Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und ...61... · Nicht-Migranten und 76% der Migranten...

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Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. Heft 8/12 · 43. (61.) Jahr · A 4834 E Forum: Advocacy – Politische Kinder- und Jugend- medizin Fortbildung: Vitamin D Berufsfragen: Den Patienten im Blick Magazin: Theater auf Rezept www.kinder-undjugendarzt.de HANSISCHES VERLAGSKONTOR GmbH · LÜBECK

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  • Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V.

    Heft 8/12 · 43. (61.) Jahr · A 4834 E

    Forum:Advocacy – Politische Kinder-und Jugend-medizin

    Fortbildung:

    Vitamin D

    Berufsfragen:

    Den Patientenim Blick

    Magazin:

    Theater auf Rezept

    www.kinder-undjugendarzt.de

    HANSISCHES VERLAGSKONTOR GmbH · LÜBECK

    Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V.

    Heft 8/12 · 43. (61.) Jahr · A 4834 E

    Forum:Advocacy –Politische Kinder-und Jugend-medizin

    Fortbildung:

    Vitamin D

    Berufsfragen:

    Den Patientenim Blick

    Magazin:

    Theater auf Rezept

    www.kinder-undjugendarzt.de

    HANSISCHES VERLAGSKONTOR GmbH · LÜBECK

    #6859_kuja_titel_8-12_B.indd 1 23.07.12 08:30

  • KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V.Herausgeber: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V.in Zusammenarbeit mit weiteren pädiatrischen Verbänden

    411 Kontroverse um rituelleBeschneidung bei Minder-jährigenChristoph Kupferschmid,Alfons Fleer

    413 Eine Frage anDr. Matthias BrockstedtRegine Hauch

    414 Neue Aspekte der Präven-tion im Kindes- und JugendalterChristoph Kupferschmid

    417 Reich und reich gesellt sichgerne

    418 Ärzte ohne Grenzen warntvor Scheitern von globalerImpf-Initiative

    419 Office-Pädiatrie: Exanthe-matische Krankheitsbilder(Teil 2)Thomas Rautenstrauch

    Forum Fortbildung Berufsfragen Magazin425 Highlights aus Bad Orb:

    Vitamin D-Versorgung imSäuglings-, Kindes- und JugendalterMartin Wabitsch, Anja Moß,Berthold Koletzko

    433 Highlights aus Bad Orb: Kinderernährung heuteMathilde Kersting,Kerstin Clausen, Ute Alexy

    437 Welche Diagnose wird gestellt?Peter H. Höger

    440 Review aus englisch-sprachigen Zeitschriften

    444 Consilium Infectiorum: Risikoprofil von Octeniseptbei KindernAxel Kramer

    446 Kompetenz-basierte WeiterbildungFolkert Fehr

    449 Es mangelt an alternativenAngebotenJo Kanders

    450 Analyse und Zukunfts -szenario der flächen -deckenden medizinischenVersorgung von Kindernund Jugendlichen inDeutschlandWolfram Hartmann

    451 Das Märchen von den reichen Ärzten – und dieRealitätRoland Ulmer

    452 Praxisabgabeseminar BVKJ

    453 „Theater auf Rezept“: Bun-desweites Kultur-Projektdes BVKJ feiert GeburtstagRegine Hauch

    455 Fortbildungstermine BVKJ456 Tagungen und Seminare457 Ehrungen auf der

    22. Jahrestagung des BVKJin BerlinChristoph Kupferschmid

    458 Dr. Birgit Schmidt-Lachen-mann zum 65. GeburtstagWolfram Hartmann

    458 Praxistafel459 Personalia461 Nachrichten der Industrie464 Wichtige Adressen des BVKJ

    Inhalt 08 I 12 Redakteure: Prof. Dr. Hans-Jürgen Christen, Hannover, Prof. Dr. Frank Riedel,Hamburg, Dr. Christoph Kupferschmid, Ulm, Regine Hauch, Düsseldorf

    Beilagenhinweis:

    Dieser Ausgabe liegen in voller Auf-lage ein Supplement der Firma Hu-mana und eine Information des Ho-grefe Verlages bei.

    Wir bitten um freundliche Beach-tung und rege Nutzung.

    „Theater auf Rezept“: BundesweitesKultur-Projekt des Berufsverbandesder Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)feiert Geburtstag S. 453

    409

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    421 Eine Frage an Dr. Wilfried KratzschRegine Hauch

    422 Händedesinfektion in der Kinder- undJugendarztpraxisChristiane Reichardt, Dominik Ewald

    424 Elternbroschüre in vielen unterschiedlichen Sprachen424 Impressum

  • Forum

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V.Begründet als „der kinderarzt“ von Prof. Dr. Dr. h.c.Theodor Hellbrügge (Schrift leiter 1970 – 1992).

    Herausgeber: Berufsverband der Kinder- und Ju-gendärzte e.V. in Zusammenarbeit mit weiteren pä-diatrischen Verbänden.

    Geschäftsstelle des BVKJ e.V.: Mielenforster Str. 2,51069 Köln, Hauptgeschäfts führer: Dipl.-Kfm. Stephan Eßer, Tel. (030) 28047510, Fax (0221)683204, [email protected]; Geschäftsführe-rin: Christel Schierbaum, Tel. (0221) 68909-14, Fax(0221) 6890978, [email protected].

    Verantw. Redakteure für „Fortbildung“: Prof. Dr.Hans-Jürgen Christen, Kinder- und Jugendkranken-haus auf der Bult, Janusz-Korczak-Allee 12, 30173Hannover, Tel. (0511) 8115-3320, Fax (0511) 8115-3325, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. FrankRiedel, Altonaer Kinderkrankenhaus, Bleicken -allee 38, 22763 Hamburg, Tel. (040) 88908-201,Fax (040) 88908-204, E-Mail: [email protected]. Für „Welche Diagnose wird gestellt?“:Prof. Dr. Peter H. Höger, Kath. Kinderkrankenhaus

    Wilhelmstift, Liliencronstr. 130, 22149 Hamburg,Tel. (040) 67377-202, Fax -380, E-Mail:[email protected]. Redakteure für „Forum“, „Magazin“und „Berufsfragen“: Regine Hauch, Salierstr. 9,40545 Düsseldorf, Tel. (0211) 5560838, E-Mail: [email protected]; Dr. Christoph Kupfer-schmid, Olgastr. 87, 89073 Ulm, Tel. (0731) 23044,E-Mail: [email protected] abgedruckten Aufsätze geben nicht unbedingtdie Meinung des Berufsverbandes der Kinder- undJugendärzte e.V. wieder. –Die „Nachrichten aus der Industrie“ sowie die „In-dustrie- und Tagungsreporte“ erscheinen außerhalbdes Verantwortungsbereichs des Herausgebers undder Redaktion des „Kinder- und Jugendarztes“(V.i.S.d.P. Christiane Kermel, Max Schmidt-Röm-hild KG, Lübeck).Druckauflage 12.650lt. IVW II/2012Mitglied der ArbeitsgemeinschaftKommunikationsforschung imGesundheitswesen

    Redaktionsausschuss: Prof. Dr. Hans-Jürgen Chris-ten, Hannover, Prof. Dr. Frank Riedel, Hamburg, Dr.Christoph Kupferschmid, Ulm, Regine Hauch, Düs-seldorf, Dr. Wolfram Hartmann, Kreuztal, StephanEßer, Köln, Christel Schierbaum, Köln, und zweiweitere Bei sitzer.

    Verlag: Hansisches Verlagskontor GmbH, Meng -str. 16, 23552 Lübeck, Tel. (04 51) 70 31-01 – Anzeigen: Max Schmidt-Römhild KG, 23547 Lü-beck, Chris tiane Kermel (V.i.S.d.P.), Fax (0451)7031-280, E-Mail: [email protected]– Re dak tions assis tenz: Christiane Daub-Gaskow,Tel. (0201) 8130-104, Fax (02 01) 8130-105, E-Mail:[email protected] – Druck: Schmidt- Römhild, 23547 Lübeck – „KINDER- UND JUGENDARZT“ erscheint 11mal jährlich (am 15. je-den Monats) – Redaktionsschluss für jedes Heft8 Wochen vorher, Anzeigenschluss am 15. des Vor-monats.

    Anzeigenpreisliste: Nr. 45 vom 1. Oktober 2011

    Bezugspreis: Einzelheft € 9,90 zzgl. Versand kosten,Jahresabonnement € 99,– zzgl. Versand kosten (€7,70 Inland, € 19,50 Ausland). Kündigungsfrist6 Wochen zum Jahres ende.

    Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Un-terlagen lehnt der Verlag die Haftung ab.

    © 2012. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenenBeiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich ge-schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Gren-zen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe-sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi-kroverfilmungen und die Einspeicherung und Be-arbeitung in elektronischen Systemen.

    IMPRESSUM

  • 1. Vitamin DDie Vitamin D-Gruppe (fettlöslich) besteht aus meh-

    reren biologischen Wirkstoffen, die man als Calciferolebezeichnet. Bei den zwei Hauptformen unterscheidetman zwischen dem pflanzlichen Ergocalciferol (VitaminD2) und dem in tierischen Lebensmitteln vorkommen-den Cholecalciferol (Vitamin D3). Der Mensch ist in derLage, Vitamin D aus der Vorstufe Dehydrocholesterin inder Haut selbst zu synthetisieren. Hierzu ist UV-Licht derWellenlänge 290–315 nm (UVB-Licht) erforderlich(Abb. 1).

    Vitamin D-Hormone sind für die Regulation der Cal-ciumhomöostase und des Phosphatstoffwechsels not-wendig. Calcitriol (1,25(OH)2D) steigert die intestinaleCalcium- und Phosphatabsorption und erhöht die tubu-läre Reabsorption von Calcium und Phosphat. Das in derLeber hydroxylierte 25(OH)D (Calcidiol) ist 10-15-fach,Calcitriol ca. 1000-fach potenter als Vitamin D.

    Calcium ist zur Mineralisation des Skelettsystems er-forderlich und besitzt wichtige Aufgaben in der neuro-muskulären Erregungsleitung. Für eine optimale Vita-

    min D-Wirkung ist eine adäquate Calciumzufuhr not-wendig und umgekehrt.

    Definitionsgemäß entspricht 1 IE Vitamin D3 = 0,025µg = 65 pmol; 40 IE = 1 µg Vitamin D. 25-Hydroxyvita-min D wird wie folgt umgerechnet: ng/ml x Faktor 2,5 =nmol/l.

    2. Vitamin D-Versorgung

    Der Großteil des menschlichen Vitamin D-Bedarfswird bei ausreichender UVB-Strahlung des Sonnenlichtsendogen über die Vitamin D-Synthese in der Haut ge-deckt. Die Menge des dabei synthetisierten Vitamin Dhängt von der Jahres- und Tageszeit, der geographischen

    Vitamin D Funktionen

    gesichert– Knochenbildung und -erhaltung, peak-bone-mass– 1,25(OH)2D stabilisiert Kalziumhomöostase– neuromuskuläre Erregungsleitung

    möglich– immunoprotektiv (reguliert Zellwachstum und

    Differenzierung)– kardioprotektiv– Bedeutung bei Entstehung des Diabetes mellitus

    Typ 1 und Tumorerkrankungen

    Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

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    Highlights aus Bad Orb .Vitamin D-Versorgung im Säuglings-, Kindes-und Jugendalter: aktuelle Empfehlungen der Ernährungskommission der DGKJ e.V.und der DGKED e.V.*

    Prof. Dr. MartinWabitsch1

    korrespondierenderAutor

    Aktuelle nationale und internationale Publikationen beschreiben eine suboptimale Vitamin D-Aufnahme bzw. einen unzureichenden Vitamin D-Status in allen Altersstufen. Laut den Daten desKinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) sind in Deutschland 62% der 3–17-jährigenNicht-Migranten und 76% der Migranten Vitamin D-defizient.

    Im Kindesalter führt ein Vitamin D-Mangel zu einer Störung der Kalziumhomöostase und damitu.a. zum Krankheitsbild der Rachitis, welche mit Mineralisationsstörungen, verlangsamtemWachstum und möglichen Veränderungen in der Knochenstruktur einhergeht. Diese Verände-rungen sind dank der konsequenten Vitamin D-Prophylaxe im Säuglingsalter selten geworden.Jenseits des Säuglingsalters ist jedoch eine Verbesserung der Vitamin D-Versorgung dringenderforderlich. Eine Optimierung der Knochenmineralisierung in der Kindheit und Adoleszenzkann zur Vorbeugung der Osteoporose im späteren Leben beitragen und sollte deshalb nichtvernachlässigt werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auch auf Risikogruppen für einenVitamin D-Mangel zu legen.

    Im Folgenden soll ein Überblick über die vorhandene Literatur und Evidenz zu den Referenzbe-reichen von Vitamin D-Aufnahme und zur Vitamin D-Versorgung sowie zum tatsächlichen Verzehrals auch Empfehlungen für das Säuglings-, Kindes- und Jugendalter gegeben werden.

    Dr. Anja Moß1,Dr. Dirk Schnabel2,Prof. Dr. BertholdKoletzko3,Prof. Dr. Martin Wabitsch1

    1 Sektion Pädiatri-sche Endokrino-logie und Diabe-tologie, Univer-sitätsklinik fürKinder- und Ju-gendmedizin,Universität Ulm

    2 Institut für Ex-perimentelle Pä-diatrische Endo-krinologie,Campus Vir-chow-Klinikum,OHC-Kinderkli-nik, Charité Ber-lin

    3 Abteilung Stoff-wechsel und Er-nährung, Dr. v.HaunerschesKinderspital,Klinikum derUniversitätMünchen

    * Eine ausführliche Version mit mehr Informationen zur Physiolo-gie, Pathophysiologie und zu klinischen Studien (Zitat: M. Wa-bitsch, B. Koletzko, D. Schnabel, A. Moß „Vitamin D-Versorgungim Säuglings-, Kindes- und Jugendalter“) ist im Internet unterwww.dgkj.de zu sehen.

  • Breite, der Witterung, der unbedeckten Hautfläche, so-wie von der Dicke und Pigmentierung der bestrahltenHaut ab (Holick, 2002; Holick, 1994; Loomis, 1967; Needet al., 1993; Tylavsky et al., 2005).

    3. Vitamin D-Zufuhr mit der NahrungBei ausreichender UVB-Exposition werden nur etwa

    10 Prozent des täglichen Vitamin D-Bedarfs über die exo-gene Vitamin D-Zufuhr beigetragen. Nur wenige Le-bensmittel enthalten natürlicherweise Vitamin D in nen-nenswerter Menge. Hierzu gehören stark fetthaltigerFisch (Lachs, Makrelen, Hering: ca. 12,5 µg oder 500 IEpro Portion), Leber, Margarine (angereichert) und Eigelb(DACH, 2008).

    In den USA sind Hauptnahrungsmittel wie Milch,Orangensaft, einige Brotsorten und Frühstücksflockenmit Vitamin D angereichert und tragen zur Vitamin D-Versorgung bei (Institute of Medicine, 1999). In Europaist eine Anreicherung von Milch mit Vitamin D in denmeisten Ländern verboten, eine Anreicherung von Mar-garine und Frühstücksflocken allerdings erlaubt. EinigeLebensmittel des allgemeinen Verzehrs (Margarine undSpeiseöle) dürfen in Deutschland mit Vitamin D angerei-chert werden (25 µg/kg).

    Im Säuglingsalter reicht die Vitamin D-Versorgungdurch die Muttermilch zur Bedarfsdeckung nicht aus(Weisman et al., 1982). Muttermilch enthält 12–60 IE Vi-

    tamin D pro Liter. Um die altersgerechte Mineralisationdes im ersten Lebensjahr stark wachsenden Skelettsys-tems zu ermöglichen, ist daher die Deckung des VitaminD-Bedarfs durch die tägliche zusätzliche Gabe von Vita-min D-Präparaten (400-500 IE/Tag) erforderlich.

    Die Dosisangabe von 400 IE/Tag basiert zunächst his-torisch auf der langjährigen sicheren Anwendung von400 IE/Tag (10 µg; entsprechende Konzentration in 1Teelöffel Kabeljauöl) bei Kindern und Jugendlichen. Ei-nige klinische Studien zeigen, dass eine Zufuhr von 200IE / Tag (5 µg) nicht ausreicht, um die Serum-25(OH)D-Konzentration auf ≥50 nmol/l (>20 ng/ml) zu halten(Dawson-Hughes et al., 2005; Greer & Marshall, 1989;Hollis & Wagner, 2004a; Hollis & Wagner, 2004b). Auf deranderen Seite wurde gezeigt, dass 400 IE (10 µg) Vitamin-D-Zufuhr pro Tag 25(OH)D-Konzentrationen ≥50nmol/l bei ausschließlich gestillten Säuglingen sicher-stellt (Wagner et al., 2006).

    4. Erreichen der maximalen Knochenmassein Abhängigkeit von der Vitamin D-Versor-gung

    Bis zum Alter von ca. 18–20 Jahren werden 90 % dermaximalen Knochenmasse (peak-bone-mass) aufge-baut. In der 3. Lebensdekade wird der Knochenaufbauabgeschlossen und ab dem 4. Lebensjahrzehnt beginnt inaller Regel ein Knochenabbau.

    Fortbildung

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    Abb. 1: Photoproduktion undMetabolismus von aktivemVitamin D (1,25(OH)2D) undseine biologischen Funktio-nen im Calcium-, Phosphat-und Knochenstoffwechsel.25(OH)D – 25-Hydroxyvitamin-D,DBP – vitamin D binding protein, Pi– inorganic phosphate (Phosphat),PTH – Parathormon, RANK – re-ceptor activator of NFkB, RANKL –receptor activator of NFkB ligand.Modifiziert nach (Holick, 2006).

    Calcium undPhosphat

    Blut

    Lipoprotein

  • Eine Optimierung der Knochenmineralisierung inder Adoleszenz und im jungem Erwachsenalter kann zurVorbeugung einer Osteoporose im späteren Leben bei-tragen (DACH, 2008; Stránský, 2009). Daher kann dieOsteoporose des alten Menschen teilweise als Folgevon Lebensstilfaktoren im Kindes- und Jugendalter, dieu.a. zu einer Mangelversorgung mit Vitamin D führen,betrachtet werden (Goulding, 1998; Hochberg et al.,2002).

    Ein positiver Zusammenhang zwischen dem25(OH)D-Serumspiegel und der Veränderung der Kno-chendichte konnte in mehreren Studien an pubertieren-den Jugendlichen beobachtet werden (Cashman et al.,2008; Cheng et al., 2003; Lehtonen-Veromaa et al., 2002).Die Autoren folgern, dass eine niedrige Vitamin D-Kon-zentration im Serum (25(OH)D) den Zuwachs an Kno-chenmasse limitieren kann.

    5. Wann liegt ein Vitamin D-Mangel vor, undwelche Vitamin-D-Zufuhr ist angemessen?

    Mehrere Konsensusempfehlungen definierten auf Ba-sis von Querschnittsuntersuchungen zum Vitamin D-und Parathormon-Status (PTH), Studien zum Zusam-menhang zwischen der Serum 25(OH)D-Konzentrationund der PTH-Konzentration sowie Studien zur VitaminD-Supplementation in geringen Dosen einen klinisch re-levanten Vitamin D-Mangel bei 25(OH)D-Serumkon-zentrationen 75 NL NL NL NL NL NL –XLH NL NL � NL �� � NL �oder NL RachitisADHR NL NL � NL �� � NL �� RachitisTIO NL NL � NL �� � NL �� Rachitis

    Die nach oben zeigenden Pfeile (�und ��) zeigen an, dass die Serumspiegel moderat bzw. deutlich über dem normalen Bereich liegen. Die nach un-ten zeigenden Pfeile (�und ��) zeigen an, dass die Serumspiegel moderat bzw. deutlich unter dem Normalbereich liegen. NL beschreibt Spiegel imnormalen Bereich. BMD: bone mineral density;XLH: X-linked hypophosphatemic rickets; ADHR: autosomal dominant hypophosphatemic rickets; TIO: tumor-induced osteomalacia.1,25(OH)2D: 1,25-Dihydroxyvitamin D (aktives Vitamin); 25(OH)D: 25-Hydroxyvitamin D; FGF23: fibroblast growth factor; PTH: Parathormon

    Tab. 1: Vitamin D-Status und assoziierte Serumspiegel. Modifiziert nach (Holick, 2006)

    Alter µg/d IE/d

    Säuglinge0–12 Monate 10 400

    Kinder1–15 Jahre 5 200

    Erwachsene15–65 Jahre 5 200>65 Jahre 10 400

    Schwangere 5 200

    Stillende 5 200

    Tab. 2: Bisherige Referenzwerte für die Vitamin D-Zufuhr mitder Nahrung der Fachgesellschaften für Ernährung der deutsch-sprachigen Länder (DGE, ÖGE, SGE/SVE)

  • Frühgeborene, besonders diejenigen unter 1.500 gGeburtsgewicht, haben ein hohes Risiko für eine unzu-reichende Mineralisierung des Skelettsystems. DieESPGHAN empfiehlt für Frühgeborene eine tägliche Zu-fuhr von 800-1000 IE, um die optimale 25(OH)D Serum-konzentration von 30 ng/ml (75 nmol/l) zu erreichenund die Calciumabsorption zu verbessern (Agostoni etal., 2010). Studien zur Vitamin D-Supplementierung vonsehr kleinen Frühgeborenen (< 700g) liegen derzeit nichtvor.

    Für Kinder nach dem 2. Lebensjahr wird bisher inDeutschland eine Vitamin D-Zufuhr zusätzlich zur übli-chen Nahrungszufuhr nicht empfohlen. Die Empfehlun-gen für die alimentäre Zufuhr sind mit 200 IE/Tag(DACH, 2008) dieselben wie für Erwachsene bis zum 65.Lebensjahr sowie für Schwangere und Stillende. DieseEmpfehlungen basieren im Wesentlichen noch auf demfrüheren Grenzwert für die 25(OH)D-Serumkonzentra-tion von

  • Eine suboptimale Vitamin D-Versorgung und damitgeringere Knochendichte im Jugendalter geht mit ei-nem erhöhten Risiko für die Entstehung einer Osteo-porose im Erwachsenenalter einher (Cranney, 2007).

    Typ-1 Diabetes mellitus im Kindes- und JugendalterEine niedrige Vitamin D-Zufuhr im Kleinkindalter

    wurde mit einem erhöhten Risiko der Entstehung einesTyp-1 Diabetes mellitus assoziiert (Pawley & Bishop,2004; Zamora et al., 2000). Kinder, die Vitamin D-defizi-tär sind, zeigten ein 4-fach erhöhtes Risiko später einenTyp-1 Diabetes mellitus zu entwickeln. In einer experi-mentellen Studie konnte durch die tägliche Gabe von2000 IE/Tag (ab dem 1. Lebensjahr) das Risiko eines Typ-1 Diabetes mellitus im Alter von 25 Jahren um bis zu80 Prozent verringert werden (Hypponen et al., 2001).

    Multiple Sklerose im Kindes- und JugendalterKampman und Kollegen fanden eine Assoziation zwi-

    schen Sommeraktivitäten im Freien und einem reduzier-ten Risiko für multiple Sklerose (MS) bei Kindern undJugendlichen. Die Supplementation mit Lebertranölzeigte einen protektiven Trend bei geringer Sonnenbe-strahlung (p = 0,07). Ebenso war der Verzehr von Fisch≥ 3x pro Woche mit einem niedrigeren Risiko für eine MSassoziiert (p = 0,024) (Kampman et al., 2007). Diese As-soziationen belegen allerdings nicht einen Kausalzusam-menhang.

    9.b Folgen des Vitamin D-Mangels im Erwachsenenalter

    Die folgenden Zusammenhänge zwischen Vitamin D-Mangel im Erwachsenenalter und Folgekrankheiten wer-den der Vollständigkeit halber hier kurz erwähnt: Osteo-porose und Knochendichte, Krebserkrankungen, Typ-2Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen, kardio-vaskuläre Erkrankungen. Für alle genannten Folgenkann ein Vitamin D-Mangel im Kindes- und Jugendalter,der dann oft lebenslang fortbesteht, relevant sein. Für dieberichteten Assoziationen mit Krebserkrankungen, Au-toimmunerkrankungen und Stoffwechselstörungen istein Kausalzusammenhang nicht nachgewiesen.

    10. Besondere Risikogruppen für einen Vita-min D-Mangel im Kindes- und Jugendalter

    Von einem Vitamin D-Mangel sind besonders vierPersonengruppen bedroht: 1. Säuglinge, die ausschließlich gestillt werden und keine

    Vitamin D-Prophylaxe erhalten (Gartner & Greer,2003)

    2. Strikt vegan bzw. makrobiotisch ernährte Kinder (be-sonders Säuglinge und Kleinkinder), die keine ausrei-chenden Calcium-, Vitamin D- und Fettzusätze erhal-ten.

    3. Personen mit limitierter Exposition zum Sonnenlicht(Webb et al., 1988; Webb et al., 1990)

    Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

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    Abb. 2: Biochemische Änderungen im Calcium- und Phosphatstoffwechsel aufgrund eines Vitamin D- oder Calci-ummangels, Vitamin D–Resistenz-Syndroms oder hypophosphatämischen Syndroms, welche Rachitis oder Osteo-malazie verursachen.ADHR – autosomal dominant hypophosphatemic rickets, FGF23 – fibroblast growth factor 23, HRBP – hormone response element-bin-ding protein, VDR – Vitamin D-Receptor, TIO - tumor-induced osteomalacia, XLH - X-linked hypophosphatemic rickets. Modifiziert nach(Holick, 2006)

    erniedrigtesHPO42-

    Blut

    erhöhtes PTH

    Vitamin D- oderCalcium-Mangel

    Nebenschilddrüsen

    erhöhtesHPO42-

    Urin

    erniedrigtesHPO42-, 1,25(OH)2D

    Blut

  • 4. Adoleszenten aus Einwandererfamilien mit dunklerHautpigmentierung, wie sie regelmäßig bei türki-schem, arabischem, asiatischem oder afrikanischemethnischen Hintergrund vorliegt, und/oder besonde-ren Ernährungsweisen bzw. Lebensgewohnheiten.Durch das dunkle Hautpigment ist nur eine begrenztedermale Vitamin D-Synthese möglich. Weitere Gefah-ren des Vitamin D-Mangels liegen in der in diesen eth-nischen Gruppen häufigen, traditionellen Ernäh-rungsweise mit faserreichen, Vitamin D- und Cal-cium-armen, aber phytat- und oxalsäurereichen Ge-treiden und Hülsenfrüchten, die die Absorption vonCalcium und Vitamin D im Darm vermindern, sowiein einem geringen Verzehr von Phosphat- und Vita-min D-haltigem Fleisch und Fisch (Glerup et al., 2000;Stellinga-Boelen et al., 2007). Adoleszente Mädchenexponieren sich aus religiösen bzw. kulturellen Grün-den z.T. nur wenig der Sonne durch das Tragen tradi-tioneller Kleidung und/oder durch die Meidung au-ßerhäuslicher Aufenthalte.

    11. Folgen erhöhter Vitamin D-Zufuhr

    Vitamin D-Intoxikationen sind beim Stoffwechselge-sunden lediglich durch eine überhöhte orale Zufuhrmöglich. Fallberichte zu Vitamin D-Intoxikationen sindselten. Vitamin D-Intoxikationen mit Hypercalcämieund Hyperphosphatämie sind bei täglichen Vitamin D-Dosen von > 40.000 IU bzw. Einzeldosen von mehr als300.000 IU beschrieben. Klinische Zeichen der Hypercal-cämie können sein: Schwäche, Kopfschmerzen, Somno-lenz, Übelkeit, Obstipation, Knochenschmerzen oder einMetallgeschmack (Huh & Gordon, 2008). Als Folge derHypercalcämie können Störungen des Konzentrations-

    vermögens der Niere mit Polyurie und Polydipsie auftre-ten, sowie Verkalkungen von inneren Organen (Niere,Herz, Lungen) und von Blutgefäßen. Als toxisch werden25(OH)D-Konzentrationen von >150 ng/ml (374nmol/l) angesehen (Holick, 2007).

    Obere tolerierbare Zufuhrmengen (Upper Levels;UL) von Vitamin D wurden von der EFSA (EuropeanFood Safety Authority, 2006) definiert: 0–2 Jahre: 25µg/Tag; 3–10 Jahre: 25 µg/Tag; 11–17 Jahre: 50 µg/Tag; Er-wachsene: 50 µg/Tag. Die aktuelle Empfehlung des IOMsieht wesentlich höhere UL vor (Institute of Medicine,2010).

    12. Anreicherung von Nahrungsmittelnmit Vitamin D

    Da Vitamin D natürlicherweise nur in sehr wenigenLebensmitteln vorkommt und die endogene sonnen -licht induzierte Bildung von Vitamin in Europa, insbe-sondere im Winter unzureichend ist, wurde die Anrei-cherung von Nahrungsmitteln diskutiert.

    Das von der EU geförderte Forschungsprojekt „Opti-ford“ (Laufzeit 2000 bis 2004) hatte zum Ziel, die Auswir-kungen einer Anreicherung von Nahrungsmitteln mitVitamin D in Europa zu prüfen (beteiligte Länder: Däne-mark, Polen, Finnland, Irland).

    Durch die Empfehlung eines Expertenkomitees inFinnland Milch, Sauermilch und Joghurt mit 0,5 µg Vi-tamin D/100 g (20 Einheiten pro 100 g) und Margarineund Brotaufstriche mit Mengen zwischen 7,5 und 10 µgVitamin D/100 g (400 Einheiten pro 100 g; 0,5 µg Vita-min D pro Teelöffel Margarine) anzureichern, konnteeine Verbesserung der Vitamin D-Versorgung entspre-chend den nationalen Empfehlungen erreicht werden.

    Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

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    Mit den im Ab-schnitt 13 ange-

    gebenen Emp-fehlungen ist

    eine Vitamin D-Intoxikation

    selbst bei mehr-facher Über-

    schreitung derangegebenen

    Dosis nicht zuerreichen!

    Abb. 3: Referenz-werte für die Vita-min D-Zufuhrnach den Empfeh-lungen des Insti-tute of Medicine(IOM) 2010; EAR:estimated ave-rage requirement,RDA: recommen-ded dietary allo-wance, UL: tolera-ble upper intakelevel

    IOM 2010:Referenzwerte

    für dieNährstoffzufuhr

    geschätzterdurchschnittlicher

    Bedarf (EAR)400 IE/d* (10 µg)

    empfohleneNahrungszufuhr (RDA)

    600 IE/d** (15 µg)800 IE/d ab 70 Jahre

    oberetolerierbare

    Zufuhrmenge (UL)4.000 IE/d***

    * 1–71+ Jahresichert 25(OH)D von 40 nmol/l(16 ng/ml)

    ** 1–70 Jahresichert 25(OH)D von 50 nmol/l(20 ng/ml)

    *** 9–71+ Jahre2.500 IU/d - 1-3 J3.000 IU/d - 4-8 J

  • Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    432

    Berechnungen gehen von > 50 % der Jugendlichen aus,die so – nur über die Nahrung – eine ausreichende Vita-min D-Versorgung erreichen würden. Es ist allerdingsnicht klar, ob die über die Nahrung zugeführte Menge anVitamin D ausreicht, um die 25(OH)D-Spiegel währendder Wintermonate ausreichend zu verbessern (Tylavskyet al., 2006).

    Bei Übernahme dieses finnischen Modells der Vita-min D-Anreicherung von Lebensmitteln in Deutschlandwürde sich die mittlere Vitamin D-Aufnahme auf bis zu4,0 µg/d (Jungen) bzw. 3,2 µg/d (Mädchen) steigern unddamit den DACH-Referenzwerten von 5 µg/d stärker an-nähern (Hintzpeter, 2008a). In Deutschland darf Marga-rine mit 2,5 µg/100g angereichert werden; eine höhereAnreicherungsdosis könnte die Versorgungssituationnur leicht verbessern.

    Eine Alternative ist die zusätzliche Gabe von VitaminD als Nahrungssupplement, z.B. in Tablettenform.

    Literatur bei den Verfassern

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonfliktvorliegt.

    Korrespondenzautor:

    Prof. Dr. M. WabitschSektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Universi-tätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universität UlmEythstr. 24, 89075 UlmEmail: [email protected]

    Red.: Christen

    13. Empfehlungen

    Aufgrund der in Deutschland nach dem Säuglingsalter ins-gesamt unzureichenden Vitamin D-Versorgung, der relativniedrigen UV-Exposition, den zahlreichen Hinweisen auf ge-sundheitlich relevante Vorteile eines verbesserten Vitamin D-Status und der Risikoarmut einer moderaten Supplementationmit Vitamin D, folgert die Ernährungskommission:

    1. Eine 25(OH)D-Serumkonzentration

  • Vom Säugling zum Kleinkind

    Gegen Ende des 1. Lebensjahres sind die Kinder kör-perlich, neuromotorisch und sozio-emotional soweitentwickelt, dass sie am Essen der Familie teilnehmenkönnen, wollen und sollen. Die Brei- und Milchmahlzei-ten der Säuglingsernährung gehen nach und nach in dieHaupt- und Zwischenmahlzeiten der Kinder- und Fami-lienernährung über (Abbildung 1).

    Vorsicht ist bei der Ernährung von Kleinkindern nochgeboten bei kleinen, festen Lebensmitteln wie Nüssenoder Bonbons (Aspirationsgefahr!).

    Spezielle Produkte für Kleinkinder (1–3 Jahre), dieden Vorschriften der Diätverordnung unterliegen, wer-den nicht benötigt. Wenn spezielle ‚Kleinkindermilch’anstelle von Kuhmilch eingesetzt wird, sollten die Pro-dukte die Vorteile der Kuhmilch bieten und darüber hi-naus durch Anreicherung zur Deckung der auch bei ei-ner optimierten Mischkost verbleibenden Nährstoffdefi-zite (Jod, Vitamin D) beitragen.

    Zu beachten ist die große interindividuelle Variationder Entwicklung der Essfertigkeiten gerade in diesem Al-tersabschnitt. So erfolgt das Erlernen des selbständigenEssens vom Löffel bzw. von weicher, zerkleinerter Nah-rung in einer Spanne vom 10.–20. Lebensmonat. Darü-ber hinaus unterscheiden sich auch die mittleren tägli-chen Nahrungsmengen von Kind zu Kind. Sie liegen z.B.bei 2-jährigen Kindern zwischen 600 g (10. Perzentil)und 1200 g pro Tag (90. Perzentil).

    Der Nährstoffbedarf von Kleinkindern (1–3 Jahre) kanngrundsätzlich mit einer ausgewogenen Mischkost ausherkömmlichen Lebensmitteln gedeckt werden.

    Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr

    Im Kindes- und Jugendalter steigt der tägliche abso-lute Bedarf an Energie und Nährstoffen, bedingt durchdas Wachstum, deutlich an, z.B. von 850 kcal/d im Altervon 1–3 Jahren auf 2200 kcal/d (Mädchen) bzw. 2700kcal/d (Jungen) im Alter von 15–18 Jahren (jeweils beigeringer körperlicher Aktivität). Gleichzeitig vermindertsich der relative Bedarf in Bezug auf das Körpergewicht,z.B. von 80 kcal/kg KG/d auf 39 bzw. 36 kcal/kg KG/d. Dasich der Bedarf an Nährstoffen weitgehend parallel zumBedarf an Energie ändert, bleibt die wünschenswerteNährstoffdichte der Kost, das heißt die Nährstoffzufuhrbezogen auf die Energiezufuhr (mg(g)/1000 kcal bzw.1 MJ) im Kindes- und Jugendalter weitgehend konstant.

    Referenzwerte für die Zufuhr von Energie und Nähr-stoffen in den einzelnen Altersgruppen hat die DeutscheGesellschaft für Ernährung (DGE) herausgegeben (sieheInfokasten S. 436).

    Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    433

    Highlights aus Bad Orb .Kinderernährung heute – Grundlagen undlebensmittelbezogene Ernährungsrichtlinien

    Prof. Dr.Mathilde Kersting

    Dr. Kerstin Clausen

    Dr. Ute Alexy

    Eine gesunde Ernährung für Kinder deckt den Bedarf an Energie und Nährstoffen, um Wachs-tum, Entwicklung und volle Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Zusätzlichsollte auch das präventive Potential der Ernährung genutzt werden, je früher umso wirkungs-voller. Hierbei sollte der Fokus auf lebensmittelbasierte Empfehlungen gelegt werden, umdem komplexen und noch längst nicht im einzelnen verstandenen Zusammenspiel von Nähr-stoffen und anderen bioaktiven Inhaltsstoffen, Lebensmittelmustern, Nahrungsmengen undErnährungsstilen bei der Entstehung von Volkskrankheiten wie Herzkreislaufkrankheiten, Dia-betes und Krebserkrankungen Rechnung zu tragen.

    Für die präventive Kinderernährung in Deutschland wurden die aktuellen wissenschaftlichenKenntnisse in praktische, lebensmittel- und mahlzeitenbezogene Ernährungskonzepte umge-setzt: den „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“ und die „Optimierte Mischkost“ – kurz optiMIX – für Kinder und Jugendliche. Grundlagen und Anwendung der Optimierten Misch-kost in der kinder- und jugendärztlichen Beratung werden im folgenden Artikel näher erläutert.

    Abb. 1: Mahl-zeiten beimÜbergang vonder Säuglings-ernährung zurFamilienkostgegen Ende des1. Lebensjahres

    Frühstück

    Zwischenmahlzeitmorgens

    Mittagessenwarme Mahlzeit

    Zwischenmahlzeitnachmittags

    Abendessen

    1 zur Hälfte als Vollkorn, 2 Vollmilch 3,5 %, Tasse

    Brot1 + Obst + Milch2

    Brot1 + Obst

    Stillen/Säuglingsmilch

    Vollkornbrot + Obst

    Stückiger Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei

    Brot1 + Obst Vollkornkeks + Obst

    Brot1 + Rohkost/Obst + Milch2

    Milch-Getreide-Brei

    Pro Tagca. 200 ml

    Wasser

    oder

    oder

    oder

    oder

  • Bei der Anwendung derartiger Empfehlungen in derkinder- und jugendärztlichen Praxis, z.B. zur Abklärungeiner möglichen Fehlernährung, ist zu beachten, dass dieempfohlenen Nährstoffmengen für Gruppen gelten. Sieenthalten Sicherheitszuschläge, um den Bedarf praktischaller Personen der jeweiligen Gruppe zu decken. Ergibtdie Auswertung eines Ernährungsprotokolls eine Zufuhreines Nährstoffs unterhalb der Empfehlung, ist daraus al-lein noch nicht auf einen subklinischen Nährstoffmangeloder die Notwendigkeit einer Supplementierung zuschließen. Das Risiko für ein Nährstoffdefizit ist aberumso größer je größer das Ausmaß der Unterschreitungist. Eine maßgeschneiderte Ernährungsberatung durcheine Ernährungsfachkraft ist als erster Schritt in der Ab-klärung empfehlenswert.

    Das Präventionskonzept der OptimiertenMischkost

    In dem am Forschungsinstitut für KinderernährungDortmund (FKE) entwickelten Konzept der Optimier-ten Mischkost für Kinder und Jugendliche werden diewissenschaftlichen Empfehlungen für die Nährstoffzu-fuhr in praktische, lebensmittelbezogene Richtlinien fürdie Lebensmittelauswahl umgesetzt. Dabei werden auchGesichtspunkte der Prävention ernährungsmitbedingterKrankheiten, wie Adipositas, Herzkreislaufkrankheitenund Diabetes berücksichtigt, z.B. die Qualität von Fetten(geringer Anteil gesättigter Fettsäuren, ausgewogenesVerhältnis von omega-6 und omega-3 mehrfach unge-sättigten Fettsäuren) und Kohlenhydraten (hoher Voll-kornanteil, Ballaststoffe).

    Der Optimierten Mischkost liegt ein 7-Tage-Speise-plan zugrunde, der die hiesigen Ernährungsgewohnhei-ten von Kindern berücksichtigt und exemplarisch ausherkömmlichen Lebensmitteln zusammengestellt wur -de. Aus diesem Speiseplan wurden Anhaltswerte für al-tersgemäße Verzehrsmengen für elf Lebensmittelgrup-pen abgeleitet. Außer für die Nutzung als Referenz fürepidemiologische Verzehrsstudien eignen sich diese An-gaben auch für die orientierende Bewertung eines Ernäh-

    rungsprotokolls oder einer Ernährungsanamnese bei ei-nem Kind oder Jugendlichen. Ebenso wie die zugrundeliegenden Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr geltendie Anhaltswerte für altersgemäße Lebensmittelver-zehrsmengen für Gruppen von Kindern. Nähere Anga-ben finden sich in Medien des FKE (s. Infokasten S. 436).

    Damit die Ernährungsempfehlungen für Verbrau-cher, also Eltern und Kinder, verständlich und anwend-bar werden, wurden sie auf Kernbotschaften in Form vondrei Regeln für die Lebensmittelauswahl reduziert, diedurch die Ampelfarben anschaulich vermittelt werden.Sie werden durch wenige Zusatzkriterien ergänzt (Ta-belle 1).

    Kriterien für die LebensmittelauswahlGetränke sollten vorzugsweise energiefrei sein. Ein

    hoher Verzehr energie- bzw. zuckerhaltiger Getränke er-höht das Risiko für Überernährung, da die Sättigungs-mechanismen gerade bei Energieaufnahme in flüssigerForm leicht überspielt werden.

    Trinkwasser/Leitungswasser ist das am besten kon-trollierte Lebensmittel in Deutschland. In attraktiverForm angeboten, z. B. aus leitungsgebundenen Wasser-spendern in Schulen und bunten Trinkflaschen, wird esbei Kindern akzeptiert. Hinweise zur Umsetzung sieheInfokasten S. 436.

    Pflanzliche Lebensmittel, insbesondere Obst undGemüse, haben vielfältige Vorzüge: Aufgrund ihres ho-hen Wassergehaltes haben Obst und Gemüse eine nied-rige Energiedichte (kcal/g). Eine niedrige Energiedichteerleichtert die Hunger-Sättigungs-Regulation. Darüberhinaus sind Obst, Gemüse und (Vollkorn-)Getreidereich an Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen.Von zusätzlicher Bedeutung sind die sogenannten sekun-dären Pflanzenstoffe, vor allem Polyphenole, die z.B. alsFarb- und Geruchsstoffe in Pflanzen vorkommen unddenen unter anderem anti-inflammatorische und anti-cancerogene Wirkungen zugesprochen werden. Solange

    Da die empfohlene Nährstoffzufuhr bezogen auf denEnergiebedarf im Kindes- und Jugendalter weitgehendstabil ist, können für alle Altersgruppen dieselben Richt-linien für die Lebensmittelauswahl gelten, lediglich dieVerzehrsmengen ändern sich entsprechend dem indivi-duellen Energiebedarf. In Familien und in der Gemein-schaftsverpflegung in Krippen, Kindertagesstätten undSchulen kann also für alle Kinder, und auch für die Er-wachsenen, nach denselben Rezepten gekocht werden, le-diglich die Portionsgrößen müssen dem Alter bzw. demEnergiebedarf angepasst werden.

    Wer sich an den Kernbotschaften für die Lebensmittel-auswahl orientiert, ist bereits auf dem richtigen Weg zueiner Optimierten Mischkost.

    Im Energiegehalt bestehen zwischen gezuckerten Erfri-schungsgetränken wie Limonade, Fruchtsaftgetränke,Eistee und reinem Obstsaft mit fruchteigenem Zuckerpraktisch keine Unterschiede.

    Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    434

    Tab. 1: Regelnund Kriterien

    für die Le-bensmittelaus-

    wahl in derOptimierten

    Mischkost fürKinder und Ju-

    gendliche

    Regeln

    Reichlich:Pflanzliche

    LebensmittelGetränke

    Mäßig:Tierische

    Lebensmittel

    Sparsam:Fett- und zucker-

    reiche Lebensmittel

    Anteil amTagesverzehr (%)

    40 40

    17

    3

    Zusatzkriterien für dieLebensmittelauswahl

    Getreide:> 50% Vollkornz.B. Brot, Mehl, Müsli, NudelnGetränke:Energiefrei oder -armz.B. Trinkwasser, Mineralwas-ser, Schorle

    Milch, Fleisch:fettarmz.B. Milch/Joghurt 1,5% FettFrischwurst/Schinken

    Speisefette:Pflanzenfette z.B. RapsölSpeisesalz:+ Jod, Fluorid, Folsäure

  • die zahlreichen Einzelsubstanzen und deren Wirkungs-weisen noch nicht im Einzelnen aufgeklärt sind, ist essinnvoll, pflanzliche Lebensmittel vielfältig auszuwählen,um deren gesundheitsförderliches Potential zu nutzen.Gleichzeitig ist damit eine sensorische Vielfalt verfügbar,die den Genusswert erhöht. Eine geschmacklich variableErnährung in der frühen Kindheit fördert die Akzeptanzneuer Lebensmittel und kann damit die Akzeptanz einerpräventiven gemischten Kost erleichtern.

    Tierische Lebensmittel sind Träger spezieller Nähr-stoffe, wie Calcium und Jod in Milch(produkten), Eisenund Zink in Fleisch, Jod und omega-3 LC-PUFA in (fett-reichem) Seefisch. Aufgrund ihres relativ hohen Energie-gehaltes sollten tierische Lebensmittel in mäßigen Men-gen verzehrt werden und Milch und Fleisch in fettarmenVarianten.

    Fett- und zuckerreiche Lebensmittel sollten auf-grund ihres hohen Energiegehaltes nur in sparsamenMengen verwendet werden. Als Speisefett ist Rapsöl auf-grund seines ausgewogenen Fettsäuremusters empfeh-lenswert (wenig gesättigte Fettsäuren, hoher Anteil ein-fach ungesättigter Ölsäure, hoher Anteil an omega-3PUFA).

    In der Praxis sind die unterschiedlichen Energiedich-ten von Süßigkeiten und Gebäck zu beachten, die zu un-terschiedlichen Portionsgrößen führen. Beispielsweisesind 100 kcal enthalten in 40 g Marmelade oder Honig(zuckerreich), aber nur in 20 g Schokolade oder Nuss-Nougat-Aufstrich (fett- und zuckerreich), bzw. in 45 gObstkuchen oder ½ Croissant.

    Defizitäre Nährstoffe: Vitamin D und JodMit einer Lebensmittelauswahl nach den Kriterien der

    Optimierten Mischkost werden Kinder und Jugendlicheauch ohne Verwendung nährstoffangereicherter Pro-dukte, wie Multivitaminsäfte oder Frühstücks-Cerealien,mit Nährstoffen gut versorgt.

    Als ‚kritische’ Nährstoffe verbleiben Vitamin D undJod. Biomarker, die im bundesweiten Kinder- und Ju-gendgesundheitssurvey KiGGS erhoben wurden (Jod -urie, Serum 25-Hydroxyvitamin D), belegen eine unzu-reichende Versorgung mit diesen Nährstoffen.

    Bei der Jodversorgung greift das Public Health Kon-zept der Verwendung von jodiertem Speisesalz, bei demzusätzlich zu den natürlichen Lebensmittelquellen See-fisch und Milch auch konsequent jodiertes Speisesalz(sparsam!) im Haushalt und bei der Herstellung von Le-bensmitteln wie Brot, Fleischerzeugnisse, Fertigprodukteeingesetzt wird. Allerdings ist die Verwendung von Jod-salz in Großgebinden in der Lebensmittelherstellung inden letzten Jahren zurückgegangen, mit negativen Aus-

    Die Lebensmittelauswahl in der Optimierten Mischkostbietet einen Spielraum von maximal 10 % der Energie-zufuhr für Produkte wie Süßigkeiten, Gebäck, Knabber-artikel, Fast food, ohne dass die Nährstoffzufuhr beein-trächtigt wird. Diese Flexibilität erleichtert die Ernäh-rungserziehung. Verknappung oder Verbote machenNahrungsmittel bei Kindern erst recht attraktiv.

    wirkungen auf die Jodversorgung bei Kindern und Ju-gendlichen, wie die DONALD Studie des FKE zeigt.

    Bei Verwendung von Speisesalz, dem neben Jod undFluorid auch Folsäure zugesetzt wurde, erreicht auch dieZufuhr von Folsäure mit der Optimierten Mischkost dieempfohlene Höhe.

    Für eine effektive Verbesserung der Vitamin D-Ver-sorgung bei Kindern und Jugendlichen, deren endogeneSynthese durch häufige Sonnenlichtexposition nichtausreicht, bietet sich eine Supplementierung mit Tablet-ten an, in Fortführung der Vitamin D-Supplementierungbei Säuglingen.

    Kriterien für die Zusammensetzung derMahlzeiten

    Mahlzeitenbasierte Ernährungsempfehlungen sindaus verschiedenen Gründen von Vorteil.� Gerade Kinder und Jugendliche erleben ihre Ernäh-

    rung in Form der täglichen Mahlzeiten. Konkretemahlzeitenbasierte Empfehlungen sind deshalb be-sonders handlungsrelevant.

    � Die Kombination verschiedener Lebensmittel(grup-pen) in einer Mahlzeit wird der Komplexität einerPräventionsernährung eher gerecht als die Betrach-tung einzelner Lebensmittel.

    � Ein regelmäßiger Mahlzeitenverzehr, vor allem dieEinnahme eines Frühstücks, kann der Entstehung vonÜbergewicht vorbeugen.

    � Verzicht auf das Frühstück scheint die kognitive Leis-tungsfähigkeit von Kindern in der Schule zu beein-trächtigen. Aus diesem Grund wurden aus dem Speiseplan der

    Optimierten Mischkost auch mahlzeitenbezogene Emp-fehlungen abgeleitet. Sie reflektieren die Ernährungsge-wohnheiten von Kindern in Deutschland mit fünf Mahl-zeiten pro Tag, die sich drei Mahlzeitentypen zuordnenlassen. Die Lebensmittelanteile innerhalb der Mahlzeitfolgen jeweils den drei Regeln für die Lebensmittelaus-wahl (Tabelle 2).

    Fortbildung

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    Mahlzeiten-Typ Verzehrszeitpunkte Lebensmittel-Kombinationen(Beispiele) (Beispiele)

    Kalte Frühstück, � Müsli aus Getreideflocken,Hauptmahlzeit Abendessen Obst, Joghurt

    � Wurstbrot, Apfel, Milch� Käsebrot, Rohkostsalat� Nudelsalat mit Tomaten,

    Gurken, Joghurtdressing

    Warme Mittagessen � Kartoffeln/Nudeln/Reis,Hauptmahlzeit Gemüse/Rohkost, 3x pro

    Woche Fleisch, 1x Fisch� Hülsenfrucht-Gemüse-

    Eintopf, Brötchen

    Zwischen- Vormittag � Vollkornbrötchen,mahlzeiten (Pausenbrot) Möhren-Rohkost

    Nachmittag � Rosinenbrötchen, Obst� Gelegentlich: Gebäck,

    Süßigkeiten

    Zu jeder Mahlzeit gehört ein Getränk (Wasser, ungesüßter Kräuter- oderFrüchtetee)

    Tab. 2: Mahl-zeiten in derOptimiertenMischkost fürKinder und Ju-gendliche

  • Aus didaktischen Gründen wird die Zusammen -stellung der Mahlzeiten als 3-dimensionale Mahlzeiten-pyramide anschaulich dargestellt. Sie eignet sich z.B. fürdie Ernährungsberatung von Kindern und Eltern, auchin der Behandlung von Adipositas (siehe Infokasten unten).

    Gesunde Ernährung für alle?

    Vielfach wird behauptet, finanzielle Zwänge, z.B. beiArbeitslosigkeit (Hartz IV) oder Ein-Eltern-Familien,seien eine Barriere für eine gesunde Ernährung. In derTat gibt es einheitliche Hinweise darauf, dass Kinder ausunteren sozialen Schichten seltener frühstücken, seltenerObst und Gemüse und häufiger Limonade verzehrenund dass sie die Empfehlungen für die Nährstoffzufuhrweniger erreichen als Kinder aus höheren sozialenSchichten. Gleichzeitig ist der Anteil übergewichtigerund adipöser Kinder in unteren sozialen Schichten etwa3-mal so hoch wie in hohen sozialen Schichten.

    Verschiedene Szenarien der Lebensmittelauswahl undVergleiche mit der Ernährungspraxis sowie mit dem ak-tuellen Hartz IV Regelsatz für Ernährung für Kinder undJugendliche zeigen:

    � Die Lebensmittelkosten der Optimierten Mischkostsind niedriger als die Kosten der derzeitigen Ernäh-rung bei Kindern und Jugendlichen in der DONALDStudie, wenn nur preiswerte Grundlebensmittel ein-gesetzt würden, aber höher bei gleicher Lebensmittel-auswahl (zusätzlich Marken- und Fertigprodukte).

    � Einkauf der Lebensmittel zu Niedrigstpreisen würdein etwa zu einer Halbierung der Kosten führen vergli-chen mit Einkauf zu Höchstpreisen .

    � Bei Beschränkung auf Grundlebensmittel ist die Op-timierte Mischkost mit dem aktuellen Hartz IV Regel-satz für Ernährung bei Kindern und Jugendlichen von2–18 Jahren (2,62–4,13 €/Tag) machbar, bei Einsatzder Lebensmittel wie in der derzeitigen Ernährungübersteigen die Kosten den Hartz IV Regelsatz in allenAltersgruppen mit Ausnahme der 2–3 Jahre altenKleinkinder; mit zunehmendem Alter vergrößert sichdie Lücke auf bis zu 2 Euro/Tag bei 15–18-jährigen Ju-gendlichen.

    Als generelle Empfehlung gilt:� Zu jeder Mahlzeit gehört ein Getränk, vorzugsweise

    Wasser oder ungesüßter Tee� Zu jeder Mahlzeit gehören Obst, Rohkost oder Gemüse

    Inwieweit eine Aufklärung über Lebensmittelauswahlund -einkauf eine gesündere Ernährung bei Kindern undJugendlichen auch in finanziellen Zwangssituationen er-leichtert, steht zur Diskussion. Praktische Hinweise fin-den sich in Tabelle 3.

    Gesunde Ernährung – Schritt für Schritt

    In der Praxis weicht die heutige Ernährung der meis-ten Kinder und Jugendlichen trotz zahlreicher Projektezur Ernährungsaufklärung, auch in höheren sozialenSchichten, nach wie vor von den präventiven Empfehlun-gen ab. Insbesondere liegt der Verzehr von Gemüse,Obst und Vollkornprodukten weit unter den Empfeh-lungen, der Verzehr von Fleisch und Süßigkeiten darü-ber. Diese Abweichungen zeichnen sich mit zunehmen-dem Alter der Kinder und Übergang auf die Familiener-nährung ab. Defizite bei der Nährstoffzufuhr zeigen sichdagegen nur bei Jod und Vitamin D, die über Anreiche-rung (Jodsalz) und Supplemente (Vitamin D) grund-sätzlich zu beheben sind.

    Fertigprodukte (Convenience-Produkte) sind beiKindern und Jugendlichen heute ein fester Bestandteilihrer Ernährung. Beliebte Convenience-Produkte, wieTiefkühl-Pizza, Tiefkühl-Baguette, fallen allerdings oftdurch eine hohe Energiedichte auf.

    Bei richtigem Umgang können auch FertigprodukteBestandteil einer Präventionsernährung sein und ihreUmsetzung auch in der heutigen Lebenswirklichkeit vonKindern, Jugendlichen und Familien erleichtern. Bei derAuswahl der Produkte helfen die Regeln für die Lebens-

    Fortbildung

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    436

    Info-Kasten

    � Nach Speiseplan und Einkaufsliste einkaufen� Auf Sonderangebote, Aktionsware achten� Eigenmarken anstatt meist teurere Markenpro-

    dukte wählen� Preisvergleiche anhand der Grundpreise (€ pro

    Liter, Kilogramm), die oft ausgezeichnet sind, vor-nehmen

    � Bei Fleisch/Wurst als wesentlichem Kostenfaktorsparen

    � Rohwaren kaufen und selber kochen anstatt(Halb-)Fertigprodukte verwenden

    � Kochbücher mit preiswerten und leicht herstellba-ren Gerichten heranziehen

    Tab. 3: Hinweise für eine gesunde und preis-werte Ernährung

    www.dge.de (Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr)

    www.fke-do.de, www.fke-shop.de (u.a. Broschüren zur Kinderernährung, dreidimensionale optimiX Mahlzeiten-pyramide)

    www.fke-do-gmbh.de ( u.a. Fortbildungsprogramm zu Kinderernährung und Gemeinschaftsverpflegung)

    www.trinkfit-mach-mit.de (Hinweise zur Förderung des Trinkwasserverzehrs in Schulen)

    www.optimix-siegel.de (Hinweise zur Zertifizierung von Produkten/Mahlzeiten)

  • mittelauswahl. Bei abgepackten Lebensmitteln gibt dasZutatenverzeichnis erste Hinweise. Es listet die enthalte-nen Zutaten in absteigender Reihenfolge ihres Gehaltesim Endprodukt auf.

    In Zukunft ist geplant, Produkte oder Lebensmittel-kombinationen in Mahlzeiten, die den Kriterien der Optimierten Mischkost entsprechen, nicht nur in derGemeinschaftsverpflegung sondern auch im Einzelhan-del mit dem optiMIX-Siegel zu kennzeichnen.

    Es hat sich gezeigt, dass Kinder ‚gesündere’ Produkteeher akzeptieren, wenn diese Schritt für Schritt einge-

    führt werden. Geduld und Kompromisse sind also einvielversprechender Weg zu einer Präventionsernährung.

    Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein Interessen -konflikt vorliegt.

    Korrespondenzadresse:

    Prof. Dr. Mathilde KerstingForschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund (FKE)Heinstück 11, 44225 DortmundTel.: 0231-79 22 1018Fax: 0231-71 15 81Email: [email protected] Red.: Christen

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    437

    Welche Diagnose wird gestellt?

    Abb.: Im Bereich des Zungengrundes bis zur Zungenmittereichendes, scharf vom vorderen Zungendrittel abgegrenz-tes Areal mit leichtem Erythem und reliefarmer Oberfläche

    Anamnese

    Der 5-jährige Junge wird wegen einer Verände-rung der Zungenoberfläche vorgestellt. Seiner Mutterfallen seit etwa einem Jahr immer wiederkehrenderundlich-bogige weißliche Verfärbungen auf, die sichim Verlauf von jeweils 1–2 Wochen vom Zungen-grund zur Zungenspitze bewegen. Subjektive Be-schwerden bestehen nicht. Die übrige Eigen- und Fa-milienanamnese ist unauffällig.

    Untersuchungsbefund

    5-jähriger, altersgerecht entwickelter Junge in gutem Allgemeinzustand. Rosiges Hautkolorit. ImBereich des Zungengrundes ist die Schleimhautober-fläche intensiv rot, im distalen Drittel der Zungen-oberfläche ist dieser Bereich scharf bogig gegen dienormale Oberfläche abgesetzt, so dass dort der Ein-druck eines weißlichen Belages entsteht (Abb.).HNO-Bereich reizfrei, keine vergrößerten Lymph-knoten. Übriger pädiatrischer und dermatologischerBefund unauffällig.

    Welche Diagnose wird gestellt?

  • Die Lingua geographica ist gekennzeichnet durch flache, scharfbegrenzte, glatte erythematöse Flecken, die sich von der übrigen,rauhen, helleren Zungenoberfläche deutlich absetzen und damitden Eindruck einer Landkarte mit unterschiedlichen „Kontinen-ten“ hervorrufen. In der Mehrzahl der Fälle sind die Kinder be-schwerdefrei; bei einem kleineren Teil bestehen gelegentlich bren-nende Missempfindungen. Typisch ist das über einen längerenZeitraum zu beobachtende zyklische Wiederkehren dieserSchleimhautveränderungen. Aus diesem Grund wird für die Lin-gua geographica vielfach der Begriff „Benigne migratorischeGlossitis“ (BMG) bevorzugt.

    Die BMG zählt zu den häufigsten, gutartigen Veränderungender Mundschleimhaut bzw. Zunge. Bei Reihenuntersuchungengesunder Kinder und Jugendlicher fand sich eine BMG in 1.05 (1)bis 1.50 % (2) der Fälle. Dabei zeigte sich eine inverse Korrelationmit dem Alter und eine positive Korrelation mit dem Atopiestatus(2). Ein Drittel der von der BMG betroffenenen Patienten weistauch eine Lingua fissurata mit „Einkerbungen“ auf. Die Mehrzahlder Fälle tritt spontan auf, nur selten wird über familiäre Häufungvon BMG-Fällen berichtet. Mädchen und Jungen sind gleicher-maßen betroffen. In einer großen Reihenuntersuchung in derTürkei (2) fand sich keine signifikante Assoziation mit Hauter-krankungen oder systemischen Erkrankungen. Umgekehrt findensich bei der systematischen Untersuchung von Psoriasis-Patientensowohl BMG als auch Lingua fissurata deutlich häufiger (9.1 bzw.22.6%) als in einer Kontrollgruppe (alle Altersgruppen, 5.2 bzw.10.3%) (3). Die Psoriasis scheint demnach einen Dispositionsfak-tor für die BMG darzustellen, ohne dass die BMG als Frühmani-festation einer Psoriasis gelten kann.

    Bis auf gelegentliches Brennen bestehen keine Beschwerden,auch Veränderungen der Geschmackswahrnehmung lassen sichnicht nachweisen (4).

    Histologisch lassen sich im Randbereich der „aktiven“ LäsionAkanthose, Parakeratose und intraepitheliale Mikroabszessenachweisen, die an eine pustuläre Psoriasis erinnern. Die Ätiolo-gie der Erkrankung ist nicht bekannt.

    Auch eine wirksame Behandlung dieser Erkrankung ist nichtbekannt. Nur bei Beschwerden kommt die Anwendung vonLokal anästhetica, in schwereren Fällen von topischen Steroiden inFrage. Auf regelmäßige Mundhygiene/Zahnpflege ist zu achten.Nach einigen Monaten, manchmal auch erst nach 1–3 Jahren,kommt es in der Regel zu einem spontanen Sistieren.

    Differenzialdiagnostisch sind orale Candidiasis, Lichen pla-nus, sekundäre Lues und atrophe Glossitis bei Vitamindefizienzabzugrenzen.

    Literaturangaben

    1. Shulman JD. Prevalence of oral mucosal lesions in children and youths inthe USA. Int J Pediatr Dent. 2005; 15: 89-97

    2. Miloglu O et al. The prevalence and risk factors associated with benign mi-gratory glossitis lesions in 7619 Turkish dental outpatients. Oral Surg OralMed Oral Pathol Oral Radiol Endod. 2009 ; 107(2):e29-33.

    3. Germi L et al. Psoriasis and oral lesions: multicentric study of oral and mu-cosa diseases italian group (GIPMO). Dermatol Online J 2012; 18 (1):1

    4. Vieira L et al. Taste evaluation in adolescents and pediatric patients with be-nign migratory glossitis. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2011; 75: 1230-3

    Prof. Dr. Peter H. HögerAbt. Pädiatrie und Pädiatrische Dermatologie/AllergologieKath. Kinderkrankenhaus WilhelmstiftLiliencronstr. 13022149 Hamburg

    Fortbildung

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    438

    Diagnose: Lingua geographica(Syn.: Benigne migratorische Glossitis, Exfoliatio areata linguae)

    Zentraler Vertretungsnachweis des Berufsverbandesder Kinder- und Jugendärzte e.V.

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    eineVertretung

    einenWeiterbildungsassistenten

    einenNachfolger

    einenPraxispartner

    eine Vertretungsmöglichkeit eine Weiterbildungsstelleeine Praxis/Gemeinschaftspraxis

    bzw. ein Jobsharingangebot

  • KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    Review aus englischsprachigen Zeitschriften

    440Fortbildung

    Vitamin D ist ein Steroidhormon mit unterschiedlichen phy-siologischen Rollen. War ursprünglich nur die Rolle der Calcium-Homöostase bekannt, so gewinnt nach Lokalisierung von VitaminD-Rezeptoren in fast allen Körperzellen auch die Funktion des Vitamin D als neuroaktives Hormon eine zunehmende Bedeu-tung [1]. Niedrige Serum-Vitamin D-Konzentrationen werdenheute mit einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen assoziiert.Tierversuche haben bereits gezeigt, dass dem Vitamin D auch einewichtige Rolle in der Hirnentwicklung zukommt [2]. Eine Verbin-dung zwischen Vitamin D und Stimmungsregulation wurde erst-mals von Stumpf auf Grund von Untersuchungen an Nagetierge-hirnen postuliert [3,4]. In Studien, die von Landsdowne und Pro-vost sowie von Vieth an Menschen durchgeführt wurden, konnteder Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und Vitamin D-Supplementen dokumentiert werden [5,6]. Studienteilnehmerwiesen eine bessere Stimmung auf, wenn sie Vitamin D erhaltenhatten.

    In einer schwedischen Studie haben jetzt Högberg et al. denZusammenhang zwischen Depressionen und Vitamin D-Mangelbei Jugendlichen untersucht [7].

    Methode: Bei 54 an einer Depression erkrankten schwedischenJugendlichen (37 Mädchen und 17 Jungen zwischen 10 und 19Jahren, mittleres Alter 16±1,8 Jahre) wurden die Serum-25-(OH)-Vitamin D-Spiegel untersucht. 19 Studienteilnehmer wur-den als mäßig depressiv und 35 als schwer depressiv eingestuft. Pa-tienten mit einem Vitamin D-Spiegel

  • KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    Sleep-Disordered Breathing is Associated with Asthma Severityin ChildrenRoss K R et al., J Pediatr 160: 736-742, Mai 2012

    Obstruktive Schlafstörungen bei schweremAsthma

    Um den Zusammenhang zwischen schlafbezogener Atem-störung, Übergewicht und Schwere einer Asthmaerkrankungzu untersuchen, wurden in einer prospektiven Beobach-tungsstudie am Rainbow Babies and Children’s Hospital inCleveland (USA) 4–18-jährige Kinder und Jugendliche ausder Asthmaambulanz über ein Jahr verfolgt. Die Asthma-Schwere wurde beschrieben durch den Asthmakontrolltest,durch die Intensität der notwendigen Therapie zur Kontrolleund durch die Anzahl der Exazerbationen, eine schlafbezo-gene Atemstörung wurde definiert durch elterliche Berichteüber lautes Schnarchen in mindestens 3–4 Nächten in derWoche und durch mindestens drei Sättigungsabfällen proStunde von > 3 % während einer ambulanten nächtlichenPulsoxymetrie. Bei den 108 Asthmatikern war in 42,6 % einÜbergewicht beobachtet worden (BMI >95. Perzentile) und29,6 % hatten eine schlafbezogene Atemstörung. Das relative Risiko für schweres Asthma war nach Kontrolle für Adi-positas bei Vorhandensein einer schlafbezogenen Atemstö-rung mit 3,6 erhöht (95 %-Vertrauensbereich 1,6–7,4), wäh-rend Adipositas selbst nicht mit der Asthma-Schwere assozi-iert war. Die Autoren schlussfolgern, dass schlafbezogeneAtemstörungen offensichtlich ein Risikofaktor für schweresAsthma auch unabhängig von Adipositas darstellen und dasses sich hierbei um einen möglicherweise therapierbaren Risi-kofaktor handele.

    KommentarSeit längerem ist bekannt, dass es einen Zusammenhang

    zwischen Adipositas und Asthma gibt. In dieser Studie wirdnun ein Zusammenhang zwischen schlafbezogener Atemstö-rung und der Schwere des Asthmas beschrieben. Leider istnicht klar, ob es sich nur um eine behinderte Nasenatmungmit entsprechender oberer Atemwegsobstruktion bei einermöglicherweise chronisch-allergischen Rhinitis handelt odertatsächlich ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, da nureine Sauerstoffsättigung und Schnarchen registriert undkeine Polysomnographie durchgeführt wurde. Eine sinnvolleSchlussfolgerung aus dieser Studie ist aber, bei schweremAsthma immer nach schlafbezogenen Atemstörungen an-amnestisch zu fragen und diese dann evtl. in einer Schlafla-

    den, bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit depres-siven Symptomen den Serum-Vitamin D-Spiegel zu bestim-men und gegebenenfalls Vitamin D zu supplementieren.

    Literaturzitate über den Autor:[email protected]

    (Jürgen Hower, Mülheim/Ruhr)

    Fortbildung

  • boruntersuchung zu verifizieren, da entweder eine intensive in-tranasale Steroidbehandlung oder – im Falle von obstruktivenSchlafapnoe-Syndromen – eine Tonsillotomie/Adenotomie sichpositiv auf die Schwere des Asthmas auswirken könnte.

    (Frank Riedel, Hamburg)

    tienten zu rechnen, da Risikoschwangerschaften nicht erkanntund die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik dadurch nurungenügend genutzt werden. Geeignete Informationsquellensind über folgende Websites zu erhalten: www.haemoglobin.uni-bonn.de, www.kinderblutkrankheiten.de, www.awmf.org/leitli-nien.html.

    Patienten mit schwerer Thalassämie (sowie einige seltene Pa-tienten mit schwerem Pyruvatkinasemangel oder einer anderenschweren hämolytischen Anämie mit chron. Transfusionsbedarf)haben schon im Kindes- und Jugendalter ein hohes Risiko für eineschwere Eisenüberladung. Das genaue Ausmaß der Hämosiderosewird anhand einer Bestimmung des Herz- und Lebereisens festge-stellt, die mit dem MRT Ferriscan gemessen wird (Herz- und Le-bereisenbestimmungen derzeit in Hamburg, Düsseldorf und Ulmmöglich). Das SQUID zur Messung des Lebereisens ist als Stan-dardmessung nicht geeignet, da bei Thalassämie-Patienten diekardiale Eisenüberladung der wichtigste lebensverkürzende Fak-tor ist (50–70 % der Thalassämiepatienten versterben am Herz-versagen!). Zwischen Leber- und Herzeisen besteht keine lineareBeziehung. Zudem ist das SQUID nur in Hamburg verfügbar ist.

    Für die Eisenausschleusung stehen drei Medikamente zur Ver-fügung: Die beiden großen Moleküle, Deferasirox (Exjade®) undDeferoxamin (Desferal®; s.c. oder i.v.) sind starke Eisenkomplex-bildner. Das kleinere monovalente Deferipron (L1) kann beischwerer kardialer Eisenüberladung additiv die Eisenmobilisie-rung verstärken. Sowohl mit Deferasirox als auch mit Deferoxa-min kann bei gleichzeitiger Transfusionstherapie eine negative Ei-senbilanz erreicht werden (Cario H, Leitlinie Thalassämie)1. DerNutzen der neuen oralen Therapie mit Deferasirox ist unbestrit-ten und „revolutioniert“ die Eisenausschleusungstherapie imKindes- und Jugendalter. Obwohl gemäß offizieller Zulassungund auch der Leitlinie zur Eisenüberladung (http://www. awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/025-029l.pdf) der Einsatz von Defer-asirox erst ab 6 Jahren empfohlen wird, setzen wir und andere Hä-matologen Exjade® ab dem 3. Lebensjahr mit gutem Erfolg undguter Verträglichkeit ein. Im Alter von 2–6 Jahren ist Deferasiroxgemäß Zulassung und Leitlinien indiziert, wenn eine Therapiemit Deferoxamin als kontraindiziert oder unangemessen erachtetwird. Angesichts der Belastung des Kleinkindes durch die täglicheInjektion halten wir die Deferoxamin-Therapie für unangemes-sen.

    Patienten mit Thalassaemia major oder intermedia sollten re-gelmäßig einem in dieser Therapie erfahrenen pädiatrischen Hä-matologen in Klinik oder eigener Praxis vorgestellt werden. Fürdie Kinder- und Jugendärzte sehe ich vor allem drei wichtige Auf-gaben: Das Screening von Risikopatienten (siehe mein Reviewüber Sichelzellerkrankungen im Kinder- und Jugendarzt, 2010;11: S 721-722), die Erkennung von Elternschaften mit einem ho-hen Risiko, ein Kind mit Hämoglobinopathie zu bekommen, unddie sogenannte Transition, das heißt die Übergabe von Jugendli-chen mit transfusionsbedürftiger Thalassämie an den Erwachse-nen-Mediziner. Hier sollten wir uns an den gut etablierten Model-len der Transition bei Herzkindern orientieren (JEMAH).

    (PD Dr. H. Cario, Ulm, und Frau Dr. R. Dickerhoff, Düsseldorf u.St. Augustin, danke ich für die kritische Durchsicht meines Reviews.)

    1 Leitlinie: Cario H et al.: Diagnostik und Therapie der sekundären Eisenüberladungbei Patienten mit angeborenen Anämien. http://www.awmf.org/ uploads/tx_szleit-linien/025-029l.pdf

    (Stefan Eber, München)

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    442Fortbildung

    Chelation Use and Iron Burden inNorth American and British Thalasse-mia Patients: a Report from the Tha-lassemia Longitudinal CohortKwiatkowski J, Olivieri N, Neufeld E et al., Blood; 119:2746-2753, Januar 2012

    Optimierte, MRT-gestützte Versorgung bei Eisen-überladung

    Aktuelle Fortschritte in der organspezifischen Messung des Ei-sengehaltes und die Verfügbarkeit des neuen Eisenchelators De-ferasirox sollen die Versorgung von Patienten mit schwerer Eisen-überladung verbessern. Die Autoren Kwiatkowski, Olivieri, Neu-feld et al. stellen die Veränderungen im Eisengehalt der Leberund/oder des Herzens bei 327 Kindern, Jugendlichen und Er-wachsenen aus Nordamerika und England mit transfusionsab-hängiger Thalassämie dar (Alter bei Studienbeginn: 22 Jahre± 12.5 Jahre, Beobachtungszeitraum 8 Jahre). Der aktuell vorherr-schende Chelator ist Deferasirox, gefolgt von Deferoxamin; amdritthäufigsten sind Kombinationstherapien. Der dritte in Europaverfügbare Chelator, Deferipron, ist in den USA nicht zugelassen.Die wenigen englischen Deferipron-Patienten werden daher inden Statistiken dieser Arbeit nicht berücksichtigt.

    Während der Studienzeit nahm die Anwendung von Leber-und Herz-MRIs zur Messung des Eisengehalts um das Fünffachezu. Die Lebereisenkonzentration wurde bei 80% Patienten mehrals zuvor gemessen. Die Autoren beschreiben einen deutlichenRückgang des Lebereisengehaltes (Abfall von 10.7 auf 5.1mg/Gramm Leber Trockengewicht) bei nicht signifikanter Ver-minderung des Herzeisengehaltes. Der Anteil der Patienten mitinadäquater Chelierung (Ferritin > 2500 ng/ml, Lebereisen >15mg/g Lebertrockengewicht und/oder Herz-Eisenüberladung)nahm von 33 % auf 26% ab.

    Die Autoren schließen daraus, dass der vermehrte Einsatz desMRIs und die orale Chelierung die Betreuung der Thalassämie-Patienten und die Eisenausschleusung deutlich verbessern.

    Kommentar

    Von den 15–20 Millionen Einwohnern mit Migrationshinter-grund in Deutschland kommen etwa 9 Millionen aus Ländern mitRisiko für Hämoglobinkrankheiten: Türkei, Italien, Griechen-land, Iran, Irak, Libanon, Palästina, Indien, Nordafrika, Schwarz-afrika und Südostasien. In Deutschland haben wir eine verhältnis-mäßig geringe Anzahl von Patienten mit Thalassaemia major (ca.500) und intermedia (geschätzt 500 Patienten)! Andererseits istaufgrund des fehlenden Screenings von Risikopopulationen unddes bisher ungenügenden Wissens über Hämoglobinopathien vorallem in der Erwachsenenmedizin mit weiteren betroffenen Pa-

  • KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    BENEFIZKONZERTdes Orchesters der Deutschen Kinderärzte

    zu Gunsten „Hamburg macht Kinder gesund e.V.“

    aus Anlass der 108. Jahrestagungder Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V.

    14. September 2012, 19.00 UhrLaeiszhalle Hamburg

    Programm:

    Felix Mendelssohn Bartholdy: Ouvertüre zu „Das Märchen von der schönen Melusine“

    Sergej Rachmaninow: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2, c-moll, Op. 18

    Johannes Brahms: Symphonie Nr. 3, F-Dur, Op. 90

    Solist: Benjamin Moser, München

    Dirigent: Prof. Manfred Fabricius, Berlin

    Werden Sie Mitglied im Freundeskreis des Orchesters der Deutschen Kinderärzte!

    Jahresbeitrag 25,– €

    Anmeldung bei Herrn Hans-Ulrich Laar, Joh.-Seb.-Bach-Str. 3, 82049 Pullach

    Karten zu 25 und 15 Euro über den Kongress und die Vorverkaufsstellen(Mitglieder des Freundeskreises des Orchesters und Studenten halber Preis)

  • Fortbildung

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    444

    Frage:

    Wie beurteilen Sie das Risikoprofil von Octenisept inder Anwendung bei Kindern?

    Sind eigentlich bereits Resistenzen von Antiseptikawie Octenisept oder gängigeren Farbstoffen (wie Pyokta-nin, Kristallviolett), die zur Hautdesinfektion verwendetwerden, gegenüber Staph. aureus bekannt?

    Antwort:

    Zu 1.: Für Octenisept sind keine Einschränkungen zurHautantiseptik bei Kindern bekannt [13].

    Für Neonaten sind Octenidin-basierte AntiseptikaPVP-Iod wegen der Iodresorption und Alkoholen wegender Irritation und Resorption eindeutig vorzuziehen [1-4]. Im Unterschied zu Alkohol-basierten Antiseptika ver-ursacht Octenisept keine Hautschäden bei Neonaten [5].Im Unterschied zu Chlorhexidin [6] und Triclosan [7]wird Octenidin nicht dermal resorbiert. Allerdings wirdder Phenoxyethanol als Bestandteil von Octenisept der-mal resorbiert, zu Phenoxyessigsäure metabolisiert undrenal eliminiert [5]. Wegen dieses potentiellen Risikoswird für Neonaten anstelle von Octenisept Octenidinohne Zusatz von Phenoxyethanol empfohlen. Der Her-steller von Octenisept bietet zu diesem Zweck Klinikapo-theken Octenidin als Grundsubstanz zur eigenen Her-stellung einer gebrauchsfertigen Lösung (Zielkonzentra-tion 0,1 %) nach einer Arzneirezeptur an [8].

    Die Spülung tiefer penetrierender Stichwunden derHand mit Octenisept unter Druck verursachte bei Kin-dern schwere lang anhaltende ödematöse Reaktionen mitGewebeschädigung, vermutlich auf Grund der langsa-men Resorption des in das Gewebe eingebrachten Octe-nidin und stellt deshalb eine Kontraindikation dar [9].

    Zu 2.: Bisher war keine Resistenzentwicklung gegenOctenidin induzierbar und ist auf Grund des Wirkungs-mechanismus auch nicht zu befürchten [10-12].

    Farbstoffe sind nur unzureichend wirksam, lokal fürWunden unverträglich, haben z. T. systemische Risikenund gelten daher zur Wundantiseptik als obsolet [14].Zur Hautantiseptik ist die Wirksamkeit analog nicht aus-reichend; hinzu kommt als weiterer Nachteil die Verfär-bung der Haut. Da die Farbstoffe ihre Bedeutung zur An-tisepsis verloren haben, wurden keine Untersuchungenzur Resistenzentwicklung durchgeführt. Auf Grund derlediglich mikrobiostatischen Wirkung ist davon auszuge-hen, dass zumindest in vitro eine Resistenzentwicklunginduzierbar sein dürfte.

    Literatur bei InfectoPharm

    Prof. Dr. med. Axel KramerErnst Moritz Arndt UniversitätUniversitätsklinikumInstitut für Hygiene und UmweltmedizinWalther-Rathenau-Straße 49a17475 Greifswald

    Risikoprofil von Octenisept bei Kindern

    Prof. Dr. med.Axel Kramer

    CONSILIUMINFECTIORUM

    Das „CONSILIUM INFECTIORUM“ ist ein Service im „KINDER- UND JUGENDARZT“, unterstützt vonINFECTO PHARM. Kinder- und Jugendärzte sind eingeladen, Fragen aus allen Gebieten der Infektiologie an die Firma InfectoPharm, z. Hd. Frau Dr. Kristin Brendel-Walter, Von-Humboldt-Str. 1, 64646 Heppenheim, zu richten. Alle Anfragen werden von namhaften Experten beantwortet. Für die Auswahl von Fragen zur Publikation sind die Schrift-leiter Prof. Dr. Hans-Jürgen Christen, Hannover, und Prof. Dr. Frank Riedel, Hamburg, redaktionell verantwortlich.Alle Fragen, auch die hier nicht veröffentlichten, werden umgehend per Post beantwortet. Die Anonymität des Fragersbleibt gegenüber dem zugezogenen Experten und bei einer Veröffentlichung gewahrt.

  • Berufsfragen

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    446

    Den Patienten im Blick

    Haben wir es mit Gegenstandskatalogen zu tun, reichtes aus, die dort verzeichneten Inhalte zu kennen. Werweiß, was im Katalog steht, hat ausreichende Kenntnisse.Fragen wir jedoch nach den Ergebnissen der Weiterbil-dung, kommen schnell die Patientinnen und Patienten inden Blick, denn ärztliches Handeln wird auf sie ange-wandt und dadurch in ihrem Ergebnis sichtbar.

    Wie stellen wir nun aber fest, dass unsere Weiterbil-dung den Menschen nützt? Wie kommen wir von derAusbildungstheorie zur ärztlichen Praxis? Wenn wir dasWohlergehen unserer Patienten ins Zentrum rücken,brauchen wir tätiges Wissen um die Evidenzbasis von Bil-dung. Wir sollten Fragen stellen nach der Berechtigungvon Inhalt und Form der Weiterbildung, nach Weiterbil-dungszielen, Weiterbildungsorten und der Umsetzungerzielter Ergebnisse in das Weiterbildungscurrriculum.Gerade bei der Umsetzung sind viele kritische Punkte zuberücksichtigen. Ohne die Lösung dieser Kontroversenwerden die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und Fa-milien leicht wieder aus dem Blick verloren gehen.

    Kompetenz alleine genügt nicht

    Besonders kritisch ist die Übersetzung der allgemei-nen ärztlichen Kompetenzen in die Praxis der Weiterbil-dung. Dazu mag auch die Unschärfe des Begriffs „Kom-petenz“ beitragen. Deshalb wird in diesem Artikel zuerstder Kompetenzbegriff geklärt und dann die Idee einesKompetenznetzwerks mit der Arbeitswelt von Ärztenverknüpft. Zur Überbrückung kann der Begriff der kriti-schen „professionellen Tätigkeiten“ dienen, die Ärzte re-gelmäßig und routiniert durchführen. Diese Tätigkeitensollen nach Olle ten Cate vom Lernenden so ausgeführtwerden, dass sie ihm ohne permanente Supervision ge-trost zum Wohl der Patienten anvertraut werden könnenund dass auch die Lernenden sich selbst zutrauen, dieseTätigkeiten meisterlich auszuführen: Nennen wir sie „an-zuvertrauende professionelle Tätigkeiten“ oder APT. (Inder englischsprachigen Literatur als entrustable profes-sional activities [EPA] bezeichnet).

    Als die internationale Ausbildungsforschung begann,sich mit ergebnisbasierter Weiterbildung zu beschäfti-gen, sprachen sich viele Institutionen dafür aus, Kompe-tenzen zu identifizieren und zu prüfen2. Kompetenz-ba-

    sierte Weiterbildungskonzepte sind nicht neu, werden je-doch aktuell in Großbritannien, den Niederlanden, denUSA und Kanada in bisher unbekanntem Ausmaß prak-tisch eingesetzt3. Diese Entwicklung mag gerechtfertigtsein, aber viele an der Weiterbildung Beteiligte sind nichtüberzeugt, dass kompetenzbasierte Weiterbildung dieQualität der Weiterbildung oder der Gesundheitsversor-gung verbessert. Manche halten sie für eine Mode, die mitder Zeit verschwinden wird. Manchmal wird dabei Kom-petenzorientierung im Gegensatz zu fachlicher Expertisegesehen. Trifft das zu?

    Kompetenznetze sind üblicherweise logisch aufge-baut und lesen sich als eine Sammlung genereller ärztli-cher Qualitäten, die jeder erwerben sollte.4 Sie werdenvon vielen Experten formuliert, überarbeitet, diskutiertund publiziert, sind aber trotzdem theoretische Gedan-kengebäude. Wenn Kompetenzen in ein reales Weiterbil-dungscurriculum übertragen werden sollen, ist die Be-deutung erlernbarer Kompetenzen oft weniger klar. Ei-nerseits versteht man dann darunter Zuschreibungen anden „guten Arzt“ an sich. Andererseits werden sie beson-ders unter dem Prüfungsaspekt oft auf konkrete Fertig-keiten reduziert, so zum Beispiel ein EKG zu lesen oderEltern eines muskelkranken Kindes zu beraten; teilweisewerden auch einzelne Aktivitäten aufgelistet, so zum Bei-spiel Muskelatrophie zu messen oder die Wirbelsäule zuuntersuchen. Natürlich kann man umgangssprachlichsagen, dass jemand die „Kompetenz besitzt, ein EKG zulesen“.

    Bildungsforscher sprechen sich jedoch dafür aus,Kompetenz als persönliche Qualität und nicht als Aktivi-tät zu verstehen. Denn dann kann man unterscheidenzwischen dem konzeptionellen Status einer Person, dembeobachtbaren Verhalten der Person, einer Aktivität odereinem Wissensinhalt. Wenn die derzeitige Musterweiter-bildungsordnung fordert, dass ein Pädiater die Kompe-tenzen haben sollte, die „körperliche, soziale, psychischeund intellektuelle Entwicklung eines Kindes und Jugend-lichen“5 zu beurteilen, dann sollte unsere nächste Fragesein, was diese Kompetenzen denn genau sind. DieseFrage wird selten gestellt und noch seltener beantwortet.Deshalb wird der Begriff „Kompetenz“ nur in folgendemSinne weiter gebraucht: Die Fähigkeit, etwas erfolgreichzu tun.

    Kompetenz-basierte Weiterbildung:An ihren Taten sollt ihr sie erkennen

    Die Entwicklung von Gegenstandskatalogen hin zu einer kompetenzbasierten Weiterbildungist ein großer Schritt. Nach einem der bedeutendsten Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahr-hunderts, Thomas Kuhn1, sprechen wir von einem Paradigmenwechsel, wenn in der Wissen-schaft vor und nach einer Veränderung der Theorien nicht mehr mit gleichem Maß gemessenwerden kann. Dieser Sachverhalt liegt derzeit in der Ausbildungsforschung vor.

    Dr. Folkert Fehr

  • Berufsfragen

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    447

    Der Maßstab ist überprüfbares Tun

    Im Gegensatz zu Kompetenzen ist die Fähigkeit, einewohlbeschriebene Aktivität auszuführen, gut beobacht-bar und prüfbar. Wir sollten nur Kollegen oder Weiterzu-bildenden voll vertrauen, eine kritische Aktivität auszu-führen, wenn sie die dafür nötigen Kompetenzen erwor-ben haben. Darum spricht viel dafür, ein kompetenzba-siertes Weiterbildungscurriculum so aufzubauen, dasswichtige Aktivitäten als anzuvertrauende professionelleTätigkeiten (APT) beschrieben und in einer Matrix ge-gen Kompetenzen aufgetragen werden.

    APTs sind zum Beispiel: Patienten mit häufigen Ver-letzungen primär versorgen. Oder: longitudinale pri-märärztliche Versorgung für gesunde und chronischKranke. Allgemein fordert der BildungswissenschaftlerOlle ten Cate folgende Bedingungen für anzuvertrau-ende professionelle Tätigkeiten:

    Die anzuvertrauende professionelle Tätigkeit1. ist ein Teil entscheidender professioneller Arbeit in ei-

    nem gegebenen Kontext2. erfordert angemessenes Wissen, Fähigkeiten und Hal-

    tungen3. führt zu einem anerkannten Ergebnis professioneller

    Arbeit4. ist beschränkt auf qualifiziertes Personal5. ist weitgehend unabhängig von anderen Tätigkeiten

    ausführbar6. ist ausführbar in einem gegebenen Zeitrahmen7. ist in Prozess und Ergebnis beobachtbar und messbar

    (gut gemacht bzw. nicht gut gemacht)8. reflektiert eine oder mehrere generelle ärztliche Kom-

    petenzenAPTs reflektieren solche Tätigkeiten, die zusammen

    eine Fachrichtung konstituieren. Wer die 50 bis 100 APTsbeherrscht, die ein Fachgebiet beschreiben und definie-ren, den kann man als Facharzt vertrauensvoll arbeitenlassen. Die in den APTs näher beschriebenen Tätigkeitenkönnen konkret beobachtet und damit auch geprüft wer-den. Somit können sich Weiterzubildende eine APT nachder anderen erarbeiten und für jede APT einzeln zertifi-ziert werden. Auf diese Weise wird die persönliche Ent-wicklung der Weiterzubildenden also nicht von der (Bil-dungs-)Zeit, sondern vom standardisierten Ergebnis ge-steuert. Die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und ih-ren Familien bleiben Herzstück der Weiterbildung.

    Qualifikation Schritt für Schritt

    Muss man eine neue Abkürzung erfinden, um zu be-haupten, man habe ein neues Konzept? Die ausgeführtenKonzepte selbst mögen nicht nagelneu sein. Allerdingsbeschreiben sie die Erfahrung vieler Weiterbildner gut,wann sie einem Weiterzubildenden beispielsweise imNachtdienst eine Aktivität anvertrauen können. DieseEntscheidung hat weniger mit den Ergebnissen des Wei-terzubildenden in seinen multiple choice Examina zutun, als vielmehr mit den Beobachtungen, die der Weiter-bildner gemacht hat. Deshalb plädieren wir dafür, vomBeginn der Weiterbildung an wohldefinierte Aktivitäten

    einzusetzen und Lernende Schritt für Schritt dafür zuqualifizieren. Es ist bemerkenswert, wie spät viele Weiter-zubildende professionelle Aktivitäten eigenverantwort-lich tun dürfen; wird doch am Tag nach ihrer Facharzt-prüfung erwartet, dass sie all diese Aktivitäten in ihrerganzen Breite allein und mit guten Ergebnissen ausfüh-ren.Die nächsten, konkreten Schritte6

    Schritt 1 APTs für die Weiterbildung auswählen1.1 APTs in der täglichen Praxis identifizieren1.2 Anzahl und Anwendungsbereich der APTsfestlegen1.3 Auswahl der APTs zuschneidenErgebnis: Ein Satz von APTs für die Weiterbil-dung

    Schritt 2 APTs beschreiben2.1 Titel und Inhalt der APTs erstellen2.2 Kompetenzbereiche auswählen2.3 Erforderliches Wissen und Fähigkeiten an-geben2.4 Prüfungsmethoden zuschreibenErgebnis: Ein Satz von APT-Beschreibungen

    Schritt 3 Lernen und Prüfen der APTs planen3.1 APTs im Weiterbildungscurriculum ein-planen3.2 Feinabstimmung des Fahrplans auf demWeg zum FacharztErgebnis: Ein Curriculum für die Praxis, dasgemeistert und geprüft werden kann, mit Be-schreibung aller relevanten Kompetenzdomä-nen, notwendigem Wissen und Fertigkeitenund Prüfungsmethoden

    vergangenen bewältigen mündigemedienkompetenz

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  • Berufsfragen

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

    448

    Schritt 1 und 2 werden aktuell in den Gremien der Deut-schen Gesellschaft für Allgemeine Ambulante Pädiatrie(DGAAP) diskutiert. Dazu ist die Mitwirkung aller in derpädiatrischen Weiterbildung Erfahrenen sinnvoll und er-

    wünscht. Naturgemäß handelt es sich um einen Arbeits-entwurf im Fluss der pädiatrischen und Ausbildungsfor-schung.

    Der Patient kommt zur Tür herein,keine Diagnose

    In einem auf APTs aufgebautem Curriculum der Wei-terbildung wird auf Stärken unseres Weiterbildungssys-tems aufgebaut. Klinische Lehrer sind geübt darin, dieVertrauenswürdigkeit von Lernenden für gut beschrie-bene Tätigkeiten zu beurteilen. Sie wissen, dass nicht dieKrankheiten aus dem Lehrbuch zur Tür hereinkommenund prompt mit dem passenden ICD-Code begrüßt wer-den können, sondern kranke Menschen mit ihren Symp-tomen und Erfahrungen8. Wir sind vertraut mit Wissens-prüfungen, machen zunehmend Erfahrungen mit Log-büchern, kennen Stationenlernen (OSCE) aus dem ge-genwärtigen Medizinstudium, sind vertraut mit Fallvor-stellungen. Sicher ist es nötig, dass sich Weiterbildner undPrüfer weiter mit dem internationalen wissenschaftli-chen Standard von Ausbildung und Prüfung in der Me-dizin vertraut machen, wozu psychologische und psy-

    chometrische Ergebnisse der Ausbildungsforschung bei-tragen können. Dazu werden sie die Unterstützung derzuständigen Körperschaften wie Ärztekammern undVerbände brauchen. Zeit, Expertise, finanzielle und orga-nisatorische Mittel sind erforderlich, um die Rolle desklinischen Lehrers zu stärken. Den individuellen Weiter-bildner in der täglichen Praxis zu unterstützen, sollte daszentrale Anliegen jeder Neuerung in der Weiterbildungsein. Denn eine ergebnisorientierte Weiterbildung zumNutzen der Kinder, Jugendlichen und Familien ist nichtzum Nulltarif zu haben.

    Literatur beim Verfasser

    Dr. Folkert FehrKinder- und JugendarztDGAAP-Arbeitsgruppe Aus- und WeiterbildungKarlsplatz 574889 Sinsheim Red.: ge

    Entwurf einer Bereichsbeschreibung mit Subkompetenzen:

    Anzuvertrau-ende professio-nelle Tätigkeit7

    Primärkontaktmit einem zuvorgesunden Kind,das mit einemhäufigen akutenProblem vorge-stellt wird

    MedizinischerExperte

    Essentielleund akkurateInformationensammeln

    Vollständigeund akkuratekörperlicheUntersuchungdurchführen

    Diagnostischeund thera-peutischeEntscheidun-gen informierttreffen zubestem klini-schen Urteil

    Kommunikator

    Patienten undFamilien bera-ten

    Effektiv mit Pa-tienten und Fa-milien kommu-nizieren

    Interaktionenangemessenmanagen

    Verantwor-tungsträgerund Manager

    Kosten- undRisiko-Nut-zen-Vergleicherwägen

    Übertra-gungsgefahrerkennen undmanagen

    Leitlinien be-rücksichtigen

    Gesundheits-berater und-fürsprecher

    Voraus-schauendberaten

    Wissen, wiefür die Ge-sundheits-verbesserungund Krank-heitsvermei-dung der Be-völkerungeinzutretenist.

    Effektive Ge-sundheitser-halung vor-halten

    Interprofes-sioneller Partner

    Effektiv mitMFA, ggf.Weiterbil-dungsas-sistenten,PJ, Studie-renden zu-sammenar-beiten

    Wissen-schaftlerund Lehrer

    An For-schungs-vorhabendieser Pro-blem-gruppeplanendund/oderausführendteilnehmen

    Professio-nelles Vor-bild

    Ange-messse-nes Rol-lenvorbildvorhalten.

    An derIdentifika-tion vonSystem-fehlernund derenLösungmitarbei-ten

    I. Weiterbil-dungsdrittel

    Weiterzubilden-der bedarf mo-derater Supervi-sion, abhängigvon Situationund Nachfragedes Weiterzubil-denden

    II. Weiterbil-dungsdrittel

    Weiterzubilden-der hat das Pri-vileg unabhän-giger Praxis

    III. Weiterbil-dungsdrittel

    Weiterzubil-dender kannandere su-pervidieren

    Den Subkompetenzen werden spezifische, messbare, anspruchsvolle, relevante und terminierte Lernziele zugeschrieben. Diese Lernziele wirken wie Meilensteine derKompetenzentwicklung zu einer Gesamtmeisterschaft der beschriebenen Tätigkeit. Der Lernende kann sich einzeln in Beobachtungsprüfungen dafür zertifizieren. So kön-nen APTs zu einer kompetenzbasierten Weiterbildung mit geteiler Verantwortung für Lehrer und Lerner beitragen.1 Jones M Douglas jr et al: Perspective. Acad Med 2011, 86(2), 161-16

    Service-Nummer der Assekuranz AGfür Mitglieder des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte

    Den bewährten Partner des BVKJ in allen Versicherungsfragen, die Assekuranz AG,können Sie unter der folgenden Servicenummer erreichen:

    (02 21) 6 89 09 21.

  • Kernpunkte

    � Zentralisierung der kinder- und jugendmedizinischen Versor-gung in medizinischen Versorgungszentren vor allem im länd-lichen Raum.

    � Verbesserte Kooperation zwischen Kinderkliniken, -abteilun-gen und ambulanten Praxen, ambulante Versorgung auch inKliniken.

    � Erweitertes Angebot an Arztarbeitsplätzen im angestellten Ver-hältnis auch im ambulanten Bereich.

    � KiTa-Plätze für Kinder von Kinder- und Jugendärztinnen, da90 Prozent der derzeit weitergebildeten Kinder- und Jugend-ärzte Frauen sind.

    � Flexiblere Arbeitsverhältnisse wie Gleitzeit, Teilzeit, Praxisbe-teiligungen auch auf Halbtagsbasis.

    � Halbjährige Pflichtweiterbildung für Kinder- und Jugendärztein ambulanten Praxen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert, diese

    zentralen Forderungen umzusetzen. Dies sei eine vordringlicheAufgaben aller an der medizinischen Versorgung Beteiligten.

    Zurück zu den Polikliniken

    Eltern, die auf dem Land wohnen, müssen künftig weitereWege zum nächsten Kinder- und Jugendarzt in Kauf nehmen.Denn für eine flächendeckende pädiatrische Versorgung sei es un-umgänglich, in den Mittel- und Großstädten ärztliche Versor-gungszentren (ÄVZ) einzurichten, in denen Ärzte unterschiedli-cher Fachrichtungen gemeinsam praktizieren. Damit erfolgt eineRückbesinnung auf die Polikliniken in der ehemaligen DDR.

    Bereits jetzt verhandelt der Berufsverband mit Trägereinrich-tungen wie Patiomed bzw. Patiodoc, die solche ärztlichen Versor-gungszentren einrichten und betreiben wollen. Im Gegensatz zuden MVZ liegt der Betrieb des ÄVZ komplett in der Hand einerBetreibergesellschaft. Sie stellt das Personal an, auch die Ärzte.Diese übernehmen, wie in der niedergelassenen Praxis auch, dieambulante Versorgung. Die Gesellschaft hingegen kümmert sichum die Abrechnung und die bürokratischen Aufgaben.

    Das Modell ermöglicht vor allem jungen Kinder- und Jugend-ärztinnen, im angestellten Verhältnis auch in Teilzeit zu arbeiten.Insgesamt würde die Arbeitsgestaltung in der medizinischen Ver-sorgung dadurch flexibler. Hinzu kommt, dass viele Weiterbil-

    dungsassistentinnen ihren Lebensmittelpunkt in einer größerenStadt einrichten wollen, allein schon wegen ihrer eigenen Kinder,so eine Umfrage des BVKJ. In Mittelstädten gäbe es zudem dieMöglichkeit, an verschiedenen Tagen auch auf dem Land eineZweitpraxis einzurichten. Allerdings scheut der pädiatrischeNachwuchs den bürokratischen Aufwand und die finanziellen Ri-siken einer eigenverantwortlich geführten Praxis.

    Nachteil des ÄVZ: Die Patienten müssen weite Wege zu diesenVersorgungszentren in Kauf nehmen. Doch schon jetzt habennach ersten Gesprächen die gesetzlichen Krankenkassen signali-siert, diese Zubringerdienste zu bezahlen. Das sei, so BVKJ Präsi-dent Dr. Wolfram Hartmann, günstiger als die Versorgung durchHausbesuche. Die Zeit des Arztes sei zu teuer für Fahrten von Pa-tient zu Patient. In jedem Falle sei aber die qualifizierte medizini-sche Versorgung in der Fläche durch Kinder- und Jugendärztedurch einen Fahrdienst gesichert.

    Rückgang der Geburtenzahlen, nicht des Bedarfes

    Hintergrund dieser Reform ist unter anderem eine zuneh-mende Überalterung der niedergelassenen Kinder- und Jugend-ärzte. Hierdurch droht in den kommenden zehn Jahren eine Un-terversorgung von Kindern und Jugendlichen.

    Von derzeit rund 450 niedergelassenen Kinder- und Jugend-ärzten in Niedersachsen werden beispielsweise bis zum Jahre 2020über 250 die Altersgrenze erreichen und ausscheiden. Für eine Mi-nimalversorgung mit einem Mindestbedarf von 50 Prozent müss-ten in diesem Zeitraum mehr als hundert neue Kinder- und Ju-gendärzte gewonnen werden. Die Studie der Berlin School of Pu-blic Health sieht bei der derzeitigen Situation deutliche Schwierig-keiten, freiwerdende Praxissitze vor allem in ländlichen Regionenwieder zu besetzen. Der ehemalige Generalsekretär der DAKJ,Prof. Dr. Hans Jürgen Nentwich, warnte bei der Vorstellung derStudie auf der Bundespressekonferenz davor, den Geburtenrück-gang als Anlass zu nehmen, der ambulanten Pädiatrie keine be-sondere Aufmerksamkeit mehr zu schenken.

    Nentwich erinnerte daran, dass sich die medizinische Versor-gung von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahr-zehnten geändert hat. So habe sich die Zahl der chronisch kran-ken Kinder in den vergangenen 15 Jahren nahezu verdoppelt. Bei-spielsweise der asthma- und allergiekranken Kinder. Kinder- und

    Berufsfragen

    KINDER- UND JUGENDARZT 43. Jg. (2012) Nr. 8

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    Kinder- und Jugendärzte im Strukturwandel:

    Es mangelt an alternativen Angeboten

    Die pädiatrische Versorgung in den Flächenstaaten ist gefährdet. Kinder- und Jugendärztesind auf dem Land oft unerreichbar. Bis zu 50 km Fahrweg zur nächsten Praxis müssen Elternin Kauf nehmen.

    Nur durch einen radikalen Wandel der Strukturen lässt sich die kinder- und jugendärztliche Ver-sorgung in Zukunft auch in Flächenstaaten gewährleisten. Das ist das Fazit einer Studie der„Berlin School of Public Health“ im Auftrag der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugend-medizin. Dr. Jo Kanders

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