Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

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    W

    irtschaftim

    Wandel

    Institut frWirtschaftsforschungHalle

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    Wirtschaft im Wandel 6/2009234

    Editorial

    Laien ist die Ratio wirtschaftspolitischer Manahmen zur Eindmmung der Finanz-krise oft nur schwer zu vermitteln. Ein Beispiel dafr sind die Mitte Mai von der Bun-desregierung beschlossenen Eckpunkte fr das geplante Konsolidierungs- oder Bad-Bank-Modell. Kaum geringere Verstndnisschwierigkeiten haben damit freilich auchgeschulte konomen. Welches Problem angegangen werden soll, ist immerhin klar:Die Finanzmarktkrise droht nach wie vor, die Kreditversorgung der Wirtschaft zudrosseln. Denn die Banken mssen damit rechnen, weiterhin in erheblichem UmfangAbschreibungen auf ihr Portfolio aus strukturierten Wertpapieren vornehmen zu ms-sen. Das zur Absicherung dieser Risiken zu hinterlegende Eigenkapital steht den Ban-ken dann nicht mehr fr die Kreditvergabe zur Verfgung. Die Eckpunkte des Bad-Bank-Modells sehen nun vor, dass den Finanzinstituten die Mglichkeit gegebenwird, die Problem-Papiere aus ihren Bankbilanzen in institutsspezifische Zweckge-sellschaften (bad banks) auszulagern. Im Gegenzug erhalten sie von den Zweckge-sellschaften herausgegebene Schuldverschreibungen. Durch die staatliche Garantiedieser Titel erledigt sich der Abschreibungsbedarf.

    Der Clou des Modells ist, dass die Garantie der Schuldverschreibungen die Steuer-

    zahler nichts kosten soll, denn etwaige Verluste der Zweckgesellschaften haben wie-derum die Banken selbst zu tragen. Aber kommen damit nicht die alten Belastungendurch die Hintertr wieder zu den Finanzinstituten herein? Nein, oder zumindest nichtso schnell, denn die Zweckgesellschaften sind nicht an die Bilanzierungsrichtlinien frBanken gebunden. Sie werden Verluste deshalb eher zum Zeitpunkt der tatschlichenZahlungsausflle einstellen statt im Gleichschritt mit den aktuellen Wertpapierpreisenan den Finanzmrkten, welche bereits heute in der Zukunft vermutete Zahlungsausfl-le vorwegnehmen. Eben solche Auslagerungen von Risiken strukturierter Wertpapierein Zweckgesellschaften zur Umgehung von Bilanzierungsvorschriften werden als einewesentliche Ursache der Weltfinanzkrise angesehen nun soll der Kunstgriff bei derKrisenbewltigung helfen. Die Befrworter des Modells sehen in ihm aber mehr alseinen bloen Buchungstrick. Vielmehr soll es die Abwrtsspirale aus Wertberichti-

    gungen, Notverkufen und Preisverfall zum Halten bringen. Allerdings: Das dafradquate Instrument wren Anpassungen internationaler Bilanzierungsrichtlinien, wiesie in letzter Zeit zum Teil auch schon erfolgt sind. Hingegen wird die Preisbildung frProblem-Papiere auf den Weltfinanzmrkten durch das auf Deutschland beschrnkteKonsolidierungsmodell kaum zu beeinflussen sein. Was also bleibt, ist eine Wette dar-auf, dass Finanzmrkte die Papiere gegenwrtig zu niedrig bewerten. Es ist ziemlichsicher, dass sich privates Kapital an dieser Wette nicht beteiligen wird, dass sich alsoFinanzinstitute, die das Angebot einer Konsolidierungsbank annehmen, auf absehbareZeit kein Eigenkapital an den Finanzmrkten beschaffen knnen. Von dieser Seite istdann auch fr die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft keine Besserung zu er-warten.

    Axel Lindner,Stellvertretender Abteilungsleiter Makrokonomik

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    IWH-Konjunkturberichterstattung fr Sachsen-Anhalt*

    Globale Konjunkturkrise trifft Wirtschaft hart

    - Vernderung gegenber Vorjahresquartal in % -Reales Bruttoinlandsprodukt Reale Bruttowertschpfung im Verarbeitenden Gewerbe

    -8,0

    -6,0

    -4,0

    -2,0

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    2,0

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    6,0

    2003

    1. Vj

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    1. Vj

    2005

    1. Vj

    2006

    1. Vj

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    1. Vj

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    1. Vj

    Sachsen-Anhalt

    Deutschland

    -25,0

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    -15,0

    -10,0

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    2003

    1. Vj

    2004

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    2005

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    2006

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    1. Vj

    Sachsen-Anhalt

    Deutschland

    Quellen: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Lnder; Vierteljhrliche Volkswirtschaftliche Gesamtrech-nung des IWH fr Sachsen-Anhalt, Stand: Juni 2009.

    Die globale Finanz- und Konjunkturkrise hat im vergangenen Winterhalbjahr tiefe Spuren in derWirtschaft Sachsen-Anhalts hinterlassen. Alle groen Wirtschaftsbereiche, allen voran die Industrie,mussten herbe Rckschlge hinnehmen. Im Verarbeitenden Gewerbe hat die internationale Wirt-schaftskrise am strksten auf das Land durchgeschlagen. Der Umsatzeinbruch im Ausland hat sich im

    ersten Vierteljahr deutlich verstrkt. Im Inland sind die Umstze ebenso gefallen, wenn auch wenigerstark. Dieses Geflle zieht sich durch alle industriellen Hauptgruppen. Die strksten Einbuen muss-ten die Produzenten von Vorleistungsgtern hinnehmen, im Schnitt ging deren Auslandsumsatz umrund ein Drittel gegenber dem Vorjahreszeitraum zurck. Die Investitionsgterproduzenten verlorenrund ein Viertel, darunter die Hersteller von Kraftfahrzeugteilen sogar deutlich mehr als ein Drittel.Im Vergleich dazu schnitten die Hersteller von Verbrauchsgtern mit einem Minus von knapp 13%im Ausland noch recht gnstig ab. Im Inland verloren sie kaum. Im Baugewerbe hat sich der Rck-gang der Produktion gegenber dem Schlussquartal beschleunigt. Auch gegenber dem Vorjahres-zeitraum bedeutet dies ein deutliches Minus. Einen wesentlichen Anteil daran drften allerdings dieungnstigen Witterungsverhltnisse gehabt haben. Im ersten Quartal gerieten zudem die Unterneh-mensdienstleister in den Sog des Abschwungs. Im Verkehr beschleunigte sich der Leistungsrckgang,

    im Handel schwchte er sich dagegen ab.Allerdings wurde die Wirtschaft Sachsen-Anhalts im ersten Quartal weniger stark vom konjunktu-rellen Abschwung getroffen als die deutsche Wirtschaft insgesamt. Ausschlaggebend dafr ist die ge-ringere unmittelbare Abhngigkeit des hiesigen Verarbeitenden Gewerbes von den Auslandsmrkten.Die Produktion im Land ist zwar gegenber dem Schlussquartal 2008 weiter abgestrzt, und dies beirund 10% erstmals mit einer zweistelligen Rate. In Deutschland verringerte sie sich jedoch im Schnittum 16%. Infolge des gesamtwirtschaftlich deutlichen Produktionsrckgangs im Verlauf des erstenQuartals unterschritt das Bruttoinlandsprodukt Sachsen-Anhalts auch seinen Stand vor Jahresfrist mit4,6% deutlich. Bundesweit hat es sich um 6,7% verringert.

    Udo Ludwig ([email protected])

    * Die vierteljhrliche Konjunkturberichterstattung des IWH erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Statistischen LandesamtSachsen-Anhalt. Fr die Berechnungsergebnisse trgt allein das IWH die Verantwortung.

    Aktuelle Trends

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    Im Fokus: Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfnger:Zielgenaue Disziplinierung oder allgemeine Drohkulisse?

    Ein zentrales Ziel der Hartz-IV-Reform war es, die Frderung der

    Langzeitarbeitslosen durch arbeits-marktpolitische Leistungen um ei-ne Komponente verstrkten For-derns zu erweitern. In diesem Sinnesind die im Gesetz vorgesehenenund 2007 verschrften Sanktions-mglichkeiten als ein Kernelementder Arbeitsmarktreform anzusehen.Angesichts der bei Hartz IV nurgeringen Hinzuverdienstmglich-

    keiten fungieren die Sanktionenauch als Ersatz fr fehlende finan-zielle Arbeitsanreize. Inzwischenwird die Verhngung von Sank-tionen bei der Bundesagentur frArbeit (BA) umfangreich statis-tisch erfasst.

    Sanktionen werden nach 31SGB II verhngt, wenn die betrof-fene Person die ihr in einer Ein-gliederungsvereinbarung oder einem

    entsprechenden Verwaltungsakt auf-erlegten Pflichten nicht erfllt, einezumutbare Arbeit oder einen Ein-Euro-Job ablehnt bzw. abbrichtoder der Pflicht zur Meldung imJob-Center nicht nachkommt. DieSanktionen bestehen darin, denRegelsatz (monatlich derzeit 351Euro, ab 1. Juli 2009 359 Euro frAlleinstehende) fr drei Monate

    um 30%, bei wiederholter Pflicht-verletzung um 60% und am Endeeinschlielich der Unterkunfts-kosten um 100% zu krzen. BeiMeldeversumnissen betrgt dieKrzung 10%. Jungen Menschenunter 25 Jahren wird der Regel-satz bereits bei der ersten Pflicht-verletzung vollstndig gestrichen.Bei der zweiten Pflichtverletzungentfallen auch die Unterkunfts-

    kosten. Es ist intendiert, bei jun-gen Menschen durch intensivere

    Betreuung und verstrkten Druckdie Entstehung von Langzeitar-

    beitslosigkeit schon im Ansatz zuverhindern.

    Die Zahl der Hartz-IV-Empfn-ger mit mindestens einer Sanktionstieg nach Einfhrung des SGB IIim Jahr 2005 bis Herbst 2006 aufetwa 100 000 Personen an.1 ImJahr 2007 erfolgte eine Verschr-fung der Sanktionsregeln. Die Ku-mulation mehrerer Sanktionen bei

    wiederholter Pflichtverletzung wur-de verstrkt. Zudem wurde dieMglichkeit eingefhrt, bei drei-maliger Pflichtverletzung innerhalbeines Jahres das Arbeitslosengeld IIvollstndig zu streichen. Seit derVerschrfung stieg die Zahl derSanktionierten noch einmal an.Fr den vergangenen Winter istein leichter Rckgang erkennbar(vgl. Abbildung 1). Im Januar 2009

    lag die Zahl bei etwa 124 000 Per-sonen oder 2,6% aller erwerbsf-higen Grundsicherungsempfnger.Betrachtet man nur die Arbeitslo-sen unter ihnen (zumal viele Sank-tionen bei Nicht-Arbeitslosen nichtanwendbar sind)2, lag die Quote

    bei 3,7%.3

    1 Vgl. STATISTIK DER BUNDES-AGENTUR FR ARBEIT: Grundsi-

    cherung fr Arbeitsuchende: Sanktio-nen gegenber erwerbsfhigen Hilfe- bedrftigen. Bericht der Statistik derBA. Nrnberg, April 2007, S. 5, S. 7.

    2 Nicht arbeitslose Leistungsbeziehersind z. B. solche Hartz-IV-Empfnger,die einen Ein-Euro-Job haben, sich ineiner Weiterbildungsmanahme befin-den oder die Grundsicherung aufsto-ckend zu eigenem Lohneinkommen er-halten. Vgl. BUSCHER, H. S.: Wer istarbeitslos, wer ist Leistungsbezieher?,in: IWH, Wirtschaft im Wandel 4/2005,S. 112-118.

    3 STATISTIK DER BUNDESAGEN-TUR FR ARBEIT: Statistik der

    Abbildung 1:Sanktionsquoten bei arbeitslosen

    Empfngern von Grundsicherungin 355 Kreisen und kreisfreienStdten- in % -

    0,0

    0,5

    1,0

    1,5

    2,0

    2,5

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    3,5

    4,0

    4,5

    5,0

    Jun 06 Jan 07 Jul 07 Feb 08 Aug 08 Mrz 09

    IWH

    Anmerkung: Die Quote ist hher als im Ge-samtdurchschnitt, da in den hier bercksich-tigten Kreisen und kreisfreien Stdten, fr dieeine solch lange Zeitreihe verfgbar ist, fastkeine Optionskommunen vertreten sind, dieseaber im Durchschnitt weniger sanktionieren.

    Quellen: Statistik der Bundesagentur frArbeit, Datenzentrum Nrnberg(Hrsg.): Sanktionen nach Krei-sen, Auswertung 2009; Darstel-lung des IWH.

    Zum Verstndnis regionalerUnterschiede der Zahl der Sank-tionierten wird eine Regressions-analyse fr 438 bzw. 370 regio-nale Trger der Grundsicherungdurchgefhrt (vgl. Tabelle). Darinwird der Anteil der Hartz-IV-Empfnger mit mindestens einerSanktion als zu erklrende Variableverwendet. Als unabhngige Va-riablen werden die (logarithmierte)Arbeitslosenquote, der Anteil derunter 25-Jhrigen an den Hartz-IV-Empfngern, eine Dummy-Variable fr Optionskommunenund der Betreuungsschlssel ver-wendet.

    Grundsicherung fr Arbeitsuchende

    nach dem SGB II, Sanktionen. Nrn- berg, Januar 2009, Daten mit einerWartezeit von drei Monaten.

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    Tabelle:Regressionsanalyse zu den Einflussfaktoren auf die Sanktionsquote

    Koeffizienten (t-Statistik)

    alle Trgerohne

    Optionskommunen

    Konstante 4,18***(8,77)

    4,79***(8,88)

    Arbeitslosenquote(logarithmiert)

    1,00***(11,46)

    1,02***(10,76)

    Anteil der Empfngerunter 25 Jahren, in %

    0,05**(2,20)

    0,05**(2,27)

    Optionskommune(Dummy-Variable)

    1,02***(9,46)

    Betreuungsschlssel(Empfnger je Mitarbeiter)

    0,004***(2,84)

    Beobachtungen 438 370

    Bestimmtheitsma 0,34 0,30*/**/*** = signifikant auf dem 10-/5-/1-Prozent-Niveau.

    Abhngige Variable: Anteil der Hartz-IV-Empfnger mit mindestens einer Sanktion an allenHartz-IV-Empfngern in %. OLS-(Ordinary-Least-Squares-)Regression mit robusten Standard-fehlern mit Daten auf Trgerebene fr Dezember 2008. Erfasst werden alle Trger der Grund-sicherung fr Arbeitsuchende auer der Stadt Erlangen, fr die keine Daten zu den Sanktionenvorliegen.

    Quellen: Statistik der Bundesagentur fr Arbeit: Statistik der Grundsicherung frArbeitsuchende nach dem SGB II SGB-II-Kennzahlen fr interregionaleVergleiche; Mitteilung des Bereichs POE 3 Personalwirtschaft der Bun-desagentur fr Arbeit; Berechnungen des IWH.

    Je geringer die Arbeitslosig-

    keit in einer Region ist, desto gr-er ist hier der Anteil der Sank-tionierten. Bei geringer Arbeits-losigkeit haben Personen, die aufArbeitsuche sind, eine bessereChance, aus dem Leistungsbezugauszuscheiden, sodass hier unterden verbleibenden Leistungsemp-fngern der Anteil derjenigen, dienicht nach Arbeit suchen, mg-licherweise grer ausfllt. Hinzu

    kommt, dass die Job-Center inRegionen mit niedriger Arbeitslo-sigkeit den Langzeitarbeitslosenauch relativ viele Angebote ma-chen knnen. Mglicherweise wirdhier von Hartz-IV-Empfngernfter erwartet, im Job-Center vor-zusprechen oder Bewerbungen zuschreiben, weil die Erfolgsaus-sichten hher sind. Wird mehr von

    den Arbeitslosen erwartet, steigtdas Risiko der Verfehlung und

    besteht folglich mehr Mglichkeit

    zur Sanktionierung. Dies knnteauch erklren, warum im Winter2008/2009 einer Zeit mit wie-der steigender Arbeitslosigkeit die Sanktionszahlen absolut undrelativ zurckgingen.

    Der Anteil von jungen Leis-tungsempfngern wirkt sich imregionalen Vergleich signifikantsteigernd auf die Sanktionszahlenaus. Bei den Leistungsempfn-

    gern unter 25 Jahren ist die Quoteder Sanktionierten deutlich hherals bei den lteren Arbeitslosen(vgl. Abbildung 2).

    Die Regressionsanalyse zeigtauerdem, dass in den 69 Kommu-nen, die die Hartz-IV-Verwaltungallein leisten (Optionskommunen),der Anteil der Sanktionierten si-gnifikant kleiner ist als dort, wo

    die Arbeitsagenturen beteiligt sind(in Arbeitsgemeinschaften oder

    bei getrennter Aufgabenwahrneh-mung).4 Eine mgliche Erklrungist, dass die Kommunen als Tr-ger der Sozialhilfe mit den Folgenvon Armut direkter befasst sind

    und daher im Vergleich zu denArbeitsagenturen direkte Armuts-vermeidung etwas hher gewichtenals die Aktivierung zur Arbeit. Um-gekehrt wird die Bundesagenturfr Arbeit allein an ihrem Erfolghinsichtlich der Senkung der Ar-

    beitslosenzahlen gemessen und be-rcksichtigt mglicherweise dieArmutsrisiken der Aktivierungs-strategien etwas weniger. Aller-dings wird eine Angleichung zwi-schen den verschiedenen Trger-formen konstatiert.5

    Schlielich lsst sich zeigen,dass der Betreuungsschlssel ei-nen signifikanten Einfluss auf dieSanktionen hat. Zahlen zum Be-treuungsschlssel liegen nicht frdie 69 Optionskommunen vor, so-dass dessen Effekt nur fr die

    Trger der Grundsicherung mitBeteiligung der Arbeitsagenturenberprft werden kann (zweiteSpalte in der Tabelle). Der Be-treuungsschlssel ist definiert alsdie Zahl der Hartz-IV-Empfnger,die auf einen Mitarbeiter im Be-reich Markt & Integration imJob-Center entfallen.6 Je weniger

    4 Dies besttigt entsprechende Ergeb-nisse aus der Hartz-IV-Evaluierung,vgl. ISR; IA; INFA; SIMMA & PART-NER; WZB: Evaluation der Experimen-tierklausel nach 6c SGB II Untersu-chungsfeld 2: Implementations- undGovernanceanalyse. Abschlussbericht2008, S. 209, Abb. C.4.1-9.

    5 Vgl. Bericht zur Evaluation der Expe-rimentierklausel nach 6c des Zwei-ten Buches Sozialgesetzbuch. DEUT-SCHER BUNDESTAG: Drucksache16/11488, 18.12.2008, S. 19.

    6

    Dabei wird fr die Zahl der Hartz-IV-Empfnger ein gleitender Jahresdurch-schnitt angesetzt, um saisonale

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    Leistungsbezieher auf einen dor-tigen Mitarbeiter entfallen, destomehr wird sanktioniert. Bei einerhheren Betreuungsintensitt knn-ten an die Langzeitarbeitslosen h-

    here Anforderungen gestellt wer-den, sodass es auch hufiger zuFllen kommt, in denen den Anfor-derungen nicht entsprochen wird.

    Im Jahr 2008 beruhten 54% derSanktionen auf Meldeversumnis-sen. 17% der Sanktionen ergingenwegen Verletzung von Pflichtenaus so genannten Eingliederungs-vereinbarungen, wenn also bei-spielsweise ein Arbeitsloser we-niger Bewerbungen schrieb alsvorgesehen. 20% der Sanktionenwurden verhngt aufgrund derWeigerung, eine angebotene Ar-

    beit, Ausbildung oder Manahmeaufzunehmen bzw. fortzusetzen.

    Der hohe Anteil von Melde-versumnissen an den Sanktions-grnden deutet darauf hin, dassoft eher mangelnde Selbstorgani-sation als fehlende Arbeitsbereit-schaft Ursache von Sanktionensein knnte. Auch Sanktionen beimangelnder Bewerbungsaktivitttreffen mglicherweise oft eherdie von erfolglosen BewerbungenFrustrierten als die Unwilligen.

    Im Jahr 2008 haben die Be-troffenen gegen 10% der Sank-tionen Widerspruch eingelegt. 37%der Widersprche wurde voll,weiteren 4% teilweise stattgege-

    ben. In 1% der Sanktionen kam esim Jahr 2008 zur Klage. Von denim Jahr 2008 erledigten Klagenwurden 51% ohne Gerichtsurteildadurch abgeschlossen, dass dasJob-Center die Rechtmigkeit derKlage anerkannte. In 14% wurdeder Klage durch Gerichtsentschei-dung ganz oder teilweise Recht

    Schwankungen aus dieser Kennzahlherauszurechnen.

    gegeben, in 12% wurde sie abge-wiesen.7 Diese hohen Anteile er-folgreicher Einsprche knntendarauf zurckzufhren sein, dassvor allem dort Widerspruch ein-

    gelegt wird, wo er von Anfang anerfolgversprechend ist. Mglich istaber auch, dass im Allgemeinenviele Sanktionen im Sinne des Ge-setzes die Falschen treffen. Wel-cher Erklrung die grere Bedeu-tung zukommt, kann nicht ohneWeiteres beantwortet werden.

    Hartz-IV-Empfnger unter 25Jahren werden aufgrund des Ge-setzes fr dieselbe Pflichtverlet-zung schrfer sanktioniert. Auf-fallend ist, dass junge Menschen

    jedoch nicht nur hrter, sondernauch deutlich hufiger sanktio-niert werden als ltere Arbeits-lose. So liegt die Sanktionsquoteunter den arbeitslosen Hartz-IV-Empfngern ab 50 Jahren bei1,4%, bei den 25- bis unter 50-Jhrigen bei 3,9% und bei den

    unter 25-Jhrigen bei 9,7%(Stand: Januar 2009). Die lterendrften am schwierigsten in Ar-

    beit zu vermitteln sein, sodassvermutlich der Mangel an Ange-

    boten fr ltere dazu fhrt, dassvon ihnen auch weniger Aktivitteingefordert wird. Bei der hohenSanktionsquote der Jngeren unter25 Jahren kann eine Rolle spielen,dass fr sie die Betreuungsinten-

    sitt hher ist. So lag der Betreu-ungsschlssel zum 1. Dezember2008 im Bundesdurchschnitt fr

    7 Diese Daten beziehen sich auf dieTrger der Grundsicherung mit Betei-ligung der BA, also in Form der Ar-beitsgemeinschaft oder der getrenntenAufgabenwahrnehmung. Damit erfas-sen sie 94% aller verhngten Sanktio-nen. Fr die 69 Optionskommunen

    liegen keine Daten dazu vor. Quelle:Mitteilung der Bundesagentur fr Ar-beit.

    die unter 25-Jhrigen bei 1 zu 91,bei den lteren bei 1 zu 173.8

    Die hohe Zahl an Sanktionengegen junge Arbeitslose steht in

    bemerkenswertem Kontrast zu Er-

    gebnissen aus dem Sozio-oekono-mischen Panel (SOEP) zur Ar-

    beitsbereitschaft von Arbeitslosenverschiedener Altersgruppen.9 ImRahmen dieser Erhebung werdenan Arbeitslose unter anderem Fra-gen zur Arbeitsbereitschaft ge-stellt. Auf Basis der gegebenenAntworten lsst sich belegen, dassnur unter den lteren Arbeitslosenein hherer Prozentsatz dem Ar-

    beitsmarkt nicht mehr zur Verf-gung stehen mchte. Vermutlichempfinden es viele ltere als nichtmehr lohnend, einen aufwendigen

    Neueinstieg in den Arbeitsmarktzu probieren, und stellen sich be-reits auf den Ruhestand ein. Un-ter denjenigen jngeren Arbeits-losen, die dem Arbeitsmarkt nichtsofort voll zur Verfgung stehen

    mchten, befindet sich ein hoherAnteil von Frauen mit Kindern.In der Altersgruppe der unter 25-Jhrigen ist die Arbeitsbereitschaftdemnach kaum geringer als inden anderen Altersgruppen.

    Jedoch werden von den Jnge-ren berproportional viele sanktio-niert. Die meisten und hrtestenSanktionen treffen also eine Alters-gruppe, die von den Job-Centern

    8 Die Zahlen zum Betreuungsschlssel beziehen sich ebenfalls nicht auf die69 Optionskommunen. Politische Ziel-vorgaben sind Betreuungsschlsselvon 1 zu 75 bei den Jngeren und 1 zu150 bei den lteren.

    9 Vgl. BRENKE, K.: Arbeitslose HartzIV-Empfnger: Oftmals gering qualifi-ziert, aber nicht weniger arbeitswillig,in: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr.43/2008, S. 678-684. Ders.: Sind die

    Arbeitslosen arbeitsunwillig?, in: Wo-chenbericht des DIW Berlin, Nr.22/2002, S. 347-353.

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    Abbildung 2:Arbeitsbereitschaft und Sanktionsquoten verschiedener Altersgruppender arbeitslosen Hartz-IV-Empfnger

    0

    5

    10

    15

    20

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    0

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    15 25 35 45 55 65

    Altersgruppen

    Anteil der arbeitslosen Hartz-IV-Empfnger, die dem

    Arbeitsmarkt nicht sofort oder gar nicht mehr zur

    Verfgung stehen mchten, in % (rechte Skala)

    Anteil der arbeitslosen Hartz-IV-Empfnger mit mindestens

    einer Sanktion, in % (linke Skala)

    IWH

    Quellen: Brenke (2008), vgl. Funote 9; Statistik der Bundesagantur fr Arbeit, vgl.Funote 3; Darstellung des IWH.

    intensiver betreut wird, die aberden Ergebnissen aus dem SOEPzufolge nicht weniger arbeitsbe-reit ist als der Gesamtdurchschnitt(vgl. Abbildung 2).

    Somit hngt die Wahrschein-lichkeit, sanktioniert zu werden,von einer Vielzahl von Faktorenab, die teilweise nichts mit Ar-

    beitsbereitschaft zu tun haben undoft auerhalb der Person liegen.Insgesamt ergeben sich erheb-liche Zweifel, ob ein treffgenauesSanktionssystem, wie es mit 31SGB II intendiert ist, berhaupt

    realisierbar ist. Die Hauptwirkungder Sanktionen besteht jedoch ver-

    mutlich darin, eine allgemeine At-mosphre des Drucks zu erzeugen,in der die Konzessionsbereitschaftvon Arbeitslosen gegenber poten-ziellen Arbeitgebern erhht wird.10

    Einige Studien finden auch empi-rische Hinweise, dass die Arbeits-marktreform die Beschftigungs-

    10 Vgl. KETTNER, A.; REBIEN, M.:

    Hartz-IV-Reform Impulse fr denArbeitsmarkt. IAB-Kurzbericht19/2007. KOCH, S.; KUPKA, P.;STEINKE, J.: Aktivierung, Erwerbs-ttigkeit und Teilhabe Vier Jahre

    Grundsicherung fr Arbeitsuchende.IAB-Bibliothek 315. Nrnberg, Biele-feld 2009, S. 229 ff., S. 270.

    steigerung im letzten Aufschwungverstrkte.11

    Die Androhung und die Ver-hngung von Sanktionen tragensomit zur Aktivierung der Er-

    werbsarbeit bei, stehen dabei je-doch im Widerspruch zur Garan-tie des Existenzminimums fr alle.Eine Beurteilung der bestehendenRegelungen erfordert somit einWerturteil hinsichtlich der Abw-gung zwischen diesen beiden Zie-len. Angesichts der geringen Treff-sicherheit und der besonderenHrte, die eine Krzung der Grund-sicherung unter das Existenzmi-nimum individuell bedeutet, soll-te darauf verzichtet und anderenFormen der Arbeitsanreize, etwaverbesserten Hinzuverdienstmg-lichkeiten, der Vorzug gegebenwerden.

    Ingmar Kumpmann([email protected])

    11Vgl. beispielsweise BACH, H.-U.;GARTNER, H.; KLINGER, S.;ROTHE, T.; SPITZNAGEL, E.: Ar- beitsmarkt 2007/2008 Ein robusterAufschwung mit freundlichem Gesicht.IAB-Kurzbericht 15/2007, S. 2 f. SACHVERSTNDIGENRAT ZURBEGUTACHTUNG DER GESAMT-WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICK-LUNG: Das Erreichte nicht verspielen.Jahresgutachten 2007/08, Ziffern 481-504. Fr eine kritische Sicht vgl.HORN, G.; LOGEAY, C.; STAPFF, D.:Viel Lrm um nichts? Arbeitsmarkt-

    reformen zeigen im Aufschwung bis-her kaum Wirkung. IMK ReportNr. 20/2007.

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    Wirtschaft im Wandel 6/2009240

    Weltfinanzkrise trifft russische Wirtschaft aufgrundstruktureller Schwchen hart

    Kurzfassung

    Bis in das Jahr 2008 hinein hat sich die einset-zende Verringerung der Liquiditt im Bankensektorauf die Realwirtschaft nicht sprbar ausgewirkt.Mit dem Nachfrageeinbruch an den Rohstoff-mrkten, dem rapiden Absturz des lpreises undder Zuspitzung der internationalen Finanzkrise imvorigen Sommer haben sich fallende Exportein-nahmen und massive Kapitalabflsse jedoch un-mittelbar ausgewirkt. Der Rubel geriet unter Druck,und mit dem Einbruch am russischen Finanzmarkt

    setzte auch ein wirtschaftlicher Abschwung ein,der sich zu Beginn dieses Jahres verstrkte. Das Ausma des wirtschaftlichen Einbruchs und desVertrauensverlustes in die Whrung lie Verglei-che mit der Krise von 1998 aufkommen.

    Die russische Regierung hat mit massiven In-terventionen den Finanzmarkt und den Wechsel-kurs zu stabilisieren versucht. In Reaktion auf dieVerschlechterung der Wirtschaftslage wurde zu-

    stzlich ein Paket von konjunkturstimulierendenManahmen verabschiedet, das zu Beginn dieses

    Jahres in Kraft trat. Es sieht neben Steuervergns-tigungen fr Unternehmen Kreditgarantien desStaates sowie Manahmen zur sozialen Abfede-rung der Krisenfolgen vor. Dank enormer Mittel,die in den letzten Jahren im Stabilisierungsfondsaufgrund der hohen Rohstoffpreise akkumuliertworden sind, kann die Regierung zunchst eine

    stabilisierende Finanzpolitik betreiben. Die Aus-

    sichten fr die wirtschaftliche Entwicklung sindinsgesamt jedoch durch die hohe Abhngigkeit derWirtschaft vom lpreis mit groen Risiken behaftet.Vor diesem Hintergrund wird das Bruttoinlands-

    produkt in diesem Jahr deutlich zurckgehen undsich dann 2010 leicht erholen.

    Martina Kmpfe (Seite 242)

    Exportweltmeister trotz Euro-Hhenflug Zum Einfluss der Wechselkurse auf die deutschen Ausfuhren

    Kurzfassung

    Trotz anfnglicher Skepsis hat sich der Euro inden ersten zehn Jahren nach seiner Einfhrung anden Devisenmrkten behauptet und gegenberwichtigen Fremdwhrungen deutlich an Wert ge-

    wonnen. Obgleich ein Groteil des Auenhandelsder EWU-Mitgliedstaaten seit der Euro-Einfhrungkeinem Wechselkursrisiko mehr unterliegt, birgtein starker Euro fr exportorientierte Lnder wie

    Deutschland dennoch Gefahren.Der vorliegende Beitrag untersucht die Auswir-

    kungen von Wechselkursvernderungen auf diedeutschen Exporte im Zeitverlauf. Die Analysen be-

    sttigen, dass insbesondere die nominalen Wech- selkurse an Einfluss verloren haben. Allerdings

    gilt dies nicht nur in Bezug auf den Gesamtexport,der allein durch die Verwirklichung der Whrungs-

    union weniger anfllig gegenber Wechselkurs-schwankungen geworden sein drfte, sondern auchfr die Warenlieferungen in Lnder auerhalb desEuroraums. Ein zunehmender Ausgleich nominaler

    Wechselkursvernderungen durch Preisanpassun-gen findet zwar statt, kann aber sicherlich nicht alsalleiniger Erklrungsansatz fr die schwindendeWechselkursreagibilitt der Ausfuhren dienen, so-dass weitere Faktoren in Betracht zu ziehen sind.

    So zeigt sich etwa, dass die Exporte auch aufVernderungen der realen Wechselkurse und da-mit der internationalen Preisrelationen immer we-niger reagieren. Stattdessen werden die Ausfuhren

    zunehmend durch die konjunkturelle Entwicklung

    in den Handelspartnerlndern determiniert. In die-sem Zusammenhang konnte Deutschland aufgrund

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    9/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 241

    seiner geographischen Lage sicherlich strker alsandere Lnder von der krftigen Nachfrageaus-weitung der mittel- und osteuropischen Staaten

    profitieren, die die Euro-Aufwertung berlagerthat. Zudem haben die Kursgewinne des Euro den

    deutschen Exportgterproduzenten auch wegen des

    auf Investitions- und qualitativ hochwertige Indus-triegter ausgerichteten Warenangebots kaum ge-

    schadet.

    Gtz Zeddies (Seite 247)

    Wie werden Stdte zu Zentren der Kreativitt und Innovation?Ein Bericht ber das 2nd Halle Forum on Urban Economic Growth am IWH

    Kurzfassung

    Die Abteilung Stadtkonomik des IWH veranstal-tete am 27. und 28. November 2008 das zweite

    Halle Forum on Urban Economic Growth. Die Fo-rumsvortrge sowie die in das Programm einge-bettete Podiumsdiskussion beschftigten sich mitder Frage, welche strategischen Handlungsmg-lichkeiten Stdten offenstehen, um sich als Zentrender Kreativitt und Innovation entwickeln zu kn-nen. Diese Frage stellt sich insbesondere Stdtenin Transformationskonomien, die durch einen er-heblichen Strukturwandel gekennzeichnet sind unddie nach Chancen fr einen wirtschaftlichen Neuan-

    fang Ausschau halten. Die Vortrge und Diskus- sionsbeitrge behandelten die allgemeine Bedeu-tung lokaler Kontextbedingungen fr Kreativitt,die Wissensvermittlung und verschiedene Anstze,die entsprechenden Kontextbedingungen gezielt zu

    gestalten. Neben Hinweisen zu praktikablen Handlungs-

    strategien fr Stdte mit Wissenschaftseinrichtun-gen lieferte das Forum ebenso die Erkenntnis, dass

    in mehrerlei Hinsicht noch weiterer Forschungs-bedarf besteht. Insbesondere ist bislang ungen-

    gend geklrt, ber welche Wirkungskanle Wissens-Spillovers zwischen Wissenschaft und lokalerWirtschaft verlaufen. Daneben muss die auch imVerlauf der Tagung mehrfach erhobene Forde-rung nach einer strkeren Passung der Fcher-

    struktur der Wissenschaftseinrichtungen mit der Branchenstruktur der Wirtschaft in der Regionnoch durch weitere empirische Forschung auf ihre

    Angemessenheit hin berprft werden. Darberhinaus ist unklar, wie weit die unternehmerische

    Orientierung von Hochschulen getrieben werdenkann, wie z. B. bei der wirtschaftlichen Verwer-tung der in ihren Mauern entwickelten Patente,ohne dass sich das Hochschulpersonal Identitts-

    problemen und Konflikten mit den Werten des Wis-senschaftssystems gegenbersieht.

    Peter Franz, Martin T. W. Rosenfeld,Annette Illy (Seite 255)

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    10/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009242

    Weltfinanzkrise trifft russische Wirtschaft aufgrundstruktureller Schwchen hart

    Die dynamische Wirtschaftsentwicklung setzte sichim Jahr 2008 in Russland zunchst noch weitge-

    hend unbeeindruckt von den Auswirkungen derinternationalen Finanzmarktturbulenzen fort.12 ErsteAnzeichen einer Verschlechterung der Kreditkon-ditionen hatten zwar schon zuvor zu einer Verrin-gerung der Liquiditt im Bankensektor gefhrt,doch grere negative Effekte auf die Realwirt-schaft waren bis in das Jahr 2008 hinein weitge-hend ausgeblieben. Das nderte sich schlagartigmit der Zuspitzung der internationalen Finanzkriseim vorigen Sommer. Der weltweite Nachfrageein-

    bruch an den Rohstoffmrkten und der rapide Ab-

    sturz des lpreises innerhalb kurzer Zeit trafen dieWirtschaft hart: Fallende Exporteinnahmen undmassive Kapitalabflsse lieen den Rubel unterDruck geraten und erschtterten den Finanzsektor.Wenig spter wurde auch die Realwirtschaft direktgetroffen; zusammen mit dem lpreisverfall undder einsetzenden starken Abschwchung der welt-weiten Nachfrage nach russischen Exporten kames ab dem vierten Quartal vergangenen Jahres zuKontraktionen, die sich in den ersten Monaten die-ses Jahres ungebremst fortsetzten.

    Zuspitzung der Weltfinanzkrise destabilisiert

    russischen Finanzsektor

    Die Zuspitzung der Weltfinanzkrise provozierte ei-nen Kapitalabfluss vom russischen Finanzmarkt unddestabilisierte ihn; das Misstrauen unter den Bankenwuchs, sie betrieben eine sehr vorsichtige Kredit-

    politik und hielten einen Teil ihrer Mittel in Reser-ve. Obwohl die Banken noch Liquiditt hatten,stiegen die Zinsen am Geldmarkt als Zeichen derUnsicherheit, des Vertrauensschwunds und der In-

    flationserwartungen der Marktteilnehmer. Die Kre-ditvergabe geriet ins Stocken, das Kreditwachstumwurde schwcher. Es sank gegenber den Nicht-Banken im vierten Quartal 2008 um 26% im Ver-gleich zum dritten Quartal, wobei im Novemberund Dezember ein absoluter Rckgang eintrat. DieFolge war eine Strung der Geldversorgung, diesich auf die russischen Unternehmen unmittelbarauswirkte. Neben kleineren und mittleren Unter-nehmen waren auch mehrere groe Unternehmen

    12

    Das IWH untersucht die aktuelle Wirtschaftsentwicklungund den Stand der Reformen in Russland seit einer Reihevon Jahren, letztmalig im Jahr 2008.

    der Metallindustrie betroffen, die in Zahlungs-schwierigkeiten gerieten oder Konkurs anmeldeten.

    Sie hatten zur Finanzierung ihrer Ttigkeit und derweiteren Bedienung von Krediten seit geraumerZeit auf Kredite durch ein Bankenkonsortium vonrussischen und auslndischen Banken (so genannte

    syndicated loans) zurckgegriffen, die sich nichtmehr wie bisher aufrechterhalten lieen.13

    In den Jahren zuvor war bereits ein Anstieg derKreditaufnahme des privaten Sektors sowohl aufdem inlndischen Markt als auch im Ausland zuverzeichnen. Die inlndischen Banken ihrerseits wa-ren dieser sprunghaft gestiegenen Kreditnachfrage

    nur durch eine zunehmende Kapitalbeschaffung aufauslndischen Mrkten gewachsen. Im Herbst desJahres 2008 betrug die Verschuldung des Banken-sektors und der Unternehmen im Ausland etwa500 Mrd. US-Dollar, was einer Zunahme von etwa20% allein seit Beginn des Jahres entspricht.14 Da-von entfielen knapp zwei Drittel auf die Unterneh-men. Ein Drittel der Gesamtverschuldung entfiel aufdie Banken, und davon wiederum etwa ein Drittelauf Kredite mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr.

    Die Verschlechterung der Kreditkonditionen aufden internationalen Finanzmrkten bildete fr den

    Banken- wie den Nicht-Bankensektor ein Problem.Die Situation im russischen Bankensektor unter-scheidet sich von der in den meisten mittel- undosteuropischen Lndern, da sich nur ein ver-gleichsweise geringer Anteil, etwa 25%, in ausln-discher Hand befindet, und dies auch erst durchAnteilsverkufe zweier Grobanken im Jahr 2007,davor waren es nur 16%.15 Es besteht eine groeKonzentration des Kapitals: Von den etwa 1 150Banken halten fnf Grobanken in mehrheitlichem

    13 Diese Form der Kreditvergabe ist in Russland stark gestie-gen, das Land ist inzwischen der drittgrte Schuldner die-ser Form in Europa. Vgl. REUTERS LOAN PRICINGCORPORATION, http://www.loanpricing.com/.

    14 BANK OF RUSSIA: External Debt of the Russian Federa-tion, March 2009 (estimate). Vgl. http://www.cbr.ru/eng/statistics/credit_statistics/print.asp?file=debt_est_e.htm, Zu-griff am 18.05.2009.

    15 Auslndische Beteiligungen, auch wenn sie in den letztenJahren zugenommen haben, unterliegen strengen Auflagenund sind im Bankensektor, der von der Regierung wie die sogenannten strategischen Sektoren behandelt wird, eher un-

    erwnscht. Beteiligungen werden oft nur aus inlndischemKapitalmangel heraus zugelassen. Der Anteil reiner auslndi-scher Privatbanken ist bedeutungslos, er liegt bei etwa 5%.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    11/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 243

    Staatsbesitz ca. 45% der Gesamtaktiva des Ban-kensektors. ber diese Grobanken wird die Geld-versorgung der Unternehmen und der Kleinbankengelenkt. Wenn sich die Finanzierung dieser Ban-ken verschlechtert, verschlechtert sich auch dieLage auf dem Bankenmarkt insgesamt. Zur Ver-ringerung der auslndischen Kapitalbeschaffungkam fr die Banken erschwerend hinzu, dass sichdie Einlagen (Depositen) der Unternehmen und der

    privaten Haushalte seit 2007 erheblich langsamerentwickelt haben und es teilweise auch ausgelstdurch Unsicherheiten im weiteren Verlauf der Fi-nanzkrise zum Abzug von Einlagen kam. Fr dieUnternehmen mit auslndischer Verschuldung warvor allem problematisch, dass die Erneuerung derkurzfristigen Kredite durch auslndische Bankennicht mehr gesichert schien oder gar nicht weiter

    stattfinden konnte.Mit dem Fall des Preises fr russisches l der

    Marke Ural im September 2008 um etwa ein Drit-tel unter den Hchstpreis von Mitte Juli desselbenJahres16 geriet der Wertpapiermarkt unter Druck.Der Index der wichtigsten 50 IndustrieunternehmenRTS (Russian Trading System Stock Exchange)verlor innerhalb weniger Tage mehr als 35% an Wert,ebenso brach der MICEX, der Moskauer Brsen-index, ein (vgl. Abbildung 1).

    Der RTS-Index reagiert sehr empfindlich auf

    Preisvernderungen an den Rohstoffmrkten, da inihm mehr als die Hlfte der Unternehmen der l- undGasindustrie sowie der Metallbranche enthalten sind.Die Korrektur der Brsenwerte der Unternehmen waram strksten im Oktober 2008, schlielich lag derRTS fast 70% unter dem Wert vom Januar 2008,der MICEX schrumpfte um 60%. Neben Aktien derlindustrie sowie der Metallurgie waren nun auchUnternehmen des Maschinenbaus, der Telekommu-nikation, der Stromversorgung sowie Kreditinstitute

    betroffen, die ihre Talfahrt 2009 fortsetzten.Wenig spter verschlechterten sich auch am Markt

    fr Staatspapiere die Konditionen: Mit einem rapi-den Anstieg der Renditen fr Staatspapiere (bond

    yields) als Reaktion des Markts auf die Ankndi-gung der Herabstufung des Kreditratings fr Russ-land durch die Ratingagentur Standard & Poors imOktober 2008 stiegen die Finanzierungskosten frden Staat.17 Aufgrund dann beginnender mangeln-

    16 Der Preis fr l der Marke Ural sank von 139 US-Dollar je

    Barrel im Juli auf 92 US-Dollar im September und 32 US-Dollar im Dezember 2008.

    17

    Die Reaktion erfolgte bereits auf die bloe Ankndigungeiner Herabstufung hin, Standard & Poors nannten alsausschlaggebend u. a. Kapitalabflsse, hohe Kosten der

    der Nachfrage nach Staatspapieren setzte das Finanz-ministerium den Handel fr drei Monate ganz aus;im ersten Quartal 2009 fielen die Renditen wieder,die Nachfrage blieb jedoch weiterhin gering.

    Abbildung 1:Russian Trading System Stock Exchange und Preisfr Erdl der Marke Ural, 2008 bis 2009

    500

    1 000

    1 500

    2 000

    2 500

    3 000

    20

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    2009

    Ural lpreis RTS-Index

    Ural lpreis RTSIWH

    Quellen: EIA (Energy Information Administration); RTS(Russian Trading System Stock Exchange); Darstel-lung des IWH.

    Bisherige Geld- und Wechselkurspolitik

    erschwert schnelle Entspannung der Lage

    Zentralbank und Regierung handelten koordiniert,um den Finanzmarkt zu stabilisieren. Die Zentral-

    bank senkte unmittelbar nach dem ersten Brsen-einbruch Mitte September 2008 die Mindestreserve-stze um vier Prozentpunkte was nahezu eineHalbierung des bisherigen Zinses bedeutete , einenMonat spter nochmals um vier Prozentpunkte bisauf 0,5%. Zugleich erweiterte sie die Refinanzie-rungsmglichkeiten fr die Banken erheblich, ins-

    besondere durch die Mglichkeit, Kredite ohnejegliche hinterlegte Sicherheiten zu bekommen; auch

    die Laufzeit der Kredite wurde auf sechs Monateausgedehnt. Damit wurde es den Banken erleich-tert, sich bei der Zentralbank zu refinanzieren. DasFinanzministerium stellte den drei fhrenden Gro-

    banken kurzfristig Mittel zur Verfgung, die berden Interbankenmarkt an kleinere Banken weiter-gegeben werden sollten, und erklrte sich darberhinaus bereit, Verluste dieser drei Banken aufdem Interbankenmarkt zu decken. ber die VEB(Vneshekonombank), eine auf Auslandstransaktionen

    Stabilisierung des Finanzsystems und ein fr 2009 drohen-des Budgetdefizit. Die eigentliche Herabstufung von BBB+auf BBB erfolgte Anfang Dezember 2008.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    12/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009244

    spezialisierte Bank, wurden Mittel aus den Zentral- bank-Devisenreserven zur Verfgung gestellt, umUnternehmen kurzfristig bei der Finanzierung ih-res auslndischen Schuldendienstes zu unterstt-zen. Schlielich beschloss die Regierung EndeSeptember 2008, ntigenfalls Unternehmensanteilerussischer Unternehmen aufzukaufen und als An-teile zu halten, bis sich der Markt beruhigt hat.18

    Auch fr die Wechselkurspolitik nderten sichdie Bedingungen. Der Rubel wertete seit dem Som-mer 2008 gegenber dem US-Dollar ab, im Septem-

    ber gab der Kurs strker nach als in den Vormo-naten und es bestand die Gefahr einer kurzfristigenabrupten Abwertung. Die Nachfrage der Wirtschafts-akteure nach Devisen wuchs aufgrund der Abwer-tungserwartungen stark. Die Zentralbank lie denRubel gegenber einem Whrungskorb aus US-

    Dollar und Euro in kleinen Schritten abwerten, in-dem sie die Schwankungsbreite des Wechselkurs-

    bands ber mehrere Wochen, teilweise mehrmalswchentlich, geringfgig erweiterte. Durch dieseschrittweise erfolgende und kontrollierte Abwertungkonnte verhindert werden, dass massive Rubelver-kufe privater Anleger das Bankensystem gefhr-deten. Im Januar 2009 traf die Zentralbank angesichtsandauernder Kurskorrekturen und weiterer Ab-wertungsspekulationen die Entscheidung fr einenkrftigen einmaligen Abwertungsschritt und erwei-

    terte das Wechselkursband um 10% auf 41 Rubelals Untergrenze gegenber dem Whrungskorb.Seitdem hat sich der Kurs innerhalb des Zielkorri-dors stabilisiert und seit Mrz 2009 sowohl zumoffiziellen Whrungskorb als auch zum Euro wie-der etwas aufgewertet (vgl. Abbildung 2).

    Um den im Sommer 2008 einsetzenden Kapi-talabfluss19 einzudmmen, wurde der Leitzins imvierten Quartal 2008 in zwei Schritten auf zuletzt13% angehoben, er lag damit drei Prozentpunkteber dem Wert vom Dezember 2007. Zugleich wur-den nochmals die verschiedenen Refinanzierungs-

    instrumente ausgeweitet: Die zuvor beschlossenebefristete Senkung der Mindestreservestze wurdebis Ende April 2009 verlngert, ebenso verlngertwurde die Laufzeit unbesicherter Kredite von sechsMonaten auf ein Jahr.

    18 Im weiteren Verlauf der Weltfinanzkrise hat die Regierungeine derartige Vorgehensweise, die sichern sollte, dassAnteile strategischer Unternehmen nicht durch Illiquidittan auslndische Glubiger fallen, aufgegeben.

    19 Der Kapitalabfluss durch private Investoren setzte ausgelst

    durch den Georgienkonflikt im August 2008 ein und betrugim dritten Quartal 17,4 Mrd. US-Dollar, im vierten Quartalmit Zuspitzung der Krise dann 130,5 Mrd. US-Dollar.

    Abbildung 2: Nominaler Rubelwechselkurs gegenber US-Dollar,Euro und Whrungskorb- Januar 2007 bis Mai 2009; Januar 2007 = 100 -

    80

    90

    100

    110

    120

    130

    140

    01.

    01.

    2007

    01.

    03.

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    11.

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    05.

    2009

    Index

    RUB zu Euro RUB zu US-Dollar RUB zu Whrungskorb IWH

    Quellen: Bank of Russia; Berechnungen und Darstellung des

    IWH.

    Trotz der zunehmend kritischeren Situation aufdem Finanzmarkt hat die Zentralbank ihren restrik-tiven geldpolitischen Kurs nie ganz aufgegeben.So hat sie noch im Jahr 2007 und in den ersten dreiQuartalen 2008 bis unmittelbar zum Krisenszenarioim September die Mindestreservevorschriften ver-schrft und die Leitzinsen mehrfach angehoben,mit der Begrndung einer zu groen Liquiditt imBankensektor. Sie wich von diesem Kurs auch dann

    nicht ab, als die drei grten Banken Sberbank,Vneshtorgbank (VTB) und Gazprombank ange-sichts der einsetzenden Finanzierungsprobleme imBankensektor wiederholt ffentlich die Geldpolitikder Zentralbank kritisierten. Daraufhin hat die No-tenbank lediglich andere Manahmen zur Geld-mengensteuerung ergriffen, so u. a. ihre Liste vonWertpapieren erweitert, die sie als Sicherheiten frDarlehen anerkennt, im brigen jedoch erklrt,dass die Liquidittsverringerung dem Bankensek-tor bislang keine wesentlichen Probleme bereite.

    Hintergrund dieses restriktiven geldpolitischen

    Kurses ist die vergleichsweise hohe Inflation, die bereits seit geraumer Zeit nicht wesentlich weiterzurckgefhrt werden konnte und die sich 2008wieder strker beschleunigte (vgl. Abbildung 3).Die strkere Beschleunigung im vergangenen Som-mer war zwar berwiegend den damaligen Preis-entwicklungen auf den Weltmrkten geschuldet,die Inflationsbekmpfung zuvor war jedoch weit-gehend erfolglos geblieben.20

    20 Zum Problem der Inflationsbekmpfung durch die Zentral-

    bank vgl. auch KMPFE, M.: Russland: Anhaltend krftigeWirtschaftsentwicklung wird von hoher Inflation berschat-tet, in: IWH, Wirtschaft im Wandel 6/2008, S. 237-243.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    13/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 245

    Abbildung 3:Verbraucherpreisindex (VPI) und Kerninflationa,2006 bis 2009- in % -

    0

    2

    4

    6

    8

    10

    12

    14

    16

    I III V V II IX XI I III V V II IX XI I III V V II IX XI I III

    2006 2007 2008 2 009

    VPI Kerninflation

    IWHa Unter der Kerninflation wird nach gngiger Definition der um diePreise fr Energie und unverarbeitete Lebensmittel bereinigte Ver-braucherpreisindex verstanden.

    Quellen: Bank of Russia: Quarterly Inflation Review; Darstel-lung des IWH.

    Die Zentralbank befand sich in einem Dilemmazwischen Wechselkursstabilisierung und Inflations-

    bekmpfung. Sie versuchte whrend vergangenerJahre, durch den Aufkauf von Devisen den Wertdes Rubel zum Whrungskorb aus Euro und US-Dollar annhernd konstant zu halten (vgl. Abbil-dung 2), wodurch die Geldmenge und damit dasInflationspotenzial stiegen. Wiederholte Interven-tionen am Devisenmarkt in den letzten Jahren habensomit nicht unwesentlich zur Persistenz der Infla-tionstendenzen beigetragen.21 Die jngeren Ma-nahmen zur Geldpolitikstraffung wurden als Zei-chen dafr gewertet, dass die Zentralbank nunmehrder Inflationsbekmpfung den Vorrang vor derWechselkursstabilisierung gibt. Unmittelbar in derKrise erklrte die Regierung dann zwar, dass nundie Stabilisierung des Marktes mit allen Mitteln denVorrang habe und die Inflationsbekmpfung zweit-rangig sei. Allerdings ist es ihr trotz einer raschen

    und koordinierten Handlungsweise bis zum Frh-jahr 2009 nicht gelungen, ber staatliche Interven-tionen den Kreditfluss wieder in Gang zu setzen,und es gab anhaltende Kritik, die Zinsen seien frdie derzeitige Wirtschaftslage unangemessen hoch.Erst im zweiten Quartal senkte die Zentralbankdann zweimal die Leitzinsen (Refinanzierungszins

    21 Wiederholt hat der Internationale Whrungsfonds (IWF)von der Zentralbank gefordert, sich entschiedener um eineSenkung der Inflation zu bemhen und im Interesse des

    Stabilittsziels auch auf den Ankauf auslndischer Whrun-gen zur Begrenzung der Wechselkursaufwertung zu ver-zichten.

    und overnight rate), jeweils um einen halben Pro-zentpunkt auf derzeit 12%.

    Starker realwirtschaftlicher Abschwung fordert

    weitere Antikrisenmanahmen heraus

    Mit dem Einbruch am russischen Finanzmarkt setzteim Herbst vergangenen Jahres auch ein wirtschaft-licher Abschwung ein, der sich zu Beginn diesesJahres verstrkte und einen Einbruch der Produk-tion und des Absatzes in nahezu allen Wirtschafts-sektoren mit sich brachte (vgl. Abbildung 4). Inden ersten Monaten 2009 haben sich die Erwartun-gen der Unternehmen in einem Ma verschlechtertwie zuletzt in der Zeit der Krise 1998.

    Abbildung 4:

    Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP), Investitionenund privater Konsum, 2006 bis 2009-in % zum Vorjahresquartal -

    -20

    -15

    -10

    -5

    0

    5

    10

    15

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    25

    I II III IV I II III IV I II III IV I

    2006 2007 2008 2009

    BIP Investitionen privater Konsum

    IWH

    Quellen: Rosstat; 2009: Schtzung; Darstellung des IWH.

    Auch das Konsumentenvertrauen hat sich in hn-lichem Ausma verschlechtert. Umfragen des Sta-tistischen Amtes zeigen einen absturzartigen Rck-gang des Vertrauens-Index im ersten Quartal diesesJahres.22 Die rasch steigende Arbeitslosigkeit so-wie das stark abgeschwchte Lohnwachstum ha-

    ben die Einkommenslage eingetrbt; erstmals seitJahren sanken die Einzelhandelsumstze in denersten Monaten 2009 absolut.

    Im Unterschied zur Binnennachfrage, die sicherst im vierten Quartal 2008 sprbar verlangsamte,schwchte sich die Auennachfrage bereits seit demJahresende 2007 ab. Gegen Jahresende 2008 kames schlielich auch zu einer absoluten Schrump-

    22

    Vgl. ROSSTAT: Potrebitelskije ozidania v Rossji v I kvar-tale 2009 g, http://www.gks.ru/bgd/free/B04_03/IssWWW.exe/Stg/d02/57.htm, Zugriff am 16.04.2009.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    14/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009246

    fung der Exporte, die sich zu Beginn dieses Jahres beschleunigt fortsetzte. Der Auenbeitrag verrin-gerte sich, da die Importe weniger stark zurck-gingen (vgl. Abbildung 5).

    Abbildung 5:Entwicklung der Exporte und Importe nach Quar-talen, 2006 bis 2008- Vernderungsrate in % zum Vorjahr -

    -10

    0

    10

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    30

    I-06 II-06 III-06 IV-06 I-07 II-07 III-07 IV-07 I-08 II-08 III-08 IV-08

    Exporte Importe

    IWH

    Quelle: Rosstat; Berechnungen und Darstellung des IWH.

    Tabelle 1:Eckdaten der wirtschaftlichen Entwicklung fr Russ-land in den Jahren 2007 bis 2010

    2007 2008 2009 2010

    Vernderung gegenber dem Vorjahr in %

    Bruttoinlands-produkt

    8,1 5,6 5,0 0,5

    Private Kon-sumausgaben

    13,7 11,3 2,5 1,3

    Staatskonsum 3,4 2,5 3,6 3,6

    Anlage-investitionen

    21,1 10,0 12 1,2

    Exporte 6,3 0,5 5,3 1,5

    Importe 26,5 15,0 6,5 3,5

    Vernderung gegenber dem Vorjahr in %

    Verbraucher-preise

    9,0 14,1 12,5 10

    in % der Erwerbspersonen

    Arbeitslosen-

    quotea 6,1 6,3 10 10a Arbeitslosenquote. ILO-Methode.

    Quellen: Rosstat; 2009 und 2010: Prognose des IWH.

    Die russische Regierung hat in Reaktion auf dieVerschlechterung der Wirtschaftslage und die stei-gende Arbeitslosigkeit ein Paket von konjunktur-stimulierenden, finanzmarktstabilisierenden und so-zialpolitisch motivierten Manahmen verabschiedet.Zuvor war es im Vorfeld der Diskussionen zumHaushaltsgesetz fr 2009 angesichts einer drohen-den wirtschaftlichen Krise bereits zunehmend zurUneinigkeit zwischen dem Finanzministerium und

    dem Wirtschaftsministerium ber geeignete wirt-schaftspolitische Manahmen und die Verwendungstaatlicher Mittel dafr gekommen. Whrend derFinanzminister vor einer weiteren Inflationsanhei-zung durch zu extensive Kreditvergabe warnte undsich fr eine restriktivere Haushaltspolitik und diestrengere Kontrolle der Verwendung von Haus-haltsmitteln aussprach, vertrat das Wirtschaftsmi-nisterium eine entgegengesetzte Haltung. Schlie-lich wurde eine Einigung ber Manahmen erzielt,die zum Jahresbeginn 2009 in Kraft traten. Darinsind weitere Mittel fr die Stabilisierung des Fi-nanzmarktes, aber auch fr die Frderung der Be-schftigung sowie Steuersenkungen fr die Unter-nehmen vorgesehen. Es wurde eine Liste von ca.300 Unternehmen erstellt, die Zugang zu speziellerstaatlicher Untersttzung erhalten sollen; darber

    hinaus hat die Regierung die bernahme von Kre-ditgarantien angekndigt, die bis zu 50% der Kre-ditsumme fr Unternehmen in allen Branchen de-cken sollen, in der Rstungsindustrie bis zu 70%.Zum Jahresbeginn 2009 trat auerdem eine Anhe-

    bung des allgemeinen Mindestlohns und der Ar-beitslosenuntersttzung in Kraft, die in ihrem Aus-ma bisherige Schritte in dieser Hinsicht bertrifft:Der Mindestlohn wurde etwa verdoppelt, die Ar-

    beitslosenuntersttzung mehr als verdreifacht. Siebetrgt nunmehr etwa ein Drittel des monatlichen

    Durchschnittslohns.

    Tabelle 2:Beitrge der Nachfragekomponenten zum Anstiegdes realen Bruttoinlandsprodukts, 2007 bis 2010- in Prozentpunkten -

    2007 2008 2009 2010

    PrivateKonsumausgaben

    6,7 5,4 1,2 0,6

    Staatskonsum 0,6 0,4 0,6 0,7

    Anlageinvestitionen 4,0 2,2 2,5 0,2

    Vorratsvernderung 0,3 0,6 0,1 0,2

    Auenbeitrag 3,5 3,0 2,0 0,4Bruttoinlandsprodukt

    a 8,1 5,6 5,0 0,5a Vernderung gegenber dem Vorjahr in %.

    Quellen: Rosstat; Berechnungen des IWH; 2009 und 2010:Prognose des IWH.

    Das Haushaltsgesetz in seiner ursprnglichenFassung bereits im Vorjahr verabschiedet wurdeberarbeitet und den neuen Realitten angepasst.23

    23 Die Einnahmen wurden auf der Basis eines durchschnitt-

    lichen lpreises von 41 US-Dollar/Barrel (statt in alterFassung 95 US-Dollar) berechnet, das Defizit wurde auf7,4% des zugrunde gelegten BIP veranschlagt.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    15/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 247

    Es sieht nunmehr strker verminderte Einnahmeneinschlielich eines Budgetdefizits vor. Grundlegendgendert wurde die Ausgabenstruktur: Mehr Mittelwerden zur Bekmpfung der Wirtschaftskrise ein-gesetzt. Strker zur Finanzierung der Antikrisen-manahmen in Anspruch genommen werden sollder Stabilisierungsfonds. Er ist mit seinen im Re-servefonds akkumulierten Mitteln ohnehin zumAusgleich von Einnahmeeinbuen des Haushaltsvorgesehen, zustzlich sollen jedoch aufgrund der

    besonderen Lage auch Mittel des zweiten Teil-fonds (Fonds des Nationalen Wohlstands) ver-wendet werden. Beide Teilfonds haben angesichtsder 2008 im Jahresvergleich noch auerordentlichhohen Einnahmen aus dem lexport betrchtlicheMittel akkumuliert.24

    Aufgrund dieses Finanzpolsters kann die Regie-

    rung also zunchst eine Politik betreiben, die dieLage stabilisieren drfte. Eine schnelle Entspan-nung ist dennoch nicht zu erwarten. Sollte sich derlpreis auf einem so niedrigen Niveau einpegeln,wie es in den letzten Monaten erreicht wurde, wird

    nicht nur der Staatshaushalt ein Defizit aufweisen,sondern werden zuknftig auch die Finanzmittelfr wichtige Reformvorhaben (u. a. Renten- undGesundheitssystem) sowie fr die geplante Mo-dernisierung von Teilbereichen der Wirtschaft nichtmehr in dieser Weise zur Verfgung stehen. DieAbhngigkeit der russischen Wirtschaft von derLage auf den Rohstoffmrkten trifft sie unter dengegenwrtigen Bedingungen besonders hart. An-gesichts hherer Finanzierungskosten fr die Un-ternehmen werden die Investitionen zunchst weitergedmpft werden; schlechtere Einkommensaus-sichten werden den Konsum drcken. Allerdingsdrfte sich die preisliche Wettbewerbsfhigkeit derrussischen Unternehmen durch die Abwertung desRubel verbessern, sodass die Produktion und dieExporte angeregt werden. Das Bruttoinlandsprodukt

    wird sich daher nach einem deutlichen Rckgangin diesem Jahr dann 2010 wieder leicht erholen.

    Martina Kmpfe([email protected])

    Exportweltmeister trotz Euro-Hhenflug Zum Einfluss der Wechselkurse auf die deutschen Ausfuhren

    Mit den Vorbereitungen zur Einfhrung einer eu-ropischen Gemeinschaftswhrung Ende der 1980erJahre kamen schnell Zweifel auf, ob in der damali-gen Europischen Gemeinschaft (EG) berhaupt diekonomischen Voraussetzungen einer Whrungs-union gegeben sind. Da die Mitgliedstaaten auf-grund erheblicher makrokonomischer Divergen-zen die Kriterien eines optimalen Whrungsraumsnicht erfllten, frchtete man um die Stabilitt einergemeinsamen Whrung. Doch entgegen diesen Be-frchtungen hat sich der Euro in den ersten zehnJahren nach seiner Einfhrung, trotz einer anfng-lichen Schwchephase, gegenber wichtigen Wh-rungen behauptet und teilweise sogar deutlich anWert gewonnen. Erst die Verschrfung der Welt-finanzkrise hat den Aufwrtstrend der europischenWhrung gegenber US-Dollar, Yen und weiterenFremdwhrungen im Sommer vergangenen Jahresgestoppt.

    Whrend die Binnenstabilitt einer Whrungals Garant fr Wachstum und Wohlstand gilt, wird

    24

    Zum 01.05.2009 betrugen die Mittel des Reservefonds107 Mrd. US-Dollar, die des Nationalen Wohlstandsfonds86 Mrd. US-Dollar.

    in einer hohen Auenstabilitt hufig eine Gefahrfr die exportierenden Unternehmen gesehen, deren

    preisliche Wettbewerbsfhigkeit dadurch geschwchtwird. So hat der Euro von 2002 bis 2008 etwa gegen-ber dem Yen um gut 40%, gegenber dem Briti-schen Pfund um 29% und gegenber dem US-Dollar gar um 78% aufgewertet, und die deutschenAusfuhren in diese Lnder haben sich seitdemdeutlich unterdurchschnittlich entwickelt. Gleichesgilt jedoch fr die Exporte in den Euroraum, sodasssich die Frage stellt, in welchem Ma berhauptdie Euro-Aufwertung und nicht die im Vergleichzu anderen Regionen schwchere konjunkturelleDynamik in den Industrielndern die Ursache die-ser Entwicklung war. Denn der deutsche Exportwuchs whrend der Aufschwungphase der vergan-genen Jahre trotz Euro-Aufwertung insgesamtrecht krftig. Erst in den zurckliegenden Monatenerfuhren die deutschen Ausfuhren, v. a. in die USAund nach Japan, aber auch in den Euroraum, im Zugeder dramatischen Verschrfung der Weltfinanzkriseeinen regelrechten Einbruch, und das trotz starkerAbwertung des Euro seit Juli vergangenen Jahres.

    Fr eine Vielzahl von Lndern, so auch fr Deutsch-land, wurde bereits nachgewiesen, dass die Aus-

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    16/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009248

    Kasten:Fehlerkorrekturmodell zur Bestimmung der Wechselkurselastizitt der Exporte

    Die Reaktion der realen Warenexporte auf Wechselkursvernderungen wird mit Fehlerkorrekturmodellenermittelt, welche die folgende Grundstruktur besitzen:

    yt= 0 +

    k

    ii

    0

    zt-i (yt-1 i zt-1) + t.

    Dabei stehtytfr den Wert der abhngigen Variablen in der Periode tundztfr den Vektor der erklrendenVariablen. Whrend der erste Teil der Gleichung die Kurzfristdynamik beschreibt, enthlt der zweite Teildie langfristige Gleichgewichtsbeziehung.i bzw. i stehen fr die Regressionskoeffizienten der Kurz- bzw.Langfristbeziehung, fr den Fehlerkorrekturterm, und tbezeichnet die Residuen. Smtliche Schtzungenbasieren auf Quartalsdaten. Als abhngige Variablen flieen jeweils die realen Warenexporte ein, also diemit dem Ausfuhrpreisindex deflationierten nominalen Exporte. Als erklrende Variablen dienen die Indus-trieproduktion der Handelspartnerlnder sowie nominale bzw. reale Wechselkursindizes.

    Augmented-Dickey-Fuller-Tests zeigen fr smtliche Datenstze, die den folgenden Schtzungenzugrunde liegen, dass alle Variablen in den Niveaus nicht-stationr sind. Fr die ersten Differenzen wirddie Nullhypothese der Nicht-Stationaritt dagegen abgelehnt, sodass smtliche Variablen integriert vomGrad eins sind. Zudem zeigen Engle-Granger-Kointegrationstests, dass zwischen Warenexporten, Wech-selkursen und Auslandskonjunktur jeweils langfristige Gleichgewichtsbeziehungen bestehen. Damit sinddie Voraussetzungen zur Schtzung von Fehlerkorrekturmodellen gegeben.

    fuhren im Lauf der Jahre weniger anfllig gegen-ber Wechselkursschwankungen geworden sind.25Aufgrund der Tatsache, dass seit der Grndung derEuropischen Whrungsunion (EWU) ber 40%der deutschen Exporte in den Euroraum flieen

    und zudem viele osteuropische Lnder ihre Wh-rungen eng an den Euro gebunden haben, knntesich dieser Effekt gerade in den vergangenen zehnJahren verstrkt haben.

    Vor diesem Hintergrund untersucht der folgendeBeitrag die Reaktion der deutschen Warenexporteauf nominale, aber auch auf reale Wechselkursver-nderungen vor und nach der Euro-Einfhrung. Indiesem Zusammenhang wird auch das Preisset-zungsverhalten der Exporteure in Bezug auf nomi-nale Wechselkursvernderungen analysiert.

    Empirische Analyse

    Der Einfluss nominaler und realer, also um in- undauslndische Preisdifferenzen bereinigter Wech-

    25 Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK: Monatsbericht Mrz

    2008, S. 35-49. SMITH, M.: Impact of the ExchangeRate on Export Volumes, in: Reserve Bank of New Zea-land Bulletin, Vol. 67, No. 1, March 2004, pp. 5-13. STAHN, K.: Has the Impact of Key Determinants of Ger-

    man Exports Changed?, in: O. de Brandt (ed.), Conver-gence or Divergence in Europe. Growth and BusinessCycles in France, Germany and Italy, 2006, pp. 361-384.

    selkurse auf die deutschen Warenausfuhren26 solldurch Schtzungen fr zwei verschiedene Zeit-rume, zum einen von 1980 bis 1998, also fr dieZeit vor, und zum anderen von 1999 bis 2008, alsodie Zeit nach der Euro-Einfhrung, ermittelt wer-

    den. Die empirische Analyse erfolgt jeweils in dreiSchritten: Zunchst flieen die nominalen Wech-selkurse als erklrende Variable fr die realen Wa-renexporte ein. Da seit der Euro-Einfhrung einGroteil des deutschen Auenhandels jedoch ber-haupt keinen Wechselkursvernderungen mehr un-terliegt, werden die Schtzungen zum einen frden gesamten Warenexport, zum anderen fr denExport in einen Lnderkreis auerhalb der EWUdurchgefhrt.27 Im zweiten Schritt wird die Reak-tion der Ausfuhren auf Vernderungen der realenWechselkurse (auf Basis der Verbraucherpreise)

    analysiert. Im dritten und letzten Schritt wird schlie-lich untersucht, wie sich die Ausfuhrpreise an Ver-nderungen der nominalen Wechselkurse anpassen.

    26 Da Dienstleistungsexporte nach Lndern und Regionennicht fr den gesamten Beobachtungszeitraum zur Verf-gung stehen, beschrnkt sich die Analyse auf die Waren-ausfuhren.

    27 Rein theoretisch knnen auch die Ausfuhren Deutschlandsin den Euroraum von einer Euro-Auf- oder Abwertung be-troffen sein, weil sich dadurch die Wettbewerbspositiongegenber Anbietern auerhalb der Whrungsunion, mit

    denen Deutschland auf den europischen Absatzmrktenkonkurriert, verndert (vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK:Monatsbericht Mrz 2008, S. 35-49).

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    17/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 249

    Tabelle 1:Determinanten der realen Warenexporte Deutschlands

    Zeitraum 1980Q1 bis 1998Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizitta

    0,35*** (3,51)

    IProdOECD 0,08 (0,21) 0,73* (1,96) 0,13 (0,34) 0,93*** (2,80) 0,72*** (3,05) 2,06

    EffERnom 0,25*** (2,67) 0,17 (1,59) 0,24** (2,43) 0,13 (1,32) 0,35*** (2,89) 0,98

    DummUni 0,02* (1,94)

    N = 72, R2 = 0,37

    Zeitraum 1999Q1 bis 2008Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizitta

    0,44** (2,54)

    IProdOECD 1,65*** (4,17) 1,58*** (3,04) 0,93** (2,10) 0,83* (1,84) 1,49** (2,73) 3,37

    EffERnom 0,12 (0,88) 0,02 (0,12) 0,02 (0,13) 0,08 (0,52) 0,35** (2,13) 0,78

    N = 36, R2 = 0,61

    Signifikanzniveaus: *** (1%), ** (5%), * (10%).

    a

    Marginale Vernderung der realen Warenexporte bei einer marginalen Vernderung der erkl-renden Variablen.

    Quellen: OECD; IMF; Deutsche Bundesbank; Berechnungen des IWH.

    Die empirische Analyse erfolgt mittels Fehler-korrekturmodellen (vgl. Kasten). Die realen Wa-renausfuhren werden dabei zum einen ber die

    Nachfrage des Auslands erklrt. Da Daten zumBruttoinlandsprodukt nicht fr alle Lnder ab 1980vorliegen, dient die Industrieproduktion als Ersatz-indikator fr die wirtschaftliche Aktivitt im Aus-land. Zum anderen flieen als zweite erklrende

    Gre effektive, also exportgewichtete Wechsel-kurse ein.

    Einfluss nominaler Wechselkurse auf den

    Gesamtexport

    In der ersten Schtzung wird der gesamte realeWarenexport Deutschlands durch die Industriepro-duktion in den OECD-Lndern (IProdOECD)28 sowiedurch den Index des nominalen effektiven Wech-selkurses (EffERnom)29 erklrt. Die durch die Wie-dervereinigung bedingten Exportrckgnge werden

    ber eine Dummy-Variable (DummyUni) erfasst, dievom dritten Quartal 1990 bis zum zweiten Quartal1993 den Wert eins, ansonsten den Wert null an-nimmt. Die Schtzergebnisse sowohl fr den kurz-als auch fr den langfristigen Einfluss der erklren-den Variablen auf die realen Warenexporte Deutsch-lands fr die Perioden 1980 bis 1998 sowie 1999

    bis 2008 sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

    28 Vgl. OECD: Main Economic Indicators, von 1999 bis 2008einschlielich Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowa-

    kei.29 Vgl. IMF: International Financial Statistics.

    Den Schtzergebnissen zufolge hatten sowohlVernderungen der wirtschaftlichen Aktivitt imAusland als auch Vernderungen des nominalenWechselkurses in den 1980er und 1990er Jahrenkurzfristig Einfluss auf die realen Warenausfuhren.Dies zeigt sich gleichermaen in der Langfristbe-ziehung; auch hier sind sowohl Vernderungen derWeltproduktion als auch der Wechselkurse signifi-

    kant mit dem erwarteten Vorzeichen. Wie den ausden Koeffizienten der Langfristbeziehung und ausdem Fehlerkorrekturterm errechneten Elastizittenzu entnehmen ist, hatte eine marginale Vernderungder Weltproduktion jedoch einen deutlich strke-ren Einfluss auf die deutschen Ausfuhren als mar-ginale Vernderungen des nominalen effektivenD-Mark-Wechselkurses. Fr den Zeitraum von1999 bis 2008 stellt sich dies noch sehr viel extre-mer dar, hat doch die Reaktion der deutschen Aus-fuhren auf Vernderungen der Weltproduktion so-wohl in der kurzen als auch in der langen Frist

    weiter zugenommen.30 Dagegen hatte der effektiveWechselkurs in den Jahren nach der Euro-Einfhrungnur noch langfristig Einfluss auf die realen Aus-fuhren. Allerdings waren Signifikanz und Elasti-zitt geringer als in den knapp 20 Jahren zuvor,sodass die Schtzergebnisse die Hypothese einesschwindenden Einflusses von Wechselkursvern-derungen auf die Exporte besttigen.31

    30 Vgl. z. B. auch STAHN, K., a. a. O.31

    Hierbei ist allerdings zu bercksichtigen, dass fr den Zeit-raum von 1999 bis 2008 deutlich weniger Beobachtungenzur Verfgung stehen.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

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    Wirtschaft im Wandel 6/2009250

    Tabelle 2:Determinanten der realen Warenexporte Deutschlands in Nicht-EWU-Lnder

    Zeitraum 1980Q1 bis 1998Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizitta

    0,20*** (3,73)

    IProdTP9 1,68*** (4,72) 0,80** (2,33) 0,43 (1,22) 0,38 (1,17) 0,51*** (3,43) 2,54

    EffERTP9 0,19* (1,88) 0,03 (0,22) 0,16 (1,38) 0,06 (0,51) 0,22*** (3,42) 1,11

    DummUni 0,02* (1,79)

    N = 72, R2 = 0,54

    Zeitraum 1999Q1-2008Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizitta

    0,71*** (3,80)

    IProdTP9 1,53*** (4,56) 1,32** (2,50) 0,70 (1,48) 1,18** (2,55) 1,39*** (3,53) 1,96

    EffERTP9 0,01 (0,11) 0,05 (0,58) 0,02 (0,20) 0,04 (0,40) 0,63** (2,56) 0,89

    N = 36, R2 = 0,71

    Signifikanzniveaus: *** (1%), ** (5%), * (10%).

    a

    Marginale Vernderung der realen Warenexporte bei einer marginalen Vernderung der erkl-renden Variablen.

    Quellen: OECD; IMF; Deutsche Bundesbank; Berechnungen des IWH.

    Einfluss nominaler Wechselkurse auf die

    Exporte in den Nicht-Euroraum

    Es stellt sich jedoch die Frage, ob das obige Er-gebnis allein auf die Verwirklichung der Whrungs-union und den Wegfall der Wechselkurse gegenberwichtigen Handelspartnerlndern zurckgefhrt wer-den kann. Aus diesem Grund soll zustzlich getestet

    werden, wie sich der Einfluss nominaler Wechsel-kurse auf die realen Exporte in Lnder auerhalbder Whrungsunion entwickelt hat. Dazu werdendie Warenausfuhren in eine Lndergruppe beste-hend aus Norwegen, Schweden, Dnemark, demVereinigten Knigreich, Kanada, Japan, den USAund der Schweiz betrachtet, in die im Jahr 2008knapp 50% der deutschen Exporte in den Nicht-Euroraum flossen.32 Als erklrende Variablen die-nen, wiederum als Nachfrage-Indikator, die Indus-trieproduktion dieser Lnder (IProdTP9)33 sowie

    der nominale effektive Wechselkurs der D-Mark bzw. des Euro gegenber den Whrungen dieserStaaten (EffERTP9).34 Die Schtzergebnisse sindTabelle 2 zu entnehmen.

    32 Die mittlerweile fr den deutschen Export recht bedeuten-den mittel- und osteuropischen Lnder knnen aufgrundder schlechten Datenlage fr die 1980er Jahre keine Be-rcksichtigung finden.

    33 BIP-gewichtet, vgl. OECD: Main Economic Indicators.34

    Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK: Devisenkursstatistik,diverse Ausgaben; IMF: Direction of Trade Statistics Year-books; Berechnungen des IWH.

    Wie die Ergebnisse zeigen, werden auch dieAusfuhren in die Nicht-EWU-Lnder kurz- wielangfristig vor allem durch die wirtschaftliche Ak-tivitt in den Ziellndern determiniert. hnlich wiein der ersten Schtzung erhhten sich die realenExporte gem der Elastizitten bei einem Anstiegder Industrieproduktion in den Zielregionen in

    beiden Beobachtungszeitrumen berproportional(im Zeitraum von 1980 bis 1998 um das Zweiein-halbfache, im Zeitraum von 1999 bis 2008 um dasZweifache). Doch interessanterweise hat auch dieWechselkurselastizitt der Exporte in den Nicht-Euroraum im Zeitverlauf abgenommen, und die no-minalen Wechselkurse haben in dieser Schtzungebenso an Signifikanz verloren. Folglich kann nichtallein die Euro-Einfhrung fr den im Zeitverlaufgesunkenen Einfluss der nominalen Wechselkurseauf die deutschen Ausfuhren verantwortlich sein.Eine weitere mgliche Ursache knnte darin lie-

    gen, dass die deutschen Produzenten die Preise derExportgter aufgrund des gestiegenen Wettbewerbs-drucks in den langanhaltenden Aufwertungsphasenimmer strker nach unten angepasst und dadurchnominale Aufwertungen strker kompensiert ha-

    ben. Denn langfristig sind fr die Entwicklung derExporte nicht die nominalen, sondern die realenWechselkurse entscheidend, deren Einfluss im Fol-genden ermittelt werden soll.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    19/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009 251

    Tabelle 3:Einfluss des realen effektiven Wechselkursesaauf die deutschen Warenexporte

    Zeitraum 1980Q1 bis 1998Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizittb

    0,68*** (4,90)

    IProdOECD 1,73*** (3,13) 1,11* (1,78) 0,43 (0,75) 0,50 (1,05) 0,99*** (5,14) 1,45

    EffERreal 0,19 (0,77) 0,29 (1,08) 0,11 (0,46) 0,09 (0,42) 0,71*** (3,89) 1,04

    DummUni 0,03** (2,63)

    N = 72, R2 = 0,53

    Zeitraum 1999Q1 bis 2008Q4

    Kurzfristbeziehung Langfristbeziehung

    Lag (0) (1) (2) (3) Koeffizient Elastizittb

    0,26*** (3,32)

    IProdOECD 1,15*** (3,63) 0,28 (0,62) 1,04** (2,33) 1,04** (2,68) 0,87*** (3,43) 3,31

    EffERreal 0,32 (1,20) 0,21 (0,82) 0,55** (2,11) 0,23 (0,84) 0,24** (2,25) 0,92

    N = 36, R2 = 0,63

    Signifikanzniveaus: *** (1%), ** (5%), * (10%).

    a

    Indikator der preislichen Wettbewerbsfhigkeit der deutschen Wirtschaft gegenber 23 Indus-trielndern. b Marginale Vernderung der realen Warenexporte bei einer marginalen Vernderung der erklrenden Variablen.

    Quellen: OECD; IMF; Deutsche Bundesbank; Berechnungen des IWH.

    Reale Wechselkurse und Exporte

    In der folgenden Schtzung wird anstelle der no-minalen effektiven Wechselkurse einer der von derDeutschen Bundesbank berechneten Indikatoren der

    preislichen Wettbewerbsfhigkeit der deutschenWirtschaft in die Schtzgleichung aufgenommen.Diese basieren auf Unterschieden in den Verbrau-

    cherpreisen zwischen In- und Ausland und knnenim Grunde als reale effektive Wechselkurse ange-sehen werden. Die Schtzungen werden wiederumfr die Zeitrume von 1980 bis 1998 sowie von1999 bis 2008 durchgefhrt. Da reale Wechselkurs-vernderungen auch gegenber Mitgliedstaaten derEWU auftreten knnen, wird die Schtzung in bei-den Perioden nur fr den gesamten Warenexport alsabhngige Variable durchgefhrt. Als erklrendeVariable dient, neben der Industrieproduktion derOECD, der Indikator der preislichen Wettbewerbs-

    fhigkeit der deutschen Wirtschaft gegenber 23 In-dustrielndern (EffERreal), da nur dieser seit 1980zur Verfgung steht.35 Die Schtzergebnisse sindin Tabelle 3 dargestellt.

    Mit Bezug auf die erklrende Variable Indus-trieproduktion zeigen die Schtzungen fr dievergangenen zehn Jahre eine strkere Reaktion der

    35 Dieser enge Lnderkreis drfte die Schtzergebnisse aberkaum verzerren, da smtliche von der Deutschen Bundes- bank verffentlichten Indikatoren der preislichen Wettbe-

    werbsfhigkeit, unabhngig von der Gre des Lnderkrei-ses, sehr eng miteinander korreliert sind (vgl. DEUTSCHEBUNDESBANK: Monatsbericht Mai 2007, S. 30-43).

    Ausfuhren auf Vernderungen der wirtschaftlichenAktivitt im Ausland als fr die 1980er und 1990erJahre. Dagegen ist der Indikator der preislichenWettbewerbsfhigkeit seit der Euro-Einfhrung we-niger signifikant als zuvor, und auch die Elastizitthat sich im Zeitverlauf leicht verringert. Allerdingsist die preisliche Wettbewerbsfhigkeit im Ver-

    gleich zu den nominalen effektiven Wechselkursenimmer noch von recht groer Bedeutung fr denExport. Gleichwohl ist der schwindende Einflussinsoweit berraschend, als etwa der im Zuge derGlobalisierung gestiegene internationale Wettbe-werb die Vermutung nahelegt, dass sich die Preis-elastizitt der Nachfrage eigentlich erhht und die

    preisliche Wettbewerbsfhigkeit der Lnder an Be-deutung gewonnen haben msste. Dem kann jedochdie zunehmende (vertikale) Spezialisierung insbe-sondere bei Industriegtern entgegengehalten wer-den, in deren Konsequenz Qualittsmerkmale mehr

    und mehr an Bedeutung gewonnen haben.Da den Schtzergebnissen zufolge der Einfluss

    der realen Wechselkurse auf die Warenausfuhrenund damit die Preiselastizitt der Nachfrage im Zeit-verlauf nur leicht abgenommen hat, ist fr den deut-lich verringerten Einfluss der nominalen Wechsel-kurse eine genauere Ursachenanalyse erforderlich.

    Neben der leicht verringerten Preiselastizitt derNachfrage knnte die bereits erwhnte zunehmendeAnpassung der Gterpreise an die vorherrschendenWhrungsaufwertungen seitens der Produzenten

    eine weitere Ursache fr den schwindenden Ein-fluss nominaler Wechselkurse auf die Exporte sein.

  • 8/6/2019 Zielgenaue Disziplinierung Oder Allgemeine Drohkulisse

    20/31

    Wirtschaft im Wandel 6/2009252

    Abbildung:Entwicklung nominaler und realer effektiver Wech-selkurse (Index 2000 = 100)

    60

    70

    80

    90

    100

    110

    120

    130

    1981Q1

    1982Q3

    1984Q1

    1985Q3

    1987Q1

    1988Q3

    1990Q1

    1991Q3

    1993Q1

    1994Q3

    1996Q1

    1997Q3

    1999Q1

    2000Q3

    2002Q1

    2003Q3

    2005Q1

    2006Q3

    2008Q1

    realer effektiver Wechselkurs(auf Basis der Verbraucherpreise)

    realer effektiver Wechselkurs

    (auf Lohnstckkostenbasis)

    nominaler effektiver Wechselkurs

    IWH

    Quellen: IMF: International Financial Statistics; DeutscheBundesbank; Darstellung des IWH.

    Denn je strker die Preise an nominale Wechsel-kursvernderungen angepasst werden, umso weni-ger ndern sich die realen Wechselkurse und dem-zufolge auch die Exporte. Aus diesem Grund soll

    im Folgenden die Entwicklung nominaler undrealer Wechselkurse genauer betrachtet werden.

    Nominale und reale Wechselkurse,

    Ausfuhrpreise und Exporte

    In der Abbildung ist die Entwicklung des nomina-len und realen effektiven Wechselkurses, sowohlauf Basis der Verbraucherpreise36 als auch aufLohnstckkosten-Basis, abgetragen. Wie der Ab-

    bildung zu entnehmen ist, hat sich die preislicheWettbewerbsfhigkeit der deutschen Wirtschaft, so-

    fern man Differenzen in den Verbraucherpreisenzugrunde legt, in den vergangenen acht Jahren ver-schlechtert.

    Die nominalen Euro-Aufwertungen wurden alsonicht durch in- und auslndische Inflationsunter-schiede ausgeglichen, sondern haben sich auch ineiner realen effektiven Aufwertung niedergeschla-gen. Allerdings wird hufig argumentiert, dass realeeffektive Wechselkurse auf Basis der Verbraucher-

    36

    Indikator der preislichen Wettbewerbsfhigkeit der deut-schen Wirtschaft gegenber 23 Industrielndern (auf Basisder Verbraucherpreise).

    preise keine geeigneten Indikatoren fr die preis-liche Wettbewerbsfhigkeit der Lnder sind. Pro-

    bleme ergeben sich insbesondere dann, wenn dasExportgtersortiment deutlich von der Zusammen-setzung des in den Verbraucherpreisindex einflie-enden Warenkorbes abweicht. Eine Alternative

    besteht darin, die internationale preisliche Wettbe-werbsfhigkeit auf Kostenbasis zu ermitteln. Ziehtman als Indikator der preislichen Wettbewerbsf-higkeit Deutschlands den realen effektiven Wech-selkurs auf Lohnstckkosten-Basis heran, wird deut-lich, dass sich dieser ber lange Zeit relativ parallelzum nominalen effektiven Wechselkurs entwickelthat. Doch seit dem Jahr 2000 besteht dieser Gleich-lauf nicht mehr, und die preisliche Wettbewerbs-fhigkeit der deutschen Wirtschaft hat sich seitdem,trotz Euro-Aufwertung, auf Lohnstckkosten-Basis

    verbessert. Somit war die Entwicklung der Lohn-stckkosten in Deutschland in den vergangenenJahren so gnstig, dass nicht nur der Lohnstck-kosten-Anstieg im Ausland, sondern zustzlich dieAufwertung des Euro berkompensiert wurde. Dieskann als eine Ursache dafr angesehen werden,dass die krftige Euro-Aufwertung der vergangenenJahre nicht so stark auf die Exportentwicklungdurchgeschlagen hat.

    Faktisch ist fr die preisliche Wettbewerbsf-higkeit eines Landes jedoch entscheidend, wie sich

    die Angebotspreise heimischer Gter auf den Aus-landsmrkten an nominale Wechselkursvernde-rungen anpassen. Ausschlaggebend ist hierbei nichtzuletzt die unternehmerische Zielfunktion, die ne-

    ben der Maximierung des Gewinns in der Regelauch die Sicherung von Marktanteilen bzw. dieUmsatzmaximierung als Zielgre enthlt. Somitist denkbar, dass die Exporteure bei nominalenWechselkursvernderungen zunchst von der eherauf lngere Sicht anzustrebenden Gewinnmaximie-rung abweichen, kurz- bis mittelfristig versuchen,Marktanteile zu verteidigen und dafr eine Varia-

    tion der Gewinnmargen in Kauf nehmen. Bei no-minalen Aufwertungen wrde das Preissenkungenerfordern. Denn sofern diese ausbleiben, ndernsich die internationalen Gterpreisrelationen. Dochdann wrde sich eine internationale Preisdifferen-zierung einstellen. Langfristig sind derartige Ab-weichungen vom Gesetz des einheitlichen Preises

    jedoch nur bei niedriger Preiselastizitt der Nach-frage mglich. Bei vollkommenem Wettbewerb undhoher Homogenitt der international gehandeltenGter mssten sich die Preise mittelfristig aufgrund

    einsetzender Gterarbitrage zwangslufig wiederangleichen. Insbesondere im Fall einer Aufwertung

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    Wirtschaft im Wandel 6/2009 253

    der heimischen Whrung sollte dies die Produ-zenten zur Anpassung der Preise an diejenigen derWettbewerber auf den Auslandsmrkten (pricingto market) veranlassen.37

    Im Folgenden soll der Einfluss von Wechselkurs-

    schwankungen auf die deutschen Ausfuhrpreisebestimmt werden. Auch dies erfolgt auf der Basiseines Fehlerkorrekturmodells, in das, neben demnominalen effektiven Wechselkurs (EffERnom), derProduzentenpreisindex (PProd) als erklrende Va-riable einfliet, um die Entwicklung der Produk-tionskosten der Unternehmen abzubilden. Darberhinaus dient erneut die Industrieproduktion derOECD (IProdOECD) als erklrende Variable. Hier-

    bei wird unterstellt, dass die Unternehmen die Preisean die Nachfrageentwicklung auf den Absatzmrk-ten anpassen. Sowohl fr den Produzentenpreisin-

    dex als auch fr die Industrieproduktion der Han-delspartner wird somit ein positiver Einfluss aufdie Ausfuhrpreise unterstellt. Dagegen sollte zwi-schen dem nominalen effektiven Wechselkurs undden Ausfuhrpreisen ein negativer Zusammenhang

    bestehen.Whrend fr den Zeitraum von 1980 bis 1998

    der Preisindex fr den Gesamtexport als abhngigeVariable dient, wurde fr die Periode nach 1998der Ausfuhrpreisindex in den Nicht-Euroraum alsabhngige Variable gewhlt, weil die Preise der in

    den Euroraum gelieferten Gter von Wechselkurs-schwankungen kaum betroffen sind.38 Da die Ex- portpreise hufig erst mit erheblicher zeitlicherVerzgerung auf Vernderungen der erklrendenVariablen, insbesondere der Wechselkurse, reagie-ren, sind in Tabelle 4 lediglich die Ergebnisse derLangfristbeziehung aufgefhrt.

    37 Dem knnen jedoch Menkosten und Unsicherheiten berdie zuknftige Wechselkursentwicklung entgegenstehen.Solange sich der Devisenmarkt aus Sicht der Produzentennicht im Gleichgewicht befindet und Korrekturbewegungenerwartet werden, verhalten sich die Anbieter unter Um-stnden eher abwartend (vgl. DEUTSCHE BUNDES-BANK: Monatsbericht Januar 1997, S. 43-62).

    38 Dadurch werden im Zeitraum von 1999 bis 2008 die Aus-fuhrpreise in den Nicht-Euroraum auch durch den Indexder Industrieproduktion derjenigen EWU-Lnder, die Mit-glieder der OECD sind, erklrt. Dies drfte jedoch kaummit Inkonsistenzen verbunden sein, da durch den interna-

    tionalen Konjunkturverbund die Industrieproduktion derEWU mit der Industrieproduktion der gesamten OECDrecht hoch korreliert ist (Korrelationskoeffizient: 0,98).

    Tabelle 4:Determinanten der Ausfuhrpreise

    Zeitraum 1980Q1 bis 1998Q4

    Variable Langfristbeziehung Elastizitta

    Koeffizient T-Statistik

    0,14*** 2,78IProdOECD 0,00 0,12 0,012

    PProd 0,12** 2,45 0,877

    EffWKnom 0,021** 2,01 0,150

    N = 72, R2 = 0,87

    Zeitraum 1999Q1 bis 2008Q4

    Variable Langfristbeziehung Elastizitta

    Koeffizient T-Statistik

    0,30*** 3,18

    IProdOECD 0,10*** 4,49 0,338

    PProd 0,12* 1,71 0,407

    EffWKnom 0,06*** 3,75 0,190

    N = 36, R2 = 0,88Signifikanzniveaus: *** (1%), ** (5%), * (10%). a Marginale Ver-nderung der Ausfuhrpreise bei einer marginalen Vernderung der er-klrenden Variablen.

    Quellen: OECD; IMF; Deutsche Bundesbank; Berechnungendes IWH.

    Den Schtzergebnissen zufolge hatte die wirt-schaftliche Aktivitt in den Handelspartnerlndernerst in der jngeren Vergangenheit signifikanten Ein-fluss auf die Ausfuhrpreise. Offensichtlich passendie Produzenten die Angebotspreise auf den Aus-

    landsmrkten deutlich strker an Nachfrageschwan-kungen an, als dies frher der Fall war. Demgegen-ber hat der Erzeugerpreisindex an Signifikanzverloren, und die Produzenten konnten die im ge-samten Beobachtungszeitraum kontinuierlich ge-stiegenen Erzeugerpreise offensichtlich immer we-niger in die Ausfuhrpreise berwlzen.

    Mit Bezug auf Vernderungen der nominaleneffektiven Wechselkurse zeigt sich, dass deren ber-wlzung in die Ausfuhrpreise im gesamten Be-obachtungszeitraum uerst gering war, im Zeit-verlauf aber dennoch leicht zugenommen hat. Dieskann ein Indiz dafr sein, dass die Produzenten dieAusfuhrpreise in den langen Aufwertungsphasenzunehmend nach unten angepasst haben. WhrendWechselkursvernderungen im Zeitraum von 1980

    bis 1998 nur zu 15% in die Ausfuhrpreise weiter-gegeben wurden, lag dieserpass through nach derEuro-Einfhrung bei knapp einem Fnftel. Trotzdes leichten Anstiegs zeigen die Ergebnisse im Hin-

    blick auf Euro-Aufwertungen, dass diese in der Ver-gangenheit nur in geringem Umfang durch Preis-senkungen kompensiert wurden, die Exportgter

    sich also infolge nominaler Aufwertungen verteuerthaben.

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    Exportboom trotz Euro-Aufwertung

    Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die deut-schen Exportgterproduzenten die Euro-Aufwertun-gen der vergangenen Jahre nur zu knapp einemFnftel durch Preissenkungen kompensiert haben,

    drngt sich die Frage auf, weshalb die Wechsel-kurselastizitt der deutschen Exporte im Zeitver-lauf abgenommen hat und die recht krftige Euro-Aufwertung der vergangenen Jahre den deutschenExporten nur wenig anhaben konnte.

    Zunchst wurde den Schtzergebnissen zufolgeder Gesamtexport zunehmend durch die Weltkon-

    junktur bestimmt. Demgem hat die voranschreiten-de Globalisierung dazu gefhrt, dass der weltweiteAufschwung der vergangenen Jahre die deutschenAusfuhren, trotz krftiger Euro-Aufwertung, be-flgelt hat. Hinzu kommt, dass gerade Deutschlandaufgrund seiner geographischen Lage sicherlichstrker vom Aufschwung profitiert hat als andereIndustrielnder, da insbesondere die Exporte in dienahegelegenen mittel- und osteuropischen Lnderaufgrund besonders hoher Nachfragesteigerungenstark expandierten.

    Darber hinaus drfte auch die zunehmendeImportdurchdringung der Exportgterproduktion dieAnflligkeit der deutschen Industrie gegenberWechselkursschwankungen geschmlert haben.39 Soverbilligt eine Aufwertung der heimischen Wh-

    rung die Vorleistungsimporte aus Fremdwhrungs-rumen und bietet damit, fr sich genommen,Preissenkungsspielrume bei den Endprodukten. Jehher die Importquote der inlndischen Exportg-terproduktion ist, umso weniger schwchen Auf-wertungen der heimischen Whrung die preislicheWettbewerbsfhigkeit der Produzenten.40 Hierbeiwirkt begnstigend, dass sich der Euro bei denEinfuhren bei Weitem nicht so stark als Fakturie-rungswhrung durchgesetzt hat wie bei den Expor-ten. So verbilligen Aufwertungen Rohstoffimporte,

    die nach wie vor in Fremdwhrung fakturiert sind.Mit Bezug auf das Preissetzungsverhalten derProduzenten ist darauf hinzuweisen, dass ausblei-

    bende Preisanpassungen zwar eine notwendige, aberkeine hinreichende Bedingung dafr sind, dass dierealen Exporte auf nominale Wechselkursvernde-

    39 Whrend der Importgehalt der Exporte (einschlielich Re-

    Exporte) im Jahr 1995 noch bei 31,1% lag, ist dieser biszum Jahr 2006 auf ber 44% angestiegen (vgl. LOSCHKY, A.;RITTER, L.: Konjunkturmotor Export, in: Wirtschaft undStatistik 5/2007, S. 478-488).

    40 Dieser Effekt findet in den Indikatoren der preislichenWettbewerbsfhigkeit berhaupt keine Bercksichtigung.

    rungen reagieren. Das ist nur dann der Fall, wenndie Preis- bzw. Wechselkurselastizitt der Nachfrageentsprechend hoch ist. Auch wenn die Variable in-frage gestellt werden kann, deuten die Schtzun-gen mit dem Indikator der preislichen Wettbewerbs-fhigkeit der deutschen Wirtschaft darauf hin, dasssich die Preiselastizitt der Nachfrage verringerthat. Dafr knnte etwa die spezifische Produktpa-lette der deutschen Exportwirtschaft sprechen. Sohaben deutsche Produzenten vom weltweiten Auf-schwung der vergangenen Jahre auch deshalb be-sonders profitiert, weil dieser in starkem Madurch Investitionen getrieben war und die fr dendeutschen Export wichtigen Investitionsgter trotzEuro-Aufwertung weltweit gefragt waren. Darberhinaus hat, speziell bei Industriegtern, die verti-kale Produktdifferenzierung im Lauf der Jahre

    deutlich zugenommen, wodurch sich die Substitu-tionsmglichkeiten verringerten. So knnte Deutsch-land diesbezglich von der Spezialisierung aufMarkenwaren und qualitativ hochwertige Gter pro-fitiert haben, bei denen die Kundenbindung rechthoch und die Preiselastizitt der Nachfrage ent-sprechend gering ist.41

    Fazit

    In den vergangenen Jahren wurden Befrchtungen

    laut, dass der Hhenflug des Euro der exportorien-tierten deutschen Wirtschaft erheblichen Schadenzufge. Wie die vorausgegangenen Analysen zei-gen, ist ein signifikanter Einfluss nominaler Wech-selkurse auf die Ausfuhren nicht von der Hand zuweisen. Dieser ist jedoch nur langfristig vorhandenund hat sich zudem im Zeitverlauf deutlich verrin-gert. Stattdessen werden die Exporte mehr undmehr durch die konjunkturelle Entwicklung in denHandelspartnerlndern bestimmt. Interessanterweise

    betrifft dies aber nicht nur den Gesamtexport, derinfolge der Euro-Einfhrung von Wechselkursver-

    nderungen weniger betroffen ist, sondern auchdie Lieferungen in Fremdwhrungslnder.

    Wesentliche Ursachen fr den gesunkenen Ein-fluss der nominalen Wechselkurse auf die deutschenAusfuhren liegen sicherlich in einer verringertenPreiselastizitt der Nachfrage in Verbindung miteiner zunehmenden Spezialisierung sowie in dergestiegenen Importdurchdringung der Exportg-terproduktion. Hinzu kommen die gnstige Ent-wicklung der Lohnstckkosten in den vergangenen

    41 Vgl. PORTER, M. E.: What is Strategy?, in: Harvard Busi-ness Review, Vol. 72, Nov-Dec 1996, pp. 61-78.

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    Jahren und die vergleichsweise starke Fokussie-rung der Ausfuhren auf Wachstumsregionen. In-folge dieser Faktoren sind die deutschen Exporteresistenter gegenber Wechselkursvernderungengeworden, und die Gefahren e