Wüsten von Wolf Dieter Blümel

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Ulmer Wolf Dieter Blümel Wüsten

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Lehrbuch des Ulmer Verlages

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Ulmer

Wolf Dieter BlümelWüsten Bl

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3882

Dieses Buch vermittelt Grundlagenwissen und Ver-ständnis für das facettenreiche Wesen, die Ursachen und die landschaftliche Entwicklung von Wüsten. Das aktuelle, integrative Zusammenspiel zwischen Klima, anorganischem Stoffkreislauf und Biosphäre wird im Zusammenhang mit der wechselhaften Klima- und Relief geschichte gesehen. Aus diesem natürlichen Klima-wandel erklärt sich auch die frappierende kulturge-schichtliche Bedeutung mancher Wüsten während der jüngsten Jahrtausende. Gegenwärtig greift der Mensch an den Wüstenrändern massiv in den sensiblen Natur-haushalt ein und wird damit selbst zum Verursacher wüstenhafter Zustände.

www.utb.de

Physische · Geographie · Geologie Geoarchäologie · Klimatologie

,!7ID8C5-cdiich!ISBN 978-3-8252-3882-7

Mit zahlreichen Farbfotos, Grafiken und Tabellen.

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Wüsten

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Prof. Dr. Wolf Dieter Blümel, Studium der Fächer Geographie, Geo-logie, Volkswirtschaft und Vor- und Frühgeschichte an den Univer - si tä ten Münster und Würzburg. Promotion zum Dr. rer. nat. (1972), Ha bilitation für das Fach Physische Geographie (1980), Prof. für Geo-morphologie und Geoökologie an der Universität Karlsruhe (1981–1987). Seit 1987 Lehrstuhl für Physische Geographie und Direktor des Instituts für Geographie an der Universität Stuttgart (seit April 2010 im Ruhestand).

BildquellenDie Grafiken 1 – 4, 12, 15 – 23, 25 – 29, 31 – 45, 48, 49, 52 – 54, 56, 57, 60 – 62 fertigte Bettina Allgaier nach Vorlagen des Autors und aus der Literatur.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im In-ternet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein-speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2013 Eugen Ulmer KGWollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim)E-Mail: [email protected] Internet: www.ulmer.deLektorat: Sabine Mann, Antje MunkHerstellung: Jürgen SprenzelEinbandgestaltung: Atelier Reichert, StuttgartLayout: Bernd Burkart; www.form-und-produktion.deDruck und Bindung: Graphischer Großbetrieb Friedr. Pustet, RegensburgPrinted in Germany

UTB-Band-Nr.: 3882ISBN 978-3-8252-3882-7

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Inhalt

1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung . . 122.1 Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten . . . . . . 142.2 Heiße/warme Wüsten: Definition und Differenzierung . 182.3 Hygrische Abgrenzung der Wüsten . . . . . . . . . . . . 19

3 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten . . . . . . . . . . . 213.1 Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung

und Aridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213.2 Zur Geschichte der Wüste Namib . . . . . . . . . . . . . 263.3 Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän) . . . . 283.4 Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten

und an Wüstenrändern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.4.1 Wüstenränder/Wüstenrandgebiete . . . . . . . . . . . . 343.4.2 Östliche Sahara: siedlungsgeschichtliche Entwicklung . . 353.4.3 Vorderer Orient: Fruchtbarer Halbmond . . . . . . . . . 363.4.4 Die südperuanische Atacama: Prähistorie

und Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Wüstentypen: Ursachen ihrer Entstehung . . . . . . . . 424.1 Großklimatisch bedingte Wüsten: Wendekreiswüsten

(Passatwüsten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444.1.1 Hyperaride Ost-Sahara . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464.1.2 Wendekreiswüsten der Südhalbkugel . . . . . . . . . . 474.2 Kontinental-klimatische Wüsten . . . . . . . . . . . . . 484.3 Orographische Wüsten (Regenschattenwüsten) . . . . . 494.4 Edaphische Wüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504.5 Küstenwüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.6 Kältewüsten und Hochgebirgswüsten . . . . . . . . . . 534.6.1 Polare Kältewüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544.6.2 Hochgebirgs-Kältewüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . 554.7 Komplexe Wüstentypen (Mischtypen) . . . . . . . . . . 56

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6 Inhalt

4.8 Desertifikation: anthropogene Wüstenbildung . . . . . . 574.8.1 Klimawirksamkeit der Desertifikation . . . . . . . . . . 604.8.2 Das Aralsee-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

5 Verbreitung und Flächenanteile der Wüsten . . . . . . 64

6 Allgemeine Kennzeichen des Wüstenklimas . . . . . . 686.1 Niederschläge und ihre raum-zeitliche Variabilität . . . . 686.2 Temperaturverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776.3 Verdunstung (Evaporation) . . . . . . . . . . . . . . . . 79

7 Wüste als Lebensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817.1 Vegetation in Wüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817.1.1 Dauervegetation: diffuser und kontrahierter

Bewuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827.1.2 Ephemere Vegetation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857.1.3 Ökologische Typisierung von Wüstenpflanzen

und Überlebensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877.1.4 Nebel als ökologischer Faktor . . . . . . . . . . . . . . . 967.1.5 Die Rolle des Wurzelsystems . . . . . . . . . . . . . . . 987.1.6 Phytomasse und Primärproduktion . . . . . . . . . . . . 1007.2 Fremdlingsflüsse und Flussoasen . . . . . . . . . . . . . 1017.3 Oasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037.4 Wüstenfauna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

8 Verwitterung und Stoffneubildungen . . . . . . . . . . 1118.1 Insolations-/Temperaturverwitterung . . . . . . . . . . 1118.2 Hydratation: synergetische Verwitterung . . . . . . . . . 1158.3 Salzverwitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158.4 Wüstenlack, Hartrinden und Wabenverwitterung . . . . 1178.5 Tafonierung (Hohlblockbildung) . . . . . . . . . . . . . 120

9 Wüstenböden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1239.1 Kennzeichen von Wüstenböden . . . . . . . . . . . . . 1269.2 Bodentypen der Wüsten und Halbwüsten . . . . . . . . 1309.3 Pedogene Kalkkrusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

10 Geomorphologie der Wüsten . . . . . . . . . . . . . . . 13710.1 Paläogeographische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . 13710.2 Geomorphologische Wüstentypen . . . . . . . . . . . . 14010.2.1 Hamada: Fels- und Steinwüste . . . . . . . . . . . . . . 14110.2.2 Serir: Kieswüste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14310.2.3 Sandschwemmebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14410.2.4 Reg (Gibber plain, Dasht, Gobi) . . . . . . . . . . . . . . 14610.2.5 Erg: Sand-/Dünenwüste . . . . . . . . . . . . . . . . . 14710.2.6 Salz- und Salztonwüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

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7Inhalt

11 Aktuelle Reliefbildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . 15211.1 Schwerkraftwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15311.2 Windwirkung (äolische Prozesse) . . . . . . . . . . . . . 15411.2.1 Erosive und korrasive Windwirkung . . . . . . . . . . . 15511.2.2 Äolische Akkumulationsprozesse und -formen . . . . . . 16311.3 Reliefformung durch Wasser . . . . . . . . . . . . . . . 17011.3.1 Oberflächenabfluss und Hangformung . . . . . . . . . . 17011.3.2 Fluvialer Transport und Erosion . . . . . . . . . . . . . 176

Regionalteil

12 Wüsten in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18212.1 Sahara: größte Extremwüste . . . . . . . . . . . . . . . 18212.1.1 Klimatische und vegetationsgeographische

Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18212.1.2 Geomorphologische Landschaftselemente . . . . . . . . 18912.1.3 Klima-, Landschafts- und Kulturgeschichte . . . . . . . 19312.2 Namib: Küsten- und Wendekreiswüste . . . . . . . . . . 20412.2.1 Klimatische Kennzeichen der Mittleren

(Zentralen) Namib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20612.2.2 Vegetationslandschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . 20812.2.3 Geomorphologische Gliederung der Namib . . . . . . . 21212.2.4 Klimatische Fluktuationen in der Namib . . . . . . . . . 21712.2.5 Kulturgeschichtliche Aspekte: Siedlungsplätze

und Gebirgsrefugien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22312.3 Kalahari – eine vorzeitliche Wüste . . . . . . . . . . . . 229

13 Die nordchilenisch-peruanischen Wüsten . . . . . . . . 23713.1 Wüstenklima und Vegetationsaspekte der

peruanischen Atacama . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23713.2 Die chilenische Atacama: Küsten- und Binnenwüste . . 24213.2.1 Alter und Genese der Atacama . . . . . . . . . . . . . . 24313.2.2 Geomorphologische Facetten . . . . . . . . . . . . . . . 24513.2.3 Klima und Vegetation der nordchilenischen Atacama . . 24613.2.4 Kulturen in der peruanisch-chilenischen Wüste . . . . . 255

14 Australien – Kontinent der (Halb-)Wüsten . . . . . . . 25814.1 Klimakennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26014.2 Vegetationsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26414.3 Geomorphologische Wüstentypen

und Landschaftsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 26714.4 Böden australischer Wüsten und Halbwüsten . . . . . . 27414.5 Zur Umwelt-, Siedlungs- und Kulturgeschichte . . . . . 275

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8 Inhalt

15 Asien: Takla Makan und Gobi – extreme Binnenwüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

15.1 Tarim-Becken: Wüste Takla Makan, Tarim-Fluss, Tugai-Wälder und Lop Nor . . . . . . . . . . . . . . . . 281

15.1.1 Zur natürlichen Klima- und Landschaftsgeschichte . . . 28415.1.2 Anthropogener Landschaftswandel: Tugai-Wälder . . . . 28615.2 Wüste Gobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

16 Kältewüsten der Polarregionen . . . . . . . . . . . . . 29316.1 Arktische Kältewüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29516.2 Antarktische Kältewüsten . . . . . . . . . . . . . . . . 298

17 Ausblick: Zur Zukunft der Wüsten . . . . . . . . . . . 307

Abkürzungsverzeichnis/Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . 311Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

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1 Vorbemerkung

Anliegen dieses Buches ist es, Wesensmerkmale der Wüsten aus geo graphischer Sicht zu beschreiben und zu erklären. Mit fast 30 Mio. km2, das sind etwa 20 % der Kontinentflächen, nehmen echte Wüsten einen beträchtlichen Teil des Globus ein. Zählt man die ge-ringfügig feuchteren Halbwüsten hinzu, kommt man auf ~50 Mio. km2 (= !⁄" der Festlandsflächen). In der internationalen Literatur variieren die Flächen- und Prozentangaben beträchtlich – je nach Definition des Begriffs Wüste und der verwendeten Abgrenzungskriterien wie Ariditäts- oder Vegetationsindizes.

Wie andere Ökozonen/Zonobiome oder Großräume der Erde (Tun-dren, Boreale Wälder, Steppen, Savannen, tropische Regenwälder usw.) sind auch Wüsten als Lebensräume zu betrachten. Damit wird auch neben einer klimatischen, orographischen oder edaphischen Verursachung eine vegetationsgeographisch ausgerichtete physiogno-mische Definition bevorzugt.

Hauptziel der hier zwangsläufig selektiven Informationen ist es, das Phänomen Wüste aus dem landschaftlichen Blickwinkel zu be-trachten, das Verständnis für geo- und biowissenschaftliche Prozesse, kausale Zusammenhänge und vor allem für die Veränderlichkeit in Zeit und Raum zu verstärken sowie darin die kulturhistorische Be-deu tung zu betonen.

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt im ersten Teil des Buches in ei-ner physisch-geographischen Beschreibung und Erklärung des Phä-nomens Wüste. Es wird versucht, ein Grundverständnis für die Existenz von Wüsten sowie für deren repräsentative Klima- und Vegetationsverhältnisse mit ihren ökologischen Wechselwirkungen zu vermitteln. Die weltweit unterschiedlichen Physiognomien von Wüsten erklären sich zum Teil aus der Landschafts- und Erdgeschichte. So ermöglichen geomorphologische Wüstentypen (Sand-, Fels-, Geröll- oder Salzton-Wüsten) eine äußerliche Differenzierung und Erklärung des jeweiligen Landschaftscharakters unter dem Aspekt eines erdgeschichtlich jungen Klima- und Umweltwandels. Die aus Vorzeitmilieus vererbte Oberflächengestalt der Wüsten wird unter ak-

Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch

ein wenig Wüste

Sven Hedin

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10 Vorbemerkung

tual-klimatischen Bedingungen teilweise transformiert und weiter-entwickelt. Hierzu werden die wesentlichsten Prozesse der Verwit-terung und Stoffverlagerung vorgestellt. Da klimatischer Wandel nicht nur ein Gegenwartsthema ist, sondern auch in den jüngsten Jahr-tausenden eine eigene „Kulturgeschichte der Wüsten“ ermöglicht hat, wird bereits eingangs mit einigen Beispielen auf diese oft unbekann-te Rolle hingewiesen. Bei weiter wachsender Erdbevölkerung wird auch der Nutzungsdruck auf die Randbereiche der Wüsten und die semi-ariden Gebiete immer stärker: In einem Abriss wird das Problem der Desertifikation, der vom Menschen verursachten Wüsten als eine aktuelle, die semi-ariden und ariden Lebensräume bedrohende, kli-mawirksame Entwicklung erörtert.

Im zweiten Teil werden ausgewählte Wüsten vorgestellt. Einen umfassenden Überblick über alle potenziell möglichen Themen kann dieses Buch nicht liefern. Im Vordergrund stehen physisch-geogra-phische Kennzeichen, die die Individualität der einzelnen Wüsten herausstellen. Hinzukommt der Versuch, die klima- und landschafts-geschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zusam-menzufassen, zumal aufgrund ständig verbesserter Analyse- und Datierungsmethoden teils frappierende neue Erkenntnisse und Ein-ordnungen zur Dynamik und Qualität des Umweltwandels in der jüngsten erdgeschichtlichen Phase erarbeitet wurden. Wie sehr der Mensch in diese Entwicklungen eingebunden war und wie er unter dem Regime geänderter klimatisch-landschaftlicher Rahmen be-dingungen seine Entfaltungsmöglichkeiten nutzte oder er auf prekäre Umstände reagieren musste, zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel der Sahara oder der Peruanischen Atacama. Diese geoarchäologischen Befunde sollen die Rolle der (veränderlichen) Wüsten betonen und ihre siedlungs- und kulturhistorische Bedeutung herausstellen.

Neuere anthropo- und wirtschaftsgeographische Entwicklungen wie der Strukturwandel in den Oasensiedlungen und Gesellschaften, die urbaner Räume und Projekte (Dubai u. a.) können nicht berück-sichtigt werden, ebenso wenig die realisierte oder geplante landwirt-schaftliche Erschließung oder Rohstoffpotenziale. Die Literatur über Trockengebiete füllt ganze Bibliotheken: Tiefer in die zahllosen spezi-fischen Themen und Fragestellungen einzudringen, verlangt eigene Literaturstudien.

Dank

Mein besonderer Dank gilt Frau Dipl.-Geogr. Bettina Allgaier für die engagierte Anfertigung zahlreicher Abbildungen, Dr. Ingrid Stengel (Windhoek) für die Bearbeitung einiger Satelliten- und Luftaufnah-men, Prof. Dr. Helga Besler (†), PD Dr. Stefan Kröpelin und Prof. Dr. Michael Succow für einige Fotobeiträge, Prof. Dr. K. Gießner für Grafik- und Datenunterlagen. Herrn Dipl.-Geogr. Bernhard Jakob

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11Vorbemerkung

bin ich für seine EDV-technische Unterstützung, den ehemaligen studentischen Hilfskräften Beate Fleischer und Julia Stahl für vor-bereitende Literaturrecherchen sehr dankbar. Frau Sabine Mann, Antje Munk und Herrn Jürgen Sprenzel vom Verlag Eugen Ulmer danke ich für die redaktionelle Betreuung und für die technische Unterstützung bei der (foto)grafischen Ausstattung des Buches, Herrn Bernd Burkart für das Layout.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sei gedankt für die Unter stützung zahlreicher Forschungsaufenthalte in heißen Wüsten wie auch in den Kältewüsten beider Polargebiete. Die Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V. (GEV) bewilligte großzügig zwei Untersuchungen zu vorzeitlichen Siedlungen in der Namib-Wüste. In diesem Kontext gebührt den Kollegen Prof. Dr. Klaus Hüser, Prof. Dr. Bernhard Eitel und AOR Dr. Joachim Eberle zutiefst Dank für viele gemeinsame Geländekampagnen und die dabei erfahrene Kamerad-schaft.

Wolf Dieter Blümel

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2 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

Kaum ein Landschaftstyp ist begrifflich so widersprüchlich belegt wie die Wüste: Öd und leer, monoton, nutzlos, lebensfeindlich, be-drohlich, erbarmungslos … Die Wüste als horror vacui – als der Schre-cken der Leere – ist wohl eher eine europäisch-abendländliche Sicht-weise. Wüstenbewohner wie die Hirtennomaden sehen sie anders: als Raum der Ungebundenheit, des freien Lebens, des Glücks. In An-betracht der zunehmenden Attraktivität von Wüsten als Reiseziel scheint sich jedoch der negative Begriffsinhalt stark gewandelt zu haben. Kennzeichnungen wie faszinierend, fremdartig, unendliche Weite, herausfordernd, hörbare Stille, berauschende Farben, bizarre Formen oder geschichtsträchtige Vergangenheit tragen zu einer wei-teren Mystifizierung der Wüsten bei. Sie spricht Forscher, Bildungs-reisende und Abenteurer ebenso an wie Esoteriker – biblische Be-richte beschreiben die Wüste als Ort der Katharsis, der Meditation, der Erkenntnis.

In Mitteleuropa ist die gängige Vorstellung von einer Wüste vor-nehmlich durch Berichte aus der Sahara oder dem Vorderen Orient geprägt, wobei weitgehende Vegetationsarmut sowie Sand und Dü-nen als Wesensmerkmale gelten. Dieses Bild ist ebenso einseitig wie der internationale Gebrauch der Bezeichnung „desert“ (Wüste) für eine Landschaft uneinheitlich und mehrdeutig ist. Der in Atlanten und Veröffentlichungen benutzte Begriff Wüste kann in der Realität völlig unterschiedliche Naturräume meinen: Wer seine Eindrücke ei-ner Namib- oder Atacama-Reise mit der kalifornischen Mojave-Wüs-te vergleicht (Foto 1), wird letztere wohl kaum als typische Wüste ansehen. Es handelt sich bei der Mojave eher um eine Halbwüste, um eine Dornbusch- und Sukkulenten-Steppe. Sie erhält noch periodi-sche Niederschläge, was den recht dichten Bewuchs erklärt. Ähn-liches gilt für die Kalahari im südwestlichen Afrika: Sie ist gegen-wärtig keine Wüste, sondern eine randtropische Dornbusch- oder Trockensavanne, die auf einem riesigen Längsdünenfeld stockt, des-sen Aktivität als extreme Sandwüste vor etwa 10 000 Jahren endete (Blümel et al. 1998; Foto 59; Kap. 12.3). Australien gilt als der Kon-

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13Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

tinent der Wüsten – und der Reisende ist erstaunt, recht viel Bewuchs in Form von Büschen (scrub) oder Gräsern anzutreffen, dagegen we-nig vegetationsarme oder -lose Gebiete (Kap. 14). Es fehlen also Voll- oder Extremwüstenstandorte nahezu vollständig.

Viele Begriffsinhalte, Benennungen oder Abgrenzungen zum The-ma Wüsten sind also subjektiv und regional unterschiedlich an ge-wandt. Die Erklärung des uneinheitlichen Sprachgebrauchs liegt wohl in der Besiedlungsgeschichte der Neuen Welt und Australiens begründet: Der eingewanderte Ackerbauer aus dem feucht-kli ma-tischen Zentral- und Westeuropa fand in der neuen Umgebung tro-ckene Gebiete vor, die nicht unmittelbar – wie im Herkunftsland – und ohne Zusatzbewässerung unter den Pflug genommen werden

Foto 1 Oben links: Extremwüste: Steinwüste (Hamada) in der chilenischen Atacama (Calama – Tocopilla). Der nahezu niederschlagslose Raum gehört zur weltweit extremsten Wüste. Oben rechts: Extremwüste: Sand-/Dünenwüste (Erg) der Mittleren Namib (Sossus-Vlei). Der Raum erhält weniger als 50 mm Regen und gelegentliche Nebelnässe. Unten links: Vollwüste: Diffuse Vegetation in der Nördlichen Namib. Hier fallen deutlich weniger als 100 mm Niederschlag im Jahr. Der weitständische Bewuchs steht für den Typ einer Vollwüste. Unten rechts: Halbwüste: Die Mojave-Wüste (Kalifornien) ist Teil der Großen Wüste im SW der USA. Sie entspricht aufgrund ihres sehr lückenhaften, aber vergleichsweise üppigen Bewuchses mit Creosote-Büschen (Larrea tridentata) und Kakteen dem Typ einer Halbwüste oder einer Wüstensteppe. Im Jahresmittel fallen 90 bis max. 150 mm Nieder-schlag bei 12 ariden Monaten.

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14 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

konnten. Solche meist lückenhaft bewachsenen Lebensräume waren somit für ihn non arable land (dt. Ödland), von Natur aus nicht be-ackerungsfähig und wurden so als deserts bezeichnet (lat. desertus = verlassen). Aus der Sicht des europäischen Siedlers war derartiges Land ebenso nutzlos wie die wirklich sehr wenig bewachsenen, ech-ten „öden und leeren“ Wüsten. Andererseits betrachteten die einhei-mischen Nomaden oder Jäger und Sammler in Nordamerika, Afrika, Arabien, Asien oder Australien solche vegetationsarmen, aber (zeit-weilig) weidefähigen Wüstenrandgebiete als attraktive Räume frei-heitlichen, ungebundenen Lebens.

2.1 Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten

E. Kaiser verwies 1923 auf eine bereits lange geführte Diskussionen zum Begriff Trockengebiete bzw. zur Erläuterung des Phänomens Wüste. Er bezieht sich auf den Penck’schen Ariditätsbegriff (Trocken-grenze): N – V < 0. Sobald langfristig die potenzielle Verdunstung (V) den Niederschlag (N) übertrifft, gilt der Naturraum als arid (Abb. 1). Seine Wasserbilanz ist negativ. Dies schließt aber nicht aus, dass kurz-fristig viel Niederschlag fallen kann, teils mit katastrophaler Wirkung.

Generell bedeutet Wüste im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein vegetationsarmes oder vegetationsloses Gebiet. Hitze und Trocken-heit, also Wassermangel, gelten als gängige Ursachen für die karge oder fehlende Flora: Die potenzielle Verdunstung übertrifft in Vollwüsten den Jahresniederschlag um ein Vielfaches. Alle Monate des Jahres sind arid, in ihrer Niederschlagsbilanz also negativ (Abb. 2). Auch Boyko (1955, zit. in Evenari 1985) definiert Wüste kurz mit „Desert is an area with a waterless surface as a result of poor and erratic rainfall.”, klammert in dieser Generalisierung jedoch weitere prägende Kennzeichen aus. Denn Wüsten sind charakterisiert durch eine Zahl an gemeinsamen Merk-ma len wie Klima, Wasser, Gewässernetz, Bö den, Vegetation, Tierwelt usw. – die jeweiligen Wissenschaftler richten bei ihrer Kennzeich nung jedoch häufig den Fokus auf ihre Spezialdisziplin, was auch in abwei-

chen den Definitionen sichtbar wird. Zum ver-tieften Verständnis von Wüs ten als Lebensräu-me und Ökosysteme ist im Grunde aber eine ganzheitliche, synthetische Betrachtung nötig.

Wüsten sind nach Shreves weitergefasstem Begriff (1951) im We sentlichen ein Gebiet mit niedrigem und unregelmäßig verteiltem Nie-der schlag, geringer Luftfeuchte, hohen Luft-temperaturen, starkem Wind, Böden mit we-nig organischen Bestandteilen und hohem Ge halt an mineralischen Salzen, violenter Ero-sions tätigkeit durch Wasser und Wind, spora-dischem Abkommen von Flüssen und schwach

Abb. 1 Klimatische Trocken-grenze/Ariditätsfaktor (n. Walter & Lieth): Den in diesem Text verwendeten sog. öko- logischen Klimadia-grammen liegt das Verhältnis n = 2t (Niederschlag n in mm:Temperatur in °C = 1:2) zugrunde (s. Abb. 2). Es bietet eine Näherung zur Unterscheidung arider von humiden Monaten und damit zur groben klimatisch-ökologischen Charakteristik des zugehörigen Raumes.

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15Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten

entwi ckelter dendritischer Dränage. Für A. Gabriel (1961) sind dem-gegenüber „echte Wüs ten“ charakterisiert durch „… Niederschlagsarmut, eine große tägliche Temperaturschwankung (Maxima in der Sonne von 70 °C bis Minima von –10 °C mit Eisbildung, nachts, in Gebirgen und im Winter) und ferner Vegetationslosigkeit der Oberfläche, die 50 % übersteigen soll.“ Ein dazu oft kolportiertes, bezeichnendes Zitat von Einheimischen lautet „Die Wüste ist ein sehr heißes Land, in dem es (nachts) sehr kalt ist.“ (ebd.). So ließen sich Umschreibungen beliebig fort führen mit dem Ergebnis, dass es eine kurze und pauschal zutref fende Definition nicht gibt. Die global weit verteilten Wüsten sind häu fig Individuen. Sie haben viele gemeinsame Merkmale, aber oft in un ter schiedlicher Kombination.

Diverse Autoren haben versucht, mit Hilfe von Ariditätsindizes Typen von Trockengebieten und Wüsten auszugliedern. So un ter-scheidet Dubief (1950, zit. n. Besler 1992) Vegetationstypen nach der Anzahl der Tage, die zur Verdunstung des Jahresniederschlags benö-tigt werden (= Faktor D):• semi-aride Steppe D >28 C diffuse Vegetation.• Halbwüste D >3 – 4 C diffuse Vegetation.• Vollwüste D >1 C kontrahierte Vegetation.• Extremwüste D <1 C kontrahierte Vegetation.

Capot-Rey (1953, zit. in Besler 1992) ermittelt seinen Ariditätsindex (I) aus Jahres- und Monatswerten des Niederschlags P, p und der Ver-dunstung (Evaporation) E, e:

I = ! (100 P/E + 12 p/e). Nach der Höhe des Index differenziert er die Trockenheitsverhältnisse. Da eine diagnostische Unterscheidung nach der Vegetation – als der wohl aussagekräftigsten Übereinstim-mung mit dem Klimamilieu – von Capot-Rey nicht getroffen wurde,

Abb. 2 Bilma (Sahara/Niger; 18°41’ N/12°55’ E): Hyperaride Wüste mit monsunalen Sommer-niederschlägen. Murzuk (Sahara/Li byen; 25°54’ N/13°54’ E): Hyperarid, mit ak zen tuierter Jahres- ampli tude und minimalen Winter-regen. Swakopmund (Namib; 22°40’ S/14°32’ E) und Lüderitz (26°39’ S/15°9’ E): Extrem trockene, kühle Küstenwüsten mit häufigem Nebel und stark ausgeglichener Jahresamplitude. Lüderitz zeigt auch schwache Einflüsse von Winterregen aus dem Kap-Klima.

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16 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

wird seinen Indizes jeweils eine empirisch ableitbare Vegetations-formation zugeordnet: • I = 0 – 0,3 = hyperaride C Extremwüste: völlige Vegetationslosigkeit.• I = 1,25 – 0,3 = plioaride (= voll-arid) C Vollwüste: keine diffuse,

sondern nur noch kontrahierte Vegetation in Tiefenlinien; der Raum erscheint weitgehend vegetationslos.

• I = 4 – 1,25 = mésoaride (= mäßig arid) C Halbwüste/Wüstensteppe: lückenhafter Bewuchs wird auch am Horizont noch deutlich.

• I = > 4 oder 5 = semi-aride Trockensavanne oder Trockensteppe: Vegetation ist im Vordergrund wie in der Fläche noch lückenhaft, vermittelt aber den Eindruck geschlossenen Bewuchses am Hori-zont.

Bei dieser groben Zuordnung von Indizes zu Vegetations-Bedeckungs-verhältnissen ist der bei außergewöhnlich ergiebigen Niederschlägen auftretende ephemere Pflanzenwuchs nicht berücksichtigt (Kap. 7.1.2). Auch ist die Korrelation für den australischen Kontinent nicht geeignet. Die gleichmäßigere Niederschlagsverteilung (Zeit und Raum) erzeugt dort spezifische Verhältnisse: Vollwüsten mit kontrahierter Vegetation treten nicht auf. Auch im Köppen’schen BW-Klima Aus-traliens dominieren Halbwüsten oder Baum-Strauch-Savannen.

Typische Merkmale einer Wüste zeigen sich vielfach in geringer Bewölkungsintensität und starker Insolation. Der Wind verstärkt die Verdunstung/Austrocknung, führt des Weiteren zu charakteristischen äolischen Prozessen wie Deflation, Korrasion, Umlagerung und Akku-mulation). Aus geomorphologischer Sicht unterscheidet Kaiser (1923) die Dynamik der Wüste von angrenzenden Gebieten mit periodischen Niederschlägen: Letztere sind semi-arid mit dominant fluvialer Ab-tragung und Sedimentation durch regelmäßig wiederkehrende Regen-perioden, mit ausgesprochenem Wechsel von humiden und ariden Jahreszeiten. In Wüsten mit ihren episodischen Niederschlägen da-gegen ist „… neben aeolischer Abtragung und Sedimentation am wichtigsten die fluvio-aride Abtragung und Sedimentation durch die Schichtfluten …“. Diese entstehen durch gelegentliche Starkregenereignisse, wie sie für tropisch-subtropische Gebiete typisch sind.

Nahezu alle auf die Alte Welt fokussierten Definitionen von Wüste oder Vollwüste zielen auf die durch Trockenheit und Wärme oder Kälte sowie ungünstige edaphische Eigenschaften verursachte Armut an Pflanzen oder Vegetationslosigkeit. Nur Spezialisten in der Pflan-zen- und Tierwelt kommen mit der Lebensfeindlichkeit der Wüste zurecht. In der Neuen Welt oder in Australien legt man den Begriff, wie erwähnt, wesentlich breiter aus. So werden dort noch Wüsten verzeichnet, wo andere Autoren die Zuordnung z. B. zu Wüstenstep-pen oder Dornbuschsavannen vornehmen würden. Insofern bleibt auch für dieses Buch das Dilemma, mit diesen begrifflichen Unter-schiedlichkeiten zurechtkommen zu müssen.

Page 17: Wüsten von Wolf Dieter Blümel

17Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten

Typisch sind für die ariden Regionen starke interannuelle Schwan-kungen im Niederschlagsverhalten; sie können in vielen Wüsten und Halb wüsten 50 –100 % erreichen. Extrem-aride Gebiete mit ihren cha-rakteristischen episodischen Niederschlägen entfalten nennenswerte Vegetation nur dann, wenn die unregelmäßigen Regenfälle sich in nicht zu kurzem und nicht zu weitem zeitlichen Abstand wiederho len. Dann kann das Phänomen der „blühenden Wüste“ auftreten, in dem die als Samen oder Knollen überdauernden Pflanzen (Ephemere) in großer Zahl austreiben und ihren Lebenszyklus bis zur Blüte und Frucht entfalten können. Dies sind zwar Ausnahmesituationen, aber den noch ein charakteristisches Merkmal des hochvariablen Niederschlagsver-haltens von Wüsten. Indem episodische Niederschläge rasch abfließen und „in nicht erreichbare Tiefen“ versickern, ist deren ökolo gische Wirkung folglich sehr begrenzt, was den Wüstencharakter verstärkt.

Auch wenn in typischen Wüsten der primäre Landschaftseindruck vom unverhüllten Blick auf Verwitterungsdecken, Sedimente oder an-stehendes Gestein dominiert wird: Es erscheint zweckmäßig, zur all-

Abb. 3 Tropisch-subtropische Wüsten und Halb-wüsten in ihrer Stel lung in ner halb benachbarter Vegeta- tionsformationen bzw. Ökozonen. Trotz der sehr unterschied lichen Festlandsverteilung lässt sich das Sche ma für beide Halbkugeln verwenden (veränd. n. Schultz 2008).

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18 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

gemeinen Verständigung den Begriff Wüste über die Vegetation (Be-wuchsdichte, räumliche Anordnung, Artenspektrum) zu defi nie ren und weitere geomorphologische Typisierungsmöglichkeiten wie Sand-, Kies- oder Felswüste in einen anderen Kontext zu stellen. Diese haben meist eine komplexe und unterschiedliche Vorgeschichte, sodass sie sich als primäre Definitionsmerkmale für Wüsten nicht eignen. Sie bilden eine eigene Kategorie in der Typisierung (vgl. Kap. 10).

Botanische Merkmale – auch wenn sie in Vollwüsten nur spärlich in Erscheinung treten – bieten sich als landschaftsprägender Ver-gleichsmaßstab an, zumal auch andere Großräume der Erde durch ihre Vege tationsverhältnisse unterschieden werden. Schließlich do-kumentiert sich die globale Klimadifferenzierung am eindringlichsten im natür lichen Pflanzenwuchs, in Vegetationsgesellschaften: z. B. Tun dra – Bore aler Nadelwald – Steppen – Wüsten – Savannen – tro-pische Regenwäl der (Abb. 3). Verallgemeinert drücken Pflanzenge-sell schaf ten länger fristige Niederschlags- und Temperaturbedin-gungen, Sai son verläufe, Vegetationsperioden, Standorteinflüsse, Wasserbilan zen eines Raumes aus.

2.2 Heiße/warme Wüsten: Definition und Differenzierung

Es ist schwer, eine befriedigende und umfassende Kurzdefinition des Wüstenbegriffs zu finden. Die Bezeichnung Wüste ist international inhaltlich weit gefasst, nicht klar umrissen und eignet sich nicht zur un-mittelbaren vergleichenden Bewertung oder ökolo gischen Einstufung. Im Folgenden wird Wüste als vegetationsgeographischer oder stand-ort-ökologischer Begriff aufgefasst, d. h. die Intensität, Menge und das Erscheinungsbild des Pflanzenwuchses wird als Kriterium heran-gezogen. Für Gradmann (1916) sind Wüsten klimatisch bedingte Tro-ckengebiete mit sehr geringen (meist weit unter 250 mm bleibenden) episodischen Niederschlägen, in denen eine extrem xerophytisch aus-gerüstete Vegetation zwar nicht zu fehlen braucht, aber äußerst lü-ckenhaft ist. Dieses Zitat erscheint noch immer am besten zur Be-schreibung und Definition des Begriffs Wüste geeignet:

„Wüste ist ein Gebiet, das infolge geringfügiger oder gar fehlender Niederschläge nur eine sehr geringe Vegetation mit erheblichen Zwischenräumen zwischen den einzelnen Pflanzen aufweist.“ Diese Bedingung gilt als erfüllt, wenn weniger als 10 % der Fläche oder der gesamte Raum keine dauerhafte Vegetation besitzt bzw. sich stellen-weise nur kontrahierter Bewuchs zeigt. Damit ist eine handhabbare, nachvollziehbare Eingrenzung gegeben, der auch in diesem Buch meist gefolgt wird – auch wenn im nordamerikanischen oder austra-lischen Sprachgebrauch eine andere Vorstellung zu Grunde liegt (s. o.).

Je nach Besatzdichte der perennen (ganzjährigen) Pflanzenarten kann noch zwischen Rand- und Kern- sowie Voll- und Extremwüste

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19Hygrische Abgrenzung der Wüsten

(Foto 1; Abb. 2, 15) unterschieden werden. Als vermittelnder Über-gangsbereich zu feuchteren Regionen (Savannen, Steppen) wird die Halbwüste (Randwüste) angesehen, bei der generell weniger als 50 % der Fläche von Pflanzen besetzt sind (Jätzold 2003; A. Gabriel 1961; Fotos 10, 64). Die Vegetation der Halbwüsten ist diffus verteilt und in Tiefenlinien kontrahiert. Halbwüsten treten mit < 50 % und >10 % Vegetationsbedeckung durchaus unterschiedlich in Erschei nung, re-präsentieren eine relativ großes Spektrum an landschaftlich-vegetationsgeographischen Mustern. Sie sind geprägt durch eine karge Vegetationsausstattung aus Gräsern, Halbsträuchern, Holzge wächsen und Sukkulenten. Halbwüsten, Wüstensavannen oder Wüs tenstep-pen – oft mehr oder minder synonym verstanden – wurden früher als traditionelle Weidegebiete von Hirtennomaden genutzt. Heu te dienen sie regional als extensive, ökonomisch oder stam mesrechtlich aus-gerichtete (Dauer-)Weidegebiete und unterliegen damit häufig Desertifikationsprozessen durch Überweidung (Kap. 4.8).

Anmerkung: Neben den warmen Wüsten sind noch die Kälte-wüsten in Polar- und Hochgebirgsregionen anzuführen, deren Exis-tenz auf Wärmemangel (und regional auch auf Trockenheit) zurück-zuführen ist. Aber auch hier lässt sich der Parameter Bedeckungsgrad < 10 % zur Abgrenzung von den Tundrengebieten anwenden (Kap. 4.6).

2.3 Hygrische Abgrenzung der Wüsten

Die Wissenschaft verwendet je nach Fragestellung und Fachdiszi plin unterschiedliche Definitionen, Abgrenzungen und Untergliede rungen. In der von Shmida (1995) vorgeschlagenen Definition von Wüsten-ökosystemen ist ein guter Ansatz zumindest für die Wüsten der Alten Welt zu sehen: Er beruht auf der Zuordnung von jährlicher Nieder-schlagsmenge zu einem bestimmten Wüstentyp (Ariditätsgrad).Extremwüste: <70 mm N/JahrVollwüsten: <120 mm N/JahrHalbwüsten: 100/150 mm N/Jahr

Die 100- bis 120-mm-Isohyete ist häufig als die Grenze bzw. der Übergangssaum zwischen Halbwüste (Wüstensteppe/-savanne) und der Wüstenvegetation (Zwergstrauchgesellschaften mit <10 % Flä-chenbedeckung) festgestellt worden. Dies sind für einen enger ge-fassten Wüstenbegriff geeignete, praktikable Schwellenwerte, denen auch im Buchtext gefolgt wird (s. Tab. 1). Es kann jedoch – in Anbe-tracht der Konzeption der internationalen Literatur – keine einheit-liche Handhabung geben. Entsprechend wird bei der Behandlung der australischen Wüsten ein weitergefasster Wüstenbegriff benutzt. Zahl-reiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Wüsten und ihre an-grenzenden Räume sehr sensibel auf klimatische Veränderungen re-agieren und mit den geänderten hygrischen Parametern auch die Grenzsäume fluktuieren.

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20 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

Tab. 1 Äußere Grenzen und Unterteilungen der tropisch/subtropischen Trockengebie-te in Abhängigkeit von den Jahresniederschlägen (n. Schultz 2000)

Der Grenze zwischen … … entspricht ein Jahresniederschlag von etwa …

äquatorwärts Wüste – HalbwüsteHalbwüste – DornsavanneDornsavanne – Trockensavanne(sommerfeuchte Tropen)

125 mm250 mm500 mm

polwärts Wüste – HalbwüsteHalbwüste – winterfeuchte Steppen winterfeuchte Steppen – Hartlaub-Strauchformationen (winterfeuchte Subtropen)

100 mm200 mm

300 mm

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3 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

Für die ökologische Konstellation sowie die Gestaltung und Dynamik der Erdoberfläche (Reliefsphäre) war und ist ganz entscheidend das re gionale oder überregionale Klimaregime verantwortlich, das – in Abhängigkeit von Gesteinseigenschaften und Tektonik – die land-schaft liche Evolution und Transformation des jeweiligen Raumes prägt. Es bestimmt wesentlich das exogene Prozessgefüge von Ver-witterung und Abtragung, die Geomorphodynamik. In der erdge-schichtlichen Entwicklung ist klimatische Unstetigkeit Normalität. Globale Kaltphasen mit regionaler Vereisung oder Abkühlung und atmosphärische Trockenheit (Kaltzeiten; Glaziale) wechselten sich allein in den letzten 2 Mio. Jahren mehr oder weniger regelmäßig ab, unterbrochen von wärmeren und feuchteren Perioden (Warmzeiten; Interglaziale). In diesem Rahmen der globalen Klimavariabilität ist folglich auch die Geschichte der Wüsten zu sehen: Mit einer küh-leren Atmosphäre geht eine Zunahme der Wüstenflächen und eine Intensivierung des Wüstencharakters einher; eine wärmere Tropo-sphäre nimmt dagegen mehr Feuchte auf und lässt die Wüstenareale schrumpfen.

3.1 Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung und Aridisierung

Wüstenhafte Verhältnisse hat es im Lauf der Erdgeschichte und der Ent wicklung der Kontinente immer wieder gegeben, aber auch Zeiten, in denen sie fehlten und teils üppigen Vegetationsformationen Platz ge macht haben. So begann auch die jüngste geologische Ära, das Ter-ti är, vor etwa 65 Mio. Jahren mit einer langen warm-feuchten Kli-ma periode während des Alttertiärs, die offensichtlich von Pol zu Pol eine Waldbedeckung bewirkte. Zeugnisse sind alt- bis mitteltertiäre Steinkohlelager auf Spitzbergen (Arktis) oder die mitteleuropäischen Braunkohlen (Ville, Wetterau, Lausitz). Laterit- und Bauxitvorkom-men am Vogelsberg belegen eine intensive chemische Gesteinsverwit-terung, die man als tropoid bezeichnen könnte. Immer wieder werden

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22 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

auch fossilisierte Holz- und Blattfunde aus der damals noch unver-gletscherten, offensichtlich bewaldeten Antarktis gemeldet.

Die jüngere Geschichte der waldarmen oder waldfreien – und da-mit auch der wüstenhaften – Landschaften beginnt mit dramatischen plattentektonischen Veränderungen: Der Urkontinent Pangäa teilt sich vor etwa 200 Mio. Jahren in Laurasia (später Laurentia und Eur asien) und den Südkontinent Gondwana. Dieser spaltet sich wiederum auf und bildet zwischen den entstehenden Kontinenten und Inseln neue Ozeane: Vor ungefähr 125 Mio. Jahren trennen sich Südamerika und Afrika; der Atlantik entsteht. Im Verlauf des Tertiärs bildet Australien einen eigenen Kontinent; auch Neuseeland ist ein Bruchstück des alten Gondwana-Riesenkontinents. Antarktika bewegt sich in eine zentrale südpolare Lage, was seinen Energiehaushalt völlig verändert – und damit auch die Klimageschichte des gesamten Globus. Vorderin-dien driftet auf die Nordhalbkugel und kollidiert mit der Eur asischen Masse; Himalaya und das Tibetische Hochplateau entstehen. Die alpi-dische Orogenese erzeugt einen Gebirgskomplex von den Py renäen bis zum Hindukusch. Von Alaska bis nach Feuerland entwi ckeln sich die nord- und südamerikanischen Kordilleren als Barrieren in wich-tigen Windsystemen. Ihre Konfiguration aus Gebirgsketten, intra mon-tanen Becken und Hochplateaus bildet bei der zunehmen den globalen Abkühlung die Ursache für ausgedehnte wie auch klein räumige oro-graphische Wüsten (Lee-Wüsten).

Mit der neu konfigurierten Erdoberfläche wird vor allem im Neo gen der früher ungehinderte Wärmeaustausch zwischen der Äquatorial-region und den Polen abgeschwächt. Eine globale Abkühlungstendenz ist festzustellen (Abb. 4); aufgrund der geringen Wärme einstrahlung beginnt im Oligozän (– 38 Mio. Jahre) die Vereisung der Antarktis. Seit dieser Zeit ist die Antarktis wohl nie mehr eisfrei. Mit der definitiven Trennung und Isolierung des Südkontinents von allen übrigen Gondwana-Fragmenten kann sich die Kaltwasserzirkulation des Ant-arktischen Ringstroms entwickeln (vgl. Blümel 1999). Von hier aus

Tab. 2 Stratigraphische Gliederung des Känozoikums (n. Eberle et al. 2010)

Ära System Serie Alter Mio. Jahre

KÄNOZOIKUM

Quartär

Neogen

Paläogen

HolozänPleistozän

PliozänMiozän

OligozänEozän

Paläozän

2,6

24

65

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23Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung mit Aridisierung

dringt kaltes, dichtes Tiefenwasser durch die ozeanischen Becken bis weit in die Nordhalbkugel hinein. Es etabliert sich unter der ozea-nischen Thermosphäre mit Wassertemperaturen über 20 °C die Psy-chrosphäre als kaltes Stockwerk mit < 10 °C (bis stellenweise < 0 °C). Der konvektive Ferntransport kalten Wassers sorgt für eine im Trend anhaltende globale atmosphärische Abkühlung. Die Weltmitteltem-peratur sinkt deutlich um etwa 4 – 5 K; heute liegt sie bei 14/15 °C. Die Antarktis wirkt wie ein globales Kälteaggregat: Ein System aus hoch aufragendem Inlandeis und einem saisonal von Eis bedeckten, circum-polaren Kaltwassergürtel (Antarktischer Ringstrom) sowie daraus in alle Ozeane abströmende dichte, kalte Wässer erniedrigten allmählich die Temperatur der Atmosphäre (Abb. 4).

Das Messinian Event – Austrockung des Mittelmeeres

Die übergeordnete Antarktisvereisung bezog ab etwa 10 Mio. Jahren den westlichen Archipel mit ein und gipfelte am Ende des Miozäns (vor ca. 5,5 Mio. Jahren) in der Maximalvereisung (Queen Maud-Stadium). Gegenüber heute speicherte die Antarktis etwa 50 % mehr Eis. Damit verbunden war eine eustatische Absenkung des Mee-resspiegels um 50 – 60 m. Die Meerenge von Gibraltar fiel trocken;

Abb. 4 Klimatische Abküh-lung im Tertiär und Quartär, doku mentiert durch Sauerstoffiso-topenbe stimmungen (!18O) in Einzellern (benthische Foramini-feren). Vermerkt sind zeitlich zugehörige Gebirgsbildungen und ozeanographisch-glaziologische Verände-rungen (veränd. n. Arz et al. 2007).

!

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24 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

der Zufluss aus dem Atlantik wurde unterbrochen. Das Mittelmeer trocknete (mehrfach) aus und bildete eine weiträumige Wüste, in deren Becken sich riesige Salzpfannen bildeten, in denen ca. 6 % des im Weltmeer gelösten Salzes eingedampft und ausgefällt wurden. Es entstanden mächtige Salzlagerstätten (Hsü 1972). Rhône und Nil mündeten als endorhëische (binnenländische) Flüsse über große Katarakte in das mediterrane Wüstenbecken und verdunsteten.

Ob die glazial-eustatische Meeresspiegelabsenkung alleine für die sen Vorgang verantwortlich ist, oder ob auch tektonische Hebun-gen an der Gibraltar-Schwelle mitgewirkt haben, ist offen. Erdge-schichtlich wird diese dramatische Entwicklung als Messinian Event bezeichnet. Dessen Begleiterscheinungen haben möglicherweise die globale Klimaentwicklung in Richtung Abkühlung und Wüstenbil-dung weiter vorangetrieben: Da der geringere Salzgehalt das Meer-wasser schneller gefrieren lässt, wird vermutet, dass dadurch der Eisaufbau im Nordpolargebiet unterstützt wurde und die arktischen Kältewüsten entstanden.

Mit der kälteren Atmosphäre sinkt ihr Wassergehalt – die Niederschlä-ge neh men generell ab. Ozeanität und Kontinentalität akzentuieren sich. Kalte Auftriebswässer aus der Antarktis verursachen eine Ari-disierung südwest-afrikanischer und süd-amerikanischer Küsten-abschnitte. Es entstehen mit der Namib und der Atacama die ersten extremen Wüsten an den westlichen Kontinenträndern von SW-Afrika und S-Amerika; das belegen zahlreiche Untersuchungen (vgl. Eitel 1994; Kap. 12, 13). Auf den Festländern steigert sich die Tro-ckenheit und weitet sich aus. Man kann davon ausgehen, dass durch die allmähliche globale Veränderung der klimatischen Zirkulations-muster, insbesondere durch die zunehmende atmosphärische Kühle und Trockenheit, ein breiteres Spektrum an Vegetationsformationen entstand: Die an Humidität gebundenen Wälder mussten regional offenen Landschaften weichen: Es entwickelten sich in der Folge tropische Grasländer (Savannen), Halbwüsten und Wüsten, in den Außertropen die Steppen und andere Trockengebietsformen. Diese Entwicklung vollzog sich vor allem ab dem Mittleren Miozän (Tab. 2): Vor etwa 16 Mio. Jahren wuchs in der Ost-Antarktis ein bis heute persistentes Inlandeis auf; der Aufbau der marinen Psychrosphäre dürfte damals abgeschlossen gewesen sein. Spätestens seit dem Mio-zän beeinflussen die zugehörigen kalten Auftriebswässer (Bengue-la-Strom) die südwestafrikanische Küste und verursachen deren ex-treme Trockenheit.

Die Aridisierung des südlichen Afrika lässt in der Folge auf der Basis des tertiären Tsondab-Sandsteins (Proto-Namib) den Namib-Erg entstehen. Verbunden mit den kalten antarktischen Meeresströ mun-

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25Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung mit Aridisierung

gen und einer seit Jahrmillionen herunter gekühlten Atmosphäre dürften die Namib und die Atacama mit 8 – 10 Mio. Jahren die äl-testen Wüstenbildungen der Neuzeit sein. Ein weiterer Schritt in der troposphärischen Entwicklung und damit auch in der Geschichte der Wüsten setzt mit der Schließung der Meerenge von Panama vor ca. 3,5 Mio. Jahren ein: Die neuen Strömungsverhältnisse führten jetzt wärmere Wassermassen nach Norden (Golfstrom) und damit feuchte Luft, die höhere (Schnee-)Niederschläge mit sich brachte und damit möglicherweise die vor etwa 2,6 Mio. Jahren einsetzende Vereisung auf der Nordkalotte beschleunigte.

Anmerkung: Mit dem Verdängen der Wälder und Einzug offener Landschaften wie Savannen, Steppen oder Wüsten erhielt auch die Primaten- und Menschheitsentwicklung Impulse durch den klima-tisch bedingten Landschaftswandel der jüngsten Jahrmillionen. Die Bewegung durch (ungewohntes) Grasland dürfte die Primaten und Frühmenschen regelrecht zum aufrechten Gang genötigt haben. Hin-zu kommt ein völlig geändertes, vielseitiges Nahrungsspektrum, das ebenfalls evolutionäre Prozesse ausgelöst oder beschleunigt haben dürfte. Savannen und andere offene Landschaftstypen haben die Mi-gration aus Afrika und damit die Ausbreitung der Hominiden im eu-r asischen Teil der Welt maßgeblich gefördert.

Die Mehrzahl der Wüsten in der Alten wie in der Neuen Welt sind jedoch offensichtlich erdgeschichtlich recht junge Wüsten, die vor etwa 1 – 1,5 Mio. Jahren entstanden. Ihre Ausprägung, ihre flächen-mäßigen Schwankungen stehen unzweifelhaft mit der jüngsten kli-mageschichtlichen Entwicklung in Zusammenhang – dem Beginn des Quartärs (Eiszeitalter; Tab. 2): Bis vor etwa 1,8 Mio. Jahren ist die ir-dische Atmosphäre thermisch soweit abgesenkt, dass die Milankovich-Parameter (Erdumlaufbahn, Schiefe der Ekliptik, Exzentrizität) grei-fen und den bekannten zyklischen Wechsel von Kalt-/Eiszeiten und Warmzeiten einleiten. Trockengebiete und Wüsten dehnen sich pha-senweise in den Kalt-/Eiszeiten aus, während sie in den Warmzeiten aufgrund höherer Niederschläge und des damit verbundenen Vor-rückens von Steppen, Savannen und Wäldern schrumpfen. Allein in den letzten 104 oder 103 Jahren veränderten sich die Vegetations-formationen aller Ökozonen mehrfach und beträchtlich. Damit ist die Ursache der Wüstenbildung zu beträchtlichen Teilen mit der Varia-tion der atmosphärischen Zirkulation und der temperaturabhängigen Niederschlagsgenese verbunden.

Auch der verstärkte Niederschlag in angrenzenden Regionen do-ku mentiert sich z. B. in Form endorhëischer Flüsse: Ein eindrucks-volles Beispiel hierfür ist die wechselvolle Geschichte des Tschadsees in der Südsahara, der – heute nur noch ein kümmerlicher Rest von 0 – 24 000 km2 Fläche – zeitweilig zu einem „Mega-Tschadsee“ von ~340 000 km2 wird, während sich die umgebende Wüste in eine Art Savanne entwickelt, insbesondere entlang der auflebenden Wasser-

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26 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

läufe und in den Beckenlagen. Sie erhält nun autochthone Nieder-schläge, die das Einzugsgebiet des Sees beträchtlich erweitern (Pachur & Altmann 2006; Busche 1998).

Andererseits belegen weitflächige, heute bewachsene Längsdünen-Felder in der Sahel-Zone, in der Kalahari oder in Australien ein noch wesentlich trockeneres Klima, als es heute herrscht. Die heutigen Voll- und Extremwüsten waren allein in den letzten 20 000 Jahren mehrfach drastischen Klimaschwankungen ausgesetzt, die ihren Sta-tus als Wüste noch verstärkten oder sie zu Steppen- bzw. Savannen-Landschaften transformierten. Näheres dazu findet sich in den jewei-ligen regionalen Wüstenbeschreibungen oder in den nachfolgenden Beispielen.

3.2 Zur Geschichte der Wüste Namib

Die Geschichte der wohl ältesten (Küsten-)Wüste, der Namib, auf-zudecken, ist ein schwieriges Unterfangen, da weitaus weniger geo- und biowissenschaftliche Archive wie limnische Ablagerungen, Fos-silien oder Artefakte zur Gewinnung von Proxydaten und absoluten Altersbestimmungen existieren als z. B. von der Sahara. Manche Be-funde werden widersprüchlich eingeordnet und paläoklimatisch in-terpretiert (z. B. Eitel et al. 2005, Eitel & Zöller 1995 versus Heine 2000, 2002). Hinzukommt eine spezifische Lage im Raum und geo-morphologische Ausgestaltung, an der auch von außen kommende Flussläufe beteiligt sind (vgl. Kap. 12.2.4).

Folgende Stadien der Geschichte der Namib lassen sich ausglie-dern:• Ihr Minimalalter beträgt 7 bis 10 Mio. Jahre und ist im Zusammen-

hang mit der oben angeführten Antarktis-Vereisung zu sehen, d. h. mit der Bildung der Psychrosphäre (ozeanische Thermokline), der thermohalinen Zirkulation und des Benguela-Kaltwasserstroms. Tertiäre Ablagerungen des Kalahari-Beckens, die durch Schicht-fluten (semi-arides Klima) aufgebaut wurden, sind von pedogenen Kalkkrusten überlagert. Darin eingeschlossen ist das Tonmineral Palygorskit, das unter semi-humiden und humiden Bedingungen in Smectit umgewandelt wird (Eitel 1993) – ein Indikator für seither anhaltendes Trockenklima. Weitere Hinweise auf ein mittel- oder jung-tertiäres Alter (Tab. 2) der Namib lieferten Datierungen an der Karpfenkliff-Formation und ihren Decksedimenten.

• Das Maximalalter der Namib ist weiterhin umstritten. Der unter der Dünen-Namib (Erg) lagernde Tsondab-Sandstein (eine der Sand-quellen für den späteren Erg) wird als Proto-Namib an ge sehen, aber mit unterschiedlichen stratigraphischen Zuordnungen. Die An sichten über seine Sedimentation reichen vom Mesozoikum bis in das Unter-Miozän (s. Disk. in Hüser et al. 2001). Eitels Un-tersuchungen (1999) an intensiv chemisch verwitterten Substra-

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27Zur Geschichte der Wüste Namib

ten in der nördlichen Namib zufolge herrschte warmes und semi-humides Klima ab der Kreidezeit bis in das Miozän hinein (s. Tab. 2).

• Die Namib im Quartär: Über das Früh- und Mittel-Quartär ist land-schaftsgeschichtlich wenig bekannt – Spuren von Reliefgeneration sind kaum auszumachen. Für eine lange, über 700 000 Jahre durch-gehende Existenz der Benguela-Strömung, und damit auch der Küstenwüste, sprechen Untersuchungen an benthischen Forami-niferen. Dabei sind Fluktuationen in der Intensität des Kaltwasser-auftriebs nicht ausgeschlossen. Zumindest sind in den letzten 100 000 Jahren zwei Abschwächungsphasen von jeweils mehr als 10 000 Jahren nachzuweisen (s. Eitel 2005). Uran/Thorium-Datierungen an Stalagmiten in der Rössing-Höhle belegen das Fehlen einer Feuchtperiode in der Zentral-Namib während des letzten Glazialzyklus’ ab 125 000 Jahren vor heute (Heine 1998).

• Jungquartär: Für den jüngsten glazialen Zyklus fehlen verläss-liche Zeugnisse zur Klima- und Reliefgeschichte. Lediglich über das letzte Hochglazial (LGM) besteht weitgehend Einigkeit in den Befunden: Um 20 000 J.v.h. herrschte im südwestlichen Afrika eine sehr trockene Periode. Im Namib-Erg formierten sich die noch heute herausragenden Großdünenformen und -muster. Wie aus Abb. 5 ersichtlich, bleibt die extreme Küstenwüste Namib auch über das Spätglazial und Holozän hinweg konstant. Dafür sprechen auch mächtige Gipskrustenbildungen (Heine & Walter 1996). Dem-gegenüber reagieren aber der Ostteil, der Wüstenrand und das Hin-terland der Namib auf Veränderungen der monsunalen Reichwei-te und Intensität, was Eitel (1993) über Kalkkrustengenerationen nachzuweisen versucht. Diese benötigen für ihre Anlage wieder-holte Phasen von Trockenheit und zunehmender Feuchte. Auch das Hinterland der Namib war im LGM eine Wüste. Davon zeugen Dünenfelder im Inland des heutigen Namibia, die aber etwa ab 14 000 J.v.h. durch Vegetation fixiert wurden (Eitel et al. 2002).

• Spätglazial und Holozän: Im Bereich der Kalahari endete die Längs dünenformung zwischen 8000 und 9000 Jahren vor heute mit dem Einzug feuchterer Klimabedingungen und der damit verbundenen Vegetationsausbreitung (Eitel & Blümel 1997). Etwa zur selben Zeit kam im Bereich Damaraland und Kaokoveld die Sedimentation und Umlagerung von Silten zum Erliegen (stv. Eitel et al. 2001). Deren Ausräumung begann mit der mittel-holozänen Feuchtperiode, die wiederum vor ca. 4000 Jahren zu Ende ging und in den gegenwär tigen Klimazustand überleitete. In der Folge-zeit oszillierte das Abflussverhalten in den Wüstenrandbereichen (s. Eitel et al. 2005b). Auch aus frühgeschichtlicher Sicht gibt es Hinweise auf holozäne klimatische Fluktuationen: Am Mirabib-Inselberg fernab von Trockenflussläufen im Wüstenzentrum (Foto 35) finden sich in Abris Kulturschichten, die eine Feuchtperiode zwischen 8000 und 5000 Jahren vor heute signalisieren. Aus der

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28 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

nachfolgenden, wieder trockeneren Phase (3000 – 2000 J.v.h.) stammen Wüstenrandlösse und die jungen Lunette-Dünen am Westrand der Etosha-Pfanne (Buch et al. 1992). Der Namib-Rand dehnte sich wieder weiter nach Osten aus.

Die Verlagerung des Wüstenrandes, die fluktuierende Ausweitung bzw. Schrumpfung des Kernwüstenareals lässt sich auch durch die heute noch in der Extremwüste persistente Savannenpflanze Welwitschia mirabilis untermauern (Kap 7.1.5; 12.2.5). Weitere In-dikatoren für Änderungen am Namib-Grenzsaum stehen zwangsläu-fig mit hygrischen Schwankungen des Hinterlandes in Zusammen-hang. Von dort aus ziehen Fremdlingsflüsse wie der Hoanib in die Wüste. Letzterer hinterließ dort Flussauslaufsedimente als möglicher Indikator für abnehmende Niederschläge während der Kleinen Eis-zeit (Kap. 12.2.4). Postsedimentär bis heute werden sie wieder aus geräumt – ein Zeichen zumindest für Klimafluktuationen am Wüstenrand, aber nicht zwangsläufig auch in der Wüste selbst. Der Küstenwüstenstreifen mit seiner Breite von einigen Zehnern Kilo-metern scheint über den Zeitraum des Quartärs hinweg in seinem extremen Charakter unverändert geblieben zu sein.

3.3 Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän)

Den jüngsten Phasen des Klima- und Umweltwandels in den (heu-tigen) Wüsten gilt das besondere Interesse geographischer Forschung, um daraus die Ursachen und auch die zeitliche und landschaftliche Dynamik von Veränderungsprozessen abzuleiten und sie ggf. für die Einschätzung zukünftiger Entwicklungen zu nutzen.

In Bezug auf die Klima- und Landschaftsgeschichte ist die Sahara trotz ihrer immensen Weite am besten untersucht und hat sehr viel Neues wie auch auf einige andere Wüsten übertragbare Erkenntnis-se geliefert. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte offenbarten eine frappierende Jugendlichkeit der Sahara als der größten hyperariden Wüste. Ihre Entwicklung von einer lebensvollen Gras- und Strauch-landschaft zum aktuellen Erscheinungsbild einer Voll- und Extrem-wüste vollzog sich vor etwa 5500 Jahren in kurzer Zeit (Kap. 12.1.3). Zuvor hat ihr Raum während des holozänen Klimaoptimums (ab ~8000 J.v.h; Abb. 5) lange Zeit derart viel Feuchtigkeit erhalten, dass sich ein savannenartiges Ökosystem mit eindrucksvoller Großsäu ger-fauna und erstaunlichen menschlichen Aktivitäten einstellen konn-te. Zudem wurden große Grundwassermengen gebildet, die heute als fossile Ressourcen für die agrarische Nutzung äußerst bedeutsam sind (Pachur & Altmann 2006). Dieser Feuchtphase vorgeschaltet war je-doch der Zustand einer hyperariden Wüste während des letzten Hoch glazials, das vor 16 000 Jahren zu Ende ging. Während dieser kühleren Periode mit einer um 4 – 5 K abgesenkten Globaltemperatur

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29Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän)

(~10 –11 °C) war die Sahara deutlich weiter ausgedehnt als heute und in ihrem Ariditätsgrad noch extremer (Abb. 5). Fixierte, vorzeitlich Dünenfelder zeugen von diesem Extremzustand (stv. Völkel 1988), der sich in vergleichbarer Weise auch in anderen Wüsten wieder-findet.

Landschaftliche Veränderungen in den Wüsten und an deren Rän-dern gehen mit hygrischen Schwankungen auch in der weiteren Umgebung einher. Wüsten sind eingebettet in das großräumige Ge-samtsystem der Ökozonen/-regionen und Zirkulationsmuster. Alle relevanten Grenzen verlagern sich, wenn v. a. Veränderungen im Nie-derschlagsregime greifen: In den niederen Breiten mit ihrem ohnehin höheren Strahlungsinput und hohem Wärmeniveau steuern in erster Linie die veränderten Niederschlagsverhältnisse die Dimensions- und Lageveränderungen von Ökozonen und den Charakter ihrer Vege-tationsformationen (Artenspektrum, Dominanzen usw.).

Die großräumigen Konsequenzen hygrisch-klimatischer Schwan-kungen zwischen dem letzten Hochglazial (LGM) und der Jetztzeit werden in dem Zeitscheibenvergleich Afrikas sehr gut deutlich. In sechs Abschnitten ist in Abb. 5 die Entwicklung der Vegetationsfor-mationen seit dem letzten Hochglazial (20 000 – 16 000 J.v.h.) bis zum gegenwärtigen Zustand wiedergegeben. Sehr deutlich wird der Zu-sammenhang zwischen dem Wachstum der Wüste und dem zeitglei-chen drastischen Zurückweichen des Regenwaldes während der Kalt-zeit sowie dem Ausufern des Regenwaldes und der Savannen wäh rend des postglazialen Klimaoptimums zwischen 9000 und 7000 J.v.h.

Tab. 3 Zeitlich-stratigraphische Gliederung des Spät- und Postglazials in Mittel europa – zur vergleichenden Einordnung klimatischer u. a. Entwicklungen in den Wüs-ten und Halbwüsten. Das Hochglazial (LGM/Last Glacial Maximum) umfasst den Zeitraum von 20 000 –14 446 Jahren vor heute [cal BP] (aus Gebhardt et al. [Hrsg.] 2007)

Quartär Zeitabschnitt (Chronozone) Zeitdauer (cal BP; Jahre vor heute)

Spätholozän

HOLOZÄN Mittelholozän

Frühholozän

SubatlantikumSubborealAtlantikum

BorealPräboreal

2800 – 05100 – 28008200 – 51009800 – 8200

11 590 – 9800

SPÄTGLAZIAL

Jüngere DryasAlleröd

Ältere DryasBölling

Älteste DryasMeiendorf

12 680 – 11 59013 370 – 12 68013 535 – 13 37013 670 – 13 53513 810 – 13 67014 446 – 13 810

HOCHGLAZIAL Last Glacial Maximum (LGM) >14 446

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30 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

(Abb. 5; Runge 2001). In diesem Stadium war die Sahara als Wüste nicht existent. Als Hauptursache dafür wird die Stellung der Erdach-se angesehen. Sie war im genannten Zeitraum einige Zehntel Grad stärker geneigt als heute. Zudem lag der Perihel im September (heute: Januar). Die Nordhalbkugel erhielt mehr Sonneneinstrahlung.

Diese extraterrestrische Konstellation bewirkte das postglaziale oder holozäne Wärmeoptimum (Abb. 6). Der afrikanische und in-dische Monsun nahmen zu; mit dem vermehrten Niederschlag brei-teten sich die Savannen gegen die Wüste Sahara aus. Vor etwa 5500 Jahren setzte wieder eine Aridisierung ein, aus der die heutige hyper-aride Wüste resultierte.

Abgleich mit anderen Wüsten: Die klimatisch-landschaftsge-schichtlichen Befunde aus dem saharischen Bereich und ihre zeitliche Einordnung lassen sich nicht pauschal auf die Wüsten aller Konti nente übertragen. Nicht überall verlief die Entwicklung gleichartig oder syn-chron. In manchen Hochgebirgsregionen änderten sich die Höhen-stufen und Vergletscherungsverhältnisse. Die späteren Kälte wüsten der kanadischen Arktis sowie Grönlands und Spitzbergens lagen während des Hochglazials unter Eisbedeckung. Ihre Ausprägung als periglaziale Kältewüste entwickelte sich zeitlich anders als in den heutigen sub-tropisch-randtropischen Wüsten. Auch besteht zwischen den Wüsten Innerasiens und ihren teils vergletscherten (hoch-)gebirgigen Nachbar-regionen während des Quartärs eine geomorpho logisch-hydrologische Beziehung, wie sie z. B. in den afrikanischen Wüsten fehlt.

Dennoch zeigte sich ein erstaunlich synchroner jungquartärer Landschaftswandel beispielsweise zwischen Ost-Sahara und zentral-asiatischen Wüsten (Pachur & Altmann 2005) und indiziert für Teile der Mittelbreiten und Tropen/Subtropen einen von der Solarintensität gesteuerten nordhemisphärischen Klimawechsel. Etwa zeitgleich zur Sahara erreicht auch die extreme Trockenheit im LGM in vielen Wüs-ten ihren Höhepunkt. Mit den hohen globalen Druckunterschieden verbunden ist eine besonders starke Aerodynamik: In den großen Sandwüsten (Ergs) formieren sich die Megadünen-Systeme der Draa (Sahara, Namib, Takla Makan; Fotos 52, 19) oder die riesigen Längs-dünenfelder der Kalahari und Australiens (Foto 65). Die heutige Dorn busch- oder Wüstensavanne der ehemaligen Kalahari-Wüste steht mit ihren fixierten Längsdünen als eindrucksvolles Beispiel für die letzt-kaltzeitliche Expansion der äolischen Formung offener Räu-me. Thomas (1987) gibt für ihre stabilisierte Dünenfläche 1 Mio. km2 an. Damals verbanden wüstenhafte Verhältnisse die Kalahari mit der

Abb. 5 Rekonstruktion und Vergleich der Vegetationsentwicklung in Afrika seit dem LGM (Letztes Hochglazial) – der Zeit der global größten Wüstenausdehnung im Jungquartär. Auch die Namib hatte sich während des LGM um ein Mehrfaches ausgeweitet. Während des postglazialen Wärmeoptimums zwischen 9000 und 5000 J.v.h. war der saharische Bereich als Wüste nicht mehr existent (aus Runge 2001).

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32 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

Namib und der südafrikanischen Karoo. Untersuchungen an Paläo-böden im Tschad und in Mauretanien belegen eine jüngste, mittel-holozäne Dünengeneration, die um ~5000 und um ~3000 Jahren vor heute entstand (Tab. 4).

3.4 Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

Die Festlandsoberflächen als Ökosphäre und menschlicher Lebens- und Wirkungsraum (Ökumene) unterliegen einer kontinuierlichen Entwicklung. Veränderungen in der klimatischen Steuerung dieser Landschaftsevolution äußern sich in der Transformation der Geo-Bio-sphäre und in der Reaktion der betroffenen Menschen. Die jüngsten 20 000 Jahre sind für die globale kulturgeschichtliche Entwicklung besonders bedeutsam und zeigen mit dem Übergang vom letzten Hochglazial mit seinen trocken-kalten Bedingungen in die von Wär-me und (regionaler) Feuchtezunahme gekennzeichnete Warmzeit (Holozän) einen durchgreifenden Landschaftswandel. Mit der Aus-weitung von Gehölz- und Grasformationen zu Lasten von Wüsten und Wüstenrandgebieten erschlossen sich neue Lebensräume – zu-nächst für Jäger- und Sammlergesellschaften, Pastoralnomaden und letztlich auch Ackerbaukulturen.

Das Beispiel der Sahara dokumentiert eindringlich, wie innerhalb der aktuellen Warmzeit klimatische Fluktuationen einen Wandel von der Extremwüste zur Gras- und Trockensavanne und wieder zurück zur hyperariden Wüste vollzieht – der ganze Zyklus innerhalb nur weniger Jahrtausende (Kap. 3.4.2; 12.1.3). Ausweitung der Ökumene, kul turelle Blütezeit und schließlich Aufgabe des Lebensraumes (Wüs-tenflucht, Migration) korrelieren mit den natürlichen Veränderungen. Eine deterministische Beziehung ist unübersehbar.

Die ehemalige kulturhistorische Bedeutung heutiger Vollwüsten beruht auf drei wesentlichen Ursachen, die durch klimatische Feucht-perioden bedingt sind:1. Schrumpfung des Wüstenareals durch das Vorrücken der Savan-

nen- und Steppenformationen;

Tab. 4 Flächenangaben (km2) zu Dünenbildungen aus dem letzten Hochglazial (LGM), die heute stabilisiert sind (n. Angaben bei Cooke et al. 1993)

Sahel und Sudan 730 000 China 694 000

Kalahari 1 000 000 Australien 1 070 000

Tharr/Indien 214 000 Nordamerika 34 000

Ehem. USSR 400 000 Südamerika 100 000

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33Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

2. Vegetationsausbreitung innerhalb der Wüste durch autochthone Niederschläge;

3. Erhöhte Tragfähigkeit der Fremdlingsfluss-Oasen durch verstärkte und regelmäßige Wasserführung.

Zu Punkt 1 und 2: Das Wüstenökosystem mit seinen episodischen, geringen Niederschlägen wird durch tropische Gras-Gehölz-Gesell-schaften (Savannen) oder außertropische Gras- und Krautfluren (Step-pen) abgelöst. Ursache ist die vergrößerte Reichweite und Er giebigkeit des Monsuns bzw. der größere Einflussbereich von Tiefdruckgebieten der Westwindzirkulation. Die Wüstengrenzen rücken gegen das Kern-gebiet vor. Auch fallen jetzt Niederschläge unmittelbar vor Ort und er-lauben die Kulturausbreitung in neue Gebiete hinein. Als besondere Leitlinien bieten sich die (wiederbelebten) Wasserläufe mit ihren Kol-ken und Sumpfstrecken an. Ebenso sind durch Überflutungen oder durch die Auffüllung des Grundwasserkörpers neu entstandene Seen besonders attraktive Gebiete (Kap. 12.1.3). Der verstärkte Vegetations-besatz in den angrenzenden Flächen zieht Savannentiere als po-tenzielles Jagdwild an und ermöglicht Pastoralnomadismus, später Domestikation und sesshafte Viehwirtschaft in der Sahara.

Zu Punkt 3: Flüsse, die Vollwüsten durchqueren oder in deren Kernräumen gänzlich versickern und verdunsten (endorhëische Flüsse), erhalten ihr Wasser hauptsächlich aus stärker beregneten Ein-

Abb. 6 Kurve der nacheiszeit-lichen (holozänen) Klimaschwankungen und deren Auswir-kun gen auf kultur-geschichtliche Entwick-lungen, vornehmlich der Nord halbkugel (ergänzt n. Schönwiese 1995 aus Eitel 2008).

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34 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

zugsgebieten angrenzender Räume. In den asiatischen und südame-rikanischen Wüsten wurzeln solche Fremdlingsflüsse häufig an Gletschern. Allochthone Flüsse sind somit keine integralen Teile des klimatischen Wüstensystems, sondern bewirken als externe Faktoren höherwertige Lebensraumqualitäten in wüstenhaft-lebensfeindlicher Umgebung, sodass hier bedeutsame kulturelle Entfaltungen möglich sind. Als Prototyp eines bis heute kulturträchtigen Fremdlingsflusses gilt der Nil. Hochstehende Zivilisationen waren zu unterschiedlichen Zeiten ebenfalls beispielhaft an Euphrat und Tigris, an den andinen Flüssen der peruanischen und chilenischen Atacama oder an inner-asiatischen Wüstenflüssen entwickelt.

3.4.1 Wüstenränder/WüstenrandgebieteDie Ränder von Ökozonen sind relativ labil – vergleicht man sie mit den Kernzonen. Dies gilt insbesondere für die Wüstenränder, da hier die ohnehin niedrigen Niederschlagsmittel sehr stark variieren. Das trifft sowohl für die zeitliche und räumliche Verteilung zu, wie auch für die Menge und die lokale/regionale Intensität. Der Grad der Varia-bilität wächst mit der Abnahme des durchschnittlichen jährlichen Niederschlags.

Wüstenränder als Übergangssäume (Ökotone) zwischen Savan-nen- oder Steppenökosystemen sind ökologisch wie ökonomisch und sozial äußerst sensitiv (Bubenzer 2010). Sie sind weitaus schlechter gepuffert als Übergangsbereiche zwischen deutlich feuchteren Vege-tationsformationen (z. B. Borealer Nadelwald/Steppe; Regenwald/Feuchtsavanne).

Entsprechend vulnerabel sind menschliche Gesellschaften, die in/an Wüstenrändern leben. Sie sind einem hohen Dürrerisiko ausge-setzt, bei insgesamt schwacher Wirtschaftsleistung. Hoher Bevöl ke-rungszuwachs (trotz höchster Kindersterblichkeit) und damit ver-bundene Überstrapazierung der physiologischen Tragfähigkeit führen häufig zu irreversibler Desertifikation oder gravierender Degradierung der Landschaft – ihr Ertragspotenzial in der Weidewirtschaft oder im Feldbau geht ständig zurück (Kap. 4.8). In Anbetracht dieser bedroh-lichen Entwicklung speziell in den Wüstenrandbereichen haben die UN im Jahr 2010 die „Dekade der Wüsten und zur Bekämpfung der Wüstenausbreitung“ ausgerufen.

Manche der heutigen Wüsten spielen eine unerwartete Rolle in der Kulturentwicklung – Sahara und Atacama werden in diesem Kontext näher beschrieben (Kap. 3.4.2; 12.1.3; 3.4.4). Eitel (2008, 2007) hat in grundlegenden Abrissen die kulturgeschichtliche Be-deutung von Wüstenrandgebieten beleuchtet. Der nachfolgende Text greift einige seiner Gesichtspunkte auf: Zwar werden 60 % der Ka-tastrophentoten in Trockengebieten gezählt, umso erstaunlicher ist, dass die ältesten festen Siedlungen in semi-ariden Gebieten zu finden sind. So fand der Prozess der Sesshaftwerdung (Ackerbau, Bewäs-

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35Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

serungsfeldbau, Domestikation) – die sog. Neolithische Revolution – in einem semi-ariden Klimamilieu des Vorderen Orients statt. Auf-grund der hohen Klimavariabilität müsste dieser Raum als (Dürre-)Risikogebiet eingestuft werden. Eitel vertritt die These, dass „… gerade die hygrischen Fluktuationen in den Wüstenrandgebieten und die resul tieren-den Umweltveränderungen ganz wesentlich die Kulturentwicklung im frühen und mittleren Holozän stimulierten“ und charakterisiert Wüstenränder als „… raumzeitlich hoch dynamische Gebiete mit Umweltsystemen, die auf Klimaschwankungen […] sehr schnell und tiefgreifend reagieren.“ Hier le-ben de Gesellschaften müssen folglich öfter als andernorts Anpas-sungs leis tungen vollbringen oder mit Migration reagieren, zumal die Wüstenränder äußerst klima-sensitiv sind und bereits bei schwächeren Klimafluktuationen sehr schnell reagieren. Solche Fluktuationen waren in den letzten Jahrtausenden recht häufig und haben auch in besser gepufferten Regionen die Lebensmöglichkeiten der Menschen stark positiv oder negativ beeinflusst (Blümel 2009, 2006). Für die Wüstenränder mit ihrer Vegetationsbedeckung zwischen <50 % und >10 % bedeutet dies eine Stellung zwischen voll-ariden und semi-ariden Gebieten und in der Klimadynamik des Holozäns einen mehr-fachen Wechsel zwischen Wüste und Grasland.

3.4.2 Östliche Sahara: siedlungsgeschichtliche EntwicklungDie Hyperaridität der Sahara während des Hoch- und Spätglazials sowie die nachfolgenden Veränderungen während der holozänen Feuchtperiode(n) werden in Kap. 12.1.3 ausführlich behandelt. Hier sei vorab auf siedlungs- und kulturhistorische Aspekte verwiesen: • Vor etwa 10 000 Jahren begann mit der Ausdehnung und Intensi-

vierung des tropischen Monsuns wie auch der Reichweite der zy-klonalen Niederschläge (Westwindzirkulation) die Transformation der Wüste in eine Halbwüste/Wüstenrandgebiet, schließlich in Steppen- und Savannenformationen (Abb. 5).

• Um 8000 bis 5000 v.Chr. unterlag die östliche Sahara einem pe-rio dischen, semi-ariden Niederschlagsregime. Felsmalereien, Ar te-fakte, ausgetrocknete Seen, Fossilien und fluviale Prozesse doku-mentieren diese intensive Feuchtphase (Foto 2; s. Dreikluft 2005).

• Für die Zeit zwischen 7000 und 5300 v.Chr. ist Weidewirtschaft (teils in sesshafter Form) mit Ziegen und Schafen nachgewiesen (= Bubalus- oder Rinderzeit in der westlichen und zentralen Sa-hara). Wildgetreide wurde in der Grassavanne gesammelt.

• Ab etwa 5300 v.Chr. schwächte sich der Monsun ab (Abb. 6). Menschliche Aktivitäten mussten sich zunehmend auf noch be-günstigte Regionen beschränken. Der Raum verwandelte sich bis in das 3. Jahrtausend v.Chr. zurück in eine Art Wüstenrandgebiet. Nach diesem Prozess der siedlungsgeschichtlichen Regionalisierung erfolgte schließlich die Marginalisierung der kulturellen Entfaltung (Kuper & Kröpelin 2006). Es resultierte eine besondere Art der

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36 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

angepassten Viehhaltung in Kombination mit Jagd, Fischerei und Sammeltätigkeit, die letztlich für den gesamten subsaharischen Raum kennzeichnend wurde. Bald blieben in diesem wieder ent-stehenden Wüstenrandgebiet nur noch grundwassergespeiste Oa-sen oder bodenfeuchte Tieflagen zur Nutzung übrig.

• Nach 3500 v.Chr. lassen sich im Norden der Ost-Sahara keine Sied-lungsspuren mehr nachweisen (Nussbaum & Darius 2008).

• Die erneute, natürliche Wüstenbildung im Ostteil der Sahara führ te zu entsprechenden Migrationen in Gunstgebiete („Wüsten-flüchtlinge“). Nun bildete die während der langen Feuchtperiode recht bedeutungslose Nil-Oase die Basis für eine Hochkultur mit Bewässerungsfeldbau, strukturierter Gesellschaft, Schrift, Verwal-tung usw. (Kröpelin 2009; Abb. 47).

3.4.3 Vorderer Orient: Fruchtbarer HalbmondDie „Neolithische Revolution“ – die Entwicklung von Ackerbau und Sesshaftigkeit als neue Lebensform im Vorderen Orient (Syrien, Me-so potamien) – hat wohl eher eine längere Evolution hinter sich. Der Innovationsprozess in einem ursprünglichen Wüstenrandgebiet be-gann vermutlich bereits am Ende der spätglazialen Phase und zog sich über mehrere Jahrtausende hin, bis im Neolithikum der Höhepunkt erreicht war. Issar & Zohar (2004) führen eine neo-deterministische Modellvorstellung von A. M. T. Moore (1985) an, die den Übergang von einer aneignenden Jäger- und Sammler-Kultur zu einer anfäng-lichen Ackerbauerngesellschaft beschreibt. Es wird argumentiert, dass günstige Umweltbedingungen wie Temperaturerhöhung und An stieg periodischer Niederschläge – gefolgt von Waldverbreitung – um 15 000 J.v.h. einsetzten. Die Bevölkerungszunahme beschränkte

Foto 2 Links: Knochen- und Knorpelreste von Kroko dilen, die in saharischen Fluss-läufen, Seen und Sümpfen lebten. Rechts: Reibschalen in der heute hyperariden Ostsahara zeugen vom Sammeln von Gras-samen/Wildgetreide und damit von einer üppigen Grassavanne während der mittel-holozänen Feucht-phase (Fotos: S. Kröpelin).

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37Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

die Jagdareale und zwang zu sesshafter Lebensform mit sozialen Hie-rarchien. Zunehmender Bedarf an Nahrungsmitteln erforderte die Nutzung regionaler/lokaler Ressourcen. Dörfliche Siedlungsweise und Ackerbau bildeten den dominanten Lebensstil des sog. Early Pre-Pottery Neolithic. Um 6000 – 8000 v.Chr. etablierte sich dann das Pre-Pottery Neolithic. Zwar gab es noch keine Keramik, aber paläobota-nische Untersuchungen belegen, dass Feldfrüchte in Siedlungsnähe gezogen wurden, die höchst wahrscheinlich auch bewässert wurden.

„Ähnliche zeitgleiche Entwicklungen über migrationsbedingt steigende Bevölkerungsdichte zu resultierenden gesellschaftlichen und technologischen Innovationen scheinen sich auch in anderen Trockengebieten der Alten Welt vollzogen zu haben.“ (Eitel 2007). Entsprechende Untersuchungen lie-gen aus dem Gebiet des mittleren Niger, vom Indus und aus China vor, wo der Getreideanbau ebenfalls vor 4000 Jahren v.Chr. begann.

Nach Issar & Zohar (2004) geht – bei hohem Bevölkerungswachs-tum – die Entwicklung der städtischen Zentren in Mesopotamien mit starken Aridisierungsphasen zwischen den Jahren 3500 und 3000 v.Chr. einher. Die Bronzezeit als metallurgische Innovation löst das Chalkolithikum (Kupfersteinzeit; Jüngeres Neolithikum) ab. In den Städten herrscht klare Arbeitsteilung und eine vertikale Gesellschafts-ordnung. Architektur und Schrift unterstreichen den zivilisatorischen Fortschritt. Konflikte mit dem nomadischen Umfeld führen zur Be-festigung der Städte.

Daraus lässt sich ableiten: Generell scheinen die Wüstenränder in feuchteren Zeiten wie dem Postglazialen Klimaoptimum traditionel-len Formen der Nutzung entgegenzukommen: Diffuse Jagd- und Sam meltätigkeit sowie Pastoralnomadismus oder sesshafte Vieh hal-tung; Fischerei an Seen und Flussläufen. Die Versorgung aus der Natur stimulierte nur wenige Innovationen. Anders ist die Situation wäh-rend der progressiven Aridisierung im Subboreal (Abb. 6). Die großen (Fremdlings-)Flüsse wie Nil oder Euphrat und Tigris ziehen die Men-schen an. Flusswasser wird zur Grundlage des neuen Feldbaus; es ent-stehen bedeutende Stadtkulturen z. B. im Zweistromland. Während sich das Ökoton Wüstenrandgebiet raumgreifend wieder einstellt, ge-schieht Zuwanderung und innovative, konzentrierte Kultur- und Ge-sellschaftsentwicklung entlang allochthoner Flüsse. Mit der Resti tu-tion von Wüstenrandgebieten bzw. Wüsten im mittleren Holozän wird Migration und damit auch ein kultureller, gesellschaftlicher und kulturtechnischer Entwicklungsschub in den Flussoasen ausgelöst.

3.4.4 Die südperuanische Atacama: Prähistorie und Klimawandel

Das Beispiel der Nasca-Kultur in der südperuanischen Wüste Atacama zeigt, wie ihre Blüte und der Niedergang sowohl vom Zufluss aus dem andinen Hoch- und Hinterland und damit von der Reichwei-te des Monsuns über den Anden-Hauptkamm hinaus bestimmt wur-

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38 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

den. Bereits seit Jahrzehnten steht die Nasca-Kultur – nicht zuletzt wegen der berühmten Scharrbilder in der Wüste (Geoglyphen) – im Fokus kulturgeschichtlicher und archäologischer Untersuchungen. Die (Paracas-)/Nasca-Kultur ist insbesondere von Interesse, weil sie sich von 800 v.Chr. bis 650 n.Chr. in einem extremen Wüstenmilieu in der südperuanischen Atacama entwickelte. Blütephase wie auch Untergang der Nasca belegen beispielhaft sowohl die intensiven Wech-selwirkungen der klimagesteuerten Umwelt mit den Möglichkeiten und Grenzen kultureller Entfaltung als auch die Wechselhaftigkeit des Klimas im (jung-)holozänen Südamerika – innerhalb weniger Jahr-hunderte. (Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Arbeiten von Mächtle 2007, Mächtle & Eitel 2010, 2009, Eitel & Mächtle 2006).

Als Teil des südamerikanischen Küstenwüstenstreifens (Kap. 13.1) erhält der ehemalige Nasca-Lebensraum um die Städte Palpa und Nasca fast ausschließlich Nebelniederschläge. Regenniederschläge er-folgen nur von Osten über den Monsun, der sich an der Andenkette und im Hochland abregnet. Seitens des Pazifiks wird Regenbildung blockiert durch die kalten Auftriebswässer des Humboldtstroms (Pas-satinversion; stabile Luftschichtung), durch küstenparallele Luftströ-mungen aus dem Osterinsel-Hoch und durch divergierende Luftmas-sen zwischen Festland und Pazifik (s. Abb. 51). El Niño-Auswirkungen werden in diesem Raum nicht mehr wirksam. Das belegen auch die spektaku lären Geoglyphenfelder (sog. Nasca-Linien, geometrische Flächen und bildliche Figuren; Foto 3) durch ihren guten Erhaltungs-zustand. Die zuge hörigen Wüstenflächen (Pampas) waren keine land-wirtschaftlichen Nutzflä chen.

Es ist zu betonen, dass die Kulturflächen der Nasca in erster Linie an leistungsfähige Flussoasen geknüpft waren, die aus hochandinen

Foto 3 Links: Geoglyphen (Scharrbilder) der Nasca-Kultur auf der Pampa von Palpa in der Atacama-Wüste (Süd peru). Im Hinter-grund eine Flussoase mit den damaligen wie heutigen Bewässe-rungs feldern. Rechts: Wüstenrand-Lösse an der West-flanke der südperua-nischen Anden. In der früh- bis mittel-holozänen Feucht-phase (11 000 und 4500 J.v.h.) reichten die monsunalen Niederschläge so weit nach Westen, dass sich in 1000 –2000 m ü.M. ein Grasland einstellte, das die eingewehten Stäube fixierte. Heute ist diese Höhenstufe wieder eine dürftig von Kakteen bewachsene Wüste.

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39Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

Räumen außerhalb der Wüste gespeist wurden. Das gebirgige Hinter-land war zur Blütezeit der Wüstenkultur jedoch nur dünn besiedelt. Damit steht die Region Palpa/Nasca im Verständnis für die Kulturent-wicklung in Wüsten beispielhaft und stellvertretend für die entschei-dende Rolle allochthoner Niederschläge und Fremdlingsflüsse als Gunstgebiete in Wüsten: Einzugsgebiete mit deutlich feuchterem Kli-ma bestimmen biologisch reichhaltige natürliche Lebensräume und damit auch das Nutzungspotenzial für Menschen innerhalb extrem arider Umgebung.

Die Untersuchungen von Mächtle (2007) demonstrieren aber zu-sätzlich das Phänomen der veränderlichen Wüstenränder (shifting desert margins, Abb. 7) auch in der postglazialen Klimaentwicklung der Atacama: Der Wüstenrand fluktuierte, da zeitweilig monsunale Niederschläge weit über die Anden-Kulmination vordrangen und auch der andinen Westflanke zwischen 1000 und 2000 m Meeres-höhe feuchtere Bedingungen brachten. Das zeigen Reste von Terras-sen mit Regenfeldbau. Zwischen 11 000 und 4500 J.v.h. stellte sich in der heutigen Wüste ein Grasland ein, das als Fänger angewehter Stäube wirkte und eine regional unterschiedlich mächtige Lössbede-ckung an den Hängen zur Folge hatte (Foto 3). Diese zog bereits früh menschliche Aktivitäten nach sich.

Abb. 7 Der idealisierte Querschnitt durch die südperuanische Atacama und die Anden-Westabdachung zeigt die Rekonstruk-tion der Oszillation des Wüsten randes wäh-rend der jüngsten Jahrtausende. Wie-dergegeben sind auch das Längsprofil der Flussoase sowie na tür- liche Höhenstufen und agrarische Nutzungen (aus Mächtle & Eitel 2009).

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40 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

Die Entwicklung im Nasca-Gebiet steht der Ariden Diagonale Chiles und der Titicaca-Region diametral gegenüber. Diese war zwi-schen 9000 und 4500 J.v.h. kaum besiedelt (Mächtle & Eitel 2011). Zwischen 6000 und 5000 J.v.h. hatte der Titicaca-See sogar seinen tiefsten Stand. Die Geschichte der Niederschlagsentwicklung verlief zwischen der Wüstenregion Palpa/Nasca und dem Altiplano mit dem Titicaca-See offensichtlich zeitlich gegensätzlich.

Die Blütezeit der Paracas- und Nasca-Kultur (800 v.Chr. – 650 n. Chr.) erklärt sich aus einer klimatisch bedingten agrarischen Begünstigung ihres Lebensraumes: Die warmen Atacama-Flussoasen am Rio Grande, Rio Santa Cruz u. a. boten ideale Bedingungen, wäh rend die kühleren Hochlagen lediglich dünn besiedelt und die Titica ca-Region zusätzlich durch geringere Niederschläge benachteiligt war. Andererseits lässt sich der Niedergang der Nasca-Kultur um 650 n. Chr. mit einer Wasserver-knappung in den Oasen begründen, bedingt durch eine Verlagerung des andinen Niederschlagszentrums in die Titicaca-Region (650 – 1200 n.Chr.; sog. Mittlerer Horizont). Im Hochland entwickelte sich darauf-hin die Huari- und Tiwanaku-Kultur um den Titicaca-See.

Ein erneuter Umschwung im Niederschlagsgeschehen begünstigte nochmals die Nasca/Palpa-Region während der sog. Späten Zwischen-periode (1200 – 1400 n.Chr.). Es verlagerte sich der Siedlungsschwer-punkt erneut an den Andenfuß, verbunden mit der Schaffung eigen-ständiger, arbeitsteiliger Gesellschaften. Beispiel dafür ist die Ciudad Perdida de Huayuri. Mit der spanischen Eroberung brachen die Nasca, Inka wie auch andere südamerikanische Kulturen durch Krieg und eingeschleppte Krankheiten zusammen.

Mensch-Umwelt-Beziehung: Neodeterministisches Paradigma?

Die Nasca-Kultur im Anden-/Wüsten-Sys-tem ist ein Lehrstück ei ner kausal-funk-tio nalen Verflechtung von Orographie, Kli ma, Kli ma- und Landschaftswandel so wie menschlicher Aktivitäten, die von resultierenden Gunst- oder Ungunstfak-toren wesentlich mitbe stimmt werden. Die Beispiele der Auswirkungen klimatischer Um brüche und Fluktuationen in Wüsten und Wüstenrändern ma chen deutlich, dass kulturelle Entwicklung i.w.S. in unmittel-barer Abhängigkeit geänderter Umwelt-bedingungen steht. Veränderungen der basalen Lebensumwelt zwingen zu Mi-gration oder Adaptation, führen zu tech-

nologischem Fortschritt (oder auch zum Kollaps). Spe ziell das Leben in klimatisch labilen, sensitiven Übergangsräu men wie den Wüstenrandgebieten hat in prekären Zeiten der Aridisierung Anpassungskräfte mobilisiert: Innovationen werden dann und dort stimuliert, wo es die Umstände er fordern. Es wurde bereits ange sprochen: Verbesserung der äußeren Rah men be-din gungen in klimatischen Gunstphasen führen eher zu Beharrung denn zu neuen Entwicklungen.

Issar & Zohar (2004) haben mit ihrer „Neodeterminismus-Diskussion“ den Blick wieder auf die intensive Beziehung zwischen menschlicher Kulturentfaltung und physischer Umwelt gerichtet. Das