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Marie Hinz Alex Ganz Sonja Collison Katrin Rickerts dgv-Studierendentreffen 2007 Vom 7. bis zum 10. Juni 2007 fand in Wien das diesjährige dgv-Studierenden- treffen statt. Das Thema des Treffens sollte sein, sich (wieder) einmal Gedan- ken über die Fachidentität zu machen – vor dem aktuellem Hintergrund – der drohenden Zusammenlegung der Volkskunde mit der Sozialanthropologie in Wien, aber auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Namensgebun- gen des Faches an anderen Universitäten und nicht zuletzt der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge. Also trafen sich 16 HamburgerInnen mit Studierenden der Europäischen Ethnologie, Volkskunde und anderen vergleichbaren Wissenschaften von diversen Universitäten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland am Ins- titut für Europäische Ethnologie in Wien. Nach einem ersten Kennenlernen von Stadt und MitstreiterInnen fanden sich die ca. 170 TeilnehmerInnen zu Der Ansturm auf die Teilnahmelisten des Workshops (Foto: privat).

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Marie HinzAlex GanzSonja CollisonKatrin Rickerts

dgv-Studierendentreffen 2007

Vom 7. bis zum 10. Juni 2007 fand in Wien das diesjährige dgv-Studierenden-treffen statt. Das Thema des Treffens sollte sein, sich (wieder) einmal Gedan-ken über die Fachidentität zu machen – vor dem aktuellem Hintergrund – der drohenden Zusammenlegung der Volkskunde mit der Sozialanthropologie in Wien, aber auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Namensgebun-gen des Faches an anderen Universitäten und nicht zuletzt der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge.

Also trafen sich 16 HamburgerInnen mit Studierenden der Europäischen Ethnologie, Volkskunde und anderen vergleichbaren Wissenschaften von diversen Universitäten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland am Ins-titut für Europäische Ethnologie in Wien. Nach einem ersten Kennenlernen von Stadt und MitstreiterInnen fanden sich die ca. 170 TeilnehmerInnen zu

Der Ansturm auf die Teilnahmelisten des Workshops (Foto: privat).

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einem Empfang im schönen Ambiente des Volkskunde-Museums ein. Einer Begrüßung durch das OrganisatorInnen-Team und einer Rede von Konrad Köstlin folgte ein skurril anmutender Ansturm auf die Workshop-Teilnah-melisten. Die nächsten zwei Tage widmeten wir uns in weitgehend sehr gut vorbereiteten und engagierten Workshops nicht nur der oben genannten Fra-gestellung.1 Am Sonntag dann stellten die TeilnehmerInnen der Workshops ihre Ergebnisse dem Plenum vor.

Im Weiteren einige Beispiele aus dem Themenkreis:

Berufsperspektiven und »Karrieren«Der Workshop »Berufsperspektiven und ›Karrieren‹« wurde gleich zu Anfang in drei Gruppen eingeteilt, welche sich unterschiedlichen Themen zuwende-ten. In weiser Voraussicht verteilten wir drei Hamburgerinnen uns je in einen dieser »MiniWorkshops«.

Svenja Reinke hat aus ihrer Sicht Folgendes zu berichten:»Die Art wie sich entschied, wer in welchen Workshop kam, gestaltete sich

ziemlich chaotisch. Eigentlich wollte ich nicht in den ›Berufsperspektiven‹-Workshop. Ein Ergebnis, das wir dort formulierten, entsprach nämlich letztlich meiner Ausgangslage: Fragen nach den beruflichen Möglichkeiten, die auf das Volkskunde-Studium folgen, sind unangenehm, kaum zu beantworten und werden gern umschifft. Ich will trotzdem nicht behaupten, vor dem Workshop so viel gewusst zu haben wie hinterher. Eine traurige Erkenntnis hat sich bestä-tigt: Die Berufsperspektiven für KulturwissenschaftlerInnen sind alles andere als rosig. Dennoch sensibilisierte die Diskussion im Workshop dafür, welche Stär-ken unsere Ausbildung fördert. Diese in der Bewerbungssituation selbstbewusst zu benennen, dürfte vielen von uns nun leichter fallen als zuvor. Das Augen-merk richtete sich auch darauf, dass wir uns potentiellen ArbeitgeberInnen mit unseren Studieninhalten und Schwerpunkten präsentieren müssen, statt davon auszugehen, dass sie ohnehin wissen, womit bzw. mit wem sie es zu tun haben.

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1 Zur Wahl standen uns: 1. Institutslandschaften, 2. Film und Fotografie in der Europäischen Ethnologie, 3. Berufsperspektiven und »Karrieren«, 4. Volkskunde / EE / EKW ... Das alles ist möglich Fach?, 5. Without a canon you can ...?, 6. Wozu Europäische Ethnologie?, 7. Annäherungen an Fragen zur Relevanz der Europäischen Ethnologie, 8. SpielRaumPraxis – Erkundungen über einige Marginalitäten unseres Faches, 9. Möglichkeitsräume »Was studieren wir da jetzt eigentlich genau?«, 10. Network – Under Construction.

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Die Workshopleitung war gut vorbereitet und der Aufbau wohlüberlegt. Das Konzept ging auf, insofern als der Großteil der TeilnehmerInnen bis zum Schluss engagiert und produktiv dabeiblieb. Ein Manko war vielleicht, dass die Teilnehmerinnen besser hätten vorbereitet sein können. Ich habe die halbe Zeit im Workshop damit verbracht, ein Kapitel aus einem veralteten Berufs-leitfaden zu bearbeiten. Zum Lesen war mir die Zeit eigentlich zu schade, die wir hätten nützen können, um uns untereinander auszutauschen.«

Die zweite Gruppe, in der Freya Matthisen sich engagierte, befragte Absol-ventInnen der Volkskunde nach ihrem beruflichen Werdegang und Tipps und Tricks. Hierzu Freya Matthisen:

»Wir erarbeiteten im Vorfeld des Interviews einen Gesprächsleitfaden und von uns zu stellende Fragen. Hans Schneider2, 42 Jahre, freiberuflich tätiger Volkskundler, erzählte uns von seinem Studium und Jobverlauf. Er engagierte sich schon während des Studiums in seinem Fachbereich und erhielt darüber auch seine ersten Jobs. Bis heute erhält er die meisten Aufträge über Mund-zu-Mund-Propaganda. Von AbsolventInnen heutzutage oft geforderte Kriterien wie Praktika und Fremdsprachenkenntnisse erfüllt er nicht. Er betonte sehr, dass man als Freiberufler seine Kontakte immer pflegen muss und außerdem taktisch klug vorgehen sollte, z. B. bei Gehaltsverhandlungen. Darüber hinaus spielt auch immer ein wenig Glück mit, wenn es um neue Jobaufträge geht. Außerdem, so Hans Schneider, zählt die Persönlichkeit und das eigene En-gagement im Hinblick auf einen Job. Interessen und Stärken sollten verfolgt werden. Dabei half ihm das Studium der Volkskunde generell, nicht aber die einzelnen Seminarinhalte. Schneiders Meinung nach dient die volkskundliche Methodik als Rüstzeug für den späteren Beruf. Das Studium der Geistes- und Kulturwissenschaften ermögliche die kritische Reflexion sowie die historische Einordnung und die Kontextualisierung in die Gegenwart.

Abschließend kann gesagt werden, dass Herr Schneider nicht unbedingt den typischen Lebenslauf heutiger StudentInnen und AbsolventInnen hat. Trotzdem konnte unsere Gruppe mit einem Wissensgewinn aus dem Ge-spräch herausgehen und wird einige Tipps von ihm beherzigen.«

Zu guter Letzt besuchte Anna-Lisa Dietl den praktischsten Teil des Work-shops, in dem simulierte Bewerbungsgespräche in drei verschiedenen Unter-nehmen geführt wurden:

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2 Name geändert.

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»Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch suchte ich meinen Weg durch das fremde Wien zum Institut für Kulturkonzepte, bei dem ich angemeldet war. Erst einmal angekommen, stieß ich auf Enttäuschung seitens meiner Ansprechpartnerin: Sie hatte sich eine bessere Vorbereitung meinerseits gewünscht, mit der sicherlich auch ich entspannter ins Gespräch gegangen wäre.

Wir entschieden dann, das Beste aus der Situation zu machen, und sie gab mir sehr viele hilfreiche Tipps für meine Bewerbungsunterlagen. Besonders die Idee, meine bisherigen Praktika und Nebenjobs unter dem Stichpunkt ›Berufserfahrung‹ zu fassen, leuchtete mir ein. Mit den Worten ›klotzen nicht kleckern‹ verabschiedete sie mich und ich freute mich darauf, meine Erfah-rung mit denen anderer WorkshopteilnehmerInnen auszutauschen.«

Der Workshop »Berufsperspektiven und ›Karrieren‹« war im Ganzen für uns stimmig und wir empfanden es als überfällig, uns mit StudentInnen aus anderen Instituten zu vernetzen und interessante, wenn auch viel zu kurze Diskussionen zu führen.

Svenja Reinke, Freya Matthisen, Anna-Lisa Dietl

Möglichkeitsräume »Was studieren wir da jetzt eigentlich genau?«Namen, Orte und die Frage nach der Relevanz und vor allem den Möglich-keiten unseres Faches standen in Workshop Nummer 9 im Mittelpunkt. Das Thema: Projektarbeit.

Der Vorstellung der vertretenen Institute folgte eine erste Debatte, wel-chen Stellenwert Projektarbeit im Studium in den einzelnen Instituten bislang einnimmt und wo Erweiterungen besonders im Rahmen der Bachelor- oder auch Masterstudiengänge geplant sind. Vorteile bei der Verankerung von Praxismodulen im Bachelorstudium könnten die adäquatere Bewertungs-möglichkeiten von Projektarbeit sein. Denn Projekte bringen neben einem wissenschaftlichen Teil auch immer einen großen organisatorischen Teil mit sich. Hier beeindruckte besonders das Frankfurter Institut durch zahlreiche selbst organisierte studentische Projekte neben dem regulären Studium.

Im Volksliedarchiv in der Operngasse, in dem gefühlte 40° C herrschten, kamen wir nun zu der Frage, was es denn eigentlich ist, das den Charakter und die Möglichkeiten der Projektarbeit ausmacht. Hier der Versuch einer Definition:

Ein Projekt ist eine temporär angelegte Konzentration von Wissen und Fachkräften aus verschiedenen Bereichen und Disziplinen mit einem von An-fang an feststehenden Ziel. Die Hierarchien bei der Projektarbeit sind flacher

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als z.B. in Universitäten oder Firmenstrukturen. Die ständige Diskussion des Ziels und des Weges dorthin ist Ausdruck dessen und ein Merkmal für den prozessualen Charakter eines Projekts.

Die hauptberufliche Arbeit in Projekten bedeutet auf der einen Seite eine ständig prekäre Lage, bietet aber auf der anderen Seite eine höchstmögliche Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit. Nico Wahl, der im Workshop von seiner Arbeit als Projektmanager bei »LINZ 09«3 berichtete, möchte eben diese Flexibilität nicht mehr missen und bezeichnete sich selbst als »schwer resozialisierbar« bezüglich der Rückkehr in ein festes Arbeitsverhältnis. Er stellte fest, dass jedes Projekt die Möglichkeit biete, das eigene Netzwerk zu erweitern und damit die Chancen für den nächsten Job zu vergrößern. An dieser Stelle gab es auch Raum für Fragen betreffs Formalien etc. bei der Ein-reichung von Projekten.

Durch die begrenzte Zeit wurden jedoch zahlreiche Fragen – besonders in den Projektsimulationen am zweiten Tag – nur angerissen: Welches sind die spezifischen Kompetenzen, die wir VolkskundlerInnen/Kulturanthropo-logInnen in Projekte einbringen können? Welche Möglichkeiten gibt es, bei der Präsentation der Ergebnisse (Publikationen, Ausstellungen etc.) unser Fach einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen? Sollen und wollen wir nur aktuelle Bedürfnisse befriedigen und den Markt bedienen oder sollen und wollen wir uns durch die Projekte eigene Bereiche schaffen? Fragen über Fragen.

Inga Reimers

Film und Fotografie in der Europäischen EthnologieFilmen und Fotografieren war das Thema unserer Projektgruppe. Am Don-nertag trafen wir uns in der Bibliothek des Wiener Instituts. Die Teilnehme-rInnen kamen aus Berlin, Hamburg, Innsbruck, Mainz, Marburg, München und Wien. Monika Rabofsky und Daniela Schadauer leiteten den Workshop. Zunächst haben wir uns vorgestellt und darüber ausgetauscht, wie an den ver-schiedenen Instituten mit den Medien Film und Foto umgegangen wird. In Bezug auf die vertretenen Institute stellte sich heraus, dass ethnographische/

3 Linz ist 2009 Kulturhauptstadt Europas. Alle Aktivitäten und Projekte dazu werden von einem Kuratorenteam ausgewählt und finden teils im Vorfeld, teils erst 2009 statt. Im Mit-telpunkt steht die Zusammenführung lokaler, regionaler und nationaler Inhalte in einem europäischen Rahmen. Das Prädikat Kulturhauptstadt Europas ist vergleichbar mit der Förderung durch ein Stipendium.

Marie Hinz u.a.: dgv-Studierendentreffen 2007 103

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ethnologische Fotografie und dokumentarischer Film oft marginalisiert wer-den, insbesondere wohl in Wien, sodass den Workshop-Initiatorinnen be-sonders daran gelegen war, die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die beiden Medien an ihrem Institut mit neuen Impulsen anzuregen. Im Gegen-satz zu Wien und Marburg – besonders in Marburg scheint das Angebot die Theorie sehr zu betonen – gibt es bei uns in Hamburg ein recht regelmäßiges Angebot sowohl zu praktischen als auch theoretischen Zusammenhängen von Foto, Video und Film. In Hamburg sind darüber hinaus mit dem Umzug der meisten kulturwissenschaftlichen Fächer in das ESA West seit Spätsommer 2006 die Voraussetzungen für eine inter- und transdiziplinäre Auseinander-setzung besonders günstig. Zumindest räumliche Nähe4 und in manchen Fällen auch die Zusammenlegung bestimmter Ressourcen, insbesondere der Department-Bibliothek, können für eine interdisziplinäre Beschäftigung um Foto und Video von Vorteil sein.

Nach der Klärung unserer »Ausgangssituationen« haben wir in vier Gruppen Textabschnitte von Ulrich Hägeles Aufsatz »Visual Anthropology oder visuel-le Kulturwissenschaft?«5 bearbeitet und anschließend im Plenum diskutiert. Als Diskussionspunkte haben sich die Frage nach den Charakteristika von ethnographischen/ethnologischen Fotos und nach der Bedeutung des eigenen Fotografierens für uns Forschende entwickelt. Zum einen begegnet uns das Medium Foto bei der Arbeit als Forschungsobjekt, zum anderen als Methode und Quelle. Fotografieren und Fotografien bieten im Sinne unserer Zugänge in der Volkskunde und für das Erkennen von Zusammenhängen einen Zuge-winn. Auch lassen sich Kontexte, wie z.B. die Umgebung einer Interviewsi-tuation, durch Fotos visualisieren. Als Abbildung in textlichen Darstellungen kann über Foto- und Video-Stil der jeweilige Kontext relativ simpel eingear-beitet werden.

Nach der Mittagspause ging es um das Medium Film. Wir haben einige Filme unter besonderer Berücksichtigung der Frage analysiert, inwiefern eine

4 Der Studiengang Musik hat zum Beispiel noch eigene Räumlichkeiten.5 Hägele, Ulrich: Visual Anthropology oder Visuelle Kulturwissenschaft? Überlegungen zu

Aspekten volkskundlicher Fotografie. In: Ziehe, Irene/Ulrich Hägele (Hg.): Fotografieren vom Alltag – Fotografieren als Alltag. Tagung der Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde und der Sektion Geschichte und Archive der Deutschen Gesell-schaft für Photographie im Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin vom 15. bis 17. November 2002 Münster 2004, S. 27–48 (= Visuelle Kultur. Studien und Materialien, Bd. 1).

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Kamera in das aufzunehmende Geschehen eingreift und inwieweit ihr Vor-handensein erst bestimmte Handlungen hervorruft.6

Am ersten Tag zogen wir das Fazit, dass Kameraaufnahmen – also sowohl Foto als auch Video – immer nur Ausschnitte komplexer Situationsmomen-te sind, die zudem der Perspektivwahl des Aufnehmenden unterliegen. Sie bedürfen einer bildgerechten Analyse, sodass ein Austausch mit bild- und auch kunstwissenschaftlichen Fächern wünschenswert ist. Foto- und Video-aufnahmen bieten vor allem aber gegenüber der reinen Textualisierung von teilnehmenden Beobachtungen und Interviewbeschreibungen ein großes Re-flexionspotential – besonders in der Kombination beider Medien.

Am zweiten Tag führten wir vormittags eigene Feldforschungen zum Thema Wien durch. Die Medien Foto und Video sollten nun in der Praxis erprobt wer-den. Am Nachmittag folgte eine Präsentation unserer Ergebnisse in der Gruppe, eine Reflexion unserer Arbeit und die Vorbereitungen der Abschlusspräsentati-on des Workshops vor allen TeilnehmerInnen für den gemeinsamen Sonntag.

In unserem Workshop bildeten sich vier Projektgruppen, von denen zufäl-lig drei den Naschmarkt als Forschungsort wählten. Der Naschmarkt ist ein Lebensmittel- und Flohmarkt in der Wiener City, der sieben Tage die Woche zum Einkaufen und durch das Gastronomieangebot auch zum längeren Ver-weilen einlädt. Eine Gruppe hat sich, ausgestattet mit einem Fotoapparat, der Frage nach der »Veränderung des Forschungsschwerpunktes im Feld durch die Anwesenheit der Kamera« gestellt. Eine andere setzte sich fotografisch mit »Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Flohmarkt/Naschmarkt« auseinander. Wir, ein Hamburger und eine Hamburgerin, haben mit zwei Innsbruckern das Projekt »EinBlick – Naschmarkt. Fotos, Film und Inter-view – Multiperspektivität als Chance« entwickelt. Hinzu kam das einzeln durchgeführte reine Videoprojekt »Planespotter – experimenteller Einsatz der Handkamera in der Forschung beim Beobachten von Beobachtern«.

Wir, die »Hamburg-Innsbruck-Kooperation«, haben versucht die Feldfor-schung – in unserem Fall die Erforschung der Selbst- und Warenpräsentation eines Marktverkäufers am Beispiel eines Falafel-Marktstandes – um eine zeit-gleich stattfindende, visuelle Reflexionsebene der Forschungsunternehmung zu erweitern. Mit Foto, Video und Tonband haben wir ein Interview (Gespräch und Tonbandaufnahme: Lina Nikou, Selbstdarstellung und Detailaufnahmen

6 Harun Farocki: »Ein Leben BRD«, 1990, Jean Rauch: »An Image« (»Ein Bild«), 1983, Niko-laus Geyrhalter: »Angeschwemmt«, 1994.

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mit dem Fotoapparat: Martin Steidl) und parallel dazu eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt sowie mit Video (Nina Kalenbach) und Tele-Fo-toaufnahmen (Laurent Pomme) eine bzw. zwei Metaebenen der Beobachtung eingeführt.

Für uns hat der Einsatz verschiedener Medien und Forscherperspektiven besondere Vorteile im Hinblick auf das Erkennen von Details offenbart, die dem bloßen Auge leicht entgehen können. Auch die vielschichtige Lesbarkeit von visuellem Material wirkt sich positiv auf den Forschungsprozess aus. Dar-über hinaus sehen wir in der beliebig wiederholbaren Abspielmöglichkeit ei-nes Videomitschnitts einen großen Gewinn gegenüber schriftlichen Notizen. Außerdem bietet der Einsatz von visuellen (und auch audiovisuellen) Medien einen komplementären Zugang zur rein textbezogenen Arbeit – insbesondere im Bezug auf die wissenschaftliche Vermittlung.

Besonders interessant fanden wir den Forschungsaspekt unseres Themas. Wir haben interessante neue Fragestellungen und Blickwinkel kennengelernt

Abb. 2: Was im Stil des Fotobeispiels (unsichtbarer Forscher und Fotograf Laurent Pomme) wie eine Bedrohung des »Forschungsobjektes« durch die drei Forscher und ihre »Waffen« erscheint, zeigt sich in der bewegten Videoaufnahme (Nina Kalenbach) als kurzer, relativ unbedrohlicher Moment der Gesamtsituation (Foto: privat).

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und die Auseinandersetzung mit Foto und Video in der kurzen Zeit sehr intensiv erlebt. Vor allem die Gruppenarbeit hat die drei Tage in Wien und unsere Beschäftigung mit dem Thema sehr bereichert.

Nina Kalenbach und Lina Nikou

SpielRaumPraxis – Erkundungen über einige Marginalitäten unseres Faches»Europäische Ethnologie ist randseitig: in der Universitätslandschaft, in der Öffentlichkeit, im Leben der Alltagsmenschen, im Erscheinungsbild der Stadt, in der Alltagsmenschen wohnen: zum Beispiel in Wien. StudentInnen der Europäischen Ethnologie sind Randseiter dieser Randseitigkeit: in der Diskussion um Fachidentitäten, in der Außenwahrnehmung eines Instituts, in der Berufswelt«, so unser Projektleiter Max Leimstätter in der Beschreibung seines Workshops.

Zwei alte Koffer bildeten den Rahmen unserer Aufgabe. Konkreter hieß es: Benennt ein Alltagsthema, führt dazu empirische Forschungen durch, formt aus den Ergebnissen eine kleine Ausstellung in den Koffern und tragt damit die Ergebnisse der Forschungen an einen öffentlichen Ort und somit in eine öffentliche Diskussion.

Die zwei zur Verfügung stehenden Tage bildeten den knappen zeitlichen Rahmen. Hier ging es nicht um repräsentative Forschungsergebnisse und nicht um eine bis ins Detail durchdachte Ausstellung. Hier ging es vielmehr darum, uns selbst in unserem Fach und in der Diskussion um die Fach-identität zu positionieren sowie die Außenwahrnehmung auf unser Fach zu reflektieren. Die Marginalitäten, auf die Max Leimstätter abzielte, sollten ein »Spannungsfeld zwischen akademischen Kapazitäten und der enormen the-matischen bzw. gesellschaftspolitischen Ausdehnung unserer Wissenschaft« aufmachen. Mittels unserer experimentellen »Stehgreif-Öffentlichkeitsarbeit« sollten uns Spielräume deutlich werden, die eine Auseinandersetzung mit Volkskunde/Europäischer Ethnologie weit ab von institutionellen Räumen ermöglichte.

Das Thema, auf das wir uns nach angeregter Diskussion einigten, lautete »Mein Wien/Dein Wien« und sollte mittels Befragungen auf der Straße unter-schiedliche Eindrücke von Wien aufzeigen. Schlagwörter, Zeichnungen und Fotografien der Befragten sollten die Stadt auf eine Weise beschreiben, die in keinem Reiseführer zu finden ist. Ein halber Tag stand für diese Arbeit zur Verfügung. Während zwei Kommilitoninnen einen für die Ausstellung geeig-neten Platz in Wien suchten und zwei weitere sich mit rechtlichen Fragen zur Versammlungsmöglichkeit unserer Gruppe im öffentlichen Raum auseinander

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setzten, machten sich fünf Zweiergruppen auf zu einem Forschungsspaziergang durch die Stadt.

Mein Projektpartner Alex Rissmann und ich wählten willkürlich einen Ort. Ohne dass wir uns gut vorbereitet fühlten, befragten wir die ersten Personen in einer Fußgängerzone im Süden der Stadt. Unsere Fragestellungen schienen nicht deutlich zu machen, was das Ziel unserer Befragung war. Ihre Antworten entsprachen Auszügen aus Reiseführern; malen, fotografieren oder in knappe Worte fassen, welcher Ort für sie Wien repräsentiere, fiel ihnen schwer. Nach einer Weile begannen wir selbst, den Ort auf einer Karte zu verzeichnen, den wir beschrieben bekamen. Wir folgten unserer Karte und besuchten diese in-dividuellen Lieblingsorte. Um an unsere Karte weiter anknüpfen zu können, ließen wir uns dort von einer weiteren Person ihren Lieblingsort nennen. Auch dem folgten wir und verzeichneten unseren Weg in der Karte. Eine ganze Weile folgten wir auf diese Weise den Erzählungen von befragten Personen durch die Stadt. Es entstand für uns ein von sehr persönlichen Erfahrungen und Vorlie-ben geprägtes Bild von favorisierten Orten in Wien.

Abb.4: »Mein Wien/Dein Wien« – eine Kommilitonin erläutert einem Passanten unsere Idee (Foto: privat)

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Unsere Karte wurde zusammen mit Fotografien der Befragten und der in ihren Namen besuchten Orte in einem der Koffer zusammengestellt. Im zwei-ten Koffer entstand ein wilder Berg von Zetteln mit Schlagworten, Fotografien und Zeichnungen, die die anderen Gruppen auf ihrem Forschungsspaziergang gesammelt hatten. Die Koffer präsentierten wir am letzten Nachmittag in ei-ner Fußgängerzone der Wiener Innenstadt. Die Passanten waren aufgefordert, unsere Ausstellung inhaltlich mit eigenen Eindrücken von Wien zu erweitern. Dazu verteilten wir Flyer, auf denen das Vorgehen von Alex Rissmann und mir beschrieben war und der Leser ermuntert wurde, Wien – oder jede beliebige Stadt – auf diese Weise (neu) zu entdecken. Die Arbeit mit Alex Rissmann war sehr spontan und immer wieder hat sich uns gezeigt, dass wir unser Anliegen ungenau formulierten. Die meisten Antworten schienen sehr von der Vorstel-lung geprägt, wir seien Touristen und wollten Orte genannt bekommen, an denen wir etwas erleben können. Das ist eventuell dadurch zu erklären, dass wir uns nicht eindeutig als Studenten der Volkskunde zu erkennen gegeben haben – vermutlich, um von unseren Fragen abschweifende Gegenfragen zu vermeiden (Was ist das, was ihr studiert? Was bringt das?). Dagegen war bei der Kofferpräsentation in der Fußgängerzone genügend Raum, uns, unser Fach und die Fragen, die uns bewegten, mit Passanten zu diskutieren. Diese Gesprä-che waren sehr fruchtbar und haben gezeigt, wie sich Menschen darüber freuen können, auf so alltägliche Dinge gestoßen zu werden. Von unserem alternativen Stadtrundgang waren viele Passanten begeistert. Neben den visuellen Eindrü-cken durch das Besuchen individueller Lieblingsorte fremder Stadtbewohner, erfährt der Fragende auch sehr persönliche Geschichten, die neue Einblicke und ein größeres, umfassenderes Bild einer Stadt ermöglichen. Auch mir ist einmal mehr deutlich geworden, wie mich die Volkskunde im Alltag sensibili-siert hat und mir Zugänge zu Menschen und deren Lebensarten ermöglicht.

Petra Diehl

FazitAbschließend kann man sagen, dass die Konzepte der Workshops größtenteils aufgegangen sind und sehr interessant sowie produktiv waren. Es konnten viele Kontakte geknüpft werden, die hoffentlich noch lange Zeit über das in einem Workshop entstandene Netzwerk (http://www.studis.de/kuwi) beste-hen bleiben. Nachdem wir uns auch über Entwicklungen und Probleme an anderen Instituten ausgetauscht haben, sind wir sehr gespannt auf das nächste Studierendentreffen, welches in Kiel stattfinden wird, um zu erfahren, was im Laufe eines Jahres passiert ist.

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An dieser Stelle auch noch mal unser Dank an die OrganisatorInnen für die großartige Durchführung und Gastlichkeit! Sowohl die Themenwahl und Durchführung der Workshops wie auch das Rahmenprogramm waren sehr gelungen. Wir können nur allen Studierenden empfehlen, selbst bei so einem Treffen mitzumachen und nächstes Jahr in Kiel dabei zu sein.

Zusammengetragen von:Marie Hinz, Alex Ganz, Sonja Collison, Katrin Rickertsc/o Institut für VolkskundeEdmund-Siemers-Allee 1 (West) 20146 Hamburg

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