Z FA · 2019-07-16 · Z FA Zeitschrift für Allgemeinmedizin German Journal of Family Medicine...
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Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin
German Journal of Family Medicine
Juli/August 2019 – Seite 289–336 – 95. Jahrgang www.online-zfa.de
7/8 / 2019
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DP AG Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – 4402 – Heft 7-8/2019 Deutscher Ärzteverlag GmbH – Postfach 40 02 65 – 50832 Köln
Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA), der Niederösterreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (NÖGAM), dem Österreichischen Institut für Allgemeinmedizin (ÖIfAM), der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM), der Steirischen Akademie für Allgemeinmedizin (STAFAM), der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM), der Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM) und der Vorarlberger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (VGAM)
Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Austrian Institute of General Practitioners, the Lower Austrian College of General Practitioners, the Salzburg Society of Family Medicine, the Society of Professors of Family Medicine, the Southtyrolean College of General Practitioners, the Styrian College of General Practitioners, the Tyrolean College of General Practitioners and the Vorarlberg Society of Family Medicine
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Im Fokus
Organspende: Dichtung und Wahrheit
Selen zur Tumorprävention?
Gesprächsführung in der Hausarztpraxis
Checkliste Blockpraktikum
Entindividualisierung der Versorgung
Palliative Sedierung
© Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8) ■
289EDITORIAL / EDITORIAL
Organspende: Dichtung und WahrheitIn Deutschland stehen
mehr als 9000 Menschen
auf der Warteliste für eine
Organspende; jährlich ster-
ben rund 1000 Patienten,
weil sie kein Organ erhal-
ten. Im Jahr 2017 gab es 797
Organspender.
Seit Ende 2018 wird
über zwei Gesetzentwürfe
zur Steigerung der Organ-
spende-Bereitschaft der Be-
völkerung diskutiert:
• Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU), sekundiert
durch den SPD-Abgeord-
neten Karl Lauterbach, forderte, dass in Abänderung der aktu-
ell gültigen Regelung jeder Bürger Organspender werden soll-
te, der nicht vor seinem Tod widersprochen hat. Diese sog.
doppelte Widerspruchslösung heißt so, weil die nächsten Ange-
hörigen (auch ohne vorliegenden, schriftlichen Einwand des
Verstorbenen) einer Organentnahme noch widersprechen
können.
• Einen Gegenvorschlag (Zustimmungslösung) formulierte eine
Gruppe von Abgeordneten um Annalena Baerbock (Grüne),
Hilde Mattheis (SPD) und Katja Kipping (Linke). Jedes Mal,
wenn Bürger ihren Personalausweis verlängern, sollen sie von
Mitarbeitern der kommunalen Ämter darauf angesprochen
werden, ob sie nach dem Tod Organe spenden wollen. Im Fal-
le einer Zustimmung, kann man sich gleich vor Ort oder zu
Hause am eigenen Rechner in ein Online-Register eintragen.
Zudem sollten auch regelmäßige Aufklärungs- bzw. Erinne-
rungskampagnen beim Hausarzt erfolgen.
Bis vor wenigen Wochen (Stichtag 25.6.) hatten die Abgeord-
neten Zeit, einen der Entwürfe zu unterzeichnen. Spahn sam-
melte 222 Unterschriften, Baerbock 191; 217 Parlamentarier
haben sich bislang noch nicht entschieden. Endgültig abge-
stimmt wird aber erst im September.
Für die Gegner des Spahnschen Gesetzentwurfs ist die Annah-
me, ein fehlender Widerspruch sei gleichbedeutend mit Zu-
stimmung, ein verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriff in
die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungs-
recht. Oder, wie es die Medizinjournalistin Christina Berndt in
der Süddeutschen Zeitung ausdrückte: „Die Voraussetzung für
ein funktionierendes Transplantationssystem ist Vertrauen, nicht
Überrumpelung.“
Laut Umfragen möchten mehr als 80 % der Bevölkerung
(nicht nur in Deutschland), dass sich die Zahl der Spenderorga-
ne erhöht. Warum spenden dann nicht mehr? Die Antwort auf
diese Frage ist – für Deutschland – gar nicht so schwer, wenn
man die Vorgeschichte Revue passieren lässt.
Seit 2010 wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit durch
zahlreiche Skandale erschüttert, bei denen es um eklatante Ver-
stöße etlicher Transplantationszentren gegen bestehende
Richtlinien ging. Ob diese Vorgänge die Spendebereitschaft der
Bevölkerung weiter vermindert haben, ist zwar nicht unter-
sucht, aber wahrscheinlich.
Eine sehr viel größere Rolle für den Rückgang der Organ-
spenden spielten aber langjährige organisatorische Missstände
in Organentnahmekliniken und die fehlende Vergütungsrege-
lung – viele andere Länder haben gleiche Erfahrungen ge-
macht. Diese Mängel wurden in Deutschland erst im April
2019 durch das erneuerte Organspendegesetz abgeschafft. Es
sieht u.a. rechtsverbindliche Vorgaben und die vollständige
Vergütung für die Freistellung der Transplantationsbeauftrag-
ten vor. Krankenhäuser erhalten zudem eine verbesserte Bezah-
lung für den gesamten Prozessablauf einer Organspende. Ein
bundesweiter neurologisch/neurochirurgischer Rufbereit-
schaftsdienst soll gewährleisten, dass auch kleineren Kranken-
häusern jederzeit qualifizierte Ärzte bei der Feststellung des
Hirntodes zur Verfügung stehen.
Nun möchten Spahn, Lauterbach und die Befürworter ih-
rer Idee nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die interes-
sierte Bevölkerung glauben machen, die Widerspruchslösung
würde die Spendebereitschaft der Bevölkerung deutlich erhö-
hen. Wissenschaftliche Belege kommen allerdings zu ganz an-
deren Ergebnissen.
Seit fast 15 Jahren gibt es in der Literatur Analysen zum
Thema – deren Zusammenfassung z.B. in einer Metaanalyse
scheiterte aber bislang an heterogenen Methoden, diversen
Länderbesonderheiten und unterschiedlichen Analysetech-
niken. Jetzt scheint sich das Blatt zu wenden:
Am 15. März 2019 (online) verglichen britische, interessen-
konfliktfreie Wissenschaftler aus Birmingham in der renom-
mierten Zeitschrift Kidney International die neuesten (2016) pu-
blizierten Transplantationsdaten aus 35 Mitgliedsländern der
OECD: 17 der Länder praktizieren eine Widerspruchslösung
(englisch: „opt-out“), 18 eine Zustimmungslösung („opt-in“).
Wer die detaillierten Zahlen selbst einsehen will: Der Arti-
kel ist frei verfügbar (www.kidney-international.org/arti
cle/S0085–2538(19)30185–1/pdf). Das wichtigste Ergebnis
aber schon einmal vorab: Bei der Zahl der Hirntodspender pro
Million Einwohner gab es zwischen den Ländern mit Wider-
spruchslösung und denen mit Zustimmungslösung keine sig-
nifikanten Unterschiede. Mehr noch: Die Zahl der Lebendspen-
der war in Ländern mit Zustimmungslösung erheblich größer.
Und was ist mit Spanien, das oft als Land zitiert wird, in
dem eine 1979 eingeführte Widerspruchslösung zu einem
deutlich höheren Spenderaufkommen geführt haben soll? Da-
zu muss man wissen, dass die Spenderbereitschaft in Spanien
erst 1989, zehn Jahre nach deren Einführung, anstieg. Die da-
mals verabschiedeten Maßnahmen entsprechen weitgehend
dem deutschen Transplantationsgesetz vom April 2019 (s.o.).
Gleiche Erfahrungen wurden u.a. in Norditalien, Kroatien oder
Portugal gemacht.
Die Abstimmung nach der parlamentarischen Sommer-
pause wird zeigen, ob wissenschaftliche Erkenntnisse überzeu-
gender sind als politisches Beharrungsvermögen.
Herzlich Ihr
Michael M. Kochen
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
290
EDITORIAL / EDITORIAL 289............................................................
EBM-SERVICE / EBM SERVICESelen zur Prävention maligner TumorenSelenium in the Prevention of Malignant TumorsMartin Cichocki, Christopher Perz, Andreas Sönnichsen 291....................................
Stellt Alpha-Liponsäure eine effektive Behandlungsoption bei diabetischer Polyneuropathie dar?Is Alpha-Lipoic Acid Effective in the Treatment of Diabetic Polyneuropathy?Mahmoud Moussa, Andreas Sönnichsen 294.......................................................
FORTBILDUNG / CONTINUING MEDICAL EDUCATION
Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen solltePalliative Sedation – What the Family Physician Should KnowDaniel Stanze, Henrikje Stanze 298..................................................................
DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLEDie Entindividualisierung der (haus)ärztlichen VersorgungDe-Individualizing in Primary Medical Health CareHeinz-Harald Abholz 303.............................................................................
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPERCheckliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinWie beeinflusst die systematische Festlegung von ausgewählten Lernzielen den subjektiven Lernfortschritt der Studierenden?Checklist Clerkship Family MedicineHow Does the Systematic Determination of Selected Learning Goals Influence the Subjective Learning Progress of Students?Gisela Ravens-Taeuber, Armin Wunder, Corina Güthlin, Insa Koné 307......................
Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family MedicineDana Loudovici-Krug, Wolfram Linz, Matthias Psczolla, Ulrich Christian Smolenski, Lothar Beyer 314........................................................................................
DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLEInterventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungErfahrungsbericht zur Teilnahmebereitschaft von Hausärztinnen und HausärztenCommunication-based Intervention Studies in Family PracticeExperiences With Participation, Recruitment and Motivation of Study PracticesVerena Leve, Simone Steinhausen, Marie Ufert, Michael Pentzek, Achim Mortsiefer, Sara Santos, Anja Wollny, Bettina Haase, Ottomar Bahrs, Susanne Heim, Karl-Heinz Henze, Iris Tinsel, Susanne Löscher, Norbert Donner-Banzhoff, Charles Christian Adarkwah, Frank Vitinius, Edmund Neugebauer, Stefan Wilm 319.......
BUCHBESPRECHUNGEN / BOOK REVIEWS 325...............................
LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR 327................................
DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS 329...................................
DESAM-NACHRICHTEN / DESAM NEWS 333....................................
DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND / GERMAN ASSOCIATION OF FAMILY PHYSICIANS 335.....................
IMPRESSUM / IMPRINT ...............................................................336
Titelabbildung: Alexander Raths/stock.adobe.com
INHALTSVERZEICHNIS / TABLE OF CONTENTS
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin
Organ der ...Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA), Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM), Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM),Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM),Vorarlberger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (VGAM)
Official Journal of the ... German College of General Practitioners and Family Physicians, Society of Professors of Family Medicine, Salzburg Society of Family Medicine,Southtyrolean College of General Practitioners,Tyrolean College of General Practitioners,Vorarlberg Society of Family Medicine
Herausgeber/innen / EditorsM. M. Kochen, Freiburg (federführend)H. Kaduszkiewicz, KielW. Niebling, FreiburgS. Rabady, WindigsteigA. Sönnichsen, Wien
Internationaler Beirat /International Advisory BoardJ. Beasley, Madison/Wisconsin, USA; F. Buntinx, Leuven/Belgien; G.-J. Dinant, Maastricht/NL; M. Egger, Bern/CH; E. Garrett, Columbia/Missouri, USA; P. Glasziou, Robina/Australien; T. Greenhalgh, London/UK; P. Hjort-dahl, Oslo/Norwegen; E. Kahana, Cleve-land/Ohio, USA; A. Knottnerus, Maas-tricht/NL; J. Lexchin, Toronto/Ontario, Kanada; C. del Mar, Robina/Australien; J. de Maeseneer, Gent/Belgien; P. van Royen, Antwerpen/ Belgien; F. Sullivan, Toronto/Ontario, Kanada; C. van Weel, Nijmegen/NL; Y. Yaphe, Porto/Portugal
Koordination / CoordinationJ. Bluhme-Rasmussen
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Selen zur Prävention maligner TumorenSelenium in the Prevention of Malignant TumorsMartin Cichocki, Christopher Perz, Andreas Sönnichsen
FrageImmer wieder kommen Patienten mit Heilsmeldungen wie „Selen schützt vor Krebs“, die in Zeitschriften und Werbeanzeigen verbreitet werden, in die Praxis. Doch was ist wirklich dran an diesen Behauptungen? Gibt es belastbare Studienevidenz für den Einsatz von Selen-Prä-paraten zur Prävention maligner Tumoren?
AntwortVon einer regelmäßigen Supplementierung der Nahrung mit Selen sollte abgeraten werden. Trotz des möglicher-weise bestehenden epidemiologischen Zusammenhangs zwischen Selenspiegel und Krebsinzidenz konnte ein posi-tiver Effekt einer Selensupplementierung bisher nicht in qualitativ hochwertigen Studien nachgewiesen werden, weder hinsichtlich der Krebsinzidenz noch hinsichtlich der Mortalität. Möglicherweise begünstigt eine längere Selen-supplementierung die Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 2.
Hintergrund
Selen spielt gebunden an die Aminosäure
Cystein als Selenocystein eine wichtige
Rolle im aktiven Zentrum des Selenopro-
teins Glutathionperoxidase. Diesem En-
zym kommt eine wichtige Bedeutung
beim Schutz von Zellmembranen und or-
ganischen Strukturen vor Oxidantien
und Sauerstoffradikalen zu [1]. Freien Ra-
dikalen wiederum wird seit den 80er-Jah-
ren nachgesagt, dass sie die Karzinogene-
se begünstigen, wobei sich diese Aussagen
überwiegend auf Tiermodelle, In-vitro-
Studien und Kohortenstudien mit hohem
Bias-Risiko beziehen [2]. Ein schlüssiger
Beweis für diese Hypothesen konnte bis-
her nicht erbracht werden. Dennoch hält
sich der Glauben an die krebsprotektiven
Eigenschaften von Antioxidantien hart-
näckig, und in der Praxis wird man immer
wieder von Patienten mit der Frage kon-
frontiert, ob es nicht sinnvoll sei, Antioxi-
dantien, u.a. Selen, als Nahrungsergän-
zungsmittel zuzuführen.
Wir gehen in dieser nicht systemati-
schen Literaturübersicht der Frage nach,
ob es belastbare Studienevidenz gibt, die
eine Selensupplementierung rechtfer-
tigen würde.
Wir durchsuchten die Cochrane Da-
tabase of Systematic Reviews und Med -
line/PubMed nach einschlägigen Arbei-
ten zu dieser Fragestellung und konsul-
tierten darüber hinaus Leitlinien zu die-
sem Thema.
Literatursuche und Aufbe -reitung der verfügbaren Evidenz
Cochrane Database of Systematic Reviews
Im Januar 2018 wurde das dritte Update
des Cochrane-Reviews zum Thema „Se-
lenium for preventing cancer“ publi-
ziert, basierend auf der Originalfassung
von Dennert 2011 und Vinceti 2014 [3].
Die Cochrane-Autoren inkludierten 83
Studien, davon 10 randomisiert-kon-
trollierte Studien (RCTs), 3 post-hoc
Analysen dieser RCTs und 70 Kohorten-
studien. Zwei Fragestellungen sollten
beantwortet werden:
QuestionIn family practice we are repeatedly confronted with pa-tients who read “healing prophecies“ such as “Selenium prevents cancer“ in magazines and health advertise-ments. What is the truth behind these messages? Are there reliable clinical studies that investigated the effec-tiveness of selenium in the prevention of malignant dis-ease?
AnswerRegular food supplements with selenium should not be recommended. In spite of a possible epidemiological rela-tionship between selenium levels and the incidence of cancer, a positive effect of selenium supplementation could not be shown in high quality clinical trials. Sele-nium supplementation neither prevents cancer nor cancer death. A negative effect regarding an increased risk to de-velop diabetes mellitus type 2 cannot be ruled out with certainty.
Abteilung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich DOI 10.3238/zfa.2019.0291–0293
EBM-SERVICE / EBM SERVICE
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• Gibt es epidemiologisch einen kausa-
len Zusammenhang zwischen Selen-
Exposition und Krebsentstehung?
• Ist eine Supplementierung von Selen
effektiv in der Prävention maligner Tu-
morerkrankungen?
Die erste Fragestellung wurde durch 70
Kohortenstudien mit insgesamt 2,3 Mil-
lionen Teilnehmern beantwortet. In sie-
ben Studien wurden die Krebsinzidenz
insgesamt (76.239 Teilnehmer) und die
Krebsmortalität insgesamt (183.863
Teilnehmer) untersucht. Es zeigten sich
Odds Ratios (OR) von 0,72, 95%-Kon-
fidenzintervall (KI) 0,55–0,93, für die In-
zidenz und von 0,76, 95%-KI 0,59–0,97
für die Mortalität, wenn Personen mit
der höchsten und der niedrigsten Selen-
aufnahme verglichen wurden. Auch für
bestimmte Tumorarten (Magen, Kolon,
Lunge, Brust, Blase und Prostata zeigte
sich ein Vorteil durch eine hohe Selen-
aufnahme. Die Cochrane-Autoren attes-
tieren allen diesen Studien jedoch ein
hohes Bias-Risiko durch Missklassifizie-
rung, Fehleinschätzung der Selen-Expo-
sition und unbekannte Confounder. Die
Studienqualität wird fast durchweg als
niedrig eingestuft.
In der Beantwortung der zweiten
Fragestellung haben die durchgeführten
randomisiert kontrollierten Studien mit
insgesamt 27.232 Teilnehmern fast
durchweg enttäuscht. Die aus den epi-
demiologischen Zusammenhängen ab-
geleitete und erhoffte Effektivität einer
Selensubstitution ließ sich in den durch-
geführten Metaanalysen nicht zeigen.
In den drei Studien mit niedrigem Bias-
Risiko (19.475 Teilnehmer) zeigte sich
ein relatives Risiko (RR) von 1,01,
95%-KI 0,93–1,10, für die Entstehung ir-
gendeiner malignen Tumorerkrankung
und von 1,02, 95%-KI 0,80–1,30 für die
Krebsmortalität. Für die Entstehung ein-
zelner Tumorarten fand sich ein ähn-
liches Bild (Tab. 1).
Als einziges positives Ergebnis fand
sich ein signifikant niedrigeres Risiko
nach Selensubstitution für das hepato-
zelluläre Karzinom (RR 0,52, 95%-KI
0,35–0,79). Die Chochrane-Autoren re-
lativieren dieses Ergebnis, das durch ei-
ne einzige Studie mit hohem Bias-Risiko
zustande gekommen ist.
Zusammenfassend legen sich die
Cochrane-Autoren fest, dass es hoch-
wertige Evidenz dafür gibt, dass eine Se-
lensubstitution keinen Vorteil hinsicht-
lich der Krebsentstehung oder der
Krebsmortalität bringt, obwohl die epi-
demiologischen Studien einen solchen
Zusammengang nahezulegen schei-
nen. Die Korrelation zwischen Selen-
aufnahme und reduzierter Krebsinzi-
denz in manchen Kohortenstudien
führen die Cochrane-Autoren auf Feh-
ler im Studiendesign und Confounding
zurück.
PubMed/Medline
Nachdem für den Cochrane-Review eine
systematische Literaturrecherche bis Ja-
nuar 2017 durchgeführt worden war, re-
cherchierten wir in PubMed/Medline
nur von 2017–2019. Die Suche mit den
Suchbegriffen „Selenium, cancer, rando-
mized“ ergab 51 Treffer. Darunter fand
sich keine einzige Studie, die direkt un-
sere Fragestellung untersuchte.
Im 25-Jahres-Update des Linxian
Nutrition Intervention Trials konnte der
anfänglich vorhandene günstige Effekt
einer gemischten Supplementierung
von Vitamin E und Selen auf die Krebs -
inzidenz nicht mehr nachgewiesen wer-
den [4].
Eine kleinere im Jahr 2017 publizier-
te Studie untersuchte die Inzidenz des
Prostatakarzinoms bei Männern mit
PSA-Spiegeln über 4 ng/ml, die rando-
misiert entweder Selen und Lykopin (ein
Carotinoid, das vor allem in Tomaten
vorkommt) oder keine Nahrungsergän-
zungsmittel erhielten. Auch in dieser
Studie fand sich kein Vorteil für die Se-
len-Einnahme (HR 1,38, p = 0,67;
95%-KI nicht angegeben) [5].
Leitlinien
S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnose und Therapie des Prostatakarzinoms
In der AWMF-S3-Leitlinie-Prostatakarzi-
nom [6] werden im Hinblick auf die Tu-
morentstehung eher allgemeingültige
Empfehlungen hinsichtlich präventiver
Ernährungsmaßnahmen gegeben, wo-
bei auch hierfür die Evidenz als schwach
angegeben wird. Die Leitlinienautoren
geben die Empfehlungen eher, weil
man den Bedürfnissen von Männern
nach Informationen über mögliche Prä-
ventionsstrategien nachkommen
möchte und vor allem verhindern will,
dass diese zur nicht evidenzbasierten
Einnahme von Nahrungsergänzungs-
mitteln greifen. Die allgemeinen Emp-
fehlungen orientieren sich an der Leitli-
nie der amerikanischen Krebsgesell-
schaft (ACS) „Nutrition and physical
activity guidelines for cancer preventi-
on“, die letztendlich auch der Präventi-
on anderer Erkrankungen, z.B. Herz-
Kreislauf-Erkrankungen dienen.
Selen (und auch Vitamin E) werden
explizit nicht empfohlen, wobei die
Leitlinie sich hierbei in erster Linie auf
die SELECT-Studie stützt, die auch in
den oben beschriebenen Cochrane-Re-
view inkludiert wurde [7]. In dieser gro-
ßen, vierarmigen randomisiert-kontrol-
lierten Multicenter-Studie waren 35.533
Männer 5 Jahre lang entweder mit Selen,
mit Vitamin E, mit beidem oder mit Pla-
EBM-SERVICE / EBM SERVICE
Entstehung einzelner Tumorarten
Tumoren der Kopf- und Halsregion
Speiseröhrenkrebs
Kolorektales Karzinom
Malignes Melanom
Sonstiger Hautkrebs
Bronchialkarzinom
Mammakarzinom
Urothelkarzinom
Prostatakarzinom
Leukämien und Lymphome
Tabelle 1 Entstehung einzelner Tumorarten
RR 1,22, 95%-KI 0,52–2,85
RR 0.53, 95%-KI 0,12–2,28
RR 0,74, 95%-KI 0,41–1,33
RR 1,28, 95%-KI 0,63–2,59
RR 1,23, 95%-KI 0,73–2,08
RR 1,03, 95%-KI 0,78–1,37
RR 1,44, 95%-KI 0,96–2,17
RR 1,10, 95%-KI 0,79–1,52
RR 0,91, 95%-KI 0,75–1,12
RR 1,21, 95%-KI 0,52–2,80
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1. Kurokawa S, Berry MJ. Selenium. Role of the essential metalloid in health. Met Ions Life Sci 2013; 13: 499–534
2. Goldstein BD, Witz G. Free radicals and carcinogenesis. Free Radic Res Com-mun 1990; 11: 3–10
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4. Morgia G, Voce S, Palmieri F, et al. Asso-ciation between selenium and lycope-ne supplementation and incidence of prostate cancer: Results from the post-
hoc analysis of the procomb trial. Phy-tomed 2017;34:1–5.Deutsche Gesell-schaft für Urologie. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherken-nung, Diagnose und Therapie der ver-schiedenen Stadien des Prostatakarzi-noms. AWMF; Reg.Nr. 043/0220L. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-022OLl_S3_Prostatakarzi-nom_2019-06.pdf (letzter Zugriff am 17.06.2019)
5. Lippman SM, Klein EA, Goodman PJ, et al. Effect of selenium and vitamin E on risk of prostate cancer and other cancers: the Se-lenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). JAMA 2009; 301: 39–51
6. Deutsche Krebsgesellschaft. Interdis-ziplinäre S3-Leitlinie für die Früherken-nung, Diagnostik, Therapie und Nach-
sorge des Mammakarzinoms. AWMF; Reg. Nr. 032–0450L. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-045OLl_ S3_Mammakarzinom_2018-09.pdf (letzter Zugriff am 17.6.2019)
7. Deutsche Krebsgesellschaft. S3-Leit-linie Kolorektales Karzinom. AWMF; Reg. Nr. 021/0070L. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-007OLl_ S3_Kolorektales-Karzinom-KRK_2019- 01.pdf (letzter Zugriff am 17.06.2019)
8. Kohler LN, Foote J, Kelley CP, et al. Sele-nium and type 2 diabetes: systematic review. Nutrients 2018; 10: 1924
9. Kim J, Chung HS, Choi MK, et al. Associa-tion between serum selenium level and the presence of diabetes mellitus: a meta-analysis of observational studies. Dia-betes Metab J 2019; epub ahead of print
Literatur
cebo behandelt worden. Die Hazard Ra-
tios (HR) lagen für das Auftreten eines
Prostata-Karzinoms im Vergleich zu Pla-
cebo mit Selen bei 1,04; 99%-KI
0,87–1,24, mit Vitamin E bei 1,13;
99%-KI 0,95–1,35, und mit beidem bei
1,05; 99%-KI 0,88–1,25.
S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms
Auch die aktuelle interdisziplinäre
Leitlinie zum Mammakarzinom findet
in Bezug auf Selen keinen belastbaren
Nachweis für potenziell präventive Ef-
fekte [8]. In der Leitlinie wird Selen für
einen präventiven bzw. supportiven
Gebrauch daher nicht empfohlen. Pa-
tientinnen sollen aber befragt werden,
ob sie komplementärmedizinische Be-
handlungsverfahren anwenden möch-
ten, und ggf. auf nachteilige Wirkun-
gen hingewiesen werden. Solche sieht
die Leitlinie für Selen nicht, obwohl
die therapeutische Breite von Selen ge-
ring ist.
S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom
Auch diese Leitlinie schreibt, dass es kei-
ne gesicherten Daten zur wirksamen Prä-
vention des kolorektalen Karzinoms
durch Einnahme von Nahrungsergän-
zungsmitteln wie z.B. Selen gibt und dass
diese Einnahme daher nicht erfolgen
sollte [9].
Unerwünschte Wirkungen von Selen
Selen weist eine geringe therapeutische
Breite auf und ist in höheren Dosen to-
xisch. In der SELECT-Studie fand sich
ein tendenziell erhöhtes Risiko für die
Entstehung eines Diabetes mellitus Typ
2 in der Selen-Gruppe [7]. Die Risiko-
erhöhung war aber nicht signifikant
und ließ sich auch bisher in großen Me-
taanalysen randomisiert-kontrollierter
Studien nicht sicher nachweisen [10],
obwohl in einer Metaanalyse epidemio-
logischer Studien ein Zusammenhang
zwischen Selenspiegel und Diabetes
mellitus Typ 2 erkennbar war (11).
Fazit
Aufgrund theoretischer Überlegungen
und beobachteter epidemiologischer
Zusammenhänge zwischen der Selen-
Aufnahme mit der Nahrung und einer
möglicherweise dadurch reduzierten
Krebsinzidenz entstand die Hypothese,
dass eine Krebsentstehung durch eine
regelmäßige Supplementierung der
Nahrung mit Selen verhindert werden
könnte. Diese Annahme hat sich in
qualitativ hochwertigen, sehr großen,
multizentrischen, randomisiert-kon-
trollierten Studien nicht bewahrheitet.
Obwohl Selen in höheren Dosen to-
xisch ist und eine geringe therapeuti-
sche Breite aufweist, ist es allerdings
bisher auch nicht gelungen, negative
Effekte einer niedrig dosierten Selen-
Supplementierung sicher zu beweisen.
Ein möglicherweise erhöhtes Diabetes-
risiko steht aber nach wie vor im Raum.
Nicht zuletzt wegen dieser Risiken wird
generell von einer regelmäßigen Sup-
plementierung der Nahrung mit Selen
abgeraten.
EBM-SERVICE / EBM SERVICE
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Stellt Alpha-Liponsäure eine effektive Behandlungsoption bei diabetischer Polyneuropathie dar?Is Alpha-Lipoic Acid Effective in the Treat-ment of Diabetic Polyneuropathy?Mahmoud Moussa, Andreas Sönnichsen
Abteilung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich DOI 10.3238/zfa.2019.0294–0297
FrageDie diabetische Polyneuropathie ist eine häufige Folge-erkrankung des Diabetes mellitus. Alpha-Liponsäure wird immer wieder für die Behandlung empfohlen. Gibt es be-lastbare Studienevidenz für deren Effektivität?
AntwortDie Studienlage ist insgesamt durch mangelhafte Qualität, zu kurze Beobachtungszeiträume, geringe Fallzahlen und das Verwenden von Surrogat-Endpunkten gekennzeich-net. Eine Symptomverbesserung ist in bestimmten Fällen offenbar möglich – qualitativ hochwertige Studien mit entsprechenden Fallzahlen und Laufzeiten wären wün-schenswert, um diesen Effekt unter Beweis zu stellen. Ein Therapieversuch bei Versagen der Standardtherapie er-scheint zwar gerechtfertigt, eine generelle Empfehlung für Alpha-Liponsäure kann jedoch nicht abgegeben werden.
QuestionDiabetic polyneuropathy is a common consequence of diabetes mellitus. Alpha-lipoic acid is frequently recom-mended as a first line treatment. Do we have reliable evi-dence from clinical trials regarding this treatment option?
AnswerOverall evidence from clinical trials is unsatisfactory. The quality of the existing studies is limited, observation periods are too short, the number of cases investigated is too low, and surrogate endpoints are predominantly used. Sympto-matic improvement appears to be possible, but high-quality studies with larger numbers of participants are necessary to prove this effect. A therapeutic try-out seems justified if standard therapy is unsuccessful, but a general recommendation of alpha-lipoic acid cannot be given.
Hintergrund
Die diabetische Polyneuropathie (DPN)
ist eine häufige Komplikation des Diabe-
tes mellitus. Die Prävalenzen werden je
nach Setting und Studie mit 8–54 % bei
Diabetes mellitus Typ 1 und mit 13–46 %
bei Typ 2 angegeben [1]. Eine Neuro-
pathie kann auch das erste Anzeichen ei-
nes Typ-2-Diabetes sein oder bereits im
Rahmen einer pathologischen Glukose-
toleranz auftreten. Nach zehn Jahren
Diabetes weist rund die Hälfte aller Dia-
betiker Anzeichen einer DPN auf [2].
Die DPN kann für den Patienten so-
wohl unbemerkt (subklinisch) verlaufen
als auch mit vielfältigen Erscheinungs-
bildern einhergehen. Sie ist mit einer er-
höhten Mortalität [3] und einem stark
erhöhten Risiko für das diabetische Fuß-
syndrom [4] und demzufolge Amputa-
tionen [5] verbunden.
Der Prävention der diabetischen
Neuropathie bzw. ihrer Behandlung
kommt daher nicht nur wegen der be-
stehenden Schmerzen und Missempfin-
dungen, sondern auch wegen der dro-
henden Komplikationen eine hohe Be-
deutung zu. Zur Behandlung wird von
Fachleuten, aber auch in der Laienwer-
bung immer wieder Alpha-Liponsäure
(ALS) empfohlen. Dabei handelt es sich
um eine natürlich vorkommende
schwefelhaltige Fettsäure, die als antio-
xidatives Coenzym u.a. im Pyruvatde-
hydrogenasekomplex eukaryoter Zellen
vorkommt [6]. Aufgrund ihrer antioxi-
dativen Eigenschaften wird ALS als Nah-
rungsergänzungsmittel gegen verschie-
dene degenerative Prozesse, u.a. bei dia-
betischer Mikroangiopathie und ins-
besondere Neuropathie eingesetzt.
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Wir gingen mittels nicht-systemati-
scher Literaturrecherche der Frage nach,
ob es belastbare Studienevidenz zur Ef-
fektivität von ALS in der Behandlung
der DPN gibt.
Ergebnisse
Wir suchten in PubMed/Medline und in
der Cochrane Database of Systematic
Reviews nach aktuellen Interventions-
studien und systematischen Reviews so-
wie im Internet nach Leitlinien.
Cochrane-Review
In der Cochrane Database of Systematic
Reviews konnten wir ein Protokoll aus
dem Jahr 2018 für einen Cochrane-Re-
view zur Behandlung der diabetischen
Neuropathie mit Alpha-Liponsäure
identifizieren [7]. Ergebnisse liegen der-
zeit allerdings noch nicht vor.
Andere Systematic Reviews und Metaanalysen
Die Suche in PubMed/Medline mit den
Suchbegriffen „(alpha-lipoic acid or
thioctic acid) and diabetic polyneuropa-
thy and (systematic review or meta-ana-
lysis)” ergab 17 Treffer, wovon sieben
Übersichtsarbeiten die Effektivität von
Alpha-Liponsäure untersuchten.
Nur in einer Metaanalyse aus dem
Jahr 2004 wurde eine Monotherapie
(600 mg Alpha-Liponsäure i.v. täglich
außer Wochenende) mit einer Placebo-
behandlung verglichen [8]. Es wurden
vier randomisiert-kontrollierte Studien
(ALADIN I [9], ALADIN III [10], SIDNEY
[11] und NATHAN II [Daten nur beim
Hersteller, nicht publiziert!]) mit ins-
gesamt 1258 Patienten eingeschlossen.
Primäres Zielkriterium war eine Reduk-
tion im Total Symptom Score (TSS) für
eine sensorische periphere Polyneuro-
pathie nach drei Wochen Behandlung.
Es zeigte sich eine Reduktion von
24,1 % (95%-Konfidenzintervall [KI]
13,5– 33,4 %) zugunsten der Alpha-Li-
ponsäure. Die Chance, Responder zu
sein (Abnahme des TSS um > 50 %) war
mit einer OR von 1,90 (95%-KI
1,51–2,39) in der Alpha-Liponsäure-
Gruppe signifikant höher als in der
Placebogruppe (absoluter Risikounter-
schied 15,8 %, number needed to treat
ca. 6).
Der kleine Schönheitsfehler dieser
Metaanalyse ist allerdings, dass ihr keine
systematische Literaturrecherche zu-
grunde liegt, sondern eine willkürliche
Auswahl von vier Studien, die alle vom
Hersteller des eingesetzten Alpha-Li-
ponsäure-Präparats finanziert worden
waren. Einer der fünf Autoren der Me-
taanalyse war denn auch ein Firmen-
angehöriger des Herstellers, und zwei
weitere Autoren erhielten Honorarzah-
lungen vom Hersteller. Auch die Meta -
analyse selbst wurde durch den Herstel-
ler finanziert.
In keiner der weiteren Arbeiten wur-
de die Wirkung einer Alpha-Liponsäure-
Monotherapie im Vergleich zu Placebo
untersucht. In einen Systematic Review
[12] aus 2012 wurden 15 randomisiert-
kontrollierte Einzelstudien eingeschlos-
sen, die 300–600 mg Alpha-Liponsäure
i.v. in Kombination mit Methylcobala-
min, Prostaglandin E1, Ginkgo biloba,
Vitamin B1, Ligustrazin oder Cilostazol
gegen die jeweiligen Einzelsubstanzen
verglichen. Die Studien schlossen zwi-
schen 38 und 96 Teilnehmer ein und
dauerten zwischen 14 und 28 Tagen. Die
Autoren attestieren allen Studien man-
gelhafte Qualität. In der Metaanalyse
zeigte sich eine Odds Ratio von 4,03
(95%-Konfidenzintervall [KI] 2,73–5,94)
für „Wirksamkeit“. Diese wurde als „Ver-
besserung von Symptomen, Sehnenre-
flexen und Nervenleitgeschwindigkeit“
definiert, wobei offenblieb, was mit Ver-
besserung gemeint ist, welche Sympto-
me wie berücksichtigt wurden und wel-
ches Ausmaß von Verbesserung als posi-
tives Ergebnis gewertet wurde. Auch die
Nervenleitgeschwindigkeit besserte sich
unter ALS im gewichteten Durchschnitt
um 4,63 (95%-KI 3,58–5,67) – eine Ein-
heit für das Maß wird allerdings nicht
angegeben. Unter der Annahme, dass es
sich um eine Verbesserung um 4,63 m/s
handelt und der Normwert > 40 m/s be-
trägt, erscheint die klinische Relevanz
dieses Ergebnisses fragwürdig.
Die weiteren Reviews, die nur teil-
weise auf systematischen Literaturre-
cherchen beruhen, untersuchten je-
weils einzeln Kombinationstherapien
von ALS plus ein oder mehrere Zusatz-
medikamente versus die Zusatzmedika-
mente alleine oder versus ALS alleine.
ALS plus Methylcobalamin/Prostaglan-
din E1 zeigte sich hinsichtlich der Ver-
besserung der Nervenleitgeschwindig-
keit (NLG) einer Behandlung mit Me-
thylcobalamin/Prostaglandin E1 alleine
überlegen [13]. ALS plus Epalrestat ver-
besserte die NLG stärker als ALS alleine
[14]. In einer weiteren Metaanalyse zeig-
te sich ALS plus Methycobalamin hin-
sichtlich der NLG einer Monotherapie
mit Methylcobalamin überlegen [15].
Zwei weitere Reviews vergleichen Fasu-
dil plus ALS mit ALS alleine (Kombinati-
on hinsichtlich NLG überlegen) [16]
bzw. Prostaglandin E1 plus ALS mit Pros-
taglandin E1 oder ALS alleine (Kombina-
tion hinsichtlich NLG überlegen) [17].
Allen diesen systematischen und
teilweise nur narrativen Übersichts-
arbeiten bzw. den in sie inkludierten
Studien ist gemein, dass überwiegend
Surrogatendpunkte untersucht werden
(in erster Linie die NLG), die Beobach-
tungszeiträume in den meisten Fällen
nur wenige Wochen umfassen, und den
Einzelstudien überwiegend mangelhaf-
te Qualität attestiert wird.
Einzelstudien
Wir suchten ausschließlich randomi-
siert-kontrollierte Studien. Unter Ver-
wendung der Suchbegriffe „(alpha-li-
poic acid or thioctic acid) and diabetic
polyneuropathy and randomized” fan-
den sich 54 Treffer in PubMed/Medline,
darunter fünf randomisiert-kontrollier-
te Studien, welche die oben aufgeführ-
ten Reviews nicht umfassten.
Als wichtigste dieser fünf Studien ist
der 2011 publizierte NATHAN-I-Trial zu
nennen [18]. In dieser einzigen Lang-
zeitstudie zu ALS wurden 460 Patienten
mit leichter bis mäßiggradiger DPN ent-
weder mit 600 mg ALS täglich p.o. oder
mit Placebo behandelt. Nach einer Be-
obachtungszeit von vier Jahren zeigte
sich im primären Endpunkt (ein Com-
posite-Endpunkt aus dem Neuropathy-
Impairment-Score-Lower-Limbs (NIS-
LL) und sieben neurophysiologischen
Untersuchungen) zwar eine leichte Ver-
besserung in der ALS-Gruppe, der Unter-
schied zur Kontrollgruppe war jedoch
nicht signifikant. Bei einzelnen weiteren
Subscores des NIS zeigten sich gerade
signifikante Unterschiede. Eine Korrek-
tur der statistischen Analyse für multi-
ples Testen erfolgte jedoch nicht, sodass
diese Ergebnisse nicht als Effektnach-
weis von ALS gewertet werden können.
In einer kleinen, 2015 publizierten
Studie wurden zunächst in einer vier Wo-
chen dauernden Hochdosistherapie-
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Phase (1800 mg ALS pro Tag p.o.), die alle
Patienten durchliefen, 33 „Responder“
selektiert – Patienten, die sich unter der
Behandlung im Total Symptom Score
(TSS) um mindestens drei Punkte verbes-
serten. Diese wurden dann randomisiert
und erhielten entweder 600 mg ALS tgl.
p.o. oder ALS wurde ersatzlos abgesetzt.
Nach 16 Wochen zeigte sich ein weiterer
Abfall des TSS um 1,2 Punkte in der ALS-
Gruppe, während er in der Absetz-Grup-
pe gleichblieb. Nachdem die klinische
Relevanz eines TSS-Abfalls um 1,2 Punk-
te fraglich erscheint und die Kontroll-
gruppe in dieser Studie weder Placebo er-
hielt noch verblindet werden konnte, ist
das Ergebnis mit Vorsicht zu betrachten.
Die dritte Studie (in chinesischer Spra-
che, nur Abstract verfügbar) untersuchte
placebokontrolliert die Gabe von 1800 mg
ALS tgl. Es zeigte sich eine Verbesserung
des TSS um 0,7 Punkte im Vergleich zu Pla-
cebo (p < 0,05). Auch hier stellt sich die
Frage nach der klinischen Relevanz.
Im 2006 publizierten Sydney-II-Tri-
al wurden 181 Patienten mit DPN für
fünf Wochen entweder mit 1800 mg
ALS, 1200 mg ALS, 600 mg ALS oder
Placebo behandelt [19]. Es zeigte sich
eine signifikante Verbesserung des TSS
für alle drei ALS-Gruppen im Vergleich
zu Placebo, wobei interessanterweise
der TSS-Abfall in der ALS-600-Gruppe
am stärksten ausfiel (–4,9 Punkte versus
Placebo –2,9 Punkte). Die Nebenwir-
kungsrate (vor allem Übelkeit, Erbre-
chen und Schwindel) nahm mit stei-
gender ALS-Dosis signifikant auf bis zu
54 % zu.
Die 1999 publizierte ALADIN-II-Stu-
die, die in keine der oben aufgeführten Me-
taanalysen eingeschlossen worden war, sei
hier nur der Vollständigkeit halber er-
wähnt [20]. Es handelt sich um eine place-
bokontrollierte Studie über zwei Jahre, die
eigentlich berücksichtigt werden könnte,
hätten die Autoren nicht willkürlich Pa-
tienten mit „highly variable data“ von der
Analyse ausgeschlossen, was das Studien-
ergebnis natürlich unbrauchbar macht.
Leitlinien
Die nationale Versorgungsleitlinie wird
hinsichtlich der Empfehlung für oder
gegen ALS derzeit überarbeitet. In der
Version von 2011 wird von der Gabe ab-
geraten [1]. Die Leitlinie zur Behand-
lung der diabetischen Polyneuropathie
der American Academy of Neurology
von 2011 stellt fest, dass die verfügbare
Evidenz nicht ausreicht, um eine Emp-
fehlung für oder gegen ALS abzugeben
[21]. In der BMJ-Best-practice-Guideline
wird ALS als „emerging treatment” mit
begrenzter Studienevidenz für Symp-
tomverbesserung erwähnt [22]. Im
empfohlenen Behandlungsalgorithmus
kommt ALS nicht vor. Auch in der NI-
CE-Leitlinie „Neuropathic Pain in
Adults“ (23) und in den EbM-Guidelines
(24) kommt ALS nicht vor.
Unerwünschte Wirkungen
In den meisten der vorliegenden Studi-
en werden keine verwertbaren Angaben
zu unerwünschten Wirkungen ge-
macht. Dosisabhängig kommt es vor al-
lem zu Übelkeit, Erbrechen und Schwin-
del [19], weshalb eine Dosierung über
600 mg tgl. nicht eingesetzt werden soll-
te. Über schwerwiegende oder irrever-
sible Nebenwirkungen wird in der Lite-
ratur nicht berichtet.
Fazit
Die bisherige Studienlage zur Effektivi-
tät von Alpha-Liponsäure in der Be-
handlung der diabetischen Polyneuro-
pathie ist unbefriedigend. Es gibt nur ei-
ne einzige Langzeitstudie mit einem Fol-
low-up von vier Jahren, in der sich im
primären Composite-Endpunkt kein
Unterschied zwischen Verum und Place-
bo zeigte. Einige kleinere Studien könn-
ten auf einen möglichen kurzfristigen
symptomatischen Effekt hinweisen,
aber die Studien sind zu kurz, mit zu ge-
ringen Fallzahlen, und von mangelhaf-
ter Qualität. Keine einzige Studie unter-
sucht klinisch relevante Langzeitend-
punkte wie die Entwicklung eines dia-
betischen Fußsyndroms oder Amputa-
tionen. Eine evidenzbasierte Empfeh-
lung für ALS kann daher derzeit nicht
abgegeben werden. Bei insgesamt unbe-
friedigendem Erfolg der symptomati-
schen Therapie der DPN erscheint ein
Therapieversuch mit ALS gerechtfertigt,
wenn Patienten auf die Standardthera-
pie (Pregabalin, Gabapentin [Cave UAW
wie Suizide, abnormes Verhalten][25],
Schmerzmittel) nicht ansprechen.
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Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen solltePalliative Sedation – What the Family Physician Should KnowDaniel Stanze1, Henrikje Stanze2
1 PalliativTeam Frankfurt gGmbH 2 Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin DOI 10.3238/zfa.2019.0298–0302
Hintergrund: Patienten mit fortgeschrittenen unheil-baren Erkrankungen wünschen sich einen Sterbeprozess ohne „leiden zu müssen“. Die heutige Medizin bietet vie-le Möglichkeiten zur Symptomkontrolle, jedoch gelingt nicht immer eine zufriedenstellende Linderung von uner-träglichen physischen und psychischen Symptomen. Soll-ten Methoden der Palliation innerhalb eines akzeptablen Zeitrahmens keine lindernde Wirkung zeigen bzw. unzu-mutbare Nebenwirkungen eintreten, kann eine palliative Sedierung helfen. Dabei handelt es sich um den zeitlich begrenzten oder permanenten Einsatz bewusstseins-dämpfender Medikamente mit dem Ziel, eine suffiziente Leidenslinderung zu erreichen und den Sterbeprozess bei extremer Symptomlast erträglicher zu machen.Suchmethodik: Pragmatische Suche unter den Stich-wörtern „Palliative Sedierung“ und „Terminale Sedie-rung“ in medizinischen Datenbanken.Wichtigste Botschaften: Der Entscheidungsprozess zur Durchführung einer palliativen Sedierung sollte wohl durchdacht und sowohl im interdisziplinären als auch multiprofessionellen Team diskutiert werden. Eine hilfrei-che Orientierung bietet dafür die Leitlinie der European Association for Palliative Care (EAPC). Zur Feststellung ei-ner Therapierefraktärität ist beispielsweise ein auf Erfah-rungen beruhender professioneller Austausch zwischen Hausarzt und einem Palliativmediziner oder SAPV-Team (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) ein wichti-ges Vorgehen im Rahmen der Indikationsstellung. Die Familie muss in dieser anstrengenden und belastenden Situation eng mitbetreut werden.Schlussfolgerungen: Hausärzte sollten sich unbedingt ermutigt fühlen, mit einem Palliativmediziner Rückspra-che zu halten, um diese schwierige Entscheidung gemein-sam zu treffen. Insbesondere für die reibungslose Umset-zung und Überwachung einer palliativen Sedierung ist die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen ambulanten Pal-liativteam (SAPV) mit seinen personellen und technischen Ressourcen unbedingt ratsam. Zur adäquaten und siche-ren Umsetzung ist zudem die Möglichkeit der Aufnahme auf eine Palliativstation oder in ein Hospiz zu erwägen.
Schlüsselwörter: Palliativmedizin; palliative Sedierung; unerträgliches Leid; Therapierefraktärität; Symptomkontrolle
Background: Patients with advanced incurable diseases hope for a dying process without „suffering“. Modern medicine offers many options for symptom control, but does not always achieve a satisfactory relief of unbearable physical and psychological suffering. If palliation does not achieve sufficient effects within an acceptable time frame or should unreasonable side effects occur, palliative se-dation might help. Palliative sedation is the temporary or permanent use of awareness dampening drugs to achieve sufficient relief from refractory symptoms and to make the dying process more bearable. Search Method: Pragmatic search in medical data banks under the medical subject heading „palliative se-dation“ and „terminal sedation“.Main Messages: The decision-making process for the im-plementation of palliative sedation should be well thought over and discussed in an interdisciplinary context with a multi-professional team. A helpful orientation can bei found in the guideline of the European Association for Pal-liative Care (EAPC). An experience-based professional ex-change between the family physician and a palliative care physician or SAPV team, is a valuable tool in the decision-making process. It is important to look after the family members in this strenuous and exhausting situation.Conclusions: Family physicians should feel encouraged to consult a palliative care physician for advice in this dif-ficult decision-making process. In particular for the smooth implementation and monitoring of palliative se-dation, the cooperation with an experienced outpatient palliative care team (SAPV) with its personal and technical resources is absolutely advisable. In addition admission to a palliative ward or hospice should be considered for an adequate and safe implementation.
Keywords: palliative medicine; palliative sedation; intolerable suffering; refractory distress/symptoms; symptom control
FORTBILDUNG / CONTINUING MEDICAL EDUCATION
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Hintergrund
In Deutschland ist 2015 eine öffentliche
Debatte bezüglich der Sterbehilfe neu
entfacht worden, was dazu geführt hat,
dass die Palliativmedizin als mögliche
„Alternative“ ins öffentliche Bewusst-
sein gerückt ist. Diese Diskussion wird
seit Jahrzehnten auf unterschiedlichen
nationalen und internationalen Ebenen
kontrovers geführt.
Wie kommt es zu diesem Ansatz? Die
praktische Erfahrung von medizi-
nischem Fachpersonal zeigt, dass Patien-
ten aufgrund schwerwiegender Sympto-
me leiden und dieses Leid zum Wunsch
einer Beendigung des Lebens führen
kann. „Lebensende“ wird in diesem
Kontext als „Leidensende“ gesehen. So-
mit würde eine suffiziente Linderung des
Leids auch zu einer „Linderung“ des
Wunschs nach dem Lebensende führen.
Dies stellt die inhaltliche Debatte natür-
lich unzureichend dar. In der Medizin
und in der Behandlung von Menschen
werden viele Begrifflichkeiten in der all-
täglichen Praxis regulär verwendet. Leid
ist insbesondere ein Begriff, der mitunter
die Palliativmedizin definiert, indem
von Leidenslinderung gesprochen wird.
Häufig ist dies auch die Motivation von
Menschen, aggressive Therapie abzuleh-
nen und statt dieser symptomregulieren-
de und leidenslindernde Maßnahmen
anzunehmen. Ein Grund dafür, weswe-
gen die Deutsche Gesellschaft für Pallia-
tivmedizin (DGP) hervorhebt, dass eine
gute palliativmedizinische Behandlung
von Patienten, Ängste nehmen und den
Wunsch nach einem ärztlich begleiteten
Suizid entgegenwirken kann.
Cicely Saunders ist die Begründerin
der Hospizbewegung. Aus ihren Erfah-
rungen in der Versorgung und Beglei-
tung von Sterbenden heraus prägte sie
den Begriff des „total pain“. Der Begriff
gründet in einem umfassenden (holisti-
schen) Menschenbild und bringt die
physische, psychische, soziale und spiri-
tuelle Dimension der individuellen
Wahrnehmung zum Ausdruck [1]. In der
Palliativmedizin werden – genau wie in
der allgemeinmedizinischen Heran-
gehensweise nach dem biopsychosozia-
len Modell – alle vier Dimensionen bei
der Behandlung von Menschen betrach-
tet. Dabei wird versucht, durch einen in-
terdisziplinären und multiprofessionel-
len Ansatz das Leiden entsprechend zu
lindern, um Lebensqualität wiederher-
zustellen. Für viele Menschen ist dies
dann tatsächlich ein Weg aus ihrer Ver-
zweiflung. Sehr häufig wird seitens
schwerstkranker Menschen die Angst
vor „Ersticken“ im Sinne von Luftnot
oder der Angst vor unerträglichen
Schmerzen geäußert. Dies sind Sympto-
me, sollten sie tatsächlich eintreten, die
medikamentös und auch nicht-medika-
mentös behandelt werden können. Es
gibt jedoch die bei der Behandlung von
schwerstkranken und sterbenden Men-
schen eine Vielzahl weiterer Symptome,
deren Behandlung nicht immer so ver-
läuft, wie es sich der behandelnde Arzt
erhofft. Da jeder Mensch und die Di-
mension seines Leidens individuell
sind, können medizinisch mögliche
Grenzbereiche immer näher kommen.
Suchmethodik
Pragmatische Suche ohne Sprachein-
schränkung unter den Stichworten „Pal-
liative Sedierung“ und „Terminale Se-
dierung“ in medizinischen Datenban-
ken. Letzter Tag der Suche: 15.05.2019.
Antworten auf häufige Fragen
1. Ist die Sedierung eine Option, um Leiden in extremen Lebens-situationen zu lindern?
In der palliativmedizinischen Behand-
lung von Patienten in komplexen belas-
tenden Situationen kann durchaus ein
Punkt erreicht werden, an dem die medi-
kamentöse Symptomlinderung mit stei-
gender Dosierung eine Bewusstseinsein-
schränkung zur Folge hat. Es kann jedoch
im Rahmen der Symptomkontrolle auch
ein primäres Ziel sein, eine Bewusstseins-
dämpfung herbeizuführen. In diesem Fal-
le wird von einer palliativen Sedierung ge-
sprochen. „Terminale“ Sedierung als Be-
zeichnung für die palliative Sedierungs-
therapie ist ein veralteter (und missver-
ständlicher) Begriff , der 1991 von Robert
E. Enck erstmals beschrieben wurde [13].
Ähnlich wie es Alt-Epping beschrieb,
stellt sich dabei die Frage, wann denn eine
solche Sedierung in Betracht kommt. Ter-
minal beinhaltet von der Wortbedeutung
her „ein Ende betreffend“ oder „zum En-
de gehörend“, d.h. also eine Sedierung
zum Lebensende hin oder gar mit dem
Ziel, das Leben zu beenden [2].
Eine palliative Sedierung dient hin-
gegen dazu, einem Menschen mit gro-
ßem Leid zu einer Leidenslinderung zu
verhelfen. In Anbetracht der vier er-
wähnten Dimensionen und der indivi-
duellen Leidensempfindung eines Men-
schen, gibt es bei der palliativen Sedie-
rung unterschiedliche Ansätze, um die-
ses Leid übergangsweise oder langfristig
zu behandeln. Eine palliative Sedierung
sollte gut überlegt und mit großer Sorg-
falt umgesetzt werden. Sie kann unter
gewissen Voraussetzungen in interdis-
ziplinärer Zusammenarbeit zwischen er-
fahrenen Palliativmedizinern und Haus-
ärzten in der ambulanten Versorgung
schwerstkranker und sterbender Patien-
ten eingeleitet und begleitet werden.
In diesem Artikel soll beschrieben
werden, in welchen Situationen eine
solch „drastische“ Maßnahme diskutiert
werden sollte und was im Rahmen der
Umsetzung beachtet werden muss.
2. Wann ist eine palliative Sedierung indiziert?
Auch in der Palliativmedizin gibt es (eher
seltene) Situationen, in denen Symptome
unzureichend gelindert werden, und eine
gezielte Bewusstseinsdämpfung erwogen
werden sollte. Sie ist eine Behandlungs-
option für Patienten mit einer weit fort-
geschrittenen, unheilbaren Grunderkran-
kung mit limitierter Lebenszeit, die unter
schweren, therapierefraktären Sympto-
men leiden.. Es handelt sich um den Ein-
satz bewusstseinsdämpfender Medika-
mente in Situationen mit unerträglicher
Belastung durch physische oder psy-
chische Symptome wenn andere Metho-
den der Palliation innerhalb eines akzep-
tablen Zeitrahmens keine ausreichende
lindernde Wirkung zeigen bzw. unzumut-
bare Nebenwirkungen auftreten [3]. Ziel
ist eine suffiziente Leidenslinderung
durch eine zeitlich begrenzte oder per-
manente Bewusstseinsminderung. Die
European Association for Palliative Care
(EAPC) bewertet die palliative Sedierung
als wichtige und notwendige Behand-
lungsoption für bestimmte Patienten mit
therapierefraktären Symptomen, die mit
Bedacht und engmaschig eingeleitet so-
wie begleitet werden sollte. Die EAPC hat
diesbezüglich im Jahre 2009 eine Leitlinie
verfasst, die behandelnden Ärzten zur
Orientierung dienen kann [3].
Im Rahmen der palliativen Sedie-
rung werden immer wieder Begriffe ge-
D. Stanze, H. Stanze:Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen solltePalliative Sedation – What the Family Physician Should Know
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nannt, die teilweise Unsicherheiten und
kontroverse Diskussionen beim Be-
handlungsteam auslösen können. Meist
sind verschiedene Konnotationen der
Begrifflichkeiten wie „aktive Sterbehil-
fe“ und „Tötung auf Verlangen“ Aus-
löser. Diese Begriffe werden in der Öf-
fentlichkeit, aber auch innerhalb medi-
zinischer Berufsgruppen oft auf ver-
schiedene Weise, teilweise gefährlich
falsch vermischt und in Zusammen-
hang mit dem Begriff der „palliativen
Sedierung“ gebracht. Im Strafgesetz-
buch (StGB) ist im § 216 die „Tötung auf
Verlangen“ als Straftat gesetzlich ver-
ankert und bezeichnet eine Tötung
durch einen Menschen, der von der ge-
töteten Person ausdrücklich bestimmt
wurde. Weiter heißt es im StGB (§ 217),
dass eine Förderung der Selbsttötung ei-
nes Menschen strafrechtlich dann ver-
folgt wird, wenn die Förderung ge-
schäftsmäßig betrieben wird.
Bei der palliativen Sedierung stellt
sich die Frage, ob beim Versterben einer
Person unter bewusstseinsdämpfender
Medikation eine „Tötung auf Verlan-
gen“ vorliegt. Beispielsweise wenn der
leidende Patient eine solche Sedierung
einfordert und sich darüber im Klaren
ist, dass diese Therapie den schwerkran-
ken und stark geschwächten Organis-
mus so belasten kann, dass der Sterbe-
prozess dadurch womöglich voran-
getrieben wird.
So lange weiterhin Uneinigkeit in
der Begriffsdefinition nicht nur zwi-
schen, sondern auch innerhalb von
Ethik, Recht und Medizin herrscht, wird
in diesem Artikel keine entsprechende
Antwort auf diese Fragen erfolgen kön-
nen. Um eine einheitliche und struktu-
riertere Diskussionsgrundlage zu errei-
chen und einen holistischen Blick auf
schwerstkranke und sterbende Men-
schen mit therapierefraktärer Symptom-
last zu fördern, sind in Deutschland vor
allem Palliativmediziner seit geraumer
Zeit bestrebt, sich von alten Begrifflich-
keiten (wie z.B. „terminaler Sedierung“)
zu lösen.
3. Wie ist die Rechtslage, und welche medizinischen Bedenken sind bekannt?
Die palliative Sedierung ist als Behand-
lungsmaßnahme erlaubt. Es handelt
sich auch nicht, wie manchmal von Me-
dizinern befürchtet, um eine strafbare
Form der Sterbehilfe [4]. Der Einsatz von
Sedativa ist allerdings eine komplikati-
onsträchtige Angelegenheit und deswe-
gen nur nach intensiven medizinischen
wie ethischen Abwägungen einzuleiten.
Wichtig ist einerseits die Intention,
aus der heraus die Sedierung begonnen
wird. Es geht dem jeweiligen Therapeuten
nicht darum, seinem Patienten das Leben,
sondern das Bewusstsein zur Leidenslin-
derung zu nehmen und den Sterbeprozess
bei extremer Symptomlast erträglicher zu
machen [4]. In der praktischen Umset-
zung besteht unter Medizinern die berech-
tigte Sorge, dass der Einsatz von Sedativa
eine unbeabsichtigte Lebenszeitverkür-
zung bewirken kann. Die bisherige Studi-
enlage zeigt, dass die palliative Sedierung
bei adäquater Indikation und Durchfüh-
rung nicht zu einer Beschleunigung des
Sterbens führt [5, 6]. Strafrechtlich ent-
scheidend ist die Intentionalität, die sich
klar von einer „Tötung auf Verlangen“ ab-
grenzen muss [7]. Die Indikation der suffi-
zienten Leidenslinderung im Rahmen
therapierefraktärer Symptomlast bei Pa-
tienten mit fortgeschrittener, unheilbarer
Grunderkrankung, muss nachweisbar
sein. Eine ausführliche Dokumentation
der Entscheidungsfindung und der prakti-
schen Umsetzung ist demzufolge obligat.
Eine palliative Sedierung ist als Maß-
nahme medizinisch als auch ethisch nur
dann gerechtfertigt, wenn der Arzt ge-
wissenhaft dafür Sorge trägt, dass diese
Maßnahme nicht offenen Auges zum
Tode des Patienten führt. Dem behan-
delnden Arzt muss bei der Einleitung ei-
ner palliativen Sedierung bewusst sein,
dass der Grad dabei sehr schmal ist: Bei
einer massiven, dosiseskalierenden oder
nicht ausreichend überwachten Sedie-
rung wird zu erwarten sein, dass das Le-
ben des Patienten durch die Maßnahme
womöglich deutlich rascher zu Ende
geht, als es die Erkrankung bewirkt hätte.
Um all dies beachten zu können, ist
eine engmaschige Kontrolle bei der pal-
liativen Sedierung strikte Vorausset-
zung, die im häuslichen Setting nur
schwer oder wenn, dann ausschließlich
durch ein sehr erfahrenes SAPV-Team
(SAPV = spezialisierte ambulante Versor-
gung) zu gewährleisten ist. Anderenfalls
ist eine stationäre Aufnahme auf einer
Palliativstation oder in ein Hospiz not-
wendig. Dazu bedarf es einer engen Ab-
sprache mit dem Hausarzt, der den Pa-
tienten und die Familie in der Regel seit
Jahren kennt und begleitet und eine
wichtige Rolle in der Abschätzung der
ambulanten Strukturen spielt.
4. Wie ist der Entscheidungs prozess zur Einleitung einer palliativen Sedierung zu gestalten?
Der Entscheidungsprozess zur Durch-
führung einer palliativen Sedierung ist
oft von vielen Fragen und Diskussionen
geprägt. Für den Hausarzt empfiehlt es
sich im Rahmen der Indikationsstel-
lung, Kontakt mit einem Palliativmedi-
ziner oder SAPV-Team aufzunehmen.
Zur Feststellung einer Therapierefraktä-
rität ist ein auf Erfahrungen beruhender
professioneller Austausch im Rahmen
der Entscheidungsfindung wichtig. Der
Einsatz der palliativen Sedierung zur Lei-
denslinderung kann für Familienange-
hörige [8] und Mitarbeiter [9] belastend
sein. Es wird daher empfohlen, die Fami-
lienmitglieder des Patienten sowie be-
reits in der Primärversorgung involvier-
te Leistungserbringer (wie z.B. ein am-
bulanter Pflegedienst, eine 24-Stunden-
kraft) an der Abwägung der therapeuti-
schen Maßnahme teilhaben zu lassen
[3]. Im Rahmen einer palliativen Sedie-
rung kommt es beim Patienten in Ab-
hängigkeit von der Sedierungstiefe zum
Verlust oder zumindest zur Beeinträchti-
gung der Interaktionsfähigkeit. Aus die-
sem Grund ist im Vorfeld die ausführ-
liche Aufklärung über die Konsequen-
zen einer Sedierungstherapie bevorzugt
mit dem Patienten selbst, aber auch den
Angehörigen durchzuführen. Es ist ent-
scheidend, ob der Patient selbst noch
einwilligungsfähig ist und mit entschei-
den kann. Sollte das aufgrund eines weit
fortgeschrittenen Krankheitsprozesses
nicht mehr möglich sein (z.B. durch ein
terminales Delir), sollte die Entschei-
dungsfindung mit einem vom Patienten
Bevollmächtigten, den engsten Angehö-
rigen und/oder einem gesetzlichen Be-
treuer erfolgen. Es gilt dabei, durch aus-
führliche Gespräche den mutmaßlichen
Willen des Patienten zu ermitteln und
dementsprechend zu handeln.
5. Welche Formen der palliativen Sedierung gibt es?
Es gibt verschiedene Formen der Sedie-
rung, die im Kontext der Palliativen Se-
dierung verstanden werden [10]:
• Leichte Sedierung meint einen ver-
änderten Bewusstseinszustand, der es
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Dr. med. Daniel Stanze
Ärztliche Leitung SAPV (Erwachsene)
PalliativTeam Frankfurt gGmbH
Geleitstraße 14
60599 Frankfurt am Main
Tel.: 069 1302 556 100
Korrespondenzadresse
dem Patienten allerdings noch ermög-
licht, verbal zu kommunizieren.
• Tiefe Sedierung beschreibt einen
Zustand, in dem es dem Patienten
nicht mehr möglich ist, verbal zu kom-
munizieren.
• Intermittierende Sedierung: ver-
änderter Bewusstseinszustand für ei-
nen klar definierten Zeitraum. Die se-
dierenden Medikamente werden wie-
der reduziert, um den Patienten aufwa-
chen zu lassen. Anschließend wird
evaluiert, ob die Symptomlast gelin-
dert oder die Fortsetzung der Sedie-
rung weiterhin notwendig und ge-
wünscht ist.
• Kontinuierliche Sedierung wird
ohne Unterbrechung und für einen
unbestimmten Zeitraum fortgesetzt.
Dieser Zustand wird bis zum Verster-
ben des Patienten aufrechterhalten.
Gemäß der EAPC-Leitlinie kommt dies
für Menschen in der allerletzten Le-
bensphase (Stunden bis Tage) zur An-
wendung.
6. Wie ist das medizinische Vorgehen bei einer palliativen Sedierung, und was ist besonders zu beachten?
Im Rahmen der vorbereitenden Gesprä-
che sind die Themen Inkontinenzver-
sorgung (Dauerkatheter, Inkontinenz-
vorlage), Lagerung (Dekubitusprophyla-
xe, „Lieblingspositionen“) und Mund-
pflege (Reduktion des Durstgefühls,
Soor- und Parotitisprophylaxe) ebenso
notwendig zu erörtern wie die Themen
der enteralen und parenteralen Ernäh-
rung. Letzteres stellt einen wichtigen
ethischen Aspekt der Diskussion um die
palliative Sedierung dar. Die Akademie
für Ethik in der Medizin (AEM) konsta-
tiert, dass bei der tiefen und kontinuier-
lichen Sedierung auf weitere Therapien
(auch Ernährung/Hydrierung) verzich-
tet werden soll, da diese lediglich den
Sterbeprozess verlängern [11]. Die ethi-
schen Diskussionen hierzu weisen diffe-
rierende Argumentationen auf. Sofern
der Verlauf der Grunderkrankung dem
nicht zuvorkommt, wird eine tiefe, kon-
tinuierliche palliative Sedierung, in de-
ren Rahmen keine Flüssigkeit mehr auf-
genommen bzw. zugeführt werden
kann, das Leben erwartbar verkürzen
[2]. Im Falle künstlicher Ernährung, en-
teral über PEG oder parenteral, können
die entsprechenden Volumengaben
durch veränderte oder bereits vom Kör-
per eingestellte Stoffwechselprozesse zu
ausgeprägten und belastenden Einlage-
rungen ins Gewebe (periphere Ödeme,
Anasarka bis hin zu einem Lungen-
ödem) führen. In Anbetracht solcher
Folgeerscheinungen sollten die medizi-
nischen und die ethischen Aspekte sorg-
sam abgewogen werden.
Medikamentös wird zur Durchfüh-
rung einer palliativen Sedierung meist
Midazolam als Mittel der Wahl empfoh-
len. Wenn es trotz adäquater Dosiserhö-
hung des Midazolams zu einem aus-
geprägten Delir mit anhaltender Unru-
he kommt, können auch Neuroleptika
mit sedierender Wirkung wie beispiels-
weise Levomepromazin angewendet
werden [12]. Eine Grundbedingung in
der Anwendung ist die Proportionalität
(Verhältnismäßigkeit): Der Grad der Se-
dierung soll gerade ausreichen, um das
Leid des Patienten erträglich zu machen.
Entscheidend in der medikamentösen
Umsetzung ist die überwachte Titration,
beginnend mit der niedrigsten wirk-
samen Dosis bis zu einer Dosierung, die
das Therapieziel gerade erreicht. Diesbe-
züglich ist eine regelmäßige und mehr-
mals tägliche Erfassung des Therapie-
ziels unter Berücksichtigung der Vital-
parameter notwendig [2]. In diesem Pro-
zess sollte erwogen werden, die Dosis
auch einmal versuchsweise zu reduzie-
ren, um zu beobachten, ob die Sedie-
rungstiefe aufrecht erhalten werden
muss oder gegebenenfalls auch wieder
reduziert werden kann. Eine bereits be-
gonnene Opiattherapie zur Symptom-
kontrolle von Schmerzen oder Atemnot
sollte fortgesetzt, die Dosis ggf. aber an-
gepasst bzw. reduziert werden. Die Ap-
plikation kann intravenös oder sub-
kutan erfolgen (Wirkungseintritt subku-
tan etwas langsamer) [12]. Für eine reine
Sedierungstherapie sind Opioide unge-
eignet [2].
Schlussfolgerung
Die palliative Sedierung kann bei
schwerstkranken und sterbenden Men-
schen dann erwogen werden, wenn eine
derart starke Symptomlast vorliegt, die
mit anderen Maßnahmen nicht ausrei-
chend gelindert werden kann. Sollten
der Patient und die nahen Angehörigen
einer solchen Therapie zustimmen oder
sie sogar wünschen, ist abzuwägen, wel-
che Form der palliativen Sedierung indi-
ziert ist. Zudem sollte eine solche thera-
peutische Entscheidung im interdiszip-
linären und multiprofessionellen Team
besprochen und diskutiert werden.
Hausärzte sollten sich ermutigt fühlen,
mit einem Palliativmediziner Rückspra-
che zu halten, um diese schwierige Ent-
scheidung gemeinsam zu treffen und
die Aufnahme auf eine Palliativstation
oder in ein Hospiz erwägen. Die enge Be-
gleitung und Mitbetreuung der Angehö-
rigen ist in dieser Phase unbedingt not-
wendig.
Interessenkonflikte: keine angege-
ben.
D. Stanze, H. Stanze:Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen solltePalliative Sedation – What the Family Physician Should Know
… ist Facharzt für Innere Medizin mit den Weiterbildungen Pal-
liativmedizin und Notfallmedizin. Seine internistische Ausbil-
dung mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie ab-
solvierte er in Fulda sowie am Universitätsklinikum Frank-
furt a.M. 2013 trat er eine Stelle als Oberarzt in der Abteilung
für Palliativmedizin an den Helios Dr. Horst-Schmidt-Kliniken in
Wiesbaden an und übernahm dort Anfang 2018 die Leitung
der Abteilung. Er war dort sowohl im stationären als auch im ambulanten (SAPV-)
Bereich aktiv palliativmedizinisch tätig. Im August 2019 übernahm er die Ärztliche
Leitung des SAPV-Teams (Erwachsene) im PalliativTeam Frankfurt gGmbH. Seit
2016 ist er Sprecher der Landesvertretung Hessen der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin.
Dr. med. Daniel Stanze …
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1. Saunders C, Clark D. Selected writings 1958–2004. New York: Oxford Univer-sity Press, 2006
2. Alt-Epping B, Schildmann E, Weixler D. Palliative Sedierung und ihre ethischen Implikationen: Eine Übersicht. Onko-loge 2016; 22: 852–9
3. Cherny NI, Radbruch L. The Board of the European Association for Palliative Care. European Association for Palliati-ve Care (EAPC) recommended frame-work for the use of sedation in palliati-ve care. Palliat Med 2009; 23: 581–93
4. Rothärmel S. Terminale Sedierung aus ju-ristischer Sicht: Gebotener palliativmedi-zinischer Standard oder heimliche aktive Sterbehilfe? Ethik Med 2004; 16: 349–57
5. Prado BL, Gomes DBD, Usón Júnior PLS, et al. Continuous palliative sedati-on for patients with advanced cancer at
a tertiary care cancer center. BMC Palli-at Care 2018; 17: 13
6. Maltoni M, Scarpi E, Rosati M, et al. Pal-liative sedation in end-of-life care and survival: a systematic review. J Clin On-col 2012; 30: 1378–83
7. Sitte T, May AT (Hrsg.). Rechtsfragen am Lebensende – ein Stein des Ansto-ßes zur Diskussion. Fulda: Deutscher PalliativVerlag, 2013
8. Morita T, Ikenaga M, Adachi I, et al. Concerns of family members of pa-tients receiving palliative sedation the-rapy. Support Care Cancer 2004; 12: 885–9
9. Rietjens JAC, Hauser J, van der Heide A, Emanuel L. Having a difficult time leav-ing: experiences and attitudes of nurses with palliative sedation. Palliat Med 2007; 21: 643–9
10. Kirk TW, Mahon MM. National hospice and palliative care organization (NHPCO) position statement and com-mentary on the use of palliative sedati-on in imminently dying terminally ill patients. J Pain Symptom Manage 2010; 39: 914–23
11. Neitzke G, Oehmichen F, Schliep H-J, Wördehoff D. Sedierung am Lebensen-de: Empfehlungen der AG Ethik am Le-bensende in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM). Onkologe 2010; 16: 789–94
12. Prönneke R. Die palliative Sedierung: Vorstellung eines palliativmedizi-nischen Konzepts mit kritischer Würdi-gung. Klinikarzt 2018; 47: 366–71
13. Enck RE: Drug-induced terminal sedati-on for symptom control. Am J Hosp Palliat Care 1991; 8: 3–5
Literatur
D. Stanze, H. Stanze:Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen solltePalliative Sedation – What the Family Physician Should Know
Hausärztinnen und -ärzte für Film-Interviews gesucht
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Stiftung Allgemeinmedizin setzt ihre Kurzfilmreihe zum Thema „Arzt als Patient“ fort.
Eigentlich haben wir Ärzte beste Voraussetzungen für eine gute Versorgung. Doch wie geht es uns damit, wenn wir selbst zu Patienten werden? Tun wir uns schwer damit, Hilfe anzunehmen?
Die bisherigen Filme zu diesem Thema finden Sie unter: https://www.stiftung-allgemeinmedizin.de/content/e147/e628/index_ger.html
Wir haben für Freitag, 13. September einen Regisseur beauftragt, der in einem ruhigen Raum auf dem DEGAM-Kongress
in Erlangen weitere Ärzte interviewen wird.
Hierzu suchen wir Protagonisten. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie mit dabei wären, um uns ein kurzes Interview zu
geben. Eine Vorbereitung auf die Videos ist nicht nötig: Es sollen kurze, authentische Statements und Erfahrungsberichte sein, wie Ärzte sich fühlen und damit umgehen, wenn
sie selbst mal in der Rolle als Patient sind bzw. waren.
Herzlichen Dank und beste GrüßeJochen Gensichen, Stiftung Allgemeinmedizin
www.stiftung-allgemeinmedizin.de
Bitte wenden Sie sich bei Interesse an:
Andrea Bischhoff (bei E-Mails bitte Schreibweise beachten: Bischhoff mit doppeltem H), Tel.: 089 4400 53374, Fax: 089 4400 53520, E-Mail: [email protected]
Damit der Regisseur planen kann, bitten wir Sie, sich möglichst frühzeitig zu melden.
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Die Entindividualisierung der (haus)ärztlichen VersorgungDe-Individualizing in Primary Medical Health CareHeinz-Harald Abholz
Über Jahre gab es den Begriff der Indivi-
dualisierten bzw. der Personalisierten Me-
dizin* nur in der Allgemeinmedizin. Da-
mit war die Besonderheit des generalisti-
schen im Vergleich zum spezialistischen
Arbeiten charakterisiert: Jeder Patient,
jeder Mensch ist etwas anders und daher
habe auch die ärztliche Versorgung im-
mer leicht unterschiedlich bei selbst auf
den ersten Blick identischen Krankhei-
ten bzw. Situationen zu erfolgen. Die
Vielfältigkeit des Aussehens von Men-
schen habe eine Entsprechung in der
Vielfältigkeit körperlicher und see-
lischer Konstellationen – dies ist und
war der Ausgangspunkt der Begrifflich-
keit Individualisierte Medizin [1].
Der spezialistische Arbeitsansatz ist
hingegen fast immer auf eine typische
Betrachtungsebene reduziert – sei es in
Bezug auf das Herz, das Blutsystem oder
die Seele. Diese Reduzierung ist gerecht-
fertigt, weil sie dem Arzt erlaubt, im je-
weiligen Bereich dann mehr „in die Tie-
fe“ gehen zu können. Denn die rasante
Zunahme medizinischen Wissens erlaubt
es nicht mehr, Tiefe und Breite des Wis-
sens zugleich in einer Arztperson zu ver-
einigen. Mit der darüber begründeten
Strukturierung der Gesundheitsversor-
gung in generalistisch und spezialistisch
wird dem Rechnung getragen (geglieder-
tes Versorgungssystem von „hausärzt-
licher“ und „fachärztlicher Versorgung“).
In dieser Versorgungsstruktur ist es die
Aufgabe des Generalisten (Hausarztes),
den Fokus auf die ganze Person – und da-
mit auf dessen Vielfältigkeit – zu legen,
um so in Diagnostik und Therapie ein ab-
wägendes Vorgehen zu realisieren, das ein
Sortieren nach „Das kann ich versorgen“
vs. „Hier muss überwiesen werden“ sowie
nach „Jetzt handeln“ vs. „Abwartendes
Beobachten“ als Grundstruktur hat. Dabei
sind dann immer möglichst viele Aspekte
des Patienten – vom Beschwerdebild, den
Befunden bis hin zur individuellen Person
– in die Überlegungen einzubeziehen [2,
3]. Dies ist die formale Struktur „Indivi-
dualisierter/Personalisierter Medizin“.
Die individualisierende Betrachtung
eines Menschen stellt die eigentliche
Schwierigkeit allgemeinmedizinischer
Arbeit dar. Dies, weil auf der einen Seite
für den Allgemeinmediziner das Wissen
der Medizin – z.B. über Leitlinien aktua-
lisiert – steht und auf der anderen Seite
der Anspruch des einzelnen Patienten,
in seiner „Besonderheit“ betrachtet und
behandelt zu werden. Der Generalist
muss also ein Wissen, das an Patienten-/
Menschengruppen (Studienpopulatio-
nen) gewonnen wurde, auf den einzel-
nen Menschen anwenden.
Das Problem dabei ist, dass medizini-
sches Wissen – z.B. zusammengefasst in
Leitlinien – ganz überwiegend auf Studi-
en basiert. Und Studien sind immer an
Personengruppen durchgeführt worden,
nicht an einzelnen Personen. Und damit
wird jedes Studienergebnis zu einem
Gruppenergebnis mit „durchschnitt-
lichen“, zudem auch noch artifiziellen
Menschen [2]. Artifiziell, weil in der Pa-
tientengruppe einer Studie zahlreiche Pa-
Institut für Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf DOI 10.3238/zfa.2019.0303–0306 * Seit etwa knapp zehn Jahren wird der Begriff der Personalisierten Medizin auch in der Pharmakogenetik benutzt. Er „personalisiert“ aber nur auf genetische Vorinforma-
tionen – sofern sie existieren – und in Bezug auf das Ansprechen auf bestimmte Pharmaka, um so – wie modisch gesagt wird – „maßgesteuert zu therapieren“. Damit aber ist es keine individualisierende Therapie, sondern nur eine, die einen einzigen (dann noch extrem selten zu nutzenden) Aspekt einer Person zusätzlich in eine The-rapieentscheidung bringt.
Zusammenfassung: Individualisierte oder personalisier-te Medizin beschreibt den Anspruch der Allgemeinmedi-zin, des Generalisten. Die entsprechenden Voraussetzun-gen für diese Medizin sind sowohl auf Seiten des Versor-gungssystems als auch des Denkansatzes der Hausärzte über die letzten 10 bis 20 Jahre durch die fortschreitende Standardisierung der Medizin beständig konterkariert worden. Vor dem Hintergrund der für Deutschland spezi-fischen Be- und Verhinderungen eines strukturierten Pri-märarztsystems kommt die Frage auf, wie lange indivi-dualisierte Medizin noch möglich bleibt.
Schlüsselwörter: Personalisierte Medizin; Standardisierung; Hausarzt
Summary: Individualized or personalized medicine de-scribes the commitment of family medicine and the ge -neralist respectively. The prerequisites on side of the health care system and the way of family physicians‘ thinking have been hindered by the progressive standard-ization in medicine over the last 10 to 20 years. These as-pects, together with the specific German development give rise to the question: How long will personalized medicine be possible in the demolition process of a struc-tured primary health care system?
Keywords: personalized medicine; standardization; family physician
DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLE
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tienten mit formal identischem Krank-
heits- oder Beschwerdebild über zahlrei-
che Kriterien wie Alter, Geschlecht, Eth-
nie, bestimmte Komorbiditäten, die
Krankheitsdauer und auch die Complian-
ce des Patienten ausgeschlossen wurden.
Solche Ausschlüsse beziehen sich
auf Charakteristika, die zusätzlich zur
Intervention, deren „outcomes“ beein-
flussen. Würde man solche Patienten
aber nicht ausschließen, dann wäre der
Effekt der untersuchten medizinischen
Intervention nicht „rein“ messbar, son-
dern durch weitere Faktoren, also die
Ausschlusskriterien, beeinflusst. Eine
Studie wäre damit nicht mehr zuverläs-
sig mit statistisch gesicherten Ergebnis-
sen auswertbar. In Studien reduziert sich
mittels Ausschlusskriterien eine primär
angesprochene bzw. ins Auge gefasste
Gruppe von Patienten mit z.B. einem
Befund oder einer Diagnose auf dann
nur noch 10 % bis 30 % des Ausgangs-
kollektivs.
Das Individuum – der Patient in Be-
handlung – ist aber kein solch durch-
schnittlicher und artifiziell über die
Gruppe geschaffener Mensch. Und damit
ergibt sich ein „Legitimationsproblem“:
Ist es aus dem über Leitlinien vermittel-
ten Studienwissen gerechtfertigt, die Be-
handlungsweise in Bezug auf den einzel-
nen Patienten direkt abzuleiten? Mit Si-
cherheit im Regelfall nicht, denn der „Pa-
tient vor mir“ ist meist anders als der
„Studienpatient“. Also sind Abgleichun-
gen, Extrapolationen vorzunehmen – alle
geleitet von der Fragen-Kaskade: Was
trifft auch auf meinen Patienten zu – was
macht diesen anders oder ist er in seinen
Charakteristika sehr nahe der Studien-
population – welche Schlussfolgerung in
Bezug auf die Frage der Behandlung nach
Studienwissen ergeben sich für die indivi-
dualisierte Behandlung? [4]
Dieser Abgleich von Charakteristika
des einzelnen Patienten mit dem medi-
zinischen Wissensstand [2, 3] muss not-
gedrungen immer etwas Subjektives
bleiben. Denn bei Extrapolationen mit
vielen Teilgrößen im Hintergrund, die in
ihrem jeweiligen Einfluss nicht exakt be-
stimmbar sind, muss der Arzt diese
wahrscheinlich einflußnehmenden Teil-
größen – von ihm gewichtet – in seine
Entscheidungen einbringen.
Insbesondere kennt man nicht bzw.
nicht gut genug:
1. die Wirkstärke der vielen Besonder-
heiten des Einzelnen auf den Krank-
heitsverlauf sowie sein Therapie-
ansprechen und ggf. auch uner-
wünschte Wirkungen einer Behand-
lung;
2. die Ausprägung der Krankheit des Ein-
zelnen im zukünftigen, dann auch im
Vergleich zum unbehandelten, Verlauf;
3. die Umgangsform des Patienten mit
seinen Beschwerden, seine für ihn ty-
pische Darstellung (z.B. übertreibend,
herunterspielend).
4. Zudem mag die Kenntnis des Patien-
ten auf der medizinischen als auch
personalen Ebene aufseiten des Arztes
nicht annähernd umfassend sein.
Die unter 1) und 2) aufgeführten Punkte
sind immer auch „spekulativ“ in ihrer
Effektstärke; nur manchmal durch ande-
re Studienergebnisse zu gewinnen (z.B.:
sprechen Menschen mit X eher auf The-
rapie Y an etc.). Es ist aber auch vom
Grad der Kenntnis des Studienwissens
zu den Krankheiten – vermittelt über
Leitlinien – abhängig.
Das unter 3) und 4) genannte ist nur
mittels guter Kenntnis und Erfahrung
des Arztes mit seinem Patienten zu ge-
winnen; beides verlangt eine gewachse-
ne, tragende Patienten-Arzt-Beziehung,
die in der Regel Kontinuität als Voraus-
setzung erfordert [5]. Letzteres aber wird
in Deutschland durch eine fehlendes
strukturiertes Primärarztsystem mit dabei
freiem Zugang zu allen Ärzten, teilweise
noch parallel laufend, massiv konterka-
riert; hierzu ist an anderer Stelle näher
eingegangen worden [6].
Im Folgenden sollen daher nur noch
weitere konterkarierende Entwicklun-
gen dargestellt werden, die als medizin-
kulturelle Entwicklungen bezeichnet
werden können.
Medizin-kulturelle Entindividualisierung
Über die letzten 10 bis 20 Jahre ist zu be-
obachten, dass schon in der Sozialisati-
on der Mediziner – von der Aus- bis in
die Weiterbildung – vielen Grundlagen
für eine individualisierte Medizin der
Boden entzogen wird; dies in unter-
schiedlichen Bereichen parallel.
1
In Lehrbüchern, die vor zehn und
mehr Jahren erschienen sind, war es üb-
lich, zu jeder Krankheit auch eine Dar-
stellung des vom jeweiligen Autor als ty-
pisch angesehenen Krankheitsbildes in
Form einer auf den Patienten bezogenen
Symptomatik und den Befunden dar-
gestellt zu bekommen. Damit konnte
dem Lernendem ein Bild, wenn auch
„nur“ als „Idealbild“, eines oder mehre-
rer geschilderter Patienten vermittelt
werden: Die Krankheit, um die es ging,
bekam eine „Gestalt“, die sie „lebendig“
werden ließ. Daher wurden dem Lernen-
den auch solche Idealbilder zu ein und
demselben Krankheitsbild meist an
mehreren Ausprägungen mit mehreren
Beschwerdetypen in detaillierender Be-
schreibung geboten.
Heute hingegen zeigen Lehrbücher –
und auch viele Leitlinien – kaum noch
solche Schilderungen von Krankheitsbil-
dern, sondern geben entweder in Ober-
begriffen oder in tabellarische Aufzäh-
lungen nur noch hoch-aggregierte Kern-
symptome an: z.B. Schmerz, Übelkeit,
Schwindel, Luftnot etc. Nur zu jedem
dieser Oberbegriffe gibt es viele Formen
der Erscheinung – die Art, die Ausstrah-
lung, die Abhängigkeit von Auslösern
etc. machten die Lebendigkeit alter Lehr-
bücher aus. Zudem ist es – insbes. in der
Psychiatrie – üblich geworden, definito-
rische Ausführungen zu ICD 10 oder
DSM IV als Krankheitsbeschreibung zu
nutzen bzw. diese dann nur noch zu prä-
sentieren. Am schmerzlichsten ist mir
das am Wandel des Lehrbuchs „Harri-
son‘s Principles of Internal Medicine“ be-
gegnet: Dort, wo früher „Presentation of
the Patient“ stand, steht heute „Classifi-
cation“ oder „Definition“. Das entspricht
einer hoch formalisierten Standardisie-
rung der Krankheit, welche die Person
mit dieser Krankheit in deren Vielfältig-
keit völlig außen vorlässt.
Begründet wird dieser Wandel in der
Darstellung meist damit, dass es „die Stu-
dienlage nicht hergäbe“, Idealbilder zu
zeichnen und in einem Lehrbuch oder ei-
ner Leitlinie darzustellen. Dies ist ein
sehr EbM-puristisches Argument nach
dem Motto: „Wenn es keine gute Studi-
enlage gibt, dann wird darüber nicht ge-
sprochen“. Nur: Der Neuling in der Medi-
zin lernt damit keinen Patienten kennen.
2
Dies findet heute zunehmend eine Ent-
sprechung aufseiten des Patienten und
seiner Beschwerdeschilderung. Für
Abholz:Die Entindividualisierung der (haus)ärztlichen VersorgungDe-Individualizing in Primary Medical Health Care
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Patienten ist aber nicht der Glaube an
EbM, sondern etwas anderes der Grund:
Eine zunehmende Zahl von Patienten –
vielleicht auch Ärzten – glaubt daran, dass
alles, was zu schildern möglich wäre, un-
wichtig sei, weil die Medizin – die Technik
der Medizin – schon herausfinden werde,
was ihnen fehle. Dabei wird der diagnos-
tische Prozess völlig verkannt, der meist
ja aufgrund kleiner Details zu Symptoma-
tik, Auftretenssituation, Ablauf der Be-
schwerden, Kombination zu anderen Be-
schwerden etc. gelenkt wird: Einmal geht
es dann in diese, ein andermal in eine an-
dere Richtung diagnostischer Aufarbei-
tung. Und geht man aber nicht so vor, hat
man solche „Details“ nicht erfahren,
dann wird eine umfangreiche und in alle
Richtungen gehende Diagnostik in Gang
gesetzt – dies mit unerwünschten Wir-
kungen (und seien es erst einmal nur die
vielen „falsch-positiven“ Befunde) [7].
Und es gibt noch eine andere Vari-
ante der Fehlleitung durch den Patien-
ten: Erfolgt nicht umgehend ein breiter
technischer Einsatz, dann sind Patien-
ten auch bereit, übertreibende und den
Arzt antreibende Übertreibungen bei ih-
ren Beschwerde-Schilderungen ein-
zusetzen, um das zu erreichen, was sie
für „richtig“ ansehen [7]. Hierbei gelingt
es nur dem Arzt, solche Übertreibungen
zu vermuten, wenn er seinen Patienten
gut kennt und dessen „Umgangsfor-
men“ mit Beschwerden vielfach ken-
nengelernt hat [5, 6].
Zur „Standardisierung der Krankhei-
ten“ in den Lehrbüchern passen die
vom Patienten genutzten Kurzbegriffe
(Schmerz, Übelkeit etc.) ohne Zusam-
menhänge herstellende Schilderungen
durch den Patienten. Beides zusammen
lässt eine individualisierende Arbeits-
weise – insbes. für den jungen Arzt – oft
unmöglich werden, zumindest wenn
ein Patient nicht aus Vorbegegnungen
gut bekannt ist.
3
Beides schlägt sich nun auch in der ärzt-
lichen Anamneseerhebung nieder –
so wie sie bei Jungärzten, Medizinstu-
denten, aber eben auch in den Kranken-
hausarztbriefen zu finden ist: Es wird auf
die notwendigsten Kernbegriffe in Brie-
fen, Vorträgen etc. reduziert bzw. in der
Anamnese nur gefragt. Detaillierende
Schilderungen zum Krankheitsbild –
eben auch in seiner Vielfalt – erfolgen
nicht. Im Gegenteil: Alles, was nicht
zum Oberbegriff passt, wird weggelassen
– nachzulesen ist so etwas in jedem Arzt-
brief zu Patienten, die man selbst dort
hin-, über- oder eingewiesen hat.
Auf das, was ein Patient zu seiner Er-
krankung denkt, wie er sie erlebt, was
ihn – berechtigt oder nicht – besorgt,
wird eh kaum noch in der Anamnese-
erhebung oder der Kommunikation zwi-
schen Ärzten – mündlich oder gar in
Arztbriefen – eingegangen [8, 9].
Und wie der Patient selbst seine Be-
schwerden erklärt oder deutet [10,11], das
wird zwar in den meisten Abteilungen für
Allgemeinmedizin als wichtig zu erfragen
gelehrt [12], nur setzt sich dies – bei dem
Druck der „exakten Medizin“ in Konkur-
renz – im Verlauf einer Mediziner-Karriere
kaum durch. Der Patient wird in Bezug auf
die über ihn gewonnenen Befunde zwar
noch informiert, aber nicht deren Bezie-
hung zu seiner Person, seiner „Geschich-
te“ hergestellt. Er wird entindividualisiert.
Kathahn [13] hat dies schon vor Jah-
ren psychologisch gedeutet: Die Orien-
tierung auf die Technik bei der Befund-
erhebung erlaubte den Ärzten die Flucht
vor der körperlich und psychisch erleb-
baren Nähe zum Anderen.
4
Die zu beobachtende generelle Standar-
disierung in der Medizin wird von vielen
Sozialwissenschaftlern aus der Faszina-tion des Erfassbaren (insbesondere
und primär der der Bürokraten) erklärt
[14, 15]. Ärzte haben das – vermittelt
über die Vorgaben der der Bürokraten –
zunehmend übernommen. Diese Ent-
wicklung hat seine gut begründbaren
Seiten hin zu, wie es erst immer scheint,
mehr Vernunft [16], sie hat aber auch
unerwünschte Auswirkungen.
Heute nun treiben beide – die Ärzte
und die Bürokraten – diese Entwicklung
weiter an. Aber wer allein nur einmal ei-
ne Diagnosefestlegung auf einem For-
mular einer Kasse etc. erbringen musste,
weiß sofort, dass hiermit in der Regel et-
was anderes abgebildet wird, als das, was
der „Patient vor ihm“ hat. Aber derartig
abgeforderte Standardisierungen – sei es
mit oder ohne Graduierung der Schwere
oder der Folgestörungen etc. – formt
über die Zeit auch ärztliches Denken und
Verstehen. Damit wird – so falsch es ist –
auch im Bewusstsein eines Arztes alles
„abpackbar“ in eine Kategorie/Diagnose.
5
Die Phantasie der digitalen Berechen-barkeit ist die Fortsetzung der oben ge-
schilderten Entwicklung. Ein solcher
Prozess wird momentan unterstützt
durch den Glauben, dass die gigantische
Vielfalt von Krankheit und Person in tau-
senden von Punkten der Individualität
(von Labor oder genetischen Werten bis
hin zur persönlichen, d.h. psycho-
logisch, sozialen und kulturellen Unter-
schiedlichkeiten) in ein Raster-Paket ge-
packt werden kann – das dann zur treffsi-
cheren Diagnosefindung, Prognose so-
wie Therapie benutzt werden könne [17].
Eine weitere Steigerung dieses Glau-
bens an Berechenbarkeit – dann gepaart
mit Naivität oder Dreistigkeit – erleben
wir momentan in der Begeisterung für
Internetbasierte Diagnostik generell
und insbesondere mittels Apps, mit de-
nen schon der Patient sich einer Diagno-
se – wenn auch meist noch als Ver-
dachtsdiagnose deklariert – nähern
kann. Auch könne er sich per App dann
sogar Therapien „holen“: zum Selbst-
durchführen oder mittels zusätzlicher
Unterstützung im Netz mit darüber zu
kontaktierenden Ärzten.
Das Problem bei diesen Entwicklun-
gen ist, dass die zuvor geschilderten Ver-
einfachungen mittels Standardisierung
nochmals eine Steigerung durch weitere
Vereinfachungen für ein „einfach“ nutz-
bares Programm erfährt [18]. Dabei aber
bleibt es weiterhin – so wie bei jedem
Screening-Instrument auch – bei einer
Vergröberung dessen, was vom „Ganzen
des Patienten“ oder potenziellen Patien-
ten in die App, eingebbar ist, und was
das Programm der App dann nur damit
„gefüttert“, „ausstoßen“ kann. Auf sol-
cher Basis dann, zu Ergebnissen zu kom-
men, die gar noch die Therapie bestim-
men sollen, lässt Schadensverursachung
sehr wahrscheinlich werden [18] – zu-
mindest ist es weit entfernt von Indivi-
dualisierter Versorgung.
Damit stehen sich zwei Konzepte gegen-
über, die beide Vielfältigkeit – und zwar
tausendfache Vielfältigkeit – in ein Ent-
scheidungsraster bringen wollen. Einer-
seits das Hermeneutische Fallverständnis
der Allgemeinmedizin, des Generalisten
[2, 19], das zum Umgang mit der Infor-
mationsvielfalt zu einer Person nur mit-
tels Interpretation in einem Gesamt-
zusammenhang (also mittels einer her-
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meneutischen Integration) umzugehen
vorschlägt.
Und auf der anderen Seite steht die
Annahme, dass die Vielfalt program-
mierbar in ein System sei; und dies leich-
ter, schneller und effektiver zu Lösun-
gen führen würde. Rein logisch verlangt
dieses Vorgehen aber, dass man zu jeder
Einzelfrage zu Therapie und Diagnostik,
aber auch zu jeder Eigenart eines Patien-
ten – körperliche als auch seelische Cha-
rakteristika –Eingaben ins System ma-
chen kann. Für beide Felder – Studien-
wissen als auch persönliche Charakteris-
tika einer Person – ist die Datenlage aber
völlig unzulänglich: Zwischen allen In-
formationen, die man sich zur Eingabe
ins System vorstellen kann, bestehen ja
Interaktionen, die man in ihrer Effekt-
stärke kennen müsste, wollte man soli-
dere Ergebnisse haben. Spätestens hier
merkt man, dass das Utopie ist [17].
Und so erscheint es weitaus realisti-
scher – und erprobt noch dazu –, auf Stu-
dienwissen (selbst wenn es nur Grup-
penaussagen sind) zurückzugreifen, die-
se dann auf den Patienten abgleichend
zu betrachten, und schließlich integrie-
rend mit all dem Vorwissen zum Patien-
ten als auch der eigenen Erfahrung zu ei-
ner Entscheidung in Form eines Vor-
gehensvorschlags zu kommen.
Die entscheidende Frage für die Zu-
kunft aber ist: Sind wir Hausärzte bei ei-
ner solchen zuvor skizzierten Entwick-
lung der Entindividualiserung im Den-
ken plus der systembedingten Be- bzw.
Verhinderung von Primärarztfunktio-
nen [5], die beide erst ein Kennen und
Verstehen des Individuums erlauben,
noch in der Lage zu individualisieren?
Interessenkonflikte: keine angegeben.
Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz
Emeritus, Institut für Allgemeinmedizin
Universität Düsseldorf
Werdener Straße 4
40227 Düsseldorf
Korrespondenzadresse
1. Abholz H-H. Der Mensch im Mittel-punkt – Über den gesuchten Weg zwi-schen ärztlicher Expertise und EbM-Leitlinien. Z Allg Med 2017; 93: 445–449
2. Abholz H-H, Wilm S. Entscheidungs-findung in der Allgemeinmedizin. In Kochen MM (Hrsg). Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 5. Aufl. 2017: 645–655
3. Wegscheider K. Übertragung von Studi-energebnissen auf den Versorgungsall-tag – Die therapeutische Praxis pro-fitiert von der methodischen Vielfalt randomisierter und nicht-randomisier-ter Forschungsansätze. Z Allg Med 2009; 85: 53–59
4. Freeman G, Hughes J. Continuity of ca-re and the patient experience. The Kings Fund, London 2010. www.kingsfund.org.uk/sites/default/files/field/field_ document/continuity-care-patient- experience-gp-inquiry-research-paper-mar11.pdf (letzter Zugriff am 04.04.19)
5. Abholz H-H. Primärarztsystem – wel-che Folgen hat ein Abbau in Deutsch-land? Z Allg Med 2018; 94: 291–295
6. Donner-Banzhoff N, Abholz H-H. Epi-demiologische und biostatische Aspek-
te der Allgemeinmedizin. In: Kochen MM (Hrsg). Allgemeinmedizin und Fa-milienmedizin. Stuttgart: Georg Thie-me Verlag, 5. Aufl. 2017: 558–574
7. Schaeffer D. Der Patient als Nutzer – Krankheitsbewältigung und Versor-gungsnutzung im Verlauf chronischer Krankheit. Bern: Huber, 2004
8. Reeve J, Lynch T, Lloyd-Willams M, Payne S. From personal challenge to technical fix: the risk of depersonalized care. Health Soc Care Community 2012; 20: 145–154
9. Agledahl KM, Gulbrandsen P, Forde R, Wifstad A. Courteous but not curious: how doctors’ politeness mask their existential neglect. A qualitative study of video-recorded patient consultati-ons. J Med Ethics 2011; 37: 650–654
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11. Herzlich C, Pierret J. From causes to meaning. In: Currer C, Stacey M. Con-cepts of health, illness and disease. Ox-ford: Berg Publisher, 1986
12. Chang S, Lee TH. Beyond evidence-based medicine. N Engl J Med 2018; 379: 1983–5
13. Kathan B. Das Elend der ärztlichen Kunst. Berlin: Kadmos Verlag, 2002
14. Timmermans S, Berg M. The gold stan-dard: the challenge of evidence based medicine and standardisation in health care. Philadelphia: Temple Univ. Press, 2003
15. Berg M. Rationalizing medical work. Cambridge: MIT Press, 1997
16. Marks HM. The progress of experiment – science and therapeutic reform in the United States 1000–1990. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1997
17. Feuerstein G. Die Technisierung der Medizin – Anmerkungen zum Preis des Fortschritts. In: Saake I, Vogd W (Hrg.). Moderne Mythen der Medizin. Wiesba-den: VHS, 2008
18. Schmacke N, Abholz H-H. Gesund-heits-Apps – was kann man von ihnen erwarten? Gesundh Sozialpol 2019; 73: 54–58
19. Reeve J. Interpretive medicine – sup-porting generalism in a changing pri-mary care world. London: Royal Col-lege of General Practitioners, Occasio-nal Paper 88, 2010
Literatur
Abholz:Die Entindividualisierung der (haus)ärztlichen VersorgungDe-Individualizing in Primary Medical Health Care
… Facharzt für Innere Medizin sowie Facharzt für Allgemeinme-
dizin. 1984–1998 Hausarzt in Berlin; 1998–2011 Leiter der Ab-
teilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf.
Nach Emeritierung (2012) wieder in Hausarztpraxis nahe Köln
tätig. DEGAM-Präsident bzw. Vizepräsident für neun Jahre.
Lehrbeauftragter für Public Health (Epidemiologie, Prävention)
erst in Berlin, dann in Düsseldorf.
Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz …
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Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinWie beeinflusst die systematische Festlegung von ausgewählten Lernzielen den subjektiven Lernfortschritt der Studierenden?
Checklist Clerkship Family Medicine
How Does the Systematic Determination of Selected Learning Goals Influence the Subjective Learning Progress of Students?
Gisela Ravens-Taeuber, Armin Wunder, Corina Güthlin, Insa Koné
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Zentrum der Gesundheitswissenschaften, Institut für Allgemeinmedizin Peer-reviewed article eingereicht: 15.01.2019, akzeptiert: 21.03.2019 DOI 10.3238/zfa.2019.0307–0313
Hintergrund: Das Blockpraktikum Allgemeinmedizin (BPA) soll insbesondere das Erlangen praktischer Fähigkeiten för-dern. Eine Festlegung von Kompetenzen als Lernziele durch Studierende und Lehrende vor dem BPA, die die Selbstein-schätzung der Studierenden und die individuellen Gegeben-heiten einer Lehrpraxis berücksichtigen, sollen zu einem gu-ten Lernfortschritt beitragen. Ziel der vorliegenden Unter-suchung war es herauszufinden, ob diese systematische Festlegung von Kompetenzen zu einem subjektiv höheren Lernfortschritt führt (im Unterschied zu Bereichen, in denen keine Kompetenzen als Lernziele festgelegt wurden).Methoden: Die systematische Festlegung findet über ei-ne Checkliste statt, in der insgesamt zu max. 25 Kom-petenzen Lernziele festgelegt werden können. Der subjek-tive Lernfortschritt ist von den Studierenden nach dem BPA für jede der 25 Kompetenzen anzugeben. Zunächst wird deskriptiv dargestellt, wie häufig welche Kompeten-zen in der Checkliste von 2014 als Lernziele festgelegt wurden. Es wird geprüft, ob ein Unterschied bezüglich des Anteils an Studierenden mit subjektivem Lernfort-schritt besteht, je nachdem, ob eine Kompetenz als Lern-ziel ausgewählt wurde oder nicht (Chi-Quadrat-Test bzw. exakter Test nach Fischer).Ergebnisse: Es haben 375 Studierende am BPA teil-genommen, 322 davon die Checkliste ausgefüllt (Rück-laufquote 85,9 %), 54 Checklisten mussten wegen fehlen-den Angaben ausgeschlossen werden. Bei 23 von 25 Kompetenzen (92 %) führt das explizite Festlegen der Kompetenz als Lernziel zu einem signifikant höheren An-teil an Studierenden mit subjektivem Lernfortschritt.Schlussfolgerungen: Durch ein systematisches Fest-legen von Kompetenzen als Lernziele wird der subjektive Lernfortschritt erhöht. Die Checkliste unterstützt Lehren-de beim Feedbackgeben und ermöglicht es, auf individu-elle Bedürfnisse der Studierenden einzugehen.
Schlüsselwörter: Checkliste; Blockpraktikum; Allgemein -medizin; Lernziele
Background: The main aim of the family medicine clerk-ship (FMC) is to help students acquire practical skills. Be-fore the FMC, students and teachers define specific com-petencies as learning objectives, based on the self-assess-ment of students and the individual conditions in the teaching practices, which is expected to help to improve learning progress. The aim of the current study was to find out whether this systematic definition of competen-cies leads to greater subjective learning progress (in com-parison to areas in which no competencies had been de-fined as learning objectives).Methods: The systematic definition is achieved by means of a checklist in which 25 competencies can be ticked in order to serve as learning objectives. After the FMC, the students rate their subjective learning progress for each of the 25 competencies. The frequency of the competencies that were selected as learning objectives in the 2014 checklist is described descriptively. Using the chi-square test and Fisher’s exact test, we investigate whether the percentage of students that achieve subjec-tive learning progress is dependent on whether or not the competency was selected as a learning objective. Results: 375 students participated in the FMC, of whom 322 filled out the checklist (response rate 85.9 %). 54 were not completed in full and were excluded from the analysis. For 23 of 25 competencies (92 %), selecting this competency as a learning objective resulted in a sig-nificantly higher proportion of students achieving subjec-tive learning progress. Conclusions: The systematic selection of competencies as learning objectives increases subjective learning prog-ress. The checklist helps teachers provide feedback and enables them to address the individual needs of students.
Keywords: checklist; internship; family medicine; learning objectives
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPER
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
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Hintergrund
Die Einführung eines verbindlichen
Blockpraktikums Allgemeinmedizin
(BPA) 2004 [1] hat Allgemeinmedizin zu
einem der fünf Kernfächer der medizi-
nischen Ausbildung gemacht und soll
insbesondere das Erlangen praktischer
Fähigkeiten fördern [2, 3]. Gerade in die-
sem Bereich schienen in der medizi-
nischen Ausbildung deutliche Mängel
zu bestehen [4, 5].
Das Blockpraktikum Allgemeinme-
dizin (BPA) ist an der Goethe-Universität
in Frankfurt am Main im 10. Semester
curricular verankert.
Allein der Einbezug von Praktika in
die medizinische Ausbildung garantiert
nicht das Erreichen von praktischen
Lernzielen [6, 7]. Eine Umfrage in den
USA unter Studierenden zeigte, dass je-
ne individualisierte Lernziele und die
Möglichkeit, diese in der Lern-
umgebung zu kommunizieren, für
wichtig halten, um maximal von einem
chirurgischen Praktikum zu profitieren
[8]. Medizinstudierende in Texas/USA
bewerteten Kurse mit klar kommuni-
zierten Lernzielen und guter Struktur
insgesamt besser, ebenso wie Kurse mit
hoher Ansprechbarkeit der Lehrenden
[9]. Eine Erhebung unter Medizinstudie-
renden bei einem vierwöchigen Neuro-
logie-Praktikum in den USA zeigte, dass
die explizite Definition wöchentlicher
Lernziele als hilfreich empfunden wird
und eine Mehrheit der Studierenden an-
gab, die eigenen Leistungen hätten sich
dadurch verbessert [10]. Grundsätzlich
wird davon ausgegangen, dass der Lern-
fortschritt von Studierenden durch eine
Definition von Lernzielen erhöht wer-
den kann [11].
Basierend auf diesen Erkenntnissen
haben Frankfurter Lehrbeauftragte und
Mitarbeiter/innen des Instituts für All-
gemeinmedizin (IfA) im Jahr 2008 einen
Lernzielkatalog entworfen, der im Un-
terricht erprobt und optimiert wurde
[12, 13]. Auf dieser Basis und durch Er-
fahrungsaustausch teilnehmender Stu-
dierender und Lehrender im BPA sowie
Mitarbeiter/innen des Instituts wurde
angelehnt an den Lernzielkatalog durch
das IfA 2008 die „Checkliste Lernziele“
entwickelt, die 2014 überarbeitet wurde.
Dabei wurde die Checkliste mit Empfeh-
lungen des zu erreichenden Fachwissen
(Kompetenzen) am Ende des BPA in
Klammer ergänzt. Die Empfehlungen
werden in Tabelle 1 und unter „Metho-
den“ genauer erläutert.
Zunächst erfolgt auf der Checkliste
eine Selbsteinschätzung der Studieren-
den ihrer Kompetenzen zu den jeweili-
gen Lernzielen, dann werden mit den
Lehrärzten gemeinsam Schwerpunkte
festgelegt, d.h., Kompetenzen/Lernziele
markiert, die besonders während der
Praxiszeit eingeübt werden sollen. Ziel
der Checkliste ist, den Lehrenden zum
einen ein Feedbackinstrument an die
Hand zu geben und zum anderen an-
hand der Priorisierung eine individuelle
Förderung während der Praxiszeit zu
praktizieren. Zum Ende des Blockprakti-
kums erfolgt eine erneute Selbstein-
schätzung durch die Studierenden und
eine Einschätzung durch den Lehrarzt/
die Lehrärztin.
Da eine solche Checkliste im BPA
inklusive der gemeinsamen Schwer-
punktsetzung Modellcharakter hat,
sollte untersucht werden, ob die
Schwerpunktsetzung (Festlegung dieser
Kompetenzen als Lernziel) einen Effekt
auf den subjektiven Lernerfolg hat. Be-
antwortet werden sollte die Frage, ob
Studierende im Blockpraktikum häufi-
ger subjektive Lernfortschritte erzielen,
wenn vorab Lernziele mit dem Lehr-
arzt/der Lehrärztin systematisch festge-
legt werden.
Methoden
In Frankfurt umfasst die Vorbereitung
der Studierenden auf das BPA u. a. das
Ausfüllen der „Checkliste Lernziele“,
welche die Selbsteinschätzung der Stu-
dierenden bezüglich einiger Kompeten-
zen, die Gegenstand von Lernzielen
sind, erhebt. Diese Checkliste wird von
den Studierenden vor Beginn des Prakti-
kums ausgedruckt und in der 1. Spalte
ausgefüllt (Selbsteinschätzung der Kom-
petenzen). Die Kompetenzen sind in
fünf Kompetenzebenen in Anlehnung
an Miller [14] eingestuft, die in Tabelle 1
in der Legende erläutert werden.
Am ersten Praxistag besprechen Stu-
dierende/r und Lehrärzte die Selbstein-
schätzung zu den Kompetenzen und le-
gen gemeinsam Lernziele im Rahmen ei-
ner Schwerpunktsetzung für die Praxis-
zeit fest. Eine Schwerpunktsetzung soll
hierbei nicht abhängig von einer hohen
Kompetenzerwartung sein. Dadurch er-
hält der/die Lehrende auch einen Ein-
druck, mit welchen Kompetenzen und
Vorstellungen der/die Studierende in die
Praxis kommt. Hinter jeder Kompetenz
ist in Klammern außerdem die Kom-
petenzebene angegeben, die am Ende
des Praktikums von den Studierenden
erreicht werden sollte.
Bei der Schwerpunktsetzung sollten
neben dem Wissen und Können des Stu-
dierenden die Gegebenheiten in der Pra-
xis berücksichtigt werden, wie z.B. bei
der Kompetenz „Spirometrie“ oder/und
„Ergometrie“ ein Schwerpunkt nur ge-
setzt werden kann, wenn diese Unter-
suchungsmöglichkeiten auch in der Pra-
xis zur Verfügung stehen.
Am letzten Tag des Blockprakti-
kums schätzen sich die Studierenden
erneut in Bezug auf alle Kompetenzen
(unabhängig von einer Schwerpunkt-
setzung) selbst ein. Anschließend füllt
der/die Lehrende die erreichte Kom-
petenzebene der Studierenden in der
letzten Spalte aus. Idealerweise sollten
bei beiden die vorgegebene Empfeh-
lung erreicht worden sein. Die jeweili-
gen Einschätzungen, insbesondere bei
größeren Diskrepanzen, sollten im ab-
schließenden Feedbackgespräch the-
matisiert werden.
In die Erhebung eingeschlossen
wurden Studierende am IfA der Univer-
sität Frankfurt, die 2014 das BPA absol-
viert haben. Die Eingabe der erhobenen
Daten aus den Checklisten des Jahres
2014 erfolgte manuell in SPSS 20.0.
Nicht eingeschlossen in die Auswer-
tung wurden Checklisten, bei denen kei-
ne Angaben zur Selbsteinschätzung vor
dem Praktikum, zur Selbsteinschätzung
nach dem Praktikum oder/und zur Ein-
schätzung von Lehrenden gemacht wur-
den. Dagegen wurden Checklisten ein-
geschlossen, auch wenn keinerlei
Schwerpunktsetzung erfolgte.
Ziel dieser Untersuchung war he-
rauszufinden, ob es bei einer Schwer-
punktsetzung häufiger zu einer Verbes-
serung der Selbsteinschätzung der Stu-
dierenden kommt. Eine Verbesserung
wurde angenommen, wenn die Diffe-
renz der Selbsteinschätzung (Nachher-
messung – Vorhermessung) > 0 war. Mit
dem Chi-Quadrat-Test wurde auf Sig-
nifikanz pro Kompetenz getestet, ob ein
Unterschied bezüglich des Anteils an
Studierenden mit subjektivem Lernfort-
schritt besteht, je nachdem, ob eine
Kompetenz als Lernziel ausgewählt wur-
de oder nicht. Bei geringen Erwartungs-
Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
© Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8) ■
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Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
Führen Sie eine Selbsteinschätzung bezüglich Ihrer Fähigkeiten vor dem Praktikum durch, und legen Sie gemeinsam mit Ihrem Lehrarzt/Ihrer Lehrärztin möglichst am ersten Tag in der Praxis Kompetenzen fest, die Sie während des Praktikums verbessern möchten.Bewerten Sie am Ende des Praktikums Ihre Kompetenzen erneut, und besprechen Sie mit dem Lehrarzt/der Lehrärztin, worin Sie gut sind und woran Sie noch arbeiten sollten.
Kompetenzebenen-/Lernzielempfehlung zum Ende des Praktikums (in Klammern hinter den einzelnen Items)*
Gesprächsführung
Eigenständig Anamnese erheben und dem Lehrarzt vorstellen (4)
Körperliche Untersuchung
Kopf und Hals (4)
Thoraxorgane (4)
Bewegungsapparat (4)
Abdomen (4)
Neurologische Untersuchung (4)
Gefäßstatus erheben (4)
Beschreiben und Dokumentieren von Befunden (4)
Gerätediagnostik
Otoskopie (3)
Blutdruck messen (4)
Blutzucker messen (3)
Urinuntersuchung (Stix) (3)
EKG anlegen (3)
EKG-Befundung (3)
Blutentnahme (4)
Spirometrie (2)
Ergometrie (2)
Laborbefunde interpretieren (3)
Therapie/Prävention
Subkutane Injektionen (3)
Intravenöse Injektionen (2)
Impfungen durchführen/intramuskuläre Injektionen (3)
Infusion zubereiten und anlegen (2)
Wundbehandlung akut, chron. (2)
Pharmakotherapie (3)
Fallvorstellung mit Vorschlägen zum Prozedere (3)
Legende: *Fünf Kompetenzeben in Anlehnung an Miller [14]: 0 = keine Kenntnisse1 = weiß es (schon mal gelesen oder gehört, z.B. in Vorlesung) 2 = weiß, wie es geht (bereits praktische Erfahrung gemacht/gesammelt) 3 = kann zeigen, wie es geht (im praktischen Umgang geübt) 4 = bin darin schon geübt (im theoretischen und praktischen Umgang sicher)
Tabelle 1 „Checkliste Lernziele“ im Blockpraktikum Allgemeinmedizin
Selbstein -schätzung vor dem Praktikum
Schwerpunkte gemeinsam setzen
Selbstein -schätzung nach dem Praktikum
Einschätzung Lehrende/r
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werten für die Einzelhäufigkeiten wurde
der exakte Test nach Fischer verwandt.
Das Signifikanzniveau wurde auf
α ≤ 0,05 festgelegt.
Deskriptiv wurde dargestellt, welche
Schwerpunktsetzung wie häufig bei wel-
cher Kompetenz von den Studierenden
zusammen mit den Lehrenden vor-
genommen wurden.
Ergebnisse
Im Jahr 2014 haben 375 Studierende am
BPA teilgenommen. Davon haben 322
Studierende eine Checkliste ausgefüllt
und abgegeben (Rücklaufquote:
85,9 %). Von diesen konnten 268
Checklisten ausgewertet werden. Die
übrigen 54 mussten aufgrund oben ge-
nannter fehlender Angaben aus-
geschlossen werden.
Von den Studierenden wurden ge-
meinsam mit dem/der Lehrenden im
Durchschnitt 6,3 (SD 4,7) der 25 Kompe-
tenzen priorisiert. Die Spanne lag zwi-
schen 0 und 24 Lernzielen. Am häufigs-
ten wurden die Kompetenzen „Pharma-
kotherapie“ (53,4 %), „EKG-Befun-
dung“ (50,7 %) und „Laborbefunde in-
terpretieren“ (40,4 %) als Lernziel ausge-
wählt. Jeweils weniger als 10 % der Stu-
dierenden haben zusammen mit ihren
Lehrenden „Blutentnahmen“ (9,0 %),
„Infusionen zubereiten und anlegen“
(8,6 %), „Intravenöse Injektionen“
(7,8 %) und „Blutzucker messen“ priori-
siert (6,7 %) (Tab. 2).
Bei 23 von 25 Kompetenzen (92 %)
führte die Auswahl als Lernziel bei ei-
nem signifikant höheren Anteil von Stu-
dierenden zu einem subjektiven positi-
ven Lernfortschritt im Vergleich zu Stu-
dierenden, die diese Kompetenzen nicht
als Lernziel gesetzt hatten. Bei den Kom-
petenzen „Untersuchung des Abdo-
mens“ und „Blutdruck messen“ (wur-
den von weniger als 20 % der Studieren-
den als Schwerpunkt gesetzt) bestand
kein signifikanter Unterschied zwischen
den Gruppen mit und ohne Schwer-
punktsetzung.
In Tabelle 3 werden alle 25 Kom-
petenzen mit den jeweiligen Ergebnis-
sen der Verbesserung (Vorher-Nachher-
Differenz > 0) mit und ohne Schwer-
punktsetzung aufgeführt, wobei fünf
Kompetenzen hervorgehoben sind, bei
denen am häufigsten ein Schwerpunkt
gesetzt wurde (Tab. 3).
Diskussion
In 23 von 25 Kompetenzen (92 %) führ-
te eine Schwerpunktsetzung (Auswahl
als Lernziel) bei einem größeren Anteil
von Studierenden zu einer Verbes-
serung im Vergleich zu Studierenden,
die keinen Schwerpunkt setzten (Tab.
3). Eine Schwerpunktsetzung scheint
also den Lernprozess zu unterstützen.
Keine Differenz zwischen den Gruppen
mit und ohne Schwerpunktsetzung er-
gab sich für folgende zwei Kompeten-
zen:
1. unter körperliche Untersuchung „Ab-
domen“,
2. unter Gerätediagnostik „Blutdruck
messen“.
Möglicherweise liegt dies an den sehr
hohen Eingangswerten in der Selbstein-
schätzung, die keine weitere Steigerung
erlaubten (Daten nicht gezeigt).
Unseres Wissens gibt es bislang kei-
ne andere Untersuchung, die den Ein-
fluss einer Priorisierung von Kompeten-
zen auf den subjektiven Lernfortschritt
im BPA erforscht.
Besonders häufig wurden Schwer-
punkte bei der Interpretation von (kom-
plexen) Untersuchungsbefunden wie
„EKG-Befundung“, „Laborbefunde in-
terpretieren“ und der „Pharmakothera-
pie“ gesetzt, während selten Schwer-
punkte bei praktischen pflegerischen
und medizinischen Tätigkeiten wie „In-
fusion anlegen“ oder „Blutentnahmen“
gesetzt wurden. Wir gehen davon aus,
dass gerade die praktischen Fähigkeiten
durch Pflege- und klinische Praktika in
diesem fortgeschrittenen Studien-
abschnitt bereits beherrscht werden
bzw. manche in der hausärztlichen Pra-
Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
Lernziel
Pharmakotherapie
EKG-Befundung
Laborbefunde interpretieren
Beschreiben und Dokumentieren von Befunden
Otoskopie, Racheninspektion
Bewegungsapparat
Fallvorstellung mit Vorschlägen zum Prozedere
Impfungen durchführen/intramuskuläre Injektionen (i.m.)
Spirometrie
Eigenständig Anamnese erheben und dem Lehrarzt vorstellen
Ergometrie
Wundbehandlung akut, chron.
Thoraxorgane
Neurologische Untersuchung
EKG anlegen
Kopf und Hals
Abdomen
Gefäßstatus erheben
Subkutane Injektionen
Urinuntersuchung (Stix)
Blutdruck messen
Blutentnahmen
Infusion zubereiten und anlegen
Intravenöse Injektionen (i.v.)
Blutzucker messen
Tabelle 2 Welche Lernziele wurden wie häufig priorisiert?
n
268
268
267
268
268
268
267
268
268
264
267
268
268
268
268
268
268
268
268
267
268
268
268
268
268
ja
53,4 %
50,7 %
40,4 %
39,9 %
34,0 %
32,8 %
32,2 %
32,1 %
31,3 %
29,5 %
27,0%
26,9 %
25,0 %
25,0 %
23,5 %
23,1 %
19,4 %
16,8 %
13,4%
12,0 %
10,1 %
9,0 %
8,6 %
7,8 %
6,7 %
nein
46,6 %
49,3 %
59,6 %
60,1 %
66,0 %
67,2 %
67,8 %
67,9 %
68,7 %
70,5 %
73,0%
73,1 %
75,0 %
75,0 %
76,5 %
76,9 %
80,6 %
83,2 %
86,6%
88,0 %
89,9 %
91,0 %
91,4 %
92,2 %
93,3 %
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Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
Eigenständig Anamnese erheben und dem Lehrarzt vorstellen (4)
Körperliche Untersuchung
Kopf und Hals (4)
Thoraxorgane (4)
Bewegungsapparat (4)
Abdomen (4)
Neurologische Untersuchung (4)
Gefäßstatus erheben (4)
Beschreiben und Dokumentieren von Befunden (4)
Gerätediagnostik
Otoskopie, Racheninspektion (3)
Blutdruck messen (4)
Blutzucker messen (3)
Urinuntersuchung (Stix) (3)
EKG anlegen (3)
EKG-Befundung (3)
Blutentnahmen (4)
Spirometrie (2)
Ergometrie (2)
Laborbefunde interpretieren (3)
Therapie
Subkutane Injektionen (3)
Intravenöse Injektionen (i.v.) (2)
Impfungen durchführen/intramuskuläre Injektionen (i.m.) (3)
Infusion zubereiten und anlegen (2)
Wundbehandlung akut, chron. (2)
Pharmakotherapie (3)
Fallvorstellung mit Vorschlägen zum Prozedere (3)
(fett markiert: 5 Kompetenzen, bei denen am häufigsten Schwerpunkte gesetzt wurden)
Tabelle 3 Verbesserung (Vorher-Nachher-Differenz > 0) mit und ohne Schwerpunktsetzung
Verbesserung mit
Schwerpunkt
45 (78) 57,7 %
50 (62) 80,6 %
43 (67) 64,2 %
65 (88) 73,9 %
27 (52) 51,9 %
43 (67) 64,2 %
29 (45) 64,4 %
91 (107) 85,0 %
86 (91) 94,5 %
5 (27) 18,5 %
10 (18) 55,6 %
22 (32) 68,8 %
49 (63) 77,8 %
91 (136) 66,9 %
8 (24) 33,3 %
61 (84) 72,6 %
48 (72) 66,7 %
79 (108) 73,1 %
22 (36) 61,1 %
11 (21) 52,4 %
69 (86) 80,2 %
13 (23) 56,5 %
51 (72) 70,8 %
106 (143) 74,1 %
69 (86) 80,2 %
Verbesserung ohne
Schwerpunkt
74 (186) 39,8 %
118 (206) 57,3 %
96 (201) 47,8 %
97 (180) 53,9 %
81 (216) 37,5 %
79 (201) 39,3 %
97 (223) 43,5 %
101 (161) 62,7 %
120 (177) 67,8 %
40 (241) 16,6 %
39 (250) 15,6 %
80 (235) 34,0 %
75 (205) 36,6 %
60 (132) 45,5 %
28 (244) 11,5 %
83 (184) 45,1 %
88 (195) 45,1 %
85 (159) 53,5 %
61 (232) 26,3 %
48 (247) 19,4 %
83 (182) 45,6 %
52 (245) 21,2 %
99 (196) 50,5 %
73 (125) 58,4 %
105 (181) 58,0 %
Chi- Quadrat
7,118
11,122
5,425
9,864
3,624
12,538
6,595
15,754
24,11
0,064
17,942
14,371
32,891
12,538
8,978
17,557
9,761
10,522
17,672
12,238
28,527
14,259
8,825
7,436
12,682
p
0,008
0,001
0,020
0,002
0,057
0,000
0,010
0,000
0,000
0,800
0,000
0,000
0,000
0,000
0,003
0,000
0,002
0,001
0,000
0,000
0,000
0,000
0,003
0,006
0,000
Exakter Test nach Fischer
p
0,008
0,001
0,024
0,002
0,061
0,001
0,014
0,000
0,000
0,787
0,000
0,000
0,000
0,001
0,007
0,000
0,002
0,001
0,000
0,001
0,000
0,001
0,003
0,009
0,000
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xis eher selten vorkommen („intravenö-
se Injektion“).
Die häufige Priorisierung von „Phar-
makotherapie“ kann unterschiedliche
Gründe haben. Einerseits scheinen die
Studierenden großen Respekt vor der
Komplexität dieses Themenbereichs in
der Hausarztpraxis zu haben, anderer-
seits ist der genaue Umfang der Anforde-
rungen im Rahmen des BPA möglicher-
weise unklar und impliziert für die Stu-
dierenden ein sehr umfassendes phar-
makologisches Wissen. Als Konsequenz
der Erkenntnis, dass die Studierenden in
ihrer Schwerpunktsetzung häufig priori-
sieren und hier ein Bedarf besteht, ha-
ben wir „Pharmakotherapie in Hausarzt-
praxen und Multimedikation“ ins Ab-
schlussseminar des BPA aufgenommen.
Dieser Abschnitt wird von klinischen
Pharmakologen der Universitätsklinik
Frankfurt durchgeführt.
Als weitere praktische Konsequenz
haben uns die positiven Ergebnisse be-
züglich des Lernfortschritts bei Priorisie-
rung bestärkt, die Lehrärzte immer wie-
der auf die frühzeitige Besprechung und
den Stellenwert der Schwerpunktset-
zung und des Austauschs samt Feed-
backgeben hinzuweisen. Aufgrund der
mittleren Anzahl an Schwerpunktset-
zungen empfehlen wir inzwischen, dass
maximal sechs Schwerpunkte gewählt
werden. Dies dient der Übersichtlichkeit
und soll eine Beschränkung auf wichtige
und machbare Kompetenzerweiterung
sicherstellen.
Das Feedbackgeben mithilfe der
Checkliste ist nicht Grundlage der Beno-
tung der Studierenden im BPA, sondern
wird zur formativen Beurteilung heran-
gezogen und dient der Dokumentation
von Stärken und Schwächen der Studie-
renden während der Praktikumszeit. Die
Benotung erfolgt gesondert auf einem Be-
wertungsbogen (summative Beurteilung).
Limitationen unserer Untersuchung
sind, dass nur der subjektive Lernfort-
schritt beurteilt werden konnte, da zwar
die Endeinschätzung der Lehrärzt/in-
nen, aber kein objektiver Ausgangswert
vorlag. Unterschiede in der Ausstattung
der einzelnen Praxen können Einfluss
auf die Häufigkeit der Priorisierung ha-
ben. So kann es beispielweise unter „Ge-
rätediagnostik“ vorkommen, dass in
Praxen keine Ergometrie oder Spirome-
trie durchgeführt werden kann. Auch
wenn während der vorangegangenen
klinischen Ausbildung meist keine oder
wenige Möglichkeiten für die Studieren-
den bestehen, diese Punkte kennen-
zulernen oder zu vertiefen (daher die
niedrige Ansetzung der Kompetenzebe-
ne von 2), kann im BPA keine einheitli-
che Möglichkeit gegeben werden, diese
zu erlernen oder zu vertiefen. Daher
sind die hier präsentierten Häufigkeiten
der priorisierten Kompetenzen „Spiro-
metrie“, „Ergometrie“, „intravenöse In-
jektionen (i.v.)“, „Infusionen zubereiten
und anlegen“ und „Wundbehandlung
akut, chron.“ nicht mit der Häufigkeit
der anderen Lernziele vergleichbar.
Die zugrunde liegenden Daten stam-
men aus dem Jahr 2014 und konnten
abschließend erst 2018 ausgewertet wer-
den. Da sich in diesen Jahren aber keine
Änderungen ergaben, hatte dies keinen
Einfluss auf die Ergebnisse.
Schlussfolgerungen
Durch ein systematisches Festlegen von
Kompetenzen als Lernziele kann die
Wahrscheinlichkeit, einen subjektiven
Lernfortschritt zu erzielen, erhöht wer-
den. Die Studierenden haben die Mög-
lichkeit, sich bereits vor Beginn des BPA
auf die Praxiszeit vorzubereiten, und
können durch die Selbsteinschätzung
ihre Kompetenzen reflektieren und ge-
zielt Schwerpunkte mit den Lehrenden
setzen. Die Checkliste mit Lernzielen
scheint ein Instrument zu sein, das den
Lehrenden ermöglicht, gezielter auf spe-
zifische Bedürfnisse und unterschiedli-
che Kompetenzen der Studierenden ein-
zugehen. Die Checkliste unterstützt
Lehrende gezielt beim Feedbackgeben
und kann durch systematische Fest-
legung bestimmter Kompetenzen als
Lernziele die individuelle Praxisausstat-
tung berücksichtigen.
Weiter untersucht werden muss, ob
der subjektive Lernfortschritt auch ob-
jektivierbar ist.
Danksagung: Wir danken ganz herz-
lich Frau Jeannine Lang, die als studenti-
sche Hilfskraft die Daten für unsere Ana-
lyse eingegeben hat und den Lehrärztin-
nen und Lehrärzten für ihre stete Unter-
stützung bei der Ausbildung der Studie-
renden und der Berücksichtigung der
„Checkliste Lernziele“ im BPA sowie
Philipp Elliott für die Überarbeitung der
englischsprachigen Zusammenfassung.
Interessenkonflikte: keine angege-
ben.
Gisela Ravens-Taeuber
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Zentrum der Gesundheitswissenschaften
Institut für Allgemeinmedizin
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt am Main
frankfurt.de
Korrespondenzadresse
1. Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl. I S. 2405), die durch Artikel 4 der Verordnung vom 17. Juli 2012 (BGBl. I S. 1539) geändert worden ist
2. Himmel W, Kühne I, Chenot J-F, Scheer N, Primas I, Sigle J. Blockpraktikum All-gemeinmedizin. Gesundheitswesen 2004; 66: 457–461
3. Fischer T, Simmenroth-Nayda A, Herr-
mann-Lingen C, et al. Medizinische Basisfähigkeiten – ein Unterrichtskon-zept im Rahmen der neuen Approbati-onsordnung. Z Allg Med 2003; 79: 432–436
Literatur
Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
… ist seit 2002 Mitarbeiterin im Institut für Allgemeinmedizin in
Frankfurt am Main. Dort leitet sie den Arbeitsbereich „Ausbil-
dung“ und ist verantwortlich für die allgemeinmedizinischen
Lehrveranstaltungen und Lehrprojekte, deren Weiterentwick-
lung und Evaluation. Neben Lehrkoordination ist sie noch aktiv
in der Lehrforschung und hält Seminare für Studierende und
Ärzte mit dem Schwerpunkt „Resilienz als Burn-out-Prophylaxe“.
Gisela Ravens-Taeuber …
313
4. Fischer T, Chenot J-F, Simmenroth-Nayda A, Heinemann S, Kochen MM, Himmel W. Learning core clinical skills – a survey at 3 time points during medi-cal education. Med Teach 2007; 29: 397–399
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14. Miller GE. The assessment of clinical skills/competence/performance. Acad Med 1990; 65: 63–67
Ravens-Taeuber et al.:Checkliste Blockpraktikum AllgemeinmedizinChecklist Clerkship Family Medicine
21. JAHRESTAGUNG DER
THURE VON UEXKÜLL-AKADEMIE FÜR INTEGRIERTE MEDIZIN (AIM)
Vertrauen und Traumaals Widerspruch und Wirklichkeit
AB FRANKFURT AM MAIN2019
14November
16-
Erfahren Sie mehrwww.aim.com.de
Eine Tagung über Menschen in Not, auf der Flucht, mit Schmerzen, aber auch mit Wider-standskraft. Von Menschen, die sehr persön-liche Einblicke geben, systemkritische Fragen stellen und die Vertrauen haben: in andere Menschen und in ihr eigenes Tun.
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Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family MedicineDana Loudovici-Krug1,2, Wolfram Linz3, Matthias Psczolla3,4, Ulrich Christian Smolenski1,3, Lothar Beyer3
Hintergrund
Zu den Grundfertigkeiten eines Arztes
gehört seit Beginn medizinischen
Handelns die Untersuchung des Kran-
ken durch Palpation sowie die manuel-
le Behandlung [1]. Viele Schmerzsyn-
drome, wie Gelenk- und Muskel-
schmerz, Rückenschmerz oder Schul-
ter-Nackenschmerz haben eine hohe
Lebenszeitprävalenz [2, 3]. Etwa 27 %
gaben in einer in Deutschland durch-
geführten Querschnittsstudie an, un-
ter Schmerzen zu leiden, die seit mehr
als drei Monaten bestehen [4]. Es ist
anzunehmen, dass die oben genann-
ten Schmerzsyndrome ebenfalls da-
runter zu finden sind.
Die Ursachen muskuloskelettaler
Beschwerden mit reduzierter Lebens-
qualität und Schmerz sind aber nicht
nur Schmerzsyndrome, sondern auch
Funktionsstörungen, die erst sekundär
zu Pathologien führen. Jedoch sind
Funktionsstörungen, wie z.B. einge-
schränkte Gelenkmobilität, Muskelver-
kürzung oder verminderte Bindege-
1 Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena 2 Forschungsberatungsstelle für MM 3 Ärzteseminar Berlin (ÄMM) e.V. 4 DGMSM e.V. – Akademie Boppard Peer-reviewed article eingereicht: 29.06.2018, akzeptiert: 02.09.2018 DOI 10.3238/zfa.2019.0314–0318
Hintergrund: Palpation und manuelle Behandlung von Patienten gehören seit jeher zur ärztlichen Tätigkeit. In der vorliegenden Befragung sollte der Stellenwert der Ma-nuellen Medizin in der täglichen Arbeit von Allgemeinme-dizinern ermittelt werden.Methoden: Ein eigens dafür konzipierter Fragebogen wurde an ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin verschickt. Für diese Auswertung wurden nur die Stimmen der Allgemeinmediziner gezählt. Ergebnisse: 159 Allgemeinmediziner nahmen an der Be-fragung teil. Fast die Hälfte dieser Kolleginnen und Kolle-gen nutzt manualmedizinische Methoden in ihrer tägli-chen Arbeit sowohl diagnostisch (47 %) als auch thera-peutisch (44 %). Für 82 % der Befragten hat die Manual-medizin einen hohen bzw. sehr hohen Stellenwert. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse dieser Studie las-sen vermuten, dass die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin sowohl diagnostisch als auch therapeutisch eine sinnvolle Ergänzung für Allgemeinmediziner bei Patienten mit Bewegungs- und Funktionsstörungen darstellt.
Schlüsselwörter: muskuloskelettale Erkrankungen; manuelle Diagnostik und Behandlung; Funktionsstörungen; Hausarzt
Background: Palpation and manual treatment of pa-tients has always been part of medical treatment. This paper deals with the current role of manual medicine in the daily work of family physicians.Methods: A self-designed questionnaire was sent to members of the German Society of Manual Medicine. Only responses of family physicians were analyzed. Results: 159 family physicians took part in this survey. Almost half of these physicians uses manual methods in their daily routine, for diagnosis (47 %) as well as for treatment (44 %). For 82 % of the interviewees manual medicine plays an important role.Conclusions: The results of this study suggest that a qualification in manual medicine can be a useful supple-ment for family physicians caring for patients with muscu-loskeletal complaints.
Keywords: musculoskeletal diseases; manual diagnostics and therapy; functional motor disorders; family physician
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPER
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webselastizität, mit der entsprechen-den Behandlung häufig noch rever-sibel. Die Manuelle Medizin (MM) istsowohl in ihren Untersuchungsansät-zen und -techniken als auch hinsicht-lich der Therapiemaßnahmen auf dieMinderung und Eliminierung vonFunktionsstörungen spezialisiert underscheint als geeignete Behandlungvon muskuloskelettalen Beschwerden[1, 5, 6].
So wurden als mögliche Ursachenfür den spezifischen Rückenschmerz zwei funktionelle Entitäten, die soge-nannte Blockierung, eine Hypomobili-tät im Bereich der Wirbelgelenke unddie myofasziale Dysfunktion in dieS2k-Leitlinie „Spezifischer Kreuz-schmerz“ aufgenommen [7]. Ebensowird auch in der nationalen Versor-gungsleitlinie für den unspezifischen Kreuzschmerz MM bzw. Manuelle The-rapie (MT) empfohlen [8]. Die MT wird in Deutschland von Physiotherapeuten durchgeführt. In der MM hat es in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Ent-wicklung weg von der Manipulation (Impuls mit kleiner Amplitude, aber ho-her Geschwindigkeit) hin zur sanften und gezielten Mobilisation an Gelen-ken, Muskeln und Bindegewebe gege-ben. Bisherige größere Reviews beziehen sich praktisch ausschließlich auf Mani-pulationen an der Wirbelsäule oder chronische Schmerzen [9]. Die Bedeu-tung der MM liegt aber nicht nur in dermanuellen Auffindung der Dysfunktio-nen am Bewegungssystem, sondern viel-mehr in der Vermeidung chronifizieren-der Prozesse durch frühzeitige spezi-fische Behandlung.
Dementsprechend erscheint dieMM nicht nur für Fachärzte und Fach-ärztinnen der Physikalischen und Reha-bilitativen Medizin (PRM) bzw. Ortho-pädie/Unfallchirurgie interessant, son-dern zunehmend auch für Allgemein-mediziner. Ein großer Teil der Beschwer-den der Patienten und Patientinnenauch in allgemeinärztlichen Praxen be-zieht sich auf muskuloskelettale Funk-tionsstörungen [10, 11]. Das Anliegender Zusatzweiterbildung „MM/Chiro-therapie“ ist auch die „feste Etablierung [der MM] in der hausärztlichen Primär-versorgung“ [12]. An anderer Stelle wird analog die Verortung der Weiterbildung für MM, neben der Orthopädie, gleich-falls in der Allgemeinmedizin gefordert [13].
Gemäß der aktuellen Weiterbil-dungsordnung der Bundesärztekammer unterteilt sich diese Weiterbildung in ei-nen Grundkurs mit 120 Unterrichtsein-heiten (UE) und einen anschließenden Aufbaukurs mit 200 UE (Details bei [6] S. 49).
Die Deutsche Gesellschaft für Manu-elle Medizin konzipierte für die vorlie-gende Studie einen Fragebogen zum Thema „Welche Rolle spielt die MM in Ihrer ärztlichen Tätigkeit“, der die An-wendungsmöglichkeiten der MM in der täglichen Patientenversorgung abbilden sollte. Ziel war es, darzustellen, wie ma-nualmedizinisch arbeitenden Ärzte und Ärztinnen für Allgemeinmedizin den Einsatz der MM einschätzen.
Abbildung 1 Tägliche Anzahl von Patienten mit MM-Befund unter Allgemeinmedizinern (n = 158)
Abbildung 2 Anteil MM in der Diagnostik
(n = 159)
Abbildung 3 Anteil MM in der Therapie
(n = 159)
Abbildung 4 Stellenwert der MM im
eigenen diagnostischen Spektrum von
Allgemeinmedizinern (n = 158)
Loudovici-Krug et al.:Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family Medicine
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Methoden
Der Fragebogen wurde zusammen mit
der Forschungsberatungsstelle für MM
mit Sitz am Institut für Physiotherapie
des Universitätsklinikums Jena ent-
wickelt. Folgende Unterpunkte wurden
in zwölf Fragen eingebaut (Tab. 1):
• Berufliche Aspekte: Arbeitsbereich,
Facharztrichtung, Tätigkeitsschwer-
punkte,
• allgemeine Anwendung der MM: akut/
chronisch; muskuloskelettal/kardio-
pulmonal/intestinal,
• prozentuale Häufigkeit der diagnosti-
schen und therapeutischen Anwen-
dung der MM bezogen auf alle medizi-
nischen Maßnahmen,
• prozentuale Häufigkeit der Anwen-
dung von weiterführender Therapie
bei MM-Befund,
• Stellenwert der MM.
Der Fragebogen zielt konkret auf Aus-
sagen zur manualmedizinischen An-
wendung; auf weitere demographische
Erhebungen, wie Alter und Geschlecht,
wurde verzichtet, um die ärztliche Tätig-
keit in den Fokus zu rücken. Ein Ethik-
votum wurde nicht eingeholt.
Ende 2016 wurde der Fragebogen
einmalig an die einzelnen Mitglieder der
DGMM-Seminare per E-Mail oder, wenn
keine E-Mail-Adresse vorlag, postalisch
verschickt. Die ärztlichen Mitglieder
von zwei der drei Mitgliedsgesellschaf-
ten wurden zur Teilnahme an der Befra-
gung gebeten: Ärztevereinigung für Ma-
nuelle Medizin (ÄMM) und Deutsche
Gesellschaft für muskuloskelettale Me-
dizin (DGMSM). Die Anzahl der All-
gemeinmediziner beläuft sich dabei auf
ca. 500. Die genaue Zahl kann nicht an-
gegeben werden, da prinzipiell alle ärzt-
lichen Mitglieder (n = 2475) angeschrie-
ben wurden, bei manchen aber nicht die
weiterführende Facharztrichtung einge-
tragen war, sondern lediglich „Arzt“. Ei-
ne erneute Erinnerung per Mail wurde
nicht durchgeführt.
Im Fall unvollständig ausgefüllter
Fragebogen wurden nur die beantworte-
ten Fragen in der Auswertung berück-
sichtigt, sodass sich die Gesamtzahl bei
den verschiedenen Punkten ggf. unter-
scheidet.
Ergebnisse
Insgesamt konnten die Antwortbögen
von 438 TeilnehmerInnen (TN) aller
Fachbereiche ausgewertet werden. Die
Anzahl der Allgemeinmediziner bezieht
sich dabei auf 159 Ärzte und Ärztinnen,
deren Einschätzung hier dargestellt
wird. Dies sind ca. 30 % der angeschrie-
benen Allgemeinmediziner.
Neben dem Facharzt (FA) für All-
gemeinmedizin gaben elf Ärzte noch ein
weiteres FA-Zertifikat an (Orthopädie,
PRM, Pädiatrie, Anästhesie) bzw. eine
weitere Zusatzweiterbildung (Sport-
medizin, Arbeitsmedizin). Der Großteil
der Allgemeinmediziner ist in einer am-
bulanten Praxis tätig (n = 121), weitere
37 TN speziell in einer Privatpraxis. Als
besonderer Tätigkeitsschwerpunkt wird
von den meisten die Akupunktur
(n = 68) genannt, an zweiter Stelle die
Schmerztherapie (n = 38) und an dritter
Stelle Kinderbehandlung (n = 16) bzw.
Psychotherapie (n = 15). Als sonstiger
Schwerpunkt (n = 46) wurden MM, Os-
teopathie, Chirotherapie, Sportmedizin
und Naturheilkunde erwähnt.
Im Durchschnitt werden von den
befragten Allgemeinmedizinern täglich
Loudovici-Krug et al.:Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family Medicine
1. In welchem Arbeitsbereich sind Sie beschäftigt?
2. In welcher FA-Richtung sind Sie tätig?
3. Haben Sie besondere Tätigkeitsschwerpunkte?
4. a) Bei welchen Erkrankungen wenden Sie die Manuelle Medizin vorwiegend an:
b) Bei welchen Erkrankungen wen-den Sie die Manuelle Medizin vorwiegend an:
5. Wie groß ist der Anteil der Manuel-len Medizin in Ihrem Praxisalltag hinsichtlich der DIAGNOSTIK?
6. Wie groß ist der Anteil der Manuel-len Medizin in Ihrem Praxisalltag hinsichtlich der THERAPIE?
7. a) Wie viele Patienten behandeln Sie PRO TAG in einer durch-schnittlichen Arbeitswoche?
b) Wie viele davon mit MANUALME-DIZINISCHEM BEFUND?
(Fragen 8–10 beziehen sich auf alle Patienten mit MANUALMEDIZINISCHEM BEFUND)
8. Wie groß ist der Anteil verordneter Manueller Therapie als Rezept pro Tag in einer durchschnittlichen Ar-beitswoche?
9. Wie groß ist der Anteil von sonsti-gen Verordnungen (Krankengym-nastik, Sporttherapie, etc.) in einer durchschnittlichen Arbeitswoche?
10. Wie häufig leiten Sie Ihre Patien-ten zu Eigenübungen an?
11. a) Wie oft empfehlen Sie Ihren Pa-tienten Präventionsangebote?
b) Falls ja, welche?
12. Welchen Stellenwert messen Sie der Manuellen Medizin in Ihrem diagnostischen Spektrum bei?
Tabelle 1 Fragebogen zur Anwendung der Manuellen Medizin
Krankenhaus, Reha-Klinik, Arztpraxis/MVZ, Privatpraxis
Allgemeinmedizin, Neurologie, Pädiatrie, PhysRehabMedizin, Anästhe-sie, Orthopädie/Chirurgie, Sonstige
Schmerztherapie operative Therapie Akupunktur/Neuraltherapie, Kinderbe-handlung, Psychotherapie, Sonstige
a) bei akuten, bei chronischenb) Bewegungssystem betreffend, kar-
diopulmonale, intestinale, Sonstige:
(0–100 % in 10er Schritten)
(0–100 % in 10er Schritten)
a) …b) keine, 1–5x/Tag, 6–10x/Tag, > als
10x/Tag
(0–100 % in 10er Schritten)
(0–100 % in 10er Schritten)
(0–100 % in 10er Schritten)
a) gar nicht, mehr als 1x/Monat, mehr als 1x/Woche, täglich
b) …
gar keinen, gering, mittel, hoch, sehr hoch
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317
Dana Loudovici-Krug
Institut für Physiotherapie
Universitätsklinikum Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
Tel.: 03641 9325280
Korrespondenzadresse
53 Patienten behandelt. Die Verteilung
der Patienten mit MM-Befund ist relativ
identisch hinsichtlich der Auswahlmög-
lichkeiten (> 10/Tag, 6–10/Tag und
1–5/Tag; Abb. 1). Zwei Drittel der TN ge-
ben an, dass täglich mehr als sechs bzw.
mehr als zehn Patienten mit MM-Be-
fund in Ihrer Praxis vorstellig werden.
Die MM wird von den TN vorrangig
bei muskuloskelettalen Beschwerden
eingesetzt (n = 157). Allerdings werden
bestimmte Techniken auch bei kardio-
pulmonaler (n = 12) oder intestinaler In-
dikation (n = 21) genutzt, worauf an die-
ser Stelle nicht weiter eingegangen wer-
den soll. Fast die Hälfte der genutzten
Verfahren durch die TN entspricht ma-
nualmedizinischen Maßnahmen; so-
wohl diagnostisch als auch therapeu-
tisch (Abb. 2 und 3).
Des Weiteren wurden weiterfüh-
rende Behandlungen für Patienten mit
MM-Befund erfragt. 53 % gaben die re-
gelmäßige Anleitung ihrer Patienten
zu Eigenübungen an. 24 % der TN re-
zeptieren die Weiterbehandlung mit
Manueller Therapie und 27 % der TN
gaben an, sonstige das Bewegungssys-
tem betreffende ambulante Therapien
zu verordnen (Krankengymnastik,
Sporttherapie etc.). Zirka die Hälfte der
Befragten gibt täglich bewegungsthe-
rapeutische Empfehlungen zu weiter-
führenden Präventionsangeboten
(n = 77).
Die abschließende Frage zum per-
sönlichen Stellenwert der MM bezogen
auf das eigene diagnostische Spektrum
spiegelt diese Ergebnisse wider (Abb. 4).
Für 82 % der teilnehmenden Allgemein-
mediziner spielt die MM eine wichtige
bzw. sehr wichtige Rolle.
Diskussion
Ein Großteil der TN gibt an, täglich
mehrmals Patienten mit MM-Befund
zu versorgen, was sowohl die Bedeu-
tung der manuellen Diagnostik und
manuellen Behandlung als auch die
Sinnhaftigkeit einer erworbenen Zerti-
fikatweiterbildung in MM unter-
streicht. Obwohl die TN fast jeweils zur
Hälfte angegeben haben, die einzelnen
Maßnahmen des manualmedizi-
nischen Spektrums zu nutzen, sind die
behandelten Beschwerdebilder durch
unseren Fragebogen nicht erfasst wor-
den. Nach den hier dargestellten Ergeb-
nissen erscheint es erforderlich, in wei-
teren Studien die Inzidenzen der mit
MM behandelten Beschwerdebilder zu
erheben, sowie den Behandlungsablauf
als auch den Behandlungserfolg zu do-
kumentieren.
Die MM zielt auf die Therapie von
Funktionsstörungen des Bewegungs-
systems. Damit offeriert sie als Zusatz-
weiterbildung auch Allgemeinmedizi-
ner eine Behandlungsoption für Pa-
tienten, die wegen Rücken-, Gelenk-
oder muskulären Beschwerden ihren
Hausarzt aufsuchen. Knüpfer et al.
konnten mittels semistrukturierter In-
terviews zeigen, dass der hohe Stellen-
wert durch den unabdingbaren direk-
ten Kontakt mit den Patienten einher-
geht [14]. Auch in der vorliegenden Be-
fragung wird die MM von drei Viertel
der TN als wichtig oder sogar sehr wich-
tig eingestuft.
Schmerzen im Bewegungssystem
insbesondere auch die Beschwerden
und Schmerzen im Nacken und Schul-
terbereich, wie sie häufig an Bild-
schirmarbeitsplätzen und auch schon
im Schulalter auftreten, sind gekenn-
zeichnet von einer Multikausalität, die
von den gängigen ICD10-Diagnosen
nicht abgebildet wird. Bei den schmerz-
haften Beschwerden des muskuloske-
lettalen Systems steht bislang der
Schmerz im Vordergrund, während die
funktionellen Störungen sowie psy-
chische Faktoren bisher unzureichend
untersucht wurden. Dies ist möglicher-
weise ein Grund, weshalb die Nachfra-
ge nach manueller Diagnostik und Be-
handlung (häufig weniger differenziert
unter dem Begriff der Osteopathie de-
klariert) gestiegen ist. Inzwischen sind
auch die funktionellen Entitäten „Hy-
pomobilität der Wirbelgelenke“ und
„myofasziale Dysfunktion“ als Ursa-
chen spezifischer Rückenschmerzen in
die dementsprechende Leitlinie einge-
gangen, wobei die MM als Behand-
lungsoption empfohlen wird [7, 15].
In der Darstellung eines Tagespro-
fils in einer manualmedizinisch tätigen
Allgemeinarztpraxis wird konstatiert,
dass die Patientenzahl mit manualme-
dizinischer Indikation proportional zu
Erfahrung und Qualifikation des Be-
handlers steigt, die zusätzlich auf-
gewendete Zeit jedoch im Verhältnis
zur hohen Effektivität der Behandlung
steht [1].
Als eine Limitation der Umfrage ist
die relativ geringe Rücklaufquote von
ca. 30 % zu werten. Die Gruppe der All-
gemeinmediziner mit der Zusatzquali-
fikation MM, deren Antworten hier
dargestellt sind, war dementsprechend
klein (n = 159). Des Weiteren wurden
ausschließlich Mitglieder der DGMM
befragt. Es ist davon auszugehen, dass
auf diesem Weg nicht alle Ärzte Ärztin-
nen erreicht wurden, die über die Zu-
satzqualifikation MM in Deutschland
verfügen.
Ein weiterer Punkt ist der Fragebo-
gen, der bislang durch keine Validie-
rung oder vorhergehende Testung be-
stätigt wurde. Demzufolge ist eine Wei-
terentwicklung auf Grundlage der bis-
herigen Ergebnisse anzustreben.
Interessenkonflikte: Dana Loudovi-
ci-Krug gibt an, dass die Forschungsbera-
tungsstelle Manuelle Medizin von der
„Deutschen Stiftung Manuelle Medizin“
gefördert wird. Die anderen Autoren ge-
ben keine Interessenkonflikte an.
Loudovici-Krug et al.:Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family Medicine
… ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Physiotherapeutin am
Institut für Physiotherapie des Universitätsklinikums Jena. Des
Weiteren begleitet sie die Forschungsberatungsstelle für Manu-
elle Medizin (MM), gefördert von der Stiftung für MM.
Dana Loudovici-Krug …
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
318
1. Schulze B, Beyer L. Tagesprofile eines manualmedizinisch tätigen Allgemein-mediziners. Man Med 2007; 45: 137–140
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8. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärzt-liche Bundesvereinigung (KBV), Ar-beitsgemeinschaft der Wissenschaftli-chen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleit-linie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Langfassung, 2. Auflage, Version 1, 2017. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-007l_S3_Kreuzschmerz_20 17-03.pdf (letzter Zugriff am 30.09. 2018)
9. Rubinstein SM, Terwee CB, Assendelft WJ, de Boer MR, van Tulder MW. Spinal manipulative therapy for acute low-back pain. Cochrane Database Syst Rev 2012; 9: CD008880
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und_weichteilkrankheiten/article/428 521/hohe-kosten-durch-muskuloskelet tale-erkrankungen.html?sh=204&h=-1 20347666 (letzter Zugriff am 11.10.18)
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Literatur
Loudovici-Krug et al.:Die Zusatzweiterbildung Manuelle Medizin als sinnvolle Ergänzung für die AllgemeinmedizinThe Additional Qualification “Manual Medicine“ as a Meaningful Supplement for Family Medicine
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie ganz herzlich zur jährlichen Mitgliederversammlung der DEGAM einladen (entspr. § 6, Abs. 1 der DEGAM-Satzung). Diese findet statt am Donnerstag, 12. September 2019 um 18:45 Uhr (Ende ca. 20:15 Uhr) im Universitätsklinikum Erlangen, Maximiliansplatz 2, 91054 Erlangen.
Die Mitgliederversammlung ist wie jedes Jahr in unseren wissenschaftlichen Kongress eingebunden.
Bitte beachten Sie:Da die Dauer der Versammlung durch das Kongressprogramm begrenzt ist, werden die Berichte sehr kurz gefasst und in schriftlicher Form, u.a. in der ZFA und auf der DEGAM-Website (interner Bereich) vorgelegt.
Tagesordnung (Stand 17. April 2019)
1. Begrüßung, Feststellung der Beschlussfähigkeit, Genehmigung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung, Genehmigung der Tagesordnung
2. Gedenken an die verstorbenen Mitglieder 3. Bericht der Präsidentin und des Geschäftsführers 4. Bericht des Schatzmeisters und der Kassenprüfer 5. Bericht der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin 6. Entlastung 7. Wahlen des Präsidiums, der Sektionssprecher und Stellvertreter sowie des Vorstands der Stiftung 8. Bericht über die DEGAM-Leitlinienarbeit 9. Bericht der Jungen Allgemeinmedizin Deutschlands (JADE)10. Sonstiges
Prof. Dr. Erika Baum, Präsidentin
Prof. Dr. Anne Simmenroth, Schriftführerin
Einladung zur Mitgliederversammlung der DEGAM
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319DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLE
Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungErfahrungsbericht zur Teilnahmebereitschaft von Hausärztinnen und Hausärzten
Communication-based Intervention Studies in Family Practice
Experiences With Participation, Recruitment and Motivation of Study Practices
Verena Leve1, Simone Steinhausen2, Marie Ufert1, Michael Pentzek1, Achim Mortsiefer1, Sara Santos1, Anja Wollny3, Bettina Haase3, Ottomar Bahrs1, Susanne Heim4, Karl-Heinz Henze5, Iris Tinsel6, Susanne Löscher1, Norbert Donner-Banzhoff7, Charles Christian Adarkwah7,8, Frank Vitinius9, Edmund Neugebauer10, Stefan Wilm1
1Institut für Allgemeinmedizin (ifam), Medizinische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2Köln 3Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsmedizin Rostock 4Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsmedizin Göttingen 5Lou Andreas-Salomé Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie, Göttingen 6Lehrbereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwig-Universität Freiburg 7Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Philipps-Universität Marburg 8Lehrstuhl für Versorgungsforschung, Fakultät für Lebenswissenschaften, Universität Siegen 9Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinik Köln 10Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Campus Neuruppin Peer-reviewed article eingereicht: 12.09.2018, akzeptiert: 07.12.2018 DOI 10.3238/zfa.2019.0319–0324
Zusammenfassung: Hausärztinnen und Hausärzte sind zentrale Partner in der allgemeinmedizinischen Forschung. Aber Forschung ist nicht Teil des hausärztlichen Versor-gungsalltags. Hausärzte und Hausärztinnen für die Betei-ligung an Forschung zu interessieren und zu gewinnen, stellt allgemeinmedizinische Forschungsinstitute vor be-sondere Herausforderungen. In einem eintägigen Workshop diskutierten 23 Vertreter/innen aus acht allgemeinmedizinischen Studiengruppen ihre Erfahrungen zur Teilnahmebereitschaft von Hausarzt-praxen an Interventionsstudien zur Gesprächsführung. Die Erfahrungen zeigen, dass es bereits bei der Erarbeitung der Forschungsfrage und der Planung des Studiendesigns notwendig ist, den hausärztlichen Versorgungsalltag kon-kret abzubilden. Insbesondere bei Forschung zu Ge-sprächsführung gilt es, Kommunikationskompetenzen der Hausärztinnen und -ärzte angemessen zu berücksichtigen. Der Einsatz hausärztlicher Peers bei der Vermittlung von Gesprächstechniken hat sich als hilfreich erwiesen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Kompetenzen und Lernbedürfnisse gibt es bei hausärztlichen Studienärzten unterschiedliche Erwartungen an Studien zur Gesprächs-führung. Dies erfordert auch auf Seiten des Forschungs-teams besondere Flexibilität.
Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin; Versorgungsforschung; Kommunikation; Gesprächsführung; Praxisrekrutierung
Abstract: Family physicians are important partners in family practice research. To get practices actively involved in research activities is one of the most challenging aspects. Therefore the experience gained by 23 representatives from eight family medicine research groups during com-munication-based intervention studies with family prac-tices, were identified. The researchers discussed their ex-periences with participation, recruitment and motivation of study practices. Results show that an early involvement of family physicians in identifying relevant research questions and in devel-oping concrete study designs is important to assure prac-tice relevance and transferability. In research on patient-doctor communication, family physicians’ expertise needs to be taken into account to increase practitioners’ willing-ness to participate. Peer training strategies have been shown to be useful in improving communication skills.With regard to individual competences and learning needs, family physicians show a broad range of expec-tations of communication-based interventions. Therefore, research teams need to provide flexibility to meet partici-pants’ needs and expectations.
Keywords: family practice; health service research; communi-cation; participant recruitment
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320
Hintergrund
Ein Ziel allgemeinmedizinischer For-
schung ist es, Strukturen, Prozesse und
Interaktionen im hausärztlichen Praxis-
alltag zu verstehen und zur Versorgungs-
verbesserung beizutragen. Dabei gilt es,
zum einen aus dem Erleben des Praxisall-
tags heraus gemeinsam mit Hausärzten
relevante Forschungsfragen zu generie-
ren. Zum anderen wird in allgemeinme-
dizinischen Praxen Forschung umge-
setzt. Die hausärztliche Praxis steht als
Forschungspartner im Mittelpunkt [1].
Hausarztpraxen für Studien zu ge-
winnen und zur kontinuierlichen Studi-
enteilnahme zu motivieren ist in all-
gemeinmedizinischen Forschungspro-
jekten eine besondere Herausforderung
[1, 2, 3, 4, 5]. Als förderlich für die Teil-
nahmemotivation von Hausarztpraxen
an Forschungsprojekten werden die Re-
levanz des zu untersuchenden Themas
für die eigene Praxis, der geringe zeitli-
che Aufwand sowie die Beteiligung bei
der Entwicklung von Forschungsfragen
und Forschungsprozessen benannt [1, 2,
5, 6, 7, 8]. Ausgehend von dem Zusam-
menhang zwischen der Relevanz des
Themas für die eigene hausärztliche Tä-
tigkeit und der Beteiligung an all-
gemeinmedizinischer Forschung stellt
sich die Frage, ob sich aus Interventions-
studien zur Gesprächsführung Beson-
derheiten für die Gewinnung von Studi-
enpraxen ableiten lassen.
Das Gespräch mit Patientinnen und
Patienten ist ein zentrales Element jeder
ärztlichen Tätigkeit [9]. Kommunikative
Fähigkeiten und die ärztliche Ge-
sprächsführung machen eine wesentli-
che hausärztliche Kernkompetenz aus.
In der Art der Gesprächsführung kom-
men das hausärztliche Handeln und das
eigene hausärztliche Selbstverständnis
zum Ausdruck. Allgemeinmedizinische
Forschung zur Gesprächsführung und
kommunikationsbasierte Interventio-
nen berühren demnach einen zentralen
Bereich hausärztlicher Identität. Der
vorliegende Beitrag geht daher der Frage
nach, ob für die Gewinnung von haus-
ärztlichen Praxen für Forschungsprojek-
te zur Gesprächsführung besondere Vo-
raussetzungen bestehen, die von bishe-
rigen Erkenntnissen zur hausärztlichen
Studienbeteiligung abweichen.
Austausch zur Beteiligung an Forschungsprojekten
Ausgehend von den dargestellten Über-
legungen wurden in einem eintägigen
Workshop zu Erfahrungen in der Durch-
führung von Interventionsstudien zur
Gesprächsführung in der Primärversor-
gung folgende Fragen diskutiert:
• Wie können Hausarztpraxen erfolg-
reich für Interventionsstudien zur Ge-
sprächsführung rekrutiert werden?
• Welche themenspezifischen Heraus-
forderungen für die Teilnahme gibt es?
• Wie können Studienärzte und -innen
motiviert werden, trotz zusätzlichen
zeitlichen Aufwands an Kommunikati-
onstrainings teilzunehmen?
Am Workshop nahmen Vertreter von
sieben allgemeinmedizinischen Institu-
ten, einem medizinsoziologischen Insti-
tut sowie weitere Forschungseinrichtun-
gen (Psychosomatik, Operative Medizin
etc.) aus insgesamt acht Forschungs-
gruppen teil. Am Bespiel konkreter For-
schungsprojekte wurden die o.a. Fra-
gestellungen in der multiprofessionel-
len Gruppe (Allgemeinmedizin, Psycho-
logie, Soziologie, Public Health, Ge-
sundheitsökonomie u.a.) diskutiert. Der
Workshop wurde audioaufgezeichnet
und anschließend mittels eines Matrix-
verfahrens ausgewertet [10]. Hierzu wur-
de ein einfaches Matrixverfahren ge-
nutzt, das eine Projektspezifische sowie
themenspezifische Zuweisung der er-
fassten Ergebnisse ermöglichte.
Die in Tabelle 1 vorgestellten Inter-
ventionsstudien für Hausärztinnen und
Hausärzte1 haben zum Ziel, Techniken
zur Gesprächsführung mit Patientinnen
und Patienten zu vermitteln. Die Inter-
ventionen zur Gesprächsführung wer-
den im Rahmen von Fortbildungen ver-
mittelt, die sich in Aufbau, Zielsetzung
als auch hinsichtlich didaktischer Me-
thoden unterscheiden. Eingesetzt wer-
den z.B. Fortbildungen zu Entschei-
dungshilfen auf freiwilliger Basis, Fortbil-
dungen zu Gesprächstechniken wie nar-
rativer Gesprächsführung oder zu Bilan-
zierungsdialogen sowie Kommunikati-
onstrainings zur allgemeinen Gesprächs-
strukturierung und gemeinsamer Ent-
scheidungsfindung. Die Vermittlung
von Gesprächstechniken erfolgt in un-
terschiedlichen Settings von peer educa-
tional outreach visit (Eins-zu-eins-Kon-
takt) bis zu Gruppen von bis zu 12 Teil-
nehmenden. Didaktisch kommen über-
wiegend Impulsreferate in Verbindung
mit Rollenspielen und Kleingruppen-
arbeiten zum Einsatz. Ein Teil der Ange-
bote wird auch als onlinebasierte Semi-
nare (Webinare) durchgeführt.
Ergebnisse zur Gewinnung von hausärztlichen Studienpraxen
Allgemeine Ansprache
Die erste Studieninformation zu For-
schungsprojekten zur Gesprächsfüh-
rung erfolgt i.d.R. postalisch oder über
Fax-Anschreiben.
Auf die erste schriftliche Projekt-
information folgen i.d.R. telefonische
Kontaktaufnahmen. Die Studiengrup-
pen haben hierfür Telefonleitfäden mit
Informationen zum Studiendesign, dem
zu erwartenden Zeitaufwand und spezi-
fischen Mehrwert für die Gesprächsfüh-
rung im Praxisalltag entwickelt. Projekt-
mitarbeiter/innen benötigen für die An-
sprache von Studienärztinnen und -ärz-
ten ausgeprägte Kommunikationsfähig-
keiten, die ggfs. in Rollenspielen trainiert
werden. Außerdem sollten sie für Abläu-
fe und Probleme des hausärztlichen Pra-
xisalltags sensibilisiert sein.
Spezifische Zugänge zu Studienpraxen
In den diskutierten Interventionsstudien
kamen vor allem regionale Netzwerke
von forschungsinteressierten Hausarzt-
praxen zum Einsatz. Der Aufbau eines
Forschungspraxen-Netzwerks durch ein
allgemeinmedizinisches Institut oder im
Verbund mit mehreren Standorten er-
leichtert aus Sicht der Workshop-Teil-
nehmenden die Rekrutierung für For-
schungsprojekte. Weitere Möglichkeiten
zur Ansprache ergeben sich bei Lehrarzt-
treffen, in Qualitätszirkeln oder anderen
Fortbildungen. Das Forschungsvorhaben
kann so im direkten Kontakt einer größe-
ren Gruppe von potenziell Interessierten
vorgestellt werden. Der Sorge vor Bewer-
tung der individuellen Fähigkeiten zur
1 In der CoTrain-Studie wurde eine Intervention zur Gesprächsführung zunächst unter Beteiligung von Hausärztinnen und -ärzten entwickelt. Die Interventionsstudie befindet sich derzeit in der Planung.
Leve et al.:Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungCommunication-based Intervention Studies in Family Practice
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321
Gesprächsführung im Rahmen des For-
schungsprozesses kann im offenen Ge-
spräch mit potenziellen Studienpraxen
dann direkt begegnet werden.
Kontextbezug in der Ansprache
Aus Sicht der Workshop-Teilnehmen-
den bedarf es einer konkreten Zielfor-
mulierung, die sowohl Hauptanliegen
des Forschungsprojekts als auch positive
Effekte für die Studienärzte benennt. Als
wirksam erweist sich dabei, individuelle
Effekte wie Zeitersparnis durch effektive
und strukturierte Kommunikation so-
wie die Steigerung der Zufriedenheit mit
der eigenen Tätigkeit durch neue Ge-
sprächstechniken konkret zu benennen.
Bei zu abstrakten Fragestellungen
oder Zielen bleibt möglicherweise un-
klar, warum erhoffte Effekte sich einstel-
len sollten. So kann beispielsweise das
allgemeine Ziel, die Versorgung zu ver-
bessern, vor dem Hintergrund der erleb-
ten Komplexität der hausärztlichen Ver-
sorgungssituation und den Lebenswirk-
lichkeiten der Patienten und Patientin-
nen einer skeptischen Haltung gegen-
über der Studie münden.
Forschungspraxen als Forschungspartner
Studienärztinnen und -ärzte als Mitgestal-
tende einzubinden hat sich in den dis-
kutierten Forschungsprojekten als hilf-
reich erwiesen. Insbesondere bei der For-
mulierung und Schärfung von For-
schungsfragen sowie bei der Entwicklung
von Interventionen zur Gesprächsfüh-
rung ergeben sich vielfältige Beteiligungs-
möglichkeiten. Bei der Umsetzung von
Wirksamkeitsstudien hingegen wird die
Beteiligung von Studienpraxen an der
Entwicklung des Studiendesigns kritisch
diskutiert, sowohl aus methodischer als
auch forschungsethischer Sicht.
Ergebnisse zur Teilnahmemotivierung
Praxisrelevanz der Gesprächstechnik
Es hat sich bewährt, den Mehrwert für
die eigene hausärztliche Tätigkeit dar-
zustellen, der sich durch eine Studien-
teilnahme und ganz konkret durch die
Teilnahme an Interventionselementen
wie Fortbildungen ergibt. Die Vorausset-
zung für eine solche Bewertung durch
Studienärzte und -ärztinnen ist, dass aus
dem Alltagserleben heraus ein Problem
besteht und ein Interesse an Handlungs-
strategien zur Lösung dieses Problems
geweckt werden kann. Folgende Infor-
mationen und Vorgehensweisen haben
sich bei der Motivierung der Hausarzt-
praxen aus Sicht der Workshop-Teilneh-
menden als hilfreich erwiesen:
• Herausforderung der Versorgungs-
situation konkret benennen, für die
die jeweilige Maßnahme geeignet er-
scheint (z.B. schwierige Gespräche,
schwierige Anlässe, Zeitdruck etc.),
• Interventionen als relevant für die
hausärztliche Versorgung, praxisnah
und interessant herausstellen,
• Leitung der Fortbildung durch haus-
ärztliche Peer-Trainer/innen und ggf.
weitere Expertinnen und Experten.
Die Fortbildung zur Gesprächsfüh-
rung findet ausschließlich in einer
Gruppe von Hausärztinnen und -ärz-
ten statt,
• Studiendurchführung am hausärzt-
lichen Alltag ausrichten (begrenzter
Umfang und Art der Erhebungen in
der Praxis, Trainingszeiten mitt-
wochs-, freitagsnachmittags oder ggf.
an Wochenenden etc.),
• Aufwand für die Studienpraxen kon-
kret benennen wie beispielsweise die
Dauer von Fortbildungen, begrenzte
Einbindung von medizinischen Fach-
angestellten beispielsweise bei Video-
aufzeichnungen und Befragungen von
Patientinnen und Patienten,
• aktuelle Entwicklungen in der Praxis
(Erkrankungswellen, Abrechnungen
etc.) sowie jahreszeitlicher Kontexte
(Urlaubszeiten, Festtage etc.) und de-
ren mögliche Auswirkungen auf die
Umsetzung der erlernten Gesprächs-
techniken berücksichtigen,
• teilnehmende Hausärztinnen und
-ärzte als Experten mit langjähriger Er-
fahrung in der Arzt-Patient-Kommuni-
kation anerkennen,
• Auswertungen/Ergebnisse für die ein-
zelne Praxis aufbereiten beispielsweise
über Videofeedbacks durch hausärztli-
che Trainer.
Einsatz von finanziellen oder materiellen Anreizen
Inwiefern der Einsatz von finanziellen
oder materiellen Anreizen im Sinne einer
Entschädigung für zusätzliche studien-
bezogene Leistungen oder bei Verdienst-
ausfall zu einer Steigerung der Teilnahme-
bereitschaft beiträgt, wird kritisch dis-
kutiert. Die Erfahrungen zu Interventi-
onsstudien zur Gesprächsführung zeigen,
dass Anreize bei der ersten Ansprache
grundsätzlich positiv von Hausärztinnen
und -ärzten wahrgenommen werden. Für
die durchgängige Studienbeteiligung kön-
nen allerdings nur bedingt positive Effek-
te durch Anreizsysteme erzielt werden.
Mögliche Ursachen hierfür können
sein:
• Im Rahmen von öffentlich geförderten
Forschungsprojekten zur Gesprächs-
führung ist es schwierig, hohe Auf-
wandsentschädigungen, Fallpauscha-
len oder eine hohe Anzahl von Fortbil-
dungspunkten für die Studienärztin-
nen und -ärzte anzubieten. Nur sehr
selten ist die Anschaffung von medizi-
nischen oder anderen Geräten wie
Tablets o.ä. gerechtfertigt, die nach er-
folgreicher Studienteilnahme in das
Praxiseigentum übergehen und somit
als zusätzlicher Anreiz gelten können.
• Durch Anreize und daran geknüpfte
vertragliche Vereinbarungen steigt das
Maß an Verbindlichkeit. Allerdings
zeigen die Erfahrungen der Workshop-
Teilnehmenden, dass gerade bei Inter-
ventionsstudien zur Gesprächsfüh-
rung diese Verbindlichkeit zu eher ab-
lehnenden Haltungen führen können.
Studienärztinnen und -ärzten scheint
es wichtig zu sein, zunächst Ge-
sprächstechniken im Detail kennen-
zulernen und zu prüfen ob sie mit eige-
nen Handlungsmustern und Haltun-
gen vereinbar sind, bevor verbindliche
Vereinbarungen eingegangen werden.
Förderung von Kompetenzerleben im Forschungsprozess
Eigene Erfahrungen in der Kommuni-
kation können leichter im Austausch
mit hausärztlich tätigen Kollegen
und Kolleginnen erkannt und be-
nannt werden. Die Möglichkeit, eige-
ne Fälle einzubringen und in Rollen-
spielen/Kommunikationsübungen zu
bearbeiten, kann die Auseinanderset-
zung mit den eigenen Kommunikati-
onsstrategien fördern.
Teilnehmende werden dann moti-
viert, wenn ihre Kommunikations-
fähigkeiten wertgeschätzt und die Ver-
besserung und Erleichterung des indi-
Leve et al.:Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungCommunication-based Intervention Studies in Family Practice
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
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viduellen Praxisalltags in den Vorder-
grund gestellt werden. Theoretische
Ansätze und Modelle werden als unter-
stützend empfunden, wenn die Ver-
knüpfung mit den eigenen kommuni-
kativen Fähigkeiten im Rahmen der
Intervention ermöglicht werden kann.
Gelingt es, eigene Kompetenzen ein-
zubringen und den Blick darauf zu er-
möglichen, können Studienärztinnen
und -ärzte in ihrem selbstreflexiven
Prozess gestärkt werden. Einige Studi-
enärztinnen und -ärzte signalisierten
Interesse an zusätzlichen Treffen für
den Erfahrungsaustausch.
Leve et al.:Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungCommunication-based Intervention Studies in Family Practice
Name der Studie
Bilanzierungsdialoge (BD) als Mittel zur Förderung von Patientenorientierung und zur Verbesserung der hausärztlichen Behandlungsqualität bei Menschen mit chronischer Krankheit (BILANZ) [11]
Beeinflussung des ärztlichen Verordnungsverhaltens von Antibiotika bei Atemwegsinfekten in der deutschen Primärversor-gung (Change-2) [12]
Cluster-randomisierte Interventi-onsstudie zur Optimierung der Behandlung von Patienten mit ar-terieller Hypertonie (CRISTOPH) [13]
Entwicklung und Evaluation eines Four-Habits-basierten Kommunikationstrainings für deutsche Hausärzte (CoTrain)
Verbesserung der Versorgung „schlecht eingestellter“ Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (Debate) [14]
Interventionsstudie zur Verbesserung der medizinischen Versorgung multimorbider Pa-tienten mithilfe des Chronic-care-Modells (Multicare Agenda) [15]
Optimierung der Blutdruckein-stellung durch die Implementie-rung eines Ärztetrainings in parti-zipativer Entscheidungsfindung (PEF) [16]
Optimierung der Risiko-Kommu-nikation durch die Darstellung der Veränderbarkeit der ereignis-freien Lebenszeit (OptRisk) [17]
BD = Bilanzierungsdialoge; CVR = Kardiovaskuläres Gesamtrisiko; PEF = Partizipative Entscheidungsfindung; SDM = Shared Decision Making; PEF-FB = Partizipative Entscheidungsfindung-Fragebogen
Tabelle 1 Übersicht der beteiligten Forschungs projekte
Beteiligte Standorte
Düsseldorf, Göttingen, Witten
Rostock, Dresden, Freiburg
Düsseldorf, Bremen
Düsseldorf, Köln, Witten/Herdecke
Rostock, Düsseldorf, Witten
Hamburg, Düsseldorf, Rostock, Hannover
Freiburg
Marburg
Zielsetzung
Verbesserung der Versorgung von Patienten mit chronischen Erkran-kungen durch regelmäßige BD
Reduktion der Anzahl von Antibioti-ka-Verordnungen bei Atemwegsin-fekten
Verbesserung des kardiovaskulären Gesamtrisikos (CVR) bei Patienten der Primärprävention mit hohem Ausgangs-CVR (5-Jahresmortalität ≥ 5%)
Entwicklung und Evaluation eines Kommunikationstrainings
Verbesserung der hausärztlichen Ver-sorgung von schlecht eingestellten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
Studienziel: Verbesserung der Versor-gung von hausärztlichen Patienten mit Multimorbidität; primärer End-punkt: Reduktion von Polypharmazie bei Erhaltung der Lebensqualität
Primäre Endpunkte: 1. Verbesserung der Partizipation (PEF-FB9) 2. Senkung des systolischen Blut-drucks
Entwicklung von neuen Time-to-event Formaten und deren Vergleich mit Zehn-Jahres-Risikodarstellungen für kardiovaskuläre Ereignisse; pri-märer Endpunkt: Partizipation (SDM, PEF-FB) und diverse sekundä-re Endpunkte
Studiendesign
Mixed methods design:– Cluster-randomisierte Interventi-
onsstudie explorative qualitative Studie Beobachtungszeitraum 1 Jahr/pro Praxis
Intervention I: 1½-tägige Fortbildung der Hausärz-te zum Führen von BD
Intervention II: Durchführung von ca. 2–4 halbstündigen BD mit bis zu 20 Patienten
Videodokumentation von 5 Gesprä-chen
Cluster-randomisierte Interventions-studie
Cluster-randomisierte Interventions-studie
Qualitative Studie zur Interventions-entwicklung: Fokusgruppen mit Hausärzten und Patienten; Formative Evaluation der Intervention in 3 Wellen mit 100 Teil-nehmenden; Pilotierung in Hausarzt-praxen (Videodokumentation)
Zweiarmige Cluster-randomisierte edukative Interventionsstudie; Effek-te einer verstärkten Patientenorien-tierung von Hausärzten auf patien-tenseitige Outcomes (u.a. HbA1c, QoL)
Cluster-randomisierte Interventions-studie, Interventionsgruppe: Fortbildungsveranstaltung, Kontroll-gruppe: Care as usual
Cluster-randomisierte kontrollierte Studie, Interventionsgruppe: Kom-munikationstraining in PEFKontroll-gruppe: Care as usual
Phase 1: qualitative Untersuchung der Darstellungsformen auf Basis fiktiver Fallbeispiele; Phase 2: quantitative Untersuchung zur Eingrenzung der Darstellungsformen; Phase 3: Ver-gleich der zwei präferierten Grafiken in realen Beratungssituationen im Rahmen einer zweiarmigen Cluster-randomisierten Interventionsstudie
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323
Dipl.-Soz. Verena Leve, M.A.
Institut für Allgemeinmedizin (ifam) an
der Medizinischen Fakultät der Heinrich-
Heine-Universität Düsseldorf
Werdener Str. 4
40227 Düsseldorf
Tel.: 0211 81-08183
Korrespondenzadresse
Bindung durch Konsistenz und Transparenz im Forschungsprozess
Die reflexive Auseinandersetzung mit ei-
genen Kommunikationsmustern bedarf
auch im Forschungskontext einer syste-
matischen und kontinuierlichen Beglei-
tung durch das Studienteam. Die Bin-
dung der Hausarztpraxis an die Projekt-
gruppe wird durch den engen fortwäh-
renden Kontakt zum Studienteam über
den Studienverlauf gestärkt. Das Selbst-
verständnis einer wertschätzenden For-
schungshaltung richtet sich darauf, An-
regung zu Handlungsoptionen zu ver-
mitteln, und nicht daran, Defizite in der
Kommunikation zu identifizieren. Eine
wertschätzende Forschungshaltung be-
inhaltet darüber hinaus, dass Wissen und
die Kompetenzen der Beteiligten in den
Forschungsprozess aufzunehmen und sie
so zu Mitgestaltenden werden zu lassen.
Diskussion
Die im Rahmen des Workshops themati-
sierten Erfahrungen bestätigen zunächst
vorherige Ergebnisse zur Studienteil-
nahme von Hausarztpraxen [1, 2, 4, 5, 7,
18, 19, 20].
Besonderheiten bei der Durchfüh-
rung von Forschungsprojekten mit In-
terventionen zur Gesprächsführung er-
gaben sich in Bezug auf folgende Punkte:
• Finanzielle oder materielle Anreize
steigern die Teilnahmebereitschaft [1,
6, 20]: Die Erfahrungsberichte zu den
diskutierten Projekten konnten dies
nicht eindeutig bestätigen. So scheint
für Interventionsstudien zur Ge-
sprächsführung das individuelle Inte-
resse an der Thematik von zentralerer
Bedeutung zu sein.
• Direkter Nutzen des Forschungspro-
jekts für Patientinnen und Patienten
oder Praxisteam muss erkennbar sein
[1, 19, 20]: Studienärztinnen und -ärz-
te bewerten die Versorgungsrelevanz
von Gesprächsinterventionen vor dem
Hintergrund des eigenen Erlebens und
des empfundenen Bedarfs. So stehen
bei der Entscheidung zur Studienteil-
nahme mit Interventionen zur Ge-
sprächsführung vor allem das eigene
Wohlbefinden, die Arbeitszufrieden-
heit und das Erleben der eigenen Kom-
petenz im Gespräch im Vordergrund.
Hausärztliche Peer-Trainer/innen un-
terstützen dabei, die Gesprächstechni-
ken auf das eigene Alltagserleben in
der Praxis zu übertragen und an kon-
kreten Fällen zu erproben.
• Geringer Zeitaufwand für Hausärztin-
nen und -ärzte: Die Erfahrung der Studi-
engruppen zeigt, dass Zeit zwar grund-
sätzlich eine knappe Ressource ist, aber
bei Interventionen zur Gesprächsfüh-
rung investiert wird, wenn der erwarte-
te Effekt für die eigene Arbeitszufrieden-
heit positiv bewertet wird. Von Seiten
der Studienärztinnen und -ärzte wer-
den z.T. sogar zusätzliche Termine (z.B.
weitere Reflexionstreffen) eingefordert.
Diese Besonderheit ergibt sich mögli-
cherweise durch den Umstand, dass
motivierte und am Thema interessierte
Teilnehmende bereits über besondere
Kommunikationsfähigkeiten verfügen
oder bereits positive Erfahrungen in an-
deren Gruppen gesammelt haben (Ba-
lintgruppen). Ihr Interesse könnte stär-
ker an kollegialen Austausch- und Re-
flexionsmöglichkeiten orientiert sein.
Schlussbetrachtung
Allgemeinmedizinische Forschung zur
Gesprächsführung sollte berücksichti-
gen, dass teilnehmende Ärztinnen und
Ärzte vor dem Hintergrund ihrer bereits
bestehenden Kompetenzen und Lern-
bedürfnisse unterschiedlich von Inter-
ventionen zur Gesprächsführung pro-
fitieren. Je spezifischer Angebot und Be-
dürfnis im Rahmen der Studien auf-
einander bezogen werden können, des-
to höher ist der zu erwartende individu-
elle Nutzen für die teilnehmenden Stu-
dienärztinnen und -ärzte. Bestehende
hausärztliche kommunikative Kom-
petenzen und Alltagserfahrungen wert-
zuschätzen und anzuerkennen ist eben-
so wichtig für die Gewinnung von Stu-
dienpraxen wie konkrete Bezüge zum
Praxisalltag über Peer-Trainer/innen
herzustellen. Die enge Einbindung von
Hausarztpraxen im gesamten For-
schungsprozess stellt den ersten Schritt
für eine dauerhafte Anwendung neuer
Kommunikationsstrategien, deren Eva-
luation und Weiterentwicklung im Pra-
xisalltag dar.
Interessenkonflikte: keine angegeben.
1. Güthlin C, Beyer M, Erler A, et al. Re-krutierung von Hausarztpraxen für For-schungsprojekte. Erfahrungen aus fünf allgemeinmedizinischen Studien. Z Allg Med 2012; 88: 173–181
2. Kochen MM, Niebling W, Abholz HH. Forschen oder beforscht werden? Z Allg Med 2000; 76: 347–348
3. Down L, Metcalfe C, Avery K, et al. Factors distinguishing general practi-
tioners who more readily participated in a large randomized trial were identi-fied. J Clin Epidemiol 2009; 62: 67e73
4. Lionis C, Stoffers HEJH, Hummers-Pra-dier E, Griffiths F, Rotar-Pavlič D, Ret-
Literatur
Leve et al.:Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungCommunication-based Intervention Studies in Family Practice
... ist seit 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut
für Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät der Heinrich-Hei-
ne-Universität in Düsseldorf tätig. Ihre Forschungsschwerpunk-
te liegen in den Bereichen Patienten-Arzt-Kommunikation und
Versorgung von Menschen mit Demenz.
Dipl.-Soz. Geront. Verena Leve, M.A. ...
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
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hans JJ. Setting priorities and identify-ing barriers for general practice re-search in Europe. Results from an EGPRW meeting. Fam Pract 2004; 21: 587–593
5. Hummers-Pradier E, Chenot JF, Scherer M. Sind Hausarztpraxen Forschungs-infrastruktur? Z Allg Med 2014; 90: 317–322
6. Bleidorn J, Heim S, Lingner H, Hum-mers-Pradier E, Hauswaldt J. Wie sehen Hausärzte allgemeinmedizinische For-schung im Praxennetz? Eine Fokus-gruppenanalyse. Z Allg Med 2014; 90: 348–353
7. Hummers-Pradier E, Scheidt-Nave C, Martin H, Heinemann S, Kochen MM, Himmel W. Simply no time? Barriers to GPs’ participation in primary health care research. Fam Pract 2008; 25: 105–112
8. Salmon P, Peters S, Rogers A, et al. Pee-ring through the barriers in GPs‘ expla-nations for declining to participate in research: the role of professional auto-nomy and the economy of time. Fam Pract 2007; 24: 269–275
9. Mortsiefer A, Gummersbach E, Ilse K, et al. Kommunikation: Zentraler Bestand-teil jeder ärztlichen Tätigkeit in der Pa-tientenversorgung. In: Ärztekammer Nordrhein (Hrsg.). Kommunikation. Festschrift anlässlich des 117. Deut-
schen Ärztetages. Düsseldorf 2014: 25–65
10. Miles MB, Huberman AM. Qualitative data analysis: an expanded sourcebook. Thousand Oaks: Sage, 1994
11. Bahrs O, Heim S, Löwenstein F, Henze K-H. Review dialogues as an opportuni-ty to develop life course specific health goals. Int J Pers Cent Med 2017; 7: 98–106
12. Altiner A, Berner R, Diener A, et al. Converting habits of antibiotic prescri-bing for respiratory tract infections in German primary care – the cluster-ran-domized controlled CHANGE-2 trial. BMC Fam Pract 2012; 13: 124
13. Mortsiefer A, Meysen T, Schumacher M, Abholz H-H, Wegscheider K, in der Schmitten J. From hypertension con-trol to global cardiovascular risk ma-nagement: an educational interventi-on in a cluster-randomised controlled trial. BMC Fam Pract 2015; 7: 56
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15. MC4-Agenda: Altiner A, Schäfer I, Mel-lert C, et al. Activating general practitio-ners dialogue with patients on their Agenda (MultiCare AGENDA) study pro-
tocol for a cluster randomized controlled trial. BMC Fam Pract 2012; 13: 118
16. Tinsel I, Buchholz A, Vach W, et al. Sha-red decision-making in antihypertensi-ve therapy: a cluster randomised con-trolled trial. BMC Fam Pract 2013; 11: 135
17. Adarkwah CC, Jegan N, Heinzel-Guten-brunner M, et al. Time-to-event versus ten-year-absolute-risk in cardiovascu-lar risk prevention – does it make a dif-ference? Results from the optimizing-risk-communication (OptRisk) rando-mized-controlled trial. BMC Med In-form Decis Mak 2016; 29: 152
18. Wetzel D, Himmel W, Heidenreich R, et al. Participation in a quality of care stu-dy and consequences for generalizabili-ty of general practice research. Fam Pract 2005; 22: 458–64
19. Barzel A, Scherer M, Gerlach FM, Mer-genthal K. Das hausärztliche Team in der Forschung. Ein Workshop mit Hausärzten, Medizinischen Fachange-stellten und wissenschaftlichen Mit-arbeitern der universitären Allgemein-medizin. Z Allg Med 2013; 89: 255–260
20. Rosemann T, Szecsenyi J. General practitioners‘ attitudes towards re-search in primary care: qualitative re-sults of a cross sectional study. BMC Fam Pract 2004; 21: 31
Leve et al.:Interventionsstudien zur Gesprächsführung in der hausärztlichen VersorgungCommunication-based Intervention Studies in Family Practice
DEGA
M
Deutsche Gesellschaft fürAllgemeinmedizin und Familienmedizin
53. Kongress für Allgemeinmedizin und FamilienmedizinHausärztliche Arbeit zwischen Patientenwohl und Ansprüchen der Gesellschaft – Was bedeutet ärztliche Professionalität?
12. bis 14. September 2019 in Erlangen
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327LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR
DEGAM-Positionspapier zur Impfpflicht. Z Allg Med 2019; 95: 213–214. Rabe S. Wider eine Impfpflicht in Deutschland – eine Streitschrift. Z Allg Med 2019; 95: 215–221. Scherer M, Hummers E. Mit kühlem Kopf die Impfraten maximieren. Z Allg Med 2019; 95: 222–223
Leserbrief von Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz
Danke den Autoren für die so informati-
ven Texte zur Problematik; man sollte
Herrn Spahn das Heft senden – falls man
ihn für lernfähig und -willig ansieht.
Ich möchte dennoch auf wenige Dinge
hinweisen, die in den Texten nicht voll
gewürdigt wurden:
1. 50 % der Erkrankten in Berlin waren
über 50 Jahre (steht im DEGAM-Pa-
pier) – und diese mögen dann auch
Enkelkinder angesteckt haben, die
noch ungeimpft und vom Alter her
noch nicht impfbar waren. Aber: Er-
kläre mir einmal jemand, wie man bei
diesen älteren Menschen die Impfnot-
wendigkeit in der Gesamtbevölkerung
feststellen will und außerdem dann
bei diesen eine Impfpflicht umsetzen
will.
2. Keiner der Texte geht auf das folgende
Argument ein: Ungeimpftes Kind
kommt im Hort mit nicht impfbaren
Säugling unter 9 Monaten zusammen
und steckt diesen an. Hier geht es also
um den Individualschutz eines Säug-
lings einer Mutter, die ihr Kind später
impfen lassen würde, deren Säugling
aber „jetzt“ durch ein Kind angesteckt
wird, dessen Eltern ihr Kind, für das
sie erziehungsberechtigt sind, nicht
impfen lassen. Dies ist für mich der ein-
zige Problemfall in der ganzen Debatte.
Man kann sich hierbei nur damit trös-
ten: a) diese Kombination im skizzier-
ten Fall wird bei 97 % Erstimpfungs-
rate sehr selten vorkommen; b) die
Vermischung der beiden Kindergrup-
pen Säuglinge und Kleinkinder im
Hort ist niedrig; c) zudem verringert
sich der gefährliche Expositionszeit-
raum eines Säuglings: „Eine durch
Impfung erworbene Immunität der
Mütter führt im Vergleich zu einer
Wildvirusinfektion zu einem geringe-
ren und verkürzten Nestschutz bei
Säuglingen. Dieser dauert im Mittel
etwa 3 Monate an, kann aber auch
schon früher an Wirksamkeit verlie-
ren. Der Nestschutz bei Säuglingen
von Müttern mit durchgemachten
Masern hält in der Regel etwa zwei
Monate länger“ (RKI: Epid. Bulletin
2/2017). Und schließlich d) nur ein
Kind von 1000 bis 2000 wird, wenn es
dennoch zur Ansteckung kommen
sollte, daran sterben (vielleicht im
Säuglingsalter ungünstigere Letali-
tät).
3. In einer zeitgleich publizierten Studie
[Weigl J. Masernelimination – die
Notwendigkeit einer „Public Health
Governance“ und einer medizi-
nischen Exekutive. Prävention Ge-
sundheitsförd 2019, 14: 102–8] wird
mittels eines mathematischen Mo-
dells gezeigt, dass die Ansteckungs-
gefahr selbst bei nur 90 % Durchimp-
fung in einer Schule so gering für die
Nichtgeimpften ist, dass damit kein
Gericht zu überzeugen sein wird, eine
Impfpflicht zu akzeptieren – zumal in
diesem Alter eine nicht erfolgende
Impfung ja aufgrund elterlicher Ent-
scheidung besteht und damit nur das
eigene Kind und die Kinder, deren El-
tern auch eine Impfung verweigerten,
gefährden kann.
4. Die Aufregung besteht bei einem The-
ma mit 0 bis 2 Toten in ganz Deutsch-
land und Jahr sowie – geschätzt –
20–50 schwerer Erkrankten pro Jahr.
Da muss man doch – entgegen der
Missbilligung im Scherer/Hummers-
Papier – politisch argumentieren: Es
gibt weitaus größere Gesundheits-
bedrohungen in der Republik, auch
im Kindesalter (!). Und wem nützt ein
solcher Interventionsvorschlag zum
Thema Masernimpfung?
5. Noch ein Hinweis in Sachen bevölke-
rungsbezogener Nutzen: In Europa
war Masern aufgrund der besser ge-
wordenen Lebensbedingungen weit
vor Einführung der Masernimpfung
(Schweiz 1970, DDR 1970, BRD 1973)
schon lange keine bedrohliche Erkran-
kung mehr: Die Rate der Todesfälle
war schon zuvor um das über tausend-
fache zurückgegangen [McKeown T.
The modern rise of population, Lon-
don, Edward Arnold 1976]. Für Ent-
wicklungsländer ist dies aber heute
noch drastisch anders und macht da-
her die Idee der weltweiten Eradikation
verständlich.
Prof Dr. Heinz-Harald Abholz
Emeritus, Institut für Allgemeinmedizin
Universität Düsseldorf
Werdener Straße 4
40227 Düsseldorf
Korrespondenzadresse
Leserbriefe an die ZFA reichen Sie bitte online über den Editorial Manager ein (www.editorialmanager.com/zfa). Wenn „alle Stricke reißen“, können Sie auch eine/n der Herausgeber/innen (Adressen im Impressum) anschreiben.
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328 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR
Wagner H-O, Wille H, Scherer M. Vitamin-K-Antagonisten in Deutschland: Schrammen im Goldstandard? Z Allg Med 2019; 95: 265–266
Leserbrief von Dr. med. Silke Brockmann
Mit dem Rücken zur Wand
Meine Erfahrung habe ich zwar in der
Schweiz gemacht, sie sind aber übertrag-
bar auf Deutschland. Nach einer großen
Bauchoperation wegen Krebs bekam ich
für ca. 36 Stunden ein Vorhofflimmern.
Für die konsultierten Kardiologen des
Inselspitals Bern war sofort klar, dass ich
mit einem NOAK behandelt werden
müsste. „Heldenhaft“, weil um die Evi-
denz wissend, brachte ich aber Couma-
rin ins Spiel.
„Naja, wenn Sie unbedingt wollen,
dann müssen Sie aber immer den INR-
Wert bestimmen lassen, und dann ist das
alles schwer steuerbar.“ Es schwang mit:
„Naja, wenn Sie unbedingt so einer altmo-
dischen Therapie anhängen, dann ver-
suchen Sie es.“ Es schwang mit: „Sie wer-
den sich irgendwann schon der moder-
nen Medizin beugen.“ Und es fehlte nur
noch das mitleidige „Frau Kollegin ...“.
Wie sollen sich Vitamin-K-Antago-
nisten halten und Patientinnen sich
durchsetzen, wenn selbst ich als Ärztin –
allerdings durch eine schwere Erkran-
kung geschwächt – mit dem Rücken zu
Wand stehe?
Antwort von Dr. med. Hans-Otto Wagner
Sehr geehrte, liebe Frau Brockmann, Ih-
re Erfahrung entspricht der Realität und
mit Ihrer Einschätzung der Lage haben
Sie völlig echt.
Nicht nur seit Beginn der Leitlini-
enarbeit der DEGAM, die Sie seit 1997
als Mitbegründerin und viele Jahre als
Sprecherin des Arbeitskreises Leitlinien
(heute: Ständige Leitlinienkommis-
sion) maßgeblich und verdienstvoll
mitgestaltet haben [1], war es ja noch
nie so, dass nur Evidenz, Leitlinien und
Patientenpräferenz den Versorgungs-
alltag bestimmt haben, sondern immer
auch starke sekundäre Interessen. Kapi-
talinteressen pharmazeutischer und
anderer Unternehmer haben über Jahr-
zehnte fettfleckartig und korruptiv fast
alle Bereiche des ärztlichen Alltags kon-
taminiert. Mit viel Geld nehmen sie
Einfluss auf die von ihnen bezahlten
Studien, auf die Forschung, Kliniken,
Fachgesellschaften und die Finanzie-
rung der Fortbildung, um nur einiges
zu nennen. Dabei wird die Ärzteschaft
ihrem intellektuellen Anspruch und
dem Patientenauftrag nicht nur nicht
gerecht, sondern sie ist in dieser Hin-
sicht in weiten Teilen zu wenig kritisch
und wissenschaftlich, sicher auch be-
quem und darüber hinaus auch selbst
nicht selten kommerziell orientiert.
Patienten bekommen eben nicht
die beste verfügbare Evidenz, weil der
Rat nicht unabhängig und von sekun-
dären Interessen durchsetzt ist. Da Pa-
tienten durch ihre Krankheit die not-
wendigen Freiheitsgrade ihrer Ent-
scheidungskompetenz eingebüßt ha-
ben, ist diese Situation natürlich beson-
ders kritikwürdig. Sie sind „Abhängige“
und stehen, wie Sie es leider schmerz-
lich erfahren mussten „mit dem Rü-
cken zur Wand“.
Dies ist in Deutschland nicht anders
als in der Schweiz und ich denke, dass
die nachfolgende Generation diese
Kommerzialisierung unseres Gesund-
heitssystems zum Nachteil unserer Pa-
tientinnen und Patienten auf den Prüf-
stand stellen muss und, da bin ich mir si-
cher, es auch tun wird. Das gebietet
nicht zuletzt auch unsere Selbstachtung
als zur Unabhängigkeit und wissen-
schaftlicher Redlichkeit verpflichtete
Ärztinnen und Ärzte.
Die Sensibilität für dieses Problem ist ge-
wachsen und es gibt starke gegenläufige
Entwicklungen: MEZIS, zunehmende
sponsoringfreie Fortbildungen, klarere
Transparenzverpflichtungen, AWMF,
IQWiG, AkdÄ
Dr. med. Silke Brockmann
Ärztin für Allgemeinmedizin, Umwelt-
medizin
Friedheimweg 15
CH-3007 Bern
Korrespondenzadresse
Dr. med. Hans-Otto Wagner
Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Korrespondenzadresse
1. Brockmann S. Hausärztliche Leitlini-en zwischen Erfahrung und Evidenz. Omikron Publishing; 1. Auflage, 2004
Literatur
© Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8) ■
329
Informationen zu den Wahlen zum DEGAM-Präsidium
Auf der Mitgliederversammlung beim 53.
Kongress für Allgemeinmedizin und Fa-
milienmedizin am 12. September 2019 in
Erlangen finden u.a. Neuwahlen zum DE-
GAM-Präsidium statt. Es war der Wunsch
der Mitglieder, mit ausreichendem Vor-
lauf Transparenz über die Vorschlagsliste
des Präsidiums herzustellen. Dem möch-
te das Präsidium mit den folgenden Infor-
mationen gerne entsprechen.
Das aktuelle Präsidium schlägt Mar-
tin Scherer als Kandidaten für das Amt
des DEGAM-Präsidenten vor. Martin
Scherer ist seit neun Jahren Vizepräsident
der Fachgesellschaft und war von
2006–2018 Sprecher der Ständigen Leit-
linien-Kommission (SLK). Bei dem unten
dargestellten Tableau handelt es sich –
sollte er von der Mitgliederversammlung
gewählt werden – um sein Wunschteam,
das auch vom derzeitigen Präsidium mit-
getragen wird. Selbstverständlich bleibt
es den Mitgliedern jederzeit unbenom-
men, alternative Vorschläge einzubrin-
gen. Dem Aufruf zur Einreichung von
Wahlvorschlägen an gleicher Stelle (siehe
ZFA 5/2019, Seite 197) war bislang nie-
mand gefolgt. Gleichwohl ist die Mitglie-
derversammlung in ihrer Entscheidung
natürlich völlig frei.
Bei dem vorgeschlagenen Personal -
tableau wurde darauf geachtet, dass ein
Team entsteht, welches konstruktiv zu-
sammenarbeiten kann und gute Arbeits-
ergebnisse verspricht. Folgende Krite-
rien waren bei der Zusammenstellung
leitend: eine deutliche Verjüngung,
Teamfähigkeit, eine Erhöhung des Frau-
enanteils sowie die gute Durch-
mischung von akademischer Expertise
und praktischer hausärztliche Erfah-
rung.
Vorgeschlagenes Wahltableau
Geschäftsführendes Präsidium
Präsident: Prof. Martin Scherer, Hamburg
Vizepräsidentin: Prof. Eva Hummers, Göttingen
Vizepräsident: Prof. Antonius Schneider, München
Schatzmeisterin: Prof. Erika Baum, Biebertal
Schriftführerin: Prof. Anne Simmenroth, Würzburg
Beisitzerin: Dr. Leonor Heinz, Berlin
Beisitzer: Dr. Ralf Jendyk, Münster
Sektionen (SprecherIn und StellvertreterIn)
Studium und Hochschule: Prof. Antje Bergmann und
Dr. Maren Ehrhardt
Forschung: Prof. Stefanie Joos und Prof. Ildikó Gagyor
Weiterbildung: Dr. Marco Roos und Dr. Simon Schwill
Fortbildung: Sandra Blumenthal und Dr. Günther Egidi
Qualitätsförderung: Prof. Horst Christian Vollmar und
Pascal Nohl-Deryk
Versorgungsaufgaben: Dr. Uwe Popert und Dr. Jeannine Schübel
Die Wahlordnung finden Sie auf der
Kongress-Website unter www.degam-
kongress.de. Darin heißt es u.a.: „Wahl-
vorschläge der Mitglieder müssen
schriftlich bis spätestens vier Wochen
vor der Wahl bei der Geschäftsstelle ein-
gereicht werden, damit sie auf den
Wahlunterlagen benannt werden kön-
nen. Jedes Mitglied kann mehrere Wahl-
vorschläge machen und sich auch selbst
zur Wahl vorschlagen.
Wahlvorschläge aus der Mitte der
Versammlung sind möglich, allerdings
müssen diese Namen dann per Hand auf
den vorgedruckten Stimmzetteln er-
gänzt werden.“
Achtung: Für eine übersicht-lichere Organisation der Mitglie-derversammlung müssen sich alle interessierten Mitglieder direkt bei der Kongress-Anmeldung auch für die Mitgliederversammlung registrieren.
DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS
Ständig aktualisierte Veranstaltungstermine von den „Tagen der Allgemeinmedizin“ finden Sie unter
www.tag-der-allgemeinmedizin.de
■ © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Z Allg Med | 2019; 95 (7-8)
330
WONCA 2020 in Berlin: Kongress-Website geöffnet
Nach der Europäischen WONCA-Konfe-
renz 2019 in Bratislava wird jetzt die
Kongress-Website für unseren gemeinsa-
men Kongress WONCA Europa und DE-
GAM vom 24.–27. Juni 2020 geöffnet.
Sie finden dort schon heute wichtige In-
formationen, aber wir sind dankbar für
alle Hinweise, sollten Sie dort etwas ver-
missen.
Auch die Abstract-Einreichung wird
demnächst geöffnet. Deadline ist dann
der 10. Januar 2020. Wer aber schon et-
was Einreichungsreifes und -würdiges
hat, kann es schon in diesem Jahr hoch-
laden. Wir werden fünf Räume haben,
die für den inkludierten DEGAM-Kon-
gress reserviert sind. Alle sind aber herz-
lich eingeladen, auch das reichliche
WONCA-Angebot zu nutzen.
Sie können bei der Einreichung an-
geben, ob sie auf Deutsch oder Englisch
präsentieren wollen und ob für Sie aus-
schließlich der DEGAM-Kongress oder
auch die WONCA Conference infrage
kommt bzw. ob Sie auf alle Fälle für
WONCA-Sitzungen einreichen. In den
beiden letzteren Fällen muss die Einrei-
chung auf Englisch erfolgen.
Wie bei der DEGAM gewohnt, kön-
nen Sie auch einen Workshop anbieten.
Auch alle anderen DEGAM-Formate
sind möglich. Dazu kommen aber auch
bei WONCA übliche State-of-the-art-
Sitzungen, in denen die neuesten für
die Allgemeinmedizin relevanten me-
dizinischen Erkenntnisse besprochen
werden.
Lassen Sie sich überraschen von
dem breiten Angebot, das WONCA mit
den Netzwerken und Special Interest
Groups zu bieten hat. Wir erwarten zu-
dem zahlreiche außereuropäische Gäste
und Präsentationen.
Dieses besondere und für die deut-
sche Allgemeinmedizin einmalige Ereig-
nis sollten Sie sich und Ihren Kollegin-
nen und Kollegen nicht entgehen las-
sen.
Aufruf zur Gründung einer DEGAM-AG Internisten
Ein nicht unerheblicher Teil der Haus-
ärztinnen und Hausärzte hat die Fach-
arzt-Prüfung in der Inneren Medizin
ohne Weiterbildung in der Allgemein-
medizin abgelegt. Aufgrund ihrer Tätig-
keit sind sie der Allgemeinmedizin aber
wesentlich näher als den internisti-
schen Gesellschaften, die von der sta-
tionären und spezialistischen Versor-
gungsebene dominiert werden und nur
in diesem Bereich breite wissenschaftli-
che Expertise aufweisen. Auch die Fort-
bildungsangebote sind unseres Erach-
tens nicht gut auf den hausärztlichen
Kontext fokussiert.
Daher ist es wichtig, dass auch Inter-
nistinnen und Internisten eine wissen-
schaftliche Heimat in der DEGAM fin-
den können. Unsere Stärke ist die Fokus-
sierung auf die hausärztliche Versor-
gungsebene und unsere völlige Unab-
hängigkeit von industriellem Sponso-
ring.
Ein bedeutsamer Streitpunkt liegt
bei der Weiterbildungsbefugnis: Die
neue Musterweiterbildungsordnung
sieht für Internistinnen und Internis-
ten nur noch sehr stark eingeschränk-
te Möglichkeiten vor, weiterbildend
tätig zu werden. Zugleich werden in
einigen KV-Bezirken Internistinnen
und Internisten dadurch diskrimi-
niert, dass sie keinen Quereinstieg zur
Allgemeinmedizin finanziert bekom-
men. Schließlich gibt es bei einigen
Leitlinien schweren inhaltlichen Dis-
sens zwischen der internistischen
Fachgesellschaft DGIM und der DE-
GAM. Kurz: Es gibt ein nicht unerheb-
liches Konfliktpotenzial, aber auch Be-
darf an vermehrtem Austausch, um
den Bedürfnissen der hausärztlichen
Internisten im Bereich der DEGAM
besser gerecht zu werden. Das Präsidi-
um der DEGAM möchte mit dazu bei-
tragen, mögliche Konflikte und Bedar-
fe rational und offen zu klären – und
regt die Gründung einer AG Internis-
tinnen und Internisten in der DEGAM
an, damit diese Gruppe in die Lage
versetzt wird, ihre eigene Sicht der
Dinge zu artikulieren.
Am Donnerstag, 12.9.2019 (13.45
Uhr), wird sich diese AG am Rande des
DEGAM-Kongresses in Erlangen konsti-
tuieren. Wir laden alle Interessierten
herzlich ein.
Das Archiv der deutschsprachigen Allgemeinmedizin in LübeckEin umfangreicher Gedächtnisspeicher für das Gebiet der Allgemeinmedizin und ein Fundus für medizinhistorische Forschung
Das Licht der akademischen Welt hat
das neu entstandene „Archiv der
deutschsprachigen Allgemeinmedizin“
(ADAM) auf dem 27. Nordic Medical
History Congress am 24. Mai 2019 in
Kopenhagen erblickt. Dort wurden die
Ziele und die Forschungsagenda einem
internationalen Fachpublikum und der
Hausärzteschaft vorgestellt.
Das Sammelgebiet umfasst ein-
schlägige Originaldokumente und Pri-
märquellen zur Geschichte der All-
gemeinmedizin im deutschsprachigen
Raum, wie z.B. Korrespondenzen und
Sitzungsprotokolle nationaler und in-
ternationaler allgemeinmedizinischer
Fachgesellschaften und Verbände, Vor-
arbeiten und Dokumente zur Entste-
hung allgemeinmedizinischer Fachbü-
cher, Briefwechsel und Aufzeichnun-
gen von Pionieren des Fachgebietes so-
wie Doktorarbeiten und Habilitations-
schriften aus der Allgemeinmedizin.
Gefördert wird der Aufbau des Archivs
mit Mitteln der Stiftung Perspektive Hausarzt des Deutschen Hausärzte-
verbands.
DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS
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331
Ziele von ADAM
Das Archiv der Deutschsprachigen All-gemeinmedizin (ADAM) dient der Si-cherung, dauerhaften Erhaltung und Nutzbarmachung sowie der wissen-schaftlichen Aufarbeitung von origina-len Dokumenten, die den Weg der Pro-fessionalisierung der Allgemeinmedizin in Deutschland (Ost und West), Öster-reich und der Schweiz in den letzten 70Jahren belegen.
Aktuell bearbeitet eine Doktorandin die Professionalisierung der Allgemeinme-
dizin in den Jahren 1985 bis 1995 in Ost
und West. Hierfür sollen Interviews mitZeitzeugen und Materialien aus dem Ar-chiv ausgewertet werden. ZukünftigeThemen können zum Beispiel eine ver-gleichende Analyse der Professionalisie-rung der Allgemeinmedizin in der Schweiz, Österreich und Deutschland sein oder das Wirken bedeutender Pro-tagonisten des Fachgebiets.
Lübeck ist ein idealer Standort
Prof. Dr. med. Frank H. Mader, All-gemeinarzt aus Nittendorf/Bayern ist Ideengeber für das Archiv. Er verfolgt als Medizinjournalist seit seiner Studenten-zeit 1965 die Entwicklung des Fachs. In Lübeck fand er 2018 mit Prof. Dr. med. Jost Steinhäuser als Projektleiter und Prof. Dr. med. Cornelius Borck als wis-senschaftlichem Berater eine ideale Kombination, um ADAM ins Leben zu rufen. Prof. Steinhäuser ist Allgemein-arzt und Direktor des dortigen Instituts für Allgemeinmedizin, Prof. Borck Di-rektor des Instituts für Medizingeschich-te und Wissenschaftsforschung der Uni-versität zu Lübeck.
Für den Beirat konnten Prof. Vittoria Braun, Berlin, und Prof. Frank H. Mader, Nittendorf, gewonnen werden. Das Ar-chiv befindet sich in den Räumen des Instituts für Allgemeinmedizin. Print-medien wie Bücher oder Zeitschriften
werden dort nicht gesammelt, sondern über die Universitätsbibliothek zugäng-lich gemacht.
Für Fragen rund um ADAM, wie z.B. Abgabe von Material oder Anfragen we-gen einer Forschungsfrage, wenden Sie sich bitte an Claudia Steinhäuser.
Abbildung 1 Erste Materialien von Prof.
Lorenz aus Tübingen (Präsident der Deut-
schen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
Familienmedizin (DEGAM) von 1992–1996)
treffen in Lübeck ein. Foto: C. Steinhäuser
Abbildung 2 Erstes Treffen am 8.Mai 2018 in Lübeck (von li.: Prof. Jost Steinhäuser, Prof. Cor-
nelius Borck, Prof. Frank H. Mader) Foto: F.H. Mader
Claudia Steinhäuser
Archiv der Deutschsprachigen
Allgemeinmedizin
Institut für Allgemeinmedizin
Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160, Haus 50
23538 Lübeck
Tel.: 0451 3101-8015
Fax: 0451 3101-8004
Korrespondenzadresse
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Neue Koordinierungsstelle für Forschungspraxennetze
Im Rahmen des Masterplans Medizinstu-
dium 2020 wird durch das BMBF u.a. ei-
ne nachhaltige Netzwerkstruktur für For-
schungspraxen zur Stärkung der All-
gemeinmedizin aufgebaut. Dies erfolgt
über lokale und überregionale Netzwer-
ke aus allgemeinmedizinischen For-
schungspraxen mit Anbindung an die
allgemeinmedizinischen Institute der
medizinischen Fakultäten.
Die Deutsche Stiftung für Allgemeinme-
dizin und Familienmedizin (DESAM)
wurde gemeinsam mit der Technologie-
und Methodenplattform für die vernetz-
te medizinische Forschung (TMF) beauf-
tragt, eine übergreifende und unabhän-
gige Koordinierungsstelle einzurichten.
Die fünfjährige Projektlaufzeit beginnt
am 1. Februar und endet entsprechend
Anfang 2025.
Die neue Koordinierungsstelle fördert
die Kommunikation, den Austausch und
die Vernetzung zwischen den Akteuren
der bundesweit insgesamt sechs Netz-
werke. Sie bearbeitet in enger Abstim-
mung mit den einzelnen Forschungspra-
xennetzen übergreifende, für alle Netz-
werke relevante Aspekte, Fragen und
Prozesse wie z.B. Qualitätssicherung und
die bedarfsgerechte Aus- und Weiterbil-
dung der einzelnen Forschungspraxen.
(Zwischen-) Ergebnisse sind in angemes-
sener Weise zu dokumentieren und für
die Netzwerke z.B. im Sinne von Best-
Practice-Vorgehensweisen verfügbar zu
machen.
Für den Aufbau der Koordinierungsstelle
suchen wir zum 1.2.2020, ggfs. ab
1.1.2020
zwei wissenschaftliche Mitarbeiter/innen (w/m/d) für die Leitung bzw. Koordination
mit folgenden Qualifikationen:· Hochschulabschluss in Medizin, Gesundheitsmanagement, Pflegewissenschaften, Psychologie, Soziologie oder
Sozialpädagogik/-wissenschaften
· überdurchschnittliche Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten, vorzugsweise belegt durch eine Promotion
und/oder eigene wissenschaftliche Publikationen
· Erfahrung mit klinischer Forschung und/oder Versorgungsforschung in der Primärversorgung,
betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind von Vorteil
· gute Kenntnisse der Biometrie, (klinischen) Epidemiologie sowie der Prinzipien und Methoden der evidenzbasierten
Medizin und von „Public Health“
· Erfahrung mit der Beschaffung, Bewertung, Aufbereitung (u.a. Konzipierung und Durchführung von Befragungen; Erstellung
von Tabellen und Grafiken) und verschriftlichten Interpretation von Daten; Kenntnis einschlägiger Statistikprogramme wie
SPSS
· gute englische Sprachkenntnisse, gerne weitere Fremdsprachenkenntnisse
Persönliche Anforderungen:· hohes Maß an Eigeninitiative, Einsatzbereitschaft und Ergebnisorientierung
· Fähigkeit, in einem interdisziplinären Team und unter Zeitdruck zu arbeiten
· Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit
· Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Fragestellungen der Forschungsnetzwerke und in neue Themengebiete
schnell einzuarbeiten.
Die Vergütung erfolgt in Anlehnung an TVL E 14 bzw. E 13.
Teilzeit ist u.U. möglich.
Für Fragen steht Ihnen der Geschäftsführer Edmund Fröhlich
gerne zur Verfügung: Tel. 030 209669820 und:
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung mit vollständigen
Bewerbungsunterlagen (Bewerbungsanschreiben, Lebenslauf,
Studienabschlusszeugnisse, Arbeitszeugnisse bzw. dienstliche
Beurteilungen etc. in einer PDF-Datei) bis
spätestens 1. September 2019 per E-Mail an:
Deutsche Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DESAM)
z. Hd. Prof. Dr. med. Wilhelm Niebling, Vorsitzender des Stiftungsvorstandes
Friedrichstraße 88, 10117 Berlin, [email protected]
www.desam.de
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333DESAM-NACHRICHTEN / DESAM NEWS
Nachwuchsförderung zeigt Wirkung
Das Fach Allgemeinmedizin steht bei den Studierenden hoch im Kurs und die Nachwuchsakademie der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Fa-milienmedizin (DESAM) erfreut sich ungebrochener Beliebtheit – zuletzt zu sehen beim Klausurwochenende Ende Mai.
Schon früh erkannte die DEGAM die Zeichen der Zeit: Bereits im Jahr 2012 wurden die ersten zwölf Studierenden in das dreijährige Förderprogramm auf-genommen. Jedes Jahr kommen 15 neue Studierende hinzu, die über einen Zeit-raum von drei Jahren eine Förderung er-halten. Insgesamt werden aktuell 45 Studierende in drei parallelen Jahrgän-gen unterstützt.
Seit 2017 wird das anerkannte För-derprogramm unter dem Dach der DE-SAM durchgeführt und verantwortet. Die Stiftung wurde 1973 von der DE-GAM gegründet. Neben der Nachwuchs-förderung engagiert sie sich für die For-schung auf dem Gebiet der Allgemein-medizin.
Die Nachwuchsakademie All-gemeinmedizin eröffnet Studierenden mit großem Interesse an der Allgemein-medizin einen tieferen Einblick in den Hausarztberuf. Möglichst früh werden Studierende mit erfahrenen Hausärzten zusammengebracht. Diese vermitteln hausärztliche Arbeitsweisen und teilen ihre Erfahrungen aus dem Praxisalltag. Die Förderperiode von drei Jahren er-laubt eine kontinuierliche Begleitung
der teilnehmenden Studierenden durch die zweite Phase des Medizinstudiums. Die offene, wertschätzende Atmosphäre und die intensive Arbeit in kleinen Gruppen ermutigen die Studierenden, eigene Fragen und Bedenken anzuspre-chen, um so eventuell auftretende Hür-den gezielt abzubauen.
Rückblickend ist festzustellen, dass die Etablierung eines allgemeinmedizi-nischen Förderprogramms visionär war, auch um die Anerkennung des Fachs un-ter den Studierenden zu festigen. Als An-kerpunkt bietet die Nachwuchsaka-demie den teilnehmenden Studieren-den ein offenes Netzwerk mit flachen Hierarchien. Der intensive Austausch mit den engagierten Dozentinnen und Dozenten sowie den Alumni beflügelt die Begeisterung für die Allgemeinmedi-zin nachhaltig.
In den vergangenen acht Jahren sind mehr als 100 Studierende gefördert worden, allesamt Multiplikatoren für den Hausarztberuf sowie für das Fach Allgemeinmedizin.
Das Förderprogramm in ZahlenDas Förderprogramm in ZahlenGründungsjahr:2012 durch die DEGAM2012 durch die DEGAMInstitution: DESAMInstitution: DESAMFinanzbedarf: 52 000 Euro p aFinanzbedarf: 52.000 Euro p.a.Förderperiode: 3 JahreFörderperiode: 3 JahreGeförderte: StudierendeGeförderte: StudierendeAnzahl Geförderte: 15 Neuzugängepro Jahr, insgesamt 45
Klausurwochenende 2019 – Auftakt der Förderperiode
Vom 24. bis 26. Mai hat das diesjährige Klausurwochenende der Nachwuchs-akademie stattgefunden. Dieses Wo-chenende stellt den alljährlichen Auf-takt des Förderprogramms im Frühjahr dar. Die neu im März in das Programm aufgenommenen Studierenden und die beiden älteren Jahrgänge treffen sich dann erstmals persönlich. Mehr als 40 Studierende sowie mehr als zehn Jahr-gangsleiter und Referenten haben teil-genommen.
Eva Meisenzahl, seit März Mitglied der Nachwuchsakademie, studiert an der TU München im siebten Semester Medizin. Ihre Verbindung zur All-gemeinmedizin beschreibt sie folgen-dermaßen: „Mein Herz schlägt schon seit
einigen Jahren für die Allgemeinmedizin.
Die Vorstellung, einen Menschen im Ide-
alfall ein ganzes Leben zu begleiten und
für ihn stets ein Ansprechpartner zu sein,
egal ob Bauchschmerzen, Diabetes, Blut-
hochdruck ..., hat mich von Anfang an
fasziniert.“
Über die Nachwuchsakademie so-wie die Teilnahme an ihrem erstenKlausurwochenende äußert sie sich wiefolgt: „Die Nachwuchsakademie der DE-
SAM ergänzt meinen Berufswunsch und
mein Studium ideal, indem sie eine wun-
derbare Austauschmöglichkeit mit Studen-
ten und Ärzten aus ganz Deutschland bie-
tet und viele tolle Impulse und Anregungen
gibt. Dieses Wochenende hat wieder so vie-
le schöne Eindrücke gebracht, die einem
zeigen, warum man sich für diesen Weg
entschieden hat und dass es sich durchaus
lohnt, ihn zu gehen.“Abbildung Teilnehmer der Nachwuchsakademie Foto: Thomas Abé
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334
Blick eines Hausarztes auf das FörderprogrammDr. Anton Beck, seit 22 Jahren als Hausarzt in einer Einzelpraxis in Rottenburg an der Laaber tätig, begleitet seit sechs Jahren Studierende der Nachwuchsakademie.
Medizinstudierende sind in der Regel
hochmotiviert und haben den Wunsch,
gute Ärztinnen und Ärzte zu werden. Oft
stellt sich im Laufe des Studiums aller-
dings Ernüchterung ein. Das sture Ler-
nen von Wissen, häufig ohne erkennba-
ren Sinn für den erstrebten späteren Be-
ruf, das Fehlen von positiven Vorbildern
und die mangelnde Vermittlung der
ärztlichen Haltung lassen viele Medizin-
studierende an der Schönheit des ärztli-
chen Berufes zweifeln.
Die Nachwuchsakademie hält genau
hier dagegen: Sie macht den Studieren-
den Mut, leistet auf Wunsch Unterstüt-
zung auf verschiedenen Ebenen und
gibt das notwendige Selbstbewusstsein,
um den eingeschlagenen Berufswunsch
weiter zu verfolgen. Den teilnehmenden
Studierenden bietet sich im Rahmen
dieser dreijährigen Förderung somit
schon frühzeitig die Chance, das Fach-
gebiet der Allgemeinmedizin in Klein-
gruppenarbeiten vonseiten der Praxis
als auch wissenschaftlich nachhaltig
kennen zu lernen und ärztliche Haltung
zu erleben.
Als Hausarzt in eigener Praxis
überzeugt und begeistert mich dieses
Konzept. Ich möchte den Stipendiaten
als Dozent Lust auf Allgemeinmedizin
und den Beruf Hausarzt machen sowie
sie unterstützen, den von ihnen einge-
schlagenen Weg in die Allgemeinme-
dizin weiter mit Freude zu verfolgen.
Der intensive Austausch von Studie-
renden mit Dozenten aus Wissenschaft
und Praxis kann diese Freude an der All-
gemeinmedizin in allen Facetten und
mit allen Herausforderungen vermit-
teln. Die jährlichen Klausurwochen-
enden sind für mich in jeder Hinsicht
immer eine Bereicherung. Vernetzung,
kritische Diskussion auf Augenhöhe, le-
benslanges Lernen, ärztliche Haltung
und Freude am Beruf bleiben keine blo-
ßen Schlagwörter, sondern werden kon-
kret erfahrbar.
Das Konzept der DESAM-Nach-
wuchsakademie leistet eine nicht zu un-
terschätzende, wertvolle Nachwuchs-
arbeit unter den Medizinstudierenden,
und wird somit letztlich nicht nur für
die Studierenden selbst, sondern für un-
sere Gesellschaft von Gewinn sein.
Anton Beck
DESAM-NACHRICHTEN / DESAM NEWS
Inkl. 54. DEGAM-Kongress
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335DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND / GERMAN ASSOCIATION OF FAMILY PHYSICIANS
E-Logbuch für die Weiterbildung: Einheitlichkeit ist der KnackpunktDie Digitalisierung hält nun Einzug
in die Weiterbildung – mit dem elek-
tronischen Logbuch (E-Logbuch). Das
hat der 121. Deutsche Ärztetag 2018
im Zusammenhang mit der neuen
Musterweiterbildungsordnung so be-
schlossen und in diesem Jahr mit der
ersten Vorstellung eben dieses Log-
buchs einen Haken an das Dekaden-
projekt gesetzt. Seit Juli steht die bun-
desweite Webanwendung zur Ver-
fügung. Attraktiv und praktisch: Wis-
sens- und Erfahrungszuwachs werden
übersichtlich, transparent und sicher
erfasst. Die verpflichtende elektro-
nische Evaluation der Weiterbildung
ist eine gute Sache. Mit den Angaben
der Ärzte in Weiterbildung haben die
Ärztekammern ein wertvolles Instru-
ment in der Hand, ihrer Aufgabe – der
Sicherung der Qualität der Weiterbil-
dung – noch besser nachzukommen.
So weit, so gut.
Das E-Logbuch ist ein System, das
von den Landesärztekammern ange-
wendet werden kann, sobald die Lan-
desärztekammern ihre Weiterbil-
dungsordnung an die neue Musterwei-
terbildungsordnung angepasst haben.
Hierfür sind nun die Kammern am
Zug. Das besondere Extra für die All-
gemeinmedizin: Der Deutsche Ärzte-
tag hat Wert daraufgelegt, es grund-
sätzlich technisch zu ermöglichen,
dass einzelne Landesärztekammern
jenseits des bundeseinheitlichen
E-Logbuchs individuelle Ergänzungen
und Abweichungen vornehmen kön-
nen. Das hört sich prinzipiell gut an,
birgt jedoch besondere Herausforde-
rungen für die Anwendbarkeit des
E-Logbuchs.
Während die Weiterbildungsord-
nungen anderer Fachgebiete gut ver-
gleichbar sind, gilt dies nicht für die All-
gemeinmedizin. Hier werden in man-
chem Kammerbezirk eigene Ideen und
Konzepte verfolgt. Dieser „Lokalpatrio-
tismus“ ist in historisch gewachsenen,
strukturellen Gegebenheiten begründet,
die regional ganz eigene Vorstellungen
davon hervorgebracht haben, was die
Hausarztmedizin ausmacht und was für
die allgemeinmedizinische Weiterbil-
dung erforderlich ist.
Eine Zerfaserung der Weiterbildung,
wie sie etwa in Berlin durch die Einfüh-
rung obligatorischer kleiner Weiterbil-
dungsabschnitte in der Pädiatrie und
Orthopädie eingeführt wurde, wird
durch die neue Musterweiterbildungs-
ordnung nicht gefördert. Vielmehr soll
die zukünftige 24-monatige hausärzt-
liche Weiterbildung in einer allgemein-
medizinisch ausgerichteten Praxis und
die verpflichtende Weiterbildung in der
stationären Inneren Medizin ergänzt
werden durch einen flexiblen Wahl-
abschnitt. Damit wird den unterschied-
lichen regionalen Möglichkeiten und
Präferenzen der angehenden Fachärzte
besser Rechnung getragen.
Mit der neuen Weiterbildungsord-
nung liegt der Fokus nun – so stark wie
nie zuvor – auf den zu erwerbenden
Kompetenzen. Während früher die
Pflichtabschnittszeiten im Vordergrund
standen, werden Ärztinnen und Ärzte
nun ganz anders nach Weiterbildungs-
stellen suchen, die die Vermittlung der
erforderlichen Kompetenzen bieten
können. Das ist eine gute Entwicklung,
denn eine inhaltlich sinnvolle Weiter-
bildung wird damit nach vorne ge-
bracht.
Eine möglicherweise abweichende
Auslegung der Musterweiterbildungs-
ordnung in den Landesärztekammern
würde jedoch die Identität des Faches
Allgemeinmedizin schwächen und die
Weiterbildung komplizierter machen.
Ein Wohnortwechsel etwa ist für in Wei-
terbildung befindliche Allgemeinmedi-
ziner eine besondere Herausforderung.
Damit muss nun Schluss sein. Denn:
Durch den Flickenteppich in der Weiter-
bildung wird auch der eigentliche Sinn
des E-Logbuchs – eine Vereinfachung
der Weiterbildung für Weiterbilder und
Ärzte in Weiterbildung, auch bei einem
Kammerwechsel – konterkariert. Es ist
wichtig, dass die einzelnen Ärztekam-
mern die Musterweiterbildungsordnung
und das E-Logbuch auf Länderebene
nun auch schnell umsetzen. Das E-Log-
buch bringt die Hoffnung mit sich, dass
Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung
ihre Kompetenzen künftig einfach und
sicher dokumentieren und entwickeln
können. Es gilt, diese Verbesserung und
Erleichterung auch erlebbar zu machen.
Dr. Leonor Heinz
Sprecherin des Forums Weiterbildung
im Deutschen Hausärzteverband
Wie sieht das neue E-Logbuch in der Anwendung aus? Ein erster Einblick im Video: https://hausarzt.link/D8T9A
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336 IMPRESSUM / IMPRINT
Herausgebende Gesellschaft / Publishing InstitutionDeutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) // German College of General Practitioners and Family Physicians DEGAM-Bundesgeschäftsstelle Friedrichstraße 88, 10117 Berlin, www.degam.de
Mitherausgebende Gesellschaften / AffiliationsGesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA; www.gha-info.de); Niederösterreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (NÖGAM; https://noegam.at/); Österreichisches Institut für Allgemeinmedizin (ÖIfAM; https://www.allmed.at/); Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM; https://sagam.at/); Steirische Akademie für Allgemeinmedizin (STAFAM; www.stafam.at/); Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM; www.suegam.it/); Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM; www.tgam.at/); Vorarlberger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (VGAM; https://vgam.at/)
Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Austrian Institute of Gen eral Practitioners, the Lower Austrian College of General Practitioners, the Salzburg Society of Family Medicine, the Society of Professors of Family Medicine, the Southtyrolean College of General Practitioners, the Styrian College of General Practi -tioners, the Tyrolean College of General Practitioners, the Vorarlberg Society of Family Medicine
Herausgeber/innen / EditorsProf. Dr. med. Hanna Kaduszkiewicz Institut für Allgemeinmedizin Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Medizinische Fakultät Michaelisstraße 5, Haus 17, 24105 Kiel [email protected]
Prof. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Allgemeinmedizin, Emeritus, Universitätsmedizin Göttingen Lehrbereich Allgemeinmedizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Ludwigstraße 37, 79104 Freiburg [email protected]
Prof. Dr. med. Wilhelm Niebling Facharzt für Allgemeinmedizin Lehrbereich Allgemeinmedizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Schwarzwaldstraße 69, 79822 Titisee-Neustadt [email protected]
Dr. med. Susanne Rabady Ärztin für Allgemeinmedizin Paracelsus Medizinische Privatuniversität Landstraße 2, A-3841 Windigsteig [email protected]
Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Allgemeinmedizin Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin am Zentrum für Public Health Medizinische Universität Wien Kinderspitalgasse 15/I 1090 Wien, Österreich [email protected]
Verantwortlicher Redakteur i. S. d. P. / Editor in ChiefProf. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Allgemeinmedizin Emeritus, Universitätsmedizin Göttingen Lehrbereich Allgemeinmedizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Ludwigstraße 37, 79104 Freiburg [email protected]
Internationaler Beirat / International Advisory BoardJ. Beasley, Madison/Wisconsin, USA; F. Buntinx, Leuven/Belgien; G.-J. Dinant, Maastricht/NL;M. Egger, Bern/CH; E. Garrett, Columbia/ Missouri, USA; P. Glasziou, Robina/Australien;T. Greenhalgh, London/UK; P. Hjortdahl, Oslo/Norwegen; E. Kahana, Cleveland/Ohio, USA;A. Knottnerus, Maastricht/NL; J. Lexchin, Toronto/Ontario, Kanada; C. del Mar, Robina/Australien; J. de Maeseneer, Gent/Belgien;P. van Royen, Antwerpen/Belgien; F. Sullivan, Dundee/UK und Toronto/Kanada; C. van Weel, Nijmegen/NL; Y. Yaphe, Porto/Portugal
Verlag / PublisherDeutscher Ärzteverlag GmbHDieselstr. 2, 50859 Köln, Postfach 40 02 65, 50832 KölnTel.: +49 2234 7011-0 www.aerzteverlag.de
Geschäftsführung / Executive BoardJürgen Führer
Leitung Geschäftsbereich Medizin und Zahnmedizin/ Director Business Division Medicine and DentistryKatrin Groos
Produktmanagement / Product ManagerMarie-Luise Bertram, Tel.: +49 2234 [email protected]
Lektorat / Editorial OfficeJürgen Bluhme-RasmussenTel.: +49 2234 7011-512 [email protected]
Internetwww.online-zfa.de
Abonnementservice / Subscription ServiceTel.: +49 2234 7011-520, Fax: +49 2234 7011-470, [email protected]
Erscheinungsweise / Frequency11-mal jährlich,Bezugspreise (inkl. Inlandsporto und MwSt.):Jahresabonnement € 114,00Jahresabonnement für Studierende € 84,00Einzelheftpreis € 10,40Auslandsversandkosten (pro Heft) € 2,30Die Kündigungsfrist beträgt 6 Wochen zum Ende des Kalenderjahres. Gerichtsstand Köln. Für Mitglieder der DEGAM. ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Verantwortlich für den Anzeigenteil / Advertising CoordinatorMichael Heinrich, Tel. +49 2234 7011-233, [email protected]
Verkaufsleiter Medizin / Head of Sales MedicineEric Henquinet, Tel. +49 172 2363754, [email protected]
Key Account ManagementPetra Paul, Tel. +49 2234 70 11-239, [email protected]
Verlagsrepräsentanten Industrieanzeigen / Commercial Advertising RepresentativesNon-Health: Eric Le Gall, Tel. +49 2202 9649510, Mobil +49 172 2575333, [email protected]
Herstellung / Production DepartmentBernd Schunk, Tel. +49 2234 7011-280, [email protected] Krauth, Tel. +49 2234 7011-278, [email protected]
LayoutMichael Nardella
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Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin
German Journal of Family Medicine
7-8/August 2019 – Seite 289–336 – 95. Jahrgang www.online-zfa.de
Konrad Adenauer aus den ersten Artikeln des DeutschenGrundgesetzes vom23.Mai 1949
Kaum ein deutscher Politiker ist so bekannt wie der erste Bundeskanzler undkaum ein Schriftstück könnte dessen enorme Verdienste um die demokrati-sche Grundordnung unseres Landes besser verkörpern als das Grundgesetzder Bundesrepublik Deutschland, das er als Präsident des Parlamentari-schen Rates entscheidend prägte.
Der Kölner Künstler SAXA hat dem berühmtesten Sohn KölnsKonrad Adenauer ein besonderes Denkmal gesetzt: Er schuf von Handgeschrieben aus den Worten unseres nun 70-jährigen Grundgesetzesdessen prägnantes Porträt als einzigartige Wortmalerei.
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Ebenfalls von SAXA:Der DOM - Wahrzeichender Geburtsstadt Konrad Adenauers.
In folgenden Größe erhältlich:
Bildmaß: 50 x 50 cm (gerahmt weiß oder schwarz)mit Passepartout, signiert, datiert
Preis: € 125,–
Bildmaß: 30 x 30 cm (gerahmt weiß oder schwarz)ohne Passepartout, signiert, datiert
Preis: € 65,–
SAXA – Konrad Adenauer
Fine Art Print auf 240g/m² Invercote Creato, lackierterEchtholzrahmen (weiß oder schwarz), handsigniert und datiert
In zwei unterschiedlichen Größen erhältlich:
Edition 1 | gerahmt ca. 32/32 cm (Motiv ca. 20/20 cm)
ohne Passepartout € 95,– statt 150 EUR*
Edition 2 | gerahmt ca. 52/52 cm (Motiv ca. 32/32 cm)
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70 JAHRE UND KEIN BISSCHEN ALT:DAS DEUTSCHE GRUNDGESETZ UND SEIN GESICHT
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