Zeitschrift für Konflikt- Management · 2016-07-14 · Zeitschrift für Konflikt-Management....

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Ben Jones/Jeremias Prassl Verpflichtende Außergerichtliche Vermittlungs- verfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein erster Erfahrungsbericht 36 Andreas Freundorfer/Elvira Hauska Gerichtsnahe Mediation im Arbeitsrecht Die Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien 39 Nils Pelzer Verbraucherschutz durch Schlichtung? 43 Anne-Christine Hlawaty Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationen im Arbeitsleben Teil 2 56 H. Krabbe/M. Steinwender/G. Fürst Kurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren 60 www.centrale-fuer-mediation.de Konfliktmanagement l Mediation l Verhandeln 18. Jahrgang · Heft 2/2015 · März/April · Seiten 3364 · PVSt 47561 Zeitschrift für Konflikt- Management

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Ben Jones/Jeremias PrasslVerpflichtende Außergerichtliche Vermittlungs-verfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein ersterErfahrungsbericht 36

Andreas Freundorfer/Elvira HauskaGerichtsnahe Mediation im ArbeitsrechtDie Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien 39

Nils PelzerVerbraucherschutz durch Schlichtung? 43

Anne-Christine HlawatyDiagnostik als Element der Qualitätssicherung beiMediationen im Arbeitsleben – Teil 2 56

H. Krabbe/M. Steinwender/G. FürstKurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren 60

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18. Jahrgang · Heft 2/2015 · März/April · Seiten 33–64 · PVSt 47561

Zeitschrift fürKonflikt-Management

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INHALT

EDITORIAL

Roland Proksch 35

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

Ben Jones/Jeremias PrasslVerpflichtende Außergerichtliche Vermittlungsverfahren im EnglischenArbeitsrecht: ein erster Erfahrungsbericht 36

Andreas Freundorfer/Elvira HauskaGerichtsnahe Mediation im ArbeitsrechtDie Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien 39

Nils PelzerVerbraucherschutz durch Schlichtung?„Berücksichtigung des geltenden Rechts“ nach dem geplantenVerbraucherstreitbeilegungsgesetz 43

Gunter DehrQualitäts- und Konfliktmanagement in OrganisationenZiele und Konzepte für ein betriebliches Konfliktmanagementsystem 47

Katja WindischFair und/oder gerecht? Fairnesskriterien in der Mediation 52

ARBEIT UND ORGANISATION

Ann Christine HlawatyWeniger ist mehr – Teil 2Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationen im Arbeitsleben 56

PRAXISFALL

Heiner Krabbe/Michaela Steinwender/Gert FürstKurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren – ein Praxisfall 60

REZENSIONEN

Hans Helmut BischofKlowait/Gläßer (Hrsg.): Mediationsgesetz Handkommentar 63

Georg BerkelWilliam Ury: Getting to Yes With Yourself (and Other Worthy Opponents) 63

Impressum 64IN

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ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 33

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ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201534

Redaktionsbeirat:Prof. Dr. Horst Eidenmüller LL.M., Ludwig-Maximilians-Universität MünchenProf. Dr. Ulla Gläßer LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O.Prof. Dr. Reinhard Greger, RiBGH a.D., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergDr. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt, RatingenProf. Dr. Angela Mickley, Fachhochschule PotsdamProf. Dr. Roland Proksch, ehem. Präsident der Ev. Fachhochschule NürnbergPeter Roethemeyer, Niedersächsisches Justizministerium, HannoverLis Ripke, Rechtsanwältin, Heidelberger Institut für MediationDr. Hansjörg Schwartz, Dipl.-Psych., TGKS OldenburgProf. Dr. Horst Zilleßen, MEDIATOR GmbH, Berlin

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EDITORIAL

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,mit ADR-RL EU vom 21.5.2013 über Alternative Beilegung ver-braucherrechtlicher Streitigkeiten führt die EU konsequent ihrefrüheren Maßnahmen zur Förderung außergerichtlicher Streit-beilegungsverfahren fort.ADR-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verbrauchern bei Strei-tigkeiten mit Unternehmen aus Kaufverträgen oder Dienstleis-tungsverträgen außergerichtliche Streitbeilegungsstellen (AS) zur

Verfügung stellen. Ihre Umsetzung erfordert und ermöglicht eine Förderung der Media-tion im VerbraucherbereichSeit dem 10.11.2014 gibt es zur Umsetzung der ADR-RL einenEntwurf des BMJV für ein Verbraucherstreitbeilegungsgesetz. Das VSBG soll die außerge-richtliche Streitbeilegung in Deutschland fördern (Begründung S. 42, A III, 2 a). Auch Me-diatoren könnten sich mit der Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten befassen. Die Fall-zahlen dürften gering ausfallen, meint der BMJV (Begründung, S. 40, A II, 2).Diese Skepsis des BMJV gegenüber Mediation deutet daraufhin, dass der BMJV für ASjuristische Verfahren privilegiert und sie als „vereinfachte Rechtsschutzverfahren“ konzi-piert. Dies widerspricht dem Grundgedanken der AS-RL. Sie versteht Mediation als zent-ralen Bestandteil einer nationalen ADR- Struktur.Von weiteren Kritikpunkten am RefE-VSBG seien nur zwei angesprochen:§2 Abs. 1 RefE-VSBG definiert Einrichtungen für Verfahren zur außergerichtlichen Beile-gung zivilrechtlicher Streitigkeiten als „Verbraucherschlichtungsstelle“. Schlichtung ist je-doch nur eine Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung, neben Schiedsverfah-ren und neben Mediation. Die ADR-RL fordert diese Einengung auf „Schlichtung“ nicht.In Anlehnung an §5 RefE-VSBG, der die Streit vermittelnden Personen als „Streitmittler“bezeichnet, wäre es konsequent, im VSBG durchgehend den Begriff „Streitmittlungsstel-len“ statt Schlichtungsstellen zu verwenden.Nach §5 Abs. 2 RefE-VSBG müssen Streitmittler u.a. über „allgemeine Rechtskenntnisse“verfügen, die für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten erforderlich sind. Juristenfordern, in §5 Abs. 2 RefE-VSBG sicherzustellen, dass nur Volljuristen als Einzelschlichteragieren. Der BMJV scheint dem nicht abgeneigt zu sein, wenn auf Beispiele verwiesenwird, wo Schlichter (sic!) die Befähigung zum Richteramt besitzen müssen (Begr. § 5 II,S. 55). Das fordert aber weder Art. 6 Abs. 1 a AS-RL („allgemeines Rechtsverständnis“),noch Art. 11 AS-RL (Verbraucher dürfen durch die Streitregelung nicht rechtschutzlosbleiben), noch ist dies nach §2 Abs. 6 MedG für Mediation geboten. Für befriedende au-ßergerichtliche Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten braucht es zuvörderst fun-dierte mediative Kompetenzen, wie dies der Gesetzgeber des §6 MedG richtig sieht. Me-diatoren nach MedG wie Streitmittler nach VSBG müssen aber über dieselben „Mittlungs-kompetenzen“ verfügen. Insoweit gebietet §5 Abs. 2 RefE-VSBG, die Verordnung über dieAusbildung zum zertifizierten Mediator auf den Weg zu bringen, statt sie weiter wegender Umsetzung der AS-RL „auf die lange Bank zu schieben".Ein Appell geht somit an den BMJV: Alternative Verfahren zur Beilegung verbraucher-rechtlicher Streitigkeiten nicht als „Rechtsschutz-“, sondern als „Vermittlungsverfahren“konzipieren. Kompetenzen Mediator/Streitmittler und Verfahren grundsätzlich gleich re-geln. Insoweit RefE-VSBG entsprechend überarbeiten.

Ihr

Prof. Dr. Roland ProkschEDIT

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ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 35

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Ben Jones/Jeremias Prassl

Verpflichtende Außergerichtliche Vermittlungs-verfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein ersterErfahrungsberichtIn England, Schottland und Wales wurde2014 ein obligatorisches außergerichtli-ches Vermittlungsverfahren (Early Conci-liation) eingeführt, das vor jeder Klagebeim Arbeitsgericht einzuleiten ist. Zu-ständig ist der Advisory, Conciliation andArbitration Service (ACAS), eine öffent-lich geförderte, unabhängige Einrichtung.Im folgenden Beitrag erläutern die Ver-fasser die neue Rolle von ACAS als ver-pflichtende Schlichtungsstelle für fast alleindividualarbeitsrechtlichen Streitigkei-ten. Sie beleuchten die Hintergründe,rechtliche Grundlage und tatsächlicheHandhabung des neuen Vor-Verfahrens.Auf der Basis der ersten verfügbaren In-formationen über die fast durchweg nega-tiven Auswirkungen, die außergerichtli-che Vermittlungsverfahren auf die Lösungvon Problemen am Arbeitsplatz haben,ziehen die Verfasser vorläufige Schlussfol-gerungen über den (Miss-)erfolg dieserInnovation, die gerade den sozial-schwächsten Arbeitnehmerinnen den Zu-gang zum Rechtsschutz erheblich er-schwert.

1. Einleitung

Im Zuge des strengen Sparprogramms,welches die Koalitionsregierung Großbri-tanniens im Jahr 2010 eingeführt hatte,musste auch das Justizministerium ab2014 seine Netto-Ausgaben um 23% re-duzieren.1 Eine der zentralen Optionender darauffolgenden Einsparungsstrategiewar die deutliche Senkung von Rechts-streitigkeiten, welche vor öffentlichen Ge-richten und Tribunalen geführt werden.Dies sollte durch eine Kombination vonzwei Strategien erfolgen: erstens, die Ein-führung (oder Erhöhung) von Gerichtsge-bühren, zweitens, indem potenzielle Pro-zessparteien dazu verpflichtet werden, vordem Gang zu Gericht alternative Streitbei-legungsverfahren (Alternative Dispute Re-solution – ADR) anzustreben.

Für den Großteil aller Zivilprozesse istdiese Art der Streitbeilegung privat zu ar-rangieren2 und zu einem gewissen Gradoptional3 (wenn auch mit potenziell er-heblichen Kostenstrafen oder Sanktionen,wenn Möglichkeiten zur außergerichtli-

chen Lösungnicht in vollemUmfang ergriffenwurden).4

Gleichzeitig gibtes jedoch aucheine zunehmen-de Tendenz zurBereitstellungvon alternativenStreitbeilegungs-mechanismen, die nicht nur als optionaleAlternative zum Gerichtsverfahren, son-dern als verpflichtende Vorstufe zur Ein-leitung herkömmlicher Verfahren zu se-hen sind. In diesem Artikel diskutierenwir die Einführung einer solchen gesetzli-chen Regelung in Bezug auf individuelleArbeitsstreitigkeiten. Dieses System der„obligatorischen frühen Schlichtung“ bie-tet kostenlose Schlichtungen beim briti-schen Beratungs-, Vergleichs- undSchieds-Service (Advisory, Conciliationand Arbitration Service – ACAS)5 als Vo-raussetzung für die Einleitung von Ver-fahren bei den Employment Tribunals(Arbeitsgerichten der ersten Instanz). Eswurde von der Regierung mit dem erklär-ten Ziel, die schnellere und billigere Beile-gung von Arbeitsstreitigkeiten zu errei-chen, eingeführt; vor allem in der Hoff-nung, die „falschen Erwartungen“ vonAntragstellern in Bezug auf die potenzielleStärke ihrer Forderungen zu mindern.6

In diesem Artikel versuchen wir fest-zustellen, ob diese Regelungen ihre erhoff-ten Ziele erreichen können. Dabei ist esvor allem wichtig, ihre möglichen Auswir-kungen auf den Zugang zum Rechts-schutz zu beachten. Wir schließen ausden bisherigen Erfahrungen, dass Schlich-tungsversuche durchaus von Vorteil seinkönnen, insofern einige Rechtsstreitigkei-ten, die effektiv zu geringeren Kosten ge-löst werden können, nicht mehr die tägli-che Arbeit der Employment Tribunals be-lasten. Ihre verpflichtende Einführung je-doch, vor allem im Zusammenhang mitder Einführung von erheblichen Gerichts-gebühren, hat eine relativ stark abschre-ckende Wirkung und damit einen negati-ven Einfluss auf den effektiven Rechts-schutz, insbesondere bei sozial schwa-

chen, frisch ge-kündigten Arbei-tern.7 Die ver-pflichtende Ein-führung einer fa-cilitative method,d.h. einer reinvermittelndenstatt einer eva-luierenden Me-thode, wie zum

Beispiel früher neutraler Bewertung (earlyneutral evaluation), ist daher nicht derbeste Weg, um die Reduzierung an Fall-zahlen unter gleichzeitiger Wahrung derBalance zwischen Arbeitgeber- und Ar-beitnehmerinteressen zu erreichen.

2. Die Rolle von ACAS

ACAS, wie es heute existiert, ist die neues-te Form einer Organisation, die in unter-schiedlichen Erscheinungen seit dem spä-ten 19. Jahrhundert existiert hat. Die Or-ganisation erwarb ihren heutigen Ruf undStatus vor allem durch ihre beschwichti-gende Vermittlerrolle in den massivenenglischen Arbeitskämpfen der 1970erJahre; ihre Funktionen wurden jedoch seit

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201536

Ben Jones Jeremias Prassl

1 HM Treasury, Spending Review 2010 (HMSOOct. 2010) p. 55, https://www.gov.uk/govern-ment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/203826/Spending_review_2010.pdf (letzterZugriff 14. Febr. 2015) Die tatsächliche Senkungfür das Budget-Jahr 2014-15 beträgt £ 286m.2 Mit einigen Ausnahmen, welche im letzten Ab-schnitt dieses Artikels analysiert werden.3 Per Dyson LJ in Halsey v Milton Keynes [2004]EWCA Civ 576, vgl. aber den Zwang zum Ruhendes Verfahrens in Wright v Michael Wright (Sup-plies) Ltd [2013] EWCA Civ 234.4 Per Civil Procedure Rules Practice DirectionPre-Action Conduct paras.4.1-4.6 und den Sank-tionen in Thornhill v Nationwide Metal RecyclingLtd [2011] EWCA Civ 919 und Nelson's Yard Ma-nagement [2014] EWCA] Civ 235.5 www.acas.org.uk (letzter Zugriff 14. Febr.2015).6 Department for Business, Innovation and Skills,Earl Conciliation, Final Impact Assessment (Febr.2014) paras. 16-17, https://www.gov.uk/govern-ment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/284042/bis-14-585-early-conciliation-im-pact-final.pdf (letzter Zugriff 14. Febr. 2015).7 Im Interesse des Leseflusses wird auf eine gen-dergerechte Schreibweise verzichtet; soweit bei per-sonenbezogenen Bezeichnungen nur der generischeMaskulin angeführt wird, sind Männer und Frauenin gleicher Weise gemeint.

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damals regelmäßig von weiteren gesetzli-chen Bestimmungen entwickelt und er-gänzt. Trotz (oder vielleicht gerade we-gen) ihrer fehlenden Jurisdiktionsgewalt(abgesehen von eingeschränkten Mög-lichkeiten, einvernehmliche Schiedsver-fahren durchzuführen) hat ACAS einezentrale Rolle sowohl in kollektiven alsauch in individuellen Auseinandersetzun-gen in den letzten fünfzig Jahren gespielt.

Offiziell gilt das ACAS als ein Organdes Employment Tribunal Systems, ob-wohl seine Aktivitäten wesentlich vielfälti-ger sind. Im Gegensatz zum Tribunal Ser-vice ist ACAS nämlich eine quasi-autono-me Körperschaft des öffentlichen Rechts,die unabhängig von der Regierung ope-riert. Während das ACAS seinen heutigenNamen und seine gesetzliche Grundlageseit 1974 besitzt, geht sein eigentlicher Ur-sprung bis wesentlich vor der Gründungder Industrial Tribunals im Jahre 1971 zu-rück: Unter verschiedenen Namen habendiverse Vorläufer seit 1896 freiwilligeSchlichtung angeboten.

Zusätzlich zu seiner historischenHauptfunktion als Vermittlerin in kollek-tiven Arbeitsstreitigkeiten trägt ACAS ei-ne Reihe von weiteren gesetzlichen Pflich-ten, welche allesamt auf seiner „allgemei-nen Verpflichtung“, die Verbesserung derArbeitsbeziehungen zu fördern, auf-

bauen.8 Dazu gehören die Beratung vonArbeitgebern, Gewerkschaften, und Ar-beitnehmern; die Leitung von Untersu-chungen zu allgemeinen oder speziellenThemen im Bereich der Arbeitsbeziehun-gen; das Angebot eines kostenlosenSchiedsverfahrens für potenziell unge-rechtfertigte Entlassungen, und die Schaf-fung von sogenannten Best-Practice-Codesfür den Umgang mit individuellen sowiekollektiven Arbeitsproblemen (wie zumBeispiel mit Disziplinarfragen und ande-ren Beschwerden).9

Trotz dieses breiten Portfolios anFunktionen besteht die primäre Funktionvon ACAS jedoch weiterhin in derSchlichtung von Arbeitskonflikten. DerService beschäftigt ein Team von rund300 bis 400 in Vollzeit tätigen Vermitt-lern10 sowie zusätzlich 200 bis 300 telefon-ischen Beratern, welche bei Anruf einer'hotline' informelle Informationen undBeratung über Schlichtungsmöglichkeitensowie gerichtliche Verfahren anbieten.11

3. Die Einführung der Vermittlungs-pflicht

Weil ACAS diese breite Expertise und Ka-pazitäten für die Handhabung sowohl kol-lektiver als auch individueller Streitigkei-ten besitzt, wurde die Organisation zurAdministration eines neuen Systems derobligatorischen frühen Vergleichsverfah-ren nach §7 des Enterprise and RegulatoryReform Act 2013 verpflichtet. Dieses Sys-tem baut auf den bisherigen Bestimmun-gen des Employment Act 2002 auf, welchedie Verschiebung von bereits anhängigenVerfahren erlauben, um das Ergebnis desVermittlungsverfahrens abzuwarten.

Dieses neue, obligatorische Systemtrat am 6. April 2014 in Kraft und ist nun-mehr der erste Verfahrensschritt für jedenAnspruch vor einem Employment Tribu-nal (dem primären Ort für die Lösung in-dividueller Arbeitsrechtsprobleme). Nurnoch wenige Forderungen können ohnesolche Verhandlungen vorgebracht wer-den. Dabei handelt es sich um folgendeFälle:

k die Forderung ist eine gemeinsameForderung mehrerer Arbeitnehmer,und eine der anderen beteiligten Par-teien hat bereits eine fehlgeschlagenefrühe Schlichtung erlebt;

k die Arbeitgeberin hatte ACAS bereitseingeschaltet, ohne dass jedoch eine Ei-nigung erreicht wurde;

k die Mitarbeiterin versucht, eine einst-weilige Anordnung nach einer angeb-lich ungerechtfertigten Entlassung zuerwirken;

k Gegenstand des Verfahrens ist eineKlage, die in keinem Zusammenhangmit dem Zuständigkeitsbereich vonACAS steht;

k es handelt sich um eine Klage gegen ei-nen Arm des britischen Geheimdiens-tes, wie zum Beispiel den Secret Intelli-gence Service oder die GovernmentCommunications Headquarters(GCHQ).12

4. Das Verfahren

Potenzielle Kläger müssen zunächst (mitUnterstützung durch die ACAS-Hotline)ein „Early Conciliation Notification Form“ausfüllen.13 Nach Erhalt dieses Formularsernennt ACAS einen Schlichter, welcherden Arbeitgeber (oder ehemaligen Arbeit-geber) per Telefon kontaktiert, um denInhalt der Beschwerde zu erklären. Darauffolgt eine Periode (in der Regel von bis zueinem Monat, potenziell länger und häu-fig kürzer) in welcher der Schlichter alsneutraler, unparteiischer, „Shuttle-Diplo-mat“ zwischen den Parteien verhandelt.Der Schlichter sollte einzelne Parteien ei-gentlich nicht über ihre Rechtsstellung be-raten; in der Praxis gibt es jedoch einigeAnhaltspunkte dafür, dass sie gelegentlichaußerhalb ihres Aufgabenbereichs agierenund die Parteien über die Stärken undSchwächen des Anspruchs der Arbeitneh-mer beraten.14

Wenn die Conciliation zu einerSchlichtungsvereinbarung führt, hatACAS die Möglichkeit, eine besondereForm von Vergleich, genannt „COT3“,15

zu genehmigen. Im Rahmen dieser Ver-einbarung, welche in Kraft tritt, sobaldsich die Parteien durch den Schlichter aufalle Bedingungen geeinigt haben (egal obmündlich oder schriftlich), verzichtet derpotenzielle Antragsteller offiziell auf ihregesetzlichen Rechte, Klage zu erheben.16

Eine dennoch versuchte Antragstellungwürde von den Gerichten für unzulässigbefunden werden. Als Gegenleistung fürden Verzicht auf dieses Recht bietet dasCOT3 dem Antragsteller den Vorteil einergesicherten Lösung, die nicht nur wie einVertrag wirkt, sondern wie das Urteil ei-nes Employment Tribunals vollstreckbarist.

Dies hat den wesentlichen Vorteil,dass (ehemalige) Mitarbeiter kein Verfah-ren wegen Vertragsverletzung anstrebenmüssen, wenn der Arbeitgeber das Ab-kommen nicht einhält (was bei den meis-ten anderen Formen der außergerichtli-chen Einigung erforderlich wäre). Siekönnen stattdessen die direkte Vollstre-ckung der außergerichtlichen Vereinba-rung durchsetzen. Dies ist von besonderer

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 37

8 Trade Union and Labour Relations (Consolida-tion) Act 1992, s.209.9 Ebd. s.199. Diese Codes sind verfügbar unterhttp://www.acas.org.uk/index.aspx?articleid=1878und eigen von ihnen erlaubt den Gerichten, diePreise bis zu 25% anzupassen (ebd. s.207A).10 Die im Gesetz erwähnt werden, siehe ebd.,s.211.11 Nach Schätzungen des Department for Busi-ness, Innovation and Skills, Workforce ManagementInformation (Sept. 2014) http://data.gov.uk/data-set/workforce-management-information-bis/re-source/abcda2d2-5e94-475d-8adc-a3befe9153a0(letzter Zugriff 15. Febr. 2015) und der ACAS, An-zahl der Nachwuchsmitarbeiter und Tarife 30/09/2012 http://www.acas.org.uk/media/csv/k/6/ACAS_-_07Nov2012-Junior-data.csv (letzter Zu-griff 15. Febr. 2015).12 Diese Ausnahmen sind angelegt in Regulation3(1) of SI 254/2014.13 Über die zentrale Website: ec.acas.org.uk (letz-ter Zugriff 15. Febr. 2015).14 C.f. Charles Price, „Acas early conciliationform changes and slanted market research“ (TheEmployment Law Blog, 15. Jan. 2015) http://em-ploymentlawuk.blogspot.co.uk/2015/01/acas-ear-ly-conciliation-form-changes.html (letzter Zugriff15. Febr. 2015).15 Eine spezielle Form der gesetzlich anerkanntenAbmachung durchsetzbar sowohl als Vertrag alsauch, weniger beschwerlich, durch ein beschleunig-tes Verfahren, als wäre der Inhalt ein Beschluss desGerichts. Tribunals, Court and Enforcement Act2007 s.142.16 Eine Hardcopy der Abmachung wird den Par-teien durch ACAS zur wechselseitigen Unterschriftzugesandt, der Vertrag kommt allerdings bereitsmit der Annahme der vom Schlichter vorgeschlage-nen Bestimmungen zustande.

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Bedeutung, da die meisten Mitarbeiternicht auf die Unterstützung eines rechtli-chen Vertreters zählen können und Eini-gungen oft schlecht ausgearbeitet odergar zu Gunsten des Arbeitgebers verzerrtsind.

Falls die Schlichtung scheitert, stelltACAS eine Bescheinigung über den Ver-such, eine frühe Schlichtung zu erzielen,an den Arbeitnehmer aus. Diese Beschei-nigung enthält eine Kennzahl, welchedann auf dem Antragsformular (ET1) fürVerfahren vor dem Employment Tribunalangegeben werden muss. Jeglicher Ver-such, ein ET1-Verfahren ohne die Einbe-ziehung einer solchen Bescheinigungs-nummer zu beginnen, wird vom Gerichtnicht bearbeitet.

Darüber hinaus beginnen die relevan-ten Fristen wieder zu laufen, sobald einsolches Zertifikat ausgestellt worden ist.Es kann daher passieren, dass Antragstel-ler, die kurz vor dem Ende der 3-monati-gen Verjährungsfrist waren, als dieSchlichtung begann, keine Zeit mehr ha-ben, um ein Verfahren einzuleiten. Auchfür Antragsteller, welche ihre Schlichtungprompt beginnen, besteht die reale Ge-fahr, die Frist zu versäumen. Die Berech-nung des Schlusstermins für die Verjäh-rung ist eine relativ komplizierte Aufgabe,mit der unvermeidlichen Folge, dass esoft mehrere Vorverhandlungen benötigt,um festzustellen, ob das Verfahren recht-zeitig eingebracht worden war.17

Bevor wir nunmehr mit der Bewer-tung der Auswirkungen des neuen Sys-tems beginnen können, ist es erwähnens-wert, dass es eine bedeutende Ausnahmeim soeben beschriebenen Regime gibt.Während Schlichtung heute ein wichtigerTeil am Anfang eines Tribunal-Verfah-rens ist, gibt es kein obligatorisches oderoffiziell angebotenes pre-action Verfahrenfür Prozesse vor den herkömmlichen Zi-vilgerichten. Die Zuständigkeit der Zivil-gerichte in Arbeitsrechtsfragen ist heutestark eingeschränkt (da die Gerichte be-müht sind, es Antragstellern nicht zu er-möglichen, gesetzliche Regelungen durchdas common law zu umgehen, insbeson-dere im Fall von ungerechtfertigter Ent-lassung). Einige Forderungen (vor allemVertragsverletzungen außerhalb des Kon-texts der einseitigen Kündigung)18 kön-nen jedoch immer noch beim CountyCourt oder High Court eingebracht wer-den (je nach Wert und Komplexität ein-zelner Forderungen), ohne vorherSchlichtung zu versuchen.19

Vorläufige Schlussfolgerungen

Seitdem sie zur ersten offiziellen Phase inarbeitsrechtlichen Verfahren wurde, istdie ACAS early conciliation rasch zumwichtigsten Mechanismus in individuel-len Arbeitsklagen geworden. Trotz 6.000bis 7.000 neuer Fälle pro Monat (ACAS'eigenen Zahlen zufolge weigerten sich we-niger als 10% der Kläger, den Dienst inAnspruch zu nehmen), gibt es jedoch bis-lang nur begrenzte Daten über die Durch-führung und die Ergebnisse der neuen Re-gelung.20

Von den 37.407 Rückmeldungen imLaufe der ersten sechs Monate kam diegroße Mehrheit von Arbeitnehmern (mit36.162 Meldungen), während nur 1.242Meldungen von Arbeitgebern erstattetwurden. Von all diesen Fällen wurde nurin rund 18% eine formelle Lösung durchdie Ausstellung eines COT3-Zertifikats er-reicht. Weitere 58% der Streitfälle ende-ten ohne Schlichtung, führten aber den-noch nicht zu einem Prozess vor dem Em-ployment Tribunal. Nur 24% der Forde-rungen, die ursprünglich bei ACAS be-gonnen hatten, endeten tatsächlich inProzessen.

Von ACAS in der Vergangenheit inAuftrag gegebene Studien haben eine Rei-he von praktischen Faktoren identifiziert,welche das Erzielen von Kompromisslö-sungen behindern.21 Dazu gehörtenSchwierigkeiten, mit dem zugeordnetenSchlichter in Kontakt zu treten, unzurei-chende emotionale Unterstützung derKlienten, der Bedarf an zusätzlicher Un-terstützung bei sozial schwächeren Ar-beitnehmer, wie beispielsweise solche mitunzureichenden Sprachkenntnissen, undnicht zuletzt die teils unzureichenden

oder gar widersprüchlichen Ratschlägeüber den Verlauf von Prozessen vor dentribunals.22 Es ist bemerkenswert, dasstrotz der erheblichen Mehrbelastung vonACAS durch die neu vorgeschriebene Be-reitstellung von Schlichtungsberatung füralle Prozessparteien keinerlei Erhöhungan Finanzierungsmitteln vorgesehen ist,um es dem Service zu ermöglichen, dieseneuen Anforderungen zu erfüllen.

Selbst wenn es mit den aktuell vor-handenen Daten nicht möglich ist, dieAuswirkungen einer Reihe von arbeits-rechtlichen Reformen der derzeitigenKoalitionsregierung genau zu identifizie-ren, zeichnet sich ein negatives Bild sehrdeutlich ab. Die Tatsache, dass nur 24%der ursprünglichen Klagen vor Gerichtverhandelt werden (und nur 18% der frü-hen Vermittlungsverfahren zu einer ein-vernehmlichen Lösung kommen), istnicht das Ergebnis einer besseren Ein-schätzung der Positionen potenziellerKläger. Stattdessen handelt es sich haupt-sächlich um die Auswirkung neuer Ge-bühren von £ 250, die zusätzlich zu einerweiteren Verfahrensgebühr von £ 950 voreiner Entscheidung des Rechtsstreits zuentrichten sind.23 Der Beweis, dass dieletztere, finanzielle Hürde für den Rück-gang der Verfahrenszahlen ursächlich ist,findet sich darin, dass es zwischen demdritten Quartal 2013 und dem drittenQuartal 2014 keine wesentlichen Ände-rungen in der durchschnittlichen Erfolgs-quote von neuen Klagen gab,24 während

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201538

over£100k

under£100k

Supreme Court

Court of Appeal

Employment AppealTribunal The High Court

EmploymentTribunal County Court

Claimant

Initiate Claim

Route of Appeal

ACAS

Abb.: Gerichts- und Schlichtungssystemim Vereinigten Königreich

17 Gisda Cyf v Barratt [2010] UKSC 41; J. Prassl,„Interpreting Employment Protective Legislation:Gisda Cyf v Barratt“ (2011) 40 Industrial Law Jour-nal 103.18 C.f. Johnson v Unisys Ltd [2003] 1 AC 518(HL); Edwards v Chesterfield Royal Hospital NHSFoundation Trust [2011] UKSC 58.19 Aber wenn ein Anspruchsteller nicht in derLage ist, zu erklären, werhalb er dem ADR-Verfah-ren nicht zustimmt, kann dies zu Kostensantionennach den oben beschriebenen allgemeinen zivilpro-zessrechtlichen ADR-Regeln führen, s. Fn. 3.20 ACAS, „Early Conciliation Update: April bisSept. 2014“ (19 Nov. 2014) http://www.acas.org.uk/index.aspx?articleid=5069 (letzter Zugriff 12.Febr. 2015).21 ACAS, Forschungsbericht: Why Pre-ClaimConciliation referrals become Employment Tribu-nal Claims (August 2012) http://www.acas.org.uk/media/pdf/e/7/Why-Pre-Claim-Conciliation-refer-rals-become-Employment-Tribunal-claims-accessib-le-version.pdf.22 Ebda.23 Einschließlich Kündigungs- und Diskriminie-rungsverfahren (einfachere Fälle, wie bspw. nichtbezahlte Löhne kosten lediglich £ 160, zzgl. einerProzessgebühr i.H.v. £ 230).24 Daniel Boffrey, „Concern over „tax on justice“for employees sparks coalition clash“ (The Guardi-an, 15. Febr. 2015), http://www.theguardian.com/money/2015/feb/14/employment-tribunals-slump-fees-vince-cable (letzter Zugriff 15. Febr.2015).

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die Zahl an Verfahren im gleichen Zeit-raum ummehr als 60% sank.25

Eine zweite und wesentlich plausiblereErklärung ist daher, dass die Erhebungvon hohen Gebühren viele Arbeitnehmer,die die Summe von mehr als tausendPfund nicht zahlen können oder wollen,davon abschreckt, Klagen zu erheben. Derkleine Prozentsatz an Fällen, welche vonACAS gelöst werden können, stellt eineMischung aus den stärksten undschwächsten Ansprüchen dar, insofern alsArbeitgeber in diesen Situationen amehesten versuchen, die Kosten für dieVorbereitung eines vollen Prozesses zuvermeiden. Dass der Rest der Fälle nichtmehr oder weniger Aussicht auf Erfolgaufweist als zuvor, ist insofern nicht über-raschend, als die Reformen nicht dazudienen, Kläger mit neuemWissen oder ei-

nem Verständnis für die Erfolgsaussich-ten ihrer Ansprüche auszustatten.

Die unvermeidliche Asymmetrie zwi-schen Arbeitgebern und Arbeitnehmernwurde durch die Einführung neuer Ge-bühren erheblich verstärkt. Die neuenMechanismen zur Zwangsschlichtungverschärfen diese Waffenungleichheitweiter. Für einen skrupellose Arbeitgeberexistiert nunmehr eine klare Strategie,Verhandlungen bei ACAS so lange wiemöglich hinaus zu zögern, um die be-grenzten finanziellen Ressourcen der Ar-beitnehmer zu erschöpfen. Erste Anzei-chen deuten in der Tat darauf hin, dass esvor allem die sozial schwächsten Klägersind, welche überproportional von fairenGerichtsprozessen abgehalten werden.26

Conclusio

Es ist höchst fragwürdig, ob die Einfüh-rung von verpflichtenden außergerichtli-chen Vermittlungsverfahren im engli-schen Arbeitsrecht als eine positive Re-form gesehen werden kann. Während dieKosten der Employment Tribunals für dieöffentlichen Finanzen sich etwas verrin-gert haben, scheint es sehr wahrschein-

lich, dass dies vor allem durch die Einfüh-rung von Gebühren beeinflusst wurde.

Angesichts der potenziellen Erfolgevon ADR ist dies bedauerlich. Die in die-sem Artikel umrissene Entwicklung derArbeitsgerichtsbarkeit im Laufe der letz-ten Jahre ist daher mehr als alles andereein Mahnmal für das klare Versagen vonschlecht entworfenen Mediationsmecha-nismen für alle Seiten. Wie die Erfahrun-gen in anderen Bereichen gezeigt haben,ist dies jedoch keine unvermeidliche Kon-sequenz;27 mit den bevorstehenden Wah-len im Mai 2015 besteht durchaus dieHoffnung auf baldige Verbesserungen.

Dr. Ben JonesRetained Lecturer in Law, Pembroke Col-lege, University of Oxford. M.A., M.Phil(Cantab), D.Phil (Oxon)[email protected]

Professor Jeremias PrasslAssociate Professor of Law, MagdalenCollege and Faculty Law, and ResearchFellow, Institute for European and Com-parative Law, University of Oxford. M.A.,M.St. D.Phil, (Oxon), L.L.M. (Harvard)[email protected]

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 39

Andreas Freundorfer/Elvira Hauska

Gerichtsnahe Mediation im ArbeitsrechtDie Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien

Die Vernetzungvon Mediationund Gericht istein wesentlicherBaustein der in-stitutionalisier-ten Konfliktbear-beitung. DieserBeitrag fasst dieErkenntnisse ei-nes bislang drei-jährigen Projektsgerichtsnaher Mediation am Arbeits- undSozialgericht Wien zusammen.

A. Vernetzung von Gericht undMediation

Seit der Zeit, in der sich Mediation als Be-ruf etablierte, gibt es Bestrebungen, Ge-richte und Mediation miteinander zu ver-

netzen. Parteienbringen nurdann einen Kon-flikt vor Gericht,wenn sie selbstnicht mehr inder Lage sind,diesen allein zulösen. Durch dieEinbindung vonMediation in Ge-richtsverfahren

eröffnet sich den Beteiligten eine zusätzli-che Wahlmöglichkeit. In geeigneten Fäl-len können sie dadurch ihren Konfliktmit Unterstützung von externen Mediato-ren wieder selbst bearbeiten. Dieser Arti-kel beschreibt die Eckpunkte des Projektsgerichtsnahe Mediation am Arbeits- undSozialgericht (ASG) Wien, in dem Richtergemeinsam mit Mediatoren seit 2011 aneiner gezielten Vernetzung arbeiten. DieProjektinitiatoren konnten bereits bei der

Anbahnung auf das Erfahrungswissen auseinem vergleichbaren Projekt des Vereinsfür gerichtsnahe Mediation VMG im Rah-men des Handelsgerichts Wien zurück-greifen.1

1. Das ASG Wien hat in Österreich eineSonderstellung. Als einziges Gerichtentscheidet es ausschließlich überstrittige Verfahren in arbeits- und so-zialrechtlichen Fällen im BundeslandWien. Dies umfasst speziell folgendeRechtsstreitigkeiten:

2. Individualarbeitsrechtssachen, wie z.B. strittige Fragen zwischen Arbeit-nehmer und Arbeitgeber in Zusam-menhang mit dem Arbeitsverhältnisoder dessen Anbahnung

3. Betriebsverfassungsrechtliche Agen-den, wie z.B. Streitigkeiten über denInhalt und den Umfang der Mitwir-kungsrechte der Belegschaft und de-ren Vertretung durch den Betriebsrat

Andreas Freundorfer Elvira Hauska

25 Ministry of Justice, „Tribunal and Gender Re-cognition Certificate Statistics Quarterly July toSept. 2014“ (MoJ 11. Dec. 2014) p. 7 https://www.gov.uk/government/uploads/system/up-loads/attachment_data/file/385759/tribunal-grc-statistics-quarterly-jul-sep-2014.pdf (letzter Zugriff15. Febr. 2015).26 Ebda.27 Zu Alternativen in anderen Bereichen siehe z.B.Child And Families, Act 2014 s.10.

1 Pramhofer, ZKM 2014, 79.

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4. Sozialrechtsfälle, wie z.B. Klagen wegenSozialversicherungs- und Pflegegeld-leistungen.Im Jahr 2012 erledigten 42 Richterin-

nen und Richter des ASG 6.171 Arbeits-rechts- und 10.552 Sozialrechtsfälle. Invielen der anhängigen Fälle werden dieArbeitnehmer (meist als Kläger) durchdie Arbeiterkammer bzw. Gewerkschaftvertreten oder erhalten Rechtsschutzdurch diese Institutionen mit Beistellungeines Rechtsanwaltes. Die Projektgruppeder Mediatoren bestand 2014 aus folgen-den Personen: Herbert Drexler, ElviraHauska, Michael Kowarik, StephanProksch und Barbara Wurz.

B. Auswahl und Typologie derMediationsfälle

In ersten Vorgesprächen zu dem Projektstimmten die Mediatoren des Projekt-teams und die Richter des ASG Wienmögliche Falltypen ab, die sich für Media-tion eignen können. Fälle aus dem Sozial-recht wurden dabei grundsätzlich ausge-nommen, da hier beide Seiten kaum An-wendungsmöglichkeiten für die Media-tion sahen. Im Bereich des Arbeitsrechtsgab es einige Anwendungsfelder, die dasTeam der Mediatoren am Beginn des Pro-jekts der Richterschaft im Zuge einesKick-off Termins im November 2011 zurDiskussion stellte. Die wichtigsten Punktedabei waren:

k Gemeinsame Interessen über das Ge-richtsverfahren hinaus, wie z.B. Erhal-tung des Dienstverhältnisses

k Vielschichtiger Konflikt mit einer lan-gen erwarteten Verfahrensdauer vorGericht

k Vermeidung eines Imageschadens fürdas UnternehmenIn der Praxis der mittlerweile dreijäh-

rigen Projektzeit bis Ende 2014 schlugen12 Richterinnen und Richter des ASGWien in 24 Fällen Mediation vor. Dabeiist zu erwähnen, dass ein Richter drei Malmehrere Gerichtsverfahren in einen Me-diationsfall zusammenfasste. Einer dieserFälle betraf die Auflösung eines Trans-portunternehmens. Hier einigten sich dieBeteiligten in einemMediationsverfahren,das 18 Gerichtsverfahren beendete.2 Ausden 24 Vorschlägen entstanden 16 Media-tionen. In vier Fällen fanden die Parteienbereits in der Gerichtsverhandlung, in derüber die Mediation beraten wurde, eineLösung. Vier Mal lehnten die Parteien ei-ne Mediation im Gerichtsverfahren ab,wobei in einem Fall nach dem abgeschlos-senen Gerichtsverfahren eine Mediationstattfand, siehe Abbildung.

Fallstatistik ASG 2011-2014

24 Vorschlägevon Richtern

16 Mediationsfälle

4EinigungderParteienbeiderVorstellung der Mediationoder unmittelbar danach

4 Verbleib am Gericht ohneMediation

In den meisten Fällen waren dieHauptargumente der Medianten für dieMediation eine rasche und kostengünstigeLösung bestehender Konflikte, sowie dieMöglichkeit, alternative Themen in dieKonfliktbearbeitung mit aufzunehmen.Wären die Verfahren weiterhin aus-schließlich bei Gericht verhandelt worden,wäre ein rechtskräftiges und damit end-gültiges Urteil in vielen Fällen erst inmehreren Jahren absehbar gewesen. Einnicht zu unterschätzendes Argument imArbeitsbereich ist die Zeugeneinvernah-me. In mehreren Fällen wären in einemGerichtsverfahren prominente Kundenals Zeugen vorgeladen worden. Dies hättein diesen Situationen zu einem deutlichenImageverlust des Unternehmens führenkönnen.

Die Mediationsfälle aus der Praxis las-sen sich in vier unterschiedliche Falltypo-logien klassifizieren.

I. Fälle mit Beteiligung vonBetriebsräten

Konflikte zwischen Arbeitgeber bzw. Füh-rungskräften und Arbeitnehmervertre-tern in einem Unternehmen haben einenspeziellen Stellenwert. Sie betreffen so-wohl individuelle als auch kollektive Inte-ressen. In vielen Fällen hängt auch diewirtschaftliche Situation eines Arbeitge-bers von der Zusammenarbeitsfähigkeitmit seinen Betriebsräten ab. Dies ist vorallem in finanziell schwierigen Zeiten vongroßer Bedeutung, wenn es um die Pla-nung und Umsetzung von gravierendenVeränderungen geht. Natürlich gibt esvielfältige rechtliche Bestimmungen. Den-noch kann eine gute Gesprächsbasis zwi-schen Betriebsrat und Geschäftsführungnicht eingeklagt werden. In einem Media-tionsverfahren können die Beteiligten diesdurchaus als Ziel formulieren. Daher istMediation auch bei bereits gerichtsanhän-gigen Verfahren dieser Art immer einesinnvolle Alternative. In vielen Fällen warhier auch die zuständige Gewerkschaft be-reit, einen Kostenbeitrag für die Media-tion zu übernehmen.

Die konkreten gerichtsanhängigenSachverhalte der Fälle dieses Typs warensehr unterschiedlich. In zwei Fällen klag-

ten Betriebsräte den Zugang zu relevantenInformationen im Personalbereich ein. Ineinem Fall war dies kombiniert mit einerzweiten Klage in Bezug auf die Umset-zung einer neuen kollektivvertraglichenRegelung einer Nachtdienstzulage.3 EinFall bestand aus mehreren Kündigungs-anfechtungsklagen von unterschiedlichenDienstnehmern4 und einmal bekämpfteder Betriebsrat eine Veränderung der Ar-beitszeitregelung vor Gericht. Ein Media-tionsverfahren in dem Bereich befasstesich mit den Konflikten von acht unter-schiedlichen Gerichtsverfahren, die ihrenAusgang mit der Wahlanfechtung des neukonstituierten Betriebsrats durch die Ge-schäftsführung nahm. Eine Mediationbeinhaltete Streitigkeiten zwischen unter-schiedlichen Betriebsratsfraktionen.

II. Fälle im Zuge von Beendigungenvon Dienstverhältnissen

Werden Dienstverhältnisse ohne Einver-nehmen beendet, so treten hier Konflikteans Tageslicht, die oft bereits lange vor ei-ner Trennung aufgetreten sind. Im Zugeeines Gerichtsverfahrens werden diesezum Gegenstand des Prozesses. Die Kla-gen kamen in diesen Fällen immer vomDienstnehmer. Sie bezogen sich beispiels-weise auf die Anfechtung der Kündigungbzw. der Entlassung an sich, der Auszah-lung von offenen Überstunden oder dieFormulierung von Dienstzeugnissen.Auch Klagen hinsichtlich Mobbing bzw.sexueller Belästigung waren Sachverhaltein der Mediation. Die typische und oftauftretende Fallkonstellation der Ent-scheidung über den Anspruch auf eineKündigungsentschädigung wurde nie inein Mediationsverfahren übergeleitet.

III. Fälle durch unerwünschte Verset-zungen von Dienstnehmern

Die Klagen aufgrund von Veränderungenvon Aufgaben- und Verantwortungsge-bieten von Dienstnehmern eignen sich in-sofern gut für die Mediation, weil in die-sen Fällen das Dienstverhältnis aufrechtbleibt. Sie kann Rahmenbedingungen klä-ren, um für die Zukunft eine gute Basisder weiteren Zusammenarbeit zwischenArbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaf-fen. Auch in diesem Sachverhalt wirddeutlich, dass die ungeliebte Versetzung

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201540

2 Proksch/Drexler, ZKM 2013, 159.3 Hauska/Kaiser/Buchebner, Personal Manager1/2015, http://www.elvira-hauska.at/downloads/PersonalManager1_2015MediationversusRecht-sprechung.pdf.4 Hauska/Freundorfer, Österreichische Richterzei-tung, 2014, 112.

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meist durch unterschiedliche Gründe ver-ursacht wird, die in einer reinen Rechts-klärung nicht behandelt werden können.In der Mediation ist es auch möglich,neue akzeptierte Betätigungsfelder fürden betroffenen Mitarbeiter zu suchen. Indem Fall kann eine gute Neueingliederungin den Betrieb erfolgen.

IV. Streitigkeiten zwischen Unter-nehmen bzw. Gesellschafts-streitigkeiten

In ausgewählten Fällen ist das ASG Wienauch zuständig für gesellschaftsrechtlicheStreitigkeiten, wenn diese in Zusammen-hang mit einem Arbeitsverhältnis stehen.Dies kommt zum Beispiel vor, wenn einangestellter Geschäftsführer einer Gesell-schaft mit beschränkter Haftung entlassenwird, der gleichzeitig Minderheitsgesell-schafter ist. Die gesellschaftsrechtlichenStreitigkeiten können aber auch am Han-delsgericht geführt werden, manchmalparallel zum Arbeitsrechtsprozess amASG. Die komplexe Themenlage arbeits-rechtlicher und gesellschaftsrechtlicherAnsprüche und der damit korrespondie-renden wirtschaftlichen Interessen machtin solchen Fällen eine Mediation beson-ders sinnvoll.

C. Fallüberleitungen von Gericht indie Mediation und zurück

In der Regel strebt zumindest eine Kon-fliktpartei das Gerichtsverfahren – undkeine Mediation – an. Daher hängt derErfolg, ob sich ein als geeignet erachteterGerichtsfall in eine Mediation überführenlässt, auch von der Art der Anbahnungab.

I. Das Mediations-Informations-gespräch vor Gericht

Ein erster Anhaltspunkt dafür, ob das ge-lingen kann, ist die Bereitschaft der Par-teien zu einem Mediations-Informations-gespräch im Rahmen eines Gerichtster-mins. In diesem Fall besteht eine grund-sätzliche Offenheit der Parteien, die Me-thode der Mediation auch für ihren Kon-flikt zu nutzen. Mediatoren aus dem Pro-jektteam stellen im Rahmen des Gerichts-termins je nach Bedarf das Mediations-verfahren an sich vor und stehen für kon-krete Fragen zur Verfügung. Der Ablaufdes Informationsgesprächs hat einen rich-tungsweisenden Charakter, ob sich dieKonfliktparteien auf ein Mediationsver-

fahren einigen können. Im Jahr 2012wollten in drei Fällen die Parteien auchnach dem Mediations-Informationsge-spräch statt der Mediation das Gerichts-verfahren unmittelbar fortführen. 2014hingegen entstand aus allen Mediations-Informationsgesprächen bei Gericht auchein Mediationsverfahren, außer die Par-teien einigten sich bereits im Zuge dieserVorgespräche und beendeten somit auchdas Gerichtsverfahren. Die wichtigstenLernerfahrungen aus diesen drei JahrenProjektarbeit am ASGWien waren folgen-de:

k Die zum Mediations-Informationsge-spräch eingeladenen Mediatoren sindnatürlich vor Gericht gefordert, auchihre mediativen Kenntnisse direkt un-ter Beweis zu stellen. In diesem Zu-sammenhang ist es ein Zeichen ihrerProfessionalität, dass sie beim Auftre-ten inhaltlicher Streitgespräche ein-greifen. Das Ziel des Erstgesprächs vorGericht ist die Klärung, ob eine Media-tion sinnvoll ist und nicht die Lösungdes Ursprungskonflikts. Diesen Unter-schied gilt es zu verdeutlichen.

k Menschen, die im Zuge eines Gerichts-termins Informationen zur Mediationeinholen, wollen im Zuge dessen klä-ren, ob diese Methode auch für sie an-wendbar ist. Üblicherweise will derKläger, manchmal auch der Beklagtenach dem Termin noch Bedenkzeit da-zu. Daher bewährte sich die Vorge-hensweise von Vorgesprächen im Ein-zelsetting. Hier müssen sich die Par-teien noch nicht vor Gericht darauf ei-nigen, ob und unter welchen Rahmen-bedingungen eine Mediation stattfin-det. Diese Fragen werden im Zuge vonaußergerichtlichen Einzelgesprächendiskutiert und entschieden. Die be-schriebene Vorgehensweise hat zweipositive Effekte. Sie nimmt den unmit-telbaren Entscheidungsdruck und ver-legt ihn auf einen absehbaren Terminin der Zukunft. Außerdem versetzt esdie Parteien in die Lage, dass sie sichum die Mediation bewerben müssen.Es ist ein wichtiger Punkt, in den Ge-sprächen darauf hinzuweisen, dassauch die Mediatoren im Zuge der Vor-gespräche zur Meinung kommen kön-nen, dass sich eine Mediation im kon-kreten Fall nicht eignet.

k Entgegen der weitläufigen Auffassung,dass ein Mediationsverfahren jeden-falls alle betroffenen Gerichtsverfahrenunterbrechen muss, können im Einzel-fall davon auch Ausnahmen gemachtwerden. So können bestimmte Sach-verhalte eines Falles weiterhin vor Ge-richt verhandelt werden, wohingegen

andere in eine Mediation überführtwerden. Auch wenn es kurzfristig an-gesetzte Gerichtstermine zu einem inder Mediation besprochen Sachverhaltgibt, kann eine Mediation sinnvollsein. Es entsteht dadurch ein Eini-gungsdruck für die Medianten, um biszu dem angesetzten Gerichtstermineinvernehmlich eine Lösung für einTeilproblem zu finden. In diesem Fallkann um eine Verschiebung oder Stor-nierung des Gerichtstermins angesuchtwerden. Dies hat sich besonders in denFällen von unmittelbarem Handlungs-bedarf bewährt, wie beispielsweise derEinsichtnahme der Betriebsräte in per-sonalrelevante Dokumente.

II. ,Innehalten' des Gerichts-verfahrens

Einigen sich die Parteien auf eine Media-tion oder auf Vorgespräche zur Media-tion, so hat dies üblicherweise auch Kon-sequenzen auf das Verfahren vor Gericht.Entsprechend der Zivilprozessordnung inÖsterreich gibt es dazu zwei verschiedeneMöglichkeiten, das Ruhen des Verfahrensoder die Erstreckung auf unbestimmteZeit.5 Während das Ruhen des Verfahrenseine Wiederaufnahme innerhalb der fol-genden drei Monate ausschließt, kann beider Erstreckung auf unbestimmte Zeit dasGerichtsverfahren jederzeit wieder aufge-nommen werden. Die Art der Unterbre-chung ist auch für die weitere Einbindungdes Gerichts relevant. Beim Ruhen desVerfahrens liegt es allein in der Verant-wortung der Parteien und deren Vertre-ter, wann und ob das Gerichtsverfahrenweitergeführt wird. Bei der Erstreckungauf unbestimmte Zeit hat auch der Rich-ter den Akt noch auf seiner Evidenzlisteund ist daher daran interessiert, das Ver-fahren in einer gehörigen Zeit abzuschlie-ßen. Üblicherweise dauern gerichtsnaheMediationsverfahren des ASG Wien zwi-schen zwei und vier Monaten. Dies liegtin der normalen Ausschreibungsfrist vonGerichtsterminen. Daher kommt es nor-malerweise auch zu keinen Verzögerun-gen, wenn die Mediation nicht bei allenStreitpunkten zu einer Einigung führt.

Als sehr zweckmäßig hat sich die Ge-wohnheit erwiesen, bereits im Gerichts-protokoll schriftlich festzuhalten, dass dieMediatoren das Datum des Beginns undder Beendigung der Mediation dem zu-ständigen Richter mitteilen dürfen. Diesermöglicht es dem Richter, den Fortgangder Mediation unmittelbar zu verfolgen,um damit auch in seinem Bereich ehestmöglich notwendige Schritte zu setzen.

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 41

5 Hauska/Freundorfer, Österreichische Richterzei-tung, 2014, 112.

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Wie bereits oben beschrieben, kann esauch sinnvoll sein, Gerichtstermine trotzMediation anzusetzen. Hybridverfahrenermöglichen die parallele Bearbeitung ge-richtsanhängiger Konflikte. Rechtsorien-tierte Themen können weiterhin gericht-lich verhandelt werden, darüber hinausgehende Konflikte während der Media-tion. Verschiebungen bzw. Verzichte aufbestehende Gerichtstermine sind jeden-falls durch die bevollmächtigte Parteibzw. deren Rechtsvertretung vorzuneh-men und den anderen Beteiligten – auchdem Mediationsteam – mitzuteilen. Diegrundsätzliche Entscheidung zu einemHybridverfahren, sowie die Art und Wei-se, wie weit gerichtliche Termine bzw.Verhandlungen mit der Mediation verein-bar sind, ist im Einvernehmen zu treffen.Auch eventuelle Änderungen dieser Ver-einbarungen sind im Rahmen der Media-tion zu klären.

III. Nach dem Ende der Mediation

Auch wenn die Mediation zu einer Eini-gung in allen Konfliktthemen führt, kanndas gesamte Verfahren in einer gerichtli-chen Tagsatzung finalisiert werden. Eswird dann ein gerichtlicher Vergleichüber die erzielten Vereinbarungen abge-schlossen, die dadurch vollstreckbar wer-den. Vor allem bei komplexeren Verein-barungen empfiehlt sich ein schriftlicherVertrag, den die anwaltlichen Parteien-vertreter aufbauend auf der Punktationder Mediation verfassen. Der Richter er-hält in dem Fall eine Ruhensanzeige.Bleibt diese aus, kann der Richter einenTermin ausschreiben. Wenn dieser vonden Parteien nicht besucht wird, danntritt ebenfalls Ruhen ein und der Fall wirdvon der Evidenzliste des Richters entfernt.Gibt es nach dem Ende der Mediationnoch offene Rechtsfragen, so können dieParteien das Gerichtsverfahren ohne wei-tere Formalitäten wieder aufnehmen.

D. Zusammenfassung und Ausblick

Das Projekt gerichtsnahe Mediation amASG Wien ist ein Modell zur Vernetzung

von Gericht und Mediation. Rund einViertel der Richterschaft startete zumin-dest einen Versuch, einen gerichtsanhän-gigen Fall auch zur Mediation vorzuschla-gen. Das Projekt umfasst allerdings nichtnur das Angebot einer Gruppe von Me-diatoren, gratis für ein Erstgespräch imRahmen von Gerichtsverhandlungen zurVerfügung zu stehen. Im Laufe der dreiJahre fanden unterschiedliche Aktivitätenzum wechselseitigen Kennenlernen statt.Dabei stand der Informationsfluss imVordergrund. Einerseits war es den Me-diatoren wichtig, Vorbehalte und Beden-ken der Richterschaft kennen zu lernen.Dadurch konnten die Aktivitäten konkre-ten Erfordernissen angepasst werden.Durch die persönlichen Kontakte ergabsich nicht nur ein zusätzliches Wissen derRichter über Mediation und deren Ein-setzbarkeit. Es entstand auch in mehrerenFällen ein persönliches Vertrauensver-hältnis zwischen Richtern und Mediato-ren. Diese Basis ist eine wesentliche Kom-ponente für die Zusammenarbeit.

Anhand der 16 Mediationsfälle lassensich einige Erfolgsfaktoren für die ge-richtsnahe Mediation im Arbeitskontextableiten:

k Die Art der Übergabe durch das Ge-richt hat einen deutlichen Einfluss aufdas Geschehen in der Mediation. Kannder Richter oder die Richterin einediesbezügliche Empfehlung gut be-gründen, ist auch das Mediationsver-fahren erfolgsversprechender. Die Par-teien wählen in diesem Fall die OptionMediation bewusst, weil sie sich einenrealen Vorteil davon versprechen.

k Weichen die konkreten bearbeitbarenThemen und Ziele der Parteien in derMediation wenig bis gar nicht von denzu klärenden Rechtsfragen ab, so ist esmeist besser, diese Frage weiterhin vorGericht zu klären. Vor allem dann,wenn die gemeinsame Formulierungallgemeiner Ziele, wie beispielsweisedie Verbesserung des Gesprächskli-mas, möglich ist, dann gibt es weitausgrößere Chancen einer Einigung imZuge einer Mediation. Daher empfiehlt

sich für Mediatoren, die in diesem Ar-beitsfeld tätig sind, die Parteien dabeizu unterstützen.

k Je nach Fallkonstellation kann es auchsinnvoll sein, Mediation- und Ge-richtsverfahren parallel in einem Hy-bridverfahren aufzusetzen. So kannsukzessive an die Mediation herange-führt werden, ohne dass die Parteienauf die Vorteile des Gerichtsverfahrensverzichten müssen. Dies erleichtertden Parteien den Einstieg in die Me-diation und sichert eine zügige Ab-wicklung.Die Erfahrungen aus dem ASG Wien

Projekt zeigen, dass es durchaus abgrenz-bare Einsatzbereiche für die Mediation imArbeitsrecht gibt. Es erfordert jedochnoch deutlich mehr Bewusstseinsarbeit,um als echte Alternative zum Gerichtsver-fahren Anerkennung zu finden. Daherplant das Projektteam in Zukunft eineweitere Vernetzungmit Interessensvertre-tern. Dennoch erreichte das Projekt an-hand der drei Jahre Fallarbeit im Arbeits-recht bereits eine namhafte Zahl an Ex-perten. So sind nicht nur die Mediandenund Richter sensibilisiert, sondern auchdie facheinschlägigen Rechtsanwälte unddie Laienrichter, die bei jedem Gerichts-verfahren am ASG Wien beigezogen wer-den. Welche Effekte das für eine weitereVerbreitung der Mediation hat, kann jetztnoch nicht eingeschätzt werden. Dennochkristallisiert sich ein Themenspektrumheraus. Vor allem dann, wenn die Klä-rung einer Rechtsfrage nicht zur Beile-gung des ursprünglichen Konflikts führt,ist Mediation eine sinnvolle Ergänzung.

Mag. Andreas FreundorferRichter am [email protected]. Elvira HauskaKonfliktManagement, Schwerpunkte:Evaluierung, Mediation und Coaching,Baden bei [email protected]

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201542

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Nils Pelzer

Verbraucherschutz durch Schlichtung?„Berücksichtigung des geltenden Rechts“ nach dem geplanten Verbraucherstreitbeilegungsgesetz

Seit Anfang November 2014 liegt der Re-ferentenentwurf für ein geplantes Ver-braucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG-E)vor. Mit diesem will der deutsche Gesetz-geber die Richtlinie über AlternativeStreitbeilegung in Verbraucherangelegen-heiten (AS-RL) umsetzen – die Frist da-für läuft bis zum 9. Juli 2015. Wie vonArt. 5 Abs. 1 der Richtlinie gefordert,sieht der Entwurf die flächendeckendeGewährleistung von Verbraucherschlich-tungsstellen vor, welche bestimmten Qua-litätsanforderungen genügen müssen. In-wiefern diese verpflichtet sind, sich anmaterielles Verbraucherschutzrecht zuhalten, untersucht der vorliegende Bei-trag.

A. Einführung in die Problematik

Ein Hauptthema der – langsam aufkeim-enden1 – Diskussion um die Richtlinie2

war bisher, inwieweit diese allgemeineEinführung von Schlichtungsstellen zwin-gendem Verbraucherrecht zur tatsächli-chen Durchsetzung verhelfen kann. Bis-her hat man die drohende Einbuße anVerbraucherschutzstandards vielerortsbeklagt,3 allerdings nur selten konstrukti-ve Umsetzungsvorschläge erörtert.4 Esstellt sich nun aber vorrangig die Frage,wie man vorhandene Spielräume derRichtlinie so gut wie möglich nutzt. Art. 2Abs. 3 S. 2 AS-RL lässt die Einführung hö-herer Standards und damit eine sog. über-schießende Umsetzung ausdrücklich zu.

Der Referen-tenentwurf5 trifftdabei einegrundlegendeWeichenstellung:Er lässt nämlichkeine Verfahrenzu, die mit einerEntscheidungenden, die fürden Verbraucherbindend ist (§ 4

Abs. 2 VSBG-E).6 Dies ist zu begrüßen, daman andernfalls in der Tat eine befürchte-te Justiz zweiter Klasse schaffen würde.7

Das Leitbild des VSBG-E ist vielmehr daseines schriftlichen8 Schlichtungsverfah-rens, das mit einem Lösungsvorschlag en-det.9 Ombudsmannverfahren, in denensich der Unternehmer (bis zu einem be-stimmten, vorher festgelegten Streitwert)im Vorhinein dem Schlichterspruch un-terwirft, sind ebenfalls umfasst.10

Dies hat auf der anderen Seite zurKonsequenz, dass das in Art. 11 Abs. 1AS-RL statuierte Prinzip der „Rechtmä-ßigkeit“ nicht anwendbar ist: Es gilt nurfür Verfahren, in denen dem Verbrauchereine Lösung „auferlegt“ wird. In diesemFall sind die Mitgliedstaaten dazu ver-pflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass derVerbraucher nicht den Schutz verliert,den ihm zwingendes Verbraucherschutz-recht gewährt.

Klar ist aber, dass auch von rechtlichunverbindlichen Lösungsvorschlägen11 ei-ne faktische Bindungswirkung ausgehenkann,12 auch wenn die Annahme sowohlfür den Verbraucher als auch den Unter-nehmer freiwillig ist. Dem mag man ent-gegensetzen, dass das Verbraucherschutz-niveau bereits dann erhöht werden wür-de, wenn Streitigkeiten, bei denen derVerbraucher bislang aus verschiedenenGründen untätig geblieben war, nundurch einen Kompromiss vor der Schlich-tungsstelle gelöst würden.13 Andererseitskönnten – einfach ausgedrückt – Ver-braucher verstärkt Schlichtungsstellen an-statt der Gerichte anrufen. Kompromiss-vorschläge, die in einem auf Prinzipienstatt Rechtsvorschriften basierenden Ver-fahren zustande gekommen und auf Bil-ligkeitserwägungen gestützt sind, drohendann durch falsche Anreizsetzung denVerbraucherschutzstandard zu verwäs-sern.

B. Die Lösung des VSBG-E

Rechtspolitisch erscheint es deshalb wün-schenswert, dass auch bloße Schlich-tungsempfehlungen, die den Verbrauchernicht binden, sich maßgeblich an rechtli-chen Kriterien zu orientieren haben. Die-sen Gedanken aufgreifend und im Ein-klang mit Schlichtungsordnungen bereitsbestehender Verbraucherschlichtungs-

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 43

Nils Pelzer

1 Die juristische Öffentlichkeit hat die Problematikerst spät wahrgenommen, s. Hess in Dethloff et al.(Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit imKontext der Mediation, Frankfurt/M. 2013, 25(43 f.); vgl. a. Hayungs, ZKM 2013, 86 (90); Deutl-moser/Engel, MMR 2012, 433 f.; sowie neuerdingsM. Stürner/Gascón Inchausti/Caponi (Hrsg.), TheRole of Consumer ADR in the Administration ofJustice, München 2015.2 RL 2013/11/EU.3 Roth, JZ 2013, 637 (643); Eidenmüller/Engel,ZIP 2013, 1704; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck,ZEuP 2014, 8 (35); Rühl, RIW 2013, 737; Wag-ner, CMLR 2014, 165 (179, 188, 194).4 Soweit ersichtlich nur bei Berlin, AlternativeStreitbeilegung in Verbraucherkonflikten, Baden-Baden 2014, S. 333; s.a. Hayungs, ZKM 2013, 86(90).5 Online verfügbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/E%20zum%20Verbraucherstreitbeilegungsgesetz.pdf,

Stand: 11.11.2014. Dazu bereits Lemmel, ZKM2015, 22 ff. sowie Berlin, ZKM 2015, 26 ff.6 Vgl. ErwG 21 sowie Art. 2 Abs. 1 AS-RL.7 Ähnlich auch Hirsch, NJW 2013, 2088 (2092);Berlin, ZKM 2013, 108 (111).8 Dazu kritisch R. Stürner, ZZP 127 (2014), 271,320 f.9 Dies ist allerdings nicht zwingend, vgl. VSBG-ES. 63.10 Vgl. § 17 Abs. 4 VSBG-E sowie Art. 9 Abs. 3,10 Abs. 2 S. 2 und ErwG 49 AS-RL. Ob man indiesem Fall noch von Schlichtungsverfahren spre-chen kann, ist allerdings zweifelhaft. Die Rechtsna-tur einseitig bindender Ombudsmannverfahren dis-kutiert Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Ver-braucherrecht, Frankfurt/M. et al. 2011, S. 196 ff.;vgl. auch Greger/Stubbe, Schiedsgutachten, Mün-chen 2007, Rn. 286 ff.; kritisch R. Stürner, ZZP127 (2014), 271 (320): „Gefahr eines institutiona-lisierten rechtlichen Lockvogelangebots“. Vor demHintergrund dieser Unsicherheiten erscheint einegesetzliche Normierung wünschenswert.

11 Nach der Richtlinie ist auch eine „echte“ Me-diation in Verbrauchersachen möglich, vgl. Art. 2Abs. 1. Allerdings sind Verbrauchermediationsver-fahren typischerweise Massenverfahren, bei denensich eine interessenbasierte Mediation i.d.R. nichtanbietet, s. Hess, ZZP 118 (2005), 427, 442. Da-gegen führen Beschwerdestellen regelmäßig reineVermittlungstätigkeiten durch. Hierbei wird mankeine Verpflichtung der Schlichtungsstelle anneh-men können, einen ohne ihr weiteres Zutun alleinzwischen den Parteien geschlossenen Vergleich aufRechtmäßigkeit zu prüfen. Die Verantwortung liegtin diesem Fall allein bei den Parteien, so auch Ber-lin, s. Fn. 4, S. 333.12 So zu Recht bereits Nicklisch in FS Bülow,1981, 159, 176. Dies ist auch ein Hauptgrund da-für, weshalb prozessuale Mindestgarantien für Ver-brauchermediationsverfahren existieren, dazu Hess,ZZP 118 (2005), 427 (443).13 Vgl. Hayungs, ZKM 2013, 86 (90); ähnlichDeutlmoser/Engel, MMR 2012, 433 (438).

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stellen14 sieht der VSBG-E in § 17 Abs. 1nun folgende Vorschrift vor:

Hat der Streitmittler nach der Verfah-rensordnung den Parteien einen Vor-schlag zur Beilegung der Streitigkeit(Schlichtungsvorschlag) zu unterbreiten,so beruht dieser auf der sich aus demStreitbeilegungsverfahren ergebendenSachlage und berücksichtigt das geltendeRecht. Der Schlichtungsvorschlag ist miteiner Begründung zu versehen.

Allerdings muss die Schlichtungsstelledie Parteien sogar zweimal darüber infor-mieren, dass ein Schlichtungsvergleich„von dem Ergebnis eines gerichtlichenVerfahrens abweichen kann“: zum einen„vor der Durchführung des Streitbeile-gungsverfahrens“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 3VSBG-E), zum anderen „mit Übermitt-lung des Schlichtungsvorschlags“ (§ 17Abs. 3 S. 1 a.E. VSBG-E).

Dies scheint auf den ersten Blick wi-dersprüchlich: Zum einen ist der Schlich-ter nicht im gleichen Maße rechtlich ge-bunden wie ein Gericht, zum anderen ister jedoch „verpflichtet, seinen Vorschlagam geltenden Recht auszurichten und da-bei insbesondere zwingende Vorschriftendes vertraglichen Verbraucherschutzes zuberücksichtigen.“15 Fraglich ist hierbei vorallem, was „berücksichtigen“ bzw. „aus-richten“ bedeutet und inwieweit der Vor-schrift damit ein positiver (und letztlichjustiziabler) Regelungsgehalt zukäme, da-mit sie nicht zum bloßen Programmsatzverkommt.

C. Wirksamkeit eines Vergleichs

Es ist davon auszugehen, dass eineSchlichtungsstelle nur solche Einigungs-vorschläge unterbreiten darf, die zu einemrechtswirksamen Vergleich zwischen Un-ternehmer und Verbraucher führen kön-nen. Zunächst ist daher zu klären, ob einauf Grundlage der Schlichtungsempfeh-lung abgeschlossener Vergleich (§ 779BGB),16 der von zwingendem Verbrau-cherschutzrecht abweicht, überhauptwirksam ist. Diese logische Vorfrage istunabhängig davon zu beantworten, ob ei-ne Schlichtungsaktivität der Beschwerde-stelle vorliegt. Im Anschluss daran ist zuklären, welche Möglichkeiten bestehen,eventuelle Pflichten der Schlichtungsstel-len durchzusetzen.

Zur Erläuterung sollen folgende zweiBeispielsfälle dienen:1. Verbraucher V kauft bei OnlinehändlerU einen Eierkocher. Zwölf Tage nach Er-halt des Geräts erklärt V den Widerruf desKaufvertrages und sendet es zurück. U wei-gert sich, den Kaufpreis zurückzuzahlen

mit der Begründung, der Widerruf sei erstnach 15 Tagen bei ihm eingegangen. Vschaltet die zuständige Schlichtungsstelleein. Diese schlägt vor, dass V statt desKaufpreises einen Warengutschein bei U ingleicher Höhe erhalten solle. U und V sindeinverstanden. Am nächsten Tag bereut Vsein Einverständnis.2. Wie oben. Allerdings behauptet U statteiner angeblichen Verfristung nun, V habeden Eierkocher schon in Gebrauch genom-men und schulde deshalb Wertersatz. V er-klärt gegenüber der Schlichtungsstelle, erhabe ihn lediglich auf seine Funktionsfä-higkeit überprüft. Die Schlichtungsstellekann den Sachverhalt nicht weiter aufklä-ren. Sie schlägt deshalb wieder vor, dass Udem V einen Warengutschein in Höhe desKaufpreises zukommen lasse. Beide sindeinverstanden; am nächsten Tag reut Vseine Zustimmung.

I. Verbrauchsgüterkaufverträge

Für Verbrauchsgüterkaufverträge regelt§ 475 Abs. 1 S. 1 BGB, dass lediglich „vorMitteilung eines Mangels an den Unter-nehmer“ ein Abweichen von zwingendenVorschriften unzulässig ist. Nach der Mit-teilung – also in den hier relevanten Fäl-len – kann der Verbraucher durch Ver-gleich auf seine Rechte verzichten,17 sichbspw. auf eine Preisminderung beim Kaufeiner anderen Sache einlassen.18 Der Ver-braucher ist nicht verpflichtet, seine be-stehenden Rechte auch geltend zu ma-chen.19 Dem liegt, so wird vertreten, sogardie Grundauffassung des europäischenVerbraucherschutzrechts zugrunde, nachwelcher die Parteien ihr Rechtsverhältnisfrei gestalten dürfen, wenn beide Seitendie Konsequenzen ihrer Entscheidung ab-sehen können.20

II. Verbraucherverträge i.S.v. § 310Abs. 3 BGB

Für Verbraucherverträge sieht nunmehr§ 312k Abs. 1 BGB21 vor, dass von gewis-sen zwingenden Vorschriften – wie z.B.demWiderrufsrecht bei Fernabsatzverträ-gen – nicht zumNachteil des Verbraucherabgewichen und dies auch nicht durchanderweitige Gestaltungen umgangenwerden darf. Ähnliche Vorschriften exis-tieren in §§ 487 und 511 BGB. Hier wirddie Frage nach der Rechtmäßigkeit einesabweichenden Vergleichs unterschiedlichbeurteilt.

Mit dem Argument des Effektivitäts-grundsatzes des Unionsrechts lässt sichvertreten, halbzwingendes Verbraucher-recht sei auch nach Entstehen einer Strei-tigkeit nie disponibel;22 es fehle schlicht

an der Verfügungsbefugnis.23 Abweichun-gen von zwingendem Recht sind damitnicht möglich.

In Fall 1 ist die Rechtslage klar. Da zurFristwahrung die rechtzeitige Absendungdes Widerrufs genügt (§ 355 Abs. 1 S. 5i.V.m. § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB),kommt es auf die Zeit des Zugangs nichtan. Gemäß § 357 Abs. 1, 3 S. 1 BGB mussU den Kaufpreis zurückgewähren. EinWarengutschein stellt V insoweit recht-lich schlechter als die gesetzliche Rege-lung, obwohl er für V wirtschaftlich ge-nauso viel wert sein könnte.

Auch in Fall 2 ist der Vergleich nachdieser Ansicht wohl unwirksam, da vonder gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgeabgewichen wird. Allerdings ist diese Lö-sung nicht unbedingt vorteilhaft für V:Stellt sich in einem anschließenden Ge-richtsverfahren heraus, dass dieser tat-sächlich Wertersatz schuldete, so steht erbei korrekter Rechtsanwendung schlech-ter als durch den Vergleich. Außerdem

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201544

14 Vgl. bspw. § 9 Verfahrensordnung (VerfO) desOmbudsmanns für Versicherungen; § 6 Abs. 1 S. 2VerfO der Schlichtungsstelle für öffentlichen Perso-nenverkehr; § 4.1 S. 2 Schlichtungsordnung desOnline-Schlichters; siehe dazu Berlin, s. Fn. 4,S. 239 (253, 265). Weiterhin etwa Nr. 4 Abs. 4S. 3 f. VerfO des Ombudsmanns der privaten Ban-ken, http://bankenverband.de/publikationen/ods/ombudsmann-verfahrensordnung/ombudsmann-ver-fahrensordnung/download; Nr. III Abs. 4 S. 1VerfO des Ombudsmanns des Verbands öffentlicherBanken, http://www.voeb.de/download/verfah-rensordnung-2013 oder § 9 VerfO der NahverkehrSchlichtungsstelle Niedersachsen und Bremen(Nahverkehr SNUB), http://www.nahverkehr-snub.de/fileadmin/snub/downloads/pdf/Verfahrensord-nung.pdf.15 VSBG-E S. 63, vgl. auch § 14 Abs. 2 S. 3UKlaG i.d.F. des VSBG-E: „[Die Schlichter] sollen[!] ihre Schlichtungsvorschläge am geltenden Rechtausrichten und sie sollen insbesondere die zwingen-den Verbraucherschutzgesetze beachten“.16 Im Einzelfall kann es sich auch um einen Erlass-vertrag (§ 397 BGB), ein abstraktes Schuldaner-kenntnis (§ 781 BGB) o.ä. handeln – die rechtlicheProblematik ist allerdings gleichartig.17 S. nur BT-Drucks. 14/6040, S. 244; Magnusin Grabitz/Hilf/EU-Recht, 2007, Art. 7VerbrGKRL Rz. 5; Lorenz in MünchKomm/BGB,2012, § 475 BGB Rn. 11; a.A. wohl Habersack inMünchKomm/BGB, 2013, § 779 BGB Rn. 11.18 Stijns/Van Gerven in Grundmann/Bianca/EU-Kaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 7 Rz. 16.19 Ebd. Magnus in Grabitz/Hilf/EU-Recht, 2007,Art. 7 VerbrGKRL Rz. 5.20 Magnus ebd.21 Seit 13.6.2014, vgl. BGBl. I S. 3642. Ur-sprünglich durch SMG in § 312 f BGB geregelt; ab4.8.2009 in § 312g BGB; ab 4.8.2011 dann in§ 312i BGB.22 A. Staudinger, Der Prozessvergleich und andereFormen konsensualer Streitbeilegung (unveröffent-lichte Habilitationsschrift Münster 2004), S. 103,zitiert nach Ewert, Grenzüberschreitende Mediationin Zivil- und Handelssachen, Jena 2012, S. 99, wel-cher sich dieser Meinung anschließt.23 Marburger in Staudinger/BGB, 2009, § 779BGB Rz. 5.

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kann diese Lösung den Zweck des Ver-gleichs, Unsicherheiten zu beseitigen,nicht gewährleisten.

Aus diesem Grund will ein bedeuten-der Teil des Schrifttums eine Ausnahmefür rechtlich oder tatsächlich unklareSachverhalte machen.24 In diesen Fällendürften Verbraucher und Unternehmervon zwingenden Verbraucherschutzvor-schriften abweichen. Danach wäre derVergleich in Fall 2 wirksam, in Fall 1nicht. Ein anderes Ergebnis ergibt sich,wenn man eine Rückausnahme für Fällemacht, in denen der Unternehmer die ob-jektive Beweislast trifft.25 Allerdings istdieses Kriterium ungeeignet, wenn dieUnklarheit gerade darin besteht, ob derUnternehmer den Beweis führen kann.Aber es überzeugt ebenso wenig, deshalbein Angemessenheitskriterium einzufüh-ren:26 Zum einen findet dies keine Stützeim Gesetz; zum anderen führte es zu be-trächtlicher Rechtsunsicherheit, da manohne Not einen unbestimmten Rechtsbe-griff einführen und die Beurteilung derWirksamkeit des Vergleichs in das rich-terliche Ermessen stellen würde. Bei denbeiden Beispielsfällen wäre das Ergebnisunklar.

Das eigentliche Problem bei den ge-nannte Lösungen ist jeweils, dass sie denVerbraucher nicht selbst entscheiden las-sen, ob er den Aufwand eines Mahn- undGerichtsverfahrens (zeitliche, emotionaleund zunächst auch monetäre Ärgerlich-

keiten) auf sich nehmen will oder diesenAufwand nicht „eintauscht“ gegen etwas,das für ihn ggf. ohnehin den gleichenwirtschaftlichen Wert hat. Außerdemwürde es zu einem Wertungswiderspruchführen, weil der Verbraucher es ja auchunterlassen könnte, seine Rechte geltendzu machen.27

Es sprechen daher die besseren Grün-de dafür, § 312k BGB auf den nachträgli-chen Rechtsverzicht durch Vergleichnicht anzuwenden.28 Es würde dem Idealeines aufgeklärten Verbrauchers zuwider-laufen, diesen nach Fälligkeit eines (ihmbekannten) Anspruchs weiter zu bevor-munden. Für krasse Fälle, etwa wenn derVergleich dem Verbraucher nur einen mi-nimalen Betrag zubilligen würde, giltüberdies ohnehin § 138 BGB.

Daher bleibt festzuhalten: Verbrau-cher und Unternehmer können bei einemVergleich nach Streitentstehung von ver-braucherschützenden Vorschriften abwei-chen. Ein solcher Vergleich ist grundsätz-lich wirksam.29

D. Pflichten der Schlichtungsstelle

Damit ist indes noch nichts darüber aus-gesagt, welche unverbindlichen Ver-gleichsvorschläge die Schlichtungsstellemachen darf. Es bedarf somit der Klä-rung, wie sich die Verpflichtung zur Be-rücksichtigung von Rechtsvorschriftennach § 17 Abs. 1 S. 1 VSBG-E konkretisie-ren lässt.

I. Konkretisierung der Berücksich-tigungspflicht

Im Grundsatz sollte gelten, dass Schlich-tungsstellen verpflichtet (und nicht nurunverbindlich dazu angehalten) sind,zwingendes Recht bei ihren Lösungsvor-schlägen anzuwenden, ergänzend aberauch Billigkeitsgesichtspunkte heranzie-hen können.30 Dies ist zum einen notwen-dig, da Schlichtungsstellen oftmals keinevollständige Sachverhaltsaufklärung be-treiben können. Zum anderen darf dieStoßrichtung der AS-RL, flexible Streit-beilegungsinstrumente zu schaffen, nichtin ihr Gegenteil verkehrt werden. Gleich-wohl ist eine überschießende Umsetzungder Richtlinie insoweit möglich und wün-schenswert. Konkret sollte die Berück-sichtigungspflicht die Verpflichtung derSchlichtungsstelle beinhalten, ihren Lö-sungsvorschlag einem Günstigkeitsver-gleich zu unterziehen. Maßstab diesesGünstigkeitsvergleichs sollte die gerichtli-che Durchsetzung des geltend gemachtenAnspruchs sein. Dabei sollten Rechts-,

Tatsachen- und Beweislage berücksichtigtwerden.Bei Ombudsmann-Verfahren, die einsei-tig den Unternehmer binden, sollte dieSchlichtungsstelle darüber hinaus die Tat-sache berücksichtigen müssen, dass dieZustimmung des Unternehmers nicht er-forderlich ist. Aufwand und Risiken einesmöglichen Gerichtsverfahrens für denVerbraucher sind also nicht einzukalku-lieren. Bei klarer Sach- und Rechtslagesollte der Ombudsmann deshalb nichtvon der gesetzlichen Lösung abweichendürfen. In Fall 1 wäre der Lösungsvor-schlag mit dem Warengutschein deshalbunzulässig, in Fall 2 dagegen zulässig.

II. Sonderproblem Auslandsbezug

Problematisch ist diese Lösung allein inFällen mit Auslandsbezug. Die Zuständig-keitsordnung der AS-RL ist im Grundsatzdarauf angelegt, dass Streitigkeiten indem Mitgliedstaat geschlichtet werden, indem der Unternehmer niedergelassen ist,Art. 5 Abs. 1 AS-RL. Dies kehrt die Rege-lung des Art. 18 Abs. 1 EuGVO n.F.31 um,nach dem der Verbraucher die Möglich-keit hat, am Gericht seines eigenenWohnsitzes Klage zu erheben.

Das System der AS-RL hat zur Folge,dass die Schlichtungsstellen in vielen Fäl-len mit Auslandsberührung (vgl. Art. 6Rom I-VO) ausländisches Recht für denGünstigkeitsvergleich heranziehen müss-ten.32 Der Aufwand zur Feststellung aus-ländischen Rechts wird jedoch oftmals au-ßer Verhältnis zum Streitwert stehen;dem Ideal eines schnellen und kosten-günstigen Verfahrens wird dies nicht ge-recht.

Das Problem wird allerdings dadurchabgemildert, dass in vielen Bereichen desVerbraucherschutzrechts bereits Vollhar-monisierung herrscht.33 Außerdemwurdevorgeschlagen, Ressourcen des EVZ-Net-zes34 zu nutzen oder den Verbraucherihm günstige Rechtsvorschriften selbstbeibringen zu lassen.35 Dies vermag nichtvollständig zu befriedigen, aber eine idea-le Lösung gibt es nicht. Da das deutscheRechtssystem im weltweiten Vergleich einhohes Verbraucherschutzniveau bietet,mag man sich damit begnügen, im Zwei-fel deutsches Recht als Richtschnur heran-zuziehen, wenn ausländisches Recht nichtleicht zu ermitteln ist. Es sollte derSchlichtungsstelle überlassen bleiben, die-se Frage in ihre Billigkeitserwägungen miteinzubeziehen. Allerdings sollte es denSchlichtungsstellen verwehrt sein, Aus-landsfälle einfach mit der Begründung ab-zulehnen, das ausländische Recht „nurmit unangemessenem Aufwand klären“

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 45

24 Roth, JZ 2013, 637 (643); Sprau in Palandt/BGB, 2015, § 779 BGB Rz. 6.25 So Wendehorst in MünchKomm/BGB, 2012,§ 312i BGB Rz. 11; Habersack in MünchKomm/BGB, 2013, § 779 BGB Rz. 11.26 Stadler in Jauernig/BGB, 2014, § 312i Rz. 2;ähnlich Grüneberg in Palandt/BGB, 2015, § 312kBGB Rz. 2.27 Vgl. Müller-Glöge in MünchKomm/BGB, 2012,§ 12 EFZG Rz. 7.28 So auch Thüsing in Staudinger/BGB, 2013,§ 312i Rz. 12. Vgl. auch OLG Karlsruhe v.25.4.2006 – 17 U 213/05, WM 2007, 590 undOLG Brandenburg v. 30.9.2009 – 3 U 137/08,WM 2010, 115.29 Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Par-tei in der Mediation, Tübingen 2013, S. 341 ff.,schlägt vor, dem Verbraucher ein Widerrufsrechteinzuräumen. Dies ist in einem typischerweise ver-schriftlichen Verbraucherschlichtungsverfahren al-lerdings wenig hilfreich – der Verbraucher kommthier ohnehin in den Genuss einer „cooling-off pe-riod“.30 So auch Berlin, s. Fn. 4, S. 333.31 VO (EU) 1215/2012.32 Vgl. VSBG-E S. 63: Der Schlichter muss das„geltende Recht“ in grenzüberschreitenden Fällen„grundsätzlich“ nach deutschem IPR bestimmen.33 So auch Berlin, s. Fn. 4, S. 334. Zur Verbrau-cherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) sieheWendehorst, NJW 2014, 577 ff.34 Hierzu Hess, Europäisches Zivilprozessrecht,Heidelberg 2010, § 10 Rn. 110 ff.35 Berlin, s. Fn. 4, S. 333 f.

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zu können (so § 13 Abs. 2 Nr. 5 lit. bVSBG-E). Denn es ist gerade ein Grund-anliegen der AS-RL, grenzüberschreiten-de Verbrauchergeschäfte zu erleichternund so den Binnenmarkt zu stärken.36

III. Durchsetzbarkeit

Problematisch ist damit allein, wie diePflicht der Schlichtungsstelle, zwingendesRecht zu berücksichtigen, durchgesetztwerden kann, damit sie nicht nur auf demPapier besteht. Andernfalls handelte essich lediglich um soft law, das als solchesvon seiner Wirkung her beschränkt wäre.

Als Folge einer Pflichtverletzung istein Schadensersatzanspruch des Verbrau-chers gegen die Schlichtungsstelle nach§ 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 278 und ggf.§ 241 Abs. 2 BGB)37 aus einem dreiseiti-gen Schlichtungsvertrag denkbar. Rechts-folge dieses Anspruchs wäre, dass dieSchlichtungsstelle den Verbraucher sostellen müsste, als hätte er den für ihnnachteiligen Vergleich nicht abgeschlos-sen.38 Diese Überlegung ist nicht neu: Be-reits im Jahre 1935 warnte das „Hand-buch des Schiedsmanns“ vor einer Re-gresspflicht und mahnte zu besondererVorsicht bei Vergleichsvorschlägen in derSühneverhandlung.39

Allerdings darf ein Gericht nicht ein-fach seine Billigkeitsmaßstäbe an die Stel-le des Günstigkeitsvergleichs der Schlich-tungsstelle setzen. Insofern muss derSchlichtungsstelle ein weiter Beurtei-lungsspielraum verbleiben, um ihrerFunktion gerecht zu werden. Dazu bietetsich die Heranziehung verwaltungsrecht-licher Grundsätze an. Nur bei einem „Be-urteilungsfehler“, also beispielsweise beisachfremden Erwägungen, fehlerhafterrechtlicher Erwägungen oder dem Zu-grundelegen eines evident unrichtigenSachverhalts, lässt sich ein Anspruch beja-hen. Daran könnte auch der oben bereitserwähnte obligatorische Hinweis inSchlichtungsvorschlägen nichts ändern,dass der Vorschlag möglicherweise nichtmit dem Ergebnis eines Gerichtsverfah-rens übereinstimmt (Art. 9 Abs. 2 lit. bsublit. iii AS-RL). Denn dieser Hinweis be-deutet nicht, dass die Schlichtungsstellekeine weitergehenden Prüfungs- und Hin-weispflichten hat. Ist eine Schlichtungs-empfehlung juristisch begründet (vgl.§ 17 Abs. 1 S. 2 VSGB-E) und bedient sichdiese Begründung womöglich sogar desUrteilsstils,40 werden die Parteien häufigauf die Richtigkeit der Begründung ver-trauen. Eine weitere Haftungserleichte-rung – etwa eine analoge Anwendung desSpruchrichterprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB)oder der gerichtlichen Sachverständigen-

haftung (§ 839a BGB) – wäre vor demHintergrund des weiten Beurteilungs-spielraums des Schlichters nicht angemes-sen. Die persönliche Haftung des Streit-mittlers (§ 5 VSBG-E) ist mangels eigenervertraglicher Beziehung zu den Konflikt-parteien ohnehin auf die Fälle des § 826BGB beschränkt. Die Kausalität hingegenist im Vergleich zur Mediation41 wenigerproblematisch: Die Begründung desSchlichtungsvorschlags ist in der Regel(auch) kausal für den Vergleichsab-schluss. Obwohl der Vorschlag geradenicht bindend ist, werden ihn die Parteiendoch häufig gerade wegen seiner Begrün-dung durch die Schlichtungsstelle anneh-men.

Eine zweite Schiene der Durchsetzungder Pflicht der Schlichtungsstelle zurgrundsätzlichen Rechtsbindung besteht inder Überwachung durch die zuständigenBehörden nach Art. 18–20 AS-RL (vgl.§§ 22–25 VSBG-E). Diese könnten eineBeschwerdestelle einrichten, die mögli-chen Verstößen nachginge, die Schlich-tungsstelle abmahnen und letztlich ausder Liste der akkreditierten Streitbeile-gungsstellen streichen könnten, Art. 20Abs. 2 UAbs. 3 S. 1, 2 AS-RL42 (vgl. § 24VSBG-E). Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie er-laubt dies gerade auch für Kriterien, dieim Einklang mit dem Unionsrecht überdie Anforderung der Richtlinie hinausge-hen. Ob sich dieser Mechanismus in derPraxis stets als effektiv herausstellen wird,kann letztlich dahingestellt bleiben: Wich-tiger erscheint vielmehr, ein Bewusstseinfür Kontrollmöglichkeiten zu schaffen,welches in der Konsequenz auch das Ver-trauen der Verbraucher in die Schlich-tungsstellen stärkt.

E. Schluss

Zusammenfassend kann man also folgen-de Ergebnisse festhalten: Verbraucherkönnen nach Entstehung eines Konfliktsmittels Vergleichs (§ 779 BGB) von ver-braucherschutzrechtlichen Vorschriftenabweichen. Dies bedeutet allerdings nicht,dass es Schlichtungsstellen grundsätzlicherlaubt sein sollte, von zwingenden Vor-schriften abweichende Vergleichsvor-schläge zu machen. Schlichtungsstellensollten zu einer Günstigkeitsprüfung amMaßstab des materiellen Rechts verpflich-tet werden, die Billigkeitserwägungen ein-schließt. Den Schlichtungsstellen solltedabei ein Beurteilungsspielraum zuste-hen. Verbrauchern steht bei Überschrei-ten des Beurteilungsspielraums ein ver-traglicher Schadensersatzanspruch gegendie Schlichtungsstelle zu. Außerdem kannbei andauernden Verstößen die zuständi-

ge Überwachungsbehörde die Akkreditie-rung der Schlichtungsstelle widerrufen.§ 17 Abs. 1 VSBG-E ist hierbei ein begrü-ßenswerter Ansatz. Es bedarf jedoch derKlarstellung, dass es sich um eine echtePflicht handelt; um Unklarheiten zu ver-meiden, sollte der Gesetzgeber auch Kon-sequenzen bei Verletzungen dieser Pflichtexplizit statuieren.

Konsequenz dieser Feststellung istschließlich aber auch, dass die Ausbil-dungsanforderungen an die Streitmittlerüberdacht werden sollten. Wünschens-wert wäre eine Regelung, dass in einerSchlichtungsstelle zumindest ein Vollju-rist die Letztverantwortung trägt.43 Beste-hende Regelungen für einzelne Branchenließen sich hier allgemein ausweiten.44

Die Besorgnis vor einem Streitbeile-gungssystem zweiter Klasse sollte mannicht leichtfertig von der Hand weisen. Eswäre fatal, Unternehmern und Verbrau-chern gleichermaßen zu signalisieren,dass der Staat keine volle Durchsetzungzwingenden Verbraucherrechts erreichenwill. Die staatliche Einrichtung und Be-aufsichtigung der Schlichtungsstellen im-pliziert ein höheres Maß an Gesetzesbin-dung des Lösungsvorschlags, als wennVerbraucher und Unternehmer ihrenStreit ohne Anrufung eines Dritten ein-vernehmlich beilegen würden.

Nils PelzerWissenschaftlicher Mitarbeiter amMax-Planck-Institut für Verfahrensrechtin Luxemburg und Doktorand beiProf. Dr. Dr. h.c. Burkhard [email protected]

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201546

36 Vgl. nur ErwG 7 AS-RL: „... ist es auch wich-tig, dass AS-Stellen grenzüberschreitende Streitig-keiten effektiv bearbeiten.“37 So bezogen auf die Qualitätskriterien derRichtlinie Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 90.38 Vgl. Grüneberg in Palandt/BGB, 2015, § 280BGB Rz. 32; BGH NJW 1982, 1145.39 Musal, Handbuch des Schiedsmanns nach derSchiedsmannsordnung v. 3.12.1924, Berlin 1935,S. 20, 74.40 Vgl. bspw. die veröffentlichten Schlichtungs-sprüche des Ombudsmanns der privaten Banken,Tätigkeitsbericht 2013, S. 48 ff., http://bankenver-band.de/publikationen/ods/ombudsmann-taetig-keitsbericht-2013/ombudsmann-taetigkeitsbericht-2013-1/download.41 Dazu Tochtermann in Hopt/Steffek, Mediation,Tübingen 2013, S. 521, 561 f.42 Dazu Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 89.43 So bereits Eidenmüller/Engel, ZIP 2014, 1704(1709).44 Vgl. etwa § 4 Abs. 3 S 1 LuftSchlichtVO,§ 191 f Abs. 2 S. 2 BRAO sowie § 14 Abs. 2 S. 1UKlaG i.d.F. des VSBG-E.

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Gunter Dehr

Qualitäts- und Konfliktmanagement inOrganisationenZiele und Konzepte für ein betriebliches Konfliktmanagementsystem

Total QualityManagementsteht für einenunternehmens-weiten Ansatzauf allen Hierar-chieebenen Qua-litätsstandardseinzuführen, umfließende undkonfliktfreie Pro-zesse zu gewähr-leisten. Den Unterstützern der Qualitäts-kultur kommt eine zentrale Bedeutungzu, d.h. sie tragen die Verantwortung,dass die Machtapparate in Form unter-schiedlicher hierarchischer Ebenen imProblemfall zu einem Ausgleich der Inte-ressen kommen können. Interne und ex-terne Kundenzufriedenheit, eine aktiveMitarbeiterbeteiligung und eine Akzep-tanz und Umsetzung der einflußnehmen-den Konzepte bilden die Basis für einKonfliktmanagementsystem.

A. Systemelemente eines vorläufi-gen Konfliktmanagementsystems

Ein Konfliktmanagementsystem (KMS)zeichnet sich durch eine unternehmensin-dividuelle Gestaltung aus. Es sollen Hie-rarchieebenen, Organisationsprinzipienund Prozesse Berücksichtigung finden.Eine Gewinnorientierung in Unterneh-men muss sich das Ziel setzen, jede denk-bare Konfliktsituation erst gar nicht ent-stehen zu lassen, um Produktivitätssteige-rungen und größtmögliche Kostenwirt-schaftlichkeit nicht zu gefährden. Einesystemtheoretische Sichtweise beschreibtElemente, die miteinander in Beziehungstehen. Bis man von einer Theorie desKMS wird sprechen können, wird noch

intensive theoretische, insbesondere auchempirische Forschung1 betrieben werdenmüssen. Im vorliegenden Beitrag werdenAnleihen aus dem Prozess- und Qualitäts-management auf eine Diskussion desKMS übertragen. Das vorläufige KMSkann wie folgt skizziert werden, vgl. Ab-bildung 1. Dem Prozessdenken kommt ei-ne zentrale, steuernde Bedeutung zu.

B. Total Quality Management (TQM)

Qualität (lat.: qualitas) wird seit Anfangder neunziger Jahren als notwendigerWettbewerbsfaktor anerkannt. Qualitäts-managementkonzepte sind mit dem Zielentstanden, die Qualitätsfähigkeit von Or-ganisationen zu entwickeln und perma-nent zu verbessern. Dies wurde inDeutschland mit der Idee der kontinuier-lichen Verbesserung und in Japan mitdem Begriff „Kaizen“ (kai=die Wende,zen=zum Besseren) in Verbindung ge-bracht. TQM wird in diesem Kontext alsPhilosophie einer qualitätsorientiertenUnternehmensführung betrachtet. TQMist in die nationale und internationale Be-griffsbildung aufgenommen worden. Es

wird eine Qualitätskultur angestrebt, inder Zeit (Prozessbeschleunigung), Kosten(Senkung der Kosten um x-%) und Quali-tät (Senkung der Fehlerrate durch größereProzessbeherrschung) in den Mittelpunktgerückt worden sind. Im magischenDreieck Qualität, Kosten und Zeit wird alsein zentraler Ansatz gesehen, Mitarbeitervor diesem Hintergrund zu trainieren. Esist in diesem Zusammenhang die Redevon der Gestaltung eines Qualitätscont-rollingsystems, welches alle Maßnahmenanhand des magischen Dreiecks bewer-tet.2 Die Schlagworte hierzu sind: Interne-Externe Kundenbeziehungen (internesMarketingmanagement), Kundenzufrie-denheit und Kundenbindung sowie Mi-tarbeiterorientierung. In den Qualitäts-eckpfeilern werden die Konzepte für mehrQualität am Arbeitsplatz verdeutlicht.3

Das TQM-Konzept präsentiert sichauf drei Ebenen, den verhaltensrelevantenGrößen, wie Engagement, Kompetenzund Kommunikation, den rein betriebs-wirtschaftlichen Ebenen, wie Umsatz, Ge-winn, etc., und den marktbezogenen Re-sultaten, den zufriedenen Kunden aberauch der Mitarbeiterzufriedenheit.4

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 47

Prozessmanagement als zentraler Leitgedanke eines KMS Vereinbarter Standard zur Siche-rung von Abläufen Modell der Lieferanten-Kunden-Beziehungen Prozess wird durch Vereinbarungen gelenkt und hat damit eine präven-tiv wirkende Funktion Konfliktsituationen sollen erst gar nicht entstehen können

Leitlinien eines TQM-Systems � Bedeutung für Unternehmen und deren Führung Bedeutung von Standards für ein KMS Leitlinien/Leitsätze aus der ISO- bzw. EFQM-Diskussion Wirkweise von Teamstrukturen Prinzip der Vorbeugung, Konfliktentstehung und Konfliktursachen in Unternehmen Einsatz von Mediatoren, Coaches und Moderato-ren im Konfliktfall, interne/externe Expertenschaft

Abb.1: Systemelemente/Komponenten eines vorläufigen KMS

Qualitätseckpfeiler im Konzept des Total Quality Managements

Engagement Kompetenz Kommunikation = Persönliche Ebene

Absatz/Umsatz Gewinn/DB Produktivität Kostenwirtschaftlichkeit

Zufriedene Kunden MarktebeneKundenbindung / Mitarbeiterzufriedenheit

Abb.2: Konzept des TQM

Gunter Dehr

1 Vgl. Gläßer/Kirchhoff, Konfliktmanagement –

Von den Elementen zum System (empirisches Pro-jekt), Hrsg. PWC/Viadrina Frankfurt/O. 2011,S.16 ff.2 Vgl. Dehr, Implementierung von Qualitätsma-nagement und Qualitätscontrolling in der Wert-schöpfungskette, St. Gallen, 2001, S.121 f.3 Vgl. Dehr, TQM-Qualitätsmanagement am Ar-beitsplatz, Management Checklisten 5/97, S. 3 ff.4 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Töpfer/Meh-dorn, TQM, Anforderungen und Umsetzung im Un-ternehmen, Neuwied, Kriftel, Berlin 1994,S.113 ff.

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Vor diesem Hintergrund ist TQM einlangfristig wirkendes und integriertes Un-ternehmenskonzept, das die nachhaltigeUnterstützung der Unternehmensleitungerfordert. TQM ist auf interne als auchauf externe Kunden-Lieferantenbeziehun-gen gerichtet.5 TQM beinhaltet Kennzah-len, um Resultate innerhalb der Prozess-ketten auszuweisen. TQM ist in diesemSinn ein strategisch integriertes Konzept,um die Qualität von Produkten undDienstleistungen zu verbessern. Mitarbei-ter verschiedener Hierarchiestufen undunterschiedlicher Ausbildung sollen in-volviert sein. Insellösungen schließen sichdamit automatisch aus.6

Zusammenfassend darf man von vierzentralen Erfolgsfaktoren des TQM spre-chen:

(1) Qualitätsmanagement erfordert eindauerhaftes Bemühen.

(2) Im Führungssystem des Unterneh-mens ist der Qualitätsgedanke festverankert, der Begriff der Führungwird weit gefasst, d.h. er bezieht sichauf die Summe aller personellen As-pekte der Lenkung und Entwicklungeines sozialen Systems. Lenkung be-zieht sich auf die Mitarbeiterführungund Entwicklung auf die Lernfähig-keit der Organisationsmitglieder.7

(3) Lieferanten- und Kundenzufrieden-heit sind zentrale Größen im Quali-tätsverständnis.

(4) Schulung von Qualitätsmethoden(z.B. Pareto-Analyse) für Mitarbeiteraller Hierarchiestufen.

Ein Blick in die Ausführungen ver-schiedener „Qualitätsautoren“ soll Denk-anleitungen wiedergeben und prüfen,wieweit deren Ausführungen und Kon-zepte Anleitungen und erste Ideen imRahmen eines Konfliktlösungspotentialsbieten. Nachfolgend sind Autoren aufge-führt, die wesentliche Beiträge zum Quali-tätsmanagement geleistet haben, vgl. Ta-belle 1.

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201548

Qualitätsfähigkeit und Qualitätsinhalte bei verschiedenen AutorenAutoren Qualitätsfähigkeit und Qualitätsinhalte

Deming8

Der Deming-Kreislauf wird als Handlungsanweisung für Verbesserungsprozesse ver-standen. Dadurch, dass Arbeitsgruppen/Teams/Quality Circles sich der Problematikannehmen, kann der Deming Cycle als steuerndes und harmonisierendes Instrumentzur Konfliktüberwindung interpretiert werden. Der Deming Cycle darf als Standardinterpretiert werden.

Deming-Cycle: Plan-Do-Check-Act, Kreislauf der Qualitätsverbesserung. Es wird davon ausgegangen, dassjeder Vorgang als Prozess angesehen wird und als solcher schrittweise verbessert werden kann.Plan: Entwicklung einer Vorgehensweise unter Berücksichtigung von Ergebnissen und Hindernissen. Do:Sammlung der Daten aus dem Plan, Analyse der Daten. Vereinbarte Änderungen sind festzulegen. Check:Auswirkungen der Änderungen beobachten und überprüfen. Act: Was ist an einem Prozess noch zuverbessern? Verbesserungsideen gehen in den nächsten Durchlauf.Deming sieht die Bearbeitung des Ablaufsgrundsätzlich durch Arbeitsgruppen gewährleistet.

Murphy9

Der Autor fokussiert u.a. auf die Mitarbeiterbeteiligung und zu organisierendeTeams, die für Problemlösungssitzungen eingesetzt werden sollen. Im Hintergrunddarf man den Deming-Ansatz sehen, allerdings in modifizierter Form. Murphy stelltden Moderator (Betreuer) zur Disposition und weist ihm die Aufgabe zu, Teams (Ar-beitsgruppen) anzuleiten und zu lenken.

Sechs Elemente sind als Eckpfeiler einer Qualitätspolitik zu verstehen: Kundenorientierung, Mitarbeiterbetei-ligung, Verständnis der Abläufe im Unternehmen und Kontrollmechanismen, Datenerfassung, Qualitäts-systeme, stetige Verbesserung. Im Kontext der Mitarbeiterbeteiligung werden Teams für (1) Definition desProblems, (2) Analyse der Grundursache, (3) Allgemeine Lösungen, (4) Gewählte Lösung planen undimplementieren, (5) Leistung messen, (6) Standardisieren diskutiert.

Juran10

Eine These Jurans bezieht sich auf Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der Qua-litätsplanung. Für den vorliegenden Ansatz ist der „konstruktive Konflikt“ von be-sonderer Bedeutung. Der Autor weist auf Meinungsverschiedenheiten hin und emp-fiehlt koordinierende Maßnahmen. Besonders interessant sind die Bemerkungen zueiner bereichsübergreifenden Gruppe. Konfliktlösung und Konfliktmanagement solldurch die Leistungserstellung in Gruppen/Teams sichergestellt werden.

Juran entwickelt schrittweise die drei Hauptpfeiler seines Qualitätsansatzes: Qualitätsplanung, Qualitäts-regelung und Qualitätsverbesserung. Für den vorliegenden Aufsatz sind insbesondere die aufgeführtenMethoden zur Beseitigung vonMeinungsverschiedenheiten interessant. Es ist dies (zitiert nachParker Follett)die Dominanz, Großkunden mit hohem Umsatzpotential dominieren den Lieferanten. Kompromiss beziehtsichaufeinenAusgleichderInteressen,ohnedasbesteErgebniszuerzielen,undderkonstruktiveKonfliktalsderAnsatz, im Team die beste Lösungsalternative zu realisieren. Diese Betrachtungsweise Jurans basiert auf demEntwicklungsprozess von den Produkteigenschaften hin zu den Qualitätszielen und den sich darausergebenden Meinungsverschiedenheiten der beteiligten Manager. Als organisatorische Maßnahmen werdenvon Juran empfohlen zum einen der Koordinator und zum anderen die bereichsübergreifende Arbeitsgruppebei gleichzeitiger Erfüllung der Kunden-Lieferantenbedürfnisse.

Suzaki11

Suzaki beschreibt in einer Input-Output-Betrachtung wichtige Faktoren der Leis-tungserstellung. Teams und eine Arbeitsweise mit visueller Unterstützung wird gro-ßes Gewicht zugeschrieben. Visualisierung auf allen Ebenen der Unternehmenshie-rarchie schafft Transparenz und Übersicht.

Suzaki richtet sich ein System ein, in dem zur Befriedigung von Kundeninteressen die Faktoren „Qualität,Kosten, Lieferung, Sichere Umgebung und Arbeitsmoral“ herangezogen werden. Diese Faktoren werden alsOutput-Größen interpretiert. Sie stehen dem Input in Form von „Mensch, Maschine, Methode, Material undGeld“ gegenüber. Der Beurteilung teamorientierter Organisation und der visuellen Darstellung vonErgebnissen wird Rechnung getragen.

Seghezzi12

Führungsstil und Mitarbeiterorientierung sind die Basis für einen Coaching-Ansatz.Der Autor geht nicht explizit auf die Wirkung des Coaches als Konfliktlöser ein.

Im St. Galler Konzept finden sich unter den Inhalten des Qualitätsmanagements charakteristische Merkmalewie Führungsstil und Mitarbeitereinbindung. Es wird der Arbeitsstil des „Coachen“ als Führungsstilvarianteangesprochen, allerdings im Kontext der Aufgaben des Qualitätsmanagements und nicht explizit im Kontexteines Konfliktcoaches. Auch hier bietet sich eine vertiefende Betrachtung des Coaching bzw. desSelbstcoaching-Prozesses an.

Töpfer/Mehdorn13

Die Autoren betonen in besonderem Maße das Prozessmanagement in Form von in-ternen Lieferanten-Kunden-Beziehungen. Sie sehen in diesem Ansatz ein Gerüst fürKunden- und Mitarbeiterorientierung mit dem Ziel, Zufriedenheit zu fördern.

DieAusführungenderAutorengreifenhauptsächlichdenGedankendesTQMauf.TQMwirdalsganzheitlicherAnsatz gesehen. Über Einflussfaktoren (Technologieentwicklung, Konkurrenzdruck, u.a.) werden kunden-und kostenorientierte Module und Systeme von den Autoren diskutiert. Insbesondere werden die Inhaltehervorgehoben, die für den Kunden wahrnehmbar sind: Technische Qualität eines Produktes, Design- undAnmutung, Qualität von Service und Kundenbetreuung und der Kommunikationsqualität. In denAusführungen zu Teamleistungen und Qualität wird demKonfliktmanagement wenig Beachtung geschenkt.

Pfeifer14

Der Autor hebt besonders eine „Fehlerkultur“ hervor. Es stehe nicht die Schuldzuwei-sung im Vordergrund, sondern es gehe um die Fehlererkennung und die Fehlerbesei-tigung. Man darf vielleicht an dieser Stelle von einer „konfliktfreien Umgebung“ spre-chen. Alle sind auf die Fehlerbeseitigung fokussiert und nicht auf den interpersonel-len Konflikt. Eine sehr bedeutsame Bemerkung.

Unter der Überschrift „Qualitätsmanagement und Prozessplanung“ wird die Fehler-Möglichkeits- undEinfluss-Analyse (FMEA) im Kontext der Teamarbeit vorgestellt. Die Aufgaben des Moderators seien:Projektplanung und -organisation, Dokumentation und Auswertung, Methodische Korrektheit sicherstellen,Gesprächsführung. Hier wird wohl die Funktion des Projektmanagements (Projektleiter) versehentlich mitdem eigentlichen Arbeitsgebiet des Moderators vermischt.

Tabelle 1: Hinweise und Inhalte zum Qualitätsmanagement

5 Vgl. zum Konzept des internen Marketing Bruhn,Wiesbaden, 1999, S.19 ff.6 Vgl. Kamiske/Brauer, Qualitätsmanagement vonA-Z, München, Wien 1993, S.143 ff7 Vgl. Hilb, Integriertes Personalmanagement,München-Neuwied, 2003, S.12 ff.

8 Vgl. hierzu die Grundlagen bei Deming, Out of crisis, Cambridge (USA), 1986.9 Vgl. Murphy, Dienstleistungsqualität, München-Wien, 1994, S. 78 ff.10 Vgl. Juran, Handbuch der Qualitätsplanung, Landsberg/Lech, 1991, S.198 ff.11 Vgl. Suzaki, Die ungenutzten Potentiale, München-Wien, 1994, S. 21 ff.12 Vgl. Seghezzi, Integriertes Qualitätsmanagement, München-Wien, S.187 ff.13 Vgl. Töpfer/Mehdorn, Total Quality Management, Neuwied, Kriftel, S.151 ff.14 Vgl. Pfeifer, Qualitätsmanagement, München-Wien, S.109 ff. und S. 507 ff.

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Bei allen Autoren sind der Geschäfts-erfolg, auf der Basis langanhaltender Ge-schäftsbeziehungen mit dem definiertenKundenkreis, sowie der persönliche Nut-zen der beteiligten Organisationsmitglie-der (Mitarbeiterinteresse, Mitarbeiterzuf-riedenheit) von herausragender Bedeu-tung. Das geht vom Lieferanten des Lie-feranten bis zum Kundendienst und ei-nem möglichen Reklamationsprozess undder damit verbundenen gesellschaftlichenRelevanz. Juran und Crosby,15 Baumeistereiner prozessorientierten Darstellung, ge-hen auf die Lieferanten-Kunden Bezie-hungen ein und erwähnen dabei auch dieSchwierigkeiten und Konfliktpotentialeinnerhalb der Wertekette.

C. Lieferanten-Kunden-Modell – derKollege als Kunde

Um eine typische und leicht nachvollzieh-bare Situation vorzustellen, sei das Liefer-anten-Kunden-Modell als Anschauungs-objekt gewählt. Dieses Modell machtdeutlich, dass in der Abstimmung zwi-schen den beteiligten Personen und derenwirklichen Interessen die Schwierigkeit zusehen ist. Interessen bzw. unterschiedli-che Sichtweisen sind die Keimzelle fürAuseinandersetzungen und Teams sindnicht per se soziale Gruppen deren Zieldie Harmonie ist. Es werden Rahmen-richtlinien nötig werden, die die Wechsel-wirkungen des Lieferanten-Kunden-Mo-dells aufzeigen. Von zentraler Bedeutungwird Wissen um die Probleme der Kon-fliktentstehung und der Konfliktbehe-bung.16 Insbesondere dem mediativenMandat der Konfliktlösung im Rahmenstark divergierender Interessen muss Be-achtung geschenkt werden.17 Lieferantenund Kunden im diskutierten Modell defi-nieren den Konflikt als gemeinsamesProblem und verzichten von Beginn anauf einseitige Schuldzuweisungen.

Das Lieferanten-Kunden-Denken hatsich bei der Prozessanalyse durchgesetzt,da es die Abhängigkeiten der Einflussgrö-ßen „Lieferant-Kunde“ visualisiert undhilft, die jeweiligen Bedürfnisse der Kun-den und der Lieferanten im Sinne derQualitätsdefinition herauszuarbeiten. So

kann man sich vorstellen, dass ein Auf-tragsbearbeitungsprozess in Verbindungmit einer Reklamation Größen heranzie-hen wird, die im Sinne des Kunden undder Lieferanten Maßstäbe setzen können.Die nachfolgenden Serviceleistungen sinddie Marketing-Logistik18 entlehnt undkönnen plausibel auf interne Lieferanten-Kunden Strukturen im Konfliktfall über-tragen werden. Folgende objektivierbareGrößen, die als Standards interpretiertwerden können, sind denkbar:

k Lieferzeit (Angabe in Stunden, Tagen),

k Lieferzuverlässigkeit/Termintreue(vereinbarte, pünktliche Lieferung),

k Lieferbereitschaft (ist in der Lage zuliefern),

k Lieferflexibilität (kann auch auf uner-wartete Aufträge reagieren),

k Lieferbeschaffenheit (Lieferung hatkeine Fehler).

Das hervorstechende Merkmal ist dieMöglichkeit der Quantifizierung der Be-urteilungskriterien und damit der Über-prüfbarkeit. Die wichtigste Abhilfe ist imSinne einer Qualitätsplanung die gemein-same Planung. Lieferanten (intern/ex-tern) als auch den Kunden (intern/extern)muss Rechnung getragen werden. Hierfürsind organisatorische Maßnahmen zutreffen. Diesem Gedanken wird unterdem Absatz „Konfliktüberwindung“ nochAufmerksamkeit zu schenken sein, vgl.Tabelle 2. Juran wählt in diesem Kontextden Begriff des „Konstruktiven Konflikts“und dessen Abhilfe, vgl. Tabelle 1.

Zusammenfassend lässt sich konsta-tieren, dass Qualität vor dem Hintergrundder Erwartungshaltungen der Kunden zubeurteilen ist. Wir liefern immer dannQualität, wenn wir den Erwartungen desKunden entsprechen. Nicht mehr undnicht weniger. Das Denken in „SupplyChains“ kann als Abfolge von Lieferan-ten-Kunden-Beziehungen verstandenwerden, d.h. es wird über den gesamtenWertschöpfungsprozess zu konfliktbela-denen Abstimmungsprozessen kommen.Kunden fordern bestimmte Leistungen

oder wollen Anweisungen geben, wie siebedient werden wollen; der Lieferant fühltsich verletzt, er reagiert aggressiv. Es ent-stehen Konflikte aus der Kommunika-tionsbeziehung. Eine Überarbeitung be-stehender Abläufe in Unternehmen, imExtremfall eine radikale Neuausrichtung,wird zwangsläufig zu Friktionen führen.Eine Synchronisation des neuen Wert-schöpfungsprozesses ist konfliktbehaftetund bedarf deshalb der Begleitung. Es be-steht die Aufgabe, Transparenz herzustel-len im Sinne neuer interner Lieferanten-Kunden-Strukturen. Dies beinhaltetselbstverständlich eine Qualifizierung derMitarbeiter, insbesondere der Führungs-kräfte vor dem Hintergrund eines Kon-fliktmanagementsystems. Dem Control-linggedanken wird Rechnung getragen,indem Informationen über Erwartungenbereitgestellt werden vor dem Hinter-grund der Teilplanungen von Lieferantenund Kunden. Der Begriff des BusinessReengineering steht für eine „radikaleDenkweise“ in diesem Kontext.19

D. Bedeutung von Standards

Im Rahmen von Qualitätsmanagement-philosophien wird insbesondere von Su-zaki20 die Bedeutung von Standards her-vorgehoben. Es seien einige Festlegungenzu treffen, an die Mitarbeiter gebundensein sollen. Die folgenden Forderungenverdeutlichen den Ansatz:

k Disziplin entwickeln,

k Bewusstsein entwickeln,

k Verfahrensweisen klären,

k Basis für Verbesserungen schaffen(vgl. Deming-Cycle).Überträgt man diese Prinzipien auf

Trainingsangebote, so hat man wertvolleHinweise für gute Praktiken im Konflikt-fall. Organisationsteilnehmer können aufdieser Basis leichter und zielführendermit Differenzen umgehen. An diesemPunkt kann sich der Coach in besondererArt und Weise profilieren. Der Deming-Cycle bildet mit seinem spezifischen

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 49

Der Kollege als Kunde – Interne bzw. externe Lieferanten-Kunden-Beziehungen

Lieferant Kunde Kunde Kunde Endkunde

Lieferant Lieferant Lieferant Verbraucher

Markt

Abb.3: Lieferanten-Kunden-Modell als Basis einer „konfliktfreien“ Kooperation

15 Vgl. Crosby, Qualität 2000-kundennah, team-orientiert, umfassend, München-Wien, 1994,S. 60 ff.16 Vgl. Biermann/Dehr, Wenn Arbeitskollegen zuKunden werden, HBM, 3/98, S. 93 ff.17 Vgl. Köstler, Mediation, München, 2010,S. 80 ff.18 Vgl. Dehr, Marketing-Logistik, Berlin (Buch-projekt).19 Vgl. Champy, Reengineering im Management,Frankfurt-New York, 1995, S.126 ff.20 Vgl. Suzaki, Die ungenutzten Potentiale, Mün-chen-Wien, 1994, S. 82 ff.

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Kreislauf den Rhythmus perfekt ab. Wennz.B. Problemlösungsteams aus verschiede-nen Abteilungsbereichen sich mit demDeming-Cycle eine „Verfassung“ geben,dann kann das Verfahren als LeitlinieKonflikten vorbeugen. Voraussetzung istdie Akzeptanz und das Wissen um denVerfahrensablauf.

Wenn nach einem Leistungsstandardgesucht wird, dann muss dieser „Null-Fehler“ sein, d.h. für die vorliegende Dis-kussion, Konflikte erst gar nicht aufkom-men zu lassen. Auszutragende Konfliktewären demnach bereits im Ursprung zuerfassen und sofort zu beheben. Qualitätwird an dieser Stelle als systematischeVorbeugung interpretiert. Man sollte alsowissen, wie vorhandene Probleme beur-teilt und beseitigt werden, um in der Zu-kunft auftretende Probleme zu verhin-dern.

Menschen in Organisationen müsstensich z.B. regelmäßig die Frage stellen, obsie immer gute Arbeit für den Kollegen(Kollege als Kunde) abliefern oder ob siesich immer wieder eben nicht qualitätsbe-wusst verhalten. In diesem Fall liefern sienicht die erwartete Leistung ab. Es kommtzu Konflikten. Wenn in diesem Zusam-menhang von Partnerschaft die Rede ist,dann kann man von Respekt und Ver-trauen sprechen. Die Chance, ausgewoge-ne Entscheidungen zu bekommen undKonfliktpotential einzuengen ist groß.Der Leistungsstandard hat „Null-Fehler“zu sein und nicht „Das ist gut genug“.Man darf vor diesem Hintergrund nichtakzeptieren, dass Qualitätsmängel nichtzu verhindern seien. Eine verpatzte Ab-stimmung generiert Fehler, d.h. wir ent-täuschen Lieferanten und Kunden. Dasstetige Bemühen um Qualität ist der zent-rale Punkt in einem Verbesserungspro-zess. Das Harvard-Konzept betont das„Verhandeln mithilfe objektiver Krite-rien“, d.h. es werden Verfahrensweisenvorgeschlagen, die von beiden Seiten ge-tragen werden können.

1. ,,Funktionieren Sie jeden Streitfallzur gemeinsamen Suche nach objek-tiven Kriterien um.

2. Argumentieren Sie vernünftig – undseien Sie selbst offen gegenüber sol-chen Argumenten, die auf einsichti-gen Kriterien beruhen und die sagen,wie man sie entsprechend umsetzensoll.

3. Geben Sie niemals irgendwelchemDruck nach, beugen sie sich nur(sinnvollen) Prinzipien.“21

Wie sind Mitarbeiter darauf vorberei-tet? Welche Instrumente stehen Ihnen zurVerfügung? Sind Kundenerwartungen de-

finiert? Sind Lieferantenerwartungen defi-niert? Gibt es Redundanzen in einzelnenArbeitsschritten? Gibt es eine klare Ver-antwortungsabgrenzung? Gibt es geeigne-te organisatorische Vorkehrungen? Wer-den die Faktoren „Kosten, Zeit und Quali-tät“ berücksichtigt?

E. Konfliktursachen in Organisatio-nen

Die Identifikation von Konfliktursachenund die Art und Weise der Bearbeitungsowohl durch einzelne Verantwortlicheals auch durch Teams ist von zentralerBedeutung. Konflikte sind per se nichtsnegatives, aber das Verlassen einer objek-tivierbaren Grundlage, Emotionen undaus der Luft gegriffene Haltungen er-schweren den Prozess. Lautstärke undpersönliche Angriffe wirken sich zusätz-lich störend oder beleidigend aus.

Zunächst zu den Konfliktursachen: (1)In Organisationen entstehen bei der Ver-teilung der Budgets auf einzelne Produkteoder Produktgruppen enorme Interessen-skonflikte (Allokationsproblematik). DieGegensatzpaare „Umsatz versus Gewinn,Umsatz versus Deckungsbeitrag, For-schung + Entwicklung versus Produk-tionsplanung, Produktion versus Vertriebund Logistik versus Materialmanage-ment“ vervollständigen die Betrachtung.

(2) Behandlung von Kollegen bzw.Teammitgliedern erfolgt gerecht oder un-gerecht, persönliche Animositäten gewin-nen an Gewicht. (3) Vorgesetzte oder Kol-legen halten Informationen zurück, es istdie Absicht dahinter zu vermuten, Machtund Einfluss durch Informationsvorent-haltung zu gewinnen. (4) Schließlich sindStimmungen in Organisationen, bedingtdurch Freundschaften und gegenseitigesVertrauen oder Misstrauen geprägt.22

Es sind überwiegend persönliche undbetriebswirtschaftliche Betrachtungen,die Klima und Arbeitsprozesse einschrän-ken. Ein Veränderungsprozess im Verhal-ten der Mitarbeiter mit Wirkung auf Kun-den und Lieferanten kann durch konflikt-lösende Maßnahmen erreicht werden. ImPromotorenmodel von Witte23 werdenden Promotoren Opponenten (Macht-/Fachopponenten) gegenübergestellt, dieInnovationsprozesse aufhalten könnenund deshalb zwingend sehr früh einge-bunden werden sollen. Es ist nicht auszu-schließen, dass Interessengruppen (Be-triebsrat, Vertrauensleute, Ombudsmän-ner, Personalleitung, Rechtsabteilung,u.a.) schwierige Verhandlungspartner beider Entwicklung eines KMS sein können.

Dafür verantwortlich sind Macht- undAnsehensverluste.24

Ausgehend von der Unternehmenslei-tung sind solche Veränderungsprozesseeinzuleiten bzw. zu promoten. Antwortenwerden auch aus den Verfahrensanleitun-gen der ISO 9001ff. und des EFQM (Euro-pean Foundation for Quality Manage-ment) gegeben. Zentrales Element beiderAnsätze ist die Steigerung der Kundenzu-friedenheit, der Kundenbegeisterung undder damit verbundenen Kundenbindung.Vor diesem Hintergrund bezieht sich dieQualitätsdiskussion auf Produkte, Dienst-leistungen und interne Prozesse, im Sinneder bereits erwähnten „Lieferanten-Kun-den-Beziehung“.

Ein entwickeltes Konfliktmanage-mentsystem als Hilfe zur Selbsthilfe hältMaßnahmen bereit, um eine Konfliktent-stehung nicht aufkommen zu lassen. EineEskalation mit weitreichenden Folgenbzw. Auswirkungen für die Problemlö-sungsfähigkeit soll vermieden werden.Kosten, die für Korrekturen über Wochenund Monate anfallen, sind nicht außerAcht zu lassen. Im Qualitätsmanagementdiskutiert man den Preis, der Abweichungals den Preis, der zu zahlen ist, wennNachbesserungen stattzufinden habenund deren Behebung in Geld ausgedrücktwird. Im Kontext eines Konfliktmanage-mentsystems könnte man vom „Preis desKonflikts“ sprechen. Dabei handelt es sichum ein wirksames Instrument für alleVerantwortlichen auf der Basis eines „ob-jektivierbaren Kriteriums“. Basis für dieseBetrachtung ist in Unternehmen die Pro-zesskostenrechnung.25 In Tabelle 2 wer-den konzeptionelle und personenge-steuerte Verfahrensweisen und Empfeh-lungen angesprochen, die im Rahmenvon Konfliktmanagementsystemen einenhohen Stellenwert genießen. Die ISO-9000 Diskussion sowie der Mechanismusdes EFQM sind seit Jahren in Unterneh-men gelernt und bieten damit einen gutenAnknüpfungspunkt an die Diskussion umKonflikte und deren Bearbeitung.

Das Harvard-Konzept findet seit Jah-ren in amerikanischen Unternehmen einegroße Resonanz. Durch den Hinweis aufobjektive Kriterien und eine sachbezogene

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201550

21 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard Konzept,Frankfurt New York, 23. Aufl., 2009, S.129.22 Vgl. Rosenstil/Molt/Rüttinger, Organisationspsy-chologie, Stuttgart u.a., 1975, S. 91 ff.23 Witte, Organisation für Innovationsentschei-dungen – Das Promotermodell, Göttingen, 1973;Witte, ZfB 46/1976, 319.24 Vgl. v. Oertzen/Nöldeke, in PWC/EUV, s. Fn.1,S. 63 ff.25 Vgl. Winkelmann, Marketing und Vertrieb,München-Wien, 2008, S. 95; Olfert, Kostenrech-nung, Ludwigshafen, 2000, S. 43 f.

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Handlungsebene wird schon zu Beginn ei-nes Problemlösungsprozesses die Unab-hängigkeit von Interessenlagen hervorge-hoben. Überträgt man diese Überlegungauf das dargestellte Lieferanten-Kunden-Modell, so haben die definierten Kriterienbeide Seiten zufriedenzustellen.

Die ISO-Richtlinien haben dafür ge-sorgt, dass klare Begrifflichkeiten für„Qualität“ definiert werden. Man kann indiesem Zusammenhang z.B. lesen, dass„Qualität die Eignung für den Verwen-dungszweck“ ist. Eine erbrachte Leistungmuss für einen Verwendungszweck prak-tisch geeignet sein.

Zentrale Kriterien der Qualitätsfor-schung wurden oben dargestellt, vgl. Ab-bildung 1. Nun ist der Frage nachzugehen,wieweit diese Kriterien auf eine Qualitäts-diskussion im Rahmen eines Konfliktma-nagements anzuwenden sind.– Qualität wird unter dem Gesichts-

punkt des Kundennutzens definiert.Dabei sind die streitenden Parteien„Lieferanten-Kunden“ in wechselseiti-gem Verhältnis, vgl. Abbildung 1.

– Aber wie werden dann Qualitätsinhal-te gemessen? Wann stellt sich Zufrie-denheit ein?

– In Konfliktsituationen wird sich derKompromiss bewähren. „Ich habemeine Ziele zu 70% erreicht.“ Dieswäre eine Aussage mit skalierbaremCharakter.

– Qualität zeigt sich in der Beilegungvon Konflikten ohne juristische Hilfe,die in Unternehmen ohnehin nicht soschnell Platz greifen dürfte.Aus der Sicht eines Moderators oder

Mediators sind die Konfliktparteien Kun-den. Wie wir gesehen haben, wird Quali-tät dann erzeugt, wenn die Zufriedenheitder Kunden im Mittelpunkt unseres Den-ken und Handelns steht.

F. Systematische Vorbeugung undQualität

Man kann nur intervenierend wirken,wenn man die Verfahren und Bedürfnisseder Lieferanten und Kunden versteht. Essind die Abweichungen in diesem System

zu erkennen, nur durch diese Wahrneh-mung werden die Sachverhalte klar er-kennbar. Man könnte auf die Idee kom-men, dass eine strikte Kontrolle im Liefer-anten-Kunden-Modell Abhilfe schaffenkönnte, es scheint aber so zu sein, dasswir schon bei Beginn der Austauschbezie-hungen bemüht sein müssen. Was hat derLieferant zu liefern? Was erwartet derKunde? Welche Methoden und Verfahrenmüssen hierfür bereitgestellt werden?Wenn also darauf geachtet wird, dass vonBeginn an keine Probleme auftreten, istmit zufriedenen Lieferanten bzw. Kundenzu rechnen. Ansonsten steht zu befürch-ten, dass Fehler zu berichtigen sind oderder Prozess muss von neuem gestartetwerden. Der Fehler ist Ursprung derSchuldzuweisungen und damit der Startfür ein enormes Konfliktumfeld.29 EinigeUnternehmen gehen in jüngerer Zeit dazuüber, ein maßgeschneidertes Konfliktma-nagementsystem zu entwickeln, um denUmgang mit Konfliktsituationen zusteuern. In diesem Kontext werden Kos-ten-Nutzen Erwägungen angestellt. Einerster Schritt besteht in der Ausbildunginterner Berater (Coaches, Moderatoren,Mediatoren) und der stärkeren Einbin-dung externer Helfer sowie eine Festle-gung der „Audit-Zeitpunkte“ im Rahmeneines Früherkennungssystems.

G. Teamstrukturen als Organisa-tionsprinzip

Mitarbeiter in Organisationen haben be-stimmte Fähigkeiten zu entwickeln, damitsie die Zielsetzung einer Konfliktvermei-dung erfüllen können: (1) Eine positiveEinstellung zur Qualitätsverbesserungund (2) die Fähigkeit, in Teams mit Kolle-gen zusammenzuarbeiten. Eine Grund-formel hat sich in der Praxis bewährt:Fordern, Fördern, Feedback-Geben. Qua-litätsarbeit und konfliktfreie Beziehungenwerden gefordert, müssen aber gleichzei-tig inhaltlich verdeutlicht werden und dieTeilnehmer sind durch interne/externeModeratoren, Coaches oder Mediatorenzu unterstützen.

Teams werden abteilungsintern alsauch abteilungsübergreifend entwickeltund sie folgen dem Lieferanten-Kunden-Gedanken. Damit ist die Prozessorientie-rung gemeint, wie sie oben beschriebenwurde. Es geht um die Planung von Proz-essen und um die Beseitigung von Störun-gen durch unzureichende Harmonisie-rung. Noch im Rahmen der zurückliegen-den Diskussion um Schnittstellen wurdenRessortkonflikte, Motivkonflikte und In-formationskonflikte behandelt und dieÜberwindung durch Prozessorientierungvorgeschlagen. Das Team als Entschei-

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 51

Wege zur Bewältigung unternehmerischer Verantwortung im Rahmen derKonfliktüberwindung26

Coaching/Selbstcoaching/Konfliktcoaching/Team-coachingZum Ablauf eines systemischen Coaching: Prob-lemdefinition, Zielerarbeitung, klarer Auftrag, Kri-terien für Zielerreichung festlegen, Lösung undErfolgsüberprüfung/Maßnahmenbildung27

Coaching (to coach = betreuen, trainieren) An-leitung zu frühem Erkennen von problematischenSituationen, die bei Eskalation zu erheblichenzeitlichen Belastungen führen können.

Moderationstraining für die Führung von TeamsModerator kann/soll intervenieren wenn vomThema abgewichen wirdKonfliktmoderator

Moderatorhateine leitendeFunktion,erverhältsichneutral. Die beteiligten Personen sind reif genug,Probleme (Konflikte) unter Anleitung selbst zulösen. Eine guteModerationwird vonToleranz undgegenseitigem Respekt getragen.

Mediation als Mandat zur Anwendung von Kon-fliktlösungsverfahren (Harvard Ansatz)28

Konflikte sind zu entschärfen, eine Balance zwi-schen Verhandlungsthema und Individual-bzw.Gruppeninteressen ist herzustellen

Verwendung objektiver Kriterien für die Beilegungeines Streitfalls.DieKonfliktparteien sollengemein-sam objektive Kriterien suchen

Ausgewählte Elemente aus dem ISO-/EFQM-An-satzHinterbeidenAnsätzenverbergensichkunden-bezogene undmitarbeiterbezogene Aspekte.Was erreicht das Unternehmen für seine Kunden?Werden diese zufriedengestellt? Wie werden Be-schwerden behandelt?Wie nehmen Mitarbeiter das Unternehmen wahr?Stichworte hierzu sind: Kommunikation, Ermäch-tigung, Beteiligung, Anerkennung, Verhältnis zuKollegen.

Präventive Maßnahmen im Rahmen der Zertifizie-rung, Aufstellen von Standards, die dabei Leitlinienzur Konfliktbeilegung sind. Zentrale Elemente vonWichtigkeit für ein betriebliches Konfliktmanage-ment sind:Verantwortung der obersten Leitung: Regelung vonZuständigkeiten, Verantwortungen, BefugnissenLenkungderDokumente:LenkungderDokumente,Pflege der Dokumente, Einbindung in Änderungs-wesen (Erstellen, Prüfen, Freigeben, Verteilen)Vorbeugungsmaßnahmen: Fehlerinformationssys-tem, Analyse von Abläufen, Festlegung der Korrek-turmaßnahmenAudits: Interne Audits, Verfahrens-und Prozess-audits

Tabelle 2: Konfliktlösende Verfahren und Empfehlungen zur Konfliktüberwindung

26 Vgl. Dehr, Spektrum der Mediation 53/2014,49 ff.27 Vgl. Radatz, Einführung in das systemischeCoaching, Heidelberg, 2010, S. 43 ff.28 Vgl. Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept,Frankfurt-New York, 2009, S.125 ff.29 Vgl. zum Prinzip der Vorbeugung Dehr (Hrsg.),Kurswechsel Richtung Kunde, Frankfurt, 1996,S.136 f.; Linß, Training Qualitätsmanagement,München-Wien, 2003, S. 29; Linß, Qualitätsma-nagement für Ingenieure, München Wien, 2002,S. 79.

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dungsteam, Innovationsteam, etc. sollsich idealtypisch selbst in die Lage verset-zen, sich Prozessorientiert als Lieferan-ten-Kunden-System auszurichten. DieSäulen der Zusammenarbeit sind:

k Unabhängigkeit und Toleranz,

k Idealismus, Verantwortung und ge-genseitiges Vertrauen,

k Beteiligung der betroffenen Mitarbei-ter,

k Abbau von hierarchischen Strukturen.Wie die Praxis zeigt, gibt es erhebliche

Widerstände, die aus persönlichen undmachtpolitischen Überzeugungen entste-hen. Es ist zu bedenken, dass eine Dezen-tralisierung auch einhergeht mit einemgroßen Autoritätsverlust insbesondereder mittleren Hierarchieebenen.

Hilfreich beim Aufbau von Teams istdas „Team-Design-Konzept“ auf der Basisder Rollentheorie: Förderer, Entwickler,Organisator, Produzent, Controller, Er-halter, Berater und Erfinder stellen dieunterschiedlichen Rollen dar. So nützt eswenig, wenn einem starken Förderer keinPart in Gestalt eines Controllers gegen-übersteht. Es sind einseitige Entscheidun-gen zu befürchten, die nicht ausgewogenwahrgenommen werden. Hilb sieht in die-sem Rollenkonzept den Coach als zentraleAnlaufstelle mit beratender Funktion. Esist also nach den sich ergänzenden Rol-lenstärken/-schwächen zu forschen unddann ein Team zu implementieren.30 EineUnausgewogenheit der Rolleninhabermuss Konflikte hervorrufen. Der Zweckder Rollentheorie besteht in der Balanceder Kräfte und Begabungen. Wider-

sprüchlichkeiten im Sinne der Ambigui-tätstoleranz auszuhalten ist Teil derPersönlichkeitspsychologie und weist da-raufhin, Rollenkonflikte auch zu tolerie-ren.

Eine verwandte Betrachtungsweisebesteht in der „Dynamik der Teament-wicklung“ auf der Basis der verschiedenenEntwicklungsstadien. Ziel ist die Fähigkeiteines Teams sich selbst auszurichten undProzesse aufzunehmen und gegebenen-falls neu zu strukturieren. Beeinflusstwird dieser Ansatz von der Entwicklungarbeitsfähiger Teams. Wenn dies behut-sam angegangen wird, spricht einiges füreinen ausgeglichenen und abgestimmtenEntscheidungsprozess. Forming (Mitglie-der lernen sich kennen), Storming (For-mulierung von Erwartungen und Metho-den), Norming (Festlegen von Zielen undArbeitsweisen), Performing (PlanmäßigeArbeit des Teams) beschreiben die Ent-wicklungsschritte zu einer simultanenund konsensorientierten Vorgehenswei-se.31 Es ist davon auszugehen, dass beiverschiedenen Teamtypen (Top-Manage-ment-Team, Abteilungsleiter-Team, Pro-jektteam, Quality Circle, Ausschuss, Ar-beitsteam, Innovationsteam) der Team-trainer vor unterschiedliche Aufgabenund Probleme gestellt werden wird.32

Ebenso darf vermutet werden, dass derTeamtrainer als Konflikt-Coach bzw. alsMediator Aufgaben übernehmen wird.Ein leistungsfähiges Team wird gänzlichauf einen Berater verzichten können, dieserfordert aber ein „Performing“ im Sinneder Teamentwicklung.

H. Fazit

Ein Konfliktmanagementsystem (KMS)hat für eine Kanalisierung der Konfliktfäl-le zu sorgen. Ursachen, Häufigkeit undSchwierigkeitsgrad der Konfliktfälle sindin einer „Konfliktstatistik“ zu erfassenund den Konfliktmoderatoren, Konflikt-coaches, Mediatoren zu überantworten.Die Unternehmensleitung ist in besonde-rer Art und Weise gefordert, Vorkehrun-gen personeller Art zu treffen in der Er-wartung, dass immer häufiger von kon-fliktfreien Prozessen gesprochen werdenkann und sich dies auf Kostenwirtschaft-lichkeit (Konfliktkosten) und Produktivi-tät (Produktivitätssteigerung) auswirkenwird. Der vorliegende Beitrag zur Ent-wicklung eines KMS ist ein Plädoyer fürQualität und Konfliktvermeidung am Ar-beitsplatz.

Prof. Dr. Gunter Dehrem. Professor für ABWL, Unternehmens-führung und Marketingplanung an derHochschule Anhalt (FH).Inhaber der Dr. Dehr Unternehmens-beratung Berlin (Schwerpunkte:Strategische Unternehmensplanung,Controlling, Coaching, Moderation [email protected]

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201552

Katja Windisch*

Fair und/oder gerecht? Fair-nesskriterien in der MediationFairness wird inder Mediationsli-teratur im We-sentlichen alsspezifisches Kri-terium der Me-diation an sichverstanden. Diezund MurbachkonzipierenFairnesskriterienzusätzlich alsphasenunabhängigen, flexibel einsetzba-ren „Baustein“, der sich aber nicht nurauf das Verfahren, sondern auch auf das

jeweilige Resultat des Konfliktbearbei-tungsprozesses bezieht. Vor dem Hinter-grund begrifflicher Überlegungen wirdvorgeschlagen, diesen Baustein anders zubezeichnen.

I. Einleitung

Ralph: When she put two potatoeson the table, the big one andthe small one, you immedia-tely took the big one withoutasking me what I wanted.

Norton: What would you have done?

Ralph: I would have taken the smallone, of course.

Norton: You would? (In disbelief)Ralph: Yes, I would!Norton: So, what are you complaining

about? You GOT the littleone!1

Katja Windisch

30 Vgl. zum Konzept der Jungschen Persönlich-keitslehre und der weiterführenden Lit. Hilb, s.Fn. 7, S. 28 ff.31 Vgl. Dehr, s. Fn. 3, S.12 ff.32 Vgl. Francis/Young, Mehr Erfolg im Team,Hamburg, 1996, S. 29 ff.

* Der Artikel basiert auf einem Teil der Abschluss-arbeit der Verfasserin im Rahmen der Mediations-Ausbildung am Ausbildungsinstitut Perspectiva inBasel.1 Conversation between Ralph Kramden and EdNorton in an episode of The Honeymooners(1955), zitiert nach: Brams/Taylor: The Win-Win-Solution. Guaranteeing fair Shares to Everybody,New York/London, 2000.

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Obwohl weder Ralph noch Ed in der ge-schilderten Szene „Fairness“ erwähnenund auch von Mediation relativ weit ent-fernt sind, lässt sich an diesem kurzenDialogausschnitt doch die Problematikdes phasenunabhängigen Bausteins „Fair-nesskriterien“ in der Mediation exponie-ren:2 Während der eine sich am Verfah-ren abarbeitet, argumentiert der anderemit dem erzielten Resultat der Verteilungdagegen. Bei strittigen Auffassungen da-rüber, wie etwas geteilt werden oder wel-cher Standard zumutbar ist usw., ist esunbestritten hilfreich und in der Media-tion gängige Methode, die Ebene zu wech-seln. Gary Friedman und Jack Himmel-stein,3 renommierte Mediatoren4 und Me-diationsausbilder, thematisieren dann die„Points of Reference“ der Medianden, ih-re Bezugspunkte oder Bewertungsmass-stäbe. Hannelore Diez (2006 verstorben),Schülerin von Friedman und Himmel-stein, und auch Murbach, seinerseits Schü-ler von Diez und namhafter Mediations-trainer in der Schweiz, konstruieren ausdiesen den Baustein „Fairnesskriterien“.5

II. „Fairnesskriterien“ als phasen-unabhängiger Baustein

Eingesetzt werden die „Fairnesskriterien“nach Diez/Murbach situativ bei Blocka-

den, Disbalancen, Unfairness, sowie beivermuteten relevanten Tabuthemen.6

Murbach setzt die Fairnesskriterien in je-der zehnten Mediation ein, zumeist inPhase drei (Bedürfnisse/Interessen), teil-weise aber auch schon im Erstgespräch,wenn dort grundsätzliche „Fragen nachGerechtigkeit“ auftauchen. Diez nutzte dieFairnesskriterien als festen Bestandteil je-der Mediation, um die Massstäbe undKriterien zu finden, anhand deren die Me-dianden die Vereinbarung für sich späterüberprüfen. Dies sei „von unschätzbaremWert für die Einhaltung der Vereinbarun-gen“.7 Bei der Arbeit an „eigenen Gerech-tigkeitskriterien“8 sei nicht in erster Liniewichtig, dass gemeinsame Kriterien ge-funden werden, da die Vereinbarung v.a.für jeden Einzelnen stimmig sein muss.Zudem verändern sich die Entscheidun-gen und v.a. auch die Art, wie miteinan-der verhandelt wird, mit der Erarbeitungder Fairnesskriterien häufig.9

Mediatoren fragen:10

k „Unter welchen Bedingungen/Krite-rien fänden Sie die Regelung/Vereinba-rung fair/gerecht?“

k „Damit Sie nicht im Nachhinein den-ken, das ist nicht fair. – Was muss inder Vereinbarung alles enthalten sein,dass Sie das Gefühl haben, weil dasenthalten ist, ist es fair und gerecht?“

k „Welche Kriterien müssen in Bezugauf Fairness und Gerechtigkeit erfülltsein?“

k „Woran können Sie erkennen, dass et-was fair und gerecht ist?“

k „Es könnte für Sie beide wichtig sein,dass Sie sich Gedanken machen, unterwelchen Umständen Sie (beide) dieerarbeiteten Zahlen mit gutem Gefühlunterschreiben könnten?“

k „Welche Fairnessaspekte sollten – un-ausgesprochen – in die Vereinbarkeiteingeflossen sein?“

Besonders häufig genannte Massstäbeund Kriterien sind gemäß Diez z.B.:

– Machbarkeit und ökonomische Reali-tät

– Weiterhin Respekt im Umgang mitei-nander nach Beendigung der Konflik-te

– Interessen und Bedürfnisse von jedemEinzelnen

– Erhalt von „Werten“ wie z.B. Firmen-oder Familienbesitz, guter Ruf

– Wohl der Kinder/Umwelt

– Erhalt von Beziehungen (Schulge-meinschaft, Familie, Betrieb, Nach-barschaft, Elternschaft)

– Absicherung der Zukunft– Anerkennung von Arbeit und Energie– Materieller und immaterieller Kon-

tenausgleich, z.B. auch von Schuld– Ausgleich von Geben und Nehmen– Prinzipien der Rechtsordnung.

Die Schwierigkeiten bei der Erarbei-tung der „Fairnesskriterien“ liegen indem Anspruch, dass die Kriterien einer-seits so allgemein formuliert werden soll-ten, dass die zu findende Lösung nichteingeschränkt wird,11 andererseits aber ei-nen konkreten Bezug zur Thematik derVereinbarung aufweisen sollten.12 DesWeiteren sollten die Kriterien intersubjek-tiv überprüfbar bzw. messbar sein, aberzugleich individuell spezifisch, denn:

,,Genau diese „Eigen-Gerechtigkeit“ist in der zugestandenen Privatautonomie[...] ausdrücklich gemeint und gewollt.[Das bedeutet] zunächst, Abschied zunehmen von der „objektiven“ Gerechtig-keit und eine Relativierung des normati-ven Rechts“.13

Bei grundsätzlicher Betrachtung ist ei-ne Problematik ähnlich der Kartoffel-Sze-ne zwischen Ralph und Ed erkennbar:Das Ergebnis bleibt für den einen stim-mig. Für den anderen aber ist es – so ent-standen – unfair, während es – andersentstanden – akzeptabel gewesen wäre:Die Kriterien, die auf das Entstehen ver-wendet werden, passen offensichtlichnicht unbedingt in gleicher Weise auf dasErgebnis. Bezogen auf Mediation als Ver-fahren lässt sich fragen:

k Ist „Fairness“ nun einer unter mehre-ren möglichen Bewertungsmassstäbenfür die Vereinbarung, z.B. neben demRecht?

k Ist Fairness der (vorgegebene) Mass-stab, zu dem Auslegungskriterien ge-sucht werden sollen?

k Können Fairness und Gerechtigkeit –wie von Diez und Murbach – synonymverwendet werden?

k Und wie verhält sich der so benannte„Baustein“ zur Fairness als Charakte-ristikum des Mediationsprozesses?

III. Fairness als Verfahrensgerechtig-keit

Der amerikanische Philosoph John Rawls(1921–2002) konzipierte Fairness als Ver-fahrensgerechtigkeit bzw. „die [...] Fair-ness eines Vorgangs, [als diejenige] derMittel oder der Art und Weise, in der ver-schiedenartige Ergebnisse oder Endzu-stände erzielt oder hervorgebracht wer-

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 53

2 Gemeinhin werden 6 Phasen unterschieden: 1.Einführung und Arbeitsbündnis, 2. Informations-und Themensammlung, 3. Interessenklärung undKonflikterhellung, 4. Optionen und Ideen, 5. Ver-handeln und Einigung, 6. Vereinbarung und Ab-schluss. Generell gibt es parallel zum Phasenmodelldes (idealen) Ablaufs von Mediationen Mediations-techniken – des Fragens, Fokussierens, Partialisie-rens, Visualisierens etc., die auch als phasenunab-hängige Bausteine bezeichnet werden.3 Zitiert nach Diez, Werkstattbuch Mediation,Köln 2005, S. 126 ff.4 Im Interesse des Leseflusses wird auf eine ge-ndergerechte Schreibweise verzichtet und durch-gängig die männliche Form verwendet; womit je-doch alle Gender eingeschlossen sein sollen.5 Diez, s. Fn. 3.6 Murbach, Mediation. Die erfolgreiche Konflikt-lösung, Reader und Fotoprotokoll zur Basisausbil-dung April–Dez. 2008 (unveröffentlicht).7 Diez/Krabbe/Thomsen, Familienmediation undKinder: Grundlage, Methoden, Techniken, Köln,2002, S. 125.8 Diez, s. Fn. 6, S. 127.9 Maria Seehausen argumentierte, Medianden kä-men „nicht nur in die Mediation, um ihre Interes-sen zu vertreten, sondern auch, weil sie erlebte Un-gerechtigkeit ausgleichen“ wollen. Da u.a. Empö-rung eine Reaktion auf wahrgenommene Ungerech-tigkeit sei, wäre deren konstruktive Bearbeitungeine logische Konsequenz. U.a. durch Integrationder Gerechtigkeitsthematik, vgl. Seehausen, ZKM2009, 110.10 Zusammenstellung aus Diez, s. Fn. 3 und 6;Murbach, s. Fn. 5.11 Also nicht: Ich finde das Ergebnis fair und ge-recht, wenn ich bekomme, was ich will.12 Murbach, s. Fn. 6.13 Diez, s. Fn. 7, S. 127.

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den“.14 Dagegen bezieht sich distributiveGerechtigkeit auf die erzielten Ergebnisseoder Endzustände selbst.

Als zentrales Kennzeichen einer ver-fahrensgerechten – fairen – Gesellschafterachtet Rawls in seiner „Theory of Justi-ce“ (1971), dass ihre Mitglieder ihr auchdann zustimmen könnten, wenn sie ihreeigene Stellung darin (noch) nicht kennenwürden. Denn sie würden den Regeln zu-stimmen, welche „die jeweiligen Anteilean Vorteilen und Lasten festlegen“.15 Fair-ness taugt als Konzept daher „gerade dort,wo das gerechte Ergebnis als solches nichtmit anderen Mitteln festzustellen ist“.16

Selbstredend sind nicht alle Regelnper se „fair“. Der Entstehung fairer Regelnzuträglich ist der sog. „Schleier des Nicht-wissens“17 bei ihrer Erarbeitung, um da-mit Vorteile weitgehend auszuräumen.Exemplarisch dafür ist „wie Kinder einenKuchen fair teilen":18 „Ein Kind zerteiltden Kuchen, das andere wählt aus. Dakann man sagen, die Lösung sei fair [zu-stande gekommen!, KW]“.19

Diese Methode korrespondiert mitder „fairen Haltung",20 dass man nichtnur Vorteile einer Gemeinschaft genies-sen will, sondern auch bereit ist, Belastun-gen zu übernehmen. Dies wiederum istnicht zuletzt im Sinne der Nachhaltigkeitund Stabilität des gefundenen Entscheids„vernünftig“.21

Diese Haltung liegt auch der sog. Gol-denen Regel zugrunde, bekannt bereitsaus altägyptischen Spruchsammlungen:„Tu niemandem etwas Böses an, um nichtheraufzubeschwören, dass ein anderer esdir antue“.22 Sie existiert in vielfältigenAbwandlungen von Konfuzius, Augusti-nus, Thomas von Aquin, Voltaire bis hinzum deutschen Sprichwort: „Was Dunicht willst, dass man dir tu, das füg' auchkeinem anderen zu“.23 Die ihr zugrundeliegende Reziprozität wird im Neuen Tes-tament positiv for-muliert: „Alles, was ihrwollt, dass euch die Menschen tun sollen,das sollt ihr auch ihnen tun“.24

Mit der Goldenen Regel verknüpftsind nach Studer25 als Merkmale mora-lischer Urteile ihre Universalisierbarkeit(Anwendbarkeit auf eine Klasse von Fäl-len), sowie Präskriptivität („vor-schrei-bende“ Verpflichtung, auch selbst zur Er-bringung der Leistung bereit zu sein, dieals moralische Pflicht formuliert wird).Der Universalisierungsgrundsatz wurdevon dem amerikanischen Sozialphiloso-phen George Herbert Mead (1863–1931)auch als „universeller Rollentausch“26 undGrundlage der Entstehung gesellschaftli-cher Normen bzw. ihrer Generalisierungbezeichnet.

Zentral bei allen bisher skizziertenKonzeptualisierungen ist, dass nicht das„gerechte Ergebnis“ als Zielvorstellungder distributiven oder allokativen Gerech-tigkeit im Vordergrund steht, sondern dieRegeln ihres Zustandekommens.27 Hieraufwürden sich folglich – begrifflich gesehen– auch so benannte „Fairnesskriterien“ inder Mediation beziehen.

IV. Die konkrete Ausgestaltung fairerVerfahren – Procedural Justice

Eine Reihe sozialwissenschaftlicher Arbei-ten setzt sich damit auseinander, wie dieRegeln fairer Kommunikations- und Ent-scheidungsverfahren konkret aussehen.Dies nicht zuletzt aufgrund des aus demRecht bekannten sog. „Procedural-Justi-ce-Effekts“:28 Beteiligte Parteien empfin-den eine durch ein bestimmtes Verfahrenfestgelegte Aufteilung je eher als „ge-recht“, je mehr sie das Verfahren als „fair“einstufen, insbesondere im Falle eines fürsie nachteiligen Verfahrensergebnisses. Inder Diskursethik des deutschen Philoso-phen und Soziologen Jürgen Habermasgehört zu den Voraussetzungen eines „be-gründeten Konsenses“ die „ideale Sprech-(bzw. Dialog-) Situation“, mit:

k dem Einschluss aller Interessenten undBetroffenen,

k der gleichmässigen Verteilung der Dia-logrechte,

k dem Ausschluss von Zwang (zulässigist nur die Überzeugungskraft der bes-seren Argumente),

k der Aufrichtigkeit der Äusserungender Diskursteilnehmer.29

Die amerikanischen Psychologen Thi-baut und Walker bezeichnen in ihren Ar-beiten neben der Verfahrenskontrolle(process control) auch die Entscheidungs-kontrolle (decision control) als entschei-dende Variable.30 Während ersteres dieMöglichkeit der Meinungsäusserung be-zeichnet, meint zweiteres die Möglichkeit,die Entscheidung z.B. durch Vetorechtezu beeinflussen.

Ergänzende Verfahrenselemente wer-den von Leventhal31 genannt:

k Die Regeln gelten bei jeder Anwen-dung und verschiedenen Personen(consistency),

k Die Durchführenden sind neutral (biassuppression),

k Informationen werden korrekt gesam-melt und angemessen berücksichtigt(accuracy),

k Fehler können korrigiert werden (cor-rectability),

k Moralische und ethische Werte der Be-teiligten werden berücksichtigt (ethica-lity).Neben diesen strukturellen Aspekten

liegen weitere Fairness-Komponenten imBereich des Umgangs, z.B. dem subjekti-ven Gefühl, mit Würde und Respekt be-handelt zu werden.32

Erklärt wird der „Procedural-Justice-Effekt“ beispielsweise von der sog. Grup-penwerttheorie33 damit, dass Menschengrundsätzlich sozial integriert sein wollen(Selbstwertgefühl, soziale Identität) unddies u.a. an ihrer Behandlung ablesen. Mitentsprechend respektvoller, vorurteilslo-ser und ernsthafter persönliche Behand-lung steigt dann auch die Bereitschaft,nachteilige Entscheidungen zu akzeptie-ren.34

Mediationen sind nach den hier ge-nannten Aspekten per se faire Verfahren,in denen (wenn immer möglich) alle amKonflikt Beteiligten versammelt werden.Sie werden von einem/einer allparteili-chen Dritten darin unterstützt, eigenver-antwortlich tragfähige Regelungen bzw.Lösungen zu finden. Mediationen laufennach einer klaren Struktur und in einem(mindestens seitens des Mediators) wert-schätzenden Klima ab.35

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/201554

14 Walkner, Gerechtigkeit und Fairness als Kon-zepte zur Überwindung der Widerstandsproblema-tik bei Beratungsprojekten, Bamberg, 2001, S. 99.15 Rawls, Gerechtigkeit als Fairness. Ein Neuent-wurf, Frankfurt, 2006, S. 57.16 Walkner, s. Fn. 14, S. 78.17 Rawls, s. Fn. 15, S. 40.18 Hösl, Mediation – die erfolgreiche Konfliktlö-sung. Grundlagen und praktische Anwendung,München 2008, S. 89.19 Hösl, ebd.20 Studer, Fairness – Leerformel oder durchsetz-bare Forderung? Das Wertewort Fairness in ausge-wählten Bereichen der ethischen und juristischenPraxis, Konstanzer Universitätsreden, Band 219,Konstanz, 2005, S. 14.21 Rawls, s. Fn. 15, S. 27.22 Studer, s. Fn. 20, S. 16.23 Studer, s. Fn. 20.24 Matth. 7.12, Lukas, 6.31.25 Studer, s. Fn. 20, S. 17 f.26 Vgl. Mead/Morris/Pacher, Geist, Identität undGesellschaft, Frankfurt a. M., 1973.27 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 14.28 Vgl. u.a. Walkner, s. Fn. 14, S. 100.29 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 15.30 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 101.31 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 105 f.; Klendauer/Streicher/Jonas/Frey, in Handbuch der Sozialpsycho-logie und Kommunikationspsychologie, Bierhoff/Frey (Hrsg.), Göttingen 2006, S. 187–195, S. 190.32 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 108 ff.33 Lind/Tyler, The Social Psychology of ProceduralJustice, New York, 1988; vgl. auch Klinger/Bier-brauer, ZKM, 2006, 72 f.34 Vgl. Machura, Fairness und Legitimität, Reihe:Schriften zur Rechtspolitologie, Bd. 10, Baden-Ba-den, 2001, S. 11., sowie auch: Streicher, ZKM2010, 100.35 Vgl. Hösl, s. Fn. 18, S. 15, 29, 39.

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V. Fairness als „Prinzip der mittlerenEbene“

Die deutsche Philosophin Annemarie Pie-per verortet Fairness zudem als Prinzipauf einer mittleren Ebene, auf der erstre-benswerte, universalisierbare Ziele, Basis-normen bzw. Grundwerte über ihre An-wendung stabilisiert werden,36 und „derHandelnde – etwa der Strafrichter – [inderen Sinn, KW] Ermessen ausüb[t]“.37

Solche Grundwerte sind beispielsweise„Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtig-keit, Menschenwürde, psychische undphysische Integrität“.38 Diesem Verständ-nis der Fairness als Kriterium einer hand-lungs- bzw. anwendungsbezogenen Ebeneund einer prozeduralen, nicht inhaltli-chen Norm entsprechen auch Fairnessbe-griffe anderer Wissenschaften: So umfasstjuristische Verfahrensgerechtigkeit insbe-sondere das Recht auf Gehör oder dasRecht auf Gegendarstellung39 bzw. Fair-ness als Gütekriterium von psychologi-schen Tests den Ausschluss von Diskrimi-nierung.40 Auch Fair-Play im Sport erfor-dert das konsequente und bewusste Ein-halten der Regeln im Dienste der Olympi-schen Idee als universalem Ziel.41

In Mediationen findet sich Fairnessnach diesem Verständnis beispielsweisedann, wenn Medianden bei der Aushand-lung ihrer Vereinbarung fair miteinanderumgehen bzw. sich über Umgangsregelnmiteinander während der Mediation ver-ständigen.

Damit wurde gleichsam der RalphsPart bei der Kartoffelverteilung näher be-leuchtet. Für die Praxis der Mediationheißt das, dass Fairness eher ein Krite-rium der Gestaltung des Prozesses insge-samt ist, ob als phasenübergreifende, fort-währende Reflexionsdynamik eingebrachtoder im Rahmen eines punktuellen„Bausteins“ erarbeitet. Da aber Eds Per-spektive in ihrer Fokussierung des Ergeb-nisses sowohl in der Kartoffelszene als

auch in jeder Mediation von ebenso gros-ser Berechtigung ist, sollen im Folgendenauch Prinzipien der Verteilungsgerechtig-keit skizziert werden, um auch die weiter-gehenden, durchaus berechtigten Anliegendes mediativen Zwischenschritts von DietzundMurbach theoretisch zu verorten.

VI. Drei Prinzipien der Verteilungs-gerechtigkeit

Gegenüber Fairness als Verfahrensgerech-tigkeit oder prozeduraler Gerechtigkeitbezieht sich die distributive Gerechtigkeitoder Verteilungsgerechtigkeit auf das Er-gebnis sozialer Austauschbeziehungen.Dabei wird dieses Ergebnis42 von den je-weils Betroffenen dann als gerecht ange-sehen, wenn sich entweder

k die Zuteilung im Ergebnis proportionalzu den individuellen Beiträgen verhält(Beitragsprinzip bzw. Equitiy), oder

k jeder der Beteiligten den gleichen Teilerhält (Gleichheitsprinzip bzw. Equali-ty), oder

k die Zuteilung den individuellen Be-dürfnissen entspricht (Bedürfnisprin-zip bzw. Need).

Die Relevanz der jeweiligen Verteilungs-norm hängt dabei u.a. von der Natur dersozialen Beziehung (Freundschaft, Part-nerschaft, Geschäftspartnerschaft etc.)und der zu verteilenden Ressource (Infor-mation, Güter, Dienstleistung/Service,Geld, Status, Liebe etc.) ab. Die Zufrieden-heit mit dem Resultat der Verteilunghängt daher – distributiv betrachtet – vonder Angemessenheit der Verteilungsnormund dem Grad ihrer Erfüllung ab.43 Beider Auswahl der Verteilungsnorm könntewiederum auf Kriterien der Fairness zu-rückgegriffen werden: Nach dem Diffe-renz- oder Maximin-Prinzip44 wird dieje-nige Alternative ausgewählt, bei dem die/der Schlechtergestellte im Vergleich zuden übrigen Alternativen das beste Ergeb-nis erzielen kann.45

VII. Verfahrens- und Verteilungs-gerechtigkeit in der Mediation

Die genannten Beispielkriterien (vgl. un-ter Ziff. II) zeigen, dass der Baustein„Fairnesskriterien“ in der Verwendungvon Diez und Murbach tatsächlich auf all-gemeine Prinzipien zielt, die den Median-den grundsätzlich wichtig sind und die siein der zu findenden Vereinbarung be-rücksichtigt wissen wollen. Von den klas-sischen Interessen und Bedürfnissen (ex-plizit in jeder Mediation thematisiert alsdritte Phase) unterscheiden sich diese Be-wertungsmassstäbe oder -prinzipien da-durch, dass sie (noch) allgemeiner bzw.

unabhängiger vom Gegenstand der Me-diation sind. Sie werden von der Mehrheitder Autoren des Mediationsfeldes thema-tisiert:

k Mastronardi beschreibt als „prinzi-pienorientiertes Verhandeln“: „Bringedie Parteien dazu, alles, was sie wollen,zu begründen, damit das Gespräch aufeine möglichst rationale Ebene geho-ben wird“46 und fragt die Parteien nach„ethischen, moralischen und rechtli-chen Grundsätzen“, um „objektivePrinzipien und nicht mehr nur subjek-tive Auffassungen“ als Begründungs-raster zu haben.

k Hösl47 fragt (in Phase 1 der Mediation)nach den „Bewertungskriterien“ derMedianden für ihre zu treffende Ver-einbarung und bietet dann an: „Washalten Sie vom Kriterium der Fair-ness?“ Andere Kriterien seien z.B. Ge-rechtigkeit, Gleichheit, Effizienz, Ver-nunft.

k Besemer bezieht sich auf das faire Zu-standekommen der Vereinbarung,und fragt: „ob alle vom Problem Be-troffenen die Möglichkeit hatten, ander Problemlösung mitzuarbeiten, oballe gleiche Chancen im Verhandlungs-prozess hatten etc.“.48

Fairness ist damit einer von mehrerenmöglichen Massstäben, die von den Me-dianden zur Bewertung und Prüfung ihrerVereinbarung festgelegt bzw. ihnen vomMediator/der Mediatorin angeboten wer-den können. Fairness ist kein Synonymfür Gerechtigkeit, sondern bezieht sichauf den Prozess, nicht das Resultat desVerhandelns. Weitere Bewertungsmass-stäbe neben Fairness und Gerechtigkeitwären z.B. gesetzliche Bestimmungen,Praktikabilität, wirtschaftliche Machbar-keit, Einhaltbarkeit bestehender Verträge,moralische Werte, politische und religiöseGrundgesinnungen.49 Die Bezeichnung„Fairnesskriterien“ als Titel der Erarbei-tung verschiedener Massstäbe ist dahereinengend und verwirrend. Zudem wider-spräche die (alleinige) Festlegung diesesMassstabs als Prüfmassstab an dieser Stel-le dem Autonomieanspruch der Median-den. Diese Arbeit nicht auf die Frage zubeschränken: Wann finde ich den Ent-scheidungsfindungsprozess fair, sondern:An welchen Massstäben soll der Prozessals Ganzes und sein Ergebnis gemessenwerden, ist hingegen für ein Gelingen derMediation ausserordentlich wichtig. Hiererscheinen dann Gerechtigkeit, Absiche-rung der Zukunft, Erhalt von Beziehun-gen Prinzipien der Rechtsordnung etc.(im richtigen Licht).

GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN

ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 55

36 Vgl. Pieper, Einführung in die Ethik, Tübin-gen/Basel, 2007, S. 32.37 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 18.38 Pieper, Gut und Böse, München, 2002, S. 15.39 Studer, s. Fn. 20, S. 40.40 Vgl. Testkuratorium der Föderation deutscherPsychologenverbände: Mitteilung, Diagnostica, 32/1986, S. 358-360, S. 358.41 Vgl. Deutsche Olympische Gesellschaft, Fair-Play-Initiative 2009, http://www.dog-bewegt.de/engagement/fair_play.html, 23.7.09.42 Walkner, s. Fn. 14, S. 108.43 Walkner, s. Fn. 14, S. 95.44 Rawls, s. Fn. 15, S. 102.45 Rawls, s. Fn. 15, S. 156.46 Mastronardi, Mediation als Weg. Kunst undTechnik der Vermittlung, Ittingen, 2000, S. 143.47 Hösl, s. Fn. 18.48 Besemer, Mediation – Vermittlung in Konflik-ten, Königsfeld/Baden, 1998, S. 79.49 Mastronardi, s. Fn. 46, S. 131.

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VIII. Schlusswort: Nicht „Fairness-“,sondern „Prüfkriterien“

Fairness des Verfahrens ist der (Idee der)Mediation inhärent. Hierbei gibt es ver-schiedene Auffassungen zur Einbindungder Medianden: Die Grundregeln der Me-diation wie Fairness, Transparenz, Ver-schwiegenheit usw. können vom Media-tor/der Mediatorin vorgegeben oder (teil-weise) im Sinne der Umgangsregeln mitParteien erarbeitet bzw. konkretisiert wer-den. Im Sinne Rawls würde es sich dabeium „Fairnesskriterien“ im eigentlichenSinn handeln.

Der phasenunabhängige Baustein –nennen wir ihn vorläufig neutraler ,,Be-

wertungs- und Prüfkriterien“ – hingegenkann „Fairness“ als möglicherweise einenvon mehreren Massstäben beinhalten.

Essentiell ist – und das sei Plädoyerwie Fazit dieses Artikels –, Begriffe indem jungen Feld der Mediation unter Be-rücksichtigung ihres vorhandenen begriff-lichen Gehalts zu verwenden, allein schon,um Verwirrungen der Art zu vermeiden,wie sie im eingangs zitierten Dialog ausden „Honeymooners“ eben aus der Ver-mischung von Prozess und Resultat er-wachsen. Denn Medianden repräsentie-ren auch betreffend ihre Vorbildung ei-nen Querschnitt aus der Gesellschaft, undwären – mit sozial(wissenschaftlich)em,

juristischen, psychologischen o.Ä. Hinter-grund – begrifflich möglicherweise min-destens verunsichert. Anderen müssteder/die Mediator/in die Begriffe erklären– und hätte mit Bezug auf ihren Kontextein profundes Instrumentarium.

Dr. Katja WindischSoziologin undMediatorin SDM-FSM,Geschäftsleitung des DepartementsGesellschaftswissenschaften an derUniversität Basel, Lehraufträge u.a. an derHumboldt-Universität zu Berlin,Mitglied des Mediations-Teams [email protected]/

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ARBEIT UND ORGANISATION

Ann Christine Hlawaty

Weniger ist mehr – Teil 2Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationenim Arbeitsleben

In diesem Artikelwerden ausge-wählte Aspekteeines von derVerfasserin ent-wickelten Mo-dells zur Ein-schätzung derEignung des Me-diationsverfah-rens bei der Lö-sung innerbe-trieblicher Konflikte dargestellt. Der be-reits erschienene 1.Teil befasste sich mitden entscheidungsrelevanten Kontextva-riablen. Im vorliegenden 2. Teil werdenneben den Grundsatzorientierungen pro-fessioneller Diagnostik die personenbezo-genen Erfolgsfaktoren in der Mediationdargelegt.

Teil 1 (Heft 1/2015, 164):A. Warum eigentlich Diagnostik?B. Kontextvariablen

I. Dysfunktionale Strukturen oderProzesse

II. Vakanzen oder gravierende Defi-zite auf Leitungsebene

III. Komplexe Langzeitkonflikte

C. Personenbezogene Variablen

Ein wenig heikel ist die Tatsache, dassnicht alle Konfliktbetroffenen die Voraus-setzungen mitbringen, um vom Media-

tionsverfahren zu profitieren. Mediationbraucht kompetente Medianden, um zugelingen. Die großen Vorteile „Eigenver-antwortlichkeit“ und „Selbstbestimmt-heit“ sind ohne eigenes Zutun nicht zu ha-ben. Jeder Schritt des mitunter anstren-genden Weges zur Verständigung mussvon den Parteien aus eigener Kraft selbstgeleistet werde. Es gibt keine Abkürzun-gen und keinen Personennahverkehr. Me-diation ist ein anspruchsvolles Verfahren,das nur funktioniert, wenn die Beteiligtenengagiert mitarbeiten. Nicht jedem Auf-traggeber und längst nicht allen Median-den ist das bewusst. Wer sich im Fitness-studio anmeldet ahnt, dass er dort keineE-Bikes zu seiner körperlichen Ertüchti-gung vorfinden wird. Aber so mancher,der sich an einen Mediator wendet, hofftauf ein Wunder. Diagnostik im Vorfelddes Verfahrens kann helfen, unrealisti-sche Vorstellungen und Hoffnungen auf-zuspüren und gerade zu rücken. Nachmeinem Verständnis zielt darauf übrigens§ 2 (2) MedG ab: „Der Mediator vergewis-sert sich, dass die Parteien die Grundsätzeund den Ablauf des Mediationsverfahrensverstanden haben (...)“ Alle, die nicht Ge-danken lesen können, brauchen für einesolche Vergewisserung ein diagnostischesRepertoire. Die reine Erläuterung des Pha-sen-Modells reicht nicht, um sicherzustel-len, dass Medianden wissen, worauf siesich einlassen, was Mediation leisten kannund an welchen Stellen ihr eigener Einsatzerforderlich ist. Nur dann aber ist eine ei-

genverantwortliche Entscheidung für die-ses Verfahren überhaupt erst möglich.Und nur dann haben wir genügend Rü-ckenwind für eine gemeinsame Lösung.

I. Personenbezogener Diagnostik:Ressourcenorientierte phänome-nologische Verhaltensbeobach-tung

Bevor wir uns den personenbezogenenErfolgsfaktoren in der Mediation zuwen-den können, muss zunächst noch etwasGrundsätzliches vorausgeschickt werden:Entscheidend ist die Blickrichtung.

Modellhaft kann man sich diemenschliche Persönlichkeit in etwa wie ei-ne Zwiebel aufgebaut vorstellen, s.Abbil-dung.1 Den inneren Kern (1) bildet dasmaterielle Grundgerüst der Seele, zum

Ann ChristineHlawaty

1 Grafik aus: Hlawaty, „Die Coaching Kompeten-zen“ in der Reihe „Führen und Verantworten“, Me-dienpaket, Ernst Klett Verlag 1997.

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überwiegenden Teil bestehend aus Ei-weiß, also Neuronen und Neurotransmit-tern. Hier wird aus Psychologie Biologie –und umgekehrt. Eine Ebene darüber (2)befinden sich sog. „Lebensprogrammeund Prägungen“: verdichtete, in der Regelvorsprachliche Erfahrungen über dasSelbst und die Beschaffenheit und Wirk-zusammenhänge derWelt. Darüber liegendie Ebenen (3) „Motive, Einstellungen,Werte“ sowie (4) „Gedanken, Gefühle, Er-leben“ Die äußeren Schichten der Zwiebelschließlich bildet die öffentliche Person.Zur öffentlichen Person gehören „Verhal-ten und Äußerungen“ (5) sowie „Leistun-gen“ und „Resonanzen“ eines Menschen.(6) Im Großen und Ganzen ist davon aus-zugehen: je tiefer eine Schicht in diesemModell angesiedelt ist, desto weniger istsie dem reflektierenden Bewusstsein zu-gänglich.

Üblicherweise (sozusagen als „Stan-dardeinstellung ab Werk“) haben Men-schen beim Betrachten ihrer Artgenossenbevorzugt den Hintergrund im Vorder-grund – in unserer Abbildung die Ebenen2-4. Menschen beschäftigen sich liebendgern mit ihren Fantasien zu den vermutli-chen Motiven, Beweggründen und (psy-chischen) Strukturen anderer (Personen)und antizipieren darüber deren zukünft-iges Verhalten. Grundsätzlich ist dagegennichts einzuwenden, zumal diese Ange-wohnheit aller Wahrscheinlichkeit nachwesentlich zum Erfolg unserer Speziesbeigetragen hat.2 Im Konfliktfall aller-dings kann diese Wahrnehmungsvorliebeganz maßgeblich an Entstehung und Auf-rechterhaltung von Kontroversen beteiligtsein.

Professionelle Diagnostik konzentriertsich auf die öffentliche Person. Was sagtjemand? Was macht er? Und welche Ef-fekte ruft er hervor? Mehr nicht. Was sichim ersten Moment wie eine fahrlässigeEinschränkung des Gesichtsfeldes anhört,hat viele Vorteile: die weitaus größerePräzision der Informationsaufnahme unddas „eingebaute“ Taktgefühl. Alle im dar-gestellten Modell tiefer angesiedelten

Schichten sind privat. Sie sind nur dannThema in der Mediation, wenn die Be-treffenden sie aus eigenem Antrieb insSpiel bringen, also von sich aus Persönli-ches besprechen oder zeigen wollen. Dasheißt auch: Aufdeckende und tiefende In-terventionen gehören nicht zum Reper-toire von Mediationen im Arbeitsleben.Im beruflichen Kontext halte ich für ele-mentar, die Grenze zwischen Arbeit undPrivatem strikt zu wahren. Freiwilligkeitbedeutet, dass Medianden bei jedemSchritt nach eigenem Gutdünken ent-scheiden, wie weit sie sich vorwagen wol-len und dazu u.a. erwägen, wie viel Offen-heit sie auch am nächsten und an allenweiteren Arbeitstagen weiterhin richtigfinden werden. Wer sich jetzt Sorgenmacht, dass diese Haltung in Mediationendazu führen könnte, aus lauter Vorsichtam Eigentlichen vorbei zu segeln und sichmit Oberflächlichem und Belanglosem zubeschäftigen, sei beruhigt: Konfliktbetrof-fene haben von sich aus ein tiefes Bedürf-nis und Drängen danach, zu verstehenund verstanden werden zu wollen. SobaldMedianden erkennen, dass niemand ge-gen ihrenWillen ihr Innerstes nach außenkehren wird, äußern sie aus eigenemImpuls, was für die Lösung erforderlichist.

... und wenn nicht, dann sollte sich nie-mand gezwungen, verpflichtet, überredetoder verführt fühlen.

Mindestens ebenso wichtig wie dieBlickrichtung ist die Intention von Diag-nostik. Wonach suchen wir eigentlich? Inunserem Kulturkreis erfreut sich das Er-mitteln und Analysieren von Fehlern undSchwachstellen großer Beliebtheit. Für eingelingendes soziales Miteinander ist dasGift. Wahrscheinlich mehr als alles anderebrauchen Menschen positive Resonanzund Bestätigung, um friedliche Koexis-tenz leben zu können. An vielen Konflik-ten sind gegenseitige Schuld- und Versa-gensvorwürfe ursächlich beteiligt. Hier istUmkehr gefragt. Im Zentrum professio-neller Diagnostik und der daraus resul-tierenden Interventionen stehen die Kom-petenzen, Ressourcen und Leistungen derBeteiligten und ihrer Interaktionen: Wasfunktioniert gut? Warum? Welche Stär-ken, Fähigkeiten und Qualitäten sind er-kennbar? Potentialorientierung ist radikalund konsequent darauf ausgerichtet, dieBausteine zukünftiger gemeinsamer Er-folge zu finden und zu nutzen. In Media-tionen erweist sich der ressourcenorien-tierte Blick als Analysetool und Interven-tion zugleich und wirkt auf Mediandenbereits in den Vorgesprächen unmittelbarberuhigend und entspannend.

II. Lösungswille, Standpunkt,Distanz, Perspektivenwechsel –Die personenbezogenen Erfolgs-faktoren

Jede Theorie ist eine Reduktion der Kom-plexität von Wirklichkeit mit dem ZielHandlungskompetenz zu erhalten und zusteigern. In den teilweise aufgeheizten At-mosphären von Konfliktlösungsprozessenmüssen beachtliche Informationsmengenirgendwie einigermaßen strukturiert auf-genommen werden, um zu entscheiden,ob und wenn ja wie wir eine realistischeChance haben, die Probleme zu bewälti-gen. In meiner Praxis hat sich bewährt,beim Blick auf die Personen den oben ge-nannten vier Aspekten besondere Auf-merksamkeit zu schenken. Bereits imVorgespräch sollten diese Erfolgsfaktorenbei Medianden zumindest in Ansätzen er-kennbar sein.

1. Lösungswille

„Please hold the line“Betriebsrat und Geschäftsführung eines

Versicherers haben es nicht leicht mitei-nander und schon einige Versuche unter-nommen, ihre Zusammenarbeit erträgli-cher zu gestalten. Bislang ohne rechten Er-folg. Die Arbeitgeberin fragt eine Media-tion an. In solchen Fällen möchte ich michbeiden Seiten zunächst ergebnisoffen per-sönlich vorstellen.

Der Betriebsratsvorsitzende leitet dasVorgespräch damit ein, dass er unter dengegebenen Umständen nicht die geringsteChance auf Verständigung sähe. Auch dieanderen Betriebsräte zeigen sich äußerstskeptisch und misstrauisch. Allerdings ver-ändert sich die Atmosphäre nach diesemnicht eben ermutigenden Auftakt rasch,und es ist entwickelt sich mehr und mehrZuversicht im Raum.3 Als ich gegen Endeschließlich frage, ob es noch etwas gäbe,was ich wissen sollte, ergreift der bislangüberwiegend schweigsame BRV das Wort:Das Gespräch sei angenehm gewesen –und ich auch nett. Einen Erfolg des geplan-ten Vorhabens könne er sich allerdingsweiterhin nicht vorstellen. Er werde an derMediation teilnehmen, könne aber bereitsjetzt vorhersagen, dass die gesamte Aktionaussichtslos sei. – Drei Sätze – und dieStimmungslage des Gremiums befindetsich schlagartig wieder im Keller.

So viel Performanz4 beeindruckt –auch wenn sich der Effekt gerade als be-dauerlich erweist. Bei Formulierungenwie „Ich kann nicht“, ist immer lohnendzu prüfen, wie es um das Wollen der Per-son bestellt ist. Für das Gelingen einerMediation ist Lösungswille unverzichtbar.

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2 Z.B. gilt die Fähigkeit, die logischen Strukturenseines Gegenübers zu erkennen als einer der Grün-de dafür, warum es dem Schachgroßmeister GarryKasparov anfangs gelang, das Computerprogramm„Deep Blue“ zu besiegen.3 Solche Verläufe finden sich häufiger: Wenn das„Nein“ einfach beiläufig freundlich begrüßt undzur Kenntnis genommen worden ist, kommt meis-tens ohne großartiges weiteres Zutun auch nochein „Ja“ durch die Tür.4 In der Psychologie bezeichnet der Begriff „Per-formanz“ die Fähigkeit durch den eigenen sprachli-chen oder körperlichen Ausdruck Atmosphären insozialen Kontexten zu verändern.

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Beziehungsangebote der Kategorie „Ma-chen Sie mal ...“ oder „Überzeugen Siemich, dass dieses Vorgehen gut für unsist.“ sind Freifahrtscheine in die Kata-komben belasteter Systeme und enden inVerwicklung und Verstrickung. Bevor wirbeginnen, sollte immer sichergestellt wer-den, dass die Beteiligten sich ernsthaftund aus freien Stücken entschieden ha-ben, miteinander an einer gemeinsamenLösung zu arbeiten. Im dargestellten Bei-spiel beende ich das Gespräch deshalb inetwa wie folgt:

Unter diesen Bedingungen würde ichnicht kommen. Der BRV habe soeben einweiteres Mal die für den Erfolg der ange-dachten Veranstaltung mit weitem Ab-stand allerwichtigste Frage aufgeworfen.Inzwischen hätten sicher alle eine ausrei-chend konkrete Vorstellung davon, wie wirin etwa vorgehen würden. Jetzt stünde an,das Vorhaben im Gremium sehr kritischzu diskutieren und sich dann zu entschei-den. Auf eines aber müsse ich mich bitteverlassen können: Sollten die Zweifel über-wiegen, dürften die Anwesenden dem Ver-fahren keinesfalls zustimmen. – Anschlie-ßend verabschiede ich mich freundlich undgehe.5

Eine weitere mögliche Klippe kanndarin bestehen, dass Menschen im Ar-beitsleben sich oft im Sinne sozialer Er-wünschtheit äußern, aber eigentlich(noch?) nicht bereit sind, an einer pro-duktiven Streitbeilegung mitzuwirken.6

Manchmal begegnet uns auch vorgebli-cher Lösungswille „Ich würde mich ja so-fort verständigen – wenn der andere einanderer wäre.“

Die Entscheidung, die Mediandensehr gewissenhaft für sich allein fällenmüssen und die ihnen niemand abneh-men oder erleichtern darf, lautet: „Willich tatsächlich mit meinem Konfliktge-genüber, so wie es nun einmal ist, eineneue Ebene finden und nach Lösungensuchen, mit denen wir alle gut leben kön-nen?

2. Standpunkt

„Concordia domis – foris pax“7

Ohne halbwegs offene Meinungsäuße-rungen gibt es keinen produktiven Dialog.Im beruflichen Kontext kommt häufigervor, dass Medianden sich so bedeckt hal-ten (Pokerface), dass Verstehen und Ver-ständigung massiv erschwert oder sogarunmöglich gemacht werden. Vor Beginneines Konfliktlösungsverfahrens ist daherzu klären: Sind die Beteiligten bereit, undsind sie in der Lage, ihre Vorstellungen,Anliegen und Interessen vorzutragen?

Es kann sein, dass Konfliktbetroffeneselbst (noch) nicht so genau wissen oderformulieren können, was genau sie ei-gentlich stört oder entrüstet. Dies insbe-sondere, wenn der Konfliktgegenstand ineinem Fachgebiet liegt, in dem die Par-teien sich unterschiedlich gut auskennenund eine Seite die Befürchtung hat sich zublamieren. Manchmal sind Konfliktinhal-te auch sehr persönlichkeitsnah und des-halb schambesetzt und schwer in Wortezu fassen. Als besonders anspruchsvoll er-weist sich die Umwandlung von Störun-gen in positive Zielvorstellungen. VieleMenschen können ohne Probleme sehrdetailliert und anschaulich schildern, wassie falsch finden, aber es fällt ihnen un-glaublich schwer zu erläutern, unter wel-chen Bedingungen sie zufrieden wärenoder wie ihrer Einschätzung nach ersteSchritte in eine bessere Richtung aussehenkönnten. Manchmal liegt es auch daran,dass zusätzlich zum äußeren ein inneresKonfliktgeschehen vorliegt, weil gerade„zwei oder noch mehr Seelen in einerBrust wohnen“:

Ein Unternehmen hat einen ehemali-gen Mitbewerber als Spezialisten für die ei-gene Entwicklungsabteilung gewinnenkönnen. Dieser etwa 55 Jahre alte Inge-nieur ist inzwischen kreuzunglücklich: Sei-nen eigenen kleinen Betrieb hat er abgewi-ckelt und im neuen Unternehmen nicht dieerhoffte Position und Autorisierung vorge-funden. Während des Vorgespräch oszillie-ren seine Vorstellungen unablässig und inrascher Abfolge zwischen (1) dem Beendendes ungeliebten Arbeitsverhältnisses, wobeier im Anschluss absolut keine beruflicheAlternative für sich erkennen kann, und(2) dem Fortführen der Beschäftigung –dies allerdings nur unter Bedingungen, diein der gegebenen Situation ohne Zweifelvollkommen unrealistisch sind. So versteigter sich in die gänzlich unproduktive Posi-tion, getäuscht und betrogen worden zusein und produziert in seiner Abteilungbeachtliche Störungen.

Wenn eine innere Zerrissenheit so vi-rulent ist, dass die Person keinen Gedan-ken im Raum stehen lassen kann, ohneunmittelbar ins Gegenteil zu verfallen, istsie zu dieser Zeit ihres Lebens einer Me-diation nicht gewachsen. Manchmal kannexterne Unterstützung nötig sein, damitzunächst ein einigermaßen stabiler inne-rer Frieden hergestellt wird, bevor einMensch seinem Ärger mit der Außenweltentgegen tritt. Gleiches gilt für Konfliktlö-sungen zwischen Mehrpersonenparteien.In unserer täglichen Arbeit nehmen Kon-fliktlösungen zwischen Arbeitgebervertre-tungen und Mitbestimmungsorganen ei-nen großen Raum ein. Hier ist im Vorfeld

von Mediation sicherzustellen, dass diePersonengruppen sich jeweils intern aufgemeinsam getragene Anliegen und Inte-ressen verständigt haben.

3. Distanz

,,Eigentlich bin ich ganz anders, nur kom-me ich selten dazu.“ (Ödön von Horváth)

Bei dem römischen Geschichtsschrei-ber Tacitus findet sich ein Bericht überein aus heutiger Sicht hochmodernes Be-schlussverfahren der Germanen: Vorwichtigen Entscheidungen ging der Stam-mesälteste mit seinem Rat der Weisen zu-nächst einmal alle Argumente durch. An-schließend wurden größere Mengen Al-kohol verteilt und konsumiert, und manberiet erneut. Als tauglich befunden wur-den Entscheidungen erst dann, wenn siein beiden Bewusstseinszuständen iden-tisch waren. Die Bedeutung der Balancevon Denken und Fühlen erfährt alsGrundlage dauerhafter Lösungen gegen-wärtig wissenschaftliche Bestätigung undRenaissance. Beide Qualitäten sind unver-zichtbare Bestandteile des Gelingens. Impsychologischen Fachjargon wird Distanzauch als Fähigkeit eine exzentrische Posi-tion einzunehmen bezeichnet und mar-kiert den Unterschied zwischen selbstge-steuertem Handeln und re-aktivem Agie-ren. Konkret bedeutet Distanz:– So viel Abstand zu sich selbst in dem

Geschehen herstellen zu können, dassSelbstwahrnehmung und Introspek-tion überhaupt möglich sind und be-wusst entscheiden werden kann, wieviel davon man dem Konfliktgegen-über offenbaren will.

– In der Lage zu sein, sich zumindeststreckenweise von der eigenen Betrof-fenheit zu lösen und anderen Aspek-ten und Sichtweisen zuzuwenden. Da-mit ist Distanz eine der Voraussetzun-gen, um mit anderen Menschen in ei-nen Dialog und Gedankenaustauschtreten zu können.

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5 Grundsätzlich möchte ich, dass potentielle Me-dianden sich nicht bereits im Vorgespräch entschei-den, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen, son-dern bitte sie immer, sich ein paar Tage Bedenkzeitzu gönnen. Im vorliegenden Fall ist die Mediationübrigens völlig problemlos zustande gekommenund gelungen.6 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass diesich gegenwärtig abzeichnende Tendenz in der Ar-beitsgerichtsbarkeit, das Ablehnen einer Mediationim anschließenden Gerichtsverfahren negativ zu be-werten, dem Grundgedanken der Freiwilligkeit wi-derspricht. Siehe hierzu auch Dahl in Koweit/Gäß-ler, Kommentar zum Mediationsgesetz, Nomos2014, S. 378 Rz. 21.7 Inschrift über dem Lübecker Holstentor, freiübersetzt: „Eintracht innen – außen Frieden“.

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– Außerdem werden Affektkontrolleund Selbststeuerung – ein kühler Kopf– benötigt, um Alternativen und de-ren mögliche Folgen und Gefahren er-kennen und abschätzen zu können.Unter starkem Stress entspricht dieindividuelle Wahrnehmung der Au-ßenwelt in etwa der Sehkraft einesMaulwurfs, während Risikobereit-schaft und Engagement umgekehrtproportional zunehmen. Affektiv auf-geladene Zustände sind also ungeeig-net, um kompetent und eigenverant-wortlich Entscheidungen zu fällen.

Nach meinem Empfinden gehört eszu den Aufgaben des Mediators, im Vor-feld zu überprüfen, ob eine exzentrischePosition eingenommen werden kann. Einausgesprochen gutes Zeichen ist übrigens,wenn Personen noch über Restbeständevon Humor verfügen und sich beispiels-weise mit dem Gedanken anfreundenkönnen, dass „jedes Ding drei Seiten hat:eine gute, eine schlechte und eine komi-sche.“ (Karl Valentin)

Ganz grundsätzlich sollte währenddes gesamten Verfahrens im Blick behal-ten werden, dass Medianden die Beherr-schung nicht verlieren – schließlich sindsie auf der Arbeit und nicht in der Thera-pie. Um Missverständnissen vorzubeu-gen: Gefühle gehören dazu. Ein ordentli-ches Wut-Gewitter kann reinigende Wir-kung haben und der Ausdruck von zartenEmpfindungen wie Verletzung, Schmerz,Scham oder Angst mitunter sogar die Vo-raussetzung dafür sein, dass dauerhafteProblemlösungen gefunden werden.Gleichzeitig hängen Qualität und insbe-sondere Tragfähigkeit von Ergebnissenentscheidend davon ab, ob die Beteiligtenfinden, durchgängig ausreichend Kontrol-le behalten zu haben, also in der Media-tion nicht „völlig außer sich“ geraten zusein.

Bezogen auf die Bereitschaft, Einblickein das eigene Gefühls- und Seelenleben zugewähren, gibt es stark differierende kon-textabhängige Gepflogenheiten. Währendeine gewisse Offenheit und Redseligkeit inmanchen Berufsgruppen (z.B. meiner ei-

genen) und Arbeitsfeldern vorausgesetztwird, ist das Veröffentlichen von Innen-welten in anderen Bereichen des Arbeitsle-bens eher unüblich. Allparteilichkeit be-deutet auch, bei den Konfliktbeteiligtendie Gegebenheiten zu akzeptieren und mitdem zu arbeiten, was Medianden ausfreien Stücken entfalten wollen.

4. Perspektivenwechsel

,,Ein Wort gab das andere. Wir hatten unsnichts mehr zu sagen.“ (Lothar Matthäus)

CEO und HR Manager eines Konzernsunterstellen einander Intrigen und De-montage und wollen einen Versuch unter-nehmen, ihre Zusammenarbeit zu verbes-sern. In der Mediation gestaltet sich dieKommunikation mühsam. Zu verstehen,was der jeweils andere gerade gesagt hat,scheint für beide in etwa so anspruchsvollwie die Übersetzung klingonischer Poesie.Der HR Manager erläutert schließlich, erfühle sich in seinem Engagement und sei-ner Leistung nicht gesehen und fragt ganzdirekt, was der CEO eigentlich von seinerArbeit mitbekäme und gut fände. Darauf-hin schweigt der CEO – gefühlt minuten-lang – und berichtet dann, dass das Cate-ring in den Meetings immer ganz ausge-zeichnet sei 8

Perspektivenwechsel hat eine sachlo-gische und eine zwischenmenschlicheKomponente. Letztere bedeutet, die Ich-Grenzen zeitweise zu überwinden, wassich bereits in den Begrifflichkeiten aus-drückt: In der Sprache der Hopi Indianerbeispielsweise wird Perspektivenwechselsehr anschaulich als „eine Weile in denMokassins des anderen wandern“ be-zeichnet. Im Deutschen spricht man da-von „sich in jemanden hineinzuversetzen“oder „etwas durch seine Augen zu sehen“.Interpersonell umfasst die Qualität Per-spektivenwechsel:

Hinschauen: Die Vermeidung vonBlickkontakt ist in vielen Konflikten Ursa-che und Wirkung zugleich. Wenn Men-schen einander nicht mehr ansehen (mö-gen), findet eine wahre Kettenreaktionverhängnisvoller Effekte statt. Unter an-derem auch deshalb hat sich bewährt, diePlatzwahl konfliktzentraler Personen zusteuern.

Die weitreichende Bedeutung visuellerKontaktaufnahme wurde erstmalig vondem Italiener Giacomo Rizzolatti und sei-nen Mitarbeitern in geradezu bahnbrech-enden Experimenten nachgewiesen. Seit-her wissen wir, dass Menschen – eigent-lich – „wie gemacht“ für Mitgefühl undintuitives Verstehen sind. Sobald Perso-nen einander anschauen, geht es gar nichtanders, ein einziger Blick, und die aktuelle

Befindlichkeit des jeweils anderen ist ineiner Tiefe erfasst, die weit über das hi-nausreicht, was Worte zu leisten vermö-gen. Unser soeben dargestelltes Beispielzeigt allerdings auch, dass nicht jedem ge-geben ist, mit diesen autonomen Reso-nanzphänomenen in konstruktiver Weiseumzugehen.

Zuhören: Verhältnismäßig vieleMenschen tun sich schwer damit, anderenihre Aufmerksamkeit zu schenken. InKonflikten wird diese Tendenz weiter ver-stärkt. Konkret bedeutet das: Entwederdie Konfliktbeteiligten reden selbst – odersie bereiten sich darauf vor zu reden undwarten auf den Moment, in dem das Ge-genüber Atem schöpfen muss. Manbraucht kein Experte zu sein, um zu er-kennen, ob Personen wirklich zuhören:echte Dialoge zeichnen sich dadurch aus,dass Gesprächspartner einander ausredenlassen und sich wechselseitig aufeinanderbeziehen.

Einordnen: Zur Beurteilung sozialerSituationen und zur Antizipation von Ef-fekten des eigenen Handelns greifen Men-schen auf emotional bewertete abgespei-cherte Erlebnisse zurück. Dieser Vorgangdauert nur wenige Millisekunden. Imoben dargestellten Beispiel liegt das Prob-lem nicht darin, dass der CEO anschei-nend kaum weiß, was der HR-Managermacht. Unglücklich ist seine Einschät-zung, wie eine adäquate Beantwortungder Frage des Mitarbeiters aussieht. Sozia-le Sensibilität und interpersonelle Effekti-vität hängen entscheidend davon ab, obeine Person auf einen Erfahrungshinter-grund zurückgreifen kann, der es ihr er-möglicht, die vom anderen gesetztenSchwerpunkte (in dessen Sinne) richtig zuerfassen und sich gleichzeitig die Auswir-kungen des eigenen Verhaltens vorzustel-len.

Bei dauerhaften Konflikten bestehtdas Handikap übrigens meistens nicht da-rin, dass die Personen sich nicht verste-hen und die Äußerungen des jeweils an-deren nicht einordnen können. Ganz imGegenteil finden wir bei „gut eingespiel-ten“ Langzeitfeinden vielmehr häufig einegroße Nähe oder sogar eine komplemen-täre Seelenverwandtschaft kombiniert mitder fatalen Neigung, gegenseitig die rotenKnöpfen zu bedienen.

Aushalten: Eigentlich weiß es jederund dennoch kann es zuweilen unbegreif-lich oder unerträglich sein: Wirklichkeitist ein Konstrukt und hängt stark von derindividuellen Blickrichtung ab. In Kon-fliktsituationen erweist sich die wiederbe-lebte Akzeptanz dieser Erkenntnis immerals erster Schritt des Verstehens, dassauch der eigene Gegenspieler für seine

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8 Was in einem Text kaum zu vermitteln ist: dieseAussage war nicht als Entwertung gemeint. Für denCEO hatten sachlogische Fragestellungen und Er-fordernisse sowie absolute Ehrlichkeit oberste Prio-rität. Bezogen auf Gefühlsbotschaften und persönli-che Anliegen zeigte er sich auch im weiteren Ver-lauf der Mediation weitestgehend blind und taubund behandelte Herzensangelegenheiten wie Denk-sportaufgaben – Dabei war er allerdings durchgän-gig und unter erkennbar gewaltigem Stress ernst-haft bemüht, alles „richtig“ zu machen. Demgegen-über hatte der HR Manager in ebenso radikalerAusschließlichkeit – auch in seinem Verantwor-tungsbereich – nur die emotionalen Belange imVordergrund.

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Verhaltensweisen subjektiv nachvollzieh-bare Gründe hat. Im oben dargestelltenBeispielfall wurde Lösung möglich, als esden beiden Managern gelang, ihre wirk-lich sehr weit auseinander liegendenWahrnehmungsspezialisierungen als indi-viduelle Eigenarten zu erkennen und zutolerieren.

Angesichts der vielen in den vorange-gangenen Abschnitten dieses Artikels dar-gestellten psychologischen Aspekte könn-te der Eindruck entstehen, dass es beiKonflikten im Arbeitsleben vorrangig umdie Klärung persönlicher Problematikenginge – was falsch wäre. Dem mit weitemAbstand überwiegenden Teil der an unsherangetragenen Thematiken liegenhandfeste sachlogische Meinungsver-schiedenheiten bzw. systemimmanenteInteressengegensätze zugrunde, bei denen

die phasenweise auftretenden „Nickelig-keiten“ nicht überbewertet werden soll-ten. In den allermeisten Fällen finden wirmenschlich und fachlich hochkompetenteParteien in Situationen, die meine Kolle-gin Dr. Katja Mückenberger ebenso an-schaulich wie zutreffend als „verkantet“bezeichnet. Bei der Lösung punktuellerinhaltlichen Verkantungen steht im Vor-dergrund, die sachlogischen Komponen-ten von Perspektivenwechsel zu fokussie-ren, d.h. u.a.: Haben alle Beteiligten Zu-gang zu den relevanten Informationen?und: Haben sie das Fachwissen oder ent-sprechende Unterstützung, diese verste-hen und einordnen zu können? Zusätzlichgehören systemisches Denken und die Fä-higkeit zur Antizipation von Effekten undRisikoanalyse zu den sachlogischen Antei-len von Perspektivenwechsel.

D. Fazit

Das eigentliche Anliegen von Konfliktbe-troffenen ist die Lösung eines Problemsund nicht die Durchführung eines spezifi-schen Verfahrens. Vor jedem Eingreifenin belastete Systeme stehen diagnostischeErwägungen zu Effizienz und Effektivitätder in Betracht kommenden Maßnah-men. Professionelle Konfliktlösungsbera-tung im beruflichen Kontext berücksich-tigt die Bandbreite der Interventionsmög-lichkeiten und gibt minimalinvasivenStrategien der Vorrang.

Ann Christine Hlawaty,Psychologin und Mediatorin, Hamburg.Kooperationspartnerin des FrankfurterUnternehmens roland lukas KONFLIKT-LÖSUNGEN

PRAXISFALL

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Heiner Krabbe/Michaela Steinwender/Gert Fürst

Kurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren– ein PraxisfallAuf Anraten des Handels-gerichts Wiens wurde einAnlegerverfahren mit einerSchadenssumme von 23Millionen Euro im Rahmeneiner Kurz-Zeit-Mediationerfolgreich beendet. Nacheiner sehr ausführlichenVorlaufphase (hearing,Vorgespräche mit denRechtsanwälten, Vorge-spräche mit den Parteien) konnte in zweiSitzungsblöcken (3 Tage/2 Tage) mit denbeteiligten Parteien eine Vereinbarungmediiert werden. Dabei spielte sowohl derFaktor Zeit als auch die interdisziplinärbesetzte Co-Arbeit eine entscheidendeRolle.

1. Der Fall

In einem gerichtsanhängigen Anlegerver-fahren mit vermeintlich 2.500 Geschädig-ten wurde in einem mehrjährigen Rechts-streit vor dem Handelsgericht in Wienum die Zulässigkeit von Sammelklagengestritten. Nach Bejahung der Zulässigkeitkonnte auf Vorschlag des Handelsgerichtseine Mediation zwischen einer Konsu-mentenschutzorganisation und einem

Anlageberater in Form der Kurz-Zeit-Me-diation erfolgreich abgeschlossen werden.

2. Die Überweisung in dieMediation

Beim Handelsgericht Wien reichte derVerein für Konsumenteninformation(VKI) im Namen von 2.500 Wertpapier-anlegern fünf Sammelklagen ein. Es gingum eine Schadenssumme von 23 Millio-nen Euro. Verklagt wurde eine Anlagebe-ratungsgesellschaft mit dem Vorwurf dersystematischen Fehlberatung. Zwei Jahrewar das Gericht dann mit der Erledigungformaler Streitpunkte beschäftigt. In dermündlichen Streitverhandlung hatte derRichter mit den Prozessparteien die recht-liche Ausgangssituation erörtert und zu-gleich die mögliche Alternative Mediation

erläutert. Im Gerichtsver-fahren wäre mit umfang-reichen Zeugenverneh-mungen zu rechnen gewe-sen. Einschätzungen gin-gen von einem Zeitraumvon bis zu zehn Jahrenaus. Dieses Zeit- und Kos-tenrisiko gab letztlich denAusschlag, dass die Par-teien einer Mediation zu-

stimmten. So wurde „Ruhen des Verfah-rens“ vereinbart und gleichzeitig ein neu-er Verhandlungstermin in drei Monatenfestgelegt.

3. Das Hearing

Der Verband für Mediation gerichtsan-hängiger Verfahren (VMG) organisierteeine Ausschreibung, wonach sich drei Be-werberteams, die sich in einem Hearingden Konfliktparteien vorstellen mussten.Dabei ging es einerseits um Vorschlägeder Mediatoren zur Gestaltung der anste-henden Mediation; andererseits solltendie Mediatoren die Form ihrer Zusam-menarbeit vorstellen. Große Bedeutungnahm die Frage nach der Indikation vonMediation für beide Seiten ein. Die Par-teien wollten überzeugt werden, dass eine

Heiner Krabbe Gert FürstMichaela Steinwender

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PRAXISFALL

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Mediation in ihrem Fall Sinn machenkönnte. Sie waren jedoch erstaunt, dassdas Mediatorenteammit der gleichen Fra-ge in das Hearing gekommen war. Zudemgab es eine große Skepsis seitens der Par-teien, ob eine solche umfangreiche Media-tion in diesem knappen Zeitrahmen gelin-gen konnte. Das Konzept der Kurz-Zeit-Mediation wurde intensiv erörtert mit derZusicherung der Mediatoren, dass sie denZeitrahmen entsprechend gestalten unddie Variable „Zeit“ bei der Prozessgestal-tung bewusst einsetzen werden.

Die Kurz-Zeit-Mediation ist eine spe-zielle Form der Mediation, bei der eineGesamtmediation in ein bis zwei Sitzun-gen durchgeführt wird.1 Sie baut auf Leit-linien der Kurz-Zeit-Therapie auf und be-schränkt sich auf eine Lösung, die vonden Parteien akzeptiert werden kann oh-ne Anspruch auf Transformation. In derKurz-Zeit-Mediation hat der Mediator diezusätzliche Aufgabe, ein präzises Zeitma-nagement zu führen. Mediator und Par-teien durchlaufen in einem vorher festge-legten Zeitrahmen alle Prozessstufen ei-ner Mediation. In diesem Fall war es aus-drücklicher Wunsch der Parteien, in ei-nem begrenzten Zeitrahmen den Versucheiner Mediation zu unternehmen. Vondaher wurde das Zeitmanagement derMediation ausführlich erörtert.

Nach einer Beratungspause beauftrag-ten beide Seiten die Mediatoren zur Aus-führung der Kurz-Zeit-Mediation.

4. Die Vorgespräche

In der Vorlaufphase der Mediation wur-den mit jeder Seite Vorgespräche durch-geführt. Die ersten Vorgespräche fandenmit den Rechtsanwälten jeder Seite statt,da diese bereits im gerichtlichen Verfah-ren zahlreiche Schriftsätze ausgetauschthatten und sich stärker in die juristischeMaterie eingearbeitet hatten. Hier warden Mediatoren die Zustimmung derRechtsanwälte zum Verfahren der Media-tion sowie deren Rollenklärung in derMediation von großer Bedeutung. DieMediatoren erhielten zugleich einen ers-ten Überblick über die strittigen Sachver-halte sowie deren rechtliche Einschät-zung. Es konnten erste Hypothesen zumKonflikt entwickelt werden. Die Konflikt-analyse konnte dann in einer zweiten Ein-zelgesprächsrunde mit den jeweiligenKonfliktparteien vertieft werden. In die-sem konnten die Mediatoren nochmalsdas Verfahren der Mediation beiden Sei-

ten in Abgrenzung zu Vergleichsverhand-lungen erläutern.

Schließlich nahm die Formulierungdes Mediationsvertrages noch einige Zeitin Anspruch, bis die Parteien der Durch-führung der Kurz-Zeit-Mediation in zweiSitzungen zustimmten. Darüber infor-mierten die Mediatoren das Handelsge-richt, was gemäß dem österreichischenZivilrechts-Mediations-Gesetz Fristen-hemmungen bewirkt. Die Mediatorensind gesetzlich zur Verschwiegenheit ver-pflichtet.

5. Die erste Mediationssitzung(drei Tage)

Für die erste Mediationssitzung war einZeitrahmen von drei Tagen vorgesehen.Ausgehend von den Prozesshypothesenaus den Vorgesprächen planten die Me-diatoren einen halben Tag für die endgül-tige Version des Mediationsvertrages ein,einen ganzen Tag für den ThemenbereichKommunikation und Kommuniqué2 mitallen Prozessstufen der Mediation sowieeinen Tag für den Themenbereich „Scha-den“ bis zur Stufe der Interessen. Die ver-bleibende Zeit wurde als Joker-Zeit einge-plant. Dabei wurde der ThemenbereichKommuniqué bewusst vor den des Scha-dens, des Geldes gezogen, um ein positi-ves Bild bei den Parteien als Stabilisie-rungsmöglichkeit vorwegnehmen zu kön-nen („Welches Kommuniqué im Fall ei-ner Einigung?“). Auf dieser Basis solltedann der Themenbereich Geld angegan-gen werden. Zudem sollte den Parteiengenügend Zeit eingeräumt werden, ihreInteressen in dem Zeitraum zwischen bei-den Sitzungen hinreichend zu beleuchtenund abzusichern.

Es wurde mit den Parteien das Settingfestgelegt. Auf jeder Seite stellten zweiPersonen die Verhandlungsparteien; je-weils drei weitere Personen (inklusiveRechtsanwälte) saßen jeweils seitlich zumMediationsgeschehen und erhielten zwi-schendurch an bestimmten Punkten dieMöglichkeit, die beiden Verhandlungs-führer zu unterstützen.

Zu Beginn der Mediationssitzungwurden weitere Änderungsvorschläge derRechtsanwälte zur Mediationsvereinba-rung eingebracht. Von großer Bedeutungfür die Mediation war die vertraglicheVerpflichtung jeder Seite, keine weiterenSchriftsätze an das Gericht weiterzuleiten.Sollten aus formalen prozessualen Grün-den noch Schriftsätze erforderlich sein,würden diese nur möglich sein, wenn die-se vorher der anderen Seite bekannt ge-macht würden. Ansonsten sollte der di-

rekte Austausch der Parteien ausschließ-lich im Rahmen der Mediation praktiziertwerden.

Nach Unterzeichnung des Media-tionsvertrages schlugen die Mediatorenden Konfliktparteien das zeitliche und in-haltliche Vorgehen vor. Beide Seiten woll-ten sich zunächst auf die Ermittlung derSchadenssumme konzentrieren, bevor einKommuniqué erarbeitet werden würde.Beide Seiten befürchteten, dass im ande-ren Fall „das Pferd von hinten“ aufge-zäumt würde, stimmten aber den Media-toren zu, dass das Kommuniqué ein guterTest sei, um eine grundsätzliche Eini-gungsmöglichkeit auszuloten.

Der Themenblock „Kommuniqué“umfasste eine begrenzte Themensamm-lung. Viel Zeit wurde für die Stufe der In-teressen vereinbart. Die Bedürfnisse zumUmgang mit der Öffentlichkeit waren aufjeder Seite sehr unterschiedlich. Währendauf Seiten der Konsumentenschützer dieKommunikation mit den Anlegern in derÖffentlichkeit eine große Bedeutung hatte,sollte die Kommunikation mit der Öffent-lichkeit auf Seiten des Anlageberaters aufein Mindestmaß reduziert werden. Hiergaben die Mediatoren jeder Seite viel Zeit,die jeweiligen Bedürfnisse der anderenSeite zu verstehen, ohne ihnen zustimmenzu müssen. So konnten bis Mitte deszweiten Tages verschiedene Textvorschlä-ge verhandelt und vorläufig vereinbartwerden.

Mit diesen „Kommuniqué Vereinba-rungen“ zeigte sich auf beiden Seiten einwenig mehr Zuversicht, dass eine Verein-barung auch zum zweiten Themenkom-plex erreicht werden könnte.

Die Themensammlung zum BereichSchaden beschränkte sich auf wenige Un-terpunkte. In der nächsten Stufe wurdendann wiederum die Interessen und Be-dürfnisse jeder Seite hinsichtlich desSchadens intensiver beleuchtet. Hierfürhatten die Mediatoren einen halben Tagveranschlagt mit gemeinsamen Sitzungenund Rücksprachen sowie Einzelgesprä-chen auf beiden Seiten.

Dem Verband der Konsumenten-schützer war es vor allem wichtig, eine be-stimmte Mindestsumme für jeden Anle-ger zu erhalten. Dem Anlageberater wareine nachvollziehbare Berechnungs-grundlage für die Ermittlung der Scha-denssumme sowie die Rücknahme desVorwurfs systematischer Fehlberatungenwichtig.

Dies konnte erst in Einzelgesprächenmit jeder Seite erarbeitet werden. Die Me-diatoren unterstützten jede Seite in ihrer

1 Hierzu ausführlich Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76.2 Österreichische Amtssprache für „Sprachrege-lung gegenüber der Öffentlichkeit“.

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Selbstbehauptung. Noch wichtiger waranschließend der wechselseitige Verste-hensprozess der jeweils anderen Seite. Sogelang es den Mediatoren, verständlich zumachen, dass die eine Seite großen Wertlegte auf ihr Auftreten gegenüber denWertpapieranlegern, die eine Mindest-summe an Entschädigung erwarteten.Andererseits war nachvollziehbar, dassdie Anlageberater eine rechnerische For-mel zur Ermittlung des Schadens benötig-ten und auch nicht in den Verdacht gera-ten wollten systematisch fehlberaten zuhaben.

Nach einer längeren Pause zeigtenbeide Verständnis für die andere Seiteund deuteten an, eine Berechnungsme-thode vorzustellen sowie eine feste Ge-samtsumme für die Anleger anzubieten.Weitere Details sollten dann in einerzweiten Mediationssitzung behandeltwerden mit dem Ziel einer Vereinbarung.

6. Die zweite Mediationssitzung(zwei Tage)

Für den Zeitraum von zwei Tagen wurdedas Setting nochmals verändert.

Auf jeder Seite war nur jeweils einVerhandler anwesend, die anderen Betei-ligten hielten sich in der jeweiligen An-waltskanzlei auf und trafen sich in denPausen mit ihren Verhandlern. Zu Beginnder zweiten Sitzung wurden die internenAbstimmungen zum vorläufigen Kom-muniqué zurückgemeldet und in den be-stehenden Entwurf eingearbeitet.

Anschließend machten beide Seitenkonkrete Angebote an die andere Seite.Im Wechsel von gemeinsamen und Ein-zelgesprächen konnten Angebote zurSchadenssumme schrittweise miteinanderausgehandelt werden. Es gelang, die je-weiligen Restsummen optional zu verklei-nern. Dabei war eine straffe Verhand-lungsführung durch die Mediatoren hilf-reich. Der Hinweis auf den jeweils zurVerfügung stehenden Zeitrahmen ließ dieParteien auch bei Störungen rasch weiterverhandeln. In den letzten 1,5 Stundenvor Zeitablauf kam es bei einer sehr gerin-

gen Restsumme für die Mediatoren uner-wartet zu Abbruchdrohungen von beidenParteien. Zunächst versuchten die Media-toren, die Situation zu normalisieren undboten eine Pause mit der Möglichkeit derRücksprache an. Es kam von beiden Ver-handlungsparteien erneut die Ankündi-gung, abzubrechen. Erst der energischeHinweis durch die Mediatoren, dass nurnoch eine geringe Summe zu verhandelnsei und die Parteien sich nur noch auf die-se Summe konzentrieren sollen, half wei-ter. Beide Seiten hielten Rücksprachenmit ihren Beratern und konnten zumSchluss die verbleibende Restsumme auf-teilen, so dass eine Gesamtsumme alsSchaden ermittelt und vereinbart werdenkonnte.

Am Ende der Verhandlung wurde dienoch verbleibende eingeplante Zeit ge-nutzt, ein Memorandum bezüglich derVerfahren vor den Zivilgerichten (Eini-gung über Schadenssumme) und im Hin-blick auf das Kommuniqué zu erarbeiten.

Beide Verhandlungsführer holten ihreBerater in den Verhandlungsraum undbedankten sich für die Zusammenarbeitund die entwickelte Lösung.

Es wurden entsprechende Pressemit-teilungen veröffentlicht. Anleger und Be-hörden wurden jeweils rasch informiert.Die zuständigen Richter am Handelsge-richt erhielten vom Mediatorenteam dieMitteilung, dass im Rahmen der Media-tion eine Lösung gefunden werden konn-te.

7. Fazit

Es lassen sich eine Reihe von Erkenntnis-sen aus dieser Mediation ableiten:– Der knappe Zeitrahmen bringt die

Parteien dazu, sich schneller wiederauf die Sachebene zu begeben.

– Der knappe Zeitrahmen ermöglichtdie Konzentration auf ein Hauptthe-ma.

– Das Setting muss so gestaltet werden,dass die Verhandler genügend durchihre Berater und Rechtsanwälte abge-stützt sind.

– Ebenso muss die Einbeziehung allerEntscheidungsträger zu Beginn derKurz-Zeit-Mediation sichergestelltsein.

– Es kommt in der Kurz-Zeit-Mediationimmer wieder zu Blockierungen, diesich durch Einzelgespräche mit an-schließendem gemeinsamen Gesprächauflösen lassen.

– Bei beiden Themenbereichen war je-weils die Stufe der Interessen und Be-dürfnisse von ausschlaggebender Be-deutung; dies gilt insbesondere fürdas wechselseitige Verstehen, wasdurch die Mediatoren in Einzelgesprä-chen aufbereitet werden musste

– Eine gute Co-Arbeit von Mediatorenscheint darin zu bestehen, dass zumeinen unter den Mediatoren ein ge-meinsam erarbeitetes Mediationsver-ständnisses besteht. Zum anderensollten die Mediatoren aus verschiede-nen Grundberufen kommen, so dassdie unterschiedlichen Blicke auf denKonflikt der Parteien miteinanderausgetauscht werden können, um dienächsten Schritte der Mediation fest-legen zu können. Als ideal hat sich dieBesetzung des Mediatorenteams mitje einem Mediator aus einem ökono-mischen, juristischen und psychologi-schen Grundberuf erwiesen. Alle dreiPerspektiven gemeinsam konnten derVieldimensionalität des Konfliktge-schehens gerecht werden.

Heiner KrabbePsychologe, MediatorMediationswerkstatt Mü[email protected] SteinwenderJuristin, [email protected] FürstÖkonom, [email protected]

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REZENSIONEN

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Klowait/Gläßer (Hrsg.): Mediationsgesetz Handkommentar, Baden-Baden 2014, 732 S., 78 €, ISBN 978 3 8329 6997 4

Die Liste der Namen der Herausgeberund Autoren liest sich wie das WHO'SWHO der deutschen Mediationsszene.Vor allem die Herausgeber drücken demWerk ihr Gütesiegel auf. Aufgrund sei-ner langjährigen Mediationserfahrungist Klowait in der Lage, bei Gesetzeslü-cken mit tiefgreifenden Gedanken Lö-sungsoptionen anzubieten. Bsp: Zu-nächst leitet er (§ 5 Rz. 44; § 6 Rz. 43)aus der Nr. 20 der Gesetzesbegründungzu § 6 und dem Gesetzeswortlaut § 6 S. 2Nr. 8 („Übergangsbestimmungen fürPersonen, die bereits vor Inkrafttretendes Gesetzes als Mediatoren tätig sind“)ab, dass ein Mediator, der bereits vordem Inkrafttreten der VO eine Ausbil-dung im Inland absolviert hat, die denAnforderungen und dem Mindestum-fang von 120 Std. entspricht, sich mit In-krafttreten der VO als zertifizierter Me-diator bezeichnen darf.“ Dieser begrün-dete Hinweis dürfte besonders alle Alt-fälle interessieren, einschließlich diejeni-gen die ihre der VO entsprechende Aus-bildung noch bis zu deren Inkrafttretenbeenden. Klowait rügt (§ 5 Rz. 22) denunscharfen Gesetzgeber, der in § 5

Abs. 1 S. 3 im Kontext der Ausbildungzwar zutreffend praktische Übungen,Rollenspiele und Supervision erwähnt.Supervision sei aber berufsbegleitendUnterstützung des praktizierenden Me-diators. Im Kontext der Ausbildungkönne „Supervision“ daher nur fach-kundige Aufsicht und Anleitung bei denÜbungen und Rollenspiel bedeuten.Auch Gläßers kluge und praxistauglicheAusführungen beeindrucken. Beispiels-weise wird in § 2 Rz. 141 die interessanteThese vertreten, dass Vorgespräche zurVerfahrensübernahme auch ohne allsei-tiges Einverständnis nach § 2 Abs. 3 S. 3einseitig erfolgen dürfen. Das Gebot gel-te erst ab dem grundsätzlichen Zustan-dekommen der Mediation.

Goltermann (§ 3 Rz. 11) äußert Zweifelan der Zulässigkeit einer Erfolgsprämiefür den Fall einer Einigung. Letztlich seidie Frage davon abhängig, welche Zielemit der Mediation verfolgt würden, dasliege in der Entscheidungsgewalt derParteien. Rezensent dazu: Bei einer Bau-mediation zielt das beiderseitige Interes-se auf eine schnelle interessengerechte

Einigung, um den Bauablauf nicht zugefährden. Hier dürfte die Vereinbarungeiner Einigungsgebühr wegen der ange-strebten Sachlösung in jedem Falle zu-lässig sein. Dendorfer-Ditges (3 11Rz. 21 – 25) sieht die Zulässigkeit von inUSA üblichen MedArb-Verfahren kri-tisch, und das selbst bei übereinstimm-enden Parteiwillen – jedenfalls dann,wenn der Mediator Einzelgesprächedurchgeführt hat. Der Rezensent hat invielen Verfahren damit gute Erfahrun-gen gemacht. Zuletzt sei noch ein weite-rer Stern am Autorenhimmel hervorge-hoben: Kirchhoff (3 1 Rz. 7) berichtetvon der Studienserie Viadrina/PwC undPionierprogrammen der RTMKM derdeutschen Wirtschaft, etwa SAP, E.ON,DB, Deutsche Bank und Bombardier.Gerade aus diesem Kreis rekrutiert sicheine Vielzahl der weiteren Autoren. Daserklärt die geballte und umfassende In-formation des Werkes, das jedem Lern-enden und Tätigen in der Mediationwärmstens empfohlen wird.Hans Helmut Bischof, VizePräs. OLG a.D.,

Schiedsrichter/Mediator, Koblenz

William Ury: Getting to Yes With Yourself (and Other Worthy Opponents)HarperCollins 2015, 191 S., 16,99 €, ISBN 9780062390677

Wenige Autoren haben das Gebiet derVerhandlungsforschung so maßgeblichbeeinflusst wie William Ury. Vor 30 Jah-ren verfasste er (gemeinsam mit RogerFisher) „Getting to Yes“, danach (zu-sammen mit Jeanne Brett und StephenGoldberg) „Getting Disputes Resolved“,und schließlich „Getting Past No“. Inden USA assoziiert man daher mit sei-nem Namen die „Getting-To-Trilogie“.Im deutschsprachigen Raum ist er dankder klugen Übersetzung des ersten Titelsals Vater des „Harvard Konzepts derVerhandlung“ bekannt.

Mit „Getting to Yes with Yourself“ legtWilliam Ury nun, nach eigenen Worten,die bisher fehlende erste Hälfte des Klas-sikers vor. Ging es in jenem um das rich-tige Agieren am Verhandlungstisch, sogeht es nun um die Schaffung der inne-ren Voraussetzungen des Verhand-lungserfolgs. Dieser Erfolg, so argumen-tiert Ury, sei letztlich das Resultat einerlebensbejahenden Einstellung des Ver-handlers – gegenüber sich selbst, dem

Leben, und dem Gegenüber. Dement-sprechend befasst sich Ury dieses Malnicht etwa mit schnöder Transaktions-vorbereitung a la Berechnung der ZOPA.Vielmehr geht es in diesem Werk umnichts weniger als das eigene Lebens-glück und die stückweise Verbesserungder Welt.

Um ersteres zu erreichen und zu letz-terem beizutragen, lädt „Getting To YesWith Yourself“ vor allen Dingen zurSelbstreflexion ein. Das Überdenkenund Anpassen der eigenen Haltung stehtfür Ury im Zentrum jeder erfolgreichenVerhandlungstätigkeit. Sein neues Werkzeigt, was der Titel verspricht – wie mansich als Verhandler eine bejahende Hal-tung auch unter widrigsten Umständenerschaffen und bewahren kann.

Manches davon hat sich der Praktiker,möglicherweise intuitiv, selbst erarbei-tet. In diesem Sinne ist für ihn vielleichtnicht alles neu, was das Buch zu bietenhat. Dennoch empfiehlt es sich geradefür den erfahrenen Mediator oder Ver-

handler. Denn hier findet er einen einfa-chen aber umfassenden Rahmen, umdie eigenen Überlegungen einzuordnenund zu vertiefen. Darüber hinaus bietetsich das Buch selbstverständlich auchals Handreichung für Medianten an, diebereit sind, den eigenen Umgang mit ih-ren Konflikten zu überdenken.

Seinen Lesern, gleich welcher Color, bie-tet Ury in gebwohnter Manier und nachbester amerikanischer Tradition ein ein-gängiges Schema, das die systematischeArbeit am eigenen Selbst in sechs Schrit-ten ermöglicht. Dieses begründet und il-lustriert er nicht nur mit sehr persönli-chen Beispielen, sondern auch mit Le-ben und Werk von Persönlichkeiten wieNelson Mandela und Viktor Frankl. Ausdieser Kombination entsteht ein Buchvon außergewöhnlicher Klarheit undKraft. „Getting to Yes with Yourself“ hatdas Potential, unser Verhandlungsver-ständnis in ähnlicher Weise zu beein-flussen wie „Getting To Yes“.

RA Prof. Dr. Georg Berkel MBA, Freising

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IMPRESSUM

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Redaktionsbeirat:Prof. Dr. Horst Eidenmüller LL.M., Ludwig-Maximilians-Universität MünchenProf. Dr. Ulla Gäßler LL.M., Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/O.Prof. Dr. Reinhard Greger, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergDr. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt, RatingenProf. Dr. Angela Mickley, Fachhochschule PotsdamProf. Dr. Roland Proksch, ehem. Präsident der Ev. Fachhochschule NürnbergPeter Roethemeyer, Niedersächsisches Justizministerium, HannoverLis Ripke, Rechtsanwältin, Heidelberger Institut für MediationDr. Hansjörg Schwartz, Dipl.-Psych., TGKS OldenburgProf. Dr. Horst Zilleßen, MEDIATOR GmbH, BerlinRedaktion: Dr. Karen Engler (verantwortlich); Birgit Schumann (Herstellung)Centrale für Mediation, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 KölnRedaktionsassistenz: Leticia Seidl,“ 0221/93738-821, Fax: -926.E-Mail: [email protected], http://www.centrale-fuer-mediation.deHerausgeber und Verlag:Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Postfach 511026, 50964 Köln.Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Köln.Abonnementbestellung:“ 0221/93738-997, Fax: -943.Anzeigenverkauf: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Pfaffenweg 15, 53227Bonn,“ 0228/97898-0, Fax: 0228/97898-20. E-Mail: [email protected] Nr. 26 vom 1.1.2015Satz: rewi druckhaus, Reiner Winters GmbH,Wiesenstr. 11, 57537Wissen,E-Mail: [email protected]: msk marketingserviceköln gmbH, www.mzsued.deAbonnement: Die ZKM erscheint jeweils zum 15. jeden 2. Monats. Bezugspreisfür das Jahresabonnement 144 Euro, Einzelheft 28,80 Euro. Für Mitglieder derCentrale für Mediation ist der Bezug imMitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preisezzgl. Versandkosten und inkl. Umsatzsteuer.

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