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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 61. Jahr Heft 5 Mai 2008

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Zeitschrift der Hessen

für Erziehung, Bildung, Forschung

61. Jahr Heft 5 Mai 2008

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2HLZ 5/2008

Schwerpunkt: Hessen nach der WahlS. 7 Jochen Nagel: Neue ChancenS. 8 Schulpolitische WeichenstellungS. 10 Wie weiter mit G8?S. 11 Zurück in die Tarifgemeinschaft

Einzelbeiträge

S. 6 Studierende vor GerichtS. 13 Erfolgreiche Streiks der

kommunalen BeschäftigtenS. 26 Schule und Beruf in FrankfurtS. 28 ErzieherausbildungS. 29 Lehrerausbildung macht AngstS. 30 Präsentieren als MethodeS. 33 Offener Kanal: Zug des LebensS. 35 König Lustik in Kassel

Herausgeber:Gewerkschaft Erziehung und WissenschaftLandesverband HessenZimmerweg 1260325 Frankfurt/MainTelefon (069) 971 2930Fax (0 69) 97 12 93 93E-Mail: [email protected]: www.gew-hessen.de

Verantwortlicher Redakteur:Harald FreilingKlingenberger Str. 1360599 Frankfurt am MainTelefon (0 69) 63 6269Fax (069) 6313775E-Mail: [email protected]

Mitarbeit:Christoph Baumann (Bildung), Joachim Euler (Aus- undFortbildung), Ulrich Heinz (Hochschule), Ulla Hess (Mit-bestimmung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), AnnetteLoycke (Recht), Carmen Ludwig (Studium), Karin Schüßler(Bildung), Andreas Staets (Hochschule), Karola Stötzel(Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik und Gewerk-schaften)

Gestaltung:Michael Heckert, Harald Knöfel

Titelthema: Referat Weiterbildung, GEW-Fachgrup-pen Erwachsenenbildung und Berufliche Schulen

Illustrationen:Dieter Tonn (Titel, S. 11, 15, 19, 20), Jörg Batschi (S. 21),Alexander Draude (S. 7), Museum Fridericianum Kassel(S. 34), Offener Kanal Offenbach (S. 33), Ruth Ullenboom(S. 4)

Fotos:Barbara Dietz-Becker (S. 12), Karola Stötzel (S. 13)

Verlag:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHNiederstedter Weg 561348 Bad Homburg

Anzeigenverwaltung:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHEdith HestertPostfach 19 4461289 Bad HomburgTelefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21E-Mail: [email protected]

Erfüllungsort und Gerichtsstand:Bad Homburg

Bezugspreis:Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließ-lich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für dieMitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten.

Zuschriften:Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wirdkeine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentli-chung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Nament-lich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Mei-nung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen.

Redaktionsschluss:Jeweils am 5. des Vormonats

Nachdruck:Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigen-teils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge-nehmigung der Redaktion und des Verlages.

Druck:Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbHWerner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel

I M P R E S S U M

Zeitschrift der GEW Hessenfür Erziehung, Bildung, ForschungISSN 0935-0489

Aus dem InhaltRubriken

S. 4 Spot(t)lightS. 5 MeldungenS. 32 BücherS. 35 Recht: Teilzeitbeschäftigung,

Reisekosten bei KlassenfahrtenS. 36 Magazin

Titelthema: Hessencampus und mehr

S. 14 Kochs Hessencampus ...S. 16 ... die Beruflichen Schulen,S. 18 ... die Schulen für Erwachsene,S. 20 ... die VolkshochschulenS. 22 ... und das (Verfassungs-)RechtS. 24 Hessencampus und Europa

Seit Mitte April findet man auf derHomepage der GEW eine aktuelleBesoldungstabelle für Beamtinnen undBeamte (www.gew-hessen.de). EineKonsequenz der Föderalismusreform2006 ist es, dass die frühere Einheitlich-keit der Beamtenbezüge in den altenbeziehungsweise neuen Bundesländernaufgelöst wurde und die Bundesländerdie Besoldung ihrer Beamtinnen undBeamten unterschiedlich ausgestaltenkönnen.

Darüber hinaus akzeptieren etlicheLandesregierungen die über Jahrzehn-te hinweg geübte Praxis nicht mehr, dieBesoldungsentwicklung der Bewegungder Tarifeinkommen im öffentlichenDienst folgen zu lassen. Zu den Ländern,die unter der im Tarifvertrag der Länder(TVL) vereinbarten Beamtenbesoldungbleiben, gehört auch Hessen. Der hessi-sche Landtag hat 2007 eine Steigerungder Besoldung um 2,4 % ab dem 1. April2008 beschlossen. Diese Abkopplungder Besoldungsentwicklung von denZuwächsen der Tarifentgelte im öffent-lichen Dienst wird die GEW Hessennicht hinnehmen. In die vorliegenden

Tabellen wurde die Erhöhung von2,4 % eingearbeitet. Die Vergütungender Angestellten des Landes werdenebenfalls zum 1. April 2008 um 2,4 %angepasst. Allerdings ist diese Anhe-bung nicht zwischen den Tarifparteienvereinbart, sondern durch ein Gesetzdes Landtages beschlossen worden. Die-sen einmaligen Angriff auf die Tarifau-tonomie haben nicht nur die Gewerk-schaften heftig kritisiert.

Verschiedene Fraktionen im Land-tag haben Gesetzesinitiativen für dieRückkehr des Landes Hessen in die„Tarifgemeinschaft deutscher Länder“für den April 2008 angekündigt. Miteiner solchen Wiedereingliederung Hes-sens in den Arbeitgeberverband wäredie Anhebung der Vergütungen um2,9 % (rückwirkend ab dem 1. 1. 2008)verbunden. Inwieweit also die ab1. 4. 2008 gültigen Angestelltenvergü-tungen mehr als nur kurzfristigen Cha-rakter besitzen, wird sich noch erwei-sen. Die für die hessischen Angestelltenab 1. 4. 2008 gültigen Tabellenwertefinden sich auf der Internetseite derHessischen Bezügestelle.

Besoldungstabellen auf GEW-Homepage

Hessen hat gewählt: Roland, König ohne LandDer Landtag hat sich konstituiert, Roland Koch ist als Königohne Land nur noch geschäftsführend im Amt, Kultus- undWissenschaftsministerium haben neue Verwalter. Die HLZfragt in einem aktuellen Schwerpunkt nach den „neuenChancen“, die eine solche Situation bietet (S. 7), nach denersten schulpolitischen Anträgen der Fraktionen (S. 8-9),nach der Zukunft von G8 (S. 10-11) und den Auswirkungeneiner Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder (S. 12).

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3 K O M M E N T A RHLZ 5/2008

„Ich glaube nicht mehr an die Selbstregulierungs-kräfte des Marktes“, schwor Chef-Banker JosefAckermann im März dem Credo des Neoliberalismusab. Auch Westerwelle will etwas für die einfacheBevölkerung tun und erklärt die Strompreise zurBrotfrage. Erbitterter Streit um den Mindestlohn, undRüttgers schmeißt sein Nokia weg. Ein leicht irresFrühjahr 2008!

Allüberall Einsicht? Nicht ganz. Kaum war dasTarifergebnis für den öffentlichen Dienst bekannt(HLZ S. 13), erklärten einzelne Kommunen, diesselbstverständlich nur mit einer „Anhebung derGebühren“ finanzieren zu können. Drei Tage späterverkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) einfatales Urteil gegen die Tariftreuegesetze der Länder,soweit sie sich auf die Einhaltung nicht allgemeinverbindlicher Tarifverträge beziehen (HLZ S. 5). Müh-sam eingezogene Schutzwälle gegen Lohndumpingsind in großer Gefahr – auch in Hessen. „Klassenjus-tiz!“, möchte man ausrufen, doch vollzieht der EuGHnur, was die europäischen Regierungen vereinbarthaben. Und Kanzlerin Merkel setzt viel daran, die„kleine Verfassungslösung“ mit eben jener Vereinba-rung über den freien Waren- und Dienstleistungs-verkehr in die Ratifizierung zu bekommen, die dieweitestgehende Deregulierung aller europäischen Le-bens- und Arbeitsbedingungen festschreibt. Auch beiden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten derKommunen und des Bundes mussten die Gewerk-schaften letztlich die schlechtere Lösung akzeptieren:die Anpassung der Arbeitszeit an die der Beschäftigtenin den östlichen Bundesländern.

Zur EU-Politik gehört es auch, die beruflicheBildung und die Bewertung von Berufsabschlüsseneinem gemeinsamen europäischen Qualifikations-rahmen (EQR) anzupassen. In Hessen wird dieseDebatte im Zusammenhang mit der Einrichtung vonZentren Lebenslangen Lernens (ZLL) geführt (HLZS. 24). Volkshochschulen, Berufliche Schulen undSchulen für Erwachsene sollen zusammengefasst undals „integrierte betriebsförmige Bildungsdienstleister“organisiert werden. Skepsis, Widerstand und vielerechtliche Probleme führen dazu, dass diese Absichtlangsam dem Netzwerk- und Kooperationsgedankenweicht.

Der EQR erfordert für die berufliche Bildung dieDefinition von Modulen („Units“). Alle Kompetenzen,auch außerinstitutionell erworbene, sollen zertifiziert

Bildung ist keine Wareund mit Punkten bewertet werden. So soll es möglichsein, die geforderte „Berufsfähigkeit“ auch stückchen-weise zu erlangen oder weiter auszubauen. „Berufs-fähigkeit“ ist jedoch etwas ganz anderes als dieherkömmliche „Beruflichkeit“, so dass man nach densozialen Folgen des Umbaus des Ausbildungssystemsfragen muss, nach der Wirkung auf Tarife undEingruppierungen. Bietet die Breite der heutigenberuflichen Ausbildung nicht trotz aller Schwächenden besseren Schutz vor Arbeitslosigkeit und Lohn-dumping?

Die Befürworter des EQR berufen sich wesentlichauf die Probleme bildungsbenachteiligter Schichten.Deren Bildungs- und Ausbildungssituation muss inder Tat dringend verbessert werden. Dies aber mit derNivellierung der Berufsqualifikation aller anderen zuverbinden, leuchtet nur ein, wenn eine generelleAbsenkung der Lohnniveaus erreicht werden soll.Denn es ist nicht garantiert, dass die Arbeitgeber denjeweils erreichten Qualifikationsgrad auch anerken-nen werden. Möglicherweise muss man sich beimJobwechsel darauf einrichten, jeweils ganz untenwieder anzufangen. Dieses Misstrauen gegen einemodularisierte Ausbildung ist auch dann angebracht,wenn sich die ZLL als regionale Netzwerke or-ganisieren.

Die Aufhebung des Berufsschutzes und derBeruflichkeit ist jedenfalls kein gewerkschaftlichesProjekt. Die in Job- und Lohnkonkurrenz um dienächste Qualifikationsstufe gesetzten „beschäftigungs-fähigen“ Individuen sind das Zerrbild einer sozialenund solidarischen Gesellschaft. Die von den Gewerk-schaften IG Metall und ver.di geforderte Definitioneuropäischer Kernberufe muss als gewerkschaftlicheGegenstrategie verstanden werden. Wo doch selbstJosef Ackermann gelernt hat: Mehr Markt regelt garnichts.

Karola Stötzel,stellvertretendeLandesvorsitzende

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4S P O T ( T ) L I G H T HLZ 5/2008

Ich brauche mich nur zu den Knöpfeneines DVD-Players oder Beamers hin-unterzubeugen, schon ertönt eine Stim-me aus der Klasse: „Frauen und Tech-nik!!!“ Mit so einem leicht abfälligenTon. „Ist der Stecker drin?“, fragt Nikoaus dem Hintergrund. Gleich steht einanderer Knabe neben mir und nimmtmir die Fernbedienung aus der Hand.Blitzschnell hat er den Videokanal amFernseher verstellt, und kein Menschfindet ihn je wieder. Der Knabe drückt

Frauen und Techniksinnlos an sämtlichen Tasten herum,und ich denke resigniert: „Das hätte ichauch gekonnt....“ Schade, da werden wirden Film über amerikanisches Schul-elend heute nicht sehen.

Ja, als Frau bin ich technisch einfachminderbegabt. Es ist genetisch vorbe-stimmt, dass ich nicht mal einen simplenKassettenrekorder bedienen kann. Je-der Wackelkontakt, jedes defekte Gerätist meine Schuld. Mit meinen unfähigenFingern ruiniere ich in Windeseile dieTechnik. Habe keine Ahnung und glau-

be dennoch, einen CD-Playerbedienen zu können: Kein

Ton ist zu hören. Sofortdrängen mich dreiSchüler beiseite undbemächtigen sichdes Geräts. EineCD abzuspielen,ist eigentlich einebanale Amts-handlung undwird selbst vonFrauen hin undwieder bewäl-tigt. Allerdingshaben wir inder Schule achtverschiedeneGerätetypenund manchmalmuss man erstn a c h s e h e n ,wie sie bedientwerden. Meinem ä n n l i c h e n

Schüler nicht.Die drehen sofort

an allen Knöpfenrum und stellen nach

einer geraumen Weilefest, dass die CD defekt ist.

Glücklicherweise habe ichdie nicht gebrannt, sondern Kevin.

Im Computerraum halte ich michauch zurück. In allen Zeitungen steht ja,dass Jugendliche ihre Lehrer und El-tern technisch längst überholt haben.Bescheiden gehe ich durch die Reihenund sehe zu, wie gewandt meine liebenKleinen recherchieren und schreiben.Wir brauchen die Texte für die Schul-zeitung. Also frage ich ständig nach:„Hast du deinen Text zwischen-gespeichert?“ Denn Schulcomputer

stürzen gern mal ab. Meine Schülernicken gequält. Die Frau hat mit Müheden Computerraum in Betrieb gesetzt,und jetzt will sie auch noch Anleitun-gen geben. Dass man die Computernicht in Gang setzen kann, wenn derKollege davor den entsprechendenSchlüssel zu gut versteckt hat, haltendie Schüler für eine Ausrede.

Ich verteile meine Sticks und Disket-ten, damit kein Schülertext in den vir-tuellen Weiten verschwindet. Souveränklicken die lieben Kleinen auf demBildschirm herum, ich sammle meineSpeichermedien wieder ein und stelledaheim fest, dass auf der Hälfte garnichts drauf ist. Anderntags sind dieSchüler empört. Natürlich könnten sieTexte abspeichern. Da hätte ich wohlwieder was falsch gemacht. Ich binbetreten. Frauen und Technik. Ich weiß.In der nächsten Stunde sehe ich trotz-dem mal genau zu, wie Sven speichert.Er klickt das entsprechende Icon ein-fach an. Er schließt die Datei. Fertig.„Wo ist denn nun dein Text?“, frage ich.Sven zuckt die Schultern. Das weiß erleider auch nicht. Irgendwo im Compu-ter halt. Genauso wenig weiß er, wieman Texte auf einem Stick speichert. Ichzeige es ihm dezent. „Männer und Tech-nik“ verkneife ich mir. Auch das trium-phierende Grinsen unterdrücke ich.

In Erdkunde sollen die Schüler ein-zelne Sachgebiete zu Japan vorberei-ten. Dennis bedauert es sehr, aber er hatüber Alltag und Wohnen in Japan leidernichts gefunden. Zwei Stunden langhätte er im Internet gesucht! Der Arme.Soviel Zeit sollte er ja gar nicht inves-tieren. Die misstrauische Lehrerin („Ver-trauen ist gut, Kontrolle ist besser“)sucht daheim in ihrem Computer undfindet über 100.000 Links und schonbeim dritten brauchbare Informatio-nen. Es ist überhaupt erstaunlich, wieoft Schülercomputer bei Hausaufgabenund Referaten abstürzen, nicht funktio-nieren und Internetzugänge defekt sind.Mir passiert das einmal im Jahr, man-chen Schülern wöchentlich . . . „Frauenund Technik“ lässt sich noch wunderbarum das Thema Autofahren ergänzen.Wir kommen im Unterricht auf dasThema „Frauenparkplätze“, und meineKnaben sind der festen Überzeugung,dass das extra große Plätze in Parkhäu-sern sind, weil Frauen doch nicht ein-parken könnten . . . Schade, dass dieMädchen oft dieselben Vorurteile ha-ben und nur so selten widersprechen.

Gabriele Frydrych

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5 HLZ 5/2008 M E L D U N G E N

Wie leben die Studierenden?

Die Ergebnisse der 18. Sozialerhebungdes Studentenwerks zur wirtschaftli-chen und sozialen Lage der Studieren-den in Deutschland bestätigten, was vonder GEW schon lange angemahnt wur-de: Die soziale Kluft an den Universitä-ten wird immer tiefer und die sozialeAuslese immer schärfer. Auch die Be-schäftigungsverhältnisse sowie Lebens-bedingungen der Studierenden werdenzunehmend prekärer! Steigende Le-benshaltungskosten und Bildungsaus-gaben bei gleich bleibenden monatli-chen Einnahmen sind dafür Indikato-ren. Die vollständigen Ergebnisse findensich unter www.sozialerhebung.de

Niedriglöhne an denHochschulen

Roman George, wissenschaftliche Hilfs-kraft an der Universität Marburg, hältdie Zeit für gekommen, dass wiedermehr Druck für eine bessere Bezahlungder wissenschaftlichen Hilfskräfte ge-macht wird: „Seit 15 Jahren kam nie-mand auf die Idee, die Löhne der studen-tischen und wissenschaftlichen Hilfs-kräfte zu erhöhen.“ Zwar gelte an denHochschulen grundsätzlich das Tarif-recht des öffentlichen Dienstes, die stu-dentischen und wissenschaftlichen„Hilfskräfte“, eine der größten Beschäf-tigtengruppen, sind davon jedoch aus-geschlossen und somit systematisch be-nachteiligt. Derzeit liegen die Stunden-löhne für die vielfältige und qualifizierteArbeit der wissenschaftlichen Hilfskräf-te bei 12,69 Euro, studentische Hilfs-kräfte an Universitäten bekommen 8,02Euro, jene an Fachhochschulen nur 5,86Euro. Erhöhungen gab es nur an derFachhochschule Frankfurt (auf neunEuro) und an der Universität Kassel: AufBasis der Eigenverantwortlichkeit hatsich das Präsidium durchgerungen, dieLöhne für studentische und wissen-schaftliche Hilfskräfte anzuheben. Stu-dentische Hilfskräfte sollen demnach8,50 Euro (früher 8,02 Euro) bekommen,wissenschaftliche Hilfskräfte erhalten13,00 Euro (früher 12,69 Euro).

Gegen die Schlechterstellung derHilfskräfte regt sich inzwischen an im-mer mehr Hochschulen Widerstand.Informationen über lokale Treffen undAktionen: http://hilfskraftinitiative.blog-sport.de und http://hiwi.blogsport.de

DGB: EuGH-Urteil nichtakzeptabel

Der DGB Hessen hält das jüngste Urteildes Europäischen Gerichtshofs (EuGH)zum niedersächsischen Vergabegesetzfür nicht akzeptabel. Der EuGH, soDGB-Vorsitzender Stefan Körzell, habesich „zumindest zum Teil gegen dasAnsinnen des deutschen Gesetzgebersgestellt, tarifvertragliche Regelungenzu stärken und so etwas gegen Lohn-dumping und den wachsenden Niedrig-lohnsektor in Deutschland zu unterneh-men.“ Es sei nicht nachvollziehbar,warum der EuGH sich nicht die ein-schlägige und ausgewogene Argumen-tation des Bundesverfassungsgerichtsin dieser Frage zu eigen gemacht hat.„Mit solchen Urteilen wird die häufigsehr einseitige wirtschaftsfreundlicheAusrichtung der europäischen Integra-tion bestätigt, soziale Aspekte bleibenauf der Strecke.“

Nach Ansicht von Körzell werde dasUrteil dazu beitragen, die Skepsis beivielen Arbeitnehmern gegenüber derEuropäischen Union und ihren Institu-tionen zu erhöhen. Dies sei nur allzuverständlich, wenn gesetzliche Maßnah-men zur Vermeidung von Armut trotzArbeit durch die europäische Rechtspre-chung zunichte gemacht werden.

Der DGB Hessen werde das bedauer-liche Urteil des EuGH zum Anlass neh-men, sich um so entschiedener für ande-re und mit der europäischen Rechtspre-chung zu vereinbarende Maßnahmengegen Lohndumping einzusetzen. Kör-zell nannte konkret die Aufnahme vonmöglichst vielen Branchen in das Ent-sendegesetz und die Einführung einesangemessen hohen allgemeinen gesetz-lichen Mindestlohns.

GEW fordert Abkehr von G8

Im Mittelpunkt der ersten schulpoli-tischen Debatten nach der Konstituie-rung des Landtags, vieler Interviewsund koalitionspolitischen Liebeswer-bens stand die Rücknahme der Schul-zeitverkürzung (G8). GEW-Vorsitzen-der Jochen Nagel forderte die vollstän-dige Rücknahme von G8. Allein durchden Bau ein paar zusätzlicher Mensensei das Problem nicht zu lösen.• weitere Berichte und Einschätzun-gen zur landespolitischen Situation indieser HLZ auf den Seiten 7 bis 11

Gesetz zur Abschaffungder Studiengebühren

Der hessische DGB hat die Landtags-initiativen der Fraktionen von SPD undGrünen zur Abschaffung der Studien-gebühren begrüßt und alle Landtagsab-geordneten aufgefordert, die Initiativezu unterstützen: „Die Mehrheit derWählerinnen und Wähler hat Parteiengewählt, die die Abschaffung der Studi-engebühren zum Programm hatten.Nach den Diskussionen um Koalitions-varianten ist jetzt endlich die Zeit derInhalte gekommen.“ Durch die Abschaf-fung der Studiengebühren werde dieLandesverfassung „in diesem Punkt wie-der in Kraft gesetzt“.

Von der geschäftsführenden Landes-regierung erwartet der DGB einen re-spektvollen Umgang mit den Mehrheits-entscheidungen des Parlaments und diezügige und konstruktive Umsetzung derim Parlament auf den Weg gebrachtenVorhaben.

DGB Hessen: Fachkräfte-mangel hausgemacht

Die Situation auf dem hessischen Aus-bildungsmarkt bleibt aus Sicht des DGBauch im Frühjahr 2008 weiter ange-spannt. Zwar stieg die Zahl der gemel-deten Lehrstellen im Vergleich zumVorjahr an, trotzdem sind zur Halbzeitdes Beratungsjahres 2007/2008 Tau-sende junge Menschen noch immerohne Ausbildungsplatz für das kom-mende Ausbildungsjahr.

Über 30.000 Jugendliche haben sichseit Beginn des Beratungsjahres bei denhessischen Arbeitsagenturen als ausbil-dungsplatzsuchend gemeldet. „Ange-sichts dieser Zahlen wird deutlich, dassauch in diesem Jahr wieder viele jungeMenschen keine Chance auf dem Ausbil-dungsmarkt erhalten werden. Solangedie Unternehmen ihrer sozialen Ver-pflichtung zur Bereitstellung genügen-der betrieblicher Ausbildungsplätze nichtnachkommen, werden sich die Zukunfts-perspektiven junger Menschen in Hes-sen nicht nachhaltig und grundlegendverbessern lassen“, sagte Cornelia Dörries,Leiterin der Abteilung Jugend des DGBBezirks Hessen-Thüringen. Lediglich23 % der Betriebe, die ausbilden könn-ten, tun dies auch: „An der Diskussionum die fehlenden Fachkräfte wird deut-lich, wer hierfür in der Verantwortungsteht, nämlich die Unternehmen selbst.“

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6HLZ 5/2008

Versammlungsfreiheit unerwünscht?Studiengebührengegner erneut in Marburg vor Gericht

M E L D U N G E N

Im August 2007 wurden vier Studieren-de vom Marburger Amtsrichter Tasziszu hohen Geldstrafen oder Freiheits-strafen auf Bewährung verurteilt: DerGießener Student Nicolas Salz soll 90Tagessätze zu je 20 Euro zahlen, dieMarburger Studierenden Lena Behren-des, Max Fuhrmann und Philipp Rame-zani wurden mit vier, fünf und sechsMonaten Freiheitsstrafe auf Bewährungund 200 Sozialstunden bestraft. ImProtestsommer 2006 gehörten die vierStudierenden zu hunderten von Stu-diengebührengegnern, die ihren Pro-test gegen die verfassungswidrigen Stu-diengebühren auch auf die MarburgerStadtautobahn B3 trugen. Sowohl Pro-zessführung als auch das überzogeneUrteil des Amtsrichters ließen großeZweifel an seiner Unvoreingenommen-heit aufkommen. In seinen Urteilen ge-gen die Studierenden übertraf der Rich-ter das geforderte Strafmaß der Staats-anwaltschaft bei weitem. Die Wortwahlin beiden Urteilen liefert einen deutli-chen Beleg für die mangelnde sachlicheObjektivität und Distanz des Richters.Den drei Marburger Studierenden wirftder Richter im Urteil eine „mangelndeAnpassungsbereitschaft“ und mangeln-de „intellektuelle Disziplin“ vor, wes-halb er dem Richter am Landgerichtempfahl sogar, die Möglichkeit vonFreiheitsstrafen ohne Bewährung in Er-wägung zu ziehen. Im Urteil gegen denGießener Studenten äußert sich Taszis

von links nach rechts: Philipp Ramezani,Rechtsanwalt Markus Künzel (Frankfurt), MaxFuhrmann und Lena Behrendes

zu den Solidaritätsbekundungen mitden Betroffenen wie folgt:„Einzig zu Gute gehalten werden kann demAngeklagten traurigerweise, dass er sich alsStudent der Erziehungswissenschaften ineinem geistigen Umfeld bewegt, das einFehlverhalten billigt, wie öffentliche Solida-ritätsadressen beamteter Hochschullehrer bishin zum Herrn Vizepräsidenten der Phil-ipps-Universität und des zuständigen Ge-werkschaftsvertreters für die ‚wegen derAutobahnblockade Kriminalisierten’ zeigen.Wer sich in solchem Milieu bewegt, hat esschwerer als ein Durchschnittsbürger, dieRechte anderer anzuerkennen und die Stim-me des Gewissens zu hören.“

Gegen die skandalösen Urteile wurdenvon den Betroffenen und der Staatsan-waltschaft Rechtsmittel eingelegt.

Am 20. März fand vor dem Landge-richt Marburg das Berufungsverfahrenvon Nicolas Salz statt. Neue Erkenntnis-se konnten nicht gesammelt werden,nach wie vor gibt es über den genauenAblauf der Spontandemonstration imMai 2006 keine Videoaufnahmen, kei-ne Fotos und auch keine Funkproto-kolle. Einzig die Zeugenaussage einesPolizeibeamten führte dazu, dass derVorsitzende des Landgerichts die Strafezwar auf 60 Tagessätze zu 13 Euromilderte, aber den Tatvorwurf der Nö-tigung weiterhin als erfüllt ansah.

GEW beobachtet StrafverfahrenAm 3. und 11. April begann für LenaBehrendes, Max Fuhrmann und PhilippRamezani die Berufungsverhandlungvor dem Landgericht Marburg. DerVerhandlungsverlauf zeigte, dass diebeteiligten Polizisten das Geschehenvor Ort nicht als Straftat eingeschätzthatten. Zu keinem Zeitpunkt wurde dieDemonstration für aufgelöst erklärt,wurden die Demonstrierenden daraufhingewiesen, dass das Demonstrierenauf der Autobahn ein strafrechtlichesVergehen darstelle. Beide Polizistensagten übereinstimmend aus: „Wir wa-ren der Meinung, dass hier das Ver-sammlungsrecht greift. Deshalb wurdeauch keine Anzeige erstattet.“ Die Stu-dierenden haben zudem die Stadtauto-bahn freiwillig und friedlich wiederverlassen. Erst Monate später entschiedsowohl die Behördenleitung als auch

ein Polizist, der privat unterwegs warund im Stau gestanden hatte, Strafan-zeige zu stellen.

Ins Visier gerieten die drei Marbur-ger Studierenden nur, weil sich die Poli-zisten noch an sie erinnern konnten. Alledrei vor Gericht stehenden Studieren-den waren während der Aktion An-sprechpartner der Polizei. Die damaligeAStA-Vorsitzende Lena Behrendes wiesim Vorfeld der Verhandlung zu Rechtdarauf hin, dass der Ausgang des Ge-richtsverfahrens auch Auswirkungen aufweitere Protestaktionen haben wird:„Wenn wir verurteilt würden, hieße das,dass gerade diejenigen, die mit der Poli-zei kooperieren, mit einer späteren Straf-verfolgung rechnen müssen.“ Eine Ent-scheidung im Berufungsverfahren stehtnoch aus, zwei weitere Sitzungsterminewurden anberaumt. Die Angeklagten be-nannten als Zeugen unter anderem denLandtagsabgeordneten der SPD ThomasSpieß, der sich ebenfalls auf der Stadtau-tobahn befand.

Der Richter ließ bereits durchbli-cken, dass für ihn eine Verurteilungwegen Freiheitsberaubung und zu Frei-heitsstrafen nicht in Frage komme. Essei allerdings noch zu prüfen, ob einSchuldspruch wegen Nötigung ange-messen sei. Die drei Studierenden mach-ten vor Gericht deutlich, dass sie aufFreispruch plädieren und verwiesen aufEntscheidungen der Gerichte in Frank-furt, die die Verfahren gegen die an derBlockade der Frankfurter Autobahnbeteiligten Studierenden eingestellthatten. Mit dem Urteil wird am 2. Maigerechnet. Die Solidarität mit den vonStrafverfahren betroffenen Studieren-den aus Marburg und Gießen ist nachwie vor ungebrochen: So sind imRechtshilfefonds der GEW Hessen bis-lang knapp 14.000 Euro eingegangen,mit denen die Betroffenen finanziellunterstützt werden.

Wir hoffen weiter, dass das Engage-ment der Studierenden endlich in dasrichtige Licht gerückt wird. Daher kanndie Forderung nur lauten: Freispruch!Antonia Capito, GEW-Mitglied und Refe-rentin für Hochschulpolitik im AStA derUniversität GießenCarmen Ludwig, stellvertretende Vorsit-zende der GEW Hessen

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7 HLZ 5/2008 H E S S E N H A T G E W Ä H L T

„Wir wollen wählen“, titelte die Frank-furter Rundschau anlässlich der kon-stituierenden Sitzung des HessischenLandtags am 5. April. Dem Autor schiendie Situation einer geschäftsführendenLandesregierung, die über keine Mehr-heit im Landtag verfügt, ziemlich un-erträglich zu sein. Warum eigentlich?Natürlich fänden wir es nicht schlecht,wenn der Landtag eine Regierung ge-wählt hätte, die inhaltlich für einesozialere Politik, für einen demokrati-scheren Umgangsstil und für einengrundlegenden Politikwechsel steht.Aber gerade im Hinblick auf die demo-kratische Kultur in Hessen bietet dieneue Situation eine Reihe von Chan-cen, die es politisch zu nutzen gilt.

Bei einer geschäftsführenden Lan-desregierung sind dem Durchregierenaus den Ministerien und dem Einflussder Ministerialbürokratie deutlicheRiegel vorgeschoben. Die Situation,dass sich selbst Parlamentarierinnenund Parlamentarier der Mehrheitsfrak-tion(en) oftmals als ohnmächtig gegen-über den politischen Vorgaben vonoben aus den Ministerien oder derStaatskanzlei erwiesen haben, ist er-heblich eingeschränkt. Im Gegenteil:Die höhere Verantwortung, die ein Par-lament im Kontext einer geschäftsfüh-renden Landesregierung übernehmenmuss, erfordert eine grundlegende Aus-weitung seiner Rechte und Möglich-keiten. Das Parlament muss sich Rech-te, die es in den vergangenen Legisla-turen an die Regierung abgegeben hat,wieder zurückholen.

Viele Entscheidungen, die in derVergangenheit in den stillen Kammerndes Kabinetts getroffen und von denLandtagsabgeordneten mit mehr oderweniger Zähneknirschen nach außenmit vertreten wurden, werden überParlamentsdebatten schon in der Ent-stehungsphase der Öffentlichkeit zu-gänglich werden. Die einzelnen, vomVolk gewählten Abgeordneten müssensich weit stärker als bisher für ihreEntscheidungen legitimieren.

Diese Situation gilt es für bessereArbeitsbedingungen im Bildungsbe-reich und für eine bessere, sozialeBildungspolitik zu nutzen. Hierfür ist

Neue Chancennutzen

die GEW gut aufgestellt. Die Zusam-menarbeit der Gewerkschaften insge-samt und speziell der Gewerkschaftendes öffentlichen Dienstes im DGB Hes-sen ist sehr gut. Die GEW ist hier – nichtzuletzt durch ihre Rolle in den Aus-einandersetzungen mit der Politik dessozialen Kahlschlags von Roland Koch– vollauf akzeptiert. Diese Zusammen-arbeit und diese Akzeptanz sind einbedeutender Rückhalt für die anstehen-den Verhandlungen und gegebenen-falls auch Auseinandersetzungen zurVerbesserung der Arbeitsbedingungenim öffentlichen Dienst des Landes unddamit natürlich auch im Bildungsbe-reich.

Immer wichtiger wird auch das aufunserer Landesdelegiertenversammlunggegründete Bündnis „Für das Recht aufgute Bildung für alle“. Der geschlosseneEinsatz von Schülerinnen und Schü-

lern, Studierenden, Eltern und Profisim Bildungswesen entwickelt bereitsin den ersten Gesprächen mit Fraktio-nen des Landtags eine Kraft, die esweiter auszubauen gilt. Wenn es Poli-tikerinnen und Politikern nicht mehrso leicht gelingen kann, die fortschritt-lichen Kräfte im Bildungswesen ge-geneinander auszuspielen, ist dies –gerade im Kontext offenerer demokra-tischer Debatten – eine entscheidendeGrundlage für Schritte hin zu einerbesseren, sozialen Bildungspolitik. DieRahmenbedingungen dafür sind beiweitem nicht mehr so schlecht wienoch vor einem viertel Jahr. Wir wer-den intensiv daran arbeiten, diese wei-ter zu verbessern, damit der Abschaf-fung von Studiengebühren anderewichtige Schritte hin zu einem Rechtauf gute Bildung für alle folgen.Jochen Nagel, GEW-Landesvorsitzender

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8HLZ 5/2008H E S S E N H A T G E W Ä H L T

Am 11. März hatten Andrea Ypsilantiund die SPD-Landtagsfraktion einenbreiten Kreis von bildungspolitisch en-gagierten Gruppierungen und Einzel-personen in den Landtag eingeladen,um über „die ersten Schritte einer sozi-aldemokratisch geführten Landesregie-rung in der Schul- und Bildungspolitik“zu diskutieren. Als Ypsilanti die Ver-sammlung eröffnete, war allerdings ihreKandidatur für das Amt der Minister-präsidentin bereits vorerst geplatzt. DieSPD-Landes- und Fraktionsvorsitzendekam unmittelbar aus der Fraktionssit-zung, in der die Darmstädter Landtags-abgeordnete Dagmar Metzger ankün-digte, ihr Mandat nicht zurückzugeben.Den SPD-Landtagsabgeordneten HeikeHabermann (bildungspolitische Spre-cherin) und Lothar Quanz blieb es dannüberlassen, die Beschlüsse der Land-tagsfraktion vorzustellen, mit welchenkonkreten parlamentarischen Initiati-ven die SPD die Umsetzung ihrer schul-und bildungspolitischen Wahlaussagenvorantreiben will. Für die Abschaffungder Studiengebühren ab dem Winterse-mester 2008/09 liegt inzwischen eingemeinsamer Gesetzentwurf von SPDund Bündnis 90/Die Grünen vor.

Die SPD hat unmittelbar nach Kon-stituierung des Landtags am 5. April einGesetz zur Änderung des HessischenSchulgesetzes (HSchG) eingebracht:• Abschaffung der Möglichkeit zur„Querversetzung“ im Jahrgang 5 ineine andere Schulform für Schülerin-nen und Schüler, die eine weiterfüh-rende Schule ohne entsprechende Eig-nungsempfehlung besuchen, sowie füralle Schülerinnen und Schüler bis zumEnde der Klasse 7 unabhängig von derGrundschulempfehlung und einerKlassenwiederholung, „wenn eine er-folgreiche Mitarbeit im Unterricht desgewählten Bildungsgangs nicht zu er-warten ist“ (§ 75 Abs. 3 HSchG)• Abschaffung der Klassenrichtwertein § 144 a HSchG und der die Einzel-heiten regelnden Verordnung; die zum1. August 2005 eingeführten Klassen-richtwerte und die Vorschriften zurMindestzügigkeit von Schulen undSchulzweigen bedrohten insbesondereim ländlichen Raum kleinere Schulenund Schulen mit zurückgehendenSchülerzahlen und zwangen Schulträ-

Die FDP bekräftigt ihre Position, dass diekooperativen Gesamtschulen zukünftigeine Wahlmöglichkeit zwischen G8 undG9 haben sollen und zeigt sich deshalbzufrieden mit den Forderungen vonBündnis 90/Die Grünen und der BadWildunger Erklärung der CDU. Nicht nurDorothea Henzler, die schulpolitischeSprecherin der FDP, sondern auch derneue Kultusminister Banzer und selbstRoland Koch schwenken dabei bunteJamaika-Fähnchen. Auch die von denGrünen geforderte „Entschlackung derLehrpläne sowie den Ausbau von Ganz-tagsschulen und –angeboten zur Entla-stung der Schülerinnen und Schüler“hält Henzler für „sicherlich umsetzbar“.

Leider fehle dem Sofortprogrammder Grünen ein grundsätzlicher Punkt.

ger, akzeptierte Schulen und Schul-zweige zu schließen und den Schülerin-nen und Schülern anstelle von wohnort-nahen Angeboten weite Schulwege zu-zumuten. In diesem Zusammenhang sollauch die Möglichkeit gestrichen wer-den, die Eltern für die Kosten der Schüler-beförderung zur Kasse zu bitten.

Die SPD will die Schulzeitverkür-zung in der gymnasialen Mittelstufevollständig rückgängig machen undeinen schnelleren Durchlauf in der gym-nasialen Oberstufe ermöglichen. Dazuführt die SPD Gespräche mit den ande-ren Fraktionen.

Die „Unterrichtsgarantie plus“ sollin der bisherigen Form aufgehobenwerden. Das dafür bereit gestellte Geldsoll den Schulen in eigener Verantwor-tung „für pädagogische und fachlicheAngebote zur Verfügung stehen, dienicht an die bestehende Stundentafelgebunden sind“, auch für die Festan-stellung pädagogischer Fachkräfte. Da-mit soll auch die sklavische Fessel fal-len, „auch am Freitag in einer 10. Klassenoch die sechste Stunde zu vertreten.“

Außerdem ist ein Antrag in Vorberei-tung, „der die Praxis der befristeten BAT-Verträge und den unerträglichen Zustand,Lehrkräfe in den Sommerferien in dieArbeitslosigkeit zu schicken, beendet.“

Trotz Ypsilantis aufmunternder Be-grüßung („Bleiben Sie uns gewogen“)mochte echte Aufbruchstimmung un-ter den Gästen der SPD nicht aufkom-men. In allen Diskussionsbeiträgenwurde deutlich, dass das Vorantreibendringend erforderlicher bildungspoli-tischer Maßnahmen aus dem Parlamentheraus ein ziemlich stumpfes Schwertist. Eine geschäftsführende CDU-Lan-desregierung wird trotz ihrer weichgespülten Protagonisten Koch, Banzer(Justiz- und jetzt auch Kultusminister)und Lautenschläger (Sozial- und jetztauch Wissenschaftsministerin) not-wendigen und vom Wähler gewolltenVeränderungen jeden greifbaren Steinin den Weg legen. HaushaltswirksameMaßnahmen wie die Verkleinerungvon Klassen und die Rücknahme derArbeitszeitverlängerungen im öffent-lichen Dienst stehen für die SPD derzeitnicht auf der Tagesordnung.

Und auch die angekündigten Ver-änderungen im Schulgesetz könnten inder erforderlichen Umsetzung durchvon der Landesregierung zu beschlie-ßende Verordnungen und durch Erlas-se, die von einem schwarz durchge-stylten Kultusministerium auf den Wegzu bringen wären, noch auf der Streckebleiben.

„Das Sofortprogramm macht nicht deut-lich, dass die Grünen die eigenverant-wortliche Schule in Hessen wirklichwollen. Es fehlt ihnen augenscheinlichdie innere Haltung zur eigenverant-wortlichen Schule und das unterschei-det sie grundsätzlich von der FDP“, soHenzler. So wolle die FDP die „Unter-richtsgarantie plus“ zu Gunsten einer105-prozentigen Lehrerversorgung ab-schaffen, während die Grünen weiterhinan dem bisherigen Konzept hingen.

Auch wollten die Grünen die zweiteFremdsprache flächendeckend im ver-kürzten Gymnasium wieder in der 7.Klasse beginnen lassen. „Die FDP willdaran keine Änderung. Die Schulensollen darüber selbst entscheiden“, er-klärte Henzler.

Anträge zur Änderung des Schulgesetzes

Kurs nach Jamaika

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9 HLZ 5/2008 S C H U L P O L I T I S C H E P O S I T I O N E N

Am 27. Februar verabschiedeten CDU-Land-tagsfraktion und CDU-Landesvorstand dieBad Wildunger Erklärung, deren Eckpunkteinzwischen sowohl von Roland Koch als vonden neu ernannten Bildungsministern Banzer(Schule) und Lautenschläger (Hochschule)durch die Lande getragen werden. Die HLZzitiert in Auszügen.• Wir wollen in den kommenden Jah-ren unser leistungsorientiertes, bega-bungsgerechtes und mit freiwilligen Be-treuungsangeboten versehenes Schulwe-sen weiterentwickeln. Das erfordert denEinsatz zusätzlichen Personals, auch imBereich von Betreuung und Verwaltung.Vor allem aber wollen wir nach Wegensuchen, Eltern und Lehrer intensiver indie Veränderungsprozesse einzubeziehen.Die Herausforderungen im Bildungssys-tem werden groß bleiben. Wir müssenLehrerinnen und Lehrer, deren Engage-ment wir anerkennen und würdigen,und möglichst viele Eltern zur aktivenMitwirkung am Reformprozess gewin-nen. Wir wissen, dass die Belastung derPädagogen hoch ist. Wir wollen nachMöglichkeiten der Entlastung suchen.• Das Prinzip, dass Schulzeiten ver-lässlich sein müssen und die Stunden zurBildung genutzt werden, bleibt beste-hen. Wir wollen den Begriff „Unter-richtsgarantie plus“ durch „verlässliche

Schule“ ersetzen. Die Schulen sollen dasRecht bekommen, unter Verzicht oderteilweisem Verzicht auf bisherige „U-plus“-Mittel ihre Lehrerzuweisung zu er-höhen, wenn sie sich verpflichten, sicher-zustellen, dass der Unterricht erteilt wird.Damit kann mittelfristig ein Betrag vonrund 50 Millionen Euro flexibler durchdie Schulen eingesetzt werden, um dieverbindliche Zusage einer verlässlichenSchule zu erfüllen.• Wir wollen an der Verkürzung dergymnasialen Schulzeit festhalten. Wirwollen die Erfahrungen anderer Bundes-länder, die ebenfalls mit kritischen Dis-kussionen konfrontiert sind, auswertenund nutzen. Die Stofffülle in den Lehrplä-nen muss kurzfristig reduziert werden.Durch eine Verlagerung von Wochen-stunden in die Oberstufe kann eine zuhohe Belastung jüngerer Schüler ver-mieden werden. Kooperative Gesamt-schulen können bei entsprechenderJahrgangsbreite eine Wahlmöglichkeitzwischen dem Abitur nach 8 und nach 9Jahren anbieten.• Die Studienbeiträge sollen, wennder Staatsgerichtshof sie auf Grund derVerfassungsklagen für zulässig erklärt,bestehen bleiben. Allerdings wird dieEntscheidung über die Erhebung an dieHochschulen delegiert.

Geläuterte Hardliner?

Die Fraktion Die Linke kündigte Anträ-ge zur sofortigen Abschaffung undRückzahlung der Studiengebühren undfür die sofortige Rückkehr zu G9 für diekommenden 5. Klassen der Gymnasienund für „großzügige Sofortprogrammefür Klassen, die bereits im G8-Wahnsinnstecken“, an. Dafür solle es „in allenJahrgängen Rückkehrmöglichkeiten zuG9 geben (mindestens je eine G9-Klas-se)“. Außerdem legte sie einen Antragfür die „Senkung der Klassenobergren-zen in den Schulen und der Gruppen-größen in den Kindertagesstätten“ vor.Als Sofortmaßnahme soll die Regelungzur Überschreitung der Klassenober-grenzen um drei Schülerinnen undSchüler aufgehoben werden. Mittelfris-tig fordert die Linke, dass „die Klassen-

G8 sofort abschaffen

Korrektur G8:• Entschlackung der Lehrpläne zuBeginn des Schuljahres 2008/2009 aufGrundlage der von Schulen bereitsentwickelten Vorschläge und der Er-fahrungen anderer Bundesländer• andere Verteilung des Unterrichts-stoffs auf alle zwölf Jahre (...)• Aufstockung des Ganztagsschul-programms des Landes, um an allenSchulen mit G8 zumindest ein Mittag-essen im Rahmen einer pädagogischenMittagsbetreuung anbieten zu können• Beginn der zweiten Fremdsprachewieder ab Klasse 7, wie es in anderenBundesländern bereits gemacht wird• Kooperative Gesamtschulen kön-nen alternativ wieder G9 anbieten.• Wahlfreiheit für Eltern, die eineAlternative zu G8 wünschen

Über die Maßnahmen des Sofortpro-gramms hinaus wollen wir schrittweiseerreichen, dass sich Eltern frei entschei-den können, ob ihr Kind eine Schule mitG8 oder eine Schule mit G9 besucht.

Verlässliche SchuleDen Schulen wird die Möglichkeit ein-geräumt, die Mittel der so genanntenUnterrichtsgarantie plus in Stellen unddauerhafte Beschäftigungsverhältnis-se umzuwandeln. Die zentralistischenVorgaben, wie die verlässliche Schuleumzusetzen ist, werden aufgehoben.(...) Für die Gewährleistung des Fach-unterrichts werden landeseinheitlicheMindeststandards für die Qualifikationder Vertretungskräfte definiert. DieStaatlichen Schulämter entlasten dieSchulen stärker bei Verwaltungstätig-keiten im Zusammenhang mit derverlässlichen Schule. (...)

Vertrauen wiederherstellenDer Antrag der Grünen, eine Anhörungmit allen bildungspolitischen Verbän-den, Interessenvertretungen und weite-ren wichtigen Akteuren über die aktu-elle Situation und die Handlungsnot-wendigkeiten“ durchzuführen, wurdevom Landtag im April beschlossen.Weitere Punkte des Sofortprogrammsbetreffen die Einrichtung eines Sozial-fonds „Lernen ohne Hunger“, die „Be-freiung der Schulen von Bürokratieund Gängelung“, ein Moratorium fürdie Neue Verwaltungssteuerung („Kei-ne Ökonomisierung der Bildung“) unddie Vorlage eines Nachtragshaushalts.

Sofortprogramm

Schule

obergrenzen um 20 % gesenkt werdenund keine Klasse mehr als 25 Schülerhaben soll.“

In ihren Anträgen zur Abschaffungder „Unterrichtsgarantie plus“ beziehtsich die Linke ausdrücklich auf dieBeschlusslage der GEW: „Wir sind unsmit der GEW darin einig, dass eineverlässliche Schule nur über veränder-te Rahmenbedingungen zu erreichenist. Daher ist eine 100-prozentige Unter-richtsversorgung mit einer zehnpro-zentigen qualifizierten Unterrichts-reserve erforderlich. Diese kann sicher-lich, wie auch von Bündnis 90/DieGrünen vorgeschlagen, von den Staat-lichen Schulämtern verwaltet werden.“Einen entsprechenden Antrag werdeman ins Parlament einbringen.

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10HLZ 5/2008H E S S E N H A T G E W Ä H L T

Es geht nicht um G8 oder G9Wunderpillen, kosmetische Operationen und falsche Freiheiten

1. Wunderpille: Lehrpläne straffen

Die hessischen Lehrpläne sollen wahl-weise „entmüllt“, „entschlackt“ oder„gestrafft“ werden. Aber noch wagt sichniemand aus der Deckung, diesen wohl-feilen Vorschlag zu konkretisieren undzu sagen, was denn nun der Müll seinsoll. Nun wird die GEW nie und nimmerdie gültigen Lehrpläne verteidigen, son-dern hat sie bei deren Einführung um-fassend kritisiert. Ulrich Herrmann,emeritierter Professor für Pädagogik,hat jüngst noch mal sehr deutlich ge-macht, warum diese Debatte über dasG8 schief läuft:„Die Debatte über die Lehrpläne in derverkürzten Gymnasialzeit geht von dreiirrigen Voraussetzungen aus: Erstenssind die heutigen Lehrpläne keine Lehr-pläne, sondern Stoffverteilungspläne.Zweitens sind sie nicht einfach Pläne,sondern Vorschriften und insofern einzentrales Instrument der bürokratischenVerregelung der Schule. Drittens sindLehrpläne keine Lerngänge; denn siesagen ja nicht, wie die Schüler prak-tisch vorgehen sollen. Und weil das soist, ergibt es keinen Sinn, sie wiedereinmal nach neuester politischer oderpädagogischer Mode umzufrisieren,sondern sie gehören in den Papierkorbund müssen durch Arbeitspläne für dieSchüler ersetzt werden. Das ist zwarschulpädagogisch, motivations- undlernpsychologisch ein alter Hut, mussaber offenbar immer wieder in Erinne-rung gerufen werden. Man kann es sichauch so klarmachen: Der Fahrplan derBahn ergibt für die Reisenden nur Sinn,

So bitter ernst die Auseinandersetzung um die gymnasiale Schulzeitverkür-zung auch ist: Sie hat auch Aspekte (unfreiwilligen) Humors. Der bayerischeKultusstaatssekretär Sibler kündigte in diesen Tagen als x-te kosmetischeReparatur an G8 an, in jedem Fach würde der Stoff um ein Neuntel (!) gekürzt:So gehöre das Attentat von Sarajewo, das den Ersten Weltkrieg auslöste, zudem Wissen, das Schüler wieder vergessen dürften (Süddeutsche Zeitung,9. 4. 2008). Derartig lustig ist es in Hessen (noch?) nicht. Aber weil niemandbezweifelt, dass die unzumutbaren Belastungen aus G8 für die Schülerinnenund Schüler, für das Familienleben und auch für die Lehrkräfte mit aus-schlaggebend für das Ergebnis der Hessenwahl waren, wird Handlungsbedarfnun von allen Seiten reklamiert. Die vorliegenden Vorschläge unterscheidensich allerdings fundamental.

wenn er auch zugleich als Arbeitsplanfür die Lokführer funktioniert. (...)Richtiger ist es, jeden einzelnen Schü-ler zeigen zu lassen, was er kann.Dafür braucht er Einführungen (Unter-richt), Anleitungen (Beratung), Arbeits-materialien (im Klassenzimmer oder Re-cherchemöglichkeiten) und Zeit. Sehrviel Zeit; besonders dann, wenn er auflehrreiche Umwege geraten ist undauch noch präsentieren können soll,was er sich gemeinsam mit anderenerarbeitet hat. Auf diese Weise lernt er,Arbeitshaltungen einzuüben, Anstren-gungs- und Qualitätsbewusstsein zuentwickeln. Die Selbstdisziplin unddas Selbstvertrauen der Jugendlichenwerden gestärkt. Zu alledem bedarf eskeines detaillierten Lehrplans, son-dern flexibler Arbeitspläne.“ (SZ vom7. 4. 2008)Diese grundsätzliche Kritik trifft auchauf den zweiten im Umlauf befindlichenTherapievorschlag für die KrankheitG8 zu.

2. Wunderpille: Bildungsstandards

Viele, die die Bildungsstandards alsAllheilmittel empfehlen, werden die(vom Papiervolumen her) gewichtigenBildungsstandards der Kultusminister-konferenz (KMK) gar nicht gelesen ha-ben.

Eine Schulleiterin gab einer süd-hessischen Lokalzeitung preis, ihreSchule habe keine nennenswerten Pro-bleme mit G8, weil dort nach Bildungs-standards unterrichtet werde. Wie das

geht, bleibt rätselhaft, gibt es dochBildungsstandards noch gar nicht füralle Fächer. Eher ist man geneigt, dieseAussage nicht für bare Münze zu neh-men, sondern als Werbemaßnahme zuidentifizieren und umgehend an derPädagogik zu verzweifeln.

Es ist höchste Zeit, dass – auch in derBildungspolitik – die fundierte Kritikaus der pädagogischen Fachwissen-schaft an diesen KMK-Standards zurKenntnis genommen wird. In dieserKritik wird die Sinnhaftigkeit vonBildungsstandards nicht generell inFrage gestellt, aber in Zweifel gezogen,ob die vorliegenden Standards ent-scheidend etwas mit Bildung zu tunhaben. Ohne diese Kritik hier entfaltenzu können: Im Kern geht es darum, dasses sich eher um anforderungsbezogeneLeistungsstandards handelt, die „ver-mutlich aus der Essenz eingedampfter,schon länger im Gebrauch befindlicherLehrpläne“ gewonnen wurden (EikoJürgens). Insbesondere auf Grund ihresCharakters als Regelstandards und imKontext eines hochselektiven Schulsys-tems markieren sie die Maßstäbe derAuslese. Die Verknüpfung von Wissenund Können mit der Entfaltung derPersönlichkeit wird vernachlässigt. Sietendieren eher dazu, den Schüler „alsfunktionierendes, an fachbezogene An-forderungen angepasstes Objekt“ zuverstehen. „Bildung“ wird so als Auf-trag der Institution Schule verstanden,obwohl sich der junge Mensch nurselbst bilden kann! Bildung ist „Selbst-actus der Person“ (Humboldt), die Schu-le kann dabei fördern oder auch hin-dern. „Bildungsstandards“ können G8nicht erträglicher machen. Lässt dieSchule keine hinreichende Zeit fürBildungsprozesse, sind sie nur sprach-lich variierte Neufassungen von Vor-schriften für das berüchtigte Bulimie-Lernen.

Wie die curricularen Änderungenauch aussehen werden: Auf jeden Fallwird auch darauf zu achten sein, dass eskeine Mogelpackungen werden, beidenen scheinbare „Straffungen“ undStreichungen hinterrücks durch die An-forderungen zentraler Tests und Prü-fungen konterkariert werden.

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11 HLZ 5/2008 G8

3. Wunderpille: „Ganztagsangebot“

Ohne Frage brauchen Schulen mit Nach-mittagsunterricht Mensen; die müssenauch alle Gymnasien bekommen undnatürlich nicht auf Kosten anderer Schu-len, die entsprechende Anträge bishervergeblich gestellt haben. Mit demSchwindel, eine „pädagogische Mittags-betreuung“ als „Ganztagsangebot“ zubezeichnen, lässt sich das G8-Problemaber nicht lösen. Ein „Ganztagsan-gebot“, bei dem nach der Schule nochHausaufgaben und Wiederholen für dieKlassenarbeiten anstehen, ist Irrsinn.Eine Verkürzung der Schulzeit lässtsich verantwortlich nur in einer echten,gebundenen Ganztagsschule gestalten.Nur sie erlaubt alternative, effektiveLernrhythmen, ohne die Lernzeiten biszum Abitur zu verkürzen. Die GEWwürde es begrüßen, wenn überall ent-sprechend dem Bedarf solche Ganz-tagsschulen entstünden. Der erheblichhöhere Aufwand an Raum und Personalist eine sinnvolle Investition. Auf ab-sehbare Zeit können Ganztagsschulenangesichts der gesellschaftlichen undpolitischen Rahmenbedingungen nurergänzende Angebote sein. Und warumsollen sie eigentlich nur für Gymnasiengeboten sein?

G8-Schulen mit Mensa und „päda-gogischer Mittagsbetreuung“ bleiben,was sie sind: ganztägig operierendeSchulen mit den Lernkonditionen dertraditionellen Halbtagsschule.

4. Wunderpille: Wahlfreiheit

Die CDU machte in ihrer Bad WildungerErklärung den Vorschlag, die koopera-tiven Gesamtschulen für ihren Gymna-sialzweig selbst wählen zu lassen, ob sieG8 oder G9 anbieten. Viele sehen die-sen Vorschlag schon als Ticket für dieReise nach Jamaika an. Dabei sind dieMotive der Vorschlagenden durchausverschieden. Geht es den einen eherdarum, das Gymnasium wieder exklusi-ver zu machen, wollen die anderen diegrundlegende politische Auseinander-setzung verschieben oder ganz vermei-den und – neben der IGS – eine weitereWahlmöglichkeit für Eltern zur Ver-meidung des G8-Desasters schaffen.Wichtiger als die unterschiedlichenMotive sind aber die verheerendenAuswirkungen einer solchen Wahlfrei-heit. Durchlässigkeit – schon bei derEinführung von G8 aus dem Schulge-setz gestrichen – würde endgültig vonder Tagesordnung gestrichen. Die Gym-

nasien würden abgeschottet wie seitJahrzehnten nicht mehr. Gestrichenwürde auch die selbstverständliche Ver-pflichtung, Schülerinnen und Schülerbei auftretenden Lernproblemen nach-haltig zu fördern. Schließlich hätten jadie Eltern bei der Anmeldung zu einerG8-Schule de facto unterschrieben, dassihr Kind für die Bewältigung des G8-Stresses fit genug ist. Sie hatten ja die„Wahlfreiheit“. Aber nach welchen Mo-tiven und vor allem auf welcher pro-gnostischen Basis entscheiden Elternüber Neunjährige? Und nach welchenKriterien wählen die Schulen in aller„Freiheit“, was sie anbieten sollen? Willman sich des Schreckens von G8 entle-digen? Oder will man die scheinbar„problemloseren“ Schülergruppen? Oderdie exklusive Elternklientel? Das drei-oder viergliedrige Schulwesen, das unsin der Welt fast einzigartig macht, er-führe eine weitere Zersplitterung. Undfür die Schüler und Schülerinnen in denverbleibenden G8-Gymnasien setztesich der G8-Schrecken unvermindertfort. Alle Analysen sprechen dafür, dassdie Anmeldezahl für die Gymnasien beider Einführung eines Zweiklassen-Ab-iturs nicht abnehmen wird, wie es die

Freunde der Exklusivschule schon beider Einführung von G8 vergeblich ge-hofft hatten.

Es ist ein borniert-formaler Begriffvon Freiheit, der diesen Vorschlägenzugrunde liegt. Es geht hier um dieFreiheit der Kinder: Ein Verständnisvon Freiheit, das liberté und egaliténicht als unversöhnlich ansieht, ver-langt die Schaffung möglichst vielerHandlungsoptionen. Unabdingbar isteine sechsjährige Sekundarstufe I, inder Kinder und Jugendliche optimalgefördert werden und ihre Begabungenvoll entfalten können. Danach werdeneinige sich begründet dafür entscheidenkönnen, ihr Abitur in zwei Jahren zuerreichen, einige werden eine Berufs-ausbildung wählen, die anderen werdenfürs Abitur drei Jahre wie bisher üblichbrauchen. Für diese Wahlfreiheit soll-ten die Regelungen für die gymnasialeOberstufe entsprechend geändert wer-den. Dann gäbe es eine Wahl zwischenG8 und G9, die zum richtigen Zeitpunktvon den richtigen Personen getroffenwird. Es geht nicht um G8 oder G9,sondern um G5 oder G6 in der Sekun-darstufe I.

Gerd Turk

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12HLZ 5/2008H E S S E N H A T G E W Ä H L T : T A R I F P O L I T I K

Mittlerweile sind vier Jahre verstri-chen, seitdem sich Hessen aus dem Arbeit-geberverband „Tarifgemeinschaft deut-scher Länder“ (TdL) verabschiedet hat,vier Jahre, in denen die CDU-Landesre-gierung versuchte, einen eigenständi-gen tarifpolitischen Weg einzuschla-gen, den sie gerne als „hessische Tarif-landschaft“ zu bezeichnen pflegt.

Nicht nur aus Sicht der Gewerk-schaften führte dieser tarifpolitischeSonderweg zu völlig chaotischen Ver-hältnissen. Nicht nur, dass sich in denhessischen Dienststellen die durch-schnittlichen Wochenarbeitszeiten umbis zu 3,5 Stunden unterscheiden. Oderdass die Tariflöhne durch ein Gesetzfestgelegt wurden – ein singulärer Vor-gang in der Geschichte der bundes-deutschen Tarifpolitik und ein schwer-wiegender Angriff auf die Tarifauto-nomie. Darüber hinaus haben esRoland Koch und Volker Bouffier auchgeschafft, die Angestellten des Landesnachhaltig von der allgemeinen Tarif-entwicklung in der Bundesrepublikabzuhängen. Die Ende 2007 gesetzlichgeregelte 2,4-prozentige Anhebungder Vergütungen zum 1. 4. 2008 bleibtdeutlich hinter dem zurück, was schon2006 für die Kolleginnen und Kollegenin den anderen Bundesländern verein-bart wurde, nämlich rund 3 % Entgelt-zuwachs zum 1. 1. 2008. Sie passt dar-über hinaus nicht in eine tarifpoliti-sche Landschaft, die derzeit durchdeutlich höhere Abschlüsse geprägtist. Etliche jüngst getroffene Vereinba-rungen sehen Erhöhungen zwischen3 % und knapp über 5 % für 2008 vor(Stahl, Metall, Textil und Bekleidung).

Hessisches Tarifchaos vor dem Ende?Auch für die Tarifbeschäftigten beiBund und Kommunen konnten die Ge-werkschaften Einkommensverbesserun-gen von durchschnittlich 8,9 % fürzwei Jahre erzielen (HLZ S. 13). KeinAbschluss der Tarifrunde 2008 bisher,der nicht von dem, was Hessen fürseine Beschäftigten an nominalem Zu-wachs übrig hat, unterboten würde.Und so tritt im Frühjahr 2008 deutlichzutage, wie miserabel die hessischen2,4 % angesichts stärker anziehenderVerbraucherpreise tatsächlich sind.Traurig aber wahr: Die Angestellteneines der reichsten Bundesländer dürf-ten zu jenen wenigen Tarifbeschäftig-ten gehören, die heuer spürbare Real-einkommensverluste hinnehmen müs-sen – zum fünften Mal in Folge undmitten in einer Phase mit vergleichs-weise günstigen Konjunkturdaten.

Nicht nur in Bezug auf das allgemei-ne tarifliche Geschehen, auch politischhat sich bekanntermaßen einiges inHessen geändert. Die Landesregierungist nur noch geschäftsführend im Amtund kann sich nur noch auf 38 % derAbgeordneten stützen. Andererseitsgibt es im neu gewählten Landtag einepolitische Mehrheit für die Rückkehrdes Landes Hessen in die TdL, eineMehrheit in der Opposition allerdings.

Gleich in der ersten ArbeitssitzungAnfang April legten die Fraktionen derSPD und der Linken Entschließungsan-träge vor, die die Landesregierung auf-fordern, den „tariflosen Zustand“ für dieArbeiterinnen, Arbeiter und Angestell-ten des Landes zu beenden und dieTarifbindung durch einen Wiederein-tritt des Landes in die TdL herbeizufüh-ren. Die Anträge wurden an denInnenausschuss verwiesen.

Ob und wann die geschäftsführendeLandesregierung einem verabschiede-ten Antrag zum Eintritt in die TdLnachkommen wird, ist zum gegenwärti-gen Zeitpunkt noch nicht abzusehen.Aber auch bei einer möglichen Rück-kehr in den Arbeitgeberverband TdLmüssen zunächst komplexe Fragestel-lungen zwischen Arbeitgeber und Ge-werkschaften geklärt werden. Dazu ge-hört etwa die Arbeitszeit, deren Höhedie Tarifpartner einvernehmlich festzu-legen haben, denn der mit der TdLvereinbarte Tarifvertrag setzt für diewestlichen Bundesländer keine einheit-

liche Arbeitszeit fest, sondern gibt le-diglich eine Berechnungsformel vor.Das gesamte Übergangsrecht muss dar-über hinaus für Hessen angepasst wer-den.

Der im Frühjahr im Bereich vonBund und Kommunen ausgefochteneTarifkonflikt dürfte allerdings günstigeAuswirkungen auf die Auseinanderset-zung in Hessen haben. Denn der verein-barte Einkommenszuwachs setzt zumersten Mal seit Jahren wieder ein deut-liches Stoppsignal, dass es nämlich mitder Arbeitgeberpolitik fortlaufenderRealeinkommensverluste ein Ende hat.Und die Wiesbadener Blütenträume voneiner übermäßig verlängerten Wochen-arbeitszeit könnten einer realistische-ren Sicht auf das mit den Gewerkschaf-ten Machbare weichen. Zwar ist dieVerlängerung auf 39 Wochenstundenbei den Westkommunen (die bei denhessischen Kommunen bereits 2007 vor-weg genommen worden war) keine ge-ringe Kröte, die die Gewerkschaften zuschlucken hatten, aber sie ist weit vonden in Wiesbaden gehegten Arbeitszeit-vorstellungen entfernt – HessensLandesbedienstete arbeiten bekanntlichbis zu 42 Stunden pro Woche.

Darüber hinaus haben die beidenWarnstreikwellen bei den Kommunengezeigt, dass mit Arbeitsniederlegun-gen Forderungen erfolgreich durchge-setzt und neue Mitglieder gewonnenwerden können. Diese positiven Erfah-rungen nicht nur der hessischen GEW,die gute Stimmung und Kampfbereit-schaft der kommunalen Erzieherinnenund Erzieher während des Tarifkonflik-tes können auf die noch zu führendenKämpfe im Tarif- und im Beamten-bereich des Landes ausstrahlen, wenndann wieder die Kolleginnen und Kol-legen im Landesdienst gefordert sind.

Insofern haben sich die politischen,tarifpolitischen und gewerkschaftsin-ternen Bedingungen seit den Warn-streiks der Landesbeschäftigten imHerbst zugunsten der Gewerkschaftenverschoben. Das Ziel, das Tarifchaos inHessen zu beenden, rückt näher, aber esbedarf noch einiger Anstrengungen, esumzusetzen und eine Übertragung aufden Beamtenbereich zu erreichen.

Rüdiger BröhlingTarifsekretär der GEW Hessen

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13 HLZ 5/2008 K O M M U N A L E B E S C H Ä F T I G T E

Bis zum Erscheinen dieser HLZ werdendie Mitglieder der Gewerkschaften ent-schieden haben, ob sie mit dem Ver-handlungsergebnis für die Beschäftig-ten des Bundes und der Kommunen imBereich des Tarifvertrags für den öf-fentlichen Dienst (TVöD) einverstan-den sind oder ob sie für das Erreichendarüber hinausgehender Ziele streikenwollen.

Am 29. März kamen die Tarifkom-missionen der Gewerkschaften zusam-men, um das Schlichtungsergebnis zubewerten. Allen war klar: „Ein Streikwird kommen!“ So war auch die Stim-mung in den Belegschaften und bei denWarnstreiks im Februar und März ge-wesen: gut, fröhlich, kämpferisch –auch in Hessen. Viele Eintritte beiver.di und der GEW zeigten deutlich:Die Zustimmung zu den Forderungenund die Streikbereitschaft der Beleg-schaften waren enorm hoch.

Zum Auftakt der Verhandlungs-runde legten die Arbeitgeber gegen-über dem Schlichterspruch und ihremeigenen Angebot vom Januar ein deut-lich verbessertes Angebot auf derEntgeltseite vor. Die massiven Warn-streiks hatten einen ersten Sinneswan-del der Arbeitgeber bewirkt. In denTagen bis zum 31. März konnten dieGewerkschaften dann auch weitere Ver-besserungen für die Beschäftigten er-reichen. Dafür forderten die Arbeitge-ber die Zustimmung zur Verlängerungder wöchentlichen Arbeitszeit im We-sten auf 39 Stunden, ein Spaltungs-versuch, der letztlich nicht gelang.Insbesondere dieser Punkt blieb biszum Schluss innerhalb der Gewerk-schaften umstritten. Sie versuchten je-doch, sich die schmerzhafte Verlänge-rung der Arbeitszeit mit Kompensa-tionsmöglichkeiten möglichst teuer„bezahlen zu lassen“, unter anderemeiner Ausnahmeregelung für denKrankenhausbereich, einer möglichsthohen Entgelterhöhung und weiterenVerbesserungen.

Das Tabellenentgelt (West) wird zum1. 1. 2008 um 50 Euro, dann linear um3,1 % erhöht. Für den Tarifbereich Ostwurde endlich die vollständige An-gleichung zum 1. 4. 2008 erreicht. Eineweitere lineare Erhöhung um 2,8 %erfolgt zum 1. 1. 2009. Für das Jahr2009 erhalten alle Beschäftigten imJanuar eine Einmalzahlung von 225

Tarifrunde 2008Euro. Die Entgelte der Praktikantinnenund Praktikanten werden im Westen abdem 1. 1. 2008 um 70 Euro erhöht.Insgesamt haben die Gewerkschafteneine Einkommenserhöhung von 8,9 %erreicht. Der überwiegende Teil davonist tabellenwirksam.

Die Arbeitszeit in den Ländern Saar-land, Bayern, Nordrhein-Westfalen wirdauf 39 Stunden angehoben. Länder-spezifische Regelungen bei den Kom-munen unter 39 Stunden werdenangepasst. Die in Altersteilzeit Beschäf-tigten der Kommunen werden von derArbeitszeitverlängerung ausgenommen.Die Möglichkeit der kommunalen Ar-beitgeber, die Arbeitszeitregelungenauf Landesebene zu kündigen, ist ent-fallen. Für die Beschäftigten im Er-ziehungsdienst werden als Kompensati-on für die Erhöhung der Arbeitszeit imRahmen der Gesamtarbeitszeit zweiein-halb Tage für Vorbereitung und Quali-fizierung verwendet. Bereits bestehen-de Regelungen sollen nicht verrechnetwerden können.

Mehr Geld für Beschäftigte derKommunen: 8,9% in zwei JahrenAls Erfolg bewerteten die GEW-Tarif-kommission und ihre Verhandlungs-führerin Ilse Schaad, dass Beschäftigte,die zum 1. Oktober 2005 beschäftigtwaren, jedoch auf Grund der Stichtags-regelung zum 30. September 2005nicht in den Genuss eines Bewährungs-oder Tätigkeitsaufstieges einer Ver-gütungsgruppenzulage gekommensind, auf Antrag in den Überleitungs-tarifvertrag TVÜ-VKA/Bund übernom-men werden. Für diejenigen, die nachdem 1. Oktober 2005 eingestellt wur-den und die Entgeltverluste durch denWegfall der Bewährungs- und Tätig-keitsaufstiege hinnehmen müssten, sol-len vorrangig Tarifverhandlungen zurübergangsweisen Eingruppierung auf-genommen werden. Dabei sollen diespäteren Tarifverhandlungen zur Ent-geltordnung nicht vorweggenommenwerden. Diese Vereinbarungsabrede giltbesonders für den Erziehungs- undSozialdienst und ist wesentlich von derGEW vorgetragen worden. Wichtig istalso, dass wir auch in den kommendenAuseinandersetzungen um Verbesse-rungen am Ball bleiben und uns weiter-hin sichtbar und klar für unsere Inter-essen einsetzen.

GEW Hessen an Warnstreiks beteiligtDie GEW Hessen, aber auch ver.di Hes-sen, waren im Bereich der Erziehungs-und Sozialdienste nicht auf der Rech-nung der ersten Streikplanung. „Sei’sdrum!“, dachten wir und haben unsdennoch nach besten Kräften beteiligt.Und das Ergebnis ist nicht das schlech-teste. In Darmstadt, Frankfurt, GroßGerau, Gießen, Marburg, Kassel undWiesbaden beteiligte sich die GEW anden Warnstreiks. Die Bilder zeigen deut-lich, dass alle ihren Spaß daran hatten.Gefreut haben wir uns über viele Ein-tritte im Bereich des Erziehungs- undSozialdienstes. Sie stärken den BereichSozialpädagogik in der GEW. In allenTeilen Hessens haben Versammlungenund Treffen stattgefunden, auch um zuberaten, wie wir gemeinsam weiterma-chen wollen und können. Wenn es unsgelingt, nur einen Teil der Kampfbereit-schaft und des Elans aus dieser Tarif-runde 2008 mitzunehmen und in derOrganisation zu verbreitern, ist mir umdie nächsten Tarifrunden im TVöD undTarifvertrag der Länder (TV-L) nichtbang. Ganz im Gegenteil.

Die Hoffnung ist nicht unberech-tigt, dass die Erfahrungen aus dieserTarifrunde positiv auf den Tarifbereichder Länder ausstrahlen – nicht nurhinsichtlich der Wirkung auf das zuerzielende Ergebnis in der Ländertarif-runde 2009 (HLZ S. 12). Es war dasselbstbewusste Auftreten der vielenGewerkschaftsmitglieder, darunter vie-ler, die noch nie an einem Arbeits-kampf teilgenommen hatten, das ent-scheidend dazu beigetragen hat, in derBevölkerung die Zustimmung für diegewerkschaftlichen Forderungen zuerreichen und die Arbeitgeber untermassiven Druck zu setzen.Karola Stötzelstellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen

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14HLZ 5/2008T I TELTHEMA: HESSENCAMPUS UND MEHR

Kochs zweiter Wisconsin-PlanVon den Zentren Lebensbegleitenden Lernens zum Hessencampus

Ende 2006 hat die CDU-Landesregierung begonnen, sich demThema des lebensbegleitenden Lernens intensiver zu wid-men. Mit Blick auf die Technical Colleges in der hessischenPartnerregion Wisconsin entwickelte die CDU die Idee, auchin Hessen „Zentren Lebensbegleitenden Lernens“ (ZLL) ein-zurichten, die mittlerweile als „Hessencampus“ (HC) firmie-ren. Dabei sollen sich Berufliche Schulen, Schulen für Er-wachsene, Volkshochschulen (VHS) und private Weiterbil-dungsträger zu „betriebsförmig organisierten und integriertenBildungsdienstleistern“ zusammenschließen.

In Hessen existieren acht regionale Initiativen zum Auf-bau eines Hessencampus (HC); neben dem Haus des Lebens-langen Lernens (HLL) in Dreieich im Kreis Offenbach sind diesdie Initiativen in der Stadt Offenbach, im BildungszentrumOstend (BZO) in Frankfurt, im Main-Taunus-Kreis, im Rhein-gau-Taunus-Kreis, in Waldeck-Frankenberg, in der Stadt unddem Landkreis Kassel sowie in Osthessen. Grundlage für dieArbeit in den Initiativen ist eine „Erklärung zur Entwicklungs-partnerschaft Zentren Lebensbegleitenden Lernens (ZLL)“(www.hessencampus.de).

Mit der Entschließung vom 27. Juni 2002 stellte der EU-Rat das lebensbegleitende Lernen in den Mittelpunkt dereuropäischen Beschäftigungs- und Berufsbildungspolitik.Erste Informationen über eine hessische „Initiative zur Ent-wicklung von Zentren Lebensbegleitenden Lernens“ wurdenim Dezember 2006 publik. Unter großem Zeitdruck solltendie Leiterinnen und Leiter der beteiligten Einrichtungen biszum 20. Januar 2007 die „Erklärung zur Entwicklungspart-nerschaft“ unterzeichnen. Bis Ende 2007 sollten „belastbareKonzepte“ entwickelt werden. Gleichzeitig organisierte dasMinisterium einen regelrechten Massentourismus nach Wis-consin.

Der GEW-Landesvorstand betonte in einem Beschlussvom 23. März 2007 (1) die Notwendigkeit, neue Perspekti-ven der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu entwickeln.Für diesen Prozess formulierte die GEW gewerkschaftlicheZielsetzungen und Leitkriterien. Weder die vorliegendenPläne noch die Vorgehensweise des Hessischen Kultusminis-teriums (HKM) fanden die Zustimmung der GEW. DieKollegien der Bethmannschule und des Abendgymnasiumsim BZO Frankfurt und die Personalversammlung der Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach (HLZ S. 22) lehnten nachintensiver Diskussion eine Beteiligung am HC ab. DerGesamtpersonalrat Offenbach formulierte gemeinsam mitden Schulpersonalräten Mindestkriterien für die Mitarbeit,die sich an dem Landesvorstandsbeschluss orientieren (HLZ10/11-2007).

Am 8. Mai 2007 fand mit viel öffentlichem Tamtam undeinem Grundsatzreferat von Ministerpräsident Koch das„Jahresforum 2007 Hessencampus“ im BildungszentrumOstend in Frankfurt statt. Unterm Strich wurde noch einmaldeutlich, dass es vorrangig um Einsparungen „durch Syner-gien“ geht. Die GEW und das Kollegium der Bethmannschuleverteilten Flugblätter und sprachen mit der Presse, umkritischen Stimmen Gehör zu verschaffen.

Nach den Planungen des HKM sollten bereits 2007„belastbare Konzepte“ entwickelt werden. Für 2008 ist dieerste Umsetzungsphase geplant, für 2009 die Gründung derHC. Während für Konzeptentwicklung und Umsetzungs-planung jeder Initiative 200.000 Euro zur Verfügung stehen,sollen sich die HC nach der Gründung selbst tragen.

Die genannten regionalen Initiativen präsentierten ihreKonzepte inzwischen bei unterschiedlichen Anlässen. EineGesamtübersicht des HKM war für Anfang 2008 angekündigt.Alle bisher bekannten regionalen Konzepte konzentrierensich auf die folgenden Ziele:• Bildungsberatung (Übergänge begleiten, Bildungsbedarfe

erfassen und Beratung organisieren)• gemeinsame Nutzung von Einrichtungen• Selbstlernangebote mit virtuellen LernformenFast alle Initiativen betonen die Eigenständigkeit der betei-ligten Bildungseinrichtungen, die Erweiterung des staatli-chen Bildungsauftrags und die Notwendigkeit zusätzlicherMittel. GEW-Vorstandsbeschlüsse wirken anscheinend doch!Aber die Entwicklung macht auch deutlich, dass die imBeschluss des Landesvorstands formulierten Befürchtungennicht grundlos sind:• Vielfach mischen private Firmen „beratend“ mit. Private

Unternehmen sollen auch bei Lernstandserhebungen,Bildungsberatung und Zertifizierungen beteiligt werden.

• Einige Steuereinheiten stehen unter VHS-Leitung. IhreKontrolle und ihre Kompetenz müssen hinterfragt werden.

• Die Absicht, Gebühren zu erheben, wurde nicht aufgege-ben.

Beteiligung fand nicht stattDie Auswahl der regionalen Initiativen ist bis heute unge-klärt. Eine Ausschreibung fand nicht statt, und Kriterien fürdie Auswahl wurden bisher nicht genannt. Der enge Zeitplanzur Unterzeichnung der „Erklärung zur Entwicklungs-partnerschaft“ schloss eine Beteiligung der schulischen Gre-mien und der Personalvertretungen weitgehend aus. DasHKM bestärkte die Schulleitungen, schnell zu unterschriebenund die Beteiligung auf die lange Bank zu schieben. Trotzkontroverser Debatten an allen Standorten gab es nur inwenigen Gremien förmliche – zumeist ablehnende – Ent-scheidungen. Nach Aussage der Projektleitung soll die Betei-ligung der Gremien ein Schwerpunkt der Arbeit im erstenHalbjahr 2008 werden.

Am 1. November 2007 forderte der Landtag mit denStimmen von CDU und FDP die Landesregierung auf, dieRechtsfähigkeit des HC zu regeln und eine Zusammenführungdes Modellprojekts „Selbstverantwortung plus“ (SV-plus)mit dem HC zu prüfen. Zur Rechtsfähigkeit gibt es aus demHKM Signale, das Ziel, „integrierte Bildungsdienstleister“ zuschaffen, in eine etwas fernere Zukunft zu verschieben und alsZwischenschritt für die Fusion eine „EntwicklungsgesellschaftHC“ aus den beteiligten Einrichtungen zu gründen.

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15 HLZ 5/2008

Zur Zusammenführung von SV-plus und Hessencampusfand am 19. und 20. Dezember 2007 ein Workshop derSteuerungsgruppen der beiden Projekte statt. Die „Weilburg-er Erklärung“, die dem Landtag als Empfehlung vorliegt,fordert eine „Grundversorgung“ für das lebensbegleitendeLernen in öffentlicher Verantwortung. Ziele des Projektssollen die Entwicklung und Sicherung der pädagogischenQualität, die Organisationsentwicklung zur Zielerreichungund die organisationsübergreifende Entwicklung regionalerStrukturen sein. Die Projekte SV-plus und HC sollen schritt-weise zusammen geführt werden.

Die Konzepte verdeutlichen ein Grundproblem des deut-schen Bildungswesens: die unzureichende Bildungsberatung.Abhilfe können hier nur eine von Bildungsanbietern unabhän-gige Beratung und professionelles Beratungspersonal schaffen,nicht aber die HC. Die Ausbildung zum Bildungsberater solltemindestens auf Fachhochschulniveau angesiedelt werden.

Auch für die gemeinsame Nutzung von Einrichtungen unddie gemeinsame Entwicklung von Bildungs- und Selbstlern-angeboten braucht man keinen HC. Sie könnten im Rahmenvon Kooperationsvereinbarungen und Netzwerken wesent-lich einfacher geregelt werden. Für eine Fusion der an denInitiativen beteiligten Einrichtungen zu einem „betriebsför-mig organisierten und integrierten Bildungsdienstleister“fehlt jede Begründung.

Schulgremien kann man nur empfehlen, einer Weiterar-beit an HC nur dann zuzustimmen, wenn die in den GEW-Eckpunkten formulierten Leitkriterien verbindlich zugesi-chert werden. Dies trifft insbesondere auf die Eigenständig-keit der beteiligten Bildungseinrichtungen zu. Netzwerkeund Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen zurVerbesserung des Weiterbildungsangebots in der Region beiEinhaltung entsprechender Qualitätsstandards sind aus ge-werkschaftlicher Sicht hingegen zu begrüßen.

Ralf Becker, Fachgruppe Berufliche Schulen der GEW Hessen(1) weitere Infos und die erwähnten Beschlüsse unter: www.gew-frankfurt.de/index.php?id=360; www.hessencampus.de oder per E-Mail bei Ralf Becker ([email protected])

Täglich wird es uns eingebläut, ein „Hessencampus“ wirddeswegen aufgebaut. Unsere Bringschuld: In einer Wissens-gesellschaft sollen wir lebenslang lernen. Wissensgesell-schaft? Früher hatte ich eine Telefonnummer, jetzt muss ichmir vier merken. Weiß ich jetzt mehr?

Tatsächlich beherrschen wir mit unserem „Wissen“ dochgar nicht die Verhältnisse, sondern wir leben in Verhältnis-sen, die uns beherrschen. Ein Börsencrash kann über NachtHunderte von Millionen Menschen ins Unglück stürzen - mitverheerenderer Wirkung als die meisten Naturkatastrophen.So sieht sie aus, die Wissensgesellschaft!

Nicht nur ein amerikanischer Präsident liebäugelt mitdem Kreationismus, das Mittelalter hat es unlängst sogar bisan die Pforten des Hessischen Kultusministeriums geschafft.Apropos Mittelalter. Geheime Foltergefängnisse der westli-chen Führungsmacht verteilen sich über die Welt. Zahlenzwischen 17.000 und 70.000 Häftlingen – Rechtlosen -werden genannt. Unfassbar, aber vermutlich wahr. Die

Heilige Inquisition hätte lebenslang noch viel lernen kön-nen. Wissensgesellschaft? Ein kurzes, nachhaltiges Zeitalterder Aufklärung würde mir schon genügen!

Vom Klimawandel reden alle, dennoch werden – bei-spielsweise – ständig neue Luftflotten, Flughäfen und Start-bahnen aus dem Boden gestampft. Fit müssen wir sein für denKampf im globalen Wettbewerb. Dafür braucht man „Wis-sen“, dafür sollen wir lebenslänglich lernen! Natürlichaußerhalb des staatlichen Bildungssystems mit seinen – nochvorhandenen – Regulierungen und seinem „humanistischenBallast“. Buchstabiert sich „lebenslanges Lernen“ nicht auchwie „Deregulierung“ und „Tarifflucht“? Und „Wissensge-sellschaft“ nicht auch wie „Unwissensgesellschaft“?

Ich bezweifle heftig, dass unsere Ahnen nicht auchlebenslang gelernt haben – die Klügsten von ihnen sogar dasWichtigste: dass man sich wehren muss – ein Leben lang!

Hajo Dröll

ZwischenrufLebenslänglich in der Unwissensgesellschaft

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16T I TELTHEMA HLZ 5/2008

In den derzeitigen kontroversen Diskussionen um die Ent-wicklung von Zentren Lebensbegleitenden Lernens (ZLL),inzwischen Hessencampus (HC) genannt, wird den berufsbil-denden Schulen – neben den Volkshochschulen (VHS) – einezentrale Rolle zugewiesen. Wie sehen aber die berufsbilden-den Schulen selbst ihre Rolle?

Bereits im November 1994 veranstaltete die FachgruppeBerufliche Schulen der GEW Hessen in Gießen eine landes-weite Tagung „Berufliche Schulen – Regionale Bildungszen-tren für Aus- und Weiterbildung“, bei der eine Arbeitsgruppeintensiv über die „Möglichkeiten von Kooperationen, Öff-nungen und Eigenfinanzierungen beruflicher Schulen“ dis-kutierte. In einem ersten Zehn-Punkte-Programm zur Weiter-entwicklung der Beruflichen Schulen forderte die Fach-gruppe im November 1999 eine „Weiterentwicklung derBeruflichen Schulen zu regionalen Zentren für Aus- undWeiterbildung, die Beteiligung der Beruflichen Schulen anregionalen Ausbildungsrunden, an der Entwicklung undUmsetzung von Förderprogrammen und an Modellen derVerbundausbildung sowie ein Einbeziehen der BeruflichenSchulen in den regionalen Weiterbildungsbereich und dieNutzung ihrer personellen Kompetenzen und sächlichenAusstattungen“.

In einem Diskussionspapier der Bundes-GEW über „Per-spektiven für die Weiterentwicklung des Berufsbildungs-systems in Deutschland“ vom März 2000 liest man Folgendes:„Die berufsbildenden Schulen müssen sich zu regionalen Zentren derberuflichen Aus- und Weiterbildung entwickeln und damit dieReform des gesamten Berufsbildungssystems fördern. Dabei könnensie ihre Fähigkeiten und Ressourcen nutzen, um einerseits eigenstän-dig größere Phasen der Ausbildung bis hin zum Angebot vonvollzeitschulischen Ausbildungsgängen mit integrierten Praxis-phasen anzubieten, und um andererseits – verknüpft mit derErstausbildung und in Abstimmung mit den regionalen Trägern undEinrichtungen der Weiterbildung – Aufgaben der beruflichen Weiter-bildung zu übernehmen.“

Und in den „Zehn Forderungen des GEW-Hauptvorstan-des zur beruflichen Bildung und Weiterbildung“ vom April2003 heißt es:„Berufsschulen kooperieren mit Betrieben und Kammern und entwik-keln gemeinsame Fortbildungen für Lehrkräfte und Ausbilder. Als‚Regionales Bildungszentrum’ öffnen sich Berufsschulen für Berufs-tätige, die ihr fachliches Wissen auffrischen wollen.“

In dem aktualisierten Zehn-Punkte-Programm vom 15. April2005 bekräftigte die Fachgruppe Berufliche Schulen derGEW Hessen die Forderung nach einer „Weiterentwicklungder Beruflichen Schulen zu eigenverantwortlichen Berufskol-legs für Berufsvorbereitung, Berufsqualifizierung, Studien-qualifizierung und Weiterbildung“.

Dass die GEW also schon seit Mitte der neunziger Jahre dieEntwicklung der berufsbildenden Schulen zu „RegionalenBerufsbildungszentren“ oder „Regionalen Zentren für Aus-und Weiterbildung“ fordert, war ein durchaus logischerSchritt:

Mitten in der GemengelageBerufsbildende Schulen und Zentren Lebensbegleitenden Lernens

• Die berufliche Erstausbildung und die berufliche Weiter-bildung verzahnen und überlappen sich aufgrund der Ent-wicklungen in der Arbeitswelt immer mehr.• Die kostspieligen sächlichen Ausstattungen, die zum Teilschon nach wenigen Jahren veraltet sind, weisen im normalenschulischen Gebrauch nur einen Nutzungsgrad von rund 20Prozent auf.• Die berufsbildenden Schulen verfügen über die personellenKompetenzen, die auch für die Weiterbildung genutzt werdenkönnen und sollten, wie dies zum Teil schon seit Jahrzehntengeschieht, wenn Berufsschullehrkräfte in ihren Fachräumen inNebentätigkeit bei den Volkshochschulen unterrichten.• Verstärkte Kooperationen mit anderen Bildungs- undBeratungseinrichtungen wurden in der Region immer dring-licher.

Die GEW war in Hessen und auf Bundesebene somit eine derInitiatorinnen der Diskussion um die Weiterentwicklung derberufsbildenden Schulen zu regionalen Bildungszentren:Neben der allgemeinen Bildung soll die gesamte beruflicheBildung mit ihren gleichwertigen Säulen Aus-, Fort- undWeiterbildung Teil des staatlichen Bildungsauftrags sein. DieGEW erhoffte sich von der Schaffung regionaler Netzwerkeund einer Öffnung der berufsbildenden Schulen für Weiter-bildungsmaßnahmen eine teilweise Regulierung des de-regulierten Weiterbildungsmarktes mit seinen prekären Be-schäftigungsverhältnissen, eine Verbesserung der Situationder Beschäftigten in der Weiterbildung sowie eine Erweite-rung des Bildungsangebots berufsbildender Schulen. DieForderung nach mehr Eigenständigkeit der Schulen war vonAnfang an immer auch mit der Forderung nach der Demokra-tisierung schulischer Entscheidungsprozesse verknüpft.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen undDiskussionen über Budgetierung, Deregulierung, prekäreArbeitsverhältnisse, Privatisierung und Ökonomisierung undder Konzepte zur Bildung „betriebsförmig organisierterintegrierter Bildungsdienstleister“ in ZLL und HC sind diebeschriebenen Positionen und Forderungen der GEW zuüberprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren oder zu ergänzen.

Die Ablehnung einer Zusammenführung von berufsbil-denden Schulen, Volkshochschulen und Schulen für Erwach-sene in einem „betriebsförmig organisierten integriertenBildungsdienstleister“ resultieren aus genau diesen dreiBegriffen:• betriebsförmig organisiert: Schule ist kein Betrieb, sondern

hat einen Bildungsauftrag, der nicht nach betriebswirt-schaftlichen Kriterien erfüllt werden kann.

• integriert: Die Einrichtungen und Institutionen, die in denZLL zusammengeführt werden sollen, sind so unterschied-lich, dass ihre „Integration“ letztlich das Aufgeben derbisherigen Identität und Profile bedeuten würde.

• Dienstleister: Auch dieser aus der Betriebswirtschaft kom-mende Begriff ist für Schule nicht angebracht.

Die in der Landesfachgruppe der GEW zusammengeschlossenenLehrerinnen und Lehrer an berufsbildenden Schulen wollen

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nach wie vor die Weiterentwicklung der berufsbildenden Schu-len zu regionalen Berufsbildungszentren oder Berufskollegs imoben beschriebenen Sinne. Was heißt das im Einzelnen?• Wir wollen die Kooperation mit den Bildungsträgern derRegion, insbesondere den staatlichen und kommunalen Trä-gern, verstärken: ideell, materiell und personell.• Wir wollen intensiver als bisher mit den anderen Bildungs-und Beratungseinrichtungen kooperieren, um ein umfassen-des, in sich schlüssiges und transparentes Beratungsangebotfür alle Menschen in allen Lebenslagen zu entwickeln undvorzuhalten.• Wir wollen die Beibehaltung der staatlichen Verantwor-tung und Trägerschaft für die berufsbildenden Schulen unddie Schulen für Erwachsene.• Wir wollen – und das ist die übergreifende Klammer – dieBeibehaltung und Sicherung des öffentlichen Bildungs- und

Erziehungsauftrags im Sinne einer umfassenden Bildung füralle.

Die Konzepte der abgewählten CDU-Landesregierung set-zen auf Entdemokratisierung, einseitige Stärkung derSchulleitungen, Deregulierung, Ökonomisierung und Priva-tisierung. Wie es angesichts der derzeitigen verworrenenpolitischen Lage in dem Feld der ZLL weitergehen wird, istzurzeit noch unklar.

Klar ist aber auch, dass der Zug zu Zentren Lebens-begleitenden Lernens auch bei veränderten parlamentari-schen Mehrheiten fahren wird. Für die GEW kommt esdeshalb und nach wie vor darauf an, im Sinne Oskar NegtsGrenzen aufzuzeigen und Gegenmacht zu entwickeln, dennwir haben die besseren Konzepte.

Dieter Staudt, Fachgruppe Berufliche Schulen der GEW Hessen

Irrwege zur PrivatisierungHessencampus Dreieich: Modell für Public Private Partnership

In acht hessischen Städten oder Landkreisen entwickelten dieLeitungen von Beruflichen Schulen, Schulen für Erwachseneund Volkshochschulen (VHS) Kooperationsmodelle auf derGrundlage des von der alten CDU-Landesregierung vorge-gebenen Konzepts für Zentren Lebensbegleitenden Lernens(ZLL), die heute unter Hessencampus (HC) firmieren. Amkonsequentesten ging dabei der Landkreis Offenbach mitseinem Haus des Lebenslangen Lernens (HLL) in Dreieich vor,dem zweiten großen PPP-Projekt (Public Private Partnership)von Landrat Peter Walter (CDU). PPP-Verträge entziehen sichauf Grund ihrer privatrechtlichen Natur weitgehend derKontrolle durch die kommunalen Parlamente und sind einBeitrag zur Entdemokratisierung. Außerdem legen PPP-Projekte überdimensionierte Zahlungen über extrem langeZeiträume fest.

Die Laufzeit des PPP-Projekts an 90 Schulen des Landkrei-ses Offenbach beträgt 30 Jahre, der Wert 780 Millionen Euro.Für das HLL Dreieich wurden 56 Millionen Euro veran-schlagt, für die Laufzeit „nur“ 15 Jahre. Da nach jüngstenUmfragen des Instituts für Urbanistik nur jeder fünfte Land-kreis PPP-Projekte für gut befindet, konstatiert Peter Walterals Vorsitzender des Vereins PPP in Hessen: „Es herrscht einegewisse Unsicherheit, hier wollen wir Hilfestellung leisten.“Der Verein, dem Bauträger, Verbände, Banken, Kanzleien,Handwerkskammern, der Hessische Landkreistag, der Hessi-sche Städte- und Gemeindebund, aber auch einzelne Kommu-nen angehören, versteht sich als Plattform rund um PPP: „Wirwollen, helfen, beraten und Networking betreiben, um andereKommunen zu ermutigen, gemeinsam mit privaten Partnern.“

Dabei hat sich Landrat Walter, einer der entschiedendstenLobbyisten für PPP-Projekte, nach dem Eindruck seinerKritiker bereits jetzt verhoben. Für das HLL sind rund 30.000qm Bruttogeschossfläche veranschlagt. Hauptnutzer soll dieBerufliche Schule Max Eyth sein, die jetzt über eine Flächevom 6.000 qm verfügen kann. Weitere „Starteinrichtungen“sind das kleine Abendgymnasium Neu-Isenburg und die

Kreisvolkshochschule Offenbach. Später sollen weitere Volk-hochschulen in Dreieich-Sprendlingen und Dietzenbach,eine Musikschule, die Kreisbildstelle und ein KommunalesDienstleistungszentrum für Arbeit hinzukommen. Eine priva-te Grundschule im HLL zu betreiben, wurde vom HessischenKultusministerium (HKM) untersagt. Landrat Walter wirddeshalb Probleme haben, das überdimensionierte HLL mitsinnvollen Einrichtungen zu füllen. Mit den Starteinrich-tungen dürfte das HLL nicht einmal zur Hälfte ausgelastetsein. Gleichzeitig leiden die anderen Beruflichen Schulen inder Stadt und im Landkreis Offenbach unter dem Bestrebendes Landrats, möglichst viele Berufe abzuziehen und damitdie Max-Eyth-Schule aufzufüllen. Der Druck wird durch diebereits fest vereinbarten jährlichen Mietzahlungen an eineTochtergesellschaft der Hessischen Landesbank erzeugt, dieüber sechs Tochtergesellschaften einen geschlossenen Immo-bilienfonds aufgelegt hat, an dem sich private Anleger miteiner Verzinsung zwischen 5,5 % (2009) und 7 % (2023)beteiligen sollen. Schließlich müssen auch die Projektkostenin Millionenhöhe bezahlt werden und auch die Bankenwollen verdienen.

Die jährlichen Mietzahlungen für das an eine GmbH undCo KG verkaufte und von der Helaba über Tochtergesell-schaften in einem geschlossenen Immobilienfonds vermark-tete HLL belaufen sich auf fast vier Millionen Euro, dazukommen fast alle anfallenden Bewirtschaftungs- und Unter-haltungskosten, so der Verkaufsprospekt des Immobilien-fonds. Das HLL-Projekt in Dreieich wurde mit dem Innova-tionspreis PPP 2006 des Bundesverbands PPP ausgezeichnet,gemeinsam mit dem Projekt Government Services in EastRiding in der Grafschaft Yorkshire, wo sich die Bertelsmann-Tochter arvato direct services erfolgreich an einer Ausschrei-bung für ein PPP-Projekt zur Übernahme verschiedenerDienstleistungen vom Steuereinzug bis hin zur IT- undTelekommunikationsbetriebsführung beteiligte.

Herbert Storn

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Seit 2007 gibt es an acht Standorten in Hessen Initiativen fürdie Errichtung eines Zentrums für Lebensbegleitendes Lernen(ZLL) oder – sperriger und offiziell formuliert – eines„Hessencampus“ (HC). Das sollte auch 2008 so bleiben,obwohl der HC-Projektleiter beim Hessischen Kultusministe-rium (HKM) noch im November 2007 den Beitritt weitererInitiativen verkündet hatte. Mittlerweile „setzt“ das HC Main-Taunus-Kreis für ein Jahr „aus“, das ihm zugedachte Geld sollan das HC Osthessen fließen. An vier dieser acht Standortegibt es insgesamt sieben Schulen für Erwachsene (SfE), vondenen aber nur vier in den ZLL-Initiativen mitarbeiten. Dassind viele, wenn man bedenkt, dass die meisten Kollegiendagegen sind. Das sind wenige, wenn man weiß, dass das HKMdie SfE als „Startorganisationen“ fest auf der Rechnung hatte.

Prozess ohne UnterbauIm Haus des Lebenslangen Lernens (HLL) in Dreieich ist dasAbendgymnasium Neu-Isenburg eingebunden, aus Sicht vie-ler Kolleginnen und Kollegen gezwungenermaßen. Am Hes-sencampus Osthessen ist die SfE Osthessen beteiligt. In Kasselnimmt das Hessenkolleg teil, die Abendschule nicht. InFrankfurt war das Hessenkolleg von Anfang an nicht betei-ligt, dafür das Abendgymnasium, das aber Ende 2007 durchBeschluss der Gesamtkonferenz aus dem Hessencampus aus-gestiegen ist. Jetzt macht die Schulleiterin allein in derInitiative weiter, was ihr den galanten Beinamen einer„Königin ohne Land“ eingetragen hat. Neu hinzugekommenist die Abendhaupt- und Abendrealschule Frankfurt. Aller-dings macht das Kollegium der Schule den Verbleib in derInitiative davon abhängig, dass es nicht zu der vom HKMangestrebten Bildung eines „integrierten Bildungsdienstleis-ters“ kommt, bei der die beteiligten Einrichtungen ihreEigenständigkeit verlieren und Bildungsangebote zuneh-mend kostenpflichtig würden.

Während in Dreieich Vertreter der beteiligten Organisa-tionen Vorschläge für ein pädagogisches Konzept erarbeitethaben, werden in Osthessen und in Kassel die Kollegien derSfE weder inhaltlich in die Entwicklung der HC einbezogennoch sind ihre Personalvertretungen beteiligt. Auch hiervollzieht sich somit faktisch ein Prozess ohne Unterbau. DieNichtbeteiligung der Personalvertretungen widerspricht klarden Regelungen der „Gründungserklärung“ der ZLL, aber dasscheint bei den Verantwortlichen in den betroffenen Regio-nen und beim Land niemanden zu stören. Man nimmt ebenvon dem, was man sagt, einiges wichtig, anderes nicht.

In Kassel haben die Verantwortlichen der Initiative denVerstoß gegen die von ihnen selbst unterzeichneten Regelndamit begründet, es sei nicht gut, wenn zu viele Leutemitreden wollen. So kam man auf die famose Idee einerBeteiligung light: Die Kollegien der Beruflichen Schulensollten durch den Gesamtpersonalrat Kassel, das Kollegiumdes Hessenkollegs durch den für den Bereich der SfE zustän-digen Gesamtpersonalrat Gießen vertreten werden. Aberauch in den Initiativen, die die Regeln einer formalen

Bröckelnde NeubautenDer HessenCampus aus Sicht der Schulen für Erwachsene

Beteiligung einhalten, beklagen die Kolleginnen und Kolle-gen die Intransparenz des Prozesses und die Durchsetzungvon Vorgaben per Dekret. Partizipation findet nicht statt.

Allgemeinbildung bleibt auf der StreckeFehlende Transparenz und Partizipation sind nicht die einzi-gen Gründe dafür, dass eine große Zahl der Kolleginnen undKollegen und die Landesfachgruppe Erwachsenenbildungder GEW den HC ablehnen. Schon in den ersten Konzept-entwürfen und noch deutlicher in den nun vorliegenden„belastbaren“ Konzepten wurde die Allgemeinbildung nurpflichtgemäß mit ein paar warmen Worten bedacht, spielteaber faktisch keine Rolle. Viele von uns stellten sich dieselbeFrage: „Was haben wir da eigentlich verloren?“ Unsere Fragefand im Vortrag von Professor Dr. Peter Euler auf dererwähnten Hessischen Weiterbildungskonferenz ein starkesEcho. Euler konstatierte für das HC-Konzept einen „Wider-spruch von Bildung und Bildungsgerede“. Von größter Wich-tigkeit sei daher die Frage, welchem Zweck die anvisierte„Umstrukturierung der Bildungslandschaft“ durch ZentrenLebenslangen Lernens dienen soll und ob ihre Institutionali-sierung „bewusst der Gewährleistung und der Sicherung vonallgemeiner Bildung aller Teile der Bevölkerung verpflichtetist.“

Diese Frage hat eine bildungspolitische und organisatori-sche Dimension: Die Beruflichen Schulen sollen nach demWahlprogramm der CDU den „Kern“ der ZLL bilden. Sie sollendie Möglichkeit erhalten, „als Träger von Weiterbildungs-maßnahmen eigene Angebote anzubieten und nicht wiebisher nur als Kooperationspartner zur Verfügung zu stehen“.Diese „eigenen Angebote“ sollen natürlich für die potenziellenNutzer kostenpflichtig sein. Gleichzeitig zielt der Versuchder CDU, die Beruflichen Schulen als „Kerne“ der ZLL zuinstallieren, auf die Bildung eines Machtzentrums in den ZLL,das die anderen Kooperationspartner nicht nur dominiert,sondern das sogar deren Eigenständigkeit, wenn nicht sogarExistenz gefährden könnte. Deutliche Anzeichen dafür gibt esim HLL Dreieich. Neben den SfE betonen daher jetzt auch dieVolkshochschulen (vhs) ihre Eigenständigkeit und vergewis-sern sich dabei der Unterstützung der kommunalen Träger.

Schmalspur- und BilligausbildungIm Blick auf die bildungspolitische Dimension gilt es gleich,einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht hier nichtdarum, die unbefleckte Fahne einer zweckfreien „Bildung“gegen die auf ökonomische Verwertbarkeit zielende „Ausbil-dung“ hochzuziehen. In den Auseinandersetzungen um diestaatliche Schule hat die Arbeiterbewegung gegen Konzepteeiner religiös-moralischen „Erziehung“ für die „Unteren“immer auf der Aneignung von nachhaltigen Qualifikationenbestanden.

Dieses Ziel wird aber in den HC-Konzepten eines „Über-gangsmanagements Schule/Beruf“ verfehlt. Für die zuneh-

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mende Zahl junger Arbeitsloser und von Jugendlichen, dieaus dem dualen System herausfallen, soll eine Art Schmal-spur- und Billigausbildungssektor errichtet werden. DasKonzept des HC Kassel formuliert das selten schönfärberisch,aber dennoch klar genug:„Die Teilnehmerzahl im deutschen Übergangssystem ist im letztenJahrzehnt um 43 % auf knapp eine halbe Million gestiegen. Einegroße Zahl von Jugendlichen ist in Bildungsgängen untergebracht,die ihnen kaum mehr zu bieten vermögen als die vage Hoffnung, nachAbschluss der Maßnahme noch einmal eine Bewerbung auf einenAusbildungsplatz versuchen zu dürfen. Ein Ausweg aus dieserSituation kann in der subjektiven wie objektiven Aufwertung desÜbergangssystems bestehen.“

Menschen, denen die Teilhabe am dualen Berufsbildungs-system verwehrt wird, weil die Betriebe ihre Ausbildungs-verpflichtung nicht erfüllen, werden ausgegrenzt und sinddamit Nicht-Teilnehmer. Das Neusprech im HC-KonzeptKassel macht aus ihnen „Teilnehmer im deutschen Über-gangssystem“. Dieser doppelt skandalöse Zustand ist Resultatder Ausschlusspraktiken des Schulsystems und der Unterneh-mer, soll aber nicht etwa beseitigt, sondern lediglich um-gewertet werden.

Für die Betriebe ist die anvisierte „Verkürzung derAusbildungsdauer“ ein lukratives Versprechen, denn siewerden „von den Kosten- und Erfolgsrisiken einer alleinigenAusbildungsträgerschaft“ entlastet (1). Für die Betroffenen istsie ein Placebo. Bestenfalls können sie ihre Arbeitskraft ineinem auch regional eng begrenzten Bereich kurzfristigverkaufen. Der GEW geht es wie anderen Gewerkschaften desDGB dagegen um den Erwerb von Qualifikationen, die es denIndividuen erlauben, den sich ändernden Produktions- undArbeitsbedingungen gerecht zu werden und selbstbewusstbegegnen zu können, anstatt dadurch immer wieder Dequa-lifizierungserfahrungen zu machen.

Es kann also nur um eine solide Allgemeinbildung undberufliche Ausbildung gehen. Wenn es um die Allgemeinbil-dung geht, sind und bleiben die Schulen für Erwachsene fürJugendliche und Erwachsene, die ihre schulischen Abschlüs-se verbessern oder überhaupt einen Schulabschluss erreichenwollen, unentbehrliche und daher in ihrer Eigenständigkeitzu bewahrende Einrichtungen. Das Bestehen auf der Eigen-ständigkeit der SfE und auf qualifizierten Schulabschlüssenist dabei weder strukturkonservativ noch innovations-feindlich.

Schulen für Erwachsene kooperierenSeit Jahren kooperieren die Schulen für Erwachsene amselben Standort nicht nur miteinander, sondern auch mit derArbeitsagentur oder – wie in Kassel – mit VW-Coaching ineinem gemeinsamen Hauptschulprojekt. In diesen Koopera-tionen gehört eine sozialpädagogische Begleitung der Teil-nehmerinnen und Teilnehmer zum Standard; sie ist von denSfE für den Bildungsgang Abendhauptschule schon langegefordert worden, weil er ohne diese Begleitung immerweniger gut funktioniert.

Veränderte Rahmenbedingungen, veränderte Biographienführen schon seit längerer Zeit zu Forderungen nach einerUmgestaltung des Angebots der Schulen für Erwachsene. Hiernur eine Auswahl aus den vielen Vorschlägen, die im Bereichder SfE im Moment diskutiert werden:• Kollegs und Abendschulen sollen ihr Angebot über den ganzenTag ausbreiten und miteinander verbinden können, Möglichkeitendes E-Learning sollen geschaffen werden.• Mit Rücksicht auf veränderte Berufsbiographien sollte dasAufnahmekriterium „Berufstätigkeit“ für den gymnasialen Bil-dungsgang aufgelöst oder modifiziert werden.• Ein Hauptschul- oder Realschulabgänger ohne Abschluss kannan der Abendhaupt- und Abendrealschule gezielt nur die Fächerbelegen, in denen seine Defizite liegen, muss aber nicht die gesamteFächerpalette belegen.• Schülerinnen und Schüler von Gesamtschulen und Gymnasiensollten die Gelegenheit bekommen, am Abendgymnasium/Hessen-kolleg den Grundkurs Latein zu besuchen, der an der eigenen Schulenicht angeboten werden kann, aber für das gewünschte Studiumbenötigt wird.• Vorkenntnisse, etwa Studierender nichtdeutscher Herkunft imsprachlichen oder mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich,können über Feststellungsprüfungen anerkannt, der Schulbesuchdadurch verkürzt werden.• Studierende können individuelle Bildungsprofile entwickeln undeinen Teil ihrer Kurse an anderen Einrichtungen absolvieren. EinPortfolio würde die Teilergebnisse dokumentieren.• In Kooperation mit Betrieben der Region können Weiterbildungs-möglichkeiten für Mitarbeiter entwickelt werden, die spezielle,allgemein bildende Angebote wahrnehmen möchten.

Einige dieser Forderungen sind in Nordrhein-Westfalenbereits Realität. In Hessen redet das HKM von „Niedrigschwel-ligkeit“ der Bildungsangebote für Jugendliche und Erwachse-ne, legt aber gleichzeitig seit 2006 die Latte kontinuierlichhöher: durch Eingangstests, die den Bewerberinnen undBewerbern an Abendgymnasien und Hessenkollegs Fähigkei-ten abverlangen, die sie erst bei Schulbesuch erwerben kön-nen, und durch die Einschränkung beziehungsweise Abschaf-fung der Möglichkeit, zweimal im Jahr Bewerberinnen undBewerber aufzunehmen. Allein im Jahr 2007 ist nach Auskunftdes Mandantenleiters die Zahl der Studierenden an den SfE um780, das heißt um mehr als 15 % zurückgegangen. Auch dasgehört zum Thema „Bildungsgerede“ und Bildungsrealität.Dr. Hans Otto Rößer und Wolfgang StiebritzVorstandsteam der Landesfachgruppe Erwachsenenbildung

(1) Harney, Hochstätter, Kruse: Hessencampus Lebensbegleitendes Ler-nen – Ein struktureller Fortschritt im Bildungssektor? Zur Begründungeines strategischen Projekts der Hessischen Landesregierung, HessischeBlätter für Volksbildung 2/2007, S. 126 – 140, hier S. 134.Seit September 2006 berichtet, analysiert und kommentiert der Info-brief der Landesfachgruppe Erwachsenenbildung regelmäßig zu denZLL/Hessencampus. Diese bislang sieben Briefe können über die Fach-gruppe als E-Datei abgerufen werden.

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Von der Behörde zum BetriebDie Volkshochschulen sind Laboratorien der Deregulierung

Die Volkshochschulen (VHS) sind als Laboratorien derDeregulierung des Bildungssektors anzusehen. Dafür gibt esdrei wesentliche Begründungen:• Das Bildungsangebot der VHS ist mittlerweile durchwegkostenpflichtig. Frühere Gratis-Residuen für besonders be-nachteiligte Gruppen wie Alphabetisierungskurse habenlängst betriebswirtschaftlicher Logik weichen müssen, dieideologisch mit kruden Vorstellungen von einem homooeconomicus studens abgefedert werden, der angeblich nurdie Angebote (wert)schätzt, die auch richtig etwas kosten.• Die Lehre wird an den VHS mittlerweile zu 96 % vonprekär beschäftigten „Frei“-Beruflern übernommen die erstgar nicht zur Belegschaft zählen und demzufolge bei Ent-scheidungen über Betriebsbelange auch dort bleiben, wo sienach VHS-Vorstellungen hingehören: draußen vor der Tür.Nur fürs Pressefoto oder die schicken Bildchen auf der VHS-Homepage dürfen „unsere“ Dozenten, Trainer, Moderatorenund Kursleiterinnen und Kursleiter dann wieder eineSchnappschusslänge als „unsere“ Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter posieren. Das vermittelt in der Außenwirkung „eineverschworene Gemeinschaft“, modern Corporate Identity.• Die Entkoppelung von staatlichem Bildungsauftrag, der inGestalt des Hessischen Weiterbildungsgesetzes formell alsRahmen weiter besteht, und ausführenden Institutionen istweit fortgeschritten. Dies schlägt sich vor allem darin nieder,dass in den vergangenen zehn Jahren eine steigende Zahl vonkommunalen Trägern der Erwachsenenbildung ihre VHS auseiner Behörde in einen Bildungsbetrieb unterschiedlicherGesellschaftsform umgewandelt und damit aus der kommu-

nalen Verwaltung „outgesourct“ hat. Vom städtischen Eigen-betrieb über die GmbH bis zum eingetragenen Verein ist hier(beinahe) alles zu finden.

Bildung als GeschäftDieser Wandel der VHS von einer Institution mit einemgesetzlichen Bildungsauftrag zum Bildungsdienstleister wirdunter die Observanz betriebwirtschaftlicher Forderungengestellt. Ihre genauso simple wie brutale Logik lautet, dassBildungsangebote als einträgliches Geschäft zu betreibensind. Natürlich ist der komplette Rückzug des Staates aus derFinanzierung der öffentlich verantworteten Erwachsenenbil-dung nicht von heute auf morgen zu bewältigen – auch nichtdurch den voluntaristischen Ausruf „Es sei!“ Doch die Marsch-route ist vorgegeben und schlägt sich seit Jahren in zurück-gehenden Zuschussleistungen von Land und Kommunennieder. Und damit steigt die Finanzierungsquote der VHSdurch die zu „Kunden“ erklärten Kursteilnehmerinnen undKursteilnehmer. So hat beispielsweise die VHS Frankfurt dieEinnahmen aus Teilnehmergebühren seit 1990 weit mehr alsverdoppelt. Im selben Zeitraum sind die Teilnehmergebührenum annähernd das Fünffache gestiegen. Bei der VHS der StadtMarburg wird es mit dem Argument der „leeren Kassen“ alsganz natürlich angesehen, dass Erhöhungen der Dozenten-honorare durch „moderate“ Gebührenerhöhungen zu finan-zieren, also direkt von den Kursteilnehmerinnen und Kurs-teilnehmern zu tragen sind.

ZLL: Nektar und Ambrosia für die VHSAuch 2007 erklärte der Hessische Volkshochschulverband(HVV) in einer Pressemitteilung zu einer „Imageumfrage“erneut mit standhaftem Optimismus, dass „Jahr für Jahr500.000 Menschen die Angebote der vhs“ wahrnehmen.Dabei ist der kontinuierliche Rückgang der Nachfrage nachden Angeboten der VHS und der damit einhergehendeverschärfte Ausschluss einkommensschwacher Schichten ausder Weiterbildung nicht zu leugnen. Intern wird er überwie-gend als durchaus existenzgefährdend für das „Format VHS“angesehen. Was nimmt es da Wunder, dass der Plan zurEinrichtung von Zentren Lebensbegleitenden Lernens (ZLL)für die Volkshochschulen im Jahr 2006 wie die Ankündigungvon Nektar und Ambrosia begrüßt wurde, locken dochzusätzliche öffentliche Mittel für die notorisch klammenVHS. Der HVV frohlockte, man werde „das Kultusministeri-um bei der angestrebten Neuorientierung der Weiterbil-dungspolitik im Sinne der ZLL unterstützen und eine aktiveRolle übernehmen.“

Sichtlich von der Hoffnung auf eine erneuerte Bedeutungder VHS nach Jahren des betriebswirtschaftlich begleitetenSchrumpfungsprozesses getragen, „ermunterten“ die VHS-Leiterinnen und VHS-Leiter auf ihrer Frühjahrskonferenz2007 das Land, „die Weiterbildung in den Regionen zustärken“. Sie versicherten, „die wichtigen Herausforderungenin Bildung und Weiterbildung könnten nur gemeinsam mitden Volkshochschulen bewältigt werden.“

(Vorkurs)

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Der hier geäußerte Anspruch und dieWirklichkeit der VHS dürften nach denJahren der Deregulierung weiter denn jeauseinanderliegen. Als Bildungseinrich-tung hat die VHS ihre pädagogischenPotenziale weitestgehend an betriebsfremde,„freiberuflich“ tätige Lehrkräfte abgetreten.Sie hat damit zwar ihren betriebswirtschaftli-chen Vorgaben Genüge getan, indem sie ihrenAnteil an der Einrichtung eines Billigstlohnsektorsfür Unterrichtsleistungen beigesteuert hat. Ande-rerseits ist ihr damit aber auch die direkteVerbindung zur gerne so bezeichneten„Kernkompetenz“ einer jeden Bildungs-einrichtung verloren gegangen. Diemittlerweile gerne beschworene „ei-gene Identität“ der VHS ist wenigmehr als das Tragen eines 2004/05eigens aus der Taufe gehobenen Quali-tätssiegels namens LQW. Dazu kommtder übliche Schnickschnack: ge-meinsam verwendete Logos, mit ge-ringfügigen Veränderungen voneinanderabgeschriebene „Leitbilder“ mit den übli-chen human klingenden Beschwörungsformelnund die ritualisierten Formen einer dauerhaften„Retestierung“ gemäß schon erwähntem Qualitätssiegel.

Lehrkräfte als MarktsklavenIhren Lehrkräften, die zu rechtlosen, den jeweiligen Launender disponierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter undden Konjunkturen der Bildungsnachfrage ausgeliefertenMarktsklaven herabgesunken sind, können die VHS keineZukunft bieten. Dass ihnen im Projekt Hessencampus (HC)möglicherweise selbst der Untergang als Institution droht,begann den VHS-Leiterinnen und -Leitern erst Ende 2007 zudämmern: „Bei weiterhin grundsätzlicher Bereitschaft, dasProjekt voranzutreiben, wächst die Sorge, dass in Hessen dieVolkshochschulen als selbststständige Bildungseinrichtun-gen gefährdet sein könnten.“

Dass damit ein neues Problembewusstsein über die eigenegesellschaftliche Rolle erwacht sein könnte, ist kaum zuerwarten. Als Institution, die ihre Existenzberechtigung be-weisen muss, geht es den Volkshochschulen vielmehr aus-schließlich darum, aus ihrer Teilnahme am HC den größtmög-lichen Gewinn für sich selbst zu ziehen. Und das kann ganzim Sinne der landespolitischen Operatoren des Projekts nurauf Kosten der anderen Teilnehmer an den Projektgruppenaus dem Kreis öffentlicher Schulen gehen. Die „Synergien“ alsErgebnis des HC sehen aus Sicht der VHS dann beispielsweiseso aus, dass von „ihren“ prekarisierten Beschäftigten Teile desbisherigen Pflichtangebotes der beruflichen und allgemein-bildenden Schulen übernommen werden. Das schont dieFinanzen des Landes und schafft für die „Freiberufler“ derVHS die Beschäftigungsaussichten, die auf einem durchGebührensteigerungen und rückgehende Kaufkraft schrump-fenden Bildungsmarkt zunehmend desolat aussehen.

Die VHS sind als „Partner“ in regionalen Bildungszentrenin ihrer derzeitigen inneren Verfasstheit grundsätzlich abzu-lehnen. Die kritiklos, ja mit enthusiastischem vorauseilendemGehorsam vorangetriebene Marktgängigkeit ihres Angebo-tes und das rein kommerzielle Interesse an ihren zu „Kunden“transformierten Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern

Fachtagung „Hessencampus“Auch nach der Landtagswahl werden die Hessencampus-Pläne weiter verfolgt. Was bringt eine solche Neuausrich-tung der hessischen Bildungspolitik, welche Gefahren sindoffenkundig? Die GEW Hessen, die Fachgruppen BeruflicheSchulen und Erwachsenenbildung und das Referat Weiter-bildung und Bildungsmarkt laden Personalräte und GEW-Vertrauensleute aus den Einrichtungen, die an Projekten des„Hessencampus – Lebensbegleitendes Lernen“ beteiligt sind,zu einem Informations- und Beratungstreffen ein:

Dienstag, 20. Mai, 10-16 UhrKolpinghaus FuldaProgramm:• Bestandsaufnahme und politische Einordnung der Pläne• Übergangsmanagement Schule-Beruf, „Reformpläne“, EQR• Kriterien für Beschäftigte, Mitbestimmungsrechte• Diskussion mit Politikerinnen und Politikern

Anmeldung: GEW Hessen, Zimmerweg 12, 60325 Frank-furt, Fax: 069-971293-93, E-Mail: [email protected]

stehen zunehmendim Widerspruch zu ei-nem öffentlichen Bil-dungsauftrag. Die zielgerichtet betriebene und als grundle-gende Bastion der Verbetriebswirtschaftlichung verteidigteEntrechtung der für die VHS tätigen Lehrkräfte ist für einedemokratische Bildungseinrichtung restlos inakzeptabel.Ernst Olbrich, Fachgruppe Erwachsenenbildung der GEW Hessen

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Es gehört zu den bildungspolitischen Überzeugungen derGEW, dass das Grundrecht auf Bildung nicht bereits verwirk-licht ist, wenn ein (erster) schulischer oder Hochschulab-schluss erreicht ist, sondern dass auch Weiterbildung (ein-schließlich beruflicher Fort- und Weiterbildung) im Rahmeneines staatlich verantworteten und staatlich finanziertenSystems von Bildungseinrichtungen gewährleistet sein muss.Dies gilt insbesondere für Menschen, die aus den unterschied-lichsten Gründen im ersten Anlauf keinen „Abschluss“ errei-chen oder auf Abschlüssen „hängen bleiben“, die ihrenwirklichen Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht entspre-chen. Dies gilt aber im Übrigen ganz generell für eineinstitutionelle Absicherung der Chance für lebenslangesLernen, in einer Zeit, in der wachsende Teile eines einmalerworbenen Wissens in immer schnellerem Tempo veraltenund die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen von Politik,Wirtschaft und Gesellschaft unisono gefordert wird.

Wer die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen fordert,muss indessen auch die Möglichkeiten bereitstellen, dies zurealisieren. Nach Auffassung der GEW darf die Frage, ob, wound wie Angebote für lebenslanges Lernen entstehen, vonwem und zu welchen Bedingungen sie wahrgenommenwerden können, nicht dem „Markt“ überlassen oder überant-wortet werden. Auch Weiterbildung muss im Prinzip als Teildes staatlichen Auftrags begriffen werden, ein Bildungswesenzu gestalten, das chancengleichen Zugang und Teilhabe ohnewirtschaftliche und soziale Schranken ermöglicht.

Schritte zur EntstaatlichungDie HLZ dokumentiert einen Beschluss der Personalversammlungder Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach in Auszügen:„Die Beruflichen Schulen sollen mit den Volkshochschulen,den Schulen für Erwachsene und anderen zu einem‚betriebsförmig organisierten Bildungsdienstleister’ zusam-mengeschlossen werden, der als eigenständiges Unterneh-men mit eigenem Budget am Fort- und Weiterbildungs-markt agiert und wie alle Anbieter dem deutschen undeuropäischen Wettbewerbsrecht unterliegt. Wir sind nichtbereit, unsere pädagogischen Fähigkeiten und unser Wissenden Bedingungen eines gewinnorientierten Marktes zuunterwerfen, auf dem private Anbieter sich auf dem Rückenihrer Beschäftigten gegenseitig unterbieten.

Auch wir halten es für dringend notwendig, den berufli-chen Bildungsbereich in Offenbach neu zu überdenken. Füreine bessere Zusammenarbeit der Beruflichen Schulen, füreine bessere Information der Schüler durch Einrichtung einerServicestelle und bessere pädagogische Arbeitsgrundlagenbraucht man aber keinen privaten Bildungsmarkt.

Hinter den Programmen von Selbstverantwortung plus,ZLL und HessenCampus verbirgt sich ein großer Schrittvorwärts auf dem Weg der Entstaatlichung des Bildungswe-sens. Deshalb lehnen wir beim derzeitigen Stand die Teil-nahme an diesem Programm ab.“

Keine Sache des MarktesDer HessenCampus aus rechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht

Die Frage, ob die vorliegenden Konzepte für „Zentrenlebensbegleitenden Lernens“ (ZLL) bzw. „Hessencampus“(HC) einen Fortschritt in dieser Richtung darstellen oder mehrProbleme schaffen als lösen, hat neben den bildungspoliti-schen Aspekten auch eine juristische Dimension. WelcheFragen sich hierbei stellen, ist spätestens seit der Veröffent-lichung des Gutachtens von Ennuschat und Röhl zur „Stel-lung Beruflicher Schulen am Fort- und Weiterbildungsmarktund ihre Konsequenzen für die zukünftige Rechtsform öffent-licher Schulen in Hessen“ (Konstanz, August 2007) bekannt.

Einfallstore für den privaten BildungsmarktNach herrschender Auffassung gelten die besonderen verfas-sungsrechtlichen Garantien für Zugang und Teilhabe anBildungseinrichtungen nach Maßgabe von Leistung, Eig-nung und Befähigung und dem Ausschluss einer Selektionnach Marktmechanismen bislang nur für den Kernbereich derSchul- und Hochschulbildung. Für Weiterbildung, auch fürdie berufliche Fort- und Weiterbildung soll dies nicht odernur mit Einschränkungen gelten. Die herrschende Auffassungentnimmt dies dem nationalen Verfassungsrecht, insbesonde-re jedoch auch den europarechtlichen Regelungen zur„Dienstleistungsfreiheit“ und dem nationalen und europäi-schen Wettbewerbsrecht. Die letztgenannten Regelungenrekurrieren darauf, dass Weiterbildung eine Dienstleistungdarstellt, für die es keine alleinige oder auch nur privilegierteZuständigkeit des Staates gibt, sondern für die ein allenzugänglicher Markt existiert. Auf diesem Markt könne sichauch „der Staat“ betätigen, er genieße insoweit jedoch keinebesonderen Rechte, sondern unterliege den allgemeinenWettbewerbsregeln. Damit ist nach herrschender Meinungausgeschlossen, dass der Staat in verfassungsrechtlich „privi-legierten“, aus allgemeinen Steuermitteln finanzierten schu-lischen Einrichtungen „subventionierte“ Weiterbildungsan-gebote macht, mit denen er zu den privaten Anbietern aufdem Weiterbildungsmarkt in Konkurrenz tritt. Tut er diesgleichwohl, so „ruft dies das nationale und europäischeWettbewerbsrecht auf den Plan“ (Gutachten S. 48), mit derKonsequenz, dass damit Rückwirkungen auf die Organisationder schulischen Kernbereiche ausgelöst werden. Diese kön-nen insbesondere darin bestehen, dass „die eigentlichenSchulangebote dem Zugriff des europäischen Wettbewerbs-rechtes und der Dienstleistungsfreiheit geöffnet“ werden(Gutachten S. 116), mit anderen Worten, dass Einfallstore fürden privaten Bildungsmarkt in den Bereich des öffentlichenSchulwesens geschaffen werden.

Dieses Gutachten ist im Zusammenhang mit dem seit demJahre 2004 betriebenen Projekt „Selbstverantwortung Plus“(SV-plus) erstellt worden, um zu klären, wo die Möglichkei-ten und Grenzen des im „Handlungsfeld 6“ beschriebenenVorhabens liegen, Berufliche Schulen als regionale Bil-dungszentren auszubauen und die Möglichkeit einzuräumen,Bildungsleistungen auch für Nichtschüler, insbesondere imBereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung anzubieten.

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Was das Gutachten zu diesem Teilaspekt des Projekts SV-plus ausführt, gilt auch und erst recht für die noch wesentlichweitergehenden Planungen im Bereich von ZLL und HC. Diean den HC-Projekten beteiligten öffentlichen Schulen, vor-wiegend Berufliche Schulen und Schulen für Erwachsene(SfE), sollen mit Einrichtungen aus einer breiten Palettesonstiger – auch privater – Bildungsträger zu „betriebsförmigorganisierten integrierten Bildungsdienstleistern“ zusam-mengeführt werden. Die Aufgaben, die von den konzipiertenEinrichtungen wahrgenommen werden sollen, überschreitennoch deutlicher als beim SV-plus-Projekt den bislang ge-schützten Kernbereich schulischer Aufgaben. Die Frage derKonsequenzen, die sich aus dem nationalen und supranatio-nalen Dienstleistungs- und Wettbewerbsrecht ergeben, undnach den Rückwirkungen auf das öffentliche Schulwesenstellt sich mithin noch drängender als bei den Planungen imBereich SV-plus.

Gutachten stärkt GEW-KritikDie GEW hat ihren Widerstand gegen die Hessencampus-Pläne in der vorliegenden Form von Anfang an im Wesent-lichen damit begründet, dass Einfallstore für den Bildungs-markt in den Bereich des öffentlichen Schulwesens geöffnetwerden. Sie hat diese Kritik mit einer Vielzahl von politischenArgumenten untermauert. Spätestens seit dem genanntenGutachten kann sich diese Einschätzung auch auf fundiertejuristische Argumente stützen.

Ein Festhalten an dieser Kritik bedeutet nicht, dass dasZiel, eine Ausweitung und Verbesserung der Weiterbildungauch im System staatlicher Bildungseinrichtungen zu reali-sieren, grundsätzlich ad acta gelegt werden müsste. Aus dendargelegten Gründen ist dies jedoch ein Vorhaben, bei demeine Reihe komplizierter Fragen beantwortet werden muss,um negative Rückwirkungen auf die Wahrnehmung derschulischen Kernaufgaben der beteiligten staatlichen Bil-dungseinrichtungen zu vermeiden. Schnellschüsse sind inso-weit ungeeignet; vielmehr bedarf es einer professionellenkonzeptionellen Planung, die mit der Veränderung einerReihe von Rechtsvorschriften beginnen muss und bei jedemPlanungs- und Umsetzungsschritt sehr genau zu beachten hat,wo die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Nor-mengefüge zwischen europäischem und nationalem Rechtliegen. Erste wesentliche Voraussetzung wäre, den bisher vorallem durch Art. 7 GG gezogenen Rahmen schulischerBildung durch Verfassungsänderungen im Sinne der prinzi-piellen Einbeziehung von Weiterbildung zu erweitern. Damitwäre es zunächst auf nationaler Ebene möglich, die Grenzezwischen „eigentlicher Staatstätigkeit“, für die die EU-Wett-bewerbsregelungen nicht gelten, und „wirtschaftlicher Betä-tigung“ auf einem für alle zugänglichen Markt neu zudefinieren und diese Grenze im Sinne einer Erweiterung desBereichs staatlicher Verantwortung für Bildung hinauszu-schieben.

Wie weit eine solche Grenzverschiebung möglich seinwird, wird man sehen müssen. Insoweit ist zu berücksichti-gen, dass das EU-Recht nach herrschender Auffassung einenbestimmten Rahmen „freier“ wirtschaftlicher Betätigung auchauf dem Bildungssektor garantiert, der auch durch nationalesVerfassungsrecht nicht grundsätzlich beseitigt werden kann.

In einem weiteren Schritt müssten grundlegende Ände-rungen im geltenden Schulrecht durch den „parlamentari-schen Gesetzgeber“ vorgenommen werden. Dies hat das

vorliegende Gutachten bereits im Hinblick auf die geplantenAufgaben der Beruflichen Schulen im Rahmen des SV-Plus-Projekts für zwingend erklärt. Dies gilt erst recht dafür, wennim Rahmen des HC-Projekts Schulen ihre Aufgaben nicht nurverändern, sondern auch neue Strukturen im Sinne derpropagierten „integrierten Bildungsdienstleister“ geschaffenwerden sollen.

Ohne die genannten Änderungen im Bereich der Rechts-grundlagen werden die an den verschiedenen HC-Projektenbeteiligten Schulen auf eine juristische und politische Geister-fahrt geschickt, bei der am Ende nur ein Ergebnis mitSicherheit feststeht: Es wird ein breites Einfallstor für dieUnterwerfung ihrer Arbeit unter die Gesetzmäßigkeiten desprivaten Bildungsmarkts geöffnet.

Sozialstaatliche Verantwortung stärkenWie eingangs bereits erwähnt, wäre es auch aus Sicht der GEWeine begrüßenswerte politische Zielsetzung, die (sozial-)staat-liche Verantwortung für den Bereich der Weiterbildung zustärken. Wenn hierfür auch Kompetenzen und Ressourcenöffentlicher Schulen genutzt werden sollen, muss dies aller-dings in solchen Formen geschehen, die deren Aufgaben-wahrnehmung im jeweiligen Kernbereich der schulischenBildung nicht beschädigen. Hier müssen erst einmal Grund-lagen im oben genannten Sinne geschaffen werden. Dies istein vergleichsweise langwieriges und kompliziertes Vorha-ben.

Wer aktuell etwas für die Verbesserung der Situation derWeiterbildung im öffentlichen Bereich tun will, kann diejeweils beteiligten Institutionen und Einrichtungen durcheine bessere Ausstattung mit Personal, Sach- und Finanzmit-teln stärken. Möglich ist es, den beteiligten Einrichtungenmehr Raum für pädagogische Innovation zu geben. Möglichist es schließlich auch, die Kooperation der jeweils gestärktenEinrichtungen zu intensivieren und auszuweiten und da-durch Synergieeffekte zu erzielen.

Dr. Hartwig Schröder, Landesrechtsstelle der GEW Hessen

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Kaninchen und SchlangeDie Gewerkschaften und die europäische Bildungspolitik

Der Beitrag von Michael Ehrke, Bildungsexperte beim Vorstand derIG Metall in Frankfurt, musste leider stark gekürzt werden. Dervollständige Beitrag kann auf der Homepage der GEW Hessennachgelesen werden (www.gew-hessen.de > Publikationen > HLZ >

HLZ 5/2008). Als Download findet man seinen Beitrag „DerEuropäische Qualifikationsrahmen – eine Herausforderung für dieGewerkschaften“ sowie weitere Dokumente zu demselben Themaunter www.igmetall-wap.de/bb_europa_archiv.php.

Die EU wird immer aktiver in Sachen Bildung. Trotz deseuropäischen Bildungsföderalismus, wonach Bildung gemäßMaastrichter Vertrag nationales Recht bleibt, wollen die EU-Staaten in der Bildungspolitik stärker zusammenarbeiten undgemeinsame Ziele verfolgen. Die Bologna-Vereinbarung überdie Reform der Studiengänge auf Basis des angelsächsischenModells Bachelor-Master ging noch verhältnismäßig harm-los über die Bühne, spätestens aber die Ankündigung eines„Europäischen Qualifikationsrahmens“ (EQF) löste dann dochjedenfalls in der Berufsbildungslandschaft ein kleines Erdbe-ben aus. Zum ersten Mal ist die Rede von der Gestaltung deseuropäischen Bildungsraumes nicht nur ein abstrakte Phrase,sondern wirkt bis in das lokale Bildungsgeschehen hinein.

Entscheidend für die neue Strategie war das Treffen dereuropäischen Bildungsminister in Kopenhagen im November2002. Daran beteiligten sich übrigens nicht nur die EU-Mitglieder sondern insgesamt 30 Staaten. Die Kopenhagen-Erklärung der zuständigen Minister enthält vier Elemente,die im Kern nicht neu sind, für die aber neue Umsetzungs-instrumente anvisiert werden:1. Mobilität: Förderung der Mobilität, interkultureller Kom-

petenzen sowie der Zusammenarbeit und der Öffnung derLehrpläne und Ausbildungsordnungen in Europa

2. Transparenz: Förderung der Transparenz von Qualifikatio-nen und Kompetenzen durch EQF, EUROPASS sowie durchAusbau und Weiterentwicklung der Bildungs- und Berufs-beratung

3. Anerkennung: Schaffung eines europäischen Rahmens fürdie Anerkennung von erworbenen Kompetenzen undQualifikationen auf der Basis gemeinsamer Prinzipien(EQF, ECVET)

4. Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung: Förderungder Zusammenarbeit in der Qualitätssicherung insbesonderemit Blick auf den Austausch von Modellen und Methodensowie auf gemeinsame Qualitätskriterien und -grundsätzefür die berufliche Bildung (Europäisches Netzwerk für dieQualitätssicherung in der beruflichen Bildung – ENQA-VET).

Im Zusammenhang damit stehen weitere Zielsetzungen undMaßnahmen, so die Unterstützung des Lebenslangen Lernens,die Validierung des nicht-formalen und informellen Lernensund die Förderung von Schlüsselkompetenzen. Die Maßnah-men, die kurz als „Brügge-Kopenhagen-Prozess“ gekenn-zeichnet werden, sollen eng mit dem Bologna-Prozess – demProgramm zur Förderung eines europäischen Hochschul-raums – koordiniert werden. Damit soll eine Annäherung derBerufsbildung an den Bereich der Hochschulbildung erreichtwerden. Mit ECVET (European Credit System for VocationalEduation and Training) wird für die Berufsbildung parallel einInstrument zur Vergabe von Leistungspunkten entwickelt,welches mit dem ECTS (European Credit Transfer System) fürden Hochschulbereich weitgehend kompatibel sein soll (1).

Der Europäische QualifikationsrahmenIm Mittelpunkt steht der Europäische Qualifikationsrahmen(EQR). Damit ist eine Systematik von acht Bildungslevelsgemeint, die eine Zuordnung von nationalen Bildungsab-schlüssen erlaubt, um sie mit den Bildungsabschlüssen andererLänder vergleichbarer zu machen. Dabei handelt es sich in derTat um einen neuen Ansatz, die sehr unterschiedlichen natio-nalen Bildungssysteme in ein gemeinsames Bezugssystem zubringen. Dass dies grundsätzlich notwendig und sinnvoll ist,erscheint in einer auf 27 Mitgliedsstaaten angewachseneneuropäischen Union plausibel. Europäischer Bildungsföde-ralismus ist genauso wenig ein Wert an sich wie deutscherBildungsföderalismus. Mehr Gemeinsamkeiten, letztlich auchHarmonisierung und Synchronisierung speziell von berufli-chen Ausbildungen und nicht allein nur mehr Transparenz –das macht in der globalisierten Arbeitswelt durchaus Sinn.Spätestens seit PISA wissen wir: Deutschland ist nur noch einmittelmäßiger Bildungsstandort. Wichtige Anstöße für diedeutsche Bildungslandschaft kommen in der Tat derzeit aus derEU und der OECD – siehe PISA und andere Vergleichsstudien.Deshalb kann es nicht darum gehen, über europäische Initia-tiven nur die Nase zu rümpfen. Für die Gewerkschaftenbedeutet dies endlich aufzuwachen und ihr Gewicht in Europaauch in Bildungsfragen geltend zu machen.

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Auf Kritik aus Gewerkschaftskreisen stößt die „Outcome-Orientierung“ des EQR. Sie steht für die entscheidendeNeuerung eines Referenzrahmens. Bildungsniveaus sollenkünftig in Europa anhand von Lernergebnissen verglichenwerden. Alle Staaten sind aufgefordert, für ihre Bildungsgän-ge die jeweils angestrebten Lernergebnisse so zu beschrei-ben, dass sie einen klar erkennbaren inhaltlichen Bezug zumjeweiligen Bildungsniveau haben. Hingegen soll es keineRolle mehr spielen, ob die entsprechenden Kompetenzendurch ein Studium, eine Schule oder durch betriebliche oderberufliche Ausbildung vermittelt werden. Dafür bietet derEQR Deskriptoren an, auf die sich nationale Qualifikations-rahmen beziehen können. Diese Deskriptoren sind naturge-mäß sehr abstrakt, da sie ja 27 nationale Bildungssystemeüberwölben sollen, und sie sind auch wissenschaftlich an-greifbar, weil es ihnen an Konsistenz mangelt. Schließlichhandelt es sich um ein pragmatisch-politisches Verfahren, dasauf mehr Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hoch-schulischer, zwischen formaler und nonformaler Bildungabzielt. Das sorgt allerdings überall dort für Unruhe, wo esbisher nicht üblich war, den Output eines Bildungsganges,also das was hinten herauskommt, konkret zu definieren, z.B.in den allgemeinbildenden Schulen. Bildungsabschlüsse sindja gerade in Deutschland eher Zugangsberechtigungen alsKompetenznachweise. Curricula sind eher input-orientiertund beschreiben Fachinhalte. Die Lernziele beziehen sich, wovorhanden, meist nur auf Lernabschnitte.

Zum Teil werden auch Missverständnisse verbreitet. So istes falsch, wenn manchmal gesagt wird, einzelne Personenoder Bildungsgänge würden dem EQR zugeordnet und damitden dort fixierten Qualifikationszielen unterworfen. Wie derEQR verstanden und umgesetzt wird, wird ausschließlich imnationalen oder sektoralen Rahmen entschieden.

Es geht also nicht darum, auf den EQR wie das Kaninchenauf die Schlange zu starren, sondern die Chance zu nutzen, diezersplitterte deutsche Bildungslandschaft besser zu systema-tisieren und sich nicht mehr primär auf traditionelle Status-unterschiede verschiedener Schulformen, von Berufsbildungund Hochschule zu fixieren.

Leistungspunkte an BerufsschulenIn Verbindung mit dem EQR steht die Einführung einesLeistungspunktesystems analog zum ECTS, das an den Hoch-schulen für die Anrechnung von Studien- und Prüfungsleis-tungen in den Bachelor- und Masterstudiengängen prakti-ziert wird. Der Grundgedanke zielt auf die Anrechnung vonBildungsleistungen in unterschiedlichen Bildungsgängendurch eine europaweit gültige „Bildungswährung“, die nacheinheitlichen Kriterien vergeben wird.

Leistungspunkte sollen für definierte und standardisierteBildungsabschnitte („Module“) vergeben werden, um dieAnrechenbarkeit zu erleichtern. Dies geschieht derzeit auchan den Hochschulen, die die Bachelor- und Masterstudien-gänge aufgliedern. Kann man dies mit ECVET umstandslos aufdie duale Berufsbildung übertragen? Das klingt derzeit nochrecht unwahrscheinlich, denn betriebliche Ausbildung ist miteinem Ausbildungsvertrag über die gesamte Ausbildungszeitverknüpft. Hier eine völlig neue Mobilität einzuführen, daransind weder Betriebe noch die Auszubildenden interessiert.Die Gefahren für die sozialen Rechte und Ausbildungschancender Auszubildenden sind zu groß. Zwar werden durch dasneue Berufsbildungsgesetz Auslandsphasen innerhalb der

Berufsausbildung deutlich unterstützt, aber niemand gibtdeswegen seinen Ausbildungsvertrag auf. Folglich gibt esauch kein Anrechnungsproblem. Auch eine Modularisierungder Berufe mit dem Ziel von Teilzertifikaten macht vordiesem Hintergrund keinen Sinn. Am Ende würden sichAusbildungen womöglich verlängern, es entstünden Patch-work-Bildungsverläufe, Ausbildungen würden nicht zu Endegeführt und schlussendlich bestünde die Gefahr einer weite-ren Dequalifizierung des Nachwuchses – volkswirtschaftli-cher Unsinn (2). Für enorme Skepsis in den Ausbildungsbe-trieben sorgt auch die Frage, wer denn die Leistungspunktevergeben soll. Eine neue Zertifizierungsbürokratie oder –industrie auf privatwirtschaftlicher Grundlage wird jeden-falls allseits abgelehnt.

Gewerkschaftliche HandlungsansätzeKein Zweifel: die Schaffung eines europäischen Bildungs-raumes ist derzeit in erster Linie ein wirtschaftlich getriebe-nes Vorhaben. Im Rahmen der Förderung des europäischenWirtschaftsraumes stellt allerdings die Realisierung der be-ruflichen Mobilität eine besondere Herausforderung dar, dadie divergenten Berufsbildungssysteme der europäischenMitgliedsstaaten bzw. deren uneinheitliche Zugangs- undZertifizierungsansätze die wechselseitige Anerkennung vonberuflichen Kompetenzen erschweren. Und bisher liegt dieMobilität der Arbeitnehmer in Europa bei gerade mal zweiProzent. Die Lösung liegt aber nicht in einer Harmonisierungbestehender Ausbildungssysteme auf dem niedrigsten ge-meinsamen Nenner in der EU. Gerade das vermeidet der EQR,wenn er auf einen Systemvergleich explizit verzichtet.

Die neuen EU-Instrumente decken natürlich nicht alleErfordernisse einer überfälligen Bildungsreform ab, aber siestehen wichtigen Reformen wie der Abschaffung der Drei-gliedrigkeit, der Integration von Berufs- und Allgemeinbil-dung, der Durchlässigkeit zur Hochschule hin auch nichtnotwendig im Wege. Entscheidend sind und bleiben die Zieleeiner nationalen Umsetzung. Diese können aus gewerkschaft-licher Sicht nur lauten:• mehr Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner

Bildung• mehr Durchlässigkeit zum Hochschulabschluss durch An-

erkennung beruflicher Kompetenzen besonders auch derberuflichen Fort- und Weiterbildung

• mehr Bildungschancen für Hauptschüler• Sicherung der Beruflichkeit als zukunftsorientiertes

Bildungsprinzip• Anerkennung des Bildungswerts von Lernen in der ArbeitEs lohnt sich, sich mit EQR und NQR konstruktiv auseinan-derzusetzen. Wer die EQR-Debatte jedoch dazu missbrauchenwill, mit Zielen wie Modularisierung, Privatisierung undKommerzialisierung eine neue Deregulierungswelle von Bil-dung in Deutschland durchzusetzen, wie das die BDA inaktuellen Stellungnahmen zu erkennen gibt, der ist nichtmehr auf der Höhe der Zeit. Er wird auf unseren erbittertenWiderstand stoßen und hoffentlich auch auf den der GEW.Michael Ehrke, IG Metall-Vorstand, Frankfurt am Main

(1) vgl. Rita Meyer: Besiegelt der Europäische Qualifikationsrahmenden Niedergang des deutschen Berufsbildungssystems? In: bwp@ Aus-gabe 12, 2007(2) vgl. hierzu die Broschüre der IG Metall: Berufskonzept stattModularisierung. Frankfurt 2007

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26HLZ 5/2008B E R U F S O R I E N T I E R U N G

Im BrennpunktBerufsorientierung und Berufsvorbereitung an einer IGS

Die GEW Hessen forciert die Diskussionüber die Probleme Jugendlicher beim Über-gang von der Schule in den Beruf. In der HLZ4/2008 wurde ein erstes Thesenpapier fürdie Diskussion im GEW-Landesvorstandvorgestellt. Wie angekündigt wird die HLZin dieser und den folgenden Ausgaben einigekonkrete Projekte aus den Schulen derSekundarstufe I und den Beruflichen Schulenvorstellen, die möglicherweise geeignet sind,die Übergangsprobleme zu minimieren. Indieser Ausgabe der HLZ stellt ChristophBaumann das Konzept der Paul-Hindemith-Schule, einer Integrierten Gesamtschule inFrankfurt, vor. Ausführlichere Informatio-nen und ein Organigramm findet man aufder Homepage der Schule (www.paul-hindemith-schule.de) und in der Lang-fassung dieses Artikels auf der Homepageder GEW (www.gew-hessen.de).

Die 620 Schülerinnen und Schüler derPaul-Hindemith-Schule (PHS) kommenvor allem aus den Frankfurter Stadttei-len Gallus, Gutleut und Hauptbahnhof,die als soziale Brennpunkte gelten. Mehrals die Hälfte der Bewohner ist auslän-discher Herkunft. Nahezu zwei Drittelder Kinder und Jugendlichen bis 18Jahre haben einen Migrationshinter-grund. Das Gallus-Viertel hat den höchs-ten Anteil an Arbeitslosen und Sozial-hilfeempfängern in der Stadt Frankfurt.80 % der Schülerinnen und Schüler derPHS aus 31 Nationen haben einen Mi-grationshintergrund. Jugendliche ausdiesen Stadtteilen haben es besondersschwer, einen Ausbildungsplatz zu fin-den.

Die PHS bietet in den Jahrgängen 8bis 10 eine Vielzahl von Maßnahmenzur Berufsorientierung und Berufswahlan. Sie umfassen Berufsorientierungs-seminare, Betriebspraktika, Informatio-nen zur Berufs- und Arbeitswelt imFach Arbeitslehre, Einzelberatung allerSchülerinnen und Schüler ab Klasse 9durch Sozialarbeiter verschiedener Trä-ger, Besuche bei der Berufsberatung undim Berufsinformationszentrum, Förder-maßnahmen für Schülerinnen und Schü-ler mit einer Abschlussgefährdung, Trai-ningsprogramme im Frankfurter Haupt-schulprojekt und die Mitarbeit in einerSchülerfirma. Zwei Maßnahmen sollenetwas ausführlicher dargestellt werden,

weil sie – mindestens in Frankfurt – füreine IGS eher ungewöhnlich sind: dieSchuB-Maßnahme (seit 2006) und dieQuali-Klasse (seit 2007).

Schule und Betrieb (SchuB)SchuB-Klassen sollen nach den Vorga-ben des Kultusministeriums (Erlass vom2. 11. 2004) folgende Ziele erreichen:• die Persönlichkeit der Schülerinnen und

Schüler stärken und stabilisieren• Erfolgserlebnisse schaffen und die Lern-

und Leistungsmotivation steigern• persönliche Stärken und Kenntnisse fördern• Schlüsselqualifikationen (fachliche, me-

thodische, persönliche und soziale Kom-petenz) vermitteln

• die Beschäftigungs- und Ausbildungs-fähigkeit erhöhen

• strukturierte Berufsorientierung sowiePraxiserfahrungen ermöglichen

• Schul- und Ausbildungsabbrüche undunnötige Warteschleifen reduzieren bzw.vermeiden

• die Schülerinnen und Schüler in Ausbil-dung und Arbeit vermitteln

• den Hauptschulabschluss im Rahmen derVerordnung ermöglichen

• die Zahl der Schülerinnen und Schülerohne Hauptschulabschluss verringern

An Integrierten Gesamtschulen (IGS)sollen keine eigenen Klassen eingerich-tet werden, da dies dem Integrations-konzept der Schulform widersprechenwürde. Die Rahmenvorgaben für dieIGS sehen vor, dass zusätzliche Lehrer-stunden für eine Doppelbesetzung ver-gleichbar dem Gemeinsamen Unterrichtverwendet werden sollen. Die Eltern derSchülerinnen und Schüler, derenHauptschulabschluss ab Ende der Klas-se 7 gefährdet ist, erhalten ab Klasse 8ein spezielles Förderangebot. In Klasse9 wird der Förderplan fortgeschrieben,außerdem kommt ein „Praxistag“ hinzu,der in einem Betrieb absolviert wird.Am Ende der Klasse 9 ist die SchuB-Maßnahme abgeschlossen. Die Teilnah-me an der SchuB-Maßnahme ist freiwil-lig und basiert auf einer Vereinbarungzwischen Elternhaus und Schule.

Die Deutsch- und Mathematik-förderung erfolgt im Unterricht mit derDoppelbesetzung durch zwei Lehrkräf-

te, ergänzend auch einzeln oder inkleinen Gruppen, die den Unterrichtvor- oder nachbereiten. In Kooperationmit dem für diese Maßnahme einge-stellten Schulsozialarbeiter (1/2 Stelle)werden Berufswahl, Lehrstellensuche,Einstellungsgespräche und -tests vor-bereitet. Außerdem findet eine Infor-mationswoche zur Berufsorientierungund -vorbereitung für alle Schülerin-nen und Schüler des Jahrgangs 8 statt.

Um die Integration der SchuB-Schü-lerinnen und -Schüler in die Stamm-klasse zu gewährleisten, gibt es in derKlasse 9 – anders als in den SchuB-Klassen an Hauptschulen – nur einenPraxistag in der Woche. Für die Stamm-klasse findet an diesem Tag Unterrichtnur in den Wahlpflichtkursen, in derzweiten Fremdsprache und in Arbeits-lehre statt. Für die SchuB-Schülerinnenund -Schüler sind diese Fächer in dieMaßnahme integriert.

Bis zu den Herbstferien findet derPraxistag als „Orientierungstag“ über-wiegend in der Schule statt. Er dient• der Entwicklung eines individuellenInteressenprofils durch und für jedenSchüler im Hinblick auf die Berufswahl,• der Erarbeitung der Vereinbarungim Rahmen des Förderplans,• der konkreten Vorbereitung desPraktikums im Betrieb durch Informa-tion über Firmen und betriebliche Ab-läufe, durch Betriebsbesichtigungenusw.

Die SchuB-Lehrkraft und der Sozial-pädagoge bereiten diesen Tag gemein-sam vor und führen ihn durch. AbNovember werden die Jugendlichenregelmäßig vom SchuB-Lehrer und demSozialpädagogen im Betrieb besuchtund betreut. Das dreiwöchige Block-betriebspraktikum, das alle Schülerin-nen und Schüler des Jahrgangs absol-vieren, findet für die SchuB-Schüler inder Regel in „ihrem Betrieb“ statt. Hierhaben dann auch die Klassenlehrerin-nen und Klassenlehrer die Möglichkeit,die SchuB-Schülerinnen und -Schülerim Betrieb zu besuchen.

Die Paul-Hindemith-Schule befin-det sich jetzt im zweiten Jahr der SchuB-Maßnahme. Trotz einiger Anlauf-

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27 HLZ 5/2008 B E R U F S O R I E N T I E R U N G

schwierigkeiten – so war die Sozialpä-dagogenstelle eine Zeitlang vakant –war der erste Durchgang sehr erfolg-reich: Von 16 Teilnehmerinnen undTeilnehmern, die zu Beginn der Klasse9 die Prognose „ohne Abschluss“ hat-ten, sind 3 vorzeitig ausgestiegen. Vonden anderen haben 13 den Hauptschul-abschluss erreicht, einer sogar den qua-lifizierenden Hauptschulabschluss („Qua-li“). Weniger erfolgreich war die Ver-mittlung in Lehrstellen: Nur ein Schülererhielt von seiner Praktikumsfirma einAusbildungsangebot, von den übrigensind anschließend 12 auf weiterführen-de berufliche Schulen gegangen.

Alle Beteiligten schätzten die Maß-nahme als erfolgreich ein. Die meistenJugendlichen erreichten ihr Ziel, einenAbschluss zu erhalten. Es war und istschwierig, Firmen zu finden, die Prak-tikanten mit dem Ziel aufnehmen, nach-her auch eine Lehrstelle anzubieten.Auch die Qualität der Betreuung diesersicherlich nicht „pflegeleichten“ Ju-gendlichen war häufig nicht angemes-sen. In einigen Fällen führte dies zumWechsel der Praktikumsstelle. Die zu-sätzliche individuelle Zuwendung undUnterstützung durch den SchuB-Lehrerund den Sozialpädagogen wirkte sichsehr positiv auf die Befindlichkeit undin der Folge auch auf das schulischeSozial- und Arbeitsverhalten aus.

Die „Quali-Klasse“ im 10. SchuljahrIm Schuljahr 2007/08 wurde an der PHSeine 10. Klasse mit einem besonderenProfil zur Erreichung des qualifizieren-den Hauptschulabschlusses eingerich-tet („Quali-Klasse“). Was waren dieGründe für diese Entscheidung, diescheinbar dem Integrationsgedankender IGS zuwiderläuft? Die Einführungder verbindlichen zentralen Abschluss-prüfungen hat die Situation in den 9.und 10. Klassen grundlegend verändert.Ab dem Ende des 8. Schuljahres sind dieSchülerinnen und Schüler auf einAbschlussprofil festgelegt, das von denVorgaben der Abschlussprüfungen be-stimmt wird. Die pädagogischen Spiel-räume wurden erheblich eingeschränkt.

Mit der Praxis, Schülerinnen undSchüler mit einem Hauptschulabschluss,die in der Jahrgangsstufe 10 den „Quali“erreichen wollen, in den 10. Klasseneinfach mitlaufen zu lassen, hatten wirin den letzten beiden Jahren schlechteErfahrungen gemacht. Das hohe Leis-tungsniveau machte es schwer, die Vor-aussetzungen für den „Quali“ zu schaf-

fen, ein Zeugnis mit dem Notendurch-schnitt 3. Die Jugendlichen galten als„Bremser“ und „Störer“ oder fingen an,unentschuldigt zu fehlen. Kaum einerschaffte den „Quali“. Die Schule zog dieKonsequenzen: Wer die Hauptschul-prüfung erfolgreich abgeschlossen hat,keinen Abschluss und keine Prognosefür einen Realschulabschluss oder eineZulassung zur gymnasialen Oberstufe(Ü11) hat, muss die Schule nach Klasse9 verlassen. Nur wer bereits in Klasse 9einen „Quali“ erwarb, durfte bleiben,um vielleicht doch noch einen Real-schulabschluss zu erreichen. Die Kon-sequenz war bestürzend: Die Hälfte derSchülerinnen und Schüler hätte diePHS nach der 9. Klasse verlassen müs-sen. Dies widerspricht dem Selbstver-ständnis einer IGS, aber auch demBildungsauftrag des Hessischen Schul-gesetzes, das für die IGS ein Angebotvon Klasse 5 bis 10 vorsieht (§27). Dasheißt nicht, dass zwingend jeder Schü-ler die IGS bis zur 10. Klasse besuchenmuss, bedeutet aber umgekehrt, dassdie IGS möglichst jedem Schüler einBildungsangebot bis zur 10. Klasse an-bieten muss. Deshalb wurde zum Schul-jahr 2007/2008 eine 10. Klasse mitbesonderem Profil und mit nicht mehrals 18 Schülerinnen und Schülern ein-gerichtet. Zwei Leitziele prägen dieArbeit in dieser Klasse:• Vorbereitung auf das Erreichen des„Quali“: Dies soll durch ein verstärktesUnterrichtsangebot in den FächernDeutsch, Mathematik und Englisch so-wie eine Reduzierung des Fächerkanons

erreicht werden. Nicht erteilt werdendie Fächer Religion, Kunst und Musiksowie der Wahlpflichtunterricht. In al-len Fächern soll auf einen verstärktenPraxisbezug Wert gelegt werden.• Berufsorientierung: Dazu dienen ein„Praxistag“ in einem Betrieb und einesozialpädagogische Unterstützung beiden Bewerbungen um einen Ausbil-dungsplatz. Das Fach Arbeitslehre istintegraler Bestandteil dieses Tages.

Von den 18 Schülern hat eine Schü-lerin bereits eine Lehrstelle gefundenund die Klasse verlassen. Für vier ande-re liegt ein Lehrstellenangebot derPraktikumsfirma vor, wenn sie ihrenangestrebten Abschluss schaffen. FünfSchüler möchten vollschulische Ange-bote im beruflichen Bereich nutzen, dieanderen suchen eine Lehrstelle. Anson-sten gilt für die Praktikumsplätze unddie zusätzliche Betreuung dasselbe wiefür die SchuB-Klasse. Zwölf Schülerin-nen und Schüler haben gute Chancen,den „Quali“ zu erreichen. Die anderenfünf Jugendlichen haben trotz intensi-ver Betreuung große Probleme mit demregelmäßigen Schulbesuch, so dass sieden „Quali“ wahrscheinlich nicht errei-chen werden. Lehrkräfte und Sozial-pädagogen stoßen an ihre Grenzen, diein massiven familiären oder milieu-bedingten Problemen und der Persön-lichkeitsstruktur der Schülerinnen undSchüler begründet sind. Hier wird zumAbschluss des laufenden Schuljahres zubilanzieren sein, was eventuell nochgetan oder verbessert werden muss.

Christoph Baumann

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28HLZ 5/2008E R Z I E H E R A U S B I L D U N G

Höher ansiedeln – praxisnah bleibenGEW-Modell für Erzieherausbildung in Hessen

Die GEW fordert seit Jahrzehnten, dieAusbildung von Erzieherinnen und Er-ziehern auf Hochschulniveau anzusie-deln. Es gibt keinen fachlichen Grunddafür, dass die Fachkräfte in Kinder-tageseinrichtungen schlechter bezahltund auf niedrigerem Niveau ausgebil-det werden als Pädagoginnen und Päda-gogen in anderen Bereichen. Ganz imGegenteil: Die Erzieherinnen und Er-zieher, die mit den Kleinsten arbeiten,brauchen besondere Kompetenzen, dennes geht um die Grundlagen der psy-chischen und sozialen Entwicklung undum die fundamentalsten Bildungspro-zesse überhaupt. Dieser Erkenntnis ver-suchen die Bildungspläne für Kinderta-geseinrichtungen Rechnung zu tragen– mit mäßigem Erfolg, solange bei denRessourcen weiter gegeizt wird.

Eine grundsätzliche Neuregelungder Ausbildung stößt jedoch auf Wider-stand. Viele Träger wollen eine Entloh-nung auf dem Niveau einer Hoch-schulausbildung vermeiden. Aber auchErzieherinnen und Erzieher in Kinder-tageseinrichtungen haben Bedenken.Viele meinen, dass die Hochschulen,die wenig Verbindung zu vorschuli-schen Einrichtungen haben, vor allemtheoretisch arbeiten. Mit kleinen Kin-dern umzugehen, erfordert aber sehrviel mehr als die Fähigkeit zu wissen-schaftlicher Arbeit. So verfolgen diePraktiker die Diskussion mit gemisch-ten Gefühlen: Als Orte für Persönlich-keitsbildung sind ihnen die Hochschu-len bisher kaum aufgefallen, Theoreti-ker mit wenig Praxis will man jedochnicht auf Kinder loslassen. Und dieKolleginnen und Kollegen aus den Fach-schulen, die über Jahrzehnte die Aus-bildung entwickelt und getragen ha-ben, wollen ihre langjährig gewachse-nen Erfahrungen und Kompetenzenweiter einbringen können und sichnicht einfach ausbooten lassen.

Gründliche Diskussion in der GEW

Im Jahr 2007 stellten Norbert Hockevom GEW-Hauptvorstand und andereReferentinnen und Referenten auf meh-reren Fachtagungen, die das ReferatSozialpädagogik der GEW Hessen or-

ganisiert hatte, elementarpädagogischeBachelor-Ausbildungen vor, die Fach-und Hochschulen in Kooperation ge-meinsam betreiben. Anschließend dis-kutierten Lehrkräfte hessischer Fach-schulen und Fachkräfte aus der Praxisüber eine Weiterentwicklung der Aus-bildung. Auf der Basis dieser Auseinan-dersetzungen verabschiedete die GEW-Landesfachgruppe SozialpädagogischeBerufe im März 2008 Eckpunkte füreine höher angesiedelte Ausbildungvon Erzieherinnen und Erziehern, umzu weiterführenden Diskussionen undErprobungen anzuregen. Diese sollenhier dargestellt werden.

Als grundsätzliche Eingangsvoraus-setzung wird die Hochschulzugangsbe-rechtigung angestrebt. Mit dem Reife-zeugnis ist eher als mit dem MittlerenAbschluss ein Bildungsniveau verbun-den, das politische Grundkenntnisseund die Fähigkeit, in gesellschaftlichenZusammenhängen zu denken, beinhal-tet. Die Hinführung zu eigenständigemwissenschaftlichen Arbeiten erscheintauf dieser Grundlage einfacher. Nebender Hochschulreife sollten Erfahrungenin mehrmonatigen sozialpädagogischenPraktika nachgewiesen werden. Für er-fahrene Praktiker mit Mittlerem Ab-schluss sollen sich jedoch keine Türenschließen: In einer Feststellungsprüfungsoll die Gleichwertigkeit einschlägigerberuflicher Erfahrungen und Voraus-bildungen anerkannt werden können.

An beruflichen Schulen sollen ne-ben der Sozialassistentenausbildung (mitZusatzunterricht für Fachhochschulrei-fe) vor allem eine zweijährige Fachober-schule Sozialpädagogik beziehungs-weise ein Berufliches Gymnasium aufdie Ausbildung zur Erzieherin und zumErzieher vorbereiten. Die Praktikums-anteile dienen dabei der Abklärung derBerufsmotivation und Eignung, stellenaber gleichzeitig sicher, dass nur Men-schen in die Ausbildung kommen, de-ren Vorstellungen von ihrem künftigenKlientel ausreichend praxiserprobt sind.

Daran soll sich eine dreijährige Aus-bildung anschließen, überwiegend anden bisherigen Fachschulen, die mitHochschulen in einem Kooperations-verbund arbeiten. Diese Zeit soll nicht

durch Abschlussprüfungen geschmä-lert werden. Bachelorarbeit und Kollo-quium sollen im vierten Jahr folgen, indem – analog zum bisherigen Anerken-nungspraktikum – an vier Tagen in derWoche in einer Einrichtung gearbeitetwird. Wer will, soll an einer Hochschulenoch den Master draufsetzen können,der dann weitere Arbeitsfelder eröffnet,auf (Fach-)Beratungstätigkeit vorberei-tet, zum Erwerb einer Lehrbefähigungführt oder ähnliches.

Fachschulen sind überschaubar,praxisnah und erfahren

Die dreijährige Ausbildung wird – sowill es die EU – um eine modularisierteForm nicht herumkommen. NegativeFolgen von Modularisierung, wie siebei der Lehrerausbildung zu registrie-ren sind, müssen jedoch vermiedenwerden. Eine Anonymisierung der Aus-bildung, die persönlichkeitsbildendeProzesse verhindert, eine Abarbeitungvorgeschriebener Inhalte, die nichtmehr ermöglicht, individuelle Erfah-rungen und persönlichen Lernbedarfzum Ausgangspunkt zu nehmen: Sodarf eine pädagogische Ausbildungnicht aussehen. Auch wenn Akkreditie-rungsinstituten Klassen als „nicht hoch-schulgerecht“ erscheinen, sind dochfeste Lerngruppen unabdingbar, wennsoziale Lernprozesse einen wichtigenStellenwert behalten sollen. Wir for-dern Makromodule, die so offen defi-niert sind, dass ein Vorgehen nach demSituationsansatz in der Ausbildungweiter möglich bleibt. Feste Gruppen,die so überschaubar sind, dass Selbst-erfahrungsanteile integriert werdenkönnen, sollen den überwiegenden Teilder Module gemeinsam absolvieren.Fachschulen bieten gute Voraussetzun-gen, weil sie überschaubar sind und seitJahrzehnten prozessbegleitend arbei-ten. Eine Massenuniversität wäre dafürals Standort weniger geeignet, könnteals Kooperationspartner aber wichtigeImpulse geben und besonders im Be-reich der Forschung mitwirken.

Die Ausbildung muss praxisnah blei-ben. Die Fachschulen verfügen übereine starke regionale Anbindung. Der

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29 HLZ 5/2008

Austausch mit den Praxiseinrichtun-gen, die bei der Ausbildung mitwirken,ist von entscheidender Bedeutung fürdie Ausbildungsqualität. Eine enge Zu-sammenarbeit erfolgt nicht nur in denPraktika und bei Projekten, Fachkräfteaus Kindertageseinrichtungen beratenauch bei der Weiterentwicklung derAusbildung und wirken bei Prüfungenmit. Die Fachschulen haben lokale Netz-werke aufgebaut, die im Interesse einerpraxisnahen Ausbildung weiterhin ge-nutzt werden müssen. ÜberregionaleAusbildungsstandorte erscheinen da-her weniger geeignet.

Das bisherige Berufspraktikum sollauf diesem Hintergrund als forschendePraxis weiterentwickelt werden. In die-sem Rahmen soll auch die Bachelorar-beit stehen. Mit einem insgesamt acht-semestrigen Bachelorstudium würde einhoher Qualitätsanspruch an pädagogi-sche Ausbildung realisiert. Die Ausbil-dung fiele im Umfang nicht hinter dasbisherige Diplom zurück. Ein fakultati-ver weiterer Weg zum Masterabschlusskönnte entsprechend kurz sein.

Natürlich müs-sen sich die Aus-bildungsleistungenauch in einer ent-sprechenden Bezah-lung der Fachkräfteniederschlagen, dieohnehin zur Zeit derverantwortungsvol-len Tätigkeit von Er-zieherinnen und Er-ziehern in keinerWeise entspricht.Für die Fachkräfte,die noch im bisherigen System ausge-bildet sind, müssen Möglichkeiten zurNachqualifizierung unter Anrechnungihrer Praxiserfahrungen geschaffenwerden, um auch bei der Bezahlung eineinheitliches Niveau zu sichern.

Wie Kooperationsformen zwischenHochschulen und Fachschulen ausse-hen können, dafür gibt es bereits guteBeispiele, in Hessen allerdings bishervorwiegend im privaten Bereich. Diezunehmende Konkurrenz im Hoch-schulbereich scheint dabei eine negati-

ve Rolle zu spielen. Damit wollen wiruns nicht zufrieden geben. Die GEW-Landesfachgruppe SozialpädagogischeBerufe strebt Gespräche mit Vertrete-rinnen und Vertretern von Hochschu-len an mit dem Ziel, auch für staatlicheFachschulen Kooperationsmöglichkei-ten zu eröffnen.

Warum soll in Hessen nicht möglichwerden, was anderswo bereits prakti-ziert wird?Michael Köditz, Referat Sozialpädagogikim Landesvorstand der GEW Hessen

Betr.: HLZ 4/2008Chaotisches Weiterwurschteln?Angst in der Lehrerausbildung

Der Artikel von Joachim Euler benennttreffend und prägnant wesentliche Män-gel der Lehrerausbildung nach der neu-en UVO: „Obgleich eine Qualitätssteige-rung mit der neuen UVO verheißenwurde, sind die Leistungen in den Prü-fungslehrproben insgesamt gegenüberden APVO-Zeiten deutlich schlechtergeworden.“ Bisher habe ich dafür dieErklärung bekommen, in den erstenSemestern würden zu gute Noten gege-ben, später würden sie der Realitätangepasst. Sie befriedigt mich nicht, daauch in den Ausbildungsmodulen nichtmit guten Noten um sich geworfen wird.Ich habe eine andere Vermutung…

Als ich vor zwei Jahren mit demReferendariat begann, las und hörte ichdavon, dass mein Studienseminar als„Selbstmordseminar“ bekannt sei. Ichbekam mit, dass Referendare und Refe-rendarinnen kurz vor dem Examen ausder Ausbildung ausstiegen und ausmeinem Gesichtskreis verschwanden.Ich bemerkte auch die verheulten oderversteinerten Gesichter besonders vonReferendarinnen in unserem Lehrer-zimmer. Gerade im letzten Falle war die

Ursache zu benennen. Es waren dieUnterrichtsbesuche (UBs) und die sichanschließenden Nachbesprechungen, diezu den genannten Reaktionen führten.Aus eigener Erfahrung konnte ich fest-stellen, dass es offensichtlich (minde-stens) zwei völlig verschiedene Artenvon UBs plus Nachbesprechung gibt:Wenn man Glück hat, erlebt man einkollegiales Coaching mit vielen Besu-chen und Hilfestellungen, bei dem dieNotenfrage nicht im Mittelpunkt steht.Wenn man Pech hat, sehen die Eckdatenso aus: für jeden UB ist ein vollständigerEntwurf abzuliefern; die LiV wird mitganzen Katalogen von „gutem Unter-richt“ und „gutem Lehrerverhalten“konfrontiert und soll alle idealistischenForderungen in einer Einzelstunde er-füllen; in der Nachbesprechung wirdder LiV klargemacht, dass ihr Unter-richtskonzept nichts getaugt habe, wasman zum Beispiel daran sehen könne,dass die Schülerinnen und Schüler aneinem bestimmten Punkt nicht so gutmitgearbeitet haben. Der gesamte Un-terricht sei demzufolge „verfehlt“ unddie LiV noch nicht einmal in der Lage,ihre eigenen Fehler zu „reflektieren“.Das Ganze wird anschließend ver-schriftlicht und dem Ausbilder oder der

Ausbilderin zugesandt. Die Note wagtdie LiV erst gar nicht zu erfragen, siewird denn auch erst am Ende des Seme-sters bekannt gegeben. Hat man dieseProzedur auch nur ein einziges Maldurchlaufen, dürfte die psychischeGrundstimmung feststehen: Angst –Angst vor dem UB, vor der Nachbespre-chung, vor der schlechten Note, vordem Nichtbestehen des Moduls undschließlich Angst davor, das gesamteReferendariat nicht zu schaffen.

Nun ist die Prüfungslehrprobedurchaus vergleichbar mit einem UB,mit dem Unterschied, dass es nun um„alles oder nichts“ geht. Die Angst, dieschon in normalen UBs eine große Rollegespielt hat, wird in dieser überhöhtenSituation natürlich eine noch größereRolle spielen. Und wie sollten in vonAngst besetzten Situationen gute Leis-tungen gezeigt werden können?

Eine Reform der Lehrerbildung soll-te meines Erachtens unbedingt aucheine Reform der Praxis der Unterrichts-besuche beinhalten. Ich wünsche mirauch eine breite Diskussion dieser fürdie gesamte Ausbildung entscheiden-den Problematik.

Dr. Axel Wüstehube, Erlensee

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30HLZ 5/2008U N T E R R I C H T

1. Warum und was ist Mittelalter?

Im Curriculum zum Projekt war optio-nal ein gemeinsamer Einstieg vorgese-hen, etwa als Lehrervortrag, mit dem die„Lücke“ zwischen den „Gesellschaftendes Altertums und des Mittelalters“ ge-schlossen werden sollte. Dazu kam es imfraglichen Projektzusammenhang je-doch nicht. Die Aufforderung an dieSchüler, sich mit einer Reihe von Pflicht-themen zu beschäftigen, vermochte die-se Lücke des übergreifenden Verständ-nisses schon deswegen nicht zu schlie-ßen, weil die entsprechenden Stationenzu Dorf und Bauernleben, zu Adel,Ritter, Burgen, dem Leben im Klosterund der Stadt im Mittelalter als isolier-tes Basiswissen ausgelegt waren. Ohnedie Frage nach dem Besonderen desMittelalters aber muss jedes Detail letzt-lich im Anekdotischen verbleiben. (...)

2. Fragen statt Antworten

Auffällig war in allen Präsentationen,dass nur hin und wieder Fragen auf-schienen, die sich den Schülern währendder Arbeit an ihrem Thema gestellt hat-ten. Sie wurden vor allem hervor-getrieben durch die jugendlich männli-che Neugier an Waffenkunde, an derExotik bestimmter Ritterpraktiken (Auf-bahren in der Kirche) und an der uner-klärlichen Stärke der Mauren als Erobe-rer der iberischen Halbinsel. Aber dieseFragen stellen für die Präsentation kein

Schüler präsentieren Patchwork-Erfahrungen mit einerneuen Unterrichtsmethode

strukturierendes Merkmal dar. Sie fallenauf, aber werden nicht weiter bearbeitet.Das hängt an dem Umstand, dass diePräsentation Informationen als Ergeb-nisse, als „Fakten, Fakten, Fakten“, lie-fern soll. Möglichst viel an Einzelsach-verhalten soll möglichst gut beschriftetund bebildert vorgestellt werden. Einproblematisierender Gebrauch der In-formationen ist gar nicht vorgesehen. (...)

3. Pointierter Einzelsachverhaltstatt Überblickdarstellung

Die Rekonstruktion der Recherchen derSchüler im Internet hat schlagend be-legt, wie ambivalent die Fähigkeit zurNutzung des Mediums ist. Auf der einenSeite erwerben die Schüler mit demMedium eine schier grenzenlose In-formationsbeschaffungskompetenz. Aufder anderen Seite kann keine Rededavon sein, sie würden im Mediumrecherchieren, also Fragen nachgehenund Informationen sammeln, um sieanschließend kritisch auf ihre Konsis-tenz zu überprüfen und ihre Qualität zubewerten. Die Suchmaschine hat ihnendie Suche abgenommen, und zu jedembeliebigen Sachverhalt bietet sie Infor-mationen in einem Format an, das dieSchüler im Prinzip eins zu eins übertra-gen können. (...)

4. Nachfragen zulassenund Antworten suchen

Die Feedbacks zeigen, dass die Schülersich dann nicht an die ihnen abverlang-te Ordnung halten, wenn das, was diePräsentationen bieten, sie fasziniert undsie deswegen Fragen stellen, die dann inder Regel vom Interesse geprägt sind,Unverstandenes doch zu verstehen. Sol-che Fragen können am Exotischen an-knüpfen, aber dennoch schnell zumSystematischen führen (Aufbahren), sie

können aber auch vom Thema direktausgehen (Wie haben das die Maurengeschafft?). Es ist auffällig, dass dasNachbereiten der aufgeworfenen Fra-gen nur in der Weise vorkommt, dassoffensichtliche Defizite der Darstellungbehoben werden sollen. (...)• Während der Präsentation und imFeedback sollte die Auseinanderset-zung mit der Sache gefördert werden.Das in der Klasse versammelte Wissensollte dabei genauso einbezogen werdenkönnen, wie das Bedürfnis Verständnis-fragen zu stellen. Am Ende ließen sichdie x Fragen zusammenfassen, derenBeantwortung aussteht und die deswe-gen organisiert werden muss.

5. Thematische Gruppen bilden

Die Schüler haben aus dem breitenProgramm möglicher Themen für ihrePräsentation eine eigene Auswahl ge-troffen, wobei sich Gebiete überlappten(Ritter). Es wurde dabei die Hoffnungausgesprochen, dass spätere themen-nahe Präsentationen die Dinge aufgrei-fen würden, die die aktuelle Präsentati-on aufgeworfen hat. Es zeigte sich aber,dass diese Hoffnung nicht eingelöstwurde. Jeder Schüler arbeitete für sich,ohne darauf zu achten, was der Mit-schüler mit einen ähnlichen Thema vor-bereitete. Deutlich wurde dagegen dereifersüchtig schützende Blick auf diejeweils genutzten medialen Hilfen. (...)In inhaltlicher Hinsicht zeigte sich, dassdie Präsentation auch bei fünf Ritter-themen kein klares Bild von dieser dasMittelalter in den Augen der Schülerrepräsentierenden Gruppe lieferte.• Die in der Vergangenheit sich natur-wüchsig ergebenen Interessenschwer-punkte wären deshalb aufzugreifen undthematisch zu bündeln. Warum solltedas nicht entlang der „drei Ordnungen“geschehen? Damit wäre die Schieflage

In einer gemeinsam mit Studierenden der Johann WolfgangGoethe-Universität erarbeiteten Studie geht Professor An-dreas Gruschka der Frage nach, wie es zu dem aktuellenHype des „Präsentierens als neuer Unterrichtsform“ gekom-men ist, und legt innere Strukturlogik und pädagogischeAmbivalenzen offen: „Während der dozierende Lehrer-vortrag, der die Schüler zu Zuhörern macht, inzwischenverpönt und entsprechend selten anzutreffen ist, wird diePräsentation zum Zeichen für fortgeschrittene Didaktik,

obwohl sie doch aus einem doktrinären Vortrag (nichtunbedingt Sachkundiger) besteht.“ Angesichts der Vielzahleuphorischer Bewertungen und vieler Ratgeber vom Schla-ge „Richtig präsentieren“ dokumentiert die HLZ in Auszü-gen die Schlussfolgerungen aus einer pädagogischen Fall-studie zu Schülerpräsentationen über das Thema Mittelal-ter. Die Autorinnen und Autoren bemühen sich, Alternativenaufzuzeigen, die am Ende der folgenden Absätze kursivgesetzt sind.

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31 HLZ 5/2008

zugunsten der Ritter zu beheben und dieArbeitsteilung bekäme Struktur, so dassdie Basics gestärkt werden könnten.

6. Lebensweltenals historische Gebilde

Mit wenigen Ausnahmen wird dasThemenspektrum des Projektes von denLebenswelten aus konzipiert. Diese er-scheinen in ungeklärter Weise zugleichals stabil und als dynamisch. Die Waffen-techniken verändern sich, ein Teil Euro-pas wird von Mauren erobert, zugleichaber geschieht im Mittelalter scheinbarüber Jahrhunderte immer das Gleiche.Auch auf diese Art bleiben sowohl dashistorische Gebilde „Mittelalter“ als auchseine Entwicklung unaufgeklärt.• Die Fragen sollten mindestens ein-mal pro Ordnung einen genetischenAspekt behandeln: zu Auftauchen,Wandel, Verschwinden, damit denSchülern klar wird, dass das Mittelalternichts einfach Gegebenes enthält. Ent-wicklungen wären dabei als Antwortenauf neue Problemstellungen zu verste-hen, Konflikte als solche Anlässe fürWeiterentwicklungen, bestimmte Ent-wicklungen aber auch als Ursache fürStrukturwandel.

7. Mehr auf Wissen achtenstatt auf Gestaltung

Die Schüler zeigen, dass sie beginnendmit ihrer Recherche bereits den finalenAspekt ihrer Arbeit, die Präsentation,im Auge haben. Von ihm aus konzipie-ren sie durchweg ihre Arbeit. Nicht soentscheidend ist, was gezeigt wird, son-dern wie und womit. Deswegen geräteine Schülerin in Panik, als sie befürch-tet, ein Mitschüler würde ihr das Medi-um wegschnappen und somit ihre Prä-sentation eine bloße Reprise werden.Die Präsentationen werden vor allemunter dem Gesichtspunkt der Gestal-tung konzipiert, nicht aber unter dem,welches Wissen bedeutend ist, um dasThema angemessen zu behandeln. (...)Das Informationswissen wird also vorder Folie des Vermittlungsmediums,nicht aber von der Vermittlung derSache aus konzipiert.• In den methodischen Hinweisen soll-te das gestalterische Element zurückge-drängt werden zugunsten einer stärke-ren Arbeit an Texten und der Sicherungvon Wissenselementen. So wären überdie jeweiligen zwei Seiten Informatio-nen aus den Schullehrwerken zu denPunkten hinaus Recherchen auf das

erweiterte Material zu beziehen unddabei weniger auf Bilder als auf Datenals Fakten und Größen zu achten.

8. Exemplarisches zur Strukturdes Mittelalters

Die Präsentationen zeigen, dass sich dieSchüler gut mit dem Lebenswelten-konzept auseinandersetzen können, siedarüber einen Zugang zur „tief im Dunk-len“ liegenden Vergangenheit gewin-nen. (...) Das Prinzip der Lebenswelt zumDreh- und Angelpunkt zu machen, be-deutet, den Schülern letztlich in para-doxer Weise das Mittelalter nahe zubringen und ihnen zugleich die histori-sche Epoche zu verschließen. Denn dieEpoche ist nicht allein ausgezeichnetdurch eine bestimmte Typik der Le-bensumstände von Bauern, Kriegernund Mönchen, sondern auch durch de-ren Bedeutung im Herrschaftsgefügeder Gesellschaft. Die Dynamik der Epo-che wird nicht zuletzt durch die großengesellschaftlich-politischen Themen be-stimmt. Von diesen erfahren die Schülerin der Präsentation nichts und mit Aus-nahme von Karl dem Großen auch inden Pflicht- und Wahlbausteinen nurwenig. Allein die Eroberung durch dieMauren wirft mit der anderen KulturFragen auf, mit denen das Mittelalter alsGesellschafts- und Herrschaftsgeschich-te beleuchtet werden könnte. (...)• Wenigstens einige der Grundbedin-gungen des Mittelalters sollten alsArbeitsaufträge vergeben werden, da-mit es als historische Epoche der Formder Gesellschaft erkennbar wird: War-um warf sich der Kaiser dem Papst inCanossa zu Füßen? (...) Welche Neuent-wicklungen beenden das Mittelalter? (...)

9. Mitschriften als Auseinander-setzung statt als Reproduktion

Die Schüler sollen die Präsentationennicht nur als Lernende verfolgen und alsMethodenversierte kritisieren, sie sol-len zusätzlich mitschreiben, was ihnenvorgetragen wird. Der Lehrer schränktdas zwar mit Rückfragen auf das Wich-tige ein: Aber was ist das Wichtige undwas das Unwichtige? Folglich kommt esvor allem darauf an, die Spiegelstrichemitzuschreiben, die an der Wand er-scheinen. (...) Die Mitschrift der Präsen-tation verdampft dann noch einmal das,was eh schon verkürzt vorgebrachtworden ist. (...) Sie beweist weniger denaufmerksamen als den ordentlichen undfleißigen Schüler, der so viel wie mög-

lich, so sauber wie möglich abgeschrie-ben hat. Man kann vermuten, das diesesMitschreiben eher die innere Aufmerk-samkeit ab- als anschaltet. (...)• Die Aufgabe der Mitschrift bestündenicht so sehr in der Reproduktion undder illustrierenden Schönschrift dieserin die Schülermappe, sondern in derDarstellung der Thesen, Hypothesen,Fragen der Vertiefung, Problematisie-rungen. Auch käme es darauf an, dieWiederholbarkeit des Wissens, seineUberprüfbarkeit dadurch zu sichern,dass die seriösen Fundstellen mit aufge-zeichnet werden: Wo finde ich das Tref-fendste und Beste zum Thema?

10. Beobachtenund Zusammenbinden

Nach dem Präsentationsmarathon kannman sich eine erschöpfte Klasse vorstel-len. Würde man sie einige Wochen späterfragen, was sie noch von dem Projektbehalten haben, jenseits der Arbeit, diejeder für sich geleistet hatte, so dürftendie Schüler Schwierigkeiten haben, inder nachholenden Verarbeitung das Mit-telalter als eine Epoche zu charakterisie-ren. (...) Damit droht das Projekt sich zuverflüchtigen, wie es so manchem ande-ren Schulstoff widerfährt.• Da das Zusammenbinden als geson-derte Generaldebatte, die alles nocheinmal wiederholte, als nicht durchführ-bar erschien, ein Ausfallen aber dasPatchwork bestätigte, könnte man eineGruppe in der Klasse damit beauftragen,das Projekt als Ganzes zu evaluieren.Die Hauptfrage lautete danach: Waswissen wir nun zur Beantwortung derFragen, die wir zu Beginn als Leitfragenzur Epoche gestellt haben?Andreas Gruschka: Präsentieren alsneue Unterrichtsform. Die pädagogi-sche Eigenlogik einer Methode. VerlagBarbara Budrich, Opladen 2008, 120Seiten, 9,90 EuroDas Buch erschien als Band 1 der neuen Rei-he „Pädagogische Fallanthologien“ des Ver-lags Barbara Budrich, als Band 2 das Buchvon Hans Oswald: Helfen, Streiten, Spielen,Toben. Die Welt der Kinder einer Grundschul-klasse. 2008 (92 Seiten, 9,90 Euro)

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32HLZ 5/2008B Ü C H E R

Über Disziplin wird seit ungefähr zweiJahren besonders viel veröffentlichtund diskutiert. Dabei steht häufig dieFrage im Mittelpunkt, wie man sie dennam effektivsten „erzeugen“ könne. „Ge-horsamspädagogen“ möchten sie gernemit Nachdruck erzwingen; andereschlagen subtilere Techniken vor, diedennoch nichts anderes sind als Mani-pulation. Die Haltung von WolfgangBergmann ist eine völlig andere: „Ge-horsam setzt immer Vertrauen voraus“heißt sein erster Satz in „Disziplin ohneAngst“. Gehorsam folgt nach seinemKonzept aus Vertrauen und Stärke. Kin-der, die starke Eltern haben, können aufderen Stärke vertrauen und hören dar-um auf sie, ist Bergmanns leicht nachzu-vollziehende Psycho-Logik. Er will Dis-ziplin nicht erzeugen, sondern Eltern zujener Stärke verhelfen, die kindlicheDisziplin natürlicherweise wachsenlässt.

Im Grundlagenkapitel beschreibtder erfahrene Kinder- und Familien-therapeut, wie sich Bindungen zwi-schen Eltern und Kind entwickeln. Jenach erzieherischer Grundhaltung kanndie elterliche Autorität vom Kind alseine schützende oder ängstigende er-lebt werden. Letztere lebt von perma-nenter Kontrolle – so kann kein Ver-trauen wachsen, und solche Disziplinmacht dumm statt intelligent. Aber esgibt natürlich Entwicklungsphasen inKindheit und Jugend, in denen Ungehor-sam ganz normal ist: Trotzalter (Kapitel2) und Pubertät (Kapitel 4). Ersteres istdie Phase des erwachenden Ich-Bewusst-seins: „Das erste Ich-Gefühl – es ist voneiner verzweifelten und überschwäng-lichen Radikalität“ (S. 66). In dieser Zeitbraucht das Kind die Obhut seiner El-tern ganz besonders, während die Su-per-Nanny oder andere Gehorsams-pädagogen den Willen des Kindes aufder „stillen Treppe“ oder an ähnlichenOrten zu brechen versuchen. Der soerzwungene Gehorsam geht mit Resi-gnation und Vertrauensverlust einherund schürt langfristig Rachegefühle. Obin Bezug auf kindliches Spielen, Ess-verhalten, Liebe oder Gehorsam: Berg-mann empfiehlt auf der Hut zu sein,„wenn wir in der Erziehung irgend-etwas ‘erzwingen’ wollen. Seien wirganz besonders auf der Hut, wenn wirdabei das beste Gewissen der Welt ha-

Gehorsam setzt Vertrauen vorausben – gerade dann unterdrücken wirunser Mitgefühl, von den Narben dereigenen Kindheit überwältigt“ (S. 95).

Im dritten Kapitel „Schöne Kindheit,ohne Angst“ geht es um die Ermutigungdes Kindes, seinen Weg zu finden unddie Person zu werden, die in ihm steckt.Es ist für Eltern häufig nicht einfach,von den eigenen Träumen über dieZukunft ihres Kindes abzusehen, wennseine Neigungen und Interessen sichganz anders entwickeln. Es ist für sieauch nicht leicht, mit kindlichen Klaue-reien und nervtötendem Verhalten um-zugehen. Bergmann stellt einfühlsamdar, wie Eltern kritische Situationen mitEinfühlungsvermögen und emotionalerAufrichtigkeit meistern und damitgleichzeitig die Gewissensbildung för-dern können. Starke Eltern brauchenKinder auch in der Pubertät („Pubertätmüsste verboten werden“). In dieser Zeithelfen Gelassenheit, das Bewusstsein,dass diese kritische Entwicklungsphasenatürlicherweise vorübergeht, sowieeine gute Beziehung der Eltern zuein-ander. Diese Balance zwischen Distanzzur pubertären Aufgeregtheit und Klar-heit in mit Entschiedenheit vertretenenPositionen ist naturgemäß nicht ein-fach. Bergmann stärkt auch hier dieEltern mit Hilfestellungen für Verständ-nis und konfliktüberwindende Kommu-nikation.

Wie im ganzen Buch kommt Berg-manns humanistische Grundhaltungauch im fünften und letzten Kapitel„Moderne Familien und was zum Ge-horsam fehlt“ zum Tragen. Hier geht eszunächst an konkreten Beispielen umverhaltenstherapeutische Prinzipien imZusammenhang mit dem Aufräumenoder mit hyperaktiven Kindern. Erwarnt davor, dass Belohnungen die Mo-tivation eher schädigen als stärken kön-nen, und plädiert auch hier wieder fürVertrauen und Stärkung der Bindungenin der Familie. Weiter thematisiert derAutor die Kinderfeindlichkeit unsererGesellschaft, den Umgang mit Porno-grafie im Medienalltag und schließlichdie Chat-Geheimnisse von Jugendli-chen.

Das Buch macht es Eltern, die kon-kreten Rat hinsichtlich der Disziplin-förderung ihrer Kinder suchen, zwarnicht gerade einfach. Aber im Unter-schied zu vielen Ratgebern mit wohl-

feilen Rezepten nimmt es seine Leserin-nen und Leser ernst, stärkt sie in einerpositiven Grundhaltung und ihrer Lie-be zum Kind und vermittelt in verständ-licher Sprache zentrale, hilfreiche pä-dagogische und entwicklungspsycho-logische Einsichten. Mit dem Nachwortwird deutlich, was Bergmann anstellevon „Disziplin“ setzt: Es geht ihm umOrdnung, um die Ordnung der Dingeund die der Beziehungen, weil Men-schen eben soziale Wesen sind.

Ist „Disziplin ohne Angst“ auch fürLehrerinnen und Lehrer ein hilfreichesBuch? Nicht, wenn diese sofort umsetz-bare Rezepte fürs Klassenzimmer su-chen. Aber wer sich darüber klar ist,dass die eigene Haltung gegenüberSchülerinnen und Schülern entschei-dend für das Klima in der Klasse und dieUnterrichtsdisziplin ist, wird vom „neu-en Bergmann“ profitieren. Er hilft beider Klärung des pädagogischen Selbst-verständnisses, von Fragen nach einerpositiven Autorität sowie nach der Be-einflussung von sozialem Verhalten. Dieergänzende Lektüre von Reinhold Millers„Beziehungsdidaktik“ und Hans-PeterNoltings „Störungen in der Schulklasse“kann dann das praktische Handwerks-zeug zur Umsetzung dieser Haltung imSchulalltag liefern.

Detlef Träbert, Diplom-Pädagoge

Wolfgang Bergmann: Disziplin ohneAngst. Wie wir den Respekt unsererKinder gewinnen und ihr Vertrauennicht verlieren. Beltz: Weinheim u. Ba-sel 2007, 184 S., 17,90 Euro

Hörbuch zur Gewaltprävention„Achtung! Starkes Kind - Wie macheich mein Kind sicher und stark“ lautetder Titel eines neuen Hörbuchs. AutorRalf Schmitz beantwortet auf der CDdie Frage, wie man Kinder stärken undvor Gewaltverbrechen schützen kann.Das spannende Hörbuch bietet auchEltern konkrete Anleitungen für prak-tische Übungen. Schmitz hat mit einemExpertenteam über 300.000 Kinder undEltern geschult. Er ist Mitglied in derBundesarbeitsgemeinschaft Präventionund Prophylaxe und engagiert sich seitüber zehn Jahren im Sicher-Stark-Team, einer sozialen Initiative, die Kin-der im Grundschulalter vor Gewaltver-brechen und Missbrauch schützt.• Hörproben kostenlos unter http://presse.sicher-stark.de/hoerbuch.html.

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33 HLZ 5/2008

Im Deutsch- und GeschichtsunterrichtGeschichte hautnah zu erleben und zuverstehen, ist das Ziel des medienpäda-gogischen Projekts, das 26 Schülerinnenund Schüler des Albert-Einstein-Gym-nasiums in Maintal derzeit gestalten.Ausgesucht haben sich die Jugendlichenden Stoff für das Projekt selbst. Basie-rend auf der filmischen Erzählung desrumänischen Regisseurs Radu Mihai-leanu aus dem Jahr 1998 erarbeiteteTheaterregisseur Jörg Isermeyer ein Büh-nenstück, das die Deportation von Judenbeschreibt. Für den Nachmittagsunter-richt der Jugendlichen stellte er seineFassung mit allen Rechten, auch für Ver-änderungen, großzügig zur Verfügung.

Im Januar 2008 wurde die Arbeit aneinem Spielfilm und einem Theater-stück in der Schule aufgenommen. Diebeteiligten Pädagogen luden eine Jüdinein, die den jungen Menschen Einblickein Handlungen und Rituale des jüdi-schen Glaubens geben konnte.

Die folgende Zeit war geprägt durchdie Erstellung eines eigenen Drehbuchs,denn die Schülerinnen und Schülerwollten zwar das Thema übernehmen,nicht aber den vorhandenen Film ko-pieren. Kreativität und eigene Ideenwaren gefragt, und so entstand eineVariante, bei der Kinder und Jugendli-che im Zentrum des Geschehens stehen.Ein großer Erfolg bei der Planung derDrehorte war die Zusage, im Hessen-park in Neu-Anspach drehen zu dürfen.Dies war eine einmalige Chance, inhistorischen Originalräumen der unter-schiedlichen Gebäude zu drehen.

In Etappen entsteht der Spielfilm„Zug des Lebens“. Gespielt wurde inKostümen, die vom Frankfurter Schau-

Jüdische Erinnerungsortein FrankfurtEine Ringvorlesung an der JohannWolfgang Goethe-Universität führt imSommersemester 2008 an jüdischeErinnerungsorte in Frankfurt. Die Ver-anstaltungen finden jeweils von 18 bis20 Uhr auf dem Campus Westend statt(Grüneburgplatz 1, Raum 1.741a). Ver-anstalter sind das Historische Seminarder Universität, das Fritz Bauer Institutund das Jüdische Museum Frankfurt.• 28. Mai: Die Großmarkthalle -Frankfurter Juden in der NS-Zeit (Prof.Dr. h.c. Arno Lustiger)• 4. Juni: Frankfurt Jewish privateBankers in the Weimar Republic andunder National Socialism (Prof. Dr.Harold James, Princeton University)• 11. Juni: 1968 – Der Club Voltaire(Prof. Dr. Dan Diner, Universität Leipzig)• 25. Juni: Das Institut zur Erforschungder Judenfrage in Frankfurt (PD Dr.Ernst Piper, Universität Potsdam)• 2. Juli: Die Bubis-Brücke in Frank-furt (Prof. Dr. Atina Grossmann, NewYork)

M E D I E N P Ä D A G O G I K

Der Offene Kanal Offenbach ist eine Einrichtung der Landes-anstalt für privaten Rundfunk (LPR). Diese erhält für Projektezur Förderung der Medienkompetenz einen gesetzlich gere-gelten Anteil an den allgemeinen Rundfunkgebühren. DasMedienprojektzentrum Offener Kanal (MOK) will „Transpa-renz in mediale Produktionsprozesse bringen und die indivi-duelle Wahrnehmung fördern.“ Kinder und Jugendliche sol-len „in einem aktiven und kritischen Umgang mit den Mediengeschult werden.“ Die HLZ stellt ein aktuelles Kooperations-projekt des MOK mit dem Albert-Einstein-Gymnasium inMaintal vor.

Medienkompetenz im Offenen Kanal

„Der Zug ins Leben“

spiel zur Verfügung gestellt wurden. Erschildert die Ängste einer jüdischen Fa-milie und den Wunschtraum eines Jun-gen, der die Familie mit einem Trick sogerne retten möchte. Alle Jugendlichenarbeiten vor und hinter der Kamera undhaben damit schwierige Aufgaben zulösen. Dabei ist die bisher gewonneneMedienkompetenz aus vergangenenProjekten hilfreich, nun dieses sensibleThema zu realisieren.

Die ersten Drehtage sind vorbei, dasRohmaterial zeigt Szenen in der Schule,jüdische Kinder mit Stern und in dieletzte Reihe verbannt, den Gang zurBäckerei, wo gerade ein Schild „FürJuden verboten“ angenagelt wird, oderdie Vorbereitung von Waggons für dieDeportation, gedreht am Hafen 2 inOffenbach.

Nach den Osterferien wurde danndie Rahmenhandlung inszeniert undgefilmt, denn die ganze Geschichte wirdvon einer alten Jüdin erzählt, die heutenoch oft am Bahnhof sitzt.

Der zweite Schwerpunkt des Pro-jekts, das Theaterstück, schwingt beider Filmarbeit immer mit: Wie gestal-ten wir das auf der Bühne? Daran wer-den die Jugendlichen im April und Maiintensiv arbeiten, um es rechtzeitig alsBeitrag zu den Hanauer Schultheater-tagen aufzuführen.

Die Präsentation beider Medien-inszenierungen für eine breite Öffent-lichkeit ist vor den Sommerferien zuerwarten. Besucherinnen und Besucherwerden dann erleben, welche Leistun-gen schulische Arbeit hervorbringenkann, die nicht im 45-Minuten-Takt,sondern projekt- und prozessorientiertgeleistet wird.

Weitere Informationen bei:• Claudia Wierz, Medienprojektzentrum Of-fener Kanal Offenbach/Frankfurt, Tel. 069-82369102• Thomas Langenfeld, Deutsch- und Ge-schichtslehrer, Albert-Einstein-Schule Maintal,Tel. 06109-7652-0• zur medienpädagogischen Arbeit des Of-fenen Kanals: Medienprojektzentrum, Berli-ner Straße 175, 63067 Offenbach, Tel. 069-82369102, Fax: -82369101, E-Mail: [email protected]

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34HLZ 5/2008A U S S T E L L U N G E N

König in KasselLustik!

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François Josèphe Kinson, Jérôme im Park vonSchloss Napoleonshöhe, 1809/1810, Châteauxde Versailles et de Trianon, Versailles

Benjamin Zix, Die Konfiszierung der KasselerKunstwerke, 1807, Bibliothèque nationale deFrance, Paris

Nein, nicht 1848 tagte das erste deut-sche Parlament, sondern bereits 1808,und zwar in Kassel, der Hauptstadt desKönigreiches Westphalen! Dieser neueStaat von Napoleons Gnaden reichtevon Marburg bis Magdeburg und soll-te als Modellstaat die absolutistischenNachbarn überstrahlen. Zunächst tag-ten die hundert Parlamentarier – 70Grundeigentümer, 15 Kaufleute oderFabrikanten und 15 Gelehrte, unterihnen ein Rabbiner – in der Orangerie,zogen aber 1810 in das Fridericianumum. König Jérôme, ein Bruder Bona-partes, hatte eine Halbrotunde anbau-en lassen, die auch Platz für 400 Zuhö-rer bot. Als dann Ende 1813 der Kur-fürst zurückkehrte, verwandelte er denprachtvollen Empire-Plenarsaal in einTreppenhaus, um jegliche Erinnerungan die liberalen Reformen auszulö-schen.

Lange Zeit verbuchte auch die Ge-schichtsschreibung das napoleonischeIntermezzo einäugig als „Fremdherr-schaft“. Die große Ausstellung „KönigLustik!? Jérôme Bonaparte und derModellstaat Königreich Westphalen“leistet daher ein Stück Pionierarbeit,indem sie die nationale Sicht ergänzt.Als Hessische Landesausstellung 2008geadelt, läuft sie bis zum 29. Juni, undzwar passenderweise im Fridericia-num, das man bisher kaum als einen

Ort früher Demokratieansätze erinner-te. Sie waren in der Verfassung vom 15.November 1807 gebündelt, die alle Vor-rechte des Adels abschaffte sowie Ge-werbe- und Religionsfreiheit einführte,was die Emanzipation der Juden ein-schloss. Außerdem wurde der Code Na-poleon übersetzt, der als bürgerlichesGesetzbuch die Gleichheit vor demGesetz garantierte.

Da wundert es nicht, dass sich vieleliberal denkende Bildungsbürger loyalverhielten. Aufbruchstimmung herrsch-te, nicht nur der Abgeordnete vonBerlepsch begrüßte den „Übergang vonder veralteten Ordnung zu einer neuenWelt“. Karl Murhard etwa half beimAufbau einer einheitlichen Verwaltung,sein Bruder Friedrich wurde Redakteurder offiziellen Zeitung „Monitor“, Ja-kob Grimm ein Bibliothecaire du Roiund von Bülow gar Finanzminister.Trotzdem erzeugte das demokratischeExperiment keine allgemeine Euphoriein der Bevölkerung. Das lag wohl weni-ger daran, dass es vom französischenSieger oktroyiert wurde und nur siebenJahre dauerte. Verantwortlich dafür warder Widerspruch von schöner Theorieund drückender Alltagsrealität. KönigJérôme musste den Befehlen seines grö-ßenwahnsinnigen Bruders gehorchenund enorme Steuern für dessen Feldzü-ge eintreiben. Tausende von Soldatenwurden ausgehoben und verbluteten inSpanien oder Russland, die durchzie-henden Heere nahmen den Bauern dasletzte Brot und Heu.

So kam es, dass die Rückkehr desKurfürsten, der seinen Reichtum demSoldatenverkauf seines Vorgängers ver-dankte, sogar gefeiert wurde. Er machtesofort alle Reformen rückgängig undführte die alten Zöpfe wieder ein. Aver-sionen gegen Frankreich wurden nungeschürt und die Klischees vom leicht-fertigen Franzosen geboren, denenJérôme als ein „König Lustik“ scheinbarentsprach. In der Tat beweisen die ge-malten pompösen Selbstdarstellungendes Königs und seiner Gemahlin Katha-rinas von Württemberg oder die präch-tigen Empire-Möbel und -porzellaneeine verschwenderische Hofhaltung, diejedoch damals üblich war und durch die

der Korse seine bürgerliche Herkunftkompensierte. Die Ausstellung thema-tisiert auch den gigantischen Kunst-raub (Bild unten) und zeigt viele be-rühmte Gemälde, die Jérôme aus Kas-sel für den Louvre mit sich nahm, etwaden Zyklus der Tageszeiten von ClaudeLorrain oder etliche „Schinken“ vonRubens.

So bietet sich gleich für mehrereFächer (Geschichte, Kunst, Politik,Wirtschaft oder Französisch) ein Be-such dieser vielseitigen Schau an. FürSchulklassen wurde umfangreichesMaterial zusammengestellt. Das 64-seitige DIN-A-4-Heft „Materialien fürden Unterricht“ mit ausformuliertenArbeitsaufträgen für die Gruppenar-beit kann kostenlos angefordert wer-den, außerdem ein Programmheft mitallen Begleitveranstaltungen bis EndeJuni. Der Eintritt ist bis zu 18 Jahrenfrei. Mittwochs ist ab 8 Uhr geöffnet,damit Schülerinnen und Schüler di-rekt zum Fridericianum kommen kön-nen. Eine 60-Minuten-Basisführungoder eine Themenführung für Schul-klassen kostet allerdings 40 Euro.

Ursula Wöll

• Auskünfte erteilt Sabine Buchholz, Abt.Museumspädagogik, Tel. 0561-31680-700oder -115, Infos gibt es auch unterwww.koenig-lustik.de und www.museum-kassel.de. Der 568-Seiten-Katalog aus demHirmer-Verlag kostet 29 Euro.

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35 HLZ 5/2008 R E C H T U N D R E C H T S B E R A T U N G

Teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte habeneinen Anspruch auf Bezahlung jederzusätzlich geleisteten Stunde. Was fürteilzeitbeschäftigte Angestellte schonseit einem Urteil aus dem Jahr 1999 gilt,gilt auch für die beamteten Lehrkräfte:Ein Urteil des Europäischen Gerichts-hofs (EuGH) vom Dezember 2007 wurdenun endlich auch vom Bundesverwal-tungsgericht (BVerwG) im März 2008bestätigt.

Kollegin Claudia Z.Kollegin Claudia Z. ist teilzeitbeschäftigt.Statt 27 Stunden hat sie eine Stunden-reduzierung beantragt und wird für 20Stunden bezahlt. Ihr Unterricht wurde aufvier Tage verteilt, wobei sie an diesen vierTagen insgesamt drei Springstunden in Kaufnimmt.

Fast jede Woche kommt es vor, dass derStellvertreter Claudia Z. zum Vertretungs-unterricht bittet. „Ach, Frau Z., Sie habendoch da eh keinen Unterricht, können Sienicht mal einspringen?“ Neulich sollte siesogar an ihrem freien Freitag eine krankeKollegin den ganzen Vormittag über vertre-ten. Da platzte ihr der Kragen, und siebeschwerte sich bei der Schulleitung.

Diese appellierte zunächst einmal an ihreGutmütigkeit, führte die armen, nicht be-treuten Kinder ins Feld und ließ danach nocheine Bemerkung fallen, dass Teilzeitbe-schäftigte ja wohl sowieso kein richtigesEngagement für die Schule zeigten, wofürsie das beste Beispiel sei. Sie habe dochschon einen freien Tag, und dann beschwere

Erfolg gegenReisekostenbetrugDie Praxis der Verzichtserklärungenauf Reisekosten bei Klassenfahrten istzum ersten Mal in Hessen von einemVerwaltungsgericht für unzulässig er-klärt worden. Das Urteil des Ver-waltungsgerichts Gießen (VG) vom18. 3. 2008, Aktenzeichen 9 E 2055/07, war bei Redaktionsschluss der HLZnoch nicht rechtskräftig.

Verzichtserklärungen unwirksamDas Gericht hat festgestellt, dass Leh-rerinnen und Lehrer grundsätzlich ei-nen Anspruch auf Erstattung der ausAnlass einer Klassenfahrt entstande-nen und geltend gemachten Aufwen-dungen haben (§ 3 Absatz 1 Hessi-sches Reisekostengesetz). Verzichtser-klärungen sind nur dann zulässig,wenn sie freiwillig erfolgen. Die Vor-lage vorgefertigter Verzichtserklärun-gen vor der Genehmigung einer Klas-senfahrt spricht nach Auffassung desGerichtes „gegen eine Freiwilligkeit“.Die Handhabung wird demzufolge als„unzulässige Rechtsausübung“ bewer-tet. Die Behauptung der Behörde, eineLehrkraft habe damit von sich aus aufGeld verzichtet, wird als „qualifizierteFürsorgepflichtverletzung“ eingestuft.

Der Dienstherr ist aufgrund seinerFürsorgepflicht gehalten, Beamtinnenund Beamte nicht vor die Wahl zustellen, ob sie die geforderte Verzichts-erklärung abgeben oder die Klassen-fahrt nicht stattfinden kann.

Das Urteil beruft sich vollinhaltlichauf ein paralleles Urteil des Verwal-tungsgerichtshofs (VGH) Bayern vom2. 8. 2007. Der bayrische Landtag hat inKonsequenz dieses Urteils in einemNachtragshaushalt den Haushaltstitel„Reisekosten für Lehrkräfte“ für 2008von drei auf sechs Millionen Euroaufgestockt. In Hessen dürften 1,2 bis1,4 Millionen Euro fehlen.

Der Gesamtpersonalrat der Lehre-rinnen und Lehrer in Wiesbaden istbereits aktiv geworden. Mit einemInitiativantrag fordert er das Staatli-che Schulamt auf, Schulleitungen dieVorlage von Verzichtserklärungen zuuntersagen.

Die Frist zur rückwirkenden Er-stattung von Reisekosten beträgt einJahr.

Volrad Döhner

Teilzeitbeschäftigte: Kein Geld verschenken

sie sich auch noch! Und: ob sie nicht wisse,dass Beamtinnen und Beamte unentgeltlicheMehrarbeit zu leisten hätten?

Von ihren GEW-Kollegen erfährt Clau-dia Z., dass ihre Gewerkschaft schon seitJahren eine rechtliche Klärung ver-folgt. Es kann doch nicht sein, dassKollege Günter X., der mit 27 Stundeneine volle Stelle hat, für die 21. Stunde,die er regelmäßig hält, voll bezahltwird, während Claudia Z., die von derSchulleitung für die 21. Stunde einge-teilt ist, obwohl sie regelmäßig nur für20 Stunden bezahlt wird, diese ohnejede Bezahlung halten soll.

Ansprüche anmeldenFür die nächste Mehrarbeitsstunde, diedie Schulleitung von Claudia abfordert,wird sie die volle Bezahlung fordern.Dazu lädt sie sich von der Homepagedes GEW-Landesverbands das entspre-chende Formular herunter. Sie mussihre Mitgliedsnummer und ihren Na-men angeben und gelangt damit in denMitgliederbereich der GEW. Sie klickt„Service Recht“ an, dort „Arbeitszeit“und findet dort das Antragsformular fürteilzeitbeschäftigte Beamtinnen und Be-amte. Auch einige GEW-Kreisverbändebieten das Formular auf ihrer Homepagean. Dieses füllt sie aus und reicht es aufdem Dienstweg an das Staatliche Schul-amt ein.

Und: für die Mehrarbeitsstunden derletzten drei Jahre kann sie dasselbe tun.Die Ansprüche verjähren nämlich erstnach drei Jahren, und zwar jeweils am31. Dezember.

Seit dem 13. 3. 2008 ist gerichtsfest,was die GEW seit Jahren als schlüssigbezeichnet hat und vom Bundesverwal-tungsgericht nun bestätigt wurde (AZ 2C 128.07), nachdem schon im Dezember2007 der Europäische Gerichtshof be-schlossen hatte (AZ Rs.C-300/06): Teil-zeitbeschäftigte Beamtinnen und Be-amte müssen überhaupt keine unbe-zahlten Mehrarbeitsstunden leisten!

Die Verpflichtung zur unentgeltli-chen Mehrarbeit von bis zu drei Unter-richtsstunden im Monat gilt demnachnur für Vollzeit-Beschäftigte! Alles an-dere wäre eine Diskriminierung derTeilzeitbeschäftigten, gegen die EuGHund BVerwG sich wenden.

Marianne Friemelt und Ulla Hess

Rechtsinformationen für Mitgliederauf der Homepage der GEWDie GEW Hessen bietet ihren Mitglie-dern die Möglichkeit, auf der GEW-Homepage alle aktuellen Informatio-nen aus der Rechtsabteilung abzurufen:www.gew-hessen.de. Über den Button„Service Recht“ kommt man in denpasswortgeschützten Mitgliederbereich.

Für das Login verwenden Sie alsBenutzernamen Ihre Mitgliedsnummer.Die findet man auf dem Mitgliedsaus-weis und auf der Empfängeradressejeder Ausgabe der E&W. Passwort istIhr Nachname. Danach hat der Benut-zer während des Surfens auf der GEW-Website vollen Zugriff auf passwort-geschützte Bereiche für GEW-Mitglie-der.

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36HLZ 5/2008M A G A Z I N

Wir gratulierenim Mai ...

... zur 40-jährigen Mitgliedschaft:Rose-Marie Becke, Bad Homburg

Ulrich Becker, HofheimFritz Gunkel, ErzhausenRolf Heiliger, Riedstadt

Willi Hofmann, Bad HersfeldHans-Günter Holzschuh,

HeusenstammWerner Kaiser, BraunfelsKuno Kotz, Groß-Gerau

Ingrid Nickel, WächtersbachKarola Port, Mühltal

Lieselotte Posselt, HohensteinUdo Pürzer, Friedberg

Hans-Karl Schäfer, WildeckChrista Schwedes, MünzenbergMechthild von Lutzau, Kassel

... zur 50-jährigen Mitgliedschaft:Vera Matzdorf, Seeheim-Jugenheim

Charlotte Rüdebusch, NiestetalUlrich Velte, Kiedrich

... zur 55-jährigen Mitgliedschaft:Clemens Schreiber, Schlüchtern

... zum 75. Geburtstag:Lisa Adamo, Rodenbach

Alfred Reisgies, FriedbergLiesel Scheich, Höchst

Konrad Schmitzer, BiblisMargit Schütte, Offenbach

... zum 80. Geburtstag:Margot Gräßler, Grünberg

Ingeborg Härtl, KirtorfWolfgang Jost, Bad Homburg

Helga Lied, LichHans Rauschenberger, Edertal

Walter Stenzel, Schmitten

... zum 85. Geburtstag:Julius Hoffmann, Rodgau

Ursula Riemann,Bad Sooden-AllendorfErika Steinberg, Bebra

... zum 90. Geburtstag:Josef Kretschmer, Bebra

Ilse Seibel, Maintal

... zum 95. Geburtstag:Ingeborg Müller, Schotten

Studienaufenthalt in IsraelDie Hessische Landeszentrale für politi-sche Bildung (HLZ) plant – in Abhän-gigkeit von der aktuellen Sicherheits-lage – vom 1. bis 12. Oktober 2008 eineStudienreise nach Israel. Direkte Begeg-nungen mit jüdischen und arabischenIsraelis und mit Palästinensern sollenein lebendiges und informatives Bildeiner multikulturellen Gesellschaft er-möglichen, so dass sich die Teilnehme-rinnen und Teilnehmer „ein eigenesBild von den Realitäten im Lande und inder Region machen können.“ Am 23.und 24. August 2008 findet ein obli-gatorisches Vorbereitungsseminar inFrankfurt statt. Der Teilnahmebeitragbeträgt ca. 1.000 Euro, mit Flug, Unter-kunft und Halbpension, der Einzelzim-merzuschlag beträgt 300 Euro.Infos: Hessische Landeszentrale für politi-sche Bildung, Birgit Schulz, Tel. 0611-324003, E-Mail: [email protected]

Reisen mit „Arbeit und Leben“„Arbeit und Leben Hochtaunus“ isteine Arbeitsgemeinschaft für politi-sche Bildung, die vom DGB und denVolkshochschulen im Hochtaunus-kreis getragen wird. 2008 organisiert„Arbeit und Leben“ Studien- und Be-gegnungsreisen in die drei neuen EU-Länder Estland, Lettland und Litauen(11. bis 22. August, Reisepreis ab1.680 Euro) und nach Potsdam (13.bis 17. Oktober, einschließlich Bahn-fahrt ab Frankfurt am Main ab 470Euro).• Arbeit und Leben Hochtaunus, Ma-rienbader Platz 18, 61348 Bad Homburg,Tel. 06172-921002, E-Mail: [email protected], www.Arbeit-und-Le-ben-Hochtaunus.de

Erlebnis MekongEine Studienreise der Arbeitsgemein-schaft „Arbeit und Leben“ von DGB undVolkshochschule im Hochtaunus-Kreisführt in den hessischen Weihnachtsfe-rien vom 27. Dezember 2008 bis 10.Januar 2009 nach China, Thailand undLaos. Der Mekong-Fluss ist die Lebens-ader Südostasiens und heißt in Laos„Mutter aller Wasser“. Die Teilnahme-zahl ist auf 20 Personen begrenzt.

Der Reisepreis pro Person beträgt ab2.270 Euro. Das ausführliche Programmgibt es auf der Internetseite „Studienrei-se Mekong“. Reisebegleiter ist BerndVorlaeufer-Germer, ehrenamtlicher Ge-schäftsführer von „Arbeit und Leben“.• Anfragen und Anmeldungen: BerndVorlaeufer-Germer, Tel. 06172-921002,E-mail: [email protected],www.Arbeit-und-Leben-Hochtaunus.de

Lehrerfortbildung in NordamerikaDas Deutsch-Amerikanische Institut Tü-bingen fördert die fachliche und kultu-relle Weiterbildung von Lehrerinnenund Lehrern. Fortbildungsreisen führenin diesem Sommer nach Portland imBundesstaat Oregon (26. Juli bis 17.August und 2. bis 24. August). BeideReise bieten Exkursionen und direkteEinblicke in das Bildungs- und Schul-wesen vor Ort. Die Unterbringung inGastfamilien ermöglicht darüber hinausden persönlichen Kontakt zu Amerika-nern und Kanadiern. Aufgrund einerKooperationsvereinbarung mit der GEWBaden-Württemberg können auch hes-sische GEW-Mitglieder von einemNachlass in Höhe von 2,5 % des Reise-preises profitieren.• Deutsch-Amerikanisches Institut Tü-bingen, Barbara Müller, Tel. 07071-7952626, E-Mail: [email protected],www.dai-tuebingen.de

Hertie-Stiftung gründet START-StiftungSeit fünf Jahren begleitet das Schüler-stipendienprogramm START der Ge-meinnützigen Hertie-Stiftung begab-te und gesellschaftlich engagierte Zu-wandererkinder auf ihrem Weg zumAbitur. Um die Jugendlichen nochstärker in ihrer Persönlichkeitsent-wicklung zu unterstützen, um Talen-te frühzeitig zu erkennen und gezieltzu fördern, erweitert START jetztsein Bildungsangebot durch neueSchwerpunkte im künstlerisch-krea-tiven, musikalischen und naturwis-senschaftlichen Bereich. START un-terstützt den schulischen Werdegangder jugendlichen Zuwanderer mate-riell mit monatlich 100 Euro Bil-dungsgeld und einem Laptop mitInternetzugang.

Im Frühjahr 2008 können sich wie-der Schülerinnen und Schüler mitMigrationshintergrund auch aus Hes-sen um ein Stipendium bewerben.• Weitere Informationen: www.start-stiftung.de

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37 HLZ 5/2008

Wissenswert in hr2-kulturRadiosendungen für die Schuleim Mai und JuniMontag bis Freitagvon 8.30 bis 8.45 Uhr in hr2Der Hessische Rundfunk bringt in seinemBildungsprogramm unter dem Titel „Wis-senswert“ in hr2-kultur regelmäßig Radio-sendungen, die sich für die Verwendung imUnterricht eignen. Die Wissenswert-Sendun-gen bieten vielseitige Rechercheergebnisse,Originaltöne, interessant aufbereitete Infor-mationen und lassen sich in voller Längeoder auch in Ausschnitten in den Unterrichtintegrieren.

Politik• Die 68er und ihre Wirkung heute:Es begann mit der Tomate (5.6.), Ver-fehlte Radikalität (6.6.)• Streife in Liberia – eine deutschePolizistin in der Krisenregion (11.6.)• Clara Zetkin, Politikerin und Jour-nalistin (12.6.)• Fanal der Moderne: Die VillaTugendhat in Brünn (13.6.)MusikDer Sound von 68: Explosionen, Inva-sionen, Bewegungen - Der lange Wegnach 68 (2.6.), Summer of Love - Wood-stock und die Manson-Morde (3.6.),Hippieroutine, Gewalteskalation, Pop-Industrie - Die vielen Wege raus aus denSechzigern (4.6.)Pädagogik• Der Kick beim Kicken: Fußballstärkt Jungen und Mädchen (9.6.)• Bildung für die ganz Kleinen – Her-ausforderung Frühpädagogik (10.6.)Wissenswert am Samstagvon 9.25 bis 9.55 UhrSingen – Alltagskultur und Leiden-schaft: Bruder Jakob schläft nichtmehr – Warum wir wieder singen(sollen) (17.5.), Singen ist gesund –Was Medizin und Pschologen sagen(24.5.), Wie Singen die Gemeinschaftstärkt oder ausgrenzt – Über die sozia-len und politischen Auswirkungen(31.5.), Von der Jugendbewegung biszum 2. Weltkrieg (7.6.)

hr2-Domino Schlaufuchs – Radio fürKinder, Montag, 14.05 bis 14.30 Uhr• Das Wissens-Magazin (26.6., 9.6.)• Die Geschichtenerzähler (19.5.)• Auf die Palme! Fertig? Los! (2.6.)• Frösche und Kröten (16.6.)

Podcast-Angebote „Wissenswert“ und „hr2Domino – Radio für Kinder“ unterwww.hr2.de, das komplette Programm undweitere Infos unter www.wissen.hr-online.de

Bildung im hr-fernsehen: Wissen und mehrMontag bis Freitag von 12.00 Uhr bis 12.45 Uhr

Leserabe auf Abenteuer-ReiseAn Schülerinnen und Schüler derGrund- und Förderschulen richtet sichdas Leseraben-Projekt der Stiftung Le-sen, des Ravensburger Buchverlags undder Firma Pelikan. Mit seinem gezieltenLeselernkonzept und fantasievollenUnterrichtsideen animierte das Projektschon im vergangenen Jahr rund 6.000Klassen zum Mitmachen. Zwei Wettbe-werbe bieten auch 2008 Lese- undSchreibanfängern viele Gelegenheiten,ihr neues Können auszuprobieren, zuüben und weiter zu entwickeln. Ein-sendeschluss für das Geschichten-Spiel„Der Leserabe auf Abenteuer-Reise“und den Schreibwettbewerb „Der Lese-rabe schreibt ein Buch“ ist am 20. Juni2008. Der Versand der Materialien zumLeseraben-Projekt an alle angemelde-ten Klassen erfolgt Anfang März.• Weitere Projektinformationen un-ter www.stiftunglesen.de/leserabe

Montag: Deutsch, Literatur, Theater• Das Nibelungenlied (12-12.45 Uhr):sechsteilige Serie (19.5., 26.5., 9.6.)

Dienstag: Naturwissenschaft/Technik• Natur und Technik (12-12.15 Uhr):Achtung Hochspannung (6.5.), Die Dosismacht’s (20.5.), Metalle und Beton (27.5.),• Wissen macht Ah! jeden Dienstagvon 12.20 bis 12.45 Uhr

Mittwoch: Gesellschaft und Politik• Das jüdische Museum in Berlin (21.5.,12-12.30 Uhr)• Die Sonnenhäusler: Drei Generatio-nen unter einem Dach (28.5., 12-12.30Uhr)• Albtraum Auslandseinsatz: DeutscheSoldaten und das Trauma Krieg (11.6.,12-12.30 Uhr)• Haustiere und ihre wilden Verwand-ten (12.30-12.45 Uhr): Papageien (21.5.),Schweine (28.5.), Goldfische (11.6.)

Donnerstag: Philosophie, Religion, Ethik• Die Juden - Geschichte eines Volkes(12.-12.30 Uhr): Der Fall des Tempels(8.5.), Halbmond und Kreuz (15.5.), Tododer Taufe (29.5.), Zion (12.6.)

Freitag: Kunst, Musik, Neue Medien• Willi will’s wissen: jeden Freitag12.20-12.45 Uhr

Dossier - ein fächerübergreifendesBildungsmagazin des hr• Dossier: Essen (2.6., 12-12.30 Uhr)• Dossier: Himmel (3.6., 12-12.30 Uhr)• Dossier: Körper (4.6., 12-12.30 Uhr)• Dossier: Wahl (5.6., 12-12.30 Uhr)

Das vollständige und aktualisierte Pro-gramm und Begleitmaterialien für den Un-terricht findet man im hr-Wissensportalwww.wissen.hr-online.de.

Fernsehverbot für KleinkinderAufgrund der steigenden Zahl vonKindern mit Übergewicht, Konzentrat-ions- und Hyperaktivitätsstörungenhat die Bundeszentrale für gesundheit-liche Aufklärung (BzgA) Empfehlun-gen für Eltern im Umgang mit Fern-sehapparat und PC formuliert. Nebenregelmäßigen, gemeinsamen Mahlzei-ten und geregelten Schlafenszeitengehöre tägliche körperliche Aktivitätzur gesunden Entwicklung eines Kin-des. Kinder unter drei Jahren solltenüberhaupt nicht fernsehen oder Com-puter spielen, Vorschulkinder nichtlänger als eine halbe Stunde pro Tag.

Bei Grundschulkindern sei bis zueine Stunde akzeptabel. Kinder soll-ten nur einmal am Tag eine bestimmteSendung schauen: „Danach wird derFernseher abgeschaltet.“

Kinder sollten auf gar keinen Fallalleine vor dem Fernseher sitzen undEltern sollten darauf achten, dass auchnur die abgesprochene Sendung ge-schaut wird.

Die Broschüre „Tut Kindern gut!Ernährung, Bewegung, Entspannung“kann kostenlos bei der Bundeszentra-le bestellt werden.• Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung, Ostmerheimer Str. 220,51109 Köln, Tel. 0221-8992-0, Fax: -300, Homepage: www.bzga.de

Kulturerbe macht SchuleNoch bis zum 18. Mai kann man sichfür das Schulprogramm der DeutschenStiftung Denkmalschutz bewerben. ImRahmen der Aktion „denkmal aktiv“können sich Teams aus Schülerinnenund Schülern, Lehrkräften und exter-nen Experten ein Jahr lang mit einemKulturdenkmal auseinandersetzen.Weitere Infos: www.denkmal-aktiv.de

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Plastisches Gestalten im Kunstunterricht | 14-05-08, Frankfurt | Barfußpfad - Sinnesfutter für

nackte Füße | 15-05-08, Bad Orb | Workshop Pressearbeit | 15-05-08, Marburg |

Ulrike Meinhof - Deutsche Nachkriegsgeschichte im Spiegel einer Biographie | 15-05-08, Frankfurt |

Exotische Bäume in der Großstadt - ein Rundgang durch Frankfurt | 15–05–08, Frankfurt |

Einführung in projektorientiertes Arbeiten | 17-05-08, Gießen |

Warum schmecken Eis und Hamburger? | 17-05-08, Frankfurt |

Ausstellung: Schüler/innen erforschen Schicksal ihrer Altersgenossen im 2. Weltkrieg

| 20-05-08, Frankfurt und 04-06-08 Kassel | Interkulturelle Elterngespräche planen

und führen | 26-05-08, Frankfurt | Der „Raubtierkapitalismus“ als Bild und im Bild

| 29-05-08, Frankfurt | Lieder-Gitarrenwerkstatt | 31-05-08, Frankfurt |

Klettern in der Schule – Kletterschein | 31-05-08, Frankfurt |

Holzarbeiten – Anregungen für AL- und Werkunterricht | 03-06-08, Rimbach |

Schwarz auf Weiß: Grafik - Zeichnung - Collage | 03-06-08, Frankfurt |

www.lea-bildung.de

fon 069 | 97 12 93 27 / 28fax 069 | 97 12 93 97

Zimmerweg 1260325 Frankfurt/Main

Methodenorientiertes Arbeiten im naturwissenschaftlichen Unterricht | 03-06-08, Frankfurt |

Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen im deutschen Film | 06-06-08, Frankfurt |

Kinder-Räume bilden | 10-06-08, Frankfurt | Inlineskating am Edersee - für fortgeschrittene

Anfänger | 21-06-08, Waldeck | Das vollständige Programm unter www.lea-bildung.de