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Buchbesprechungen struktiven Bilde dergeographischenVerbreitungund historischenEntwicklung. Die letzte Karte allerdings weicht nicht nur von den drei vorangegangenen, sondernauchin den bishergenanntenZeugnissenab. Sie vereinigt die Gebiete heutigenBrauchsmit Orten derAnnahmekultischerRiesengestaltenausvorge¬ schichtlicherZeit, vornehmlich nordischerFelsbilder.Dazu werden Plätze der orientalischenFrühzeit verzeichnet,für die Mythen von einem Weltriesenbe¬ kannt sind.Durch graphischeVerbindung aller eingezeichneten Punkte entsteht einegeistigeSeefahrtdurchsMittelmeer und um Westeuropa herum bis nach Schweden. Zur Erläuterung dient ein abschließendes Kapitel „Deutung“ (S. 122 bis 129), dasganzim Bannederneu-mythologischenVersucheundihrer speziel¬ len Ausprägungim Anschlußan Karl von Spiesssteht.Um esohneUmschweife zu sagen:dieseletzten siebenSeitenund die dazugehörigeKarte halte ich für eineundiskutableKonstruktion, auchwenn die „hypothetischeZeitkontinuität“ und ihr „Raumkontinuum“ (S. 120) in Wien als Ziel und Krönung der Arbeit angesehenwerdenmögen;undiskutabeldeshalb,weilessichumSetzungenhan¬ delt, kaum um Möglichkeiten.Die gründlicherarbeitetenZeugnissezwingenzu ganzanderenSchlüssen, die auszubreitenhier nichtderOrt ist. Washingegenden keineswegsgeringzu veranschlagendenWert desBuchesausmacht,sind seine exakten Materialaufbereitungen,auf diejenerSchlußwie einfalschesReiserauf¬ gepfropft erscheint. Beitls Darstellung unterscheidet sichwohltuend von der Viel¬ zahl volkskundlicher Untersuchungenmit ähnlich mythischenEndzielen,wo unterm Strich mit Fußnotengemogeltund Unbeweisbaremdurch gelehrteAn¬ merkungender ScheindesErwiesenenerschlichenwird, wo die Phantasiedie Quellen färbt oder gar Willkür sie auswählt, wo die vorgefaßteMeinung jeden Blick für feinereBeobachtungen in Geschichteund Gegenwartversperrt. Beitl ist trotz seinerforcierten Intentionen nicht mit verbundenenAugenauf der Suchegewesen. VornehmlichseineBeschreibungder „Fete deGayant“ ent¬ spricht allen Erwartungen, die man an einehistorischeund gegenwartskundige Untersuchungaller PhänomeneeinesBrauchesstellendarf. Er zeigt sehrklar die bezeichnendenWandlungenvom Aufkommen desBrauchsim Spätmittel¬ alter über die Aufklärung zum 19. und 20. Jahrhundert und bietet ausgezeich¬ netesMaterial für Betrachtungen,wie sieHans Moserund Hermann Bausinger angestellthaben, etwa in Abschnitten: „Spielergemeinschaft“(S. 67ff.), „Fest¬ kosten“ (S. 70 ff.), geistige„Vorstellungen“ (S. 92 ff.) usw. Hier finden sichdie Aspekte einer historisch-soziologischen Fragestellung,die unsereDisziplin als Geisteswissenschaft tragfähig erweisen.Dazu bedarf es keiner überhöhenden Spekulationenim dunklenReichder Mythologie. Beitl hat beidemseinenTribut gezollt. Der Hauptteil wird für weitere Studien grundlegendbleiben. Darum muß die umfassende,übersichtlicheund ehrlicheArbeit laut weiterempfohlen werden. Frankfurt-Main Wolfgang Brückner Martin Schneider, Militisch. Herausgegeben im Aufträge des Heimatausschus¬ ses;Pannonia-Verlag,Freilassing1961.384S. Es ist zweifellos kein leichtesUnterfangen, ein „Heimatbuch“ zu schreiben. Zwar gibt eseineUnzahl solcherBücher;und esgehörtnachgerade für eineGe-

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struktiven Bilde der geographischenVerbreitung und historischenEntwicklung.Die letzte Karte allerdingsweicht nicht nur von den drei vorangegangenen,

sondernauchin den bisher genanntenZeugnissenab. Sie vereinigt die GebieteheutigenBrauchsmit Orten der AnnahmekultischerRiesengestaltenausvorge¬schichtlicherZeit, vornehmlich nordischerFelsbilder. Dazu werden Plätze derorientalischenFrühzeit verzeichnet,für die Mythen von einemWeltriesenbe¬kannt sind.Durch graphischeVerbindung aller eingezeichnetenPunkte entstehteinegeistigeSeefahrtdurchsMittelmeer und um Westeuropaherum bis nachSchweden.Zur Erläuterung dient ein abschließendesKapitel „Deutung“ (S. 122bis 129),dasganzim Banneder neu-mythologischenVersucheund ihrer speziel¬len Ausprägungim Anschlußan Karl von Spiesssteht.Um esohneUmschweifezu sagen:dieseletzten siebenSeitenund die dazugehörigeKarte halte ich füreineundiskutableKonstruktion, auchwenn die „hypothetischeZeitkontinuität“und ihr „Raumkontinuum“ (S. 120) in Wien als Ziel und Krönung der Arbeitangesehenwerdenmögen;undiskutabeldeshalb,weil essichum Setzungenhan¬delt, kaum um Möglichkeiten.Die gründlich erarbeitetenZeugnissezwingenzuganzanderenSchlüssen,die auszubreitenhier nicht derOrt ist.Washingegendenkeineswegsgering zu veranschlagendenWert desBuchesausmacht,sind seineexaktenMaterialaufbereitungen,auf die jenerSchlußwie ein falschesReiserauf¬gepfropft erscheint.BeitlsDarstellungunterscheidetsichwohltuendvon derViel¬zahl volkskundlicher Untersuchungenmit ähnlich mythischenEndzielen,wounterm Strich mit Fußnotengemogeltund Unbeweisbaremdurch gelehrteAn¬merkungender ScheindesErwiesenenerschlichenwird, wo die PhantasiedieQuellen färbt oder gar Willkür sieauswählt,wo die vorgefaßteMeinung jedenBlick für feinereBeobachtungenin Geschichteund Gegenwartversperrt.Beitl ist trotz seinerforcierten Intentionen nicht mit verbundenenAugenauf

der Suchegewesen.VornehmlichseineBeschreibungder „Fete deGayant“ ent¬spricht allen Erwartungen, die man an einehistorischeund gegenwartskundigeUntersuchungaller PhänomeneeinesBrauchesstellen darf. Er zeigt sehrklardie bezeichnendenWandlungenvom Aufkommen desBrauchsim Spätmittel¬alter über die Aufklärung zum 19. und 20. Jahrhundert und bietet ausgezeich¬netesMaterial für Betrachtungen,wie sieHansMoserund Hermann Bausingerangestellthaben,etwa in Abschnitten: „Spielergemeinschaft“(S. 67 ff.), „Fest¬kosten“ (S. 70 ff.), geistige„Vorstellungen“ (S. 92 ff.) usw.Hier finden sichdieAspekte einer historisch-soziologischenFragestellung,die unsereDisziplin alsGeisteswissenschafttragfähig erweisen.Dazu bedarf es keiner überhöhendenSpekulationenim dunklenReichder Mythologie. Beitl hat beidemseinenTributgezollt. Der Hauptteil wird für weitere Studien grundlegendbleiben.Darummuß die umfassende,übersichtlicheund ehrlicheArbeit laut weiterempfohlenwerden.Frankfurt-Main Wolfgang Brückner

Martin Schneider, Militisch. Herausgegeben im Aufträge des Heimatausschus¬

ses;Pannonia-Verlag,Freilassing1961.384S.Es ist zweifellos kein leichtesUnterfangen, ein „Heimatbuch“ zu schreiben.

Zwar gibt eseineUnzahl solcherBücher;und esgehörtnachgeradefür eineGe-

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meindezum guten Ton, ein Heimatbuchschreibenzu lassen,aber ebendarinliegt die Schwierigkeit.Die Flut desHeimatschrifttumsist zu mächtiggeworden,alsdaßsieeigeneQualitätsnormenhätteentwickelnkönnen.Ein guterTeil diesesLiteraturzweigesist nicht dazu angetan,auchnur bescheidenenAnsprüchenzuentsprechen;sachlicheNotizen, die nützlich sein könnten, verschwimmeninhistorisierendemDilettantismus, in wehmütig-retrospektiver Salbaderei undauchin forschemIndustrieoptimismus.Eine unerfreulicheLektüre, die dadurchnicht gefälligerwird, daßsiedenKredit guter,saubergearbeiteterHeimatbücherherabsetzt.SolcheArbeiten gibt esdurchaus,und einevolkskundlicheBibliotheksollte danachtrachten,die gutenund bestenExemplaredieserGattung zu sam¬meln; sie stellennicht nur erwünschteQuellen dar, sondernin manchenFällengeradezuauchVorbilder für wissenschaftlicheGemeindemonographienvolks¬kundlicherund soziologischerArt. Freilich ist esin gewissemSinneleichter,einewissenschaftlicheDorfuntersuchungzu erarbeitenalsein gutesHeimatbuch,denndiesessoll verkauft werden,und essoll „ankommen“; essoll demLeserauf einegefälligeWeisehelfen,seineeigenenErinnerungenund Sentimentein dengröße¬renZusammenhangeinessozialenOrganismuszu stellen.Esist deshalbsicherlichnicht einfach,ein gutesHeimatbuchzu schreiben.Martin Schneiderlegt ein Buch vor über die Batschka-GemeindeMilititsch.

Er muß davon ausgehen,daß seineLeserHeimatvertriebenesind, davon, daßseinPublikum voller Ressentimentsist, davon, daß er den Problemenjüngst-vergangenerpolitischerEreignissenicht ausweichenkann, daßer dembesonderenMinderheitsbewußtsein(oder -selbstbewußtsein)der donauschwäbischenVolks¬gruppeentsprechenund daßer sichmit seinerPublikation möglicherweisein deroft nichtungefährlichenNäheaktuellerHeimatvertriebenenpolitikbewegenmuß.Dieseüberausdiffizile Aufgabehat Schneidermit Courageund Geschickgelöst;sogut gelöst,daß dasBucheinenicht nur für seineLandsleuteempfehlenswerteLektüre bietet.WozuSchneiderCouragebrauchte,ist leichteinzusehen.In keinemAugenblick

verfällt er demMythus der deutschen„Sendung“, und nicht ein einzigesMalläßt er sichdazuverführen, geringschätzigvon denAngehörigenandererNatio¬nalitäten und anderenVolkstums zu reden,mit denenja geradedie Donau¬schwabenimmer in engerBerührungstanden.Das beginnt schonmit seinerBe¬siedlungsgeschichte:„Und dannkamendieKolonisteninsLand,Deutsche,Serben,Ruthenen,Slowaken,ja sogarItaliener und Franzosen,legtendieSümpfetrocken,bewässertendie Steppe. . .“ usw. (S. 6/7). Niemand soll meinen,daß so einSatz leicht hingeschriebenwäre; er widerspricht entschiedender geradezuland¬läufigenMeinung,daßesdie deutschenSiedlerwaren,die denzitierten Slowakenund RuthenenKultur „beibrachten“.Schneiderbehält dieseAufrichtigkeit durchdasganzeBuchbei; besondersdasgute Verhältnis zu den serbischenNachbarnin Milititsch selbstwird hervorgehoben.Mit Ehrlichkeit allein freilich kannmankeinHeimatbuchschreiben.Schneiders

Bucherhält seinenRangvor allemauchdurcheinengeschickten,umsichtigenundtaktvollen Aufbau. Esscheint,alsob wirklich kein Aspekt desdörflichenLebensvergessensei.Der historischeTeil, der dasBucheinleitet, endetüberraschender¬weise(abervöllig berechtigt)mit einemÜberblick über die sozialenGruppen inder Gemeinde(Vereine und Genossenschaften),und ihm folgen Berichteüber

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Haus- und Siedlungsform,über die Flurverhältnisse,die sozialenVerhältnisse,dieMundart, Trachtund, in zwei großartigsachlichenKapiteln, überdasBrauch¬tum desJahres-und Lebenslaufes.Warum die wirtschaftlichenVerhältnisseerstnachdieserÜbersichtbehandeltwerden,ist nicht ganzeinzusehen;zusammenmitdenBemerkungenüber die sozialeGliederunghätten siewahrscheinlich,vor denerwähntenKapiteln erörtert, einegute Grundlage desNachfolgendenergeben.Das letzteDrittel desBuchesgehörtdemErlebnisvon Fluchtund Vertreibung

und denEreignissen,die ihm vorausgingenodernachfolgten.Ist diesemzentralenErlebnis der LandsleuteSchneidersdamit ein zu reichlicherRaum bemessen?Wir glaubenesnicht. Schneiderist selbstheimatvertriebenund unternimmt ver¬nünftigerweisekeinen Versuch,sichvor seinemeigenenSchicksalin eine leereObjektivität zu flüchten. Aber er drängt seinepersönlichenErinnerungen andieseschwereZeit nicht auf, sondernläßt, in kurzen Erlebnisberichten,seineLandsleutezuWorte kommen.DiesePraxisübt er in allenKapiteln seinesBuchesund erreicht damit wohl mehr als eineerwünschteAuflockerung, nämlich eineDokumentationbesondererArt. EsentsprichtseinerimmerspürbarenBescheiden¬heit, daß er in den letzten, großenAbschnitten,welchedie schwerenJahre von1944ab behandeln,fast ganzzurücktritt. Die BerichteseinerGewährsleutesinderschütternd,und das,obwohl sicheinigevon ihnenmerklichbewußtaller Klagenenthalten.Schließlichsind die abschließendenBemerkungenüber dasLebenin der neuen

Heimat frei von jedemEingliederungsoptimismus;bis zur letzten Zeile ist dasBuchsonüchternwie möglich,saubergearbeitet,anständiggedacht.Es ist kaumnötig zu sagen,daß sichdasauchauf die zahlreichenBilder beziehtund auf dieKarten, graphischenSkizzen und Statistiken. So schwierig es sein mag, guteHeimatbücherzu schreiben- Martin SchneidersArbeit wird auchin einerwissen¬schaftlichenBibliothek willkommen sein.Tübingen Herbert Schwedt

Rudolf Wierer, Probleme der heimatlosen Ausländer in der Bundesrepublik

Deutschland.Mit Berücksichtigungder deutschenHeimatvertriebenen.SchriftendesInstituts für Kultur- und Sozialforschunge.V. in München,Bd. 7, EdmundGansVerlag, Gräfelfing beiMünchen1960,167S.Der Titel diesesBuchesist ein wenig irreführend; die Schrift könnte ohne

weiteresheißen:Die heimatlosenAusländerin derBundesrepublik.Erstmalszu¬sammenfassendwird hier Material gebotenüber die Anzahl der heimatlosenAusländer in Westdeutschland,über ihre Herkunft, über die ethnischeund kon¬fessionelleCharakteristik der einzelnenVolksgruppen.Bei diesenDarstellungenfangenfreilich die Problemebereitsan, Probleme,die der deutschenÖffentlich¬keit weitgehendunbekanntsind.Die ausländischenVolksgruppensind in keinerWeisehomogen;siesind in vielen Fällen politisch,konfessionelloder auf andereArt gegliedert,wenn nicht gespalten.Das ergibt sichetwa ausden politischenEreignissenin den Herkunftsländern, die verschiedeneAuswanderungswellenauslösten.Die Emigrantenund Flüchtlinge,die von verschiedenendieserWellenerfaßt wurden, steheneinandernicht seltenoppositionell gegenüber,wie z. B.die alten,russischenEmigranten,die von derRevolution 1917vertriebenwurden,