Juden vergifteten Brunnen und waren für dieAusbreitung der Beulenpest verantwortlich. Insgeheimplanten Juden einen apokalyptischen Krieg gegen dieChristen. Juden hatten einen besonderen Gestank. Jüdi-sche Männer menstruierten.“ (Greenblatt, S. 303f) [...]

Zur Schürung antisemitischer Ressentiments jedoch ist,wie auch die Rezeptionsgeschichte des Stückes zur Zeitder Naziherrschaft zeigt, Shakespeares Kaufmann nichtgeeignet. Der Shakespeare-Forscher und -Biograph Ste-phen Greenblatt bemerkt zurecht: „Das Publikum wird zunahe an die leidende Figur herangeführt, als dass es sichseelisch behaglich fühlen konnte (...) wir sind viel zu sehran Shylocks Identität und an seinem Schicksal interessiert,als dass wir ungehemmt und ohne Schmerzen lachenkönnten.“ (S. 336ff) Heinrich Heine notierte in seinemAufsatz über „Shakespeares Mädchen und Frauen“ folgen-des Theatererlebnis: „Als ich dieses Stück im Drurylaneaufführen sah, stand hinter mir, in der Loge, eine schöneblasse Britin, welche am Ende des vierten Aktes heftigweinte und mehrmals ausrief: the poor man is wronged!(dem armen Mann geschieht Unrecht!) Es war ein Gesichtvom edelsten griechischen Schnitt, und die Augen warengroß und schwarz. Ich habe sie nie vergessen können, diesegroßen und schwarzen Augen, welche um Shylock geweinthaben!“ In derselben Schrift schreibt Heine auch: „VonReligionsverschiedenheit ist in diesem Stück nicht die ge-ringste Spur.“ (S.178f)

RESPEKTABILITÄT DES GELDMACHENS

Kurz verweilen möchte ich nun an der 1. Szene des III. Ak-tes, dem Wendepunkt des Dramas, in dem Shakespeare,ähnlich wie in der doppelte Makrostruktur des Stückes,die beiden Seelen in Shylocks Brust aufs äußerste er-schüttert. Die Szene handelt von Neuigkeiten, Nachrich-ten, Berichten und Gerüchten. Kaufleute und Bankierswissen, dass Zeit Geld ist. Demnach wissen sie auch, wiewichtig es für ein erfolgreiches Geschäft ist, früher als dieKonkurrenten die Ankunft der Schiffe zu kennen und vonevtl. Schiffbrüchen zu hören, vom Zustand der Ernten, vonNaturfaktoren und -katastrophen. Alle politischen undmilitärischen Ereignisse können den Waren- und Geld-wert beeinflussen. Deshalb war der Kaufmannsbankier

ständig auf der Jagd nach Neuigkeiten.

Solanio und Salerio, gleichfalls Figuren aus dem persönli-chen Umfeld Antonios und dramaturgisch in einer Cho-rus-Funktion, haben gehört, dass Antonio ein Schiff verlo-ren hat. Shylock tritt hinzu. Sie fragen ihn: „Was gibt esNeues bei den Kaufleuten?“ Doch Shylock leidet darunter,dass seine Tochter Jessica ihn verlassen hat, und entgeg-net, dass keiner so gut wie sie wüßten, dass sie geflohensei. Er ist empört, dass sein „Fleisch und Blut“ rebellischgeworden sei. Doch die beiden lassen nicht locker, derUnterschied zwischen seinem und ihrem Blut sei „größerals zwischen Pechkohle und Elfenbein, größer als zwischenRot- und Weißwein“. Sie verraten ihr Wissen um AntoniosVerlust nicht, fragen stattdessen scheinheilig, ob er be-reits etwas gehört hätte. Gleich dreimal warnt Shylock imFolgenden „Let him look to his bond“, er soll an seine Ver-pflichtung denken. Solanio und Salerio fürchten um An-tonio, und, um weiteres zu erfahren, hakt Salerio nach:„Nun ich bin sicher, wenn er verwirkt, wirst du sein Fleischnicht nehmen – wofür soll das gut sein?“ Und Shylock ant-wortet: „Um Fische damit zu ködern.“ Shylock ist in hefti-ger Aufruhr, ihm platzt der Kragen und es folgt die, nachHamlets Monolog, wohl berühmteste Passage aus Sha-kespeares Werk:

“Wenn es sonst nichts füttert, so wird es meine Rache füt-tern. Er hat mich schlechtgemacht, mich um eine halbeMillion Verdienst gebracht, gelacht über meine Verluste,gespottet über meine Gewinne; verachtet hat er mein Volk,vereitelt meine Geschäfte, kalt gemacht gegen mich meineFreunde, angeheizt meine Feinde, – und was war seinGrund? Ich bin ein Jud. Hat nicht ein Jud Augen? hat nichtein Jud Hände, Organe, Leib und Glieder, Sinne, Neigungen,Leidenschaften? genährt mit derselben Nahrung, verwun-det mit denselben Waffen, anfällig für dieselben Krankhei-ten, geheilt mit denselben Mitteln, gewärmt und gekühltvon demselben Winter und Sommer, wie ein Christ? –Wenn ihr uns stecht, müssen wir nicht bluten? Wenn ihruns kitzelt, müssen wir nicht lachen? Wenn ihr uns vergif-tet, müssen wir nicht sterben? Und wenn ihr uns Unrechttut, sollen wir es nicht rächen? – Wenn wir sind wie ihr inallem anderen, dann wollen wir euch auch ähnlich sein indem. Wenn ein Jud einem Christen Unrecht tut, was istdem seine Sanftmut? Rache! Wenn ein Christ einem JudenUnrecht tut, was soll dem seine Geduld sein nach christli-chem Vorbild? – Nun: Rache! Die Gemeinheit, die ihr michlehrt, die will ich ausführen, und soll hart hergehen, wennich’s nicht besser kann als meine Lehrmeister.” (III,1)

Im Anschluß daran werden die beiden zu Antonio geru-fen und Shylocks jüdischer Geschäftsfreund Tubal, ohnedessen Hilfe Shylock die gewünschten 3000 Dukaten garnicht hätte verleihen können, betritt die Szene. Auch hiergeht es um Neuigkeiten. Shylock begrüßt ihn: „Was gibtes Neues aus Genua? Hast du meine Tochter gefunden?“Nein, gefunden hat er sie nicht, aber er hat so manchesgehört. Shakespeare läuft in der szenischen Komposition

| 13

Page 14: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

nun zu Höchstform auf: Antonio hat das Handelsschiffaus Tripolis verloren, Jessica gab in Genua 80 Dukatenaus, verschiedene von Antonios Kreditgebern – wie ne-benbei erfahren wir, dass Shylock nicht der einzige ist, beidem sich Antonio Geld lieh – seien der Meinung, dass An-tonio nur bankrott machen kann, und es folgt der härte-ste Schlag: Einer dieser Kreditgeber zeigte ihm einenRing, den er von Shylocks Tochter erhalten habe, und zwarfür einen Affen(!!). – Shylock ist entsetzt: „Pfui über sie! –du quälst mich, Tubal – es war mein Türkis, ich bekam ihnvon Leah, als ich noch Junggeselle war: ich hätte ihn nichtfür eine Wildnis voll Affen hergegeben.“ Hier ist selbstseine Grenze überschritten: Der Symbolwert ist nichtdurch einen Tauschwert zu ersetzen. Aber Shakespearelegt nach. Tubal, kurz und trocken: „Aber Antonio ist be-stimmt vernichtet.“ Der Zuschauer weiß, dass er bereitsauf die nächste Grenzüberschreitung zusteuert.

Abwechselnd, von Shylocks Kommentaren unterbrochen,geht es also Schlag auf Schlag: Demütigung und Genug-tuung, Qual und Gottesdank wechseln sich ab. Und amEnde der Szene steht für Shylock fest: „Ich will sein Herzhaben, wenn er verwirkt, dann wäre er aus Venedig heraus,kann ich Geschäfte machen wie ich will.“ (...) Noch einmalmöchte ich aus Heines Aufsatz zitieren: „Shylock liebtzwar das Geld, aber es gibt Dinge, die er noch weit mehrliebt (...) die Genugtuung für sein beleidigtes Herz (...) undseine Tochter (...) Obgleich er in der höchsten Leidenschaftdes Zorns sie verwünscht und tot zu seinen Füßen liegensehen möchte, mit den Juwelen in den Ohren, mit den Du-katen im Sarg: so liebt er sie doch mehr als alle Dukatenund Juwelen.“ (S. 185f) Und betreffs Lorenzo, Jessicas Lieb-haber und Fluchthelfer, schreibt er: „Was gar den Lorenzobetrifft, so ist er der Mitschuldige eines der infamstenHausdiebstähle, und nach preußischem Landrecht würdeer zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt und gebrand-markt und an den Pranger gestellt werden; obgleich ernicht bloß für gestohlene Dukaten und Juwelen, sondernauch für Naturschönheiten, Landschaften im Mondlichtund für Musik sehr empfänglich ist. Was die anderen edlenVenezianer betrifft, die wir als Gefährten des Antonio auf-treten sehen, so scheinen sie ebenfalls das Geld nicht sehrzu hassen, und für ihren armen Freund, wenn er ins Un-glück geraten, haben sie nichts als Worte, ‚gemünzte Luft‘.“(S.182f) Ganz Venedig weiß um Antonios Lage. Doch kei-ner seiner Freunde versucht, vor Ablauf der Frist die erfor-derliche Summe aufzubringen oder zusammenzutragen.Stattdessen wird Antonio bedauert und Shylock verach-tet, was ja deutlich bequemer ist. Und Heine schreibt:„Wahrlich, mit Ausnahme Portias ist Shylock die respekta-belste Person im ganzen Stück.“ (S.185)

GELD UND LIEBE – DIE CODIERUNG, DECODIERUNG UNDRECODIERUNG DES BEGEHRENS

Portia gedenkt sich zu vermählen. Drei Kästchen stehenzur Wahl. Wer sich für das rechte entscheidet, wird der

Erwählte sein. Zu Beginn dieses Handlungsstranges er-fahren wir, dass die reiche und schöne Portia heftig um-worben wird. [...] Lord Bassanio liebt Portia. Noch bevor erihre Schönheit und ihre Tugendhaftigkeit erwähnt, betonter gegenüber Antonio ihre reiche Hinterlassenschaft.Aber um sich eine standesgemäße Brautwerbung leistenzu können, braucht er jenes Geld, das er nicht hat. Er fragtdeshalb seinen Freund, der es jedoch auch nicht hat. AusFreundschaft erklärt dieser sich bereit, die Bürgschaft fürden Kredit zu übernehmen. Wie Antonio ist Bassanio mitdiesem durch sein Handeln verbunden, durch sein ventu-re, auch Bassanio spielt in seiner Werbung um alles odernichts, ist ein fortune hunter.

„Wer mich wählt, der gewinnt, was mancher Mann be-gehrt“, (II,7)so lautet die Aufschrift auf dem goldenenKästchen, für das sich der Prinz von Marokko entscheidet.Er wählt den Gewinn, denn er fühlt sich als Sieger in derKonkurrenz, Auserwählter unter den Vielen, die alle dasgleiche wollen. Was viele begehren ist von universalemWert. Doch in dem Kästchen findet er einen Toten-schä-del. Auf der symbolischen Ebene trifft all dies auch aufden Tod zu. Selbst in einem goldenen Grab werden dieWürmer dich zerfressen.

„Wer mich wählt, der bekommt, was er verdient“, (...) lautetdie Aufschrift auf dem silbernen Kästchen. Der Prinz vonArragon entscheidet sich dafür, entscheidet sich für denLohn. Er glaubt, dass er Portia mehr als alle anderen ver-diene. Doch wer zu wissen glaubt, was ihm zusteht, istein eitler, blinzelnder Idiot, verliebt nur in sein eigenesSchattenbild. In dem Kästchen findet er sich in einenNarrenkopf wieder.

„Wer mich wählt, gibt und wagt, was er nur hat“, (...) lau-tet die Aufschrift auf dem dritten, dem bleiernen Käst-chen. Leben die anderen beiden von der Erwartung, so istder, der Blei wählt, ein Handelnder. Er muß aus sich her-austreten, er muß riskieren und investieren. Sein Symbolist das darin befindliche Bildnis der vielfach Umworben-en. „Blei bedeutet: Ich wähle dich, weil du ein Wagnis bist,fremd aussiehst und gespalten bist in Außen und Innen,häßlich und schön, bedrohlich und vielversprechend, Wahr-heit und Schein, kurz, weil du so geschieden bist, wie sichdie Welt an dir scheidet.“ (Schwanitz, S. 109f) [...]

„Die Codierung der Liebe wird durch das Märchenschemain auratische Nähe zum Geld gerückt“, schreibt der AnglistDietrich Schwanitz; vor dem „Hintergrund der metalli-schen Differenzierung“ muß der „Liebescode selbst diffe-renziert werden“. (nach Hörisch, S. 210) Gold und Silber,alter und ego, stehen das bleierne Kästchen mit „inverserZurechnung“ gegenüber; das bedeutet „ein Verbot direkterBegierde, Zueignung und Vereinnahmung; und damit wirdjeder Gestus des Besitzanspruchs und der Begründung die-ses Anspruchs mit eigenem Verdienst ausgeschlossen unddie Liebe statt dessen auf Hingabe, Wagnis und Kontingenzabgestellt“. Portia hatte indes die Wahl Bassanios zu ihren

14 |

Page 15: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

Gunsten manipuliert. Das Theater Shakespeares ironisiertdas Ideal, macht es als solches kenntlich, akzeptiert unddestruiert es gleichzeitig.

ZUM SCHUTZ DER GELDWERTE – DAS UNVERGLEICH-LICHE

An allen Ecken und Enden des Stückes werden Fragen vonBeziehungen – und zwar genauer als Wertbeziehungen –aufgeworfen. Ständig umkreist und durchmischt es dieGrenzen von Gebrauch und Bedürfnis, Tausch und Reich-tum, Symbol und Ehre. Mit den Figuren sieht sich auchder Zuschauer mit immer neuen ‚unmoralischen Angebo-ten‘ konfrontiert. – Nachdem ‚der Doktor des Rechts‘ Por-tia und sein Schreiber Nerissa Antonio aus den FängenShylocks und des venezianischen Rechtes befreit haben,wendet sich Bassanio erleichtert an den Befreier: „Hoch-werter Herr, ich und meine Freund sind durch Eure Weis-heit heute von schweren Strafen entbunden worden, wo-für wir mit den 3000 Dukaten, die dem Juden zustanden,freimütig Eure freundschaftliche Mühen entgelten.“ Dochzu seiner Überraschung will auch Richter Portia, wieschon Shylock zuvor, kein Geld. Stattdessen fordert er/sieden Ring, den sie noch vor ihrer Abreise Bassanio als Ehe-versprechen mit folgenden Worten geschenkt hatte:„Ich selbst, und was ich habe, bin jetzt Euer. Noch eben warich Herrin dieses schönen Gutssitzes hier und aller meinerLeute, und meine eigene Königin. Doch jetzt sind diesesHaus, die Leute und ich selber ganz Euer, Herr: Ich geb siemit dem Ring hier. Doch trennt ihr Euch von ihm, verliert,verschenkt ihn das zeigte Euer Liebe Untergang und wärmein Grund, Euch offen zu verklagen.“ (III,2)Doch kurz darauf schon hält Bassanio den Ring nichtmehr der Rede wert. Aber Doktor Portia ist unnachgiebig,worauf Bassanio: „An ihm hängt mehr als nur sein Wert“,die Wahrheit sagt. Portia wartet nun mit einem weiteren,diesmal sehr weiblichen, rhetorischen Trick auf: „Die Ent-schuldigung dient vielen Männern, ihre Geschenke zu spa-ren (...) . Wenn Eure Frau nicht ganz verrückt ist und wennsie erst wüßt, wie sehr ich ihn verdient hab, dann wär sieEuch auch nicht ewig böse, weil Ihr ihn mir gabt (...)“ (IV,1)Bassanio und Graziano tönten bereit vor Gericht, selbstihre Frauen zu opfern, um Antonio aus seiner mißlichenLage zu befreien. Angesichts solcher Reden wundert esnicht, dass Shylock darunter leidet, seine Tochter an einenChristen verloren zu haben. Schließlich willigt Bassanioein und gibt, wie auch Gratiano, seinen Ring. Der Ärgerfolgt im letzten Akt, in dem die beiden Frauen ihre Män-ner bereits erwarten; Portia, rhetorisch: „Ich würde es wa-gen, für ihn einen Eid zu leisten, er würde sich nie von demRing trennen“. Bassanio schwitzt, würde sich am liebstendie linke Hand abhacken. Doch der Ring steckt nicht anseinem Finger. Portia: „Beim Himmel, ich will nie in EuerBett kommen, bis ich den Ring sehe“, und natürlich stecktda eine andere Frau dahinter. Noch einmal kommt dermenschliche Körper als Äquivalent ins Spiel: „da der Dok-tor das Juwel bekommen hat (...) werde ich so großzügig

werden wie Ihr, ich werde ihm nichts verweigern, was ichhabe, nein, nicht meinen Körper und auch nicht das Bettmeines Mannes“. – Die Männer sind verzweifelt. Bassanioschwört, nie mehr einen Eid zu brechen. Portia macht An-tonio zum Bürgen und gibt über ihn den Ring an Bassan-io zurück. Der erkennt den Ring, oh Wunder, wo kommtder denn her? Und Portia setzt der Komödie die Kroneauf: „Für diesen Ring hat der Doktor mit mir geschlafen“.Nach diesem Moment des Triumphes klären die beidenFrauen schließlich ihre inszenierte Maskerade vor Gerichtauf. Das Stück kann enden.

„Weil der Ring die Nichtäquivalenz, Nichtvertauschbarkeitvon Liebenden und also leidenschaftliche Nichtgleichgül-tigkeit symbolisiert, ist es für den oder die Liebende(n) dasTrauma schlechthin, diese Liebespfand zum Objekt desTausches degradiert zu sehen. Denn der Ring ist das, wasman für nichts in der Welt vertauschen darf“, kommen-tiert Jochen Hörisch (S. 206), sollen Gleichwertigkeitennicht in Gleichgültigkeit umschlagen, und zitiert Kantsschöne Worte: „Was einen Preis hat, an dessen Stelle kannauch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; wasdagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquiva-lent verstattet, das hat eine Würde.“

Axel Nitz,Komponist und Autor, München

Literatur:Friedmar Apel: Essay zu Shakespeares Kaufmann vonVenedig, s.d. Berlin 1986Francis Bacon: Essays, Leipzig 1979Ernst Bloch: Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance,Frankfurt 1977Robert Burton: Anatomie der Melancholie, Mainz 1988Stephen Greenblatt: Will in der Welt – wie Shakespeare zuShakespeare wurde, Berlin 2004Wilhelm Hartmann: Shakespeare und das deutsche Theaterdes 20. Jahrhunderts, Berlin 2001Heinrich Heine: Shakespeares Mädchen und Frauen,Neu-Isenburg, 2006Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl – Die Poesie des Geldes,Frankfurt 1996Alexander Karmann: Mythos Zins – Mythos Geld, Marburg2006Christopher Marlowe: Der Jude von Malta, Übers. ErichFried, Berlin 2003Jacques Le Goff: Kaufleute und Bankiers im Mittelalter,Berlin 2005Jacques Le Goff: Wucherzins und Höllenqualen, Stuttgart1988Peter Müller: Ein paar Prozent Streit, Die Zeit 06/2003Klaus Reichert: Der fremde Shakespeare, München 1998Dietrich Schwanitz: Das Shylock-Syndrom, Frankfurt 1997Wolfram Weimer: Geschichte des Geldes, Frankfurt 1994

| 15

Page 16: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

16 |

Page 17: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass

IMPRESSUM

Institut für WirtschaftsgestaltungBordeauxplatz, Wörthstraße 2581667 München+49. [0]89.48929800www.ifw01.de

Dr. Wolf Dieter Enkelmann,Nicole Wiedinger

Nicole Wiedinger

“Granatherz”, Jobst von Volckamer

Dr. Wolf Dieter EnkelmannStefan ZacherAxel Nitz

© Institut für Wirtschaftsgestaltung

Herausgeber

Redaktion

Gestaltung

Illustration

Autoren

Page 18: wpc 14 - Wirtschaftsphilosophiewirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphilosophischer_club... · „Ich wollt euch Freund sein, eurer Liebe willen und auch vergessen, dass